BGB AT - Unirep

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BGB AT - Unirep
Dr. Mirko Sauer
HU Berlin
Aktuelle Rechtsprechung – Allgemeines Zivilrecht
A. Allgemeine Rechtsgeschäftslehre (BGB AT) .................................................................... 3
I. Internetauktionen (Rechtsprechungslinie) .......................................................................... 3
1. BGH, Urteil vom 07.11.2001 (NJW 2002, 363) ........................................................... 3
2. BGH, Urteil vom 03.11.2004 (NJW 2005, 53 ff.) ........................................................ 4
3. BGH, Urteil vom 11.05.2011 (NJW 2011, 2421 ff.) .................................................... 5
4. BGH, Urteil vom 08.06.2011 (NJW 2011, 2643 f.) ..................................................... 6
5. BGH, Urteil vom 28.03.2012 (NJW 2012, 2723) ......................................................... 7
6. BGH, Urteil vom 08.01.2014 (NJW 2014, 1292 ff.) .................................................... 8
II. Zustandekommen von Verträgen bei Verwendung von CPU-Systemen ........................... 9
7. BGH, Urteil vom 16.10.2012 (NJW 2013, 598 f.) ....................................................... 9
III. Gefälligkeitsverhältnisse ................................................................................................ 10
8. BGH, Urteil vom 04.8.2010 (NJW 2010, 3087) ......................................................... 10
IV. Minderjährigenrecht ....................................................................................................... 11
9. BGH, Beschluss vom 30.9.2010 (NJW 2010, 3643 ff.) ............................................. 11
10. OLG München, Urteil vom 22.08.2012, Az.: 34 Wx 200/12 (NotZ 2013, 205) ...... 12
V. Anfechtungsrecht ............................................................................................................ 13
11. BGH, Urteil vom 11.08.2010 (NJW 2010, 3362) ..................................................... 13
VI. Formvorschriften ............................................................................................................ 14
12. BGH, Urteil vom 13.07.2012 (NJW 2012, 3171 ff.) ................................................ 14
VII. Gesetzliche Verbote / Sittenwidrigkeit ......................................................................... 15
13. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.5.2011 (BB 2011, 1474) ................................... 15
14. BGH, Urteil vom 01.08.2013 (NJW 2013, 3167 f., JA 2014, 65 f.)......................... 16
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15. BGH, Urteil vom 10.04.2014 (NJW 2014, 1805 f.) ................................................. 18
16. BGH, Urteil vom 10.02.2012 (NJW 2012, 1570 f.) ................................................. 19
17. BGH, Urteil vom 24.01.2014 (MDR 2014, 456) ...................................................... 20
18. BGH, Urteil vom 19.02.2013 (NJW 2013, 1534 ff.) ................................................ 20
19. BGH, Urteil vom 10.10.2013 (NJW 2014, 141 ff.) .................................................. 21
VIII. Stellvertretungsrecht .................................................................................................... 22
20. OLG Koblenz, Urteil vom 4.11.2010 (NJW-RR 2011, 555 f.) ................................ 22
21. BGH, Urteil vom 01.03.2013 (MDR 2013, 707) ...................................................... 23
22. OLG Brandenburg, Urteil vom 21.06.2012 (MDR 2013, 105) ................................ 24
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A. Allgemeine Rechtsgeschäftslehre (BGB AT)
I. Internetauktionen (Rechtsprechungslinie)
1. BGH, Urteil vom 07.11.2001 (NJW 2002, 363)
Internet-Auktion: Abschluss und Wirksamkeit des Kaufvertrags
Merksatz
1. Die auf einen Vertragsschluss gerichteten Willenserklärungen können auch durch
elektronische Übermittlung einer Datei im Internet - online - abgegeben und wirksam werden.
2. Ein Vertragsschluß nach § 156 BGB scheidet im Streitfall aus, weil auf das Gebot des
Klägers kein Zuschlag erfolgt ist.
3. Ein Vertrag ist jedoch nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 145 ff BGB zustande
gekommen.
4. Wenn bei der Freischaltung der Angebotsseite vom Bieter zugleich die Erklärung
abgegeben wird, dass er bereits zu diesem Zeitpunkt die Annahme des höchsten wirksam
abgegebenen Kaufangebotes erklärt, so stellt diese Erklärung eine rechtsverbindliche
Willenserklärung und keine invitatio ad offerendum dar.
Sachverhalt
Die R.AG führte auf ihrer Web-Site Online-Auktionen durch. Daran kann als Verkäufer oder
Käufer nur teilnehmen, wer sich zuvor angemeldet und dabei die AGB der R anerkannt hatte.
Die AGB lauteten wie folgt:
Präambel
(3) Auf private Auktionen finden § 156 BGB, § 34 b GewO und die Verordnung über gewerbsmäßige
Versteigerungen keine Anwendung.
§ 3 Beschreibung des Kaufgegenstandes, Verkaufsangebot bei privaten Auktionen
(1) R ermöglicht es Teilnehmern, im Eigentum des jeweiligen Teilnehmers stehende Gegenstände, die im
Rahmen von privaten Auktionen verkauft werden sollen, auf Angebotsseiten öffentlich zu präsentieren.
(5) Der anbietende Teilnehmer wird im Rahmen der Freischaltung der Angebotsseite aufgefordert, die in Abs.
4 und § 5 Abs. 4 genannten Zusicherungen und Erklärungen gegenüber R abzugeben. R handelt dabei als
Empfangsvertreter aller anderen Teilnehmer, § 164 Abs. 3 BGB. Die Freischaltung erfolgt erst, wenn der
anbietende Teilnehmer die geforderten Zusicherungen und Erklärungen abgegeben hat.
§ 4 Vertragsangebot
(1) Für die von den anbietenden Teilnehmern im Rahmen von privaten Auktionen angebotenen Gegenstände
können alle Teilnehmer mit Ausnahme des in Abs. 2 genannten Personenkreises während des jeweils für den
angebotenen Gegenstand angegebenen Angebotszeitraumes (§ 6) verbindliche Kaufangebote über die RWebsite abgeben.
(4) Kaufangebote, die unter dem von dem anbietenden Teilnehmer geforderten Mindestkaufpreis liegen, sind
unwirksam.
(7) Bei Angeboten, die im Rahmen von privaten Auktionen abgegeben werden, handelt R als
Empfangsvertreter der anbietenden Teilnehmer, § 164 Abs. 3 BGB.
§ 5 Annahme eines Vertragsangebotes
(4) Bei privaten Auktionen erklärt der anbietende Teilnehmer bereits mit der Freischaltung seiner
Angebotsseite gemäß § 3 Abs. 5 die Annahme des höchsten unter Berücksichtigung von § 4 Abs. 4 und 5
wirksam abgegebenen Kaufangebotes. Der anbietende Teilnehmer wird von R vom Zustandekommen des
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Kaufvertrages alsbald, spätestens jedoch bis 24.00 Uhr des zweiten Werktages nach Ende des
Angebotszeitraumes (§ 6) per e-mail unter der von dem anbietenden Teilnehmer angegebenen e-mail-Adresse
unterrichtet.
Der V, der nebenberuflich mit reimportierten PKW handelte, richtete unter seinem
Benutzernamen für den Verkauf eines Neuwagens VW-Passat eine Angebotsseite ein. Er
legte den Startpreis (10 DM) fest und gab eine vorgegebene Erklärung ab, in der es u.a. heißt:
„Bereits zu diesem Zeitpunkt erkläre ich die Annahme des höchsten, wirksam abgegebenen
Kaufangebotes.“ Einen Mindestkaufpreis setzte der V nicht fest.
Der K gab mit 26.350 DM das letzte und höchste Gebot ab. Die R teilte dem K mit, er habe
den Zuschlag erhalten und forderte ihn auf, sich mit dem V in Verbindung zu setzen. Der V
lehnte daraufhin die Lieferung des Pkw zu dem Gebot des K mit der Begründung ab, es sei
noch kein Vertrag zustande gekommen; er sei jedoch zu einem Verkauf zum Preis von ca.
39.000 DM bereit. Vorsorglich focht er seine etwaige Willenserklärung wegen eines
Versehens bei der Eingabe des Startpreises an.
2. BGH, Urteil vom 03.11.2004 (NJW 2005, 53 ff.)
Fernabsatzvertrag: Kein Ausschluss des Widerrufsrechts bei Kaufverträgen im Rahmen einer
Internet-Auktion
Leitsatz
Bei Kaufverträgen zwischen einem gewerblichen Anbieter und einem Verbraucher, die im
Rahmen einer sog. Internet-Auktion durch Angebot und Annahme gemäß §§ 145 ff. BGB und
nicht durch einen Zuschlag nach § 156 BGB zustande kommen, ist das Widerrufsrecht des
Verbrauchers nicht nach § 312d Abs. 4 Nr. 5 BGB ausgeschlossen.
Sachverhalt
Der Kläger handelt gewerblich mit Gold- und Silberschmuckstücken. Er stellte am 7.9.2002
auf der Website eBay ein „15,00 ct. Diamanten-Armband ab 1,- EUR“ zur Versteigerung ein
und bestimmte eine Laufzeit für die Internet-Auktion von einer Woche. Der Beklagte gab am
14.9.2002 mit 252,51 € das höchste Gebot ab, verweigerte jedoch anschließend die Abnahme
und Bezahlung des Armbands und berief sich auf sein Widerrufsrecht.
Der Kläger verlangt von dem Beklagten die Zahlung von 252,51 € zuzüglich 11 €
Versandkosten, insgesamt 263,51 € nebst Zinsen.
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3. BGH, Urteil vom 11.05.2011 (NJW 2011, 2421 ff.)
Abgabe rechtsgeschäftlicher Erklärungen unter Nutzung eines fremden eBayMitgliedskontos: Zurechnung unter den Voraussetzungen der Duldungs- oder
Anscheinsvollmacht; Haftung des Kontoinhabers gegenüber Auktionsteilnehmern
Leitsatz
1. Werden unter Nutzung eines fremden eBay-Mitgliedskontos auf den Abschluss eines
Vertrages gerichtete Erklärungen abgegeben, liegt ein Handeln unter fremdem Namen vor,
auf das die Regeln über die Stellvertretung sowie die Grundsätze der Anscheins- oder der
Duldungsvollmacht entsprechend anzuwenden sind.
2. Ohne Vollmacht oder nachträgliche Genehmigung des Inhabers eines eBayMitgliedskontos unter fremdem Namen abgegebene rechtsgeschäftliche Erklärungen sind dem
Kontoinhaber nur unter den Voraussetzungen der Duldungs- oder der Anscheinsvollmacht
zuzurechnen. Für eine Zurechnung reicht es nicht bereits aus, dass der Kontoinhaber die
Zugangsdaten nicht hinreichend vor dem Zugriff des Handelnden geschützt hat.
3. Eine von eBay gestellte und von jedem registrierten Nutzer akzeptierte Formularklausel,
wonach Mitglieder grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten haften, die unter Verwendung
ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden, begründet keine Haftung des Kontoinhabers
gegenüber Auktionsteilnehmern.
Sachverhalt
Die Beklagte unterhielt beim Internetauktionshaus eBay ein passwortgeschütztes Konto.
Unter Nutzung dieses Zugangskontos wurde eine komplette Gastronomieeinrichtung mit
einem Eingangsgebot von 1,00 € zum Verkauf angeboten. Neun Tage vor Ablauf der Auktion
gab der Kläger unter seinem Nutzernamen ein Maximalgebot von 1.000 € ab. Einen Tag
später wurde die Auktion vorzeitig durch die Rücknahme des Angebots beendet. Der Kläger
war zu diesem Zeitpunkt der Höchstbietende.
In den AGB von eBay, denen jedes registrierte Mitglied zustimmen muss, heißt es in § 2
Ziffer 9: „Mitglieder haften grundsätzlich für sämtliche Aktivitäten, die unter Verwendung
ihres Mitgliedskontos vorgenommen werden.“ (…)
Zwischen den Parteien steht im Streit, ob das Angebot über den Verkauf von
Einrichtungsgegenständen für den Gastronomiebedarf von der Beklagten oder - ohne deren
Beteiligung und Wissen - von ihrem damaligen Verlobten und jetzigen Ehemann auf der
Internetplattform von eBay eingestellt worden ist.
Der Kläger, der die Auffassung vertritt, wirksam mit der Beklagten einen Kaufvertrag
abgeschlossen zu haben, macht Schadensersatzansprüche in Höhe von 32.820 € geltend,
wobei er den Zeitwert der nicht gelieferten Gegenstände auf 33.820 € beziffert und hiervon
den von ihm gebotenen Kaufpreis von 1.000 € in Abzug bringt.
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4. BGH, Urteil vom 08.06.2011 (NJW 2011, 2643 f.) - vgl. auch OLG Hamm, Urteil vom
4.11.2013 (BB 2013, 3074)
Internetauktion: AGB-Auslegung über das Recht des Anbieters zur vorzeitigen
Auktionsbeendigung
Merksatz
1. Der Erklärungsinhalt der Willenserklärungen (§§ 133, 157 BGB) der Teilnehmer einer
Internetauktion richtet sich auch nach den Bestimmungen über den Vertragsschluss in den
Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, denen die Parteien vor der Teilnahme an der
Internetauktion zugestimmt haben.
2. Aus der Sicht der an der Auktion teilnehmenden Bieter (§§ 133, 157 BGB) ist das
Verkaufsangebot dahin zu verstehen, dass es unter dem Vorbehalt einer berechtigten
Angebotsrücknahme i.S.d. § 10 AGB steht.
3. Unter Hinzuziehung der ergänzenden Hinweise (Erläuterungen) von ebay ist die AGBBestimmung zur berechtigten Angebotsrücknahme („gesetzlich dazu berechtigt“) nicht nur
auf die Fälle der tatsächlich „gesetzlich“ geregelten Vertragsauflösung (Anfechtung,
Widerruf, Rücktritt, etc.) beschränkt, sondern umfasst auch den Verlust der angebotenen
Sache.
Sachverhalt
Der Beklagte stellte eine gebrauchte Digitalkamera nebst Zubehör bei eBay für sieben Tage
zur Internetauktion mit einem Startpreis von 1 € ein. Am folgenden Tag um 18.06 Uhr
beendete der Beklagte die Auktion vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger, der ein
Maximalgebot von 357 € abgegeben hatte, mit dem aktuellen Gebotsbetrag von 70 €
Höchstbietender.
Die für die vorliegende Auktion maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay
(im Folgenden: eBay-AGB) enthalten in § 10 Abs. 1 folgende Regelungen:
„Stellt ein Anbieter auf der eBay-Website einen Artikel im Angebotsformat Auktion ein, gibt er ein
verbindliches Angebot zum Abschluss eines Vertrages über diesen Artikel ab. Dabei bestimmt der
Anbieter einen Startpreis und eine Frist (Angebotsdauer), binnen derer das Angebot per Gebot
angenommen werden kann. Der Bieter nimmt das Angebot durch Abgabe eines Gebots über die BietenFunktion an. Das Gebot erlischt, wenn ein anderer Bieter während der Angebotsdauer ein höheres
Gebot abgibt. Bei Ablauf der Auktion oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots durch den Anbieter
kommt zwischen Anbieter und Höchstbietendem ein Vertrag über den Erwerb des Artikels zustande, es
sei denn der Anbieter war gesetzlich dazu berechtigt, das Angebot zurückzunehmen und die
vorliegenden Gebote zu streichen….“
In den auf der Website von eBay zugänglichen Hinweisen zum Auktionsablauf wird als
Grund für eine vorzeitige Angebotsbeendigung unter anderem der Verlust des angebotenen
Artikels genannt.
Der Kläger forderte den Beklagten vergeblich zur Lieferung der Kamera auf. Er begehrt mit
seiner Klage Schadensersatz in Höhe des behaupteten Wertes der Kamera (1.125,32 €) und
des Zubehörs (87,64 €) abzüglich des Gebotsbetrages (70 €), insgesamt 1.142,96 € nebst
Zinsen, sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 155,30 €. Der
Beklagte beruft sich darauf, dass er zum vorzeitigen Abbruch der Auktion berechtigt gewesen
sei, weil ihm die Kamera am Nachmittag des 24. August 2009 gestohlen worden sei.
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5. BGH, Urteil vom 28.03.2012 (NJW 2012, 2723)
Schadensersatzanspruch des Käufers bei Ersteigerung eines zu einem Startpreis von 1 Euro
angebotenen Markenmobiltelefons zu einem unverhältnismäßig günstigen Preis und
nachträglicher Feststellung des Vorliegens eines Plagiats.
Leitsatz
1. Bei einer Internetauktion rechtfertigt ein grobes Missverhältnis zwischen dem
Maximalgebot eines Bieters und dem (angenommenen) Wert des Versteigerungsobjekts nicht
ohne Weiteres den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters.
2. Aus einem geringen Startpreis (hier: 1 €) bei einer Internetauktion ergeben sich keine
Rückschlüsse auf den Wert des Versteigerungsobjekts.
3. Ob und mit welchem Inhalt bei einer Internetauktion durch die Angebots-beschreibung des
Anbieters eine Beschaffenheitsvereinbarung mit dem Meistbietenden zustande kommt, ist
unter umfassender Würdigung der abgegebenen Willenserklärungen unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
4. Grob fahrlässige Unkenntnis des Käufers von der Unechtheit eines im Internet unter
Angabe des Markennamens versteigerten Luxusobjekts kann nicht mit der Begründung bejaht
werden, es sei erfahrungswidrig, dass ein solcher Gegenstand mit einem Startpreis von nur
einem Euro angeboten werde.
Sachverhalt
Der Kläger verlangt von der Beklagten aufgrund eines zwischen den Parteien auf der
Internetplattform eBay abgeschlossenen Kaufvertrages Schadensersatz.
Die Beklagte bot auf der Internetplattform eBay im Rahmen einer Auktion unter Hinzufügung
eines Fotos ein Mobiltelefon zum Verkauf unter der Bezeichnung "Vertu Weiss Gold" ab
einem Startpreis von 1 € an. Zur Beschreibung heißt es in dem Angebot „Zustand gebraucht“.
Außerdem teilte die Beklagte dazu Folgendes mit:
„Hallo an alle Liebhaber von Vertu. Ihr bietet auf ein fast neues Handy (wurde nur zum ausprobieren
ausgepackt). Weist aber ein paar leichte Gebrauchs-spuren auf (erwähne ich ehrlichkeit halber). Hatte 2
ersteigert und mich für das gelb goldene entschieden. Gebrauchsanweisung (englisch) lege ich von dem
gelb goldene bei, das andere habe ich auch nicht bekommen. Dazu bekommt ihr ein Etui, Kopfhörer
und Ersatzakku. Privatverkauf, daher keine Rücknahme. Viel Spaß beim Bieten."
Der Kläger gab ein Maximalgebot von 1.999 € ab und erhielt für 782 € den Zuschlag. Die
Annahme des seitens der Beklagten angebotenen Mobiltelefons verweigerte der Kläger mit
der Begründung, es handele sich um ein Plagiat. Er behauptet, bei dem im Übergabetermin
angebotenen Mobiltelefon habe es sich um eine Imitation der Firma Veptu gehandelt, ein
Original des von der Beklagten angebotenen Mobiltelefons koste 24.000 €. Der Aufforderung
des Klägers, ihm ein „Original Vertu Handy Signature weiß-gold“ zur Verfügung zu stellen
oder Schadensersatz zu zahlen, kam die Beklagte nicht nach. Der Kläger nimmt die Beklagte
auf Zahlung von 23.218 € Schadensersatz (24.000 € abzüglich des Kaufpreises von 782 €)
nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Anspruch; hilfsweise
hat er die Erfüllung des Kaufvertrages sowie die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte
im Verzug befinde. Zu Recht?
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6. BGH, Urteil vom 08.01.2014 (NJW 2014, 1292 ff.)
Internetauktion: Angebotsrücknahme durch Verkäufer bei möglicher Irrtumsanfechtung
Leitsatz
Der Erklärungsinhalt eines im Rahmen einer Internetauktion abgegebenen Verkaufsangebots
ist unter Berücksichtigung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Unternehmens zu
bestimmen, das auf seiner Internetplattform das Forum für die Auktion bietet. Kommt nach
diesen Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Falle der Rücknahme des Angebots ein
Kaufvertrag mit dem zu dieser Zeit Höchstbietenden nicht zustande, sofern der Anbietende
gesetzlich dazu berechtigt war, sein Angebot zurückzuziehen, ist dies aus der Sicht der an der
Internetauktion teilnehmenden Bieter dahin zu verstehen, dass das Angebot des Verkäufers
unter dem Vorbehalt einer berechtigten Angebotsrücknahme steht (Bestätigung von BGH,
Urteil vom 8. Juni 2011, VIII ZR 305/10, NJW 2011, 2643).
Sachverhalt
Der V bot Ende Dezember 2011 über die Internetplattform eBay einen Kraftfahrzeugmotor zum
Verkauf an. Am 4. Januar 2012 beendete der V sein Angebot und strich die bis dahin vorliegenden
Gebote. Zu diesem Zeitpunkt war der K Höchstbietender mit einem Betrag von 1.509 €.
Als Grund für die Beendigung des Angebots gab der V gegenüber dem K vorprozessual an, er habe
außerhalb der Internetauktion ein besseres Angebot für den Motor erhalten. Im Rechtsstreit begründete
er die Angebotsrücknahme damit, der Motor habe seine Zulassung im Straßenverkehr verloren; dies
habe er bei der Freischaltung des Angebots bei eBay noch nicht gewusst.
Die Versteigerung des Motors erfolgte auf der Grundlage der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von
eBay. Dort heißt es (auszugsweise):
§ 10 Ziffer 1 Satz 5: „Bei Ablauf der Auktion oder bei vorzeitiger Beendigung des Angebots kommt
zwischen Anbieter und Höchstbietendem ein Vertrag über den Erwerb des Artikels zustande, es sei
denn der Anbieter war gesetzlich dazu berechtigt, das Angebot zurückzunehmen und die vorliegenden
Gebote zu streichen.“
§ 10 Ziffer 7: „Bieter dürfen ein Gebot nur dann zurücknehmen, wenn sie dazu gesetzlich berechtigt
sind. Weitere Informationen.“
In den "Weiteren Informationen" wird auf folgendes hingewiesen:
„Nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) können Sie sich von einer
verbindlichen Willenserklärung [...] lösen, wenn ein so genannter Anfechtungsgrund vorliegt.
Ein Anfechtungsgrund liegt vor, wenn Sie sich bei der Abgabe einer Willenserklärung in
einem relevanten Irrtum befanden [...].
Sofern ein Anfechtungsgrund vorliegt, der Sie dazu berechtigt, sich von Ihrem Angebot zu lösen,
können Sie dies durch das vorzeitige Beenden des Angebots und Streichung bereits vorhandener
Gebote technisch umsetzen. Sie sollten auf jeden Fall den Grund für die vorzeitige Beendigung des
Angebots dem Höchstbietenden gegenüber zusätzlich gesondert in Form einer Anfechtungserklärung
geltend machen. Die Anfechtung muss dabei unverzüglich gegenüber dem Höchstbietenden erklärt
werden. Geben Sie hierbei den Grund für die vorzeitige Beendigung an.“
Mit seiner Klage nimmt der K den V auf Zahlung von 3.500 € nebst Zinsen in Anspruch. Er behauptet,
der vom V angebotene Motor habe einen Marktwert von 5.009 €; für diesen Preis hätte er den Motor
verkaufen können. Durch die Angebotsrücknahme sei ihm ein entsprechender Schaden entstanden.
Hat der K einen Anspruch auf entsprechenden Schadensersatz?
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II. Zustandekommen von Verträgen
7. BGH, Urteil vom 16.10.2012 (NJW 2013, 598 f.)
Flugticketbuchung mit elektronisches Kommunikationsmittel: Bestimmung des Inhalts der
Willenserklärung; Abschluss eines Beförderungsvertrags bei Eingabe des Namen des
Reisenden mit "noch unbekannt"
Leitsatz
1. Der Inhalt eines unter Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel über ein
automatisiertes Buchungs- oder Bestellsystem an ein Unternehmen gerichteten Angebots und
einer korrespondierenden Willenserklärung des Unternehmens ist nicht danach zu bestimmen,
wie das automatisierte System das Angebot voraussichtlich deuten und verarbeiten wird.
Maßgeblich ist vielmehr, wie der menschliche Adressat die jeweilige Erklärung nach Treu
und Glauben und der Verkehrssitte verstehen darf.
2. Gibt ein Flugreisender in die über das Internet zur Verfügung gestellte Buchungsmaske
eines Luftverkehrsunternehmens, die den Hinweis enthält, dass eine Namensänderung nach
erfolgter Buchung nicht mehr möglich sei und der angegebene Name mit dem Namen im
Ausweis übereinstimmen müsse, in die Felder für Vor- und Zunamen des Fluggastes jeweils
"noch unbekannt" ein, kommt ein Beförderungsvertrag regelmäßig weder durch die
Buchungsbestätigung noch durch die Einziehung des Flugpreises zustande.
Sachverhalt
Der K buchte am 7. September 2009 über das Internetportal der G Flüge von Dresden über
Frankfurt am Main nach Larnaca und zurück für zwei Personen. In die Buchungsmaske gab er
unter der Rubrik "Person 1" seinen Vor- und Zunamen ein. Unter der Rubrik "Person 2" trug
er in die Felder für die Eingabe des Vor- und Zunamens jeweils "Noch unbekannt" ein. Die
Buchungsmaske der Beklagten enthielt folgenden Hinweis:
„Bitte beachten Sie, dass eine Namensänderung nach erfolgter Buchung nicht mehr
möglich ist und der Name mit dem Namen in Ihrem Ausweis übereinstimmen muss.“
Die G übermittelte dem K am selben Tag eine automatisierte Buchungsbestätigung
(insbesondere für „Mr. Noch Unbekannt“) und zog den Preis für zwei Hin- und Rückflüge in
Höhe von insgesamt 365,42 € per Lastschrift vom Konto des K ein. Als der K der G
telefonisch den Namen der zweiten mit ihm reisenden Person angeben wollte, teilte ihm die G
mit, dass die Nachbenennung eine zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mögliche
Namensänderung darstelle; der K könne lediglich die Buchung stornieren und für die zweite
Person neu buchen. Von dieser Möglichkeit machte der K keinen Gebrauch. Er trat die Reise
alleine an und verlangt wegen der zweiten Buchung Rückzahlung des Flugpreises sowie eine
Ausgleichszahlung für Nichtbeförderung.
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III. Gefälligkeitsverhältnisse
8. BGH, Urteil vom 4.8.2010 (NJW 2010, 3087)
Gebrauchsüberlassung aus Gefälligkeit: Verschuldensunabhängige Haftung des Begünstigten
für die Beschädigung des überlassenen Gegenstandes durch einen Dritten
Leitsatz
Im Rahmen einer Gebrauchsüberlassung aus Gefälligkeit kann eine verschuldensunabhängige
Haftung des Begünstigten für die Beschädigung des überlassenen Gegenstandes durch einen
Dritten, an den der Gegenstand vom Begünstigten ohne Wissen des Gefälligen weitergegeben
worden ist, nicht durch eine entsprechende Anwendung des § 603 Satz 2 BGB begründet
werden.
Sachverhalt
Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz für seinen bei einem Unfall
beschädigten Motorroller.
Der Kläger überließ dem Beklagten den in seinem Eigentum stehenden Motorroller für eine
„Spritztour“. Auf dieser Fahrt, bei der der Beklagte von dem Zeugen H. auf einem
Leichtkraftrad begleitet wurde, kam es zu einem Unfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers
erheblich beschädigt wurde.
Der Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig, insbesondere ob der Motorroller des
Klägers zum Zeitpunkt des Unfalls von dem Beklagten oder dem Zeugen H. gefahren worden
ist.
Das Amtsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme den Beklagten als Lenker des
Motorrollers des Klägers angesehen und ihn gemäß § 823 BGB zum Schadensersatz
verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das
Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass es dahingestellt
bleiben könne, ob der Beklagte oder der Zeuge H. im Unfallzeitpunkt den Motorroller
gesteuert habe. Sollte der Beklagte den Motorroller unerlaubt dem Zeugen H. überlassen
haben, hafte er entweder aus §§ 603 Satz 2, 280 Abs. 1 BGB oder aus einer entsprechenden
Anwendung dieser Vorschriften, weil der Beklagte den Motorroller dem Zeugen ohne
Erlaubnis des Klägers überlassen habe. Zwischen den Parteien sei nämlich entweder ein
Leihvertrag geschlossen worden oder es liege ein Gefälligkeitsverhältnis vor, in dessen
Rahmen der Beklagte jedoch keine weitergehenden Befugnisse haben könne, als der
Entleiher. Deshalb sei bei der Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses eine analoge
Anwendung der §§ 603 Satz 2, 280 Abs. 1 BGB geboten. Zu Recht?
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IV. Minderjährigenrecht
9. BGH, Beschluss vom 30.9.2010 (NJW 2010, 3643 ff.)
Schenkweiser Erwerb einer Eigentumswohnung durch einen Minderjährigen: Erfordernis der
Genehmigung des gesetzlichen Vertreters
Merksatz
1. Der Erwerb einer Eigentumswohnung ist für den Minderjährigen jedenfalls deshalb nicht
lediglich rechtlich vorteilhaft, weil er mit dem Erwerb der Eigentumswohnung nicht nur einen
Vermögensgegenstand erwirbt, sondern Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft
wird. Die den Minderjährigen damit kraft Gesetzes treffenden persönlichen Verpflichtungen
können nicht als ihrem Umfang nach begrenzt und wirtschaftlich so unbedeutend angesehen
werden
2. Daher bedarf der Erwerb (Einigung) der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters nach §
107 BGB. Auf den Inhalt der Gemeinschaftsordnung, das Bestehen eines Verwaltervertrags
oder eines Mietvertrags über die Eigentumswohnung kommt es nicht an.
3. Diese Entscheidung können im vorliegenden Fall aber nicht die Eltern treffen, weil ein
Elternteil mit der Veräußerin in gerader Linie verwandt ist. Nach § 1629 Abs. 2 Satz 1 i.V.m.
§ 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB sind beide Elternteile daher an der Vertretung gehindert sind. Das
macht die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 BGB erforderlich. Eine
Genehmigung der Auflassung auch durch das Familiengericht nach §§ 1643 i.V.m. 1821 BGB
ist dagegen nicht erforderlich.
Sachverhalt
Nach Aufteilung ihres Grundstücks in Wohneigentum in eine große und eine kleine
Eigentumswohnung schenkte die O mit notariellem Vertrag ihrer Enkelin E, im Wege der
vorweggenommenen Erbfolge die kleinere Wohnung. Dabei behielt sich die O ein
lebenslanges Nießbrauchsrecht und einen Rücktritt für die Fälle einer Veräußerung der
Wohnung und einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse vor. Der
Rückauflassungsanspruch sollte durch eine Vormerkung gesichert werden. Das
Grundbuchamt machte den Vollzug des Schenkungsvertrags von der Genehmigung eines zu
bestellenden Ergänzungspflegers und des Familiengerichts abhängig. Zu Recht?
11
10. OLG München, Urteil vom 22.08.2012, Az.: 34 Wx 200/12 (NotZ 2013, 205)
Grundbuchverfahren: Umschreibung von Wohnungseigentum an Minderjährige aufgrund
eines Vermächtnisses
Merksatz
1. Zur Umschreibung von Wohnungseigentum an Minderjährige in Erfüllung eines
Vermächtnisses, wenn ein Elternteil (Mit-) Erbe ist.
2. Der Mitwirkung eines familiengerichtlich bestellten Pflegers bedarf es zur dinglichen
Überlassung des vermachten Wohnungseigentums in diesem Fall nicht.
3. Jedoch bedarf die Auflassung von Bruchteilen eines Wohnungseigentums an Minderjährige
der familiengerichtlichen Genehmigung nach § 1822 Nr. 10 BGB, und zwar auch dann, wenn
zwei minderjährige Kinder gemeinsam zu gleichen Anteilen erwerben.
Sachverhalt
Die A und B sind Töchter der am 23.6.2011 verstorbenen Erblasserin Ingeborg H. und gemäß
notariellem Testament vom 29.9.2008 Erbinnen je zur Hälfte. In ihrer letztwilligen Verfügung
hatte die Erblasserin Vermächtnisse angeordnet.
Soweit hier erheblich überließen die A und B den F und G (beide minderjährige Kindern von
Dr. Christo M. und der A), zu notarieller Urkunde vom 5.3.2012 in Erfüllung dieser
Vermächtnisse je zu hälftigem Miteigentum eine Eigentumswohnung mit TiefgaragenDoppelparker. Die A und deren Ehemann erklärten für ihre beiden Kinder die Auflassung; sie
bewilligten und beantragten die Eintragung des Rechtsübergangs im Grundbuch. Die den
minderjährigen Kindern überlassene Eigentumswohnung ist nicht vermietet und steht leer.
Die Urkunde enthält unter Buchstabe X. (Familiengerichtliche Genehmigung) folgende
Erklärung:
„Die Beteiligten gehen davon aus, dass die für die minderjährigen Kinder in dieser Urkunde
enthaltenen Erklärungen von deren sorgeberechtigten Eltern für ihre Kinder ohne Bestellung
eines Ergänzungspflegers abgegeben werden können, da die an die minderjährigen Kinder
übereignete Wohnung unvermietet ist und somit die Erfüllung des Vermächtnisses für die
Kinder rechtlich lediglich vorteilhaft ist.
Weiter gehen die Beteiligten davon aus, dass die Voraussetzungen für eine
familiengerichtliche Genehmigungspflicht der Vermächtniserfüllung an die minderjährigen
Kinder gemäß § 1643 Abs. 1 i.V.m. § 1821 Nr. 5 BGB nicht gegeben sind, weil vorliegend
mangels zu erbringender Gegenleistung aus dem Vermögen der minderjährigen Kinder kein
entgeltlicher Erwerb von Grundbesitz vorliegt. ...“
Das Grundbuchamt hat in diesem Zusammenhang am 17.4.2012 durch fristsetzende
Zwischenverfügung aufgegeben, einen Ergänzungspfleger zu bestellen und eine
familiengerichtliche Genehmigung für das Rechtsgeschäft einzuholen.
Hiergegen wenden sich die Urkundsbeteiligten, die, wie schon in der Urkunde niedergelegt,
davon ausgehen, dass es weder eines Ergänzungspflegers noch einer familiengerichtlichen
Genehmigung bedarf.
12
V. Anfechtungsrecht
11. BGH, Urteil vom 11.08.2010 (NJW 2010, 3362)
Arglistanfechtung des Gewerberaummietvertrages: Pflicht des Mieters zur Aufklärung des
Vermieters über außergewöhnliche bedeutsame Umstände
Merksatz
1. Der Mieter ist verpflichtet, den Vermieter vor Abschluss eines Gewerberaummietvertrages
über außergewöhnliche Umstände aufzuklären, mit denen der Vermieter nicht rechnen kann
und die offensichtlich für diesen von erheblicher Bedeutung sind.
2. Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie
geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.
3. Die Vermietung von Räumen zum Verkauf von Waren, die in der öffentlichen Meinung
ausschließlich der rechtsradikalen Szene zugeordnet werden, ist geeignet, den Vermieter in
der öffentlichen Meinung in die Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut zu stellen und sich
auch deshalb geschäftsschädigend für ihn auszuwirken. Im Hinblick auf diese möglichen
gravierenden Auswirkungen war der beabsichtigte Verkauf von Waren dieser Marke für die
Vermieterin von erheblicher Bedeutung.
4. Eine Bestätigung des anfechtbaren Geschäfts im Sinne des § 144 BGB liegt nur vor, wenn
ein Verhalten gegeben ist, das den Willen offenbart, trotz der Anfechtbarkeit an dem
Rechtsgeschäft festzuhalten; jede andere den Umständen nach mögliche Deutung muss
ausgeschlossen sein.
Sachverhalt
Mit Vertrag vom 1.06.2007 vermietete der V an den M ein Ladengeschäft zum Verkauf von
Textilien und Sortimenten im Outdoorbereich. Bestandteil des Vertrages war eine als Anlage
5 beigefügte Sortimentsliste vom 23.05.2007, die allgemeine Angaben zu dem beabsichtigten
Bekleidungsangebot enthält, ohne eine Marke zu nennen. Der M beabsichtigte, in den
Mieträumen nahezu ausschließlich Waren der Marke „Thor Steinar“ zu verkaufen. Diese
Marke wird in der Öffentlichkeit in einen ausschließlichen Bezug zur rechtsradikalen Szene
gesetzt.
Nachdem die V von dem beabsichtigten Angebot der Marke „Thor Steinar“ erfahren hatte,
versuchte sie, den Beklagten zu einem Verzicht auf die Eröffnung des Ladens oder auf den
Vertrieb des Warensortiments der Marke „Thor Steinar“ zu bewegen.
Am 27.07.2007, dem Tag der Eröffnung des Ladens, unterzeichnete der M auf Wunsch des V
eine Erklärung zum Mietvertrag, in der er versicherte, dass von seinem Gewerbe keine
verfassungsrechtlich relevanten Aktivitäten ausgingen und er auch keine rechts- oder
linksextremistische Parteien oder Gruppierungen finanziell unterstütze und unterstützen
werde. Diese Erklärung wurde auch von dem V unterzeichnet.
Mit Schreiben vom 27.07.2007 kündigte der V den Mietvertrag aus wichtigem Grund. Er
wiederholte die Kündigung mit Schreiben vom 2.08.2007 und erklärte darüber hinaus die
Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung.
Die V verlangt nun von dem M die Räumung und Herausgabe eines Ladengeschäfts.
13
VI. Formvorschriften
12. BGH, Urteil vom 13.07.2012 (NJW 2012, 3171 ff.)
Grundstückskaufvertrag: Heilung einer formunwirksamen Rückkaufsverpflichtung für den
Verkäufer
Leitsatz
Verpflichtet sich der Verkäufer einer Immobilie formunwirksam zu deren Rückkauf, so wird
diese Verpflichtung nicht dadurch wirksam, dass ein Dritter auf Veranlassung oder
Vermittlung des Verkäufers die Immobilie formgerecht kauft.
Sachverhalt
Mit notariellem Vertrag vom 18.12.1998 kaufte der K von einer Gesellschaft mit beschränkter
Haftung, deren alleinvertretungsberechtigter Gesellschafter der V war, eine Eigentumswohnung. Am Tag darauf schloss der K mit dem V privatschriftlich einen sog. Gewährleistungsvertrag, der u. a. eine Verpflichtung des V enthält, die Wohnung zurückzukaufen.
Der K wurde als Wohnungseigentümer in das Grundbuch eingetragen.
Mit Schreiben vom 29.05.2008 forderte der K den Beklagten auf, die Rückkaufsverpflichtung
zu erfüllen. Daraufhin kaufte eine Bauträgergesellschaft, vertreten durch den V als
geschäftsführenden Gesellschafter, mit notariellem Vertrag vom 19.12.2008 die
Eigentumswohnung von dem K. Später trat sie jedoch von dem Vertrag in Ausübung eines ihr
eingeräumten Rücktrittsrechts wieder zurück.
Der K verlangt von dem V Schadensersatz wegen Nichterfüllung der Rückkaufsverpflichtung
in Höhe des vereinbarten Rückkaufpreises von 51.065,16 € zuzüglich 31,20 € entrichteter
Grundsteuern, Zug-um-Zug gegen Übereignung der Eigentumswohnung.
14
VII. Gesetzliche Verbote / Sittenwidrigkeit
13. OLG Frankfurt, Beschluss vom 16.5.2011 (BB 2011, 1474)
Wirksamkeit eines Vertrages zur Durchführung einer Hochzeit bei Vereinbarung einer
„Schwarzzahlung“
Leitsatz
1.Vereinbaren die Parteien eines Vertrages zur Durchführung einer Hochzeit, dass die
Gegenleistung zum Zwecke der Steuerhinterziehung „schwarz“ gezahlt wird, ist der gesamte
Vertrag nichtig (§§ 134, 138, 139 BGB).
2. Wird eine Hochzeitsfeier vertragswidrig nicht durchgeführt, erstreckt sich der Anspruch auf
Schadensersatz wegen Nichterfüllung nicht auf den Minderbetrag der Werte der
Hochzeitsgeschenke, die dem Gläubiger bei der ersatzweise mit weniger Gästen
durchgeführten Hochzeitsfeier zukamen.
Sachverhalt
Der A wollte heiraten und eine große Hochzeitsfeier veranstalten. Mit dem
Hochzeitsveranstalter H schloss er daher einen Vertrag über die Durchführung der
Veranstaltung. Die im schriftlichen Vertrag genannte Vergütung entsprach dabei nicht der
tatsächlich vereinbarten Vergütung; diese habe vielmehr etwa das Doppelte betragen sollen,
wobei die Differenz „schwarz“ zu zahlen gewesen sei.
Dem H gelang es nicht, den Veranstaltungssaal rechtzeitig fertigzustellen. Dadurch musste die
ursprünglich größer geplante Hochzeitsfeier an dem vorgesehenen Termin an einem anderen
Ort stattfinden. Der andere Saal war allerdings nur zur Bewirtung von weniger Gästen
geeignet. Deshalb mussten 220 Personen wieder ausgeladen werden.
Der A begehrt nun vom H Schadensersatz. Er macht geltend, dass ihm dadurch Geschenke im
Wert von insgesamt 8.250 Euro entgangen sind. Dieser Betrag errechne sich aus dem
durchschnittlichen Wert eines Hochzeitsgeschenkes abzüglich der Bewirtungskosten je Gast
(37,50 € pro Gast (brutto)).
§ 370 AO Steuerhinterziehung
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige
oder unvollständige Angaben macht,
2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
oder
3. pflichtwidrig die Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern unterlässt
§ 1 UStG Steuerbare Umsätze
(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im
Rahmen seines Unternehmens ausführt
§ 13 UStG Entstehung der Steuer
(1) Die Steuer entsteht
1. für Lieferungen und sonstige Leistungen
15
14. BGH, Urteil vom 01.08.2013 (NJW 2013, 3167 f., JA 2014, 65 f.)
Werkvertrag „ohne Rechnung“: Ausschluss von Mängelansprüchen des Bestellers bei
Vertragsnichtigkeit wegen Verstoßes gegen das Schwarzarbeiterverbot
Leitsatz
1. § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG enthält das Verbot zum Abschluss eines Werkvertrages,
wenn dieser Regelungen enthält, die dazu dienen, dass eine Vertragspartei als Steuerpflichtige
ihre sich aufgrund der nach dem Vertrag geschuldeten Werkleistungen ergebenden
steuerlichen Pflichten nicht erfüllt.
2. Das Verbot führt jedenfalls dann zur Nichtigkeit des Vertrages gemäß § 134 BGB, wenn
der Unternehmer vorsätzlich hiergegen verstößt und der Besteller den Verstoß des
Unternehmers kennt und bewusst zum eigenen Vorteil ausnutzt.
3. Mängelansprüche des Bestellers bestehen in diesem Fall grundsätzlich nicht.
Sachverhalt
Die K ist Eigentümerin eines Grundstücks in N. Der B (Holzfahrer und selbständiger
Lohnunternehmer) wohnt im selben Ort. K und B vereinbarten im Mai 2008, dass der B die
Auffahrt auf dem Grundstück der K neu pflastern sollte. Die Auffahrt sollte der Belastung
durch das Befahren mit einem 40 t-Lkw standhalten. Die K sollte das Material und die Geräte
bis auf einen Radlader des B stellen. Es wurde ein Werklohn von 1.800 € vereinbart, der in
bar ohne Rechnung und ohne Abführung von Umsatzsteuer gezahlt werden sollte. Der Betrag
ist auch gezahlt worden.
Der B führte die Arbeiten gemeinsam mit seinem Nachbarn, Herrn Z., im Mai und Juni 2008
aus. Kurz darauf traten Unebenheiten auf. Außerdem war die Anbindung an die Straße falsch.
Nach den Feststellungen des Sachverständigen war die Auffahrt mangelhaft. Sie weise keine
ausreichende Festigkeit für die Befahrung mit einem 40 t-Lkw auf, so dass sich Lunken
gebildet hätten. Außerdem weise sie kein ausreichendes Gefälle auf.
Die K forderte den B zur Nachbesserung auf. Daraufhin bearbeitete der Beklagte die Fläche
mit einem Rüttler, ohne aber die Unebenheiten beseitigen zu können.
Mit Schreiben vom 7. September 2008 forderte die K den B zur Beseitigung der
Unebenheiten bis zum 30. September 2008 auf. Im Anschluss daran leitete sie ein
selbständiges Beweisverfahren vor dem Landgericht Kiel ein. Der dort eingesetzte
Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass Ursache für die Unebenheiten eine von dem
Beklagten zu dick ausgeführte Sandschicht unterhalb der Pflastersteine war. Zur Beseitigung
der Unebenheiten seien voraussichtlich Kosten in Höhe von 6.069,00 € brutto notwendig.
Die K verlangt von dem B Schadensersatz wegen der Beseitigung von Mängeln an
Pflasterarbeiten. Der B behauptet, er habe nur aus Gefälligkeit bei der Pflasterung der
Auffahrt geholfen.
Hat die K einen Anspruch?
16
Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG)
§ 1 Zweck des Gesetzes
(1) Zweck des Gesetzes ist die Intensivierung der Bekämpfung der Schwarzarbeit.
(2) Schwarzarbeit leistet, wer Dienst- oder Werkleistungen erbringt oder ausführen lässt und
dabei
1. als Arbeitgeber, Unternehmer oder versicherungspflichtiger Selbstständiger seine sich auf
Grund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden sozialversicherungsrechtlichen Melde-,
Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt,
2. als Steuerpflichtiger seine sich auf Grund der Dienst- oder Werkleistungen ergebenden
steuerlichen Pflichten nicht erfüllt,
Umsatzsteuergesetz (UStG)
§ 1 Steuerbare Umsätze
(1) Der Umsatzsteuer unterliegen die folgenden Umsätze:
1. die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer
im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt
§ 13 Entstehung der Steuer
(1) Die Steuer entsteht
1. für Lieferungen und sonstige Leistungen
§ 14 Ausstellung von Rechnungen
(2) Führt der Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 aus, gilt
Folgendes:
1. führt der Unternehmer eine steuerpflichtige Werklieferung (§ 3 Abs. 4 Satz 1) oder sonstige
Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück aus, ist er verpflichtet, innerhalb von sechs
Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung auszustellen;
17
15. BGH, Urteil vom 10.04.2014 (NJW 2014, 1805 f.)
Schwarzgeldabrede für Bauhandwerkerleistungen: Bereicherungsrechtlicher Wertersatzanspruch des Schwarzarbeiters
Leitsatz
Ist ein Werkvertrag wegen Verstoßes gegen § 1 Abs. 2 Nr. 2 SchwarzArbG nichtig, steht dem
Unternehmer für erbrachte Bauleistungen ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf
Wertersatz gegen den Besteller nicht zu.
Sachverhalt
2010 ließ der B und der C vier Reihenhäuser auf ihrem im Miteigentum stehenden
Grundstück errichten. Mit der Ausführung der Elektroinstallationsarbeiten sollte der U
beauftragt werden.
Der U erteilte dem B am 28. Oktober 2010 eine Auftragsbestätigung, die von dem B am
1.11.2010 unterzeichnet wurde. Darin waren die auszuführenden Arbeiten beschrieben und
ein Pauschalpreis von 18.800 € ausgewiesen mit dem Vermerk: „5.000 € Abrechnung gemäß
Absprache“.
Nachfolgend unterzeichneten der B und der U einen Pauschalvertrag über eine Summe von
13.800 €, zahlbar in verschiedenen Abschlagszahlungen nach Baufortschritt. Daneben haben
B und U vereinbart, dass weitere 5.000 € in bar gezahlt werden sollten und für diesen Betrag
eine Rechnung nicht erstellt werden sollte.
Der B zahlte an den U zunächst 3.800 €. Nach Abschluss der Arbeiten stellte der U eine
Schlussrechnung über restliche 10.000 € aus der Pauschalsumme von 13.800 €. Darüber
hinaus fordert er die übrigen vereinbarten 5.000 €.
Hat der U einen Anspruch auf die noch ausstehende Bezahlung erbrachter Werkleistungen?
18
16. BGH, Urteil vom 10.02.2012 (NJW 2012, 1570 f.)
Nachträgliche Heilung eines wucherähnlichen Grundstückskaufvertrages?
Leitsatz
1. Vereinbarungen, mit denen die Parteien die im Ursprungsvertrag vereinbarten Hauptleistungen (über den Kaufgegenstand oder den Preis) nachträglich ändern, sind bei der
Prüfung, ob das Rechtsgeschäft wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und
Gegenleistung nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, grundsätzlich zu berücksichtigen.
2. Um einem nach § 138 Abs. 1 BGB nichtigen Vertrag Rechtswirksamkeit zu verschaffen,
müssen sich die Parteien nicht nur über die zur Beseitigung des Nichtigkeitsgrunds
erforderlichen Änderungen oder Ergänzungen verständigen, sondern auch das Geschäft nach
§ 141 Abs. 1 BGB bestätigen oder insgesamt neu abschließen.
Sachverhalt
V und K schlossen notariellen Vertrag über den Verkauf einer Eigentumswohnung zu einem
Kaufpreis i.H.v. 54.000 Euro. Zu diesem Zeitpunkt betrug der objektive Wert der Immobilie
aber nur 25.000 Euro. Nach dem Notartermin einigten sich V und K mündlich, den Kaufpreis
auf 43.000 Euro herabzusetzen. Der K zahlte dem V 43.000 Euro und wurde als Eigentümer
ins Grundbuch eingetragen.
Über das Vermögen des K wurde später das Insolvenzverfahren eröffnet. Der
Insolvenzverwalter fordert von V Rückzahlung des von K geleisteten Kaufpreises Zug-umZug gegen Rückübereignung der Immobilie. Zu Recht?
19
17. BGH, Urteil vom 24.01.2014 (MDR 2014, 456)
Sittenwidrigkeit eines Grundstückskaufvertrages
Leitsatz
Ein besonders grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, das ohne das
Hinzutreten weiterer Umstände den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des
Begünstigten erlaubt, liegt bei Grundstückskaufverträgen grundsätzlich erst ab einer
Verkehrswertüber- oder -unterschreitung von 90% vor.
Sachverhalt
Der K gab am 20. Oktober 2006 gegenüber dem B ein notariell beurkundetes Angebot zum
Kauf einer Eigentumswohnung nebst Tiefgaragenstellplatz (tatsächlicher Verkehrswert
65.000 €) für 118.000 € ab. Der B, der die Wohnung zwei Monate zuvor für 53.000 €
erworben hatte, nahm das Angebot mit notarieller Urkunde vom 14. November 2006 an.
Unter Berufung auf eine sittenwidrige Überhöhung des Kaufpreises nimmt der K den B auf
Rückabwicklung des Vertrages und auf Schadenersatz in Anspruch.
18. BGH, Urteil vom 19.02.2013 (NJW 2013, 1534 ff.)
Bürgschaft des nichtehelichen Lebensgefährten für einen Bankkredit zum Erwerb eines
Hausgrundstücks: Nichtigkeit wegen krasser finanzieller Überforderung bei Vereinbarung
einer Höchstbetragsbürgschaft
Leitsatz
Bei Höchstbetragsbürgschaften, bei denen sich die Haftung für Nebenforderungen lediglich
nach der Bürgschaftssumme und nicht nach der höheren Hauptschuld richtet, ist Maßstab der
krassen finanziellen Überforderung des dem Hauptschuldner persönlich besonders nahe
stehenden Bürgen die vertragliche Zinslast aus der Bürgschaftssumme und nicht aus der
höheren Hauptschuld (Fortführung BGH, Urteile vom 14. Mai 2002, XI ZR 50/01, BGHZ
151, 34, 38, vom 28. Mai 2002, XI ZR 199/01, WM 2002, 1647, 1648, vom 3. Dezember
2002, XI ZR 311/01, BKR 2003, 157, 158, vom 25. Januar 2005, XI ZR 28/04, WM 2005,
421, 422 f. und vom 24. November 2009, XI ZR 332/08, WM 2010, 32 Rn. 13).
Sachverhalt
Die K (eine Sparkasse) nimmt den B aus einer Höchstbetragsbürgschaft in Anspruch. Die K
gewährte der L (damaligen Lebensgefährtin des B) für die Finanzierung des Erwerbs eines
(Haus-)Grundstücks zwei Darlehen über 360.000 DM zu einem Zinssatz von 5% p.a. Neben
weiteren von der Darlehensnehmerin (L) gestellten Sicherheiten übernahm der B, der
niemandem unterhaltspflichtig war und zu diesem Zeitpunkt über ein Arbeitseinkommen von
netto 2.500 DM verfügte, eine Höchstbetragsbürgschaft über 93.000 DM.
Das pfändbare Einkommen des Beklagten betrug 903,70 DM. Die monatliche Zinslast aus
dem gesamten Darlehensbetrag betrug 1584 DM. Aus einem anteiligen Betrag des Darlehens
in Höhe des Höchstbetrages der Bürgschaft betrug der vertraglich vereinbarte Zins 387,50
DM. Verzugszinsen aus dem Höchstbetrag der Bürgschaft hätten „höchstens” 581,25 DM
monatlich betragen. Nach Kündigung der Darlehen nimmt die K den B als Bürgen in
Anspruch. Zu Recht?
20
19. BGH, Urteil vom 10.10.2013 (NJW 2014, 141 ff.)
Abtretung einer zahnärztlichen Honorarforderung: Trennbarkeit einer formularmäßigen
Einverständniserklärung über die Abtretung an eine gewerbliche Abrechnungsgesellschaft
und der weiteren Abtretung an ein Kreditinstitut - Teilbare Klauseln
Leitsatz
Die von einem Zahnarzt formularmäßig verwendete Einverständniserklärung, die vorsieht,
dass der Patient der Abtretung der zahnärztlichen Honorarforderung an eine gewerbliche
Abrechnungsgesellschaft und gegebenenfalls der weiteren Abtretung an ein Kreditinstitut zum
Zwecke der Refinanzierung zustimmt, enthält inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus
sich heraus verständliche Regelungen, die Gegenstand einer gesonderten
Wirksamkeitsprüfung sein können.
Sachverhalt
Die K übernimmt geschäftsmäßig die Erstellung und den Einzug zahnärztlicher
Honorarrechnungen. Sie verlangt von der B aus abgetretenem Recht das Honorar für eine
zahnärztliche Behandlung, die der Zahnarzt Z (Zedent) durchgeführt hat.
Die B befand sich in zahnärztlicher Behandlung in der Praxis des Z. Dabei wurden unter
anderem mehrere Implantate eingesetzt und ein Langzeitprovisorium eingegliedert. Zu
Behandlungsbeginn unterzeichnete die B eine von dem Z formularmäßig verwendete
"Einverständniserklärung" mit folgendem Inhalt:
"Einwilligung zur Abtretung
• Ich erkläre mich damit einverstanden, dass der umseitig genannte Zahnarzt zum Zweck der
Erstellung der Rechnung sowie zur Einziehung und der ggf. gerichtlichen Durchsetzung der
Forderung alle hierzu notwendigen Unterlagen, insbesondere meinen Namen, Anschrift,
Geburtsdatum,
Leistungsziffern,
Rechnungsbetrag,
Behandlungsdokumentation,
Laborrechnungen, Formulare etc. an die K weitergibt.
• Insoweit entbinde ich den Zahnarzt ausdrücklich von seiner ärztlichen Schweigepflicht und
stimme ausdrücklich zu, dass der Zahnarzt die sich aus der Behandlung ergebende Forderung
an die K und diese ggf. an das refinanzierende Institut der D-Bank (D) abtritt.
• Ich bin mir bewusst, dass nach der Abtretung der Honorarforderung mir gegenüber die K als
Forderungsinhaberin auftritt und deshalb Einwände gegen die Forderung - auch soweit sie sich
aus der Behandlung und der Krankengeschichte ergeben - im Streitfall gegenüber der K zu
erheben und geltend zu machen sind und der mich behandelnde Zahnarzt als Zeuge vernommen
werden kann.
Einwilligung nach Datenschutzgesetz
Ich bin gleichfalls damit einverstanden, dass meine persönlichen Daten und meine
Behandlungsdaten von dem Zahnarzt und der K - ggf. elektronisch - erhoben, gespeichert,
verarbeitet, genutzt und übermittelt werden zum Zweck der Erstellung der Honorarrechnung
sowie der Einziehung und ggf. gerichtlichen Durchsetzung der Forderung."
Für eine am 17. März 2004 durchgeführte Behandlung stellte der Z einen Betrag von 10.000 €
in Rechnung. Die B zahlte nicht. Der Z trat daraufhin die Forderung an die K ab.
Hat die K einen Anspruch auf Zahlung von 10.000 €?
21
VIII. Stellvertretungsrecht
20. OLG Koblenz, Urteil vom 4.11.2010 (NJW-RR 2011, 555 f.)
Handeln „unter fremden Namen“ / Fehlender gutgläubiger Erwerb eines im Internet
angebotenen unterschlagenen Wohnmobils
Merksatz
1. § 932 BGB meint Situationen, in der ein Nichtberechtigter vortäuscht, Eigentümer zu sein
und aus dieser Stellung heraus verfügt (Eigengeschäft des Nichtberechtigten).
2. Handelt der Nichtberechtigte „unter dem Namen“ des in der Zulassungsbescheinigung
aufgeführten Eigentümers, kommen die Stellvertretungsregeln (§§ 164 ff.) analog zur
Anwendung. Mangels Vertretungsmacht (Genehmigung des stellvertetenen Eigentümers) ist
bereits die Übereignungseinigung unwirksam. Ein Eigentumserwerb scheitert schon daran.
3. (Überdies) Wird ein unterschlagenes Wohnmobil im Internet unter Angabe einer
Handynummer zum Verkauf angeboten, reicht die Aushändigung eines scheinbar echten
Fahrzeugbriefs nicht aus, um Gutgläubigkeit des Erwerbers zu begründen, wenn daneben
zahlreiche Indizien darauf deuten, dass der Verkäufer nicht der Eigentümer ist (hier: fehlende
Papiere und Schlüssel; Barzahlung eines hohen Betrags auf einem Parkplatz; eklatante
Rechtschreibschwäche eines angeblichen Polizisten).
Sachverhalt
Der Kläger vermietete im Rahmen seines Gewerbes am 24.03.2009 ein ihm gehörendes
Wohnmobil an eine Frau. Wenig später wurde das Fahrzeug im Internet unter Angabe einer
Handy-Nummer für 24.500 € zum Verkauf angeboten.
Die Beklagte nahm mit dem Anbieter telefonischen Kontakt auf und besichtigte den Wagen
am folgenden Abend gemeinsam mit ihrem Ehemann auf einem Moselparkplatz, auf dem
weitere Wohnmobile standen. Bei einem zweiten Treffen, das am 03.04.2009 gegen 19.00
Uhr auf einem anderen, nahe gelegenen Parkplatz stattfand, schloss die Beklagte einen
schriftlichen Kaufvertrag mit dem Anbieter. Dieser trat dabei, wie bereits zuvor unter dem
Namen des Klägers auf. Er hatte mitgeteilt, Polizeibeamter zu sein. Der Kaufpreis wurde mit
24.000 € vereinbart. Im Vertragsformular, das der Anbieter handschriftlich aufsetzte waren
einige Rechtschreibfehler enthalten (z.B. „FAhRADTREGER“ statt Fahrradträger;
„GESenDED“ statt gesendet).
Die Beklagte entrichtete den Kaufpreis in bar. Sie erhielt einen Satz von Schlüsseln, mit
denen sich die Zündung betätigen sowie die Toilette und das Fahrrad-Depot öffnen ließen.
Der für den Safe bestimmte Schlüssel passte nicht. Außerdem händigte der Verkäufer eine
Zulassungsbescheinigung II (Kfz-Brief) aus, unter deren Vorlage die Beklagte das Fahrzeug
dann auf sich ummeldete. Später stellte sich heraus, dass diese Bescheinigung gefälscht war.
Der Kläger hat die Beklagte unter Hinweis auf seine Eigentümerstellung auf Herausgabe des
Wohnmobils in Anspruch genommen. Die Beklagte hat gutgläubigen Erwerb eingewandt.
Besteht ein Herausgabeanspruch?
22
21. BGH, Urteil vom 01.03.2013 (MDR 2013, 707)
Kauf eines unterschlagenen Gebrauchtwagens: Eigentumserwerb bei Auftreten des
Veräußerers unter dem Namen des Eigentümers
Merksatz
1. Tritt der Veräußerer eines unterschlagenen Kraftfahrzeuges „unter dem Namen“ des
Eigentümers auf, wird Vertragspartner des Erwerbers grundsätzlich die unter fremden Namen
handelnde Person und nicht der Eigentümer, sofern der Kauf sofort abgewickelt wird (a.A.
OLG Koblenz – Fall 20!)
2. § 932 BGB ist ohne weiteres anwendbar.
3. Der Kläger hat das KfZ hier gutgläubig erworben.
Sachverhalt
Der E vermietete ein in seinem Eigentum stehendes Wohnmobil an einen Dritten, von dem er
es nach Ablauf der Mietzeit nicht zurückerhielt.
Der K, der Gebrauchtwagenhändler ist, stieß auf ein Zeitungsinserat, in dem das Wohnmobil
zum Verkauf angeboten wurde. Nach einer Kontaktaufnahme mit dem Verkäufer unter der
angegebenen Handy-Nummer wies er einen Mitarbeiter an, zum Verkäufer zu fahren, um den
Kauf abzuwickeln. Der Mitarbeiter nahm, nachdem er dort nicht wie vereinbart am Bahnhof
abgeholt worden war, telefonisch Kontakt zu dem Verkäufer auf. Dieser gab an, verhindert zu
sein. Der Mitarbeiter solle sich aber zu einem Parkplatz begeben, auf dem sich das
Wohnmobil befinde.
Auf dem Parkplatz traf der Mitarbeiter des K zwei von dem Verkäufer beauftragte Personen
an. Nach Telefonaten, die der Mitarbeiter mit dem Verkäufer und dem K führte, einigte man
sich auf einen Kaufpreis von 9.000 €. Der Mitarbeiter des K formulierte handschriftlich einen
Kaufvertrag, den er für den K unterschrieb. Als Verkäufer wurde der Name des E eingetragen.
Für den Verkäufer unterschrieb einer der beiden von ihm beauftragten Personen mit dem
Nachnamen des E. Der Mitarbeiter des K übergab seinen Verhandlungspartnern den
Kaufpreis in bar. Ihm selbst wurden das Wohnmobil sowie die auf den E ausgestellten Papiere
des Fahrzeugs (Kraftfahrzeugschein und Kraftfahrzeugbrief) ausgehändigt. Der
Kraftfahrzeugbrief war, wie sich später herausstellte (für den Mitarbeiter des K nicht
offensichtlich), gefälscht. Das Wohnmobil überbrachte der Mitarbeiter dem K, bei welchem
es von der Polizei sichergestellt wurde. Diese gab das Wohnmobil an den E heraus.
Der K verlangt vom E Herausgabe des Wohnmobils.
23
22. OLG Brandenburg, Urteil vom 21.06.2012 (MDR 2013, 105)
Eigentumsverschaffungsanspruch aus Grundstückskaufvertrag: Rechtsscheinhaftung einer
veräußernden Gesellschaft bei fehlender Vertretungsmacht des selbsternannten, im
Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers
Orientierungssatz
1. Wird ein Grundstückskaufvertrag auf der Verkäuferseite durch einen fälschlicherweise im
Handelsregister eingetragenen selbst ernannten Geschäftsführer (hier: einer LPG mbH)
geschlossen, so kann der Käufer daraus keinen Eigentumsverschaffungsanspruch herleiten, da
der Verkäufer beim Abschluss des Kaufvertrages nicht wirksam vertreten wurde.
2. Der Käufer kann sich auch nicht auf die Vermutung des § 15 Abs. 3 HGB (Eintragung im
Handelsregister) berufen, wenn der Verkäufer die Bekanntmachung und die Eintragung, dass
ein Geschäftsführer bestellt worden sei, nicht zurechenbar veranlasst hat.
3. Der durch § 15 Abs. 3 HGB gewährte Vertrauensschutz ist in der Weise eingeschränkt,
dass die Vorschrift nur zu Lasten desjenigen wirkt, der den Eintragungsantrag selbst gestellt
hat oder sich einen solchen Antrag zurechnen lassen muss. Nur dann ist eine Tatsache „in
dessen Angelegenheiten“ einzutragen.
Sachverhalt
Der K, der Die K-GmbH ist im Immobilienhandel tätig. Sie besteht aus zwei Gesellschaftern
(S und G). Der S ist alleiniger Geschäftsführer der K-GmbH.
Der S erlitt eine Herzattacke. Um die Handlungsfähigkeit der K-GmbH in laufenden
rechtlichen Angelegenheiten zu gewährleisten, überließ der S der Rechtsanwältin R
vorsorglich einige Blankounterschriften.
Diese Blankounterschriften nutzte der G, um gemeinsam mit dem N das Protokoll einer
Gesellschafterversammlung zu fälschen, aus dem hervorgeht, dass der N zum Geschäftsführer
der K-GmbH bestellt wurde. Dieses Protokoll ist sodann notariell beglaubigt worden. Der N
hat seine Bestellung im Anschluss ins Handelsregister eintragen lassen. Die Eintragung wurde
öffentlich bekannt gemacht.
Danach schloss der N im Namen der K-GmbH mit dem B einen Kaufvertrag über ein
Grundstück. Der Vertrag wurde notariell beurkundet.
Der S hatte weder eine Kenntnis von der Bestellung des N zum Geschäftsführer noch von
dem Grundstückskaufvertrag. Ob der B von den Vorgängen um die Gesellschafterbestellung
wusste, ist unklar. Der B verlangt nunmehr die Übereignung dieses Grundstücks. Zu Recht?
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