politischer essay über die insel kuba
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politischer essay über die insel kuba
Alexander von Humboldt POLITISCHER ESSAY ÜBER DIE INSEL KUBA Herausgegeben und neu übersetzt von Irene Prüfer Leske Aus dem Französischen übersetzt von Irene Prüfer Leske. Die Originalausgabe erschien unter dem Titel “Essai politique sur l’Ile de Cuba” Titel: Politischer Essay über die Insel Kuba Autor des Originals: Alexander von Humboldt Herausgeberin: © Irene Prüfer Leske Autoren: Salvador Ordóñez Ottmar Ette Christiane Nord Irene Prüfer Stiche: Spanisches Nationalmuseum Madrid Fotographien: Fakultät für Architektur Universität Alicante I.S.B.N.: 84-8454-202-5 Depósito legal: A-875-2002 Edita: Editorial Club Universitario Telf.: 96 567 38 45 C/ Cottolengo, 25 – San Vicente (Alicante) www.ecu.fm Printed in Spain Imprime: Imprenta Gamma Telf.: 965 67 19 87 C/. Cottolengo, 25 - San Vicente (Alicante) www.gamma.fm [email protected] Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschlieβlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung auβerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. L’esclavage est sans doute le plus grand de tous les maux qui ont affligé l’humanité. A.v. Humboldt Essai politique sur l’Ile de Cuba INHALT Irene Prüfer: Zu dieser Ausgabe und Danksagung ................................................... 9 Salvador Ordóñez: Die “Geologie” und Alexander von Humboldts Reise durch Iberoamerika (1799-1804)...................................................................... 15 Ottmar Ette: Der Kosmos des Alexander von Humboldt: Globalisierte Wissenschaft als Werk in Bewegung ................................................................ 29 Christiane Nord: Vorwort zur Übersetzung............................................................ 49 Faksimilblatt ........................................................................................................... 53 Alexander von Humboldt: Politischer Essay über die Insel Kuba .................. 55 0 Einleitung: Die geopolitische Bedeutung Kubas............................................... 57 1 Havanna und Umgebung ................................................................................... 61 1.1 1.2 1.3 Havanna und Vororte ................................................................... 61 Bevölkerung Havannas und der Vororte um 1810....................... 65 Umgebung Havannas ................................................................... 72 2 Geographische Beschreibung Kubas................................................................. 75 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 Ausdehnung und territoriale Abgrenzung.................................... 75 Geophysikalische Verhältnisse .................................................... 77 Hydrographische Skizze............................................................... 85 Das Klima Havannas.................................................................... 86 Positionen der Häfen.................................................................. 101 Gerichtsbarkeiten und Einteilung des Landes............................ 101 3 Bevölkerung..................................................................................................... 105 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9 3.10 Bevölkerung Kubas.................................................................... 105 Bevölkerung im Vergleich innerhalb der Antillen und mit den amerikanischen Festlandstaaten ................................................ 106 Prozentuale Verteilung freier Farbiger und Sklaven auf verschiedene Gebiete Kubas von 1811...................................... 109 Volkszählung von 1775 ............................................................. 111 Bevölkerung im Jahr 1811 ......................................................... 113 Volkszählung von 1817: 572.363 .............................................. 114 Urbevölkerung ........................................................................... 118 Gerichtsbarkeiten ....................................................................... 122 Die vier Bezirke der Provinz Santiago de Cuba ........................ 124 Verhältnis Neger zu Negerinnen................................................ 124 5 3.11 3.12 3.13 3.14 Negereinfuhr nach Havanna zwischen 1763 und 1790 nach Freigabe des Negerhandels ........................................................ 126 Sklaven in den Vereinigten Staaten ........................................... 128 Sterberate der Neger................................................................... 129 Bevölkerungsdichte.................................................................... 130 4 Landwirtschaft................................................................................................. 135 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 Zucker ........................................................................................ 136 Kaffee......................................................................................... 155 Tabak.......................................................................................... 158 Wachs......................................................................................... 160 Handel ........................................................................................ 161 Finanzen ..................................................................................... 173 5 Über die Sklaverei ........................................................................................... 179 6 Reise ins Güines-Tal, nach Batabanó und zum Hafen von Trinidad, Jardines und Jardinillos del Rey y de la Reina ............................................... 193 6.1 6.2 6.3 Batabanó und seine Krokodile................................................... 196 Reise durch die Jardines und Jardinillos................................... 200 Trinidad...................................................................................... 212 7 Anhang............................................................................................................. 219 7.1 7.2 7.3 7.4 7.5 7.6 Statistiken der Insel Kuba (1825 - 1829) ................................... 219 Ausdehnung ............................................................................... 220 Bevölkerung ............................................................................... 221 Landwirtschaft............................................................................ 226 Handel und Finanzen ................................................................. 230 Departements ............................................................................. 238 8 Analyse der Karte Kubas................................................................................. 243 8.1 8.2 Astronomische Geographie Kubas............................................. 243 Lagebestimmungen .................................................................... 247 Irene Prüfer Leske REGISTER und GLOSSARE............................................................................... 257 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 6 Bibliographie: von Humboldt erwähnte Werke, Statistiken, Zeitschriften, Dokumente .......................................................... 258 Handelsprodukte, kubanische Erzeugnisse ................................ 263 Institutionen ............................................................................... 264 Landwirtschaft und Viezucht ..................................................... 265 Maße, Gewichte, Währungen..................................................... 267 Nahrungsmittel........................................................................... 269 Ortsregister und geographische Bezeichnungen, Staaten........... 270 Personenregister und Bevölkerungsglossar................................ 286 9. Pflanzen...................................................................................... 295 10. Standesbezeichnungen, Titel...................................................... 297 11. Tiere ........................................................................................... 297 Glossare.................................................................................................. 299 Stiche und Karte Kubas, Fotografien von Alt- Havanna 7 Irene Prüfer: Zu dieser Ausgabe und Danksagung Alexander von Humboldt schreibt am Anfang seiner Relation Historique, der Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents, (zu der die vorliegende Abhandlung über Kuba zwar zählt, jedoch als eigenständig zu betrachten ist1), von einem “doppelten Ziel”: “Ich wollte die Länder, die ich besuchte, einer allgemeinen Kenntnis zuführen; und ich wollte Tatsachen zur Erweiterung einer Wissenschaft sammeln, die noch kaum skizziert ist und ziemlich unbestimmt bald Physik der Welt, bald Theorie der Erde, bald Physikalische Geographie genannt wird.” In diesem Sinne legen wir das Kuba-Werk Humboldts zur neuerlichen Verbreitung und zum (historischen) Studium für Experten der angesprochenen Wissenschaftsbereiche sowie Biologie, Geologie, Soziologie, Menschenrechte etc. als Neuübersetzung vor. Es kam uns darauf an, den teilweise in früheren Übersetzungen und auf früheren Übersetzungen aufbauenden Neuausgaben2 schwer verständlichen Text dem heutigen Publikum leichter zugänglich zu machen. Außerdem haben wir durch Erklärung, Verbesserung und Verdeutlichung einzelner Passagen im Text selbst versucht, die Ausgangskultur Humboldts dem Leser von heute näher zu bringen. Eine wesentliche oder globale Übersetzungsstrategie unseres Vorhabens, diesen historischen Text einer modernen Leserschaft zu erschließen, bestand darin, dieses Werk Humboldts in seiner Kultur unter Einsatz moderner Sprachmittel zeitgemäß und verständlich anzubieten. Äußere Merkmale dieser Modernisierung sind einerseits die Anwendung der neuen Rechtschreibung, andererseits wurden geographische, topographische und andere Bezeichnungen Humboldts den heutigen Namen (Puerto Príncipe > Camagüey) und Schreibweise (Batabano > Batabanó) angepasst, hinzugefügt oder korrigiert. Landschaftsbezeichnungen wurden erklärend beigefügt. Denn nichts ist schwieriger für den des Spanischen unkundigen Leser als ein Text voller spanischer Ausdrücke und Namen, die zwar der Liebe zur Exotik entgegenkommen, jedoch das Verständnis erheblich 1 Ette, Ottmar (1998): “Zu dieser Ausgabe” in Humboldt, Alexander von: Reise in die Äquinoktionalgegenden des neuen Kontinents, Frankfurt/Main: Insel-Verlag, S. 1607. 2 Humboldt, Alexander von (1992): Cuba-Werk, Herausgegeben und kommentiert von Hanno Beck. Studienausgabe Band III. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 9 Irene Prüfer erschweren. Unter derselben Zielsetzung wurden lange, verschachtelte Sätze verkürzt, neu strukturiert und moderne Interpunktion angewendet. Obwohl Humboldt als Forscher alle seine Thesen minutiös diskutiert, ist die Handhabung von spanischen Ausdrücken, Bezeichnungen und Redewendungen im Kuba-Werk recht uneinheitlich. Einige Ausdrücke werden ohne Erklärung oder Übersetzung in den Text übernommen, in anderen Fällen geben Fußnoten die Bedeutung auf Französisch wieder. Zur besseren Lesbarkeit wurde dieser von Humboldt im Original benutzte Wechsel zwischen französischer und spanischer Sprache (z.B. S. 6: Près du Campo de Marte ...) behoben, ohne dabei in übertriebenen Purismus zu verfallen: Entweder wurde übersetzt, oder aber der Name belassen und Ergänzungen auf Deutsch beigefügt. Wir haben in diesem Sinne auch darauf verzichtet, die ohnehin große Anzahl der Anmerkungen durch eigene noch zu erhöhen, sondern es vorgezogen, alle Ergänzungen und Verdeutlichungen direkt in den Text aufzunehmen. Offensichtliche Kohärenzfehler jeglicher - auch rechnerischer - Art (vor allem in den Tabellen und Statistiken), die schon im Original oder durch Transkription angelegt sind, wurden korrigiert. So schreibt Humboldt z.B. im letzten Kapitel über die Reise nach Batabanó, dass er im April in diese Gegend fuhr, obwohl belegt ist, dass er Kuba auf seiner ersten Reise zwischen Dezember und März schon am 16. März 1801 endgültig verließ3. Wenn wir davon ausgehen, dass ein großer Teil des Ausgangstextes als auch des Zieltextes rein informative Funktion besitzt, wobei die einzelnen Zahlen heute unter veränderten Begebenheiten keine große oder stark veränderte Aussagekraft haben, macht eine Häufung von Fehlern in Tabellen und Statistiken die Übersetzung unglaubwürdig, da der Leser ja nicht weiß, ob diese beim Übersetzen (in diesem Falle Abschreiben) entstanden sind oder schon im Original vorhanden waren. Daher wurden die oftmals auf schwer lesbaren Ziffern und Fehlern des Originals basierenden unlogischen Summen und Ziffern anderer Übersetzungen vermieden. Ein weiteres Anliegen war es, das Werk übersichtlicher zu gestalten. Deshalb wurde eine Neustrukturierung vorgenommen und dabei das Werk in 8 Kapitel mit oftmals vom Original abweichenden Abschnitten und entsprechenden Überschriften gegliedert. So findet der heutige Leser, der daran gewöhnt ist, ein Werk eventuell nur auszugsweise nach Interesse und 3 Humboldt, Alejandro de (19982): Ensayo político sobre la Isla de Cuba. Anmerkung von Ortíz, Fernando: S.217. La Habana: Fundación Fernando Ortíz 10 Zu dieser Ausgabe und Danksagung Bedarf zu lesen, ein bestimmtes Kapitel leichter. Unsere Neuübersetzung dieses interdisziplinären Werkes will somit also Vertretern der verschiedensten Fachrichtungen ein gezielteres Lesen ermöglichen. Dazu soll das anschließende nach Fachgebieten geordnete Glossar einen weiteren Beitrag leisten. Der Übersichtlichkeit dient auch die Konversion von Textstellen in Statistiken mit dem dazugehörigen Titel, besonders in den Fußnoten. Im Zuge der Vereinheitlichung von Strategien wurden bibliographische Hinweise des laufenden Originaltexts soweit möglich in die Fußnoten übernommen. Bei Humboldt durch Kursiv-Schrift hervorgehobene Ausdrücke wurden unterstrichen, dagegen Namen kubanischer Städte, Ortschaften, Berge, Flüsse und Inseln von uns mit Kursiv-Schrift gekennzeichnet und bei Bedarf mit entsprechenden Erklärungen versehen (z.B. die Insel Cayo de Piedras). Alle Maßangaben wurden in ihrer ursprünglichen Bezeichnung übernommen. Das Glossar gibt eine Aufstellung der Maßangaben mit Erläuterungen und Entsprechungen derzeitig gültiger Maßeinheiten. Bei den Währungseinheiten wäre eine Umwandlung in heute gültige Einheiten sinnlos, wenn nicht unmöglich (z.B. Piastres > Piaster). Schließlich wurden auch geringe Kürzungen von Textteilen vorgenommen, die heutzutage von wenig Interesse sind, z.B. die Positionierung der Häfen Kubas im 2. Kapitel und der im Anhang aufgeführte Vergleich von Zuckerproduktion, -handel und -verbrauch der ganzen Welt und den Temperaturen in den heißen Zonen. Andere Textstellen wurden, besonders in Fußnoten, in übersichtliche Statistiken umgearbeitet. Beibehalten dagegen wurden alle Anmerkungen, da gerade sie oft von großem Interesse sind, wie im Kapitel über das Verbleiben der Urbevölkerung Kubas. Zur größeren Transparenz wurden die von Humboldt oft abgekürzten bibliographischen Hinweise explizit ausgeschrieben, mit Autorenangaben versehen und vereinheitlicht. Auch hier geben Register und Glossar zum Thema Autoren und Werke eine wichtige Hilfestellung. Die vorliegende Darstellung Kubas bewegt sich in einem breiten Spektrum von Stilen und Formen: Reisebericht, nüchterne Wiedergabe von Erhebungen mit Statistiken, glühende Parteinahme für Menschenrechte und Verurteilung der Sklavenhalterei. Die von Humboldt gewählte Gattungsbezeichnung “Politischer Essay” trifft auf die wenigsten Teile des Werkes zu. Nur der Anfang des ersten Teils und der Schluss des Werkes, die 11 Irene Prüfer Reise von Batabanó nach Trinidad, können als Reisebericht gelten, der durchaus auch Anekdotisches enthält, z.B. die Ankunft und Abreise in und von Trinidad. Dieser Wechsel findet sich nicht nur von Kapitel zu Kapitel, sondern auch innerhalb einzelner Kapitel. Und damit steht immer die persönliche Note hinter Humboldts Berichten und Erhebungen, die seinen Anspruch glaubhaft macht, dass ihm das Kapitel über die Sklavenhalterei, von Thrasher vorsätzlich aus der Übersetzung desselben gestrichen4, am meisten am Herzen lag. Die Aufgabe jeden Übersetzers ist es, durch Recherchen sprachliche und inhaltliche Zweifel auszuräumen, unverständliche Stellen zu hinterfragen und Probleme zu lösen. In unserem Falle gab es bei den Neu-Übersetzungen des Essai politique sur l’Ile de Cuba sowohl ins Spanische als auch ins Deutsche viele Fragen, die wir in Spanien auch nicht mit Hilfe von alten Übersetzungen, Wörterbüchern oder Experten an unserer Heimatuniversität Alicante lösen konnten. Als Hauptverantwortliche danke ich im Namen meiner Kollegin, Frau Dr. Rosario Martí Marco, die an diesem Projekt beteiligt war, daher in erster Linie der valenzianischen Landesregierung (Generalitat Valenciana), die dieses Projekt (Generalitat Valenciana Proyecto I+D Nr. GV99-36-1-09) in den Jahren 1999-2000 gefördert hat. Außer der Valenzianischen Landesregierung hat uns die dem Spanischen Außenministerium (Ministerio de Asuntos Exteriores) angegliederte Spanische Agentur für Internationale Zusammenarbeit (Agencia Española de Cooperación Internacional) sowie die Außenstelle der Universität Alicante in Havanna (Proyecto Habana de la Universidad de Alicante), insbesondere ihre Leiterin an der Universität Alicante, Frau Margarita Mazzella Di Bosco und ihr Vertreter in Havanna, Herr Alberto Alfonso García, Frau Martí und mir mit entsprechenden finanziellen Unterstützungen in den Jahren 2000 und 2001 jeweils eine Reise nach Havanna und Umgebung und nach Trinidad ermöglicht, wo wir vor Ort dank der Hilfe der Universität Havanna, der Cátedra Humboldt und ihrem ersten Vorsitzenden, Dr. Iván Muñoz, dem Humboldt-Haus (Casa Humboldt) und seinem Leiter, Herrn Echeverría, dem Museum in Batabanó und seinem Leiter, Herrn Efraín Arrascaeta, Herrn Rafael Fernández Moya, dem Kulturbeauftragten des kubanischen Reiseunternehmens Habaguanex, S.A. und vielen anderen, wertvolle Hinweise und Antworten auf unsere mannigfaltigen Fragen 4 Prüfer, Irene (2001): “Übersetzungen, Manipulation und Neuübersetzung des Essai politique sur l’Ile de Cuba Alexander von Humboldts”, in: Ette, Ottmar: Ansichten Amerikas. Frankfurt/Main: Vervuert Verlag. 12 Zu dieser Ausgabe und Danksagung einholen konnten. Ohne die finanzielle und administrative Unterstützung der erwähnten Institutionen und dem selbstlosen persönlichen Einsatz der genannten Personen wäre dieses Unterfangen nicht möglich gewesen. Vertieft wurde unsere Kenntnis weiterhin durch das Symposium Simposio Interdisciplinar sobre Alexander von Humboldt, das in Erinnerung des ersten Aufenthalts Humboldts auf Kuba und seines 200. Jahrestages am 1. März 2001 auf meine Initiative an der Universität Alicante veranstaltet wurde. Ganz besonderen Dank darf ich an dieser Stelle dem Prorektorat für Außenstellen und institutionelle Zusammenarbeit der Universität Alicante und dem damaligen Prorektor Prof. Dr. Antonio Ramos Hidalgo aussprechen, ohne deren finanzielle und logistische Unterstützung das Symposium nicht stattgefunden hätte, ebenso den Beitragenden aus dem Inund Ausland, die Humboldt und das humboldtianische Gedanken- und Ideengut einem breiten Publikum in Alicante näher gebracht haben: seiner Magnifizenz, Prof. Dr. Salvador Ordóñez, Rektor der Universität Alicante, Prof. Dr. Ottmar Ette, Universität Potsdam, Dr. Jürgen Misch, Cátedra Humboldt Universität La Laguna – Teneriffa und meiner Kollegin, Frau Dr. María Rosario Martí Marco. Großen Dank sagen möchten wir der Deutschen Botschaft in Madrid und ihrem damaligen Kulturattaché, Dr. Peter Adamek, dem Goethe-Institut / Inter Nationes Madrid und seiner PV-Beauftragten Beate Köhler für ihre aktive Unterstützung bei der Veranstaltung der Plakatausstellung “Alexander v. Humboldt 1769 – 1859”, die zunächst an der Universität Alicante und wenige Wochen später zur Erinnerung an den Aufenthalt Humboldts in Havanna im Humboldt-Haus gezeigt und vom Deutschen Botschafter in Havanna, Dr.Wolff eröffnet wurde. Ein besonderer Beitrag, ganz im Sinne unserer interdisziplinär angelegten Arbeit, sind die von der Fakultät für Architektur der Universität Alicante zur Verfügung gestellten Zeichnungen und Bilder verschiedener restaurierter Gebäude des Alten Havanna von Familien, die Humboldt in seinem Essai erwähnt und von den Architekturstudenten unter Leitung von Herrn Antonio Jiménez Delgado in Havanna aufgenommen wurden. Wir danken allen Beteiligten ganz herzlich. Im Zuge der Integrierung verschiedener Disziplinen danken wir Prof. Dr. Nord, Prof. Dr. Ordóñez und Prof. Dr. Ette für ihre Beiträge in diesem Band. 13 Irene Prüfer Wir sind folgenden Institutionen, die die vorliegende Veröffentlichung sowohl finanziell als auch ideell unterstützt und somit ermöglicht haben, zu besonderem Dank verpflichtet: Generalitat Valenciana Proyecto I+D Nr. GV99-36-1-09, Proyecto Habana Universität Alicante, Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Barcelona. Ein ganz besonderer Dank gilt auch der Übersetzerin der Beiträge von Prof. Dr. Ordóñez und Prof. Dr. Ette aus dem Spanischen und geduldigen Korrektorin der von mir veranstalteten deutschen Version, meiner Kollegin, Frau Claudia Peter, ebenso wie meinem Bruder, dem Geographen Herrn Georg Prüfer-Schönfelder für seine wertvollen Ratschläge und Korrekturen. Unsere Danksagung gilt schließlich auch dem einzigartigen Wissenschaftler, Forscher und Denker Alexander von Humboldt selbst, der uns das Kuba von heute mit anderen Augen erleben lässt und dessen holistische Weltanschauung wir versuchen, mit der Neuausgabe eines kleinen Ausschnitts seines Werkes, der Öffentlichkeit neu vorzustellen. Wir hoffen, dass die Kubaner Humboldt weiterhin in ihren Herzen als den “sanften und friedlichen Eroberer” ihrer Insel bewahren, wie wir es an jenem Sonntagnachmittag Ende November 2000 erlebten, als wir überraschend in dem kleinen Museum von Batabanó nach Spuren von Humboldt fragten, uns Leiter Efraín Arrascaeta freudig willkommen hieß und zu unserem Erstaunen erklärte, dass er gerade dabei sei mit im Museum versammelten Mitbürgern Batabanós anhand des Ensayo político sobre la Isla de Cuba über Humboldt zu sprechen und die 200-Jahrfeier seines Aufenthalts auf Kuba vorzubereiten. Möge sich die Wirkung Humboldts und die Beliebtheit dieses Werkes auf andere spanisch- und deutschsprachige Länder ausdehnen! Alicante, Dezember 2001 14 Irene Prüfer Leske Salvador Ordóñez: Die “Geologie” und Alexander von Humboldts Reise durch Iberoamerika (1799-1804) Salvador Ordóñez Abteilung für Bodenkunde und Umwelt Universität Alicante Übersetzung aus dem Spanischen: Claudia Peter und Irene Prüfer 1. Einleitung Das Entstehen der Fachrichtung Geologie hängt eng mit dem Hüttenwesen des 19. Jahrhunderts zusammen, da zu Beginn der Industrialisierung viel geforscht und entdeckt wird. An den Lehrstühlen von Freiberg und in England entwickelt sich aus wegweisenden Erkenntnissen zweier Naturforscher – des Sachsen Werner und des Engländers Hutton - die Geologie. Beide gelten unbestritten als Väter des Faches1. Die Frage, warum fossile Meerestiere und –pflanzen in meerfernen Gebieten vorkommen, löst schon im 3. Jahrhundert v. Chr. einen kontroversen Gelehrtenstreit zwischen den Philosophen Eratosthenes2 und Strabon aus3. Leonardo da Vinci beschäftigt dieses Thema ebenfalls. Schon immer waren “tatsächliches” Alter der Erde, Gestalt, Größe, Entstehung, Bergformationen, Bedeutung der Schichtenlagen, Fossilanteil, Seitenlage und –anordnung eine Herausforderung für Denker, Forscher und Wissenschaftler. Die Tatsache, dass die Heilige Schrift die “biblische Schöpfungsgeschichte” nicht als Sinnbild, sondern als historische Gegebenheit darstellt, hat die freie, intellektuelle Auseinandersetzung mit diesem Thema stets beeinträchtigt. 1 “Progresos de la Geología en España durante el siglo XIX” . 1897. Vortrag von Lucas Mallada y Pueyo an der Real Academia de Ciencias Físicas, Exactas y Naturales. 2 Erathostenes vermaß zum ersten Mal fast genau den Weltmeridian mit 39686 km mit einer Entsprechung von einem Meridian auf 111,108 km, d.h. ungefähr 60 Seemeilen. 3 Gohau, Gabriel (1987): Historie de la Géologie. Editorial La Découverte. 15 Salvador Ordóñez Erste Angaben über Aufbau der Erdrinde veröffentlicht der in Florenz lebende Däne Niels Steensen (1638-1686) in seinem Werk “Vorrede einer Dissertation” über “el sólidos naturalmente contenido en el sólido” (sic!). Ein merkwürdiger Titel für ein Buch, das die Erdschichten als ursprünglich horizontal annimmt und ihre Neigung auf mechanische Einwirkung zurückführt. Zur Erklärung der verschiedenen Berg- und Landschaftsformen trägt vor allem der deutsche Mineraloge Johann Gottlob Lehmann (17191767) mit seinem 1756 erschienenen Naturgeschichtlichen Essay über die Erdschichten bei. Die darin enthaltene Gliederung der Formationen übernehmen Werner und alle Schüler der Bergakademie in Freiberg, einschließlich Humboldt, für seine geologischen Ausführungen. Allerdings verwendet Werner bei Bestimmung und Beschreibung von Formationen immer den Begriff “Geognosie”, bei Bestimmung und Beschreibung von Fossilien (im modernen Sinn: Mineralien und Fossilien) hingegen die Bezeichnung “Oryktognosie”. In Spanien finden diese Begriffe wohl deshalb Anwendung, weil spanische Geologen und Bergingenieure immer engen Kontakt zur Freiberger Schule pflegten. Um das Wissen von der Erde treffender als mit dem bis dahin gebräuchlichen Begriff “Kosmologie” zu fassen, führt der Genuese André Deluc (1727-1817) im Jahr 1778 die Bezeichnung “Geologie” ein. Verbreitung findet der neue Namen durch die Alpenreisen von HoraceBenedict de Saussure (1740-1799). 1807 wird in London die Geologische Gesellschaft gegründet, 1830-1833 veröffentlicht Charles Lyell (1797-1875) seine Grundlagen der Geologie, in denen er das “Prinzip aktueller Ursachen” darlegt. Da er zur Deutung vorhandener Schichten Vergleiche mit entstehenden Formationen anstellt, kann dieses Werk als Anfang der wissenschaftlichen Geologie betrachtet werden. Indes reist Humboldt nach Amerika. Seine unterwegs gewonnenen Erkenntnisse tragen, wie die anderer Reisenden auch, zur Entwicklung dieser Wissenschaft bei. Der Blick richtet sich auf eine – im Vergleich zu Europa – offenere und vielseitigere “Wirklichkeit”. 2. Humboldts Reise durch Iberoamerika Während Humboldt Iberoamerika bereist, regiert Karl IV. in Spanien, Napoleon Bonaparte erreicht den Höhepunkt seiner Laufbahn (1804 wird er Kaiser) und Iberoamerika tritt unter dem Einfluss der ebenfalls noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika den Weg in die Unabhängigkeit an. 16 Die “Geologie” und Alexander von Humboldts Reise durch Iberoamerika (1799-1804) Humboldts amerikanisches Abenteuer ergibt sich wegen einer gescheiterten Ägypten-Expedition. Der Forscher kommt nach Spanien, besucht erst Valencia, dann Aranjuez (Madrid), um sich den im spanischen Amerika vorgesehenen Aufenthalt genehmigen zu lassen. Humboldt kommt also mit Aimé Bonpland nach Spanien, von Gerona nach Valencia (5. Januar 1799), dann nach Madrid, wo er den “Reisepass” für freien Zutritt in die spanischsprachige Neue Welt erhält. Einzige Auflage: Er muss dem “Botanischen Garten” und dem “Königlichen Naturkundekabinett” Material zukommen lassen. Humboldt war im Grunde “Biogeograf”. Am 5.Juni 1799 verlässt er La Coruña, um zunächst sieben Tage auf Teneriffa zu verbringen: Am Teide entdeckt er Zusammenhänge zwischen Vegetation und Höhe der Schichten. Diese Beobachtungen lassen ihn einige seiner geologischen Auffassungen überdenken. Die amerikanische Küste erreicht er in Cumaná (Venezuela). Nach einem Besuch in Caracas folgt er dem Lauf des Río Orinoco bis zum CasiquiareKanal, der das Orinoco-Becken mit dem Amazonas-Gebiet verbindet. Von hier bricht Humboldt nach Kuba (Dezember 1800 bis März 1801) auf, um das Innere und den Süden dieser Insel kennen zu lernen. Dann kehrt er aufs Festland zurück, hält sich im März 1801 in Cartagena de Indias und den Anden auf. In Bogotá begegnet er dem berühmten Botaniker Celestino Mutis. Am Vulkan Chimborazo bei Quito bemerkt er Zusammenhänge zwischen Erdbeben und Vulkanen. Außerdem erforscht er den Chininbaum, begibt sich in peruanische Amazonas-Gebiete und läuft schließlich in Callao mit Kurs auf Acapulco (Mexiko) aus. Dort ist er fast ein Jahr Gast der Königlichen Bergbauschule Mexikos, trifft einen Kommilitonen aus Freiberger Studienzeiten, den Madrider Bergbauingenieur Andrés Manuel del Río (1765-1849) und vermisst Stollen und Vulkane. Anschließend segelt er wieder nach Kuba, dann nach Philadelphia und ist Gast bei Präsident Jefferson. 1804 endet hier Humboldts Amerika-Aufenthalt mit der Einschiffung nach Frankreich. Zur Geologie trägt er mit Messungen des Erdmagnetismus, Lufteigenschaften und kartografische Lagebestimmungen vieler Punkte Europas und Amerikas bei. Besonders erwähnenswert sind seine ersten, zur Darstellung der geologischen Struktur des Erdinneren gezeichneten Querschnitte. Zudem versucht er, die geologische Struktur Europas auf Amerika zu übertragen und erforscht den vor der peruanischen Küste nach 17 Salvador Ordóñez ihm benannten Strom. Seine Materialproben bereichern Mineralien- und Gesteinsammlungen (einiges schickt er dem Königliche Naturkundekabinett in Madrid). 3. Die Geologie in Humboldts Zeit Humboldt war Schüler des angesehenen deutschen Geologen A.G. Werner (1749-1817), Geologie-Dozent an der Bergakademie in Freiberg. Werner hatte erst in Freiberg, später an der Universität Leipzig studiert. 1775 wird er nach Freiberg berufen – ein guter, systematischer, glänzender Lehrer für Oryktognosie (Mineralogie und Petrologie) mit chaotischen Ordnungsprinzipien. Er gilt als Gründer der “Geognosie”, ein von Füchsel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geprägter Begriff. Werner definiert “Geognosie” als Wissenschaft, die den festen Boden als Einheit betrachtet und sich mit den darin enthaltenen Mineralien und Gesteinen, mit deren Entstehung und Beziehung zueinander, beschäftigt. Sein einziges bedeutendes Werk war: Kurze Klassifikation und Beschreibung der verschiedenen Gebirgsarten (1777). Laut Werner war die Erde zunächst ein einziges Urmeer, bei dessen Verdunstung sich nach und nach Gesteinsformationen ablagerten; Fallrichtungen sind für ihn reine Anpassung an den ursprünglichen Oberflächenverlauf. Obwohl Beobachtungen diese Hypothese widerlegen, setzt sie sich wegen leichter Verständlichkeit und Anwendbarkeit durch. Entsprechenden Einfluss übt diesbezüglich Lehmann aus, der Urheber der Bezeichnungen Kupferschiefer, Zechstein und Muschelkalk, allesamt Klassiker der Lithostratigrafie des triassischen Systems. Ablagerungen am Boden des Urmeers - Ausgangspunkt der neptunischen Theorie veranlassen Werner zur chronologischen Unterscheidung verschiedener Phänomene: Urgebirge aus Granit, Gneis, Schiefer, Serpentin, quarzhaltiger Porphyr, ... Übergangsgebirge aus talkigem Kalk, Schiefer,... Flözgebirge: Perm, Trias, Jura, Tertiär... Anschwemmungen: Sedimentgestein, lockere Ablagerungen. Und zuletzt der junge Vulkanismus: Vulkanstein und Silex. Jüngst wurde der Gesteinsaufbau der Erdkruste in einer Arbeit über Oryktognosie sehr detailliert in einem Vergleich des 1795 in Mexiko erschienenen Werkes von Andrés Manuel del Río, Werner-Schüler, Kollege Humboldts sowie Lehrer am Königlichen Bergbauseminar in Mexiko, mit 18 Die “Geologie” und Alexander von Humboldts Reise durch Iberoamerika (1799-1804) der Arbeit des Deutschen Christian Herrgen aus Mainz, erster Lehrer des Königlichen Naturkundekabinetts in Madrid, dargestellt4. Gegen die “neptunistischen” Vorstellungen wehren sich die “Plutonisten” um den Edingburger Arzt James Hutton (1726-1797). Als Student an der Sorbonne in Paris und in Leyden (Niederlande) beschäftigt er sich in seiner Doktorarbeit mit dem Blutkreislauf. Er ist Bauer und Unternehmer, zieht sich nach Edingburgh zurück, wird Mitglied des Oyster Club, ist mit Black, Playfair, Adam Smith und David Hume – ein erlesener wissenschaftlicher Gesprächskreis – befreundet. In seinem Werk Theory of the Earth; or an Investigation of the Laws Observable in the Composition, Dissolution and Restoration of the Land upon the Globe beschreibt er das Entstehen von Granit und Basalt aus Feuer, weil er an diesen Gesteinsarten Randreaktionen mit anderen Vorkommen beobachtet. Zudem vertritt er die Auffassung einer ständigen Wiederkehr der Erdstoffe in Zeit und Raum, genannt “geologischer Kreislauf”, eine immerwährende Abfolge von Erosion, Ablagerung, Hitzeeinwirkung und Innendruck des Planeten. Diese sich modernen, aus aktuellen, präzisen Beobachtungen gewonnenen Denkmodellen deutlich nähernde Vorstellung stößt auf Ablehnung, ruft scharfe Kritik hervor5. Und man fragt sich, was wohl Humboldt durch den Kopf ging, als er in den Anden und am Teide “Naturkräfte, Vulkane und Erdbeben als Beweis der Aktivität des Planeten” sah, weit entfernt von den Erläuterungen seines Lehrers Werner und den Beobachtungen in den alten, inaktiven Gebieten Sachsens. 4. Geräte und geowissenschaftliche Vorhaben der Expedition In einem Brief an Freiherr von Forell, bevollmächtigter Gesandter Sachsens in Madrid, beschreibt Humboldt am 3. Februar 18006 die mitgeführten Geräte: Wir haben Glück gehabt, dass seit unserer Abfahrt in Madrid kein Instrument kaputt ging oder auseinander fiel. Und dies, obwohl so empfindliche Geräte wie Barometer, Hygrometer, Chronometer, Neigungskompass und chemischer Apparat zur Luftanalyse nicht nur 4 Ordóñez, Salvador (1999): “Los textos de mineralogía en España a finales del siglo XVIII”, S. 6776, in: 2º Centenario de la traducción de “La Orictognosia de Widemann” por C. Herrgen. Bol. Geol. Min. 110. 5 Hallam, A. (1983): Grandes controversias geológicas. Editorial Labor. 6 Herrgen, Christian (1800): “De la carta del Barón de Humboldt al Sr. Barón de Forell”, S. 251 – 271, in: Anales de Historia Natural, 6. 19 Salvador Ordóñez während der Überfahrt (auf der uns der Verantwortliche der Seereise Rafael Clavijo alle erdenklichen Annehmlichkeiten bot) ständig im Einsatz waren, sondern auch bei Maultierexpeditionen in steilen Gebirgen. Zusammen mit diesen Instrumenten führt er sicher eine Ausrüstung mit sich, um die Längen und Breiten der Sterne zu bestimmen. Die Länge wird mit dem Chronometer, das die Zeit der entsprechenden Breite7 angibt, bestimmt. Die Instrumente seiner Expedition wurden dem Real Seminario de Minería in Mexiko vermacht. Die Hauptbeschäftigung der Feldstudien besteht im Erkunden der Gegend, beispielsweise im Mai 1800 im Amazonas-Becken bei der Entdeckung des die Flüsse Orinoco und Negro verbindenden Casiquiare-Kanals. Humboldt schreibt im oben erwähnten Brief: Herr Bonpland (Botaniker und Reisebegleiter Humboldts) hat beispielslosen Fleiß und Ausdauer bewiesen. Über 6.000 getrocknete Pflanzen, 600 genaue Beschreibungen besonderer oder neuer Arten, Insekten, viele Muscheln, Luftdruck- und Trigonometrie-Messungen im Hochgebirge, groß angelegte astronomische Lageberechnungen über Länge und Breite der Gebiete, Immersion und Emersion der Trabanten, sichtbare Sonnenfinsternis am 28. Oktober (in Cumaná bestätigt); Versuche magnetischer Anziehung und Abweichung, Pendellänge, Temperaturen, Elastizität, Transparenz, Feuchtigkeit, elektrische Ladung, Sauerstoffgehalt der Luft und schließlich rund 50 Zeichnungen des Aufbaus von Pflanzen und Muscheln ...; dies sind die Ergebnisse unserer Arbeit in der Provinz Cumaná. Beobachtungen der Erdrinde sowie das Sammeln von Gesteins- und Mineralienproben für das Königliche Naturkundekabinett in Madrid sind weitere wichtige Voraussetzungen für Humboldts “Pasigrafie” und “Ordnung der Schichten”. Herrgen (1799)8 erwähnt in den Jahrbüchern für Naturgeschichte9 die von Humboldt am Teide gesammelten ObsidianProben. 7 Vgl. Ferrero, Julio Albert (1993) “La navegación en la época del Descubrimiento” S. 113-171, in X Semana de Estudios del Mar, Diputación de Almería; und Fernández Vallín, Acisclo (1898): “Cultura Científica en la España del siglo XVI”, Vortrag an der Real Academia de Ciencias Exactas, Físicas y Naturales, Madrid. 8 Herrgen, Christian (1799): “Materiales para Geografía Mineralógica de España y de sus posesiones en América”, S. 5-16 in Anales de Historia Natural, 1. 9 Anales de Historia Natural wurde 1799 von Christian Herrgen, Luis Proust, Domingo Fernández und Antonio Josef Cavanilles mit folgendem Anliegen gegründet: “Deseando el Rey, á exemplo de otras naciones cultas, se publique en sus estados un Periódico, que no solo presente á los nacionales 20 Die “Geologie” und Alexander von Humboldts Reise durch Iberoamerika (1799-1804) Auch seine Landvermessungen, besonders die vergleichenden, finden große Beachtung. Beispielsweise werden in den Jahrbüchern für Naturgeschichte (1,84-85) die bis dahin bekannten Höhen genannt, dazu eine bemerkenswerte Beziehung zwischen dem Chimborazo (3220 Toisen ≅ 6280 Meter, derzeit mit 6272 Metern Höhe angegeben) und dem Erdradius hergestellt, wobei gesagt wird, dass dieses Verhältnis fast null sei und sich folglich der höchste Berg in Bezug zur Erdkugel, wie ein Sechzehntel Línea (1 Línea = 1,935 mm) zu einer Kugel mit zwei Fuß Durchmesser (1 Fuß = 144 Líneas) verhalte. Außerdem enthält dieser Artikel einen Profilriss der Strecke von Valencia über Madrid bis zum Palacio de la Granja aus Messwerten, die Humboldt und Hans Wilhelm Thalacker, Sammler des Königlichen Naturkundekabinetts ermittelt hatten. Geologische Beobachtungen stellt Humboldt stets vergleichend an, wie in dem Brief an Freiherr von Forell über die Besteigung des Teide10: Ich habe Brigadier Rafael Clavijo eine kleine Mineraliensammlung geschickt, die beweist, dass der Teide (1917 Toisen ≅ 3739 m, derzeit werden 3718 Meter angegeben) aus Basalt, schiefergrauem Porphyr und Obsidian-Porphyr besteht, der genau wie in der portugiesischen BasaltFormation auf Kalkstein ruht. Dieser Vergleich ist falsch, da die beiden Formationen weder in Alter noch Beschaffenheit übereinstimmen. Humboldts Neigung, die Schichten als allgemein gültig zu betrachten, ist das Erbe seines Lehrers Werner. a) Venezuela Am 3.Februar 1800 verschickt er vor seiner Abreise zu den Flüssen Meta und Orinoco eine Beschreibung der von ihm erkundeten Gegend um Caracas. In einem Brief an Freiherr von Forell11 teilt er Daten über die geologische Struktur der Umgebung von Caracas mit. Ebenso liefert er Hinweise auf die physische Geografie Südamerikas und die von ihm festgestellten Erdschichten. In diesem Brief erwähnt er auch Beobachtungen in der Guácharo-Höhle, erstmals 1678 von Ordensbruder Francisco Tauste beschrieben. Humboldt dringt 472 Meter in die Höhle ein. Heute weiß man, dass ihre Gänge viele Tausend Meter lang sind. Für die Ureinwohner hat los descubrimientos hechos y que vayan haciendo los extrangeros, sino también los sucesivamente se hacen en España en la Mineralogía, Química, Botánica y otros ramos de la Historia Natural”. 10 Auszug aus einem Brief des Baron von Humboldt an den Herrn Baron Forell, aus Cumaná am 16. Juli 1799, Anales de Historia Natural 2. 11 Auszug des Briefes von Humboldt an Baron Forell, S. 231-262, in Anales de Historia Natural 6. 21 Salvador Ordóñez diese Höhle rituelle Bedeutung. Ihr Name leitet sich von “guácharo” ab, einem dort in Schwärmen lebenden Vogel (Steatornis caripensis). Vom Hafen Guayra schickt Humboldt12 68 Mineralien- und Gesteinsproben nach Madrid an das Königliche Naturkundekabinett. An Fourcroy, Mitglied des Nationalinstituts, richtet der in Cumaná weilende Humboldt Beschreibungen13 seiner Erkundungen am Orinoco. Durch das Amazonas-Becken gelangt er zum Río Negro bis San Carlos (7. Mai 1800), dann weiter durch den Casiquiare-Kanal zum Ursprung des Orinoco in der Nähe des Vulkans Duida und von dort flussabwärts bis nach Angostura (heute Ciudad Bolivar). In seinem Brief erwähnt er Sendungen an den Botanischen Garten in Paris, Untersuchungen über das als Gift und Heilmittel genutzte “Curare” und verschiedene als Lack und Naturgummi verwendbare Pflanzensäfte. In einem ergänzenden Brief14 vom 24. November 1800 schickt er aus Nueva Barcelona einige astronomische Beobachtungen, die ich glaube, mit großer Sorgfalt durchgeführt zu haben. Mein Zeitüberwachungsgerät von Louis Berthoud geht noch immer genau; und alle vier bis fünf Tage prüfe ich anhand verfügbarer Geräte die ermittelten Höhen (Sextant von Ramsen und Througton), Apparat zur Ermittlung der magnetischen Deklination von Bird, künstlicher Horizont von Caroché) und stelle keine Sekunde Abweichung fest. Mit diesen astronomischen Messungen will Humboldt die Längen der Häfen des spanischen Amerikas feststellen, um die Chronometer der anlegenden Schiffe prüfen zu können. b) Kuba Am 24. November 1800 verlassen Humboldt und Bonpland La Guayra. Ihr Reiseziel ist Kuba. Am 19. Dezember treffen sie in Havanna ein. Der Aufenthalt ist kurz, die knappen Schilderungen sehr allgemein gehalten. Überwiegend handelt es sich um Beobachtungen vom Meer aus sowie um 12 Auszug des Briefes von Humboldt an Joseph Clavijo, Direktor des Real Gabinete de Historia natural, (1800) S. 262 – 27, in Anales de Historia Natural 6. 13 “Copia de una carta de Cumaná del 24 Vendimiario, año 8º (16 de Octubre de 1800), inserta en el Monitor o Gazeta de Francia del 7 Prairial, año 9º. (27 de Mayo de 1801); traducida en el Real Estudio de Mineralogía por D. Vicente Gonzalez del Reguero. Humboldt al ciudadano Fourcroy, miembro del Instituto nacional”, S. 285 – 294, in Anales de Historia Natural, 10. 14 “Carta del Barón A. Humboldt al ciudadano Delambre, Miembro del Instituto nacional de Francia, impresa en el número 214 del Monitor universal, 4 Floreal, año 9º, y traducida por D. Martín de Párraga” (1801) S. 199 – 206, in Anales de Historia Natural, 10. 22 Die “Geologie” und Alexander von Humboldts Reise durch Iberoamerika (1799-1804) fehlerhafte Übernahmen von Francisco Ramírez, Schüler von Proust, Chemielehrer am Königlichen Chemiekabinett in Madrid. Die Beschreibung der Insel fällt knapp aus15: “Über vier Fünftel Fläche der Insel ist Flachland, der Boden besteht aus Sekundär- und Tertiär-Schichten, aus denen Felsen aus Granitgneis, Syenit und Euphotid ragen.” Beschrieben werden die Kupferberge zwischen Kap Cruz, Punta Maisí und Holguín im Südosten der Insel. Ebenso erwähnt Humboldt Goldvorkommen in Cubanacán, Jagua und Trinidad, sowie in Holguín und Escambray Kupferlager, die er mit Hornblendschiefer in Zusammenhang bringt, ein Gestein, das wie Euphotid in Verbindung mit mehr oder weniger serpetinhaltigen PeridotitTiefschichten auftritt. Nach einer Küstenfahrt von Batabanó nach Trinidad nehmen sie am 16. März 1801 Kurs auf Cartagena de Indias. c) Anden-Expedition in Kolumbien, Ecuador und Peru Am 30. März 1801 gehen sie in Cartagena vor Anker und folgen dem Río Magdalena in die Hochebene von Santa Fe de Bogotá. Dort lernen sie den Botaniker José Celestino Mutis kennen. Nach einer langen Lobesrede über die Offenheit Mutis‘, den regen Gedankenaustausch mit ihm und die Bewunderung darüber, dass dieser 1772 den Chinarindenbaum in den Bergen von Tena entdeckt hat, schreibt Humboldt16: “Wir haben eine bemerkenswerte Chinarinden-Sammlung an Frankreichs Nationalinstitut geschickt, ... sorgfältig ausgewählte Rinden, ... und ausgezeichnete, großformatige Farbzeichnungen, die uns Mutis freundlicherweise überlassen hat.” Eine anstrengende, 17tägige Reise von Santa Fe de Bogotá über die Anden nach Cartago folgt. Sie sehen die Platinminen von Choco und den Vulkan Pasto. Mühevoll ist der Weg durch die über 3.000 Meter hoch gelegene Öde der Anden bis nach Quito. Humboldt erwähnt das Erdbeben, das sich am 4. Februar 1797, um 7.45 Uhr in Quito17 ereignet hatte und bis 5. April desselben Jahres von Nachbeben und neuen Erderschütterungen begleitet wurde. Humboldt zieht daraus den Schluss, “dass die Hochgebirge (Cotopaxi und Pichincha) ein einziger Vulkan sind, dessen unterirdische Schächte alle in einem Punkt zusammenlaufen. Dies bewies das erwähnte 15 Humboldt, Alejandro de (1998): Ensayo político sobre la Isla de Cuba. La Habana: Edición de la Fundación Fernando Ortiz. 16 “Extracto de la carta que el Barón de Humboldt escribió desde México en 22 de Abril de 1803 a D. Antonio Josef Cavanilles”, (1803) S. 280 – 287, in: Anales de Historia Natural 16. 17 Cavanilles, Antonio Joseph (1800): “Del terremoto que se observó en el reyno de Quito en 1797” S. 91-104, in: Anales de Historia Natural 4. 23 Salvador Ordóñez Erdbeben, bei dem sich die Erde an tausenden Stellen teilte und unbekannte Krater öffnete...”18. In Begleitung von Carlos de Montufar besuchen sie den Vulkan Pichincha und Antisana. An beiden Orten führt Humboldt Luftdruckmessungen durch, vergleicht seine Ergebnisse mit den ein Jahrhundert zuvor von La Condamine ermittelten Daten, erforscht die Zusammensetzung der Luft, beschreibt Krater... Im Juni 1802 gehen sie zu den Vulkanen Chimborazo und Tunguragua. Physische und meteorologische Widrigkeiten verhindern zwar den Aufstieg zum Chimborazo, aber dennoch können trigonometrische Messungen angestellt und Abweichungen gegenüber früheren Ergebnissen festgestellt werden, die beispielsweise beim Tunguragua auf Bodenschwund und in Zusammenhang mit dem oben genannten Erdbeben zurückgeführt werden. Im Anschluss “blieben wir nur zehn Tage in Cuenca (Peru). In der Provinz Jaén und im Gebiet des Amazonas verbrachten wir einen Monat und trafen am 23. Oktober 1802 in Lima ein”19. Nach erneuter Überquerung der Anden in Cajamarca erforschen sie die Amazonas-Spitze und entdecken den magnetischen Äquator, der fast ein halbes Jahrhundert allen geomagnetischen Messungen dient. Auf der Schifffahrt von Callao nach Guayaquil werden Geschwindigkeit und Temperatur des Kaltstroms untersucht, der Humboldts Namen trägt, obwohl nicht er die ozeanographischen Messungen vornimmt, sondern sie nur vornehmen lässt und der Strom somit zum “ironischerweise bekanntesten Denkmal” für ihn wird. d) Mexiko Am 22. März 1803 trifft Humboldt in Acapulco ein. Von April 1803 bis Januar 1804 ist er in Mexiko unterwegs. Festgehalten hat er die dabei gesammelten Erfahrungen in folgenden Werken: Politischer Essay über das Reich Neuspaniens und Physische Aspekte des Reich Neuspaniens im Vergleich mit Europa und Südamerika. Unterschiede der Formation. Einfluss dieser Unterschiede auf das Klima. Landwirtschaft und militärische Verteidigung des Landes. Zustand der Küsten20. Im letztgenannten Werk beschreibt Humboldt Mexikos Staatsgebiet, seine Wirtschaftsstruktur, klimatologische Bedingungen, Seismizität, Vulkanismus, ... 18 “Extracto de las cartas que el Barón Alexandro Humboldt escribió a su hermano, Residente de S.M. Prusiana en Roma”, (1803) S. 267 – 287, in Anales de Historia Natural 18. 19 idem 20 Vgl. Trabulse, Elías (1992): Historia de la Ciencia en Méjico. Vol. V. Siglo XVIII. Estudios y Textos. Conacyt. FCF. 24 Die “Geologie” und Alexander von Humboldts Reise durch Iberoamerika (1799-1804) Nicht unerwähnt bleiben soll diesbezüglich sein Besuch des Königlichen Bergbauseminars in Mexiko, genauer gesagt, das sich dort ereignende Wiedersehen mit seinem ehemaligen Freiberger Kommilitonen Andrés Manuel del Río, der sich seit 1794 in Mexiko aufhält. Del Río veröffentlicht 1794 “Elemente der Oryktognosie (Böden, Gestein und Salze)”. Der zweite Teil “Brennstoffe, Metalle und Felsen” erscheint 1805 mit einem Anhang über “Geologische Pasigrafie” unter Mitarbeit Humboldts. Seine Ankunft ist ein großes Ereignis im Seminar. Den Gast überrascht seinerseits das hohe Niveau der Bildungsstätte und lobt in seinem Essai Politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagne die Laboratorien und den allgemein hohen Wissensstand im königlichen Seminar. “Wofür sich Del Río besonders interessiert, ist die Anerkennung eines von ihm entdeckten Metalls durch Humboldt.” Del Río händigt dem Gast Ergebnisse seiner Untersuchungen und Forschungsberichte zur Veröffentlichung in Deutschland aus. Humboldt kehrt nach Europa zurück und Del Río wartet vergebens. Dass Humboldt die Neuigkeit Del Ríos nicht bekannt gibt, ist nicht alles. Zehn Jahre später lässt er sogar zu, dass ein Franzose dieselbe Entdeckung veröffentlicht. Del Río ist mit seiner Geduld am Ende und schreibt Humboldt einen denkwürdigen Brief, der 181921 in Spaniens “Mercurio” als Zeugnis der Enttäuschung erscheint: “Andrés entdeckte 1801 ein Metall, das er wegen der reichen Farbigkeit seiner Oxyde, Trennungen und Fällungen erst ‘Pancromo’ und später ‘Erythronium’ nannte ... . Von Sefströn 1830 wiederentdeckt wird es auf Anregung Berzelius ‘Vanadin’ genannt, zu Ehren der Göttin der skandinavischen Mythologie Vanadis.” Del Río bleibt nach der Unabhängigkeit in Mexiko, wo er bis zu seinem Tod (1849) einen Lehrstuhl innehat. Noch 1846 beklagt er in “Die Elemente der Oryktognosie” den zu Ehren der skandinavischen Göttin gewählten Gesteinsnamen: “Eine mexikanische Göttin, in deren Boden es entdeckt wurde, hätte schon vor 30 Jahren Anspruch darauf gehabt.” Diese Anekdote ist von Trifonov und Trifonov 1980 ganz ähnlich dargestellt worden22. 21 Amorós, José Luis (Ed.) (1985): Elementos de Orictognosia. Edición facsímil. Editorial de la Universidad Complutense. 22 Como fueron descubiertos los elementos químicos. (1984). Moskau: Editorial Mir S. 123 ff. 25