Pflegevisite in der Psychiatrie
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Pflegevisite in der Psychiatrie
PRAXIS | 975 Autorin: Katrin Leipold Qualitätssicherung Pflegevisite in der Psychiatrie Regelmäßig mit dem Patienten über seinen Pflegeprozess sprechen – das ist die Intention der Pflegevisite. Dass davon auch Patienten und Pflegende in einer psychiatrischen Klinik profitieren, zeigt das Beispiel des Klinikums am Michelsberg, Sozialstiftung Bamberg. ie Pflegevisite ist ein Instrument zur Qualitätssicherung in der Pflege. In der stationären Altenpflege wird sie vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) gefordert, im Krankenhaus nicht. Allerdings gibt es Pflegevisiten in Krankenhäusern, beispielsweise im Klinikum der Universität München (1). Da in psychiatrischen Kliniken die Verweildauer deutlich höher ist als im somatischen Bereich, bietet sich hier die Pflegevisite an. Mithilfe der Pflegevisite können der Pflegeprozess beurteilt, der Behandlungsverlauf gesteuert und die Kundenzufriedenheit sowie die Organisationsstrukturen verbessert werden. Insgesamt kann durch die Pflegevisite die Pflege- und Versorgungsqualität der Einrichtung gesteigert werden. Dieses Ziel verfolgt auch die Einführung in der Psychiatrischen Klinik der Sozialstiftung Bamberg (Klinikum am Michelsberg). D Was ist eine Pflegevisite? In der Literatur findet sich noch keine einheitliche Definition des Begriffes Pflegevisite. „Bei der Pflegevisite handelt es sich um regelmäßig stattfindende Gespräche zwischen den betreuenden Pflegepersonen und dem Patienten. (…) In dem Gespräch Die Schwester Der Pfleger 49. Jahrg. 10|10 Fotos: iStockphoto geht es im weitesten Sinne um den Pflegeverlauf, rückblickend und für die weitere Planung“ (2). Diese sehr allgemeine Definition wurde im Rahmen der Einführung in Zusammenarbeit mit den Stationsleitungen präzisiert: Die Pflegevisite ist ein Gespräch der Bezugspflegekraft mit dem Patienten über dessen Pflegeund Behandlungssituation. Ziel ist die Optimierung des Pflegeprozesses, die Überprüfung der Pflegeplanung, die Anpassung von Behandlungsangeboten und die Steigerung der Kundenzufriedenheit. Die Pflegevisite trägt dadurch zur Qualitätssicherung bei. Die in Abbildung 1 aufgeführten Ziele wurden dabei explizit herausgearbeitet. Patient steht im Mittelpunkt Die Stationsleitung wählt anhand festgelegter Kriterien einen Patienten für die Pflege- 976 | PRAXIS visite aus und vereinbart mit der Bezugspflegekraft hierfür einen Termin. Zur besseren Strukturierung der Arbeitsabläufe sollte dieser Termin regelmäßig an einem bestimmten Tag, zu einer bestimmten Zeit stattfinden. Kriterien zur Patientenauswahl sind: schwierige, stagnierende Behandlungsverläufe, unzufriedene Patienten, Angehörige oder Betreuer, Ersterkrankung, erster Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik, mehrere Wiederaufnahmen innerhalb kurzer Zeit. Der Patient wird zwei Tage vorher von der Bezugspflegekraft über den Termin und die Inhalte der Pflegevisite informiert. Bei der Pflegevisite steht der Patient im Mittelpunkt. Er hat die Möglichkeit, Angehörige oder Betreuer zu diesem Gespräch einzuladen. Die Bezugspflegekraft führt die Pflegevisite durch. Weitere Teilnehmer sind die Stationsleitung und nach Absprache Auszubildende oder auch die Pflegedienstleitung. Durchführung Als Erstes führen die Bezugspflegekraft und die Stationsleitung ein Vorgespräch, das nicht länger als zehn Minuten dauern sollte. Hierbei werden die Aktualität der Pflegeplanung und die gesamte Dokumentation auf ihre Vollständigkeit hin überprüft. Des Weiteren wird überlegt, welche Ziele mit dem Patienten erreicht werden sollen und welche Maßnahmen dazu beitragen können. Die Pflegevisite sollte ungestört und in einer ruhigen Atmosphäre stattfinden, da es sich um ein vertrauliches Gespräch handelt. Der Patient wird am Gespräch aktiv beteiligt und kann seine Wünsche, Bedürfnisse und Bedenken äußern. Es wird mit ihm über das aktuelle Befinden, die Entwicklung seit der Aufnahme und die Entlassplanung gesprochen. Es erfolgt eine Überprüfung der Pflegeplanung mit dem Patien- Ziele der Pflegevisite in der Psychiatrie Abb. 1 Patientenbezogene Ziele – – – – – – – Bedürfnisse des Patienten erkennen und ernst nehmen Beteiligung am Pflegeprozess Pflegeprozess transparent gestalten Überprüfung der Patientenzufriedenheit Verbesserung der Pflegequalität Überprüfung des Behandlungspfads/-plans Rechtzeitige Entlassplanung Mitarbeiterbezogene Ziele – – – – – Reflexion der eigenen pflegerischen Handlung Steigerung der Berufszufriedenheit Darstellung der geleisteten Pflege Erweiterung des Fachwissens und des beruflichen Selbstverständnisses Verbesserung der Pflegesprache und Kommunikationskultur Leitungsbezogene Ziele – – – – Qualitätsmängel erkennen und beheben Fortbildungsdarf erkennen Beurteilung des Pflegeprozesses Verbesserung der Dokumentation Unternehmensbezogene Ziele – Wirtschaftlichkeit (Materialaufwand) – Verbesserung der Organisationsstrukturen ten. Dabei ist es wichtig, neue Probleme zu benennen, Ressourcen des Patienten einzubeziehen, Ziele zu definieren und Maßnahmen festzulegen. Die Teilnahme an den Therapieangeboten und deren Nutzen sowie mögliche Änderungen der Angebote sollten ebenfalls Inhalte des Gesprächs sein. Falls erforderlich, sollte auch über die nachstationäre Versorgung gesprochen werden. Im gesamten Verlauf wird der Patient motiviert und ermutigt, Wünsche, Anregungen und Beschwerden oder auch Fragen anzubringen. Am Ende sollten die Ergebnisse nochmals zusammengefasst werden, um diese für alle zu verdeutlichen. Das Gespräch selbst sollte eine Dauer von 20 Minuten nicht überschreiten. Die Bezugspflegekraft als Moderator ist für die Zeiteinteilung verantwortlich. Nachbereitung Am Ende erfolgt eine Nachbesprechung des Gesprächs zwischen Stationsleitung und Pflegekraft. Hier wird die Qualität der Gesprächsführung, das Er- reichen der vorab besprochenen Ziele und die Dokumentation der Visite auf den vorhandenen Formularen und gegebenenfalls die Änderungen der Pflegeplanung besprochen. Falls erforderlich, sind Informationen an das multiprofessionelle Team weiterzugeben. Einführung erfolgte schrittweise Im Rahmen eines Seminartages wurden die Stationsleitungen und Stellvertretungen mit dem Instrument „Pflegevisite“ vertraut gemacht. Diese überlegten in Arbeitsgruppen (3): Wie muss die Pflegevisite organisiert und strukturiert sein (Häufigkeit, Dauer, Auswahl des Patienten)? Was muss überprüft werden, um eine Beurteilung vornehmen zu können (Checkliste)? In welcher Form erfolgt die Rückmeldung? Aufbauend auf diese Veranstaltung und die Arbeitsgruppen wurden verschiedene Formulare erstellt: Checkliste zur Pflegevisite: Sind alle wesentlichen Punkte Die Schwester Der Pfleger 49. Jahrg. 10|10 PRAXIS | 977 angesprochen worden? Hat der Patient alle Angebote erhalten? Wissen des Pflegepersonals zur Beurteilung des Fortbildungsbedarfs, Dokumentationsblatt zum Verbleib in der Patientenakte, Informationsblatt für die Mitarbeiter über die Ziele und das Vorgehen bei der Pflegevisite (wie hier beschrieben) (3). Inhalte der Checkliste Die Inhalte der Checkliste (3) sind gedacht für die Vorbereitung auf das Gespräch, die Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit der Dokumentation sowie die Pflegeplanung und die darin formulierten Probleme, Ziele und Maßnahmen. Für die Durchführung selbst werden das Befinden des Patienten, seine Wünsche und Ziele, der benötigte Unterstützungsbedarf, die zukünftige Planung und die Patientenzufriedenheit abgefragt. Des Weiteren wird erhoben, ob notwendige Prophylaxen angewendet werden. Im letzten Teil werden folgende Inhalte in Bezug auf den Mitarbeiter abgefragt: Pflegefachsprache und Fachwissen der Pflegekraft, Einsatz von Hilfsmitteln, Überprüfung des therapeutischen Angebots und des Behandlungspfades, Erreichung von Teilzielen, die Entlassplanung und die Abstimmung mit dem ärztlich-therapeutischen Team. Die Checkliste wird im anschließenden Nachgespräch zur Beurteilung der Qualität mit herangezogen. Die Einführung der Pflegevisite erfolgte schrittweise über einen Zeitraum von sechs Monaten (Oktober 2007 bis März 2008) auf den einzelnen Stationen. Die Stationsleitungen wurden dabei G M Gandersheimer Modell von der Autorin während ihres Praktikums im Rahmen des Studiengangs Pflegemanagement begleitet. Höhere Zufriedenheit, bessere Compliance Sowohl für die Pflege als auch für den Patienten haben sich seit der Einführung durchweg positive Aspekte gezeigt. Die Patienten empfinden die Pflegevisite als deutliche Wertschätzung ihrer Person und bringen sich in das Gespräch ein, sodass die Pflege- und Entlassplanung explizit nach ihren Bedürfnissen gestaltet wird. Nach jeder Pflegevisite ergeben sich Änderungen in der Pflegeplanung. Die Entlassplanung wird konkretisiert, und die eigentliche Entlassung kann somit reibungsloser vorgenommen werden. Die dadurch gesteigerte Zufriedenheit und die entgegengebrachte Wertschätzung wirken sich in hohem Maße auf die Compliance des Patienten aus. Es geht sogar soweit, dass sich einzelne Patienten eine Pflegevisite wünschen oder andere Patienten dafür vorschlagen. Die Pflegekräfte werden durch die Pflegevisite selbstbewusster und arbeiten eigenverantwortlicher, die Pflegefachsprache hat sich verbessert. Die Pflegevisite gibt der Stationsleitung die Möglichkeit, Mitarbeiter im Bereich der Personalentwicklung zu unterstützen und ihnen Lob und Anerkennung entgegenzubringen. Außerdem werden die Pflegehandlungen und die Kommunikation reflektiert. Mitarbeiter können zeigen, welche Fähigkeiten in ihnen stecken und dadurch Anerkennung und die notwendige Zufriedenheit im Beruf erlangen. Zudem wird eine individuelle Förderung ihrer Kompetenzen möglich. Mittlerweile ist die Pflegevisite fester Bestandteil im Stationsgeschehen und trägt in hohem Maße zur Steigerung der Ergebnisqualität bei. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wurde, nach anfänglichen Schwierigkeiten, durch die Pflegevisite verbessert, andere Berufsgruppen fragen mehr nach und bringen sich ein. Die Ängste, die vonseiten der Pflegekräfte zu Beginn geäußert wurden, haben sich nicht bestätigt. Patienten fühlen sich gut angenommen und äußern, dass ihnen durch die Pflegevisite erst bewusst wird, was die Pflege für sie leiste (4). Die eingeführten Checklisten haben sich bewährt und werden in allen Bereichen eingesetzt. Somit zeigt sich, dass der anfängliche Aufwand sich gelohnt hat und das Instrument Pflegevisite die Qualität der Pflege deutlich gesteigert hat. Literatur: (1) Morawe-Becker, U.: Die Pflegevisite. Regelmäßig mit dem Patienten über seinen Pflegeprozess sprechen. Die Schwester Der Pfleger 1/2004, S. 8–11 (2) Kellnhauser, E.; Schewior-Popp, S.; Sitzmann, F.; Geißner, U.; Gümmer, M.; Ullrich, L. (Hrsg.): Thiemes Pflege, Stuttgart 2009, S. 257–258 (3) Konzept zur Pflegevisite, Checklisten und Dokumentation, Informationsblätter, Klinikum am Michelsberg, Sozialstiftung Bamberg 2007 (4) Ochs, C.: Positive Aspekte, Vortrag zum Thema Pflegevisite am 06.06.2008, Klinikum am Michelsberg, Sozialstiftung Bamberg 2008 Anschrift der Verfasserin: Katrin Leipold, Dipl.-Pflegewirtin (FH), Pflegedienstleitung Elisenstift Schillingsfürst Emil-Helmschmidt-Straße 2 91583 Schillingsfürst E-Mail: [email protected] www.gandersheimer-modell.de Basiskurse Wundexperte ICW e.V. TÜV-Zertifizierung E-Learning-Kurse Wundexperte ICW e.V. TÜV-Zertifizierung Rezertifizierungskurse Wundexperte ICW e.V. HoppeConsult · Pölle 27/28 · 06484 Quedlinburg · Tel.: 03946 / 973495 Die Schwester Der Pfleger 49. Jahrg. 10|10