Nicki Minajs Twerking als kulturelle Praxis

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Nicki Minajs Twerking als kulturelle Praxis
 Schwarze Positionen: Nicki Minajs Twerking als kulturelle Praxis zwischen Selbstermächtigung und sexueller Objektivierung. Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung, dem Landesprüfungsamt für Erste Staatsprüfungen für Lehrämter an Schulen vorgelegt von: Antonia Steiner Köln, den 16.11.2015 Gutachter: Prof. Michael Rappe Hochschule für Musik und Tanz Köln
Anyone who transforms or interrupts the gender binary is doing us all a favour. Gloria Steinem 1. EINLEITUNG 1 1.1 Zum Kulturbegriff: Schwarz*/weiß und über die Unmöglichkeit als weiße Autorin über Schwarze* Kultur zu schreiben 2 1.2 Präkonzepte und Vorurteile meinerseits 5 2. FEMINISMEN: EINE FRAGE DER IDENTITÄT 7 2.1 Performativität und Gender bei Judith Butler – oder wie entsteht Identität? 7 2.2 Frau & Schwarz* noch dazu 17 2.2.1 Intersektionalität 17 2.2.2 Body Politics: Rassisierte, stereotype Frauenbilder und Sexualität 21 2.2.3 Women of Color im Hip Hop: keepin’ it real 27 2.5 „Du Stück“: Der weibliche Körper als Fragment 35 2.5.1 Fetisch und ‚Male Gaze‘ 35 2.5.2 Gestatten: Der Hintern ... im kolonialen Diskurs 37 2.5.3 Der „oppositionelle Blick“ 39 3. MOVING BODIES 41 3.1 Tanz als afroamerikanische Kulturtradition 41 3.2 ‚Work it, twerk it, Baby!‘: Sexuelle Stereotypen in Musik und Tanz 43 4. NICKI MINAJ: THE MODERN QUEEN OF HIP HOP 46 4.1 Biographische Eckdaten 46 4.2 Barbie / Monster / Fashion-­‐Ikone: Der Körper als Projektionsfläche 47 5. NICKI MINAJ: „ANACONDA“ 49 5.1 Die Kontroverse um das Single-­‐Cover 49 5.2 Anaconda – der Clip 52 5.2.1 Dichte Beschreibung 54 5.2.2 Das Sample Baby Got Back: musikalisches Signifyin’ 58 5.2.3 Lyrics und Kontext 59 5.3 Verstehen: „I came dressed to kill – who wanna go first?“ 61 5.3.1 Referenzen zu Baby Got Back 61 5.3.2. Im Dschungel 62 5.3.3 Tanzszenen und Fitnessraum 63 5.3.4 Die Obstküche 64 5.3.5 Der Lapdance und Whirlpool 65 5.4 Be-­‐Deutung-­‐en: „You could be the King but watch the Queen conquer“ 65 5.4.1 Gegengelesen: Baby Got Back 65 5.4.2 Anaconda: Twerkin’ -­‐ Selbstermächtigung oder Unterwerfung? 68 5.5 Kritische Rezeption von Schwarzen* Frauen 71 6. BILDUNGSPROZESSE 74 6.1 Und was ist mit den Kindern? Pädagogische Gedanken 74 6.2 Gebrochene Rezeption / Grenzen der eigenen Lesart 74 7. AUSBLICK 76 8. LITERATUR-­‐ UND QUELLENVERZEICHNIS 77 1. Einleitung 1 1. Einleitung Mit ihrem Musikvideo Anaconda (2014) spaltete die vielgepriesene Rapperin Nicki Minaj die öffentliche Meinung: ist das Selbstermächtigung oder doch nur fleischiger Ausverkauf? Welche Inhalte werden hier vermittelt? Neben, wie gewöhnlich, viel nackter Haut steht vor allen Dingen der Hintern der Künstlerin sowohl im Video als auch auf dem Cover der Single im Mittelpunkt, so dass in den USA kurzerhand der „parential-­‐advisory“-­‐Aufkleber helfen musste, zu verdecken, was nicht zu übersehen war. In meiner Arbeit untersuche ich die Positionierung eines Schwarzen* weiblichen Rap-­‐ und Popstars in einer von Männern dominierten Branche. Wie kann Schwarzer* Feminismus im Hip Hop und Pop heute aussehen? Hip Hop ist ein reiches, vielschichtiges und hochkodiertes System kultureller Zeichen, „das sich im Spannungsfeld oraler (afrodiasporischer) Erzähltraditionen und den sozioökonomischen und technologischen Bedingungen der postindustriellen Stadt entwickelt hat“ (Rappe 2010: 9). Um dieses kodierte Zeichensystem verstehen zu können, werden im ersten Teil dieser Arbeit relevante Kontexte erörtert, die substanziell für das Verständnis und die Analyse des Musikvideos sein werden. Hip Hop entstand als Gegenkultur der Bronx der 1970er und 80er Jahre. Die Gewalt der Straßengangs wurde zunehmend in Kreativität umgewandelt, deren Ziel jedoch ein Ähnliches war. Es ging um das Überleben in einer Gesellschaft, die Menschen of Color eine gesellschaftliche Teilhabe verwehrte. „Einen Stil zu finden, mit dem keiner klarkommt“ (ebd.) war folglich ein Akt des ‚Sich-­‐Einschreibens‘ in ein kulturelles Gedächtnis, eine Möglichkeit der Identitätsstiftung. Zunächst beschäftige ich mich mit der Frage, wie Identität und damit verbunden Geschlechtsidentität entsteht (Kapitel 2.1). Wie wird man in der westlichen Welt zur Frau? Daran anschließend werden in Kapitel 2.2 die besonderen, gesellschaftlichen Bedingungen von Schwarzen* Frauen ins Auge gefasst (Kap. 2.2.1), welchen Zwängen ihre Körper und ihre Identitäten unterliegen (Kapitel 2.2.2) und welche Stellung sie innerhalb der Hip Hop Kultur einnehmen (Kap. 2.2.3). Die Objektivierung von Frauen passiert durch den fetischisierenden, hegemonial-­‐männlichen Blick, dessen Wirkungsweisen in Kapitel 2.5 dargelegt werden. Der Fetisch agiert als eine wirkungsmächtige Komponente im rassistischen Diskurs über Schwarze* weibliche Körper (Kap. 2.5.1) und in der öffentlichen Fokussierung auf den Schwarzen* weiblichen Po (Kap. 2.5.3). Ein subversives, afroamerikanisches Konzept des „oppositionellen Blicks“ (Kap. 2.5.4) wird anschließend daran vorgestellt und für die Analyse des Videoclips nutzbar gemacht. In Kapitel 3 wird ein Verständnis von Tanz beleuchtet, das oralen Kulturtraditionen zugrundeliegt (3.1) und diametral von jenem der Schriftkulturen abweicht. Die kulturellen Wurzeln des Twerkings (3.2) finden sich in der westafrikanischen Tanztradition. Daran anschließend folgt ein kurzer biographischer Einblick in das Leben der Nicki Minaj und ihr Verständnis von Identität (Kap. 4.2). Eine dichte Beschreibung von Minajs Video 1. Einleitung 2 Anaconda (Kap. 5) zeigt Widerstandsstrategien der Schwarzen* amerikanischen Hip Hop Kultur auf. Es geht darum, sich Bedeutungen anzueignen und sie zu flippen, um eine spezifisch Schwarze* weibliche Perspektive sichtbar zu machen und sich gegen dominierende Normvorstellungen zu behaupten. Nicki Minaj präsentiert sich als sexuelles Subjekt und löst sich aus den Fesseln der männlichen Sicht (Kap. 5.4; 5.5). Die sexuelle Objektivierung des weiblichen Pos wird in unzähligen Hip-­‐Hop Liedern besungen. Das von Minaj gesampelte Lied Baby Got Back war die Po-­‐Hymne der 90er Jahre. Es ist als Kontext für Minajs Anaconda unerlässlich und wird in den Kapiteln 5.2.2 und 5.4.1 analysiert und gegen den Strich – gegen die dominante Lesart – gelesen. In Kaptiel 6 reflektiere ich eigene Bildungsprozesse und ihre Grenzen (Kap. 6.2) und Chancen einer Auseinandersetzung mit Schwarzen* feministischen Werken als Bildungsmaterial für Schülerinnen und Schüler (Kap. 6.2). Im Ausblick (Kap. 7) wird angedacht, dass Brüche der Grenzen von Kategorien fruchtbar und nutzbar gemacht werden können, wenn man bereit ist, die Unsicherheiten auszuhalten. 1.1 Zum Kulturbegriff: Schwarz*/weiß und über die Unmöglichkeit als weiße Autorin über Schwarze* Kultur zu schreiben In ihrem Roman Americanah schreibt die nigerianische Autorin Chimamanda N’gozie Adichie an ihre eigene Biographie angelehnt, wie die afrikanische Protagonistin Ifemelu ihr Studium in den USA antritt und dort zum ersten Mal mit dem Konzept konfrontiert wird, Schwarz* sein zu müssen. Nach der Lektüre dieses Romans kristallisierte sich mein Interesse für diese Arbeit heraus. Obwohl ich mit dem Thema Rassismus vertraut war, bevor ich den Roman las, wurde ich mir erst durch die Lektüre eindrücklich über die kulturelle Konstruiertheit von Farbunterschieden bewusst. Ich hatte es vorher nicht geschafft, meine eigene weiße Perspektive zu reflektieren, sondern war als wohlwollende Weiße in meiner gelernten, kulturellen Sichtweise verankert. Eindrücklich war es deshalb, weil ich dachte, dass wohlwollend ausreichend sei, um die Wirrungen und Ungerechtigkeiten unserer Kultur zu verstehen. Das ist bis dahin nicht verwunderlich, sondern der Mehrheit entsprechend ‚normal‘. Mir war bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich verständlich, dass ‚diese Theorien‘ über Rassismus, die mir schon bekannt waren, so weitreichend wahr waren, dass diese Konzepte von Schwarz* und Weiß ‚wirklich nicht natürlich‘ sind. Ich hatte nie bedacht, dass Schwarze* Menschen, die in einer überwiegend Schwarzen* Gesellschaft aufwachsen, sich selbst nicht als Schwarz* wahrnehmen. Von meinem weißen Standpunkt aus, hatte ich vorher annähernd folgendes gedacht: „Der Kolonialismus hat dazu geführt, dass die Schwarzen* Menschen abgewertet worden sind und der daraus folgende Rassismus ist immer noch in unseren Köpfen vorhanden.“ Aber, dass die Menschen Schwarz sind, war ja klar – sieht man doch. Erst durch dieses Buch wurde mir bewusst, dass die Menschen genauso 1. Einleitung 3 wenig über sich als Schwarze* nachdenken, wie ich über mich als Weiße. Ich halte meine Privilegien und meine Hautfarbe für ganz normal – jeder ist so, wie er halt ist. Aber wenn ich über Rassismus und Hautfarbe nachdenke, ist mir klar, dass die Anderen Schwarz sind und ich bin normal – die Armen. Durch dieses Buch wurde mir das erste Mal fühlbar – und damit begreifbar – gemacht, dass das Konzept Schwarz* nicht nur rassistisch, überdies keinesfalls ‚natürlich‘ ist, sondern ein vereinfachendes, stereotypes Bild von einem ganzen Kontinent abgibt (oder ist Afrika doch ein Land?). Und dieses ewige „Die sehen aber doch wirklich anders aus“, versteht man dann als Ausrede, wenn man bedenkt, dass wie viele unterschiedliche Hautfarben und Aussehen unter ein und dem selben Label markiert werden? Ifemelu schreibt in ihrem Blog: „Dear Non-­‐American Black, when you make the choice to come to America, you become black. Stop arguing. Stop saying I’m Jamaican or I’m Ghanaian. America doesn’t care. So what if you weren’t “black” in your country? You’re in America now. […] And admit it – you say “I’m not black“ only because you know black is at the bottom of America’s race ladder. And you want none of that. Don’t deny now. […] And here is the deal with becoming black: You must nod back when a black person nods at you in a heavily white area. It is called the black nod. It is a way for black people to say “Your are not alone, I am here too.“ In describing black women you admire, always use the word “STRONG“ because that is what black women are supposed to be in America. If you are a woman, please do not speak your mind as you are used to doing in your country. Because in America, strong minded black women are SCARY“. (Adichie 222) Adichie dekonstruiert Rassismus nicht anhand bekannter Schwarzer* oder weißer Perspektiven, wie beispielsweise der ‚bösen‘, hegemonialen Weißen oder der ‚guten‘, afrozentrischen Schwarzen*. Ihre originelle, afrikanische, Schwarze* Sichtweise durchbricht die gewohnten kulturellen Lesarten und zeigt eine individuelle Perspektive auf. Sie schafft es, dass man beim Lesen Ifemelu schlicht als Ifemelu wahrnimmt und verweigert jegliche positive sowie negative Zuschreibungen von außen. Sie zeichnet einen komplexen Menschen, der in kein Label passt und man auch nicht dieses Verlangen spürt, das unsere in Binaritäten denkende Kultur in uns eingepflanzt hat, die Andersartigkeit von Menschen benennen zu müssen. Dieses „Ich möchte ja nicht rassistisch klingen, aber die mit dem Afro...“. Dieses „wie beschreibe ich die Person jetzt ohne rassistische Merkmale zu benutzen – aber eigentlich warum nicht? Das ist ja offensichtlich, wie wenn jemand rote Haare oder Sommersprossen hat“. Die hegemoniale Lesart, die kulturellen Normen, die in unseren Gedanken kreisen, jemanden als Anders – dick, hässlich, krank, behindert, Schwarz*, mit großen Brüste oder schrägen Zähnen – benennen zu müssen. Alles was Abnorm ist, zieht unser Verlangen an, es zu benennen und dadurch zu beherrschen. Die Macht der Sprache, der Fremdzuschreibung und der Genuss der Beherrschung des Anderen sind Privilegien der Mehrheitsgesellschaft, über die sich die meisten Mitglieder jener nicht bewusst sind. Ifemelu schreibt: „Dear American Non-­‐Black, if an American Black person is telling you about an experience about being black, please do not eagerly bring up examples from your own life. Don’t say ‘It’s just like when I ...‘ You have suffered. Everyone in the world has suffered. But you have not suffered precisely because you are an American Black. Don’t be quick to find 1. Einleitung 4 alternative explanations for what happened. Don’t say ‘Oh, it’s not really race, it’s class. Oh, it’s not race, it’s gender. Oh, it’s not race, it’s the cookie monster‘. You see, American Blacks actually don’t WANT it to be race. They would rather not have racist shit happen. So maybe when they say something is about race, it’s maybe because it actually is?[...] Don’t say ‘The only race is the human race.‘ [...] Don’t preface your response with ‘One of my best friends is black‘ because it makes no difference and nobody cares and you can have a black best friend and still do racist shit.“ (Americanah: 327) Genau wie die Deutsche Noah Sow (2009), beschreibt Ifemelu die Macht der Zuschreibungen und der hegemonialen Gesellschaft, deren Mitglieder sich – in meinem Falle, und ich breche hier eine Lanze für die ‚Gutmeinenden-­‐RassistInnen‘– dieser Machtausübung nicht in ihrem Ausmaß bewusst sind. Es gibt viele andere Beispiele in denen People of Color beschreiben, was man als Weiße/r* als selbstverständlich und normal annimmt, aber in Wirklichkeit Teil rassistisch-­‐begründeter Privilegien ist. Auf verschiedenen Internetseiten kann man Nachhilfe 1
im Weißsein bekommen und erfährt welche Verstöße man durch rücksichtsloses und auch 2
durch unwissendes Verhalten begeht . Noah Sow listet eine ganze Reihe von Privilegien auf, die zeigen, dass die Macht der Zuschreibung nur bei der herrschenden weißen patriarchalischen Mehrheitsgesellschaft liegt. Das Privileg der Selbstdefinition haben die ‚Anderen’ nicht, sie bekommen ihre Namen von uns und müssen dann mit ihnen bzw. unter ihnen leben. Sie müssen zu dem werden, was wir für sie auserkoren haben (mehr zu Konzepten von Sprache, Macht und Identität in Kap. 2.1). Beim Sprechen über dieses Buch wurde es zu meinem Verlangen über diese starke Protagonistin zu sprechen und sie nicht als Schwarze* Frau zu benennen, sondern nur ihren Namen zu nennen, wie den der Autorin -­‐ den ich auswendig gelernt habe, um nicht in dieses: „das ist so ein schwerer, afrikanischer Name. ‚Chimamama‘ irgendwas -­‐ ist Afrikanisch, schwierig auszusprechen“ – auszuweichen. Zuerst wollte ich in dieser Arbeit das Wort Schwarz* groß schreiben und mit Sternchen, damit deutlich wird, dass schwarz kein farbliches Adjektiv ist, sondern ein kulturell-­‐konstruierter Begriff, der eine heterogene Gruppe von Menschen unter dieser Bezeichnung zusammenfasst. Es handelt sich also nicht um natürliche Tatsachen. Es gibt verschiedene Konventionen, wie Schwarze* Menschen sich selbst definieren, um ihre spezifische, rassisierte Erfahrung in einer weißen Mehrheitsgesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Einer davon ist das großgeschriebene ‚Schwarz’ (vgl. Sow 2009)‚ ein anderer ist der Begriff ‚People of Color‘. Beide Ausdrücke werden in dieser Arbeit verwendet. Je länger ich mich mit der Arbeit beschäftigt habe, desto stärker war meine Einsicht, dass ich auch weiß* als solches markieren möchte, damit diese Kategorie auch als genauso konstruiert dargestellt wird. Dies tue ich bewusst nicht, weil ich der spezifischen, rassistischen Erfahrung Schwarzer* Menschen nicht die weiße* Erfahrung – quasi als genauso konstruiert -­‐ gegenüberstellen möchte (ähnlich der „Black Lives Matter vs. All lives Matter“-­‐Logik). Wenn auch die weiße Farbgebung genauso konstruiert ist, hat sie doch ganz andere lebensweltliche Realitäten zur 1
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zum Beispiel hier: http://afrogermanrebel.com/2015/06/10/wer-­‐ist-­‐eigentlich-­‐deutsch/* http://www.deutschlandschwarzweiss.de/nachhilfe_im_weisssein.html 1. Einleitung Folge. Um die marginalisierten 5 subversiven Möglichkeiten der Schwarzen* Lebensbedingungen nicht zu relativieren, sind solche Begriffe nicht gleichsetzbar, weil sie diametral unterschiedliche Machtverhältnisse wiederspiegeln. Dieses Verlangen ist also wiederum durch eine privilegierte, weiße, rassistische – immerhin zunächst gut gemeinte – Sicht geprägt. Die Unmöglichkeit der vereinfachenden Festschreibung oder Exotisierung des ‚Anderen‘ zu entkommen, erläutert Rappe (2010), ist ein „unauflösbarer Widerspruch [...]. [I]ndem ich von ‚blackness‘, ‚black‘, ‚schwarzer‘ Musik oder von ‚afroamerikanischer‘ Kultur, Gesellschaft und Geschichte spreche, stelle ich sie gleichzeitig als das ‚Andere‘ in den Mittelpunkt des Interesses. [...] Um der Gefahr der Essentialisierung zu entgehen, betrachte ich daher ‚black‘ als eine diskursiv hergestellte Differenz‘.“ (Rappe 2010: 102) Dies gilt auch für diese Arbeit: hier geäußerte Beschreibungen können nicht als vereinfachte Darstellungen verstanden werden. Mit Rappe (ebd.) möchte ich feststellen, dass „[w]enn ich also von ‚blackness‘, Black Music oder afroamerikanischer Kultur rede, meine ich nie ausschließlich die Hautfarbe oder die Fixierung auf eine bestimmte (natürliche oder kulturell erzeugte) Eigenschaft“ (ebd.: 124). Man muss immer die realen Vielheiten und die Heterogenität dieser Begriffe mitdenken, die jeglicher reduzierender Festschreibung von Menschen entgegen stehen. Die Begriffe Schwarz*, People of Color, afroamerikanisch sind folglich als kulturell konstruierte, vereinfachende Konzepte zu verstehen, deren Anspruch es nicht ist und nicht sein kann, die komplexen Individuen, die sie zu beschreiben versuchen, in ihrer Vielschichtigkeit als Menschen erfassen zu können. Mit dem Hintergrund dieser gedandlichen Auseinandersetzungen möchte ich in diese Arbeit einen kleinen Einblick in die sogenannte Musikkultur der ‚Black Music‘ geben. Anhand des Videos Anaconda von Nicki Minaj soll aufgezeigt werden, wie die Künstlerin ihre Positionen als Schwarze*, als Frau, als Musikerin, als Künstlerin verhandelt und wie sie den Tanz des Twerkin’s dafür nutzt. 1.2 Präkonzepte und Vorurteile meinerseits Angelehnt an die Grounded Theorie, eine qualitative Methode der Sozialforschung, möchte ich im folgenden Abschnitt versuchen, meine eigenen Präkonzepte offenzulegen und habe dafür eine essayistische Form gewählt. Die Reflexion des eigenen Standpunktes dient der Verortung der Wissensproduktion. Sie soll ihre Ausgangsposition und damit die kulturelle Einbettung verdeutlichen, die wiederum Rückschlüsse auf sonst verdeckte Machtverhältnisse zulässt. Als ich den Videoclip "Anaconda" das erste Mal sah -­‐ in einer Gruppe von FreundInnen -­‐ musste ich lachen, genau wie manch Andere/r. Wieder Andere starrten etwas verunsichert auf den Schirm oder schüttelten grinsend den Kopf: „Alter, was geht denn da?“ 1. Einleitung 6 Die Posen der Damen im Videoclip hatten ihre Wirkung nicht verfehlt und ich merkte, dass einige Verwirrung im Raum war. Was sollte man da jetzt zu sagen? Wo konnte man das einordnen? Ist das peinlich? Ist das ‚bitchy‘? Kann die ›ihre Brüste‹ mal einpacken? Oder sollte man einfach nur cool bleiben: „Ja und? Schon tausend mal gesehen“. Da mich das Thema Schwarzer* Feminismus schon länger interessierte und ich in meinem literatur-­‐wissenschaftlichen Englischstudium die Werke Schwarzer* Autorinnen gelesen hatte, mir daher die rassisierte und sexualisierte Unterdrückung schwarzer Frauen bekannt war, dachte ich darüber nach, ob vielleicht noch etwas Anderes dahinter stecken könnte außer „Sex sells“. Aber erst einmal konnte ich nicht reagieren – wie auch? Ich informierte mich über Nicki Minaj und war überrascht eine scheinbar sehr intelligente Frau in Interviews von ihr kennenzulernen. BANG, BANG, BANG. Wie passte das zusammen? Selbstbestimmung bedeutete in meiner eher von Lauryn Hill geprägten Welt, dass sich Frauen anziehen und nicht aus. Aber die Frau fing an mich zu interessieren -­‐ zwischen Ablehnung, voyeuristischer Neugier und der Frage, ob da vielleicht doch mehr dran ist als ich dem Ganzen zugestehen wollte. Es folgten YouTube Video Clips über das Twerkin' und das Thema dieser Arbeit kristallisierte sich immer mehr heraus. Wochen später fuhr ich einen Freund in Israel besuchen. Wir liefen gerade vor den Stadtmauern von Alt Jerusalem, als er nichtsahnend anfing über ‚dieses Video‘ zu sprechen. „Hast du mal ‚Anaconda‘ gesehen?“ -­‐ Ich: „Ja.“ -­‐ Er: „Wolltest du dich da als Frau nicht erschießen?“ -­‐ Jetzt musste ich laut lachen. Super. „Doch! Wollte ich.“ In die Anfangssituation zurückversetzt, erinnerte ich mich, wie beobachtet und ertappt ich mich gefühlt hatte: Wie verhalte ich mich jetzt? Wie finde ich das überhaupt? Das ist so anzüglich, unziemlich, vergnüglich, diesbezüglich ungezügelt, beflügelt ausgeklügelt? Keine Ahnung. „Ich schreibe darüber meine Arbeit. Bin mir auch noch nicht sicher, was ich davon halten soll.“ 2. Feminismen: eine Frage der Identität 7 2. Feminismen: eine Frage der Identität 2.1 Performativität und Gender bei Judith Butler – oder wie entsteht Identität? 3
In den Arbeiten Judith Butlers werden sowohl Geschlechterrollen (“gender“) als auch das biologische Geschlecht („sex“) als soziale Konstruktionen dargestellt. Angelehnt an poststrukturalistisches Denken zeigt sie auf, wie soziale Wirklichkeiten erst durch den Diskurs über sie entstehen. Unser Blick auf die Welt ist, so Butler, „diskursiv gerahmt“ (Villa 2003: 18), d.h. wir können nur in den Kategorien denken, die uns durch unsere Sprache zur Verfügung stehen. Unsere Konzepte der Wirklichkeit sind dadurch immer vom Diskurs über sie geprägt. Diskurs bezeichnet hierbei ein System des Sprechens und Denkens, welches das, was wir wahrnehmen, in bekannte oder denkbare Kategorien gliedert und organisiert (vgl. Villa 2003: 20). Sprache ist in der poststrukturalistischen Theorie also keineswegs objektiv oder deskriptives „Abbild reiner Tatsachen“ (Villa 2003: 20): sie ordnet und kategorisiert unsere Weltsicht, formt Hierarchien und übt somit Macht aus (vgl. Villa 2003: 20). Gerade in Bezug auf Geschlechtsidentitäten „ist diese erkenntnistheoretische Perspektive keineswegs trivial. Sie bedeutet nämlich, dass zwischen uns und den angeblich natürlichen Sachverhalten des Geschlechts wie Chromosomen, Hormonen, Hirnfunktionen oder Triebausrichtungen unausweichlich Diskurse stehen“. (Villa 2003: 24) Das Abstreiten der Natürlichkeit des Geschlechtes -­‐ und somit auch dessen natürlicher Ordnung -­‐ wurde und wird als ebenso radikale wie fragwürdige These rezipiert und kritisiert (vgl. Vogt 2006: 21) -­‐ die gottgegebene Legitimation des royalen Penis ist dahin. Diese „‚Kulturalisierung‘ und ‚Diskursivierung‘ der Geschlechterkategorie" (ebd.: 21) führt zu der Annahme einiger Kritiker, dass das Subjekt an sich in Butlers Werken so weit dekonstruiert wird, dass am Ende nichts von ihm übrig bleibt. Butler möchte jedoch nicht, so Villa (2003: 41), das Subjekt an sich abschaffen, einzig weil sie nicht davon ausgeht, dass ein Subjekt einfach existiert, sondern immer erst im produktiven Diskurs entsteht und entstehen muss, um zu dem zu werden, was benannt und angesprochen wurde (vgl. ebd.: 42; 46). Sie unterscheidet zwischen einem konkreten und realen ‚Jemand‘, der wir sind, und den Subjektkategorien, durch die ‚wir‘ im Diskurs entstehen -­‐ Namen, Eigenschaften, Titel, Anreden, Pronomen (vgl. ebd: 42). Im Prozess der „Subjektivation“ (Butler) werden wir als komplexe Menschen (und selbst das Wort Mensch beinhaltet in unserem Kulturkreis schon 3
Die englischen Begriffe „gender“ und „sex“ haben im Deutschen keine wörtliche Entsprechung, deswegen spreche ich von Geschlechterrollen („gender“) und biologischem Geschlecht („sex“) (vgl. Villa 2003). 2. Feminismen: eine Frage der Identität 8 die Geschichtlichkeit vom Verständnis des Menschen als Konzept: ‚Männern und Frauen‘) den Bedeutungen des jeweiligen Diskurses gebeugt, der unsere Subjektwerdung ermöglicht. „Dieser Prozess ist die »diskursive Identitätserzeugung« (PdM,8), die immer und unausweichlich stattfindet, da wir uns nicht der Sprache/der Diskurse wie einem Werkzeug bedienen [können; Anm. d. V.], sondern durch diese ins Leben gerufen werden" (ebd.: 41f.). Die Kategorien, in denen wir Subjekt werden (Frau, weiß, Studentin), sind schon vor uns da und wurden durch ihre Geschichtlichkeit geprägt. Diesen Kategorien liegt also keine immanente Wahrheit oder Essenz zugrunde, vielmehr sind sie in ihren spezifischen gesellschaftlichen Kontexten entstanden und tragen diese spezifischen kulturellen Bedeutungen in sich, die auf die Zeit, in der sie geäußert werden, bezogen sind (vgl. ebd.: 42f.). In meinem Falle könnte man fragen, was bedeutet es in unserer Kultur eine weiße Studentin zu sein? Butler etabliert auf diese Weise eine „neue Lesart des Subjekts" (ebd.: 41), 4 indem sie aufzeigt, dass der Subjektbegriff der Moderne durch seinen ontologischen Anspruch, ‚bestimmte Bedeutungen fixiert und damit eine Definition des Subjekts totalisiert, die aber nur eine Mögliche von vielen ist‘ (vgl. ebd: 44). Da Butler den Wahrheitsanspruch des ontologischen Subjektbegriffs und des ontologischen Denkens entkräftet, indem sie aufzeigt, dass es die ‚Essenz‘ der Dinge und der Menschen in dem Maße nicht gibt, sondern sie immer eine sprachlich vermittelte und als solche historisch und kulturell geprägte ist, „zielt [sie] darauf, das Subjekt für immer neue Deutungen, neue Lesarten und neue Existenzformen jenseits ontologischer Anweisungen zu öffnen" (ebd.: 45). Am Beispiel des Feminismus gesprochen dekonstruiert Butler zwar die Kategorie ‚Frau‘ und zeigt auf, dass es keine Essenz oder Natur der Kategorie ‚Frau‘ gibt, aber nicht um in letzter Instanz den Feminismus abzuschaffen (mit der Logik, wenn es so keine ‚Frauen‘ gibt, gibt es auch keinen Feminismus). „Der Feminismus braucht die Frauen, aber er muss nicht wissen ›wer‹ sie sind“ (Butler 1993 zitiert in Villa 2003: 41). In der Subjektwerdung müssen einige Eigenschaften in den Vordergrund treten, damit sich das Subjekt als ‚xy‘ benennen lässt, andere müssen dafür aber unsichtbar gemacht werden. „Je spezifischer Identitäten werden, desto mehr wird eine Identität eben durch diese Besonderheit totalisiert“ (Butler zitiert in ebd: 48). Nach Butler kann ein Subjekt nur durch Ausschließungen konstituiert werden: „Unsichtbar wird das gemacht, was man nicht ist, was aber gleichzeitig konstitutiv zu dem gehört, was man als Subjekt ist“ (ebd: 48). Zur Identität Frau gehört in unserer Kultur und Zeit also existenziell, dass sie nicht-­‐Mann ist; heterosexuell ist nur das nicht-­‐homosexuelle Verlangen. Dieser Zirkelschluss scheint vorerst banal. Unserem Verstehen, unserer Sprache grundlegende binäre Denkstrukturen spielen jedoch eine 4
Butler wird dafür kritisiert, dass sie von ‚einem modernen Subjektbegriff‘ spricht, der so vereinfachend der Komplexität in westlicher Geschichte und Philosophie nicht gerecht wird (vgl. Villa 44). 2. Feminismen: eine Frage der Identität 9 mächtige Rolle bei Identitätskonstruktionen und unserer Weltauffassung, vor allem wenn sie zunächst unreflektiert und als natürlich gegeben verstanden werden und somit ihre Machtstrukturen verdeckt bleiben. Wenn ich in dieser Arbeit von ‚Machtstrukturen‘ und ‚Unterwerfung‘ spreche, bediene ich mich eines poststrukturalistischen Vokabulars -­‐ keiner Verschwörungstheorie -­‐ das keineswegs eine absichtsvolle Handlung beschreibt, die von allwissenden Mächtigen (Männern) oder Ähnlichem ausgeht. Es sollen damit vielmehr gesellschaftliche Strukturen und ihre Wirkungsweisen offengelegt und kritisiert werden können und niemand, kein Mensch, nicht Mann und Frau, befindet sich nach Foucault außerhalb der Macht. Es gibt also keinen Ort, der diesen Machtstrukturen, die durch unser eigenes Denken und Sprechen geformt werden, nicht unterliegt. In dem Sinne verstehe ich den Poststrukturalismus als Anstoß, zur Reflektion und damit zur Handlungsermächtigung innerhalb dieser Strukturen, in denen wir uns bewegen. Dieser Gedanke wird weiter unten ausgeführt werden. Butler verfolgt eine Identitätenpolitik, in der mögliche Subjektkategorien offen bleiben und keine feste „Identität“ zugeschrieben werden kann. Die Anrufung einer Person als »Mutter«, »Schwarze«, »Mann«, »Lesbe«, »Jude« reduziert diese Person in dem Augenblick auf eine einzige Identität (vgl. ebd.: 48). „Die konkrete Vielfalt und Besonderheit eines jeden Individuums wird im Kontext, in dem eine Anrufung wirkt [oder man diese für sich in Anspruch nimmt, Anm. d. Verf.], überblendet zugunsten eines Titels, einer Identität“ (ebd.: 48). Butler legt dar, wie durch die Sperrung anderer möglicher Identitäten, ein Subjekt erst zu dem werden kann, was es ist. Eine Frau muss also alle Merkmale, die sie als nicht-­‐Frau identifizieren würden, ausschließen um sich als Frau identifizieren zu können (vgl. ebd.: 49ff.). Dieser Vorgang hat, so Butler, auch eine politische Dimension. „Die verworfenen Möglichkeiten »kehren als [...] nach außen projizierte Figuren der Verwerflichkeit zurück« (KvG, 156), und müssen immer wieder »niedergemacht und begraben« werden (ebd.). Genau dies geschieht mit denjenigen Subjektformen und Identitäten, die nicht den hegemonialen Normen entsprechen, jenen Körpern etwa, die kein politisches oder soziales »Gewicht« haben, weil sie als verwerflich gelten.“ (Butler zitiert in ebd.: 54) Butlers Subjekte sollen sich als „abhängig“ und „verstrickt“ (ebd.: 55) anerkennen; man kann nicht einfach sein, ‚wer man ist‘, sondern muss immer auch Teile seiner selbst im produktiven Diskurs -­‐ jener, der einen als Subjekt konstruiert -­‐ begraben. Hierin entstehen jedoch Möglichkeiten für „kritische Handlungsfähigkeit“ (ebd.: 55), indem diese Anerkennung nicht zur Kapitulation des Subjekts führt, sondern zur Einsicht, „dass den komplexen Beziehungen zwischen Diskurs und Subjekt Freiheitsgrade innewohnen“ (ebd.: 56). Das Potenzial Butlers »postsouveräner Subjekte« liegt in ihrer Fähigkeit zur reflektierten Eigenermächtigung und ihrem Kampf für Selbstbestimmung über ihre Kategorien. ‚Instabil‘ sind also allenfalls die subjektformenden Kategorien. Die Subjekte selbst können durch fluktuierende Identifizierungsprozesse eigene Spielräume ausloten und Freiheiten gewinnen. 2. Feminismen: eine Frage der Identität 10 „Erst wenn sich das Subjekt nicht mehr als notwendigerweise souverän beziehungsweise autonom denkt, kann es die Verhältnisse, die es hervorbringen, auch kritisch variieren. [...] Das postsouveräne Subjekt agiert im Spannungsfeld von diskursiver Konstitution und sprachlicher Reiteration (Wiederholung): Es ist nicht autonom, es weiß dies auch -­‐ aber es ist auch nicht vollkommen determiniert und kann auch dies wissen.“ (ebd.: 57) Fremdzuschreibungen sollen so an Wirkmächtigkeit verlieren bzw. Potenzial zur Rückeroberung bekommen. „Das Subjekt ist niemals vollständig konstituiert, sondern wird immer wieder neu entworfen (subjected) und produziert“ (Butler 1993 in ebd.: 44), deswegen braucht der Feminismus die Kategorie ‚Frau‘, aber nur insofern er reflektiert, dass diese Kategorie niemals abgeschlossen und fest definiert sein kann. Man kann im Butlerschen Sinne ‚nicht wissen, wer jemand ist‘, sondern sich nur darauf einlassen, dass die Kategorie ‚Frau‘ zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt in einem bestimmten Kontext Subjekte auf eine Art definiert, die, um sie beschreiben zu können, viele der Subjekteigenschaften verleugnen muss. “Postsouverän bedeutet dann, sich der geschichtlichen Füllung und Prägung dieser Begriffe pragmatisch bewusst zu sein, sich aber davon nicht abschrecken zu lassen“ (ebd.: 57). Butler beschreibt einen »Sprachkampf« (ebd.: 57). Da sich die Bedeutungen von Begriffen im ständigen Wandel befinden, geht es darum, Begriffe immer wieder neu zu definieren, sie mit neuen Bedeutungen „zu füllen und zu leben“ (ebd.: 58). Butler denkt mit diesem Verständnis davon, wie sich Menschen im Diskurs und diese vom Diskurs zu Subjekten geformt werden, weiter in die Richtung, auf welche Weise nun Identitätsformation mit Geschlechtskörpern und Formen von Verlangen zusammenhängen. Dabei ist die feministische Überzeugung von Bedeutung, dass man nicht als Frau auf die Welt kommt, sondern zur Frau gemacht wird (vgl. ebd.: 61). Die Wirkungsweisen von sozialen Strukturen auf Frauen und Männer und was es gesellschaftlich bedeutet, eine Frau zu sein, sind grundlegende Anliegen von feministischen Bewegungen und Theorien. Butler geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie die Geschlechterkategorie ent-­‐naturalisiert (vgl. ebd.: 59). Während viele Feminismen zwischen den Kategorien ‚sex‘ und ‚gender‘ unterscheiden, möchte sie aufzeigen, dass auch die Kategorie ‚sex‘ -­‐ also der Geschlechtskörper -­‐ nicht „vorsozial“ (ebd.: 59) und rein natürlich, anatomisch so existiert, wie es im hegemonialen Diskurs angenommen wird. „Das Geschlecht umfasst ideologische Aspekte, Sexualitäten, körperliche Erfahrungen und Materialitäten, Identität, Subjektivationsprozesse, Diskurse, Politik, Macht, Geschichte“ (ebd.: 59). Um diese Vielschichtigkeit aufzudecken, sucht Butler zunächst, die Risse und Brüche in der ontologischen Verstehensweise von Geschlechtern auszumachen. Sie beschreibt hegemoniale Diskurse und Normen wie beispielsweise die der „Zwangsheterosexualität“ als beständige Verfehlung, weil sie -­‐ zur idealen Norm erhoben -­‐ in dieser Form tatsächlich unerreichbar und unrealisierbar bleibt, und daher zum „Fetisch“ avanciert (vgl. Villa 64). Wie werden also nach Butler „intelligible, also sinnvolle, sozial verstehbare Geschlechter konstituiert“ (ebd.: 66)? Butler spricht hier von „Beziehungen der Kohärenz und Kontinuität“ (Butler zitiert in ebd.: 64), die zwischen dem Geschlechtskörper 2. Feminismen: eine Frage der Identität 11 (sex), der „Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praktik und dem Begehren" (ebd.: 64) aufgebaut und durch eine intelligible Geschlechtsidentität aufrechterhalten werden (vgl. ebd.: 64). Wenn man die sexuellen Praktiken und das Begehren unter Begehren zusammenfasst, bleibt eine scheinbar natürliche Dreifaltigkeit von sex, gender und Begehren, die Butler unter Bezugnahme auf Foucault als nicht natürlich gegeben aufdeckt. Foucault legt dar, „wie sich historisch das herausgebildet hat, was uns so geläufig ist, nämlich die Vorstellung einer inneren, ursprünglichen Wahrheit unseres Selbst, die sich besonders authentisch in unserer Sexualität offenbart. Sexualität sei in der Moderne, so Foucault, zum bevorzugten Ort der Wahrheit des Subjekts geworden“. (ebd.: 65) Mit der Einführung der kirchlichen Beichte sei eine „paradigmatische abendländische »Sozialtechnik« des Geständnisses“ (Foucault zitiert in ebd.: 65) historisch gewachsen, die nach einer Wahrheit in der Offenbarung des zuvor persönlichsten Raumes sucht. Durch das Bekennen und Benennen-­‐Müssen von Sexualpraktiken und Begehren, die in alten Zeiten dem reinen Lustgewinn zugeschrieben waren und nicht der durch den wissenschaftlichen und medizinischen Diskurs aufgekommenen Pathologisierung des Abnormalen, wurde das Begehren zu subjektformenden Kategorien erhoben (vgl. Wilchins 2006). „Sage mir, wie und wen du begehrst, und ich sage dir, wer du eigentlich bist -­‐ so lautet, verkürzt und markig formuliert, das von Foucault formulierte Sexualdispositiv der Moderne“ (ebd.: 65). Wilchins (2006) zeigt ausführlich auf, in welcher Weise historisch gewachsene Diskurse der Medizin, der Biologie, der Gesellschaftstheorien und die wachsende Bedeutung der Ratio, die seit der Aufklärung im sogenannten Westen jeden Lebensbereich zu verstehen und durchdringen suchte, diesen Verbund der Dreifaltigkeit von sex, gender und Begehren naturalisierte (vgl. Wilchins 2006). „Diese Logik, so die Kritik Foucaults, sei jedoch weder naturgegeben noch zwingend wahrer als andere Formen der Verknüpfung von Sexualität und Subjekt“ (ebd.: 65). Als bekanntes Beispiel soll hier das Werk von Shakespeare genannt sein, in dem Sexualität noch wesentlich fluktuierender gedacht wird und als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse gelten darf, was aber der Breite der Rezeption und der Schultauglichkeit über-­‐lesen oder ent-­‐
sexualisiert, unseren Vorstellungen gemäß resignifiziert wird. So wird zu Shakespeares Zeit davon ausgegangen, dass der -­‐ bei uns so festgeschriebene Geschlechtskörper -­‐ ganz ohne chirurgische Eingriffe verwandelbar ist. Es gibt nämlich nur ein ‚Geschlechtsteil‘, das entweder nach innen gestülpt oder nach außen ausgeformt ist und körperliche Bewegung kann zum Beispiel dazu führen, dass sich dieses ‚Geschlechtsteil‘ nach außen stülpt oder sich wieder nach innen zieht. In Twelfth Night wird das anhand der Metapher des „Shevral Gloves“ verdeutlicht. Dieser Ziegenlederhandschuh kann immer -­‐ raus, rein, raus, rein -­‐ umgestülpt werden. Die sexuelle Vieldeutigkeit und Lust am doppeldeutigen Wortspiel, wird dem altehrwürdigen Shakespeare in heutiger Rezeption oft überlesen oder ent-­‐sexualisiert. Sexualpraktiken sind also nicht natürlich festgeschrieben, sondern historisch, gesellschaftlich gewachsen. Foucault beschreibt die politische Dimension des modernen Sexualitätsdispositivs als "politisch regulierte Konstitutionsform des modernen Subjekts" 2. Feminismen: eine Frage der Identität 12 (ebd.: 65). Die Kirche und der Staat konnten durch die Steuerung des Begehrens der Menschen Macht ausüben bis in ihre privatesten Räume hinein. Auch wenn kein menschlicher Kontrollkörper anwesend war, traten an seine Stelle Vorstellungen von Normalität und Abnormität, die die letzte Ecke der Psychen durchdrangen und bei der Beichte abgefragt und erneuert wurden (vgl. Wilchins 2006). Butler beschreibt Diskurse von Normen, Abnormen und Pathologisierungen als »institutionalisierte Wunschvorstellungen« (Butler zitiert in ebd.: 63) und damit als „Regulierungsverfahren“, wodurch die anscheinend natürlichen „subjektbezogenen Wahrheiten der Sexualität“ (ebd.: 65) erzeugt werden und nicht natürlich, vordiskursiv existieren oder existierten. Im Gegenteil, ein Blick in die Geschichte zeigt auf, dass diese Normen erst entstanden und dann naturalisiert worden sind. Butler geht aber noch darüber hinaus, indem sie darlegt, dass Ursache und Ziel dieser Regulierungsverfahren in der Heterosexualität zu finden sind, die sie als „Zwangsheterosexualität“ betitelt (vgl. ebd.: 65f.). „Zwangsheterosexualität meint die hegemoniale Norm, »normalerweise« heterosexuell zu sein, und die daraus resultierende Unsichtbarkeit beziehungsweise Pathologisierung anderer Sexualitäten“ (ebd.: 66). Der Zwang erfolgt hier wiederum bei der Selbstkonstitution eines Menschen. Es gibt kein Subjekt vor der Annahme eines Geschlechtes und der dazugehörigen ‚richtigen‘ sexuellen Identität. Da unsere Vorstellungen von Menschen begründet liegt in der Vorstellung von ihnen als entweder Mann oder Frau, gibt es keine Chance sich als Person zu konstituieren ohne eine Geschlechtsidentität anzunehmen. Wenn ich mich also als ‚normale Frau‘ verstehen möchte, gehört dazu, dass ich meinen Geschlechtskörper als weiblichen betrachte und ihn alle dieser Norm implizierten, gesellschaftlichen Bedeutungen unterordne, dazugehörig mein Begehren als heterosexuell definiere, lange bevor der ausgebildete Verstand darüber entscheiden könnte, eine bewusste Wahl zu treffen (vgl. ebd.: 66f.). „Die Annahme der Heterosexualität als natürlich gegebene, unhinterfragbare sexuelle Identität ermöglicht es, ein »Ich«, ein gesellschaftliches Subjekt zu sein“ (ebd.: 66). Hier kommt auch wieder die zirkuläre Logik des binären Denkens ins Spiel, nach der ich eine Frau bin, weil ich einen bestimmten Geschlechtskörper habe und da ich diesen Geschlechtskörper habe, bin ich eine Frau. Mit dieser unlogischen Verkürzung von Umständen, wird auch Kindern ihre Identifizierung in binären Strukturen erklärt und vorgelebt. Solche Annahmen werden vor allem durch das Argument der Reproduktion gestützt, dass dem Naturalisierungsdiskurs beipflichtet und die Geschlechterfrage qua Gesellschaftserhaltung regelt. ‚Mann und Frau passen natürlich zusammen, da sie Kinder zeugen können‘ -­‐ so oder so ähnlich werden alle Vielheiten und Differenzierungen eingegossen in einen einheitlichen, gesellschaftlichen Ziel-­‐ und Ursprungsgedanken. „Demnach werden alle anderen Formen von Sexualität [...] pathologisiert, zu Anomalien oder uneigentlichen Spielarten erklärt“, beschreibt Villa (ebd.: 66). Die Erhaltung der Gesellschaft wird in vielen Diskursen als oberstes Ziel der Sexualität verhandelt. Butler zäumt das Pferd jedoch von hinten auf, indem sie die „binäre Regulierung 2. Feminismen: eine Frage der Identität 13 der Sexualität“ (zitiert in ebd.: 67) als gewachsene Reaktion und Disziplinierung von Mannigfaltigkeit der Sexualitäten sieht. Die Zwangsheterosexualität ist also eine gewachsene Normvorstellung, die die Vielheiten von Begehren und Geschlechtsidentitäten als unnatürlich darstellen und somit begrenzen soll. Butler verfolgt in gleichen Maßen die Ent-­‐naturalisierung des Geschlechtskörpers und dekonstruiert die angenommene Objektivität des biologischen Körpers, wie etwa „Hormone, Genitalien oder Chromosomen in ihrer Relevanz für die Zuordnung eins Menschen zu einem Geschlecht [als] diskursive Konfigurationen“ (ebd.: 67). Villa zeichnet den Butlerschen Diskurs nach, der nicht so stark auf historisch gewachsene Begebenheiten eingeht, wie dies andere Autoren tun, die in einer „historischen Analyse der Entstehung des modernen, naturwissenschaftlich geprägten Diskurses des biologischen Geschlechtsunterschieds“ (ebd.: 67) leicht aufzeigen können, dass auch dieser Unterschied erst seit Aufkommen der genannten Diskurse über ihn zu einem quasi natürlichen, und vorsozialen stilisiert wurde. Butler beschränkt sich auf ihre einfache, aber deutliche Erkenntnis -­‐ der Diskurstheorie treu bleibend -­‐, dass ein Körper an sich erst durch die Benennung seiner Genitalien zu einem Geschlechtskörper wird. Das Ding ‚an sich‘ trägt noch keine Kategorien (Bsp. Wilchins größe Genitalien). „Werden die natürlichen Sachverhalte des Geschlechts nicht in Wirklichkeit diskursiv produziert, nämlich durch verschiedene wissenschaftliche Diskurse?“ (Butler UdG, 23 zitiert in ebd.: 67). „Die diskursive Verzahnung von Zwangsheterosexualität, Reproduktion und Geschlechtsidentität bewirkt in der (auch nicht-­‐diskursiven) Praxis eine Naturalisierung des binären Systems der Zweigeschlechtlichkeit. Dieses System kommt uns vor wie Natur, auch wenn es diskursiv erzeugt ist. Dies deshalb, weil es alternativlos erscheint und weil es abgestützt wird durch mächtige -­‐ vor allem naturwissenschaftliche -­‐ Diskurse. Uns bleibt keine andere Wahl als entweder Mann oder Frau zu sein, denn »es gibt kein Ich vor der Annahme eines Geschlechts« (KvG, 139)“ (ebd.: 68). Villa formuliert deutlich, wie sex, gender und Begehren in Form der heterosexuellen Norm zusammengedacht werden und eine Trennung zunächst für jede Subjektkonstitution unmöglich ist. Diese Macht, die hier ausgeübt wird, ist eine Form der Gewalt, die besonders deutlich bei Subjekten, die nicht in binäre Kategorien fallen, unmögliche weil unreale Lebensumstände hervorrufen. Villa verdeutlicht in der 2. Auflage der Einführung, wie dringend aber auch geradezu spektakulär die Weisung des deutschen Ethikrats ist, der sich 2012 dafür einsetzte, dass eine dritte Geschlechterkategorie eingeführt werden solle und Menschen mit -­‐ im Sinne der Zweigeschlechtlichkeit -­‐ uneindeutigen Geschlechtsorganen körperlich unversehrt blieben, bis sie volljährig sind und selbst eine Entscheidung über ihren Körper treffen können. Die körperliche Unversehrtheit ist zwar festgeschriebenes Menschenrecht, aber auch hier unterliegen die Bedeutungen davon einer ständigen Auslegung, denn sogenannte Geschlechterkorrekturen sind bei gesunden intersexuellen Babys übliche Praxis, die man also wissentlich den Gefahren einer OP aussetzt, um einen der diskursiven Norm entsprechenden Geschlechtskörper herzustellen. 2. Feminismen: eine Frage der Identität 14 Butler sieht hier Handlungsspielräume wieder an den brüchigen Rändern der Definitionen: da sich diese existenziell dadurch konstituieren, was sie nicht sind -­‐ ein Mann ist zunächst nicht-­‐Frau und umgekehrt -­‐ wird die Natürlichkeit oder anders gesprochen, die Thematik des Originals, brüchig. Da es in einer binären Denkweise, wie Butler aufzeigt, das Original nur durch die Kopie als Original definiert werden kann, wird die Scheinheiligkeit des Naturdiskurses sichtbar. „Das bedeutet, dass das Konzept des Originals der Kopie definitorisch bedarf: Ein Original definiert sich als Nicht-­‐Kopie. Und umgekehrt: Die Kopie ist das Nicht-­‐
Original“ (ebd.: 33). Die Kategorien Mann/Frau, die dazugehörigen Geschlechtskörper und das verzahnte heterosexuelle Begehren, im Diskurs als Norm oder Original dargestellt, kann nie erreicht werden, da es kein eigentliches Original gibt. Butler spricht von einer fortwährenden Annäherung -­‐ man denke hier, an die großen Mühen die Frauen (und Männer) auf sich nehmen um ihre Körper den unerreichbaren Schönheitsnormen anzunähern und beispielsweise auch das letzte Haar an ihren Körpern, Gesichtern zu entfernen (vgl. ebd.: 70). Dadurch wird die Brüchigkeit dieser ach so natürlichen Kategorien deutlich und hier entsteht Handlungsspielraum. In dem zweigeschlechtlichen System der Heterosexualität, „ist ein Mann und eine Frau die eigene Geschlechtsidentität genau in dem Maße, wie er/sie nicht die andere ist“ (Butler UdG, 46 , zitiert in ebd.: 69). Die sich selbst erklärende, tautologische Konstruktion dieser Geschlechtsidentitäten beschreibt Butler als „instabile Angelegenheit“ (Butler KvG 171 zitiert in Villa 2012: 69). Da es kein Original gibt, sondern sich beide Identitäten nur über die Negativfolie des jeweils anderen konstituieren können, kann man auch nie den originalen Status erreichen: „Die Tatsache, daß Heterosexualität immer dabei ist, sich selbst zu erklären, ist ein Indiz dafür, daß sie ständig gefährdet ist, das heißt, daß sie um die Möglichkeit des eigenen Kollapses ‚weiß‘: daher ihr Wiederholungszwang, der zugleich ein Verwerfen dessen ist, was ihre Kohärenz bedroht. Daß sie dieses Risiko niemals beseitigen kann, bezeugt ihre tiefreifende Abhängigkeit von der Homosexualität.“ (Butler 1996, 28 zitiert in ebd.: 70)“ Um eine richtige Frau oder ein richtiger Mann zu sein, muss man also permanent versuchen, sich dem Ideal anzunähern und Bedrohungen des Idealzustandes abwehren. Villa (ebd.: 70) zeigt hier am Beispiel von jungen Männern, die zwar gerne in Schwulenclubs feiern, aber dabei betonen müssen, dass sie selbst niemals schwul wären, wie wichtig das Verneinen von anderen Optionen ist, um sich mehr an das Original zu nähern und der Norm zu entsprechen. Diese „Wiederholungen und Verwerfungen“ (ebd.: 71) sind, so Butler, genauso in der Homosexualität zu finden, denn sie ist als Negativfolie ebenso auf die den heterosexuellen Normendiskurs angewiesen, von dem sie sich abgrenzen muss. „Es ist wichtig, dass wir erkennen, in welcher Weise heterosexuelle Normen in schwul-­‐lesbischen Identitäten erscheinen“ (Butler 1996, 26 zitiert in ebd.: 71). Die These der Performativität des Geschlechts, für die Butler bekannt ist, gründet auf dieser Annahme, dass sex, gender und Begehren nicht natürliche Gegebenheiten sind, sondern immer performativ entstehen und entstehen müssen. Geschlechtsidentitäten werden durch die ständige Wiederholung, 2. Feminismen: eine Frage der Identität 15 Annäherung und Bestätigung ihrer selbst und durch die Ablehnung der ‚Anderen‘ hergestellt (vgl. ebd.: 70f.). „Das Geschlecht ist nie, sondern bleibt ein permanentes Werden. Dieses »Werden« ist bei Butler mit dem Modus »performativ« gemeint“ (ebd.: 71). Der Performativitätsbegriff ist bei Butler, angelehnt an Austins Sprechakttheorie. Demnach stellen bestimmte Sprechakte oder Diskurse die Wirklichkeiten erst her, die sie nur zu beschreiben scheinen (vgl. Villa, Kap. 2). Wichtig ist in Butlers Verständnis, dass die Performativität von Geschlechtsidentitäten nicht etwa beliebig oder gänzlich frei wählbar ist. Der Kritik des Relativismus gegenübertretend, formuliert Butler, dass jede Art von Performativität innerhalb der oben beschriebenen Zwänge entsteht. „Die ‚performative‘ Dimension der Konstruktion [des Geschlechts; d.V.] ist genau die erzwungene unentwegte Wiederholung der Normen. In diesem Sinne existieren nicht bloß Zwänge für die Performativität; vielmehr muß der Zwang als die eigentliche Bedingung für Performativität neu gedacht werden. Performativität ist weder freie Entfaltung noch theatralische Selbstdarstellung, und sie kann auch nicht einfach mit darstellerischer Realisierung (performance) gleichgesetzt werden. Darüber hinaus ist Zwang nicht notwendig das, was der Performativität eine Grenze setzt; Zwang verleiht der Performativität Antrieb und hält sie aufrecht“ (Butler KvG, 133 zitiert in Villa 72). Man muss also sein Geschlecht aufführen, um Subjekt werden zu können. Die Arten und Weisen, wie man dies aufführen kann, sind ebenfalls schon vorgegeben. Darüber hinaus muss die Aufführung selbst als solche verschleiert sein und wird durch die gesellschaftlichen Diskurse als natürlich dargestellt. „Die Geschlechtsidentität [muss folglich] ein Tun sein“ (ebd.72), das den Eindruck einer natürlichen Materie herstellt und daher performativ ist. Die Diskurse bieten die Bühne (vgl. Vogt 2006), auf der die Geschlechtskategorien aufgeführt werden können. Hierbei ist ihre zeitliche Dimension von besonderer Bedeutung. Die Geschichte der Diskurse hat sich in den Bedeutungen der einzelnen Kategorien abgelegt oder „sedimentiert“ (ebd.: 159). Wie schon aufgezeigt wurde, sind Bedeutungen von Kategorien geschichtlich gewachsen und somit wird ihre Vergangenheit und ihr Werdegang in den „potenziell vielfältig und widersprüchlich[en]“ (ebd.: 159) Bedeutungen verwahrt. Die performative Wirkung von Diskursen und auch die der Geschlechteraufführungen ist jeweils abhängig von dem situativen Kontext und der Person, die sie ausführt. Es gibt bei Butler also keine Allgemeingültigkeit von Performativität, das hieße nämlich, dass Diskurse immer und beliebig das erzeugen würden, was sie benennen. Es handelt sich deßhalb um hoch komplexe und situativ abhängige Rituale, die immer wieder in den sozial festgelegten, passenden Situationen aufgeführt werden müssen um dann eine normkonforme Geschlechtsinszenierung zu erreichen (vgl. ebd.: 72). Die Prozesse und Normen können nicht als simpel oder festgeschrieben verstanden werden, nur weil sie als idealisierte Wunschvorstellungen produziert werden. Vielmehr betont Butler, dass das ständige Inszenieren-­‐müssen der Geschlechtsidentitäten darauf verweist, dass diese brüchig und nicht-­‐eindeutig festgeschrieben sein können und ein ständiger Kampf um Bedeutungen stattfindet: 2. Feminismen: eine Frage der Identität 16 „Offensichtlich ist aber, dass die Geschlechtsidentität immer wieder -­‐ und zwar immer wieder anders -­‐ gezeigt, gesehen, ver-­‐handelt, inszeniert werden muss. Performative Akte sind also in Bezug auf die Geschlechtsidentität solche Akte […] die eine angenommene ontologische Substanz des Geschlechts erst realisieren“ (ebd.: 73). Diese „Naturalisierungsstrategien“ sind eine anstrengende Praxis. Als natürliche Geschlechtsidentität zu erscheinen, bezeichnet Butler als „mühsame Aufgabe [...], weil das Tun ständig so wirken muss, als sei es sich selbst ausrückende Natur“ (ebd.: 73). Ein treffendes Beispiel findet Butler in den Aufführungen von Geschlechtsinszenierungen in der Travestie (vgl. ebd.:74). Hier wird die Aufführung von geschlechtskonstituierenden Normen, wie Verhaltensweisen, Körperformen und Erscheinungsbild, durch ihre Scharfzeichnung karikiert. TravestiekünstlerInnen sind oft ‚männlicher‘ oder ‚weiblicher‘ als die ‚Originale‘, weil sie die Bedingungen für ‚Männlichkeit‘ und ‚Weiblichkeit‘ studiert haben und diese quasi in Reinform aufführen können. Sie sind nicht durch die Annahme der Natürlichkeit der Geschlechterkategorien geblendet und können so quasi überdeutlich ‚weiblich‘ oder ‚männlich‘ sein -­‐ hier entfaltet sich das subversive Potenzial der Aufführung. Im Film Paris Is Burning, wo es zusammenfassend um Drag Queen-­‐Bälle schwuler Schwarzer* New YorkerInnen in den 70er Jahren geht, wird eindrücklich erkennbar, dass diese Aufführungen von Weiblichkeit oft besser sind, als ‚echte‘ Frauen sein können, auch und vor allem, weil diese Menschen im alltäglichen Leben außerhalb des geschützen Raumes ihrer Subkultur unter Gleichgesinnten von ihren Aufführungskünsten abhängig sind. Wenn sie dort als ‚Nicht-­‐Originale‘ auffliegen, kann das schwerwiegende Folgen haben, die nicht selten in lebensgefährlichen Situationen enden. Hier möchte ich noch einmal auf die Ernsthaftigkeit der produktiven Zwänge des Heterosexuellen Normdiskurses aufmerksam machen. Wilchins (2006), Butler und hooks (1994) beschreiben mit Nachdruck, welcher körperlichen und seelischen Gewalt Menschen ausgesetzt sind, die sich mit ihren Körpern oder ihrem Begehren außerhalb der Norm bewegen. Sie schildern beispielsweise, wie viele intersexuelle und homosexuelle Jugendliche in den USA vermisst werden, Mordfälle nicht aufgeklärt werden oder nicht auf den Zusammenhang mit ihren sexuellen ‚Abnormen‘ hin geprüft werden und auch das Beispiel der sogenannten „corrective rape“, Vergewaltigungen von homosexuellen Frauen, ist eine mögliche Folge der sichtbaren Andersartigkeit von Körpern, Subjekten und ihrem Begehren. Die Travestie zelebriert das Spiel der Inszenierung, dass der ‚normale‘ Mensch, der in die Norm zu passen scheint, nicht hinterfragt. Dieser Lust an der Wiederholung schreibt Butler das subversive Potenzial zu und verortet hier Handlungsspielräume und Möglichkeiten der Selbstermächtigung. Durch die ständige Neuinszenierung -­‐ denn keine Wiederholung der Geschlechtsaufführung ist die gleiche -­‐ wird Bedeutung ständig neu verhandelt, so kann man mit Bedeutungen spielen und seine eigene Identität neudefinieren und in der ständigen Aufführung den gängigen Idealvorstellungen entziehen, indem man beispielsweise diese karikiert, reflektiert oder als solche entlarvt. Dass dieses Spiel jedoch große politische und 2. Feminismen: eine Frage der Identität 17 reale Folgen haben kann, sieht man an genannten Beispielen der Gewalt. Wer gegen den vorherrschenden Naturalisierungsdiskurs der Zwangsheterosexualität auftritt, muss damit rechnen, von seinen -­‐ bewussten oder unbewussten -­‐ Vertretern als das unterdrückte Andere angesehen zu werden, dass für sie bedrohlich wirken und deswegen zu gelernten oder unbewussten Abwehrreaktionen bis hin zur Gewalt führen kann. „Die kritische Aufgabe besteht [...] darin, Strategien der subversiven Wiederholung auszumachen, [...] und die lokalen Möglichkeiten der Intervention zu bestätigen, die sich durch die Teilhabe an jenen Verfahren der Wiederholung eröffnen, [...] und damit die immanente Möglichkeit bieten ihnen zu widersprechen.“ (Butler zitiert in ebd.: 128) 2.2 Frau & Schwarz* noch dazu So when [Nel and Sula] met, first in those chocolate halls and next through the ropes of the swing, they felt the ease and comfort of old friends. Because each had discovered years before that they were neither white nor male, and that all freedeom and triumph was forbidden to them, they had set about creating something else to be. Their meeting was fortunate, for it let them use each other to grow on." Toni Morrison „Sula“ 2.2.1 Intersektionalität Ihren Status als weder weiß noch männlich verbindet die Protagonistin in Morrisons Sula. Diese doppelten gesellschaftlichen Marker -­‐ Schwarz* und weiblich zu sein -­‐ macht es Sula und ihrer Freundin unmöglich, Freiheit und Erfolg zu erreichen. Schwarze* Frauen waren stets einer zweifachen Entrechtung ausgesetzt, dem Rassismus und der gesellschaftlichen Unterdrückung der Frau. Da sie für ihre Anerkennung als Mensch -­‐ im doppelten Sinne als weißer Mensch und als Gleichberechtigte zum Mann -­‐ umso mehr kämpfen mussten, waren solche Themen, die heutzutage als 'feministisch' bezeichnet werden, jeher Anliegen Schwarzer* AutorInnen: es geht um weibliche Sexualität, um Mutterschaft, körperliche Selbstbestimmung, die sexuelle und rassistische Unterdrückung und die Rolle der Frau in der Gemeinschaft sowie ihre gesellschaftliche Teilhabe (Patterson 2009: 88). Seit den ersten veröffentlichten Schriften Schwarzer Frauen*, den Autobiographien ehemaliger Sklavinnen, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden diese Themen in den verschiedenen Genres von Schwarzen* Autorinnen behandelt. Dazu zählen fiktionale Texte, Poesie, Rap, Memoiren, Liedtexte, Autobiographien (vgl. ebd.: 88) und auch das gesprochene Wort ('Spoken Word'), eine darstellenden Kunstform. Schwarzer* Feminismus und *Schwarze feministische Literaturkritik und Theorie untersuchen, wie die Kategorien von Gender (nicht biologisches Geschlecht); Rasse und jenen der Klassenzugehörigkeit und anderen Subjektpositionen das Verständnis davon formen, was es bedeutet, in einer weißen, kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft 'eine Schwarze* Frau' zu sein (vgl. ebd.: 88). Patterson (2009) zeigt die Entwicklung dieser Denkrichtungen auf, indem er die frühen Texte als exemplarisch für die 2. Feminismen: eine Frage der Identität 18 thematischen Anliegen darstellt und sie somit als Blaupause der heutigen Schwarzen* feministischen und politischen Theorie und Literatur zeichnet, die erst nach den Anstrengungen der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre und der Frauenbefreiungs-­‐
bewegung in dieser Form entstehen konnten. Das soll jedoch nicht bedeuten, dass man Schwarze* Autorinnen in einen beliebigen Zusammenhang bringen und einen feministischen Faden quer durch Genres und Texte spinnen kann. Trotzdem ist die Vorreiterrolle vieler früher Werke und ihr subversives Potenzial insofern zu würdigen, als dass sie den Weg für die heutigen Schwarzen* feministischen Denkrichtungen geebnet haben. Ziele der Anstrengungen des Schwarzen* Feminismus ist es sowohl die gesellschaftliche Gleichberechtigung der Geschlechter zu erreichen, als auch Schwarze* Frauen und ihre kulturellen Beiträge erneut in das historische Narrativ einzuschreiben, aus dem sie überwiegend verbannt worden sind (vgl. ebd.: 90). Diese Vorsätze sollen sexistische und rassistische Unterdrückungsmechanismen offenlegen und dazu dienen, Lösungsansätze zu finden, um gesellschaftliche Unterdrückung gänzlich und damit für alle Menschen zu verhindern. Schwarzer* Feminismus wurde von Anfang an inklusiv, also 'für Frauen und Männer' -­‐ und damit stellvertretend für alle Menschen (cis-­‐gendered, trans, ....) gedacht. Der zu Beginn des Kapitels veranschaulichte doppelte Status wird durch verschiedene Überlegungen in der Theorie konzeptualisiert. Frances Beale (1970) prägt den Begriff der doppelten Gefahr („Double Jeopardy“ ebd.: 90). In einem späteren Aufsatz von Deborah King (1988), wurde 'dieser Gedankengang dahingehend ausgebaut, dass die multiplen Formen der Unterdrückung, wie die der Kategorisierung der Rasse, Gender, Klasse und Sexualität sich nicht einfach addieren, sondern dass ihre Effekte potenziert entrechtend wirken (vgl. ebd.: 91) und eine gesellschaftliche Teilhabe kaum mehr möglich ist. "'The modifier 'multiple' refers not to several, simultaneous oppressions but to the multiplicative relationships among them as well. In other words, the equivalent formulation is racism multiplied by sexism, multiplied by classism" (King zitiert in ebd.: 91). Kimberlé Crenshaw, eine amerikanische Juristin begründete 1995 das Konzept der Intersektionalität, auf das ich näher eingehen möchte. Intersektionalität betrachtet die Überschneidungen und Knotenpunkte ("intersections") der verschiedenen Diskriminierungsformen, um deutlich zu machen, dass jene nicht isoliert und in einem theoretischen Vakuum auftreten. Eine Konzeptualisierung von additiven Diskriminierungen greift deshalb zu kurz und ist nicht dafür geeignet, die realen Auswirkungen multipler Diskriminierung zu untersuchen. „Unter Intersektionalität wird dabei verstanden, dass soziale Kategorien wie Gender, Ethnizität, Nation oder Klasse nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren ‚Verwobenheiten’ oder ‚Überkreuzungen’ (intersections) analysiert werden müssen. Additive Perspektiven sollen überwunden werden, indem der Fokus auf das gleichzeitige Zusammenwirken von sozialen Ungleichheiten gelegt wird. Es geht demnach nicht allein um die Berücksichtigung mehrerer sozialer Kategorien, sondern ebenfalls um die Analyse ihrer Wechselwirkungen.“ (Walgenbach 2012) 2. Feminismen: eine Frage der Identität 19 Als Rechtswissenschaflerin beobachtete Crenshaw zunächst, wie Women of Color in vielen Fällen nicht angemessen durch das Gesetz repräsentiert werden konnten. Mit der Critical Race Theory begründete sie eine „aktivistisch-­‐akademische Bewegung“ (Chebout 2012), die sich zur Aufgabe macht, die Rechtsforschung durch das Thema 'Rasse' bzw. ihre Auslöschung im Gesetz zu ergänzen und insofern ein Bewusstsein für rassistisch-­‐komplexe Problematiken im Zivilrecht zu verankern, dass sich in differenzierteren Auslegungen des Gesetzestextes in Gerichtsverfahren mit Rassenproblematik wiederspiegeln soll. „[Die Critical Race Theory] verdeutlicht rassistische Implikationen von Recht, wie Rassismus und Recht zusammenwirken und wie Recht z.B. durch Colorblindness Rassismus perpetuiert“ (Chebout 2012). In ihrem Aufsatz „Demarginalizing the Intersection of Race and Sex“ (1989) zeigt Crenshaw anhand dreier Entscheidungen des Supreme Court die Fehlerhaftigkeit der US-­‐
Amerikanischen Antidiskriminierungsrechtsprechung auf, die zur Folge hatten, dass Diskriminierungen von Schwarzen* Frauen gerichtlich nicht adäquat geahndet werden konnten (vgl. ebd.). „Die Anerkennung einer spezifischen Diskriminierungserfahrung Schwarzer Frauen [wurde] mit der Begründung [verwehrt], die Kategorie ‚Schwarze Frau‘ sei kein anerkannter eigenständiger Diskriminierungsgrund" (vgl. ebd.). Die Fälle beleuchten rassistische und sexistische Argumentationen, bei denen Schwarze* Frauen entweder nicht als Repräsentantinnen ihres Geschlechts gewertet werden, weil weiße Frauen nicht der gleichen Unterdrückung ausgesetzt waren oder sie werden nicht als ausreichende Repräsentantinnen ihrer Rasse gesetzlich repräsentiert, so dass sie als Schwarze* Frauen nicht für Schwarze* Männer oder Schwarze* Menschen insgesamt gesehen wurden. Das beschriebene Phänomen der gesetzlichen Unterrepräsentation von Schwarzen* Frauen beschreibt Chebout (2012) als „Gleichheits-­‐Differenz-­‐Paradox“ (ebd.). Es besteht darin, dass Schwarze* Frauen dazu gezwungen sind, sich mit einer [Kategorie] -­‐ entweder weiße [Frau] oder [Schwarzer*] Mann -­‐ zu identifizieren und ihr anderes Sozialisationsmerkmal zu verleugnen. Im anderen Fall gelten sie als „Spezialfall der Gruppe ‚Frauen‘ oder der Gruppe ‚Schwarze*‘" (ebd.), also als Minderheit, die sie aufgrund ihrer Inferiorität auch nicht vertreten können: bei Schwarzen Männern sind sie ‚nur Frauen‘ und bei weißen Frauen sind sie ‚nur [Schwarze*]‘. „In allen drei Fällen werden die spezifischen Diskriminierungssituationen Schwarzer Frauen unsichtbar gemacht. Das heißt, Diskriminierungsschutz als Rechtsmechanismus greift für Schwarze Frauen de facto nicht." (ebd.). Chebout (2012) analysiert die Metapher der Kreuzung (intersection) als Verortung Schwarzer* Frauen in der Mitte von jenen gesellschaftlichen Strukturen, die sich überschneiden. Diese Positionierung verdeutlicht, dass die Risiken eines Unfalls steigen, da sie allen Seiten schutzlos ausgeliefert sind und damit Verletzungsrisiken und Schutzbedürftigkeiten auf den Plan gerufen werden. Des Weiteren kritisiere die Metapher Zuständigkeitsproblematiken, die nur für bestimmte Unfallhergänge greifen würden, die 2. Feminismen: eine Frage der Identität 20 genau am Knotenpunkt allerdings nicht zu rekonstruieren seien (vgl. ebd.). „Nicht zuletzt verweist die Metapher auf den komplexen Zusammenhang und die Gleichzeitigkeit all dieser Dimensionen“ (ebd.). Im Kontext von populärer Musikwissenschaft können Anwendungsbezüge des Konzeptes ‚Intersektionalität‘ auf Identitätsfragen von besonderem Interesse sein. Crenshaw (1991) sieht Intersektionalität als Möglichkeit einen Aushandlungsprozess zwischen hybriden Identitäten und der permanenten Notwendigkeit der Gruppenzugehörigkeit in Gang zu setzen (vgl. ebd.:: 1296). Sie betont hier eine Unterscheidung von dem in gewisser Weise ähnlichen Konzept des Antiessentialismus. Im Kontrast zur Intersektionalität beziehe sich dieses häufig auf postmoderne Denktraditionen, welche die Kategorisierung und Essentialisierung von Konzepten als sozial konstruiert und in einem linguistisch binären Differenzsystem verortet sähen. Die Infragestellung von quasi ‚natürlichen‘ Bedeutungen und das Aufdecken ihrer sozialen Konstruiertheit, sind in Crenshaws Augen Verdienste des Postmodernismus. Sie kritisiert jedoch, dass dadurch antiessenzialistische Analysen die reale Wirkmächtigkeit und politische Relevanz dieser Kategorien mitunter verharmlosen oder bagatellisieren können (vgl. ebd.:: 1296). Wenn also eine Denkart des Antiessentialismus zu dem Schluss kommt, dass das Konzept ‚Schwarz‘ und das Konzept ‚Frau‘ sozial konstruiert seien, folgert sich nicht daraus, dass es keinen Sinn macht, diese Konzepte zu reproduzieren, indem beispielsweise solche Subjekte für ihre Rechte als „[konzept] + [konzept]“ zu kämpfen versuchen. Diese Denkweise verhindert gewissermaßen, dass sich Minoritäten anhand ihrer Unterdrückungsmerkmale identifizieren und handeln können, weil sie damit ihre eigene Unterdrückungskategorien reproduzieren würden. Diese Kritik wurde auch in der postkolonialen Theorie durch Gayatri Spivak vertreten: das De-­‐essenzialisieren und Dekonstruieren darf in letzter Konsequenz nicht dazu führen, dass eine politische Handlungsfähigkeit von subalternen Subjekten verhindert wird. Deswegen schlägt Spivak eine vorübergehende essentialisierte Haltung vor, den sogenannten „strategic essentialism“ (vgl. Spivak 1995), um politisch handlungsfähig zu bleiben. „Statt für eine Aufgabe von Identitätspolitiken plädiert Crenshaw für die Bildung von Koalitionen – Intersektionalität könne dabei die Grundlage sein, beispielsweise Verbünde von Frauen und Männern of Color zu rekonzeptualisieren“ (Chebout 2012). Crenshaw (1991) argumentiert außerdem, dass es zu heutiger Zeit zwei bedeutungsvolle Wege der Machtausübung bei sozialen Kategorisierungsvorgängen gäbe: zum einen wird Macht ausgeübt, durch den Prozess der Kategorienbildung selbst. Diese Kategorien mit sozialen und materiellen Wirklichkeiten zu füllen, markiert zum anderen jedoch eine Machtübernahmestrategie (vgl. ebd.: 1297). „At this point in history, a strong case can be made that the most critical resistance strategy for disempowered groups is to occupy and defend a politics of social location rather than to vacate and destroy it." (ebd.: 1297) 2. Feminismen: eine Frage der Identität 21 In diesem Sinne kann ein intersektioneller Ansatz den Blick für das Widerstandspotenzial sozialer Kategorien begünstigen und eine neue Identitätspolitik leiten, bei der Identitäten an Knotenpunkten verankert sind und somit ein ‚Viele-­‐Sein‘ als Normalfall und nicht als Ausnahme konzeptualisiert wird. Er kann also mit der geforderten „Subversion der [festgeschrieben-­‐singulären] Identität“ von Butler (siehe Kap. 2.1) Hand in Hand gehen. Let's face it. I am a marked woman, but not everybody knows my name. "Peaches" and "Brown Sugar," "Saphire" and "Earth Mother," "Aunty," "Granny," God's "Holy Fool," a "Miss Ebony First," or "Black Woman at the Podium": I describe a locus of confounded identities, a meeting ground of investments and privations in the national treasury of rhetorical wealth. My country needs me, and if I were not here, I would have to be invented. -­‐ Hortense Spillers 2.2.2 Body Politics: Rassisierte, stereotype Frauenbilder und Sexualität Stereotype Bilder haben seit der Kolonialzeit die Beziehungen zwischen der westlichen Welt (wir) und der restlichen Welt (denen) geprägt. Hall (2004) beschreibt, wie der Rassismus durch die Aufklärung und der damit einhergehenden Unterscheidung zwischen Natur und Kultur fester Bestandteil des europäischen Denkens wurde. Die zivilisierten und aufgeklärten Gesellschaften Europas definierten sich durch ihre Negativfolie, die unzivilisierten Wilden, die sie in den sogenannten Naturvölkern Afrikas und Amerikas fanden. Die Abwertung der ‚Anderen’ als Wilde legitimierte die weiße Vorherrschaft und ihren Anspruch, die Minderwertigen zu beherrschen, da diese nicht als gleichwertige Menschen anerkannt wurden. Diese Definition der ‚Anderen‘ fungierte als Freibrief und Sündenerlass gleichermaßen, der das Gebot von christlicher Nächstenliebe aushebelte. Die christlich geprägten europäischen Gesellschaften konnten die schlimmsten Verbrechen begehen ohne Bestrafungen fürchten zu müssen. Hall (2004) und Collins (1991) beschreiben, wie Stereotypisierung durch unser Denken in entweder/oder Extremen entstehen kann. Differenz ist zunächst notwendig, um Bedeutungen erzeugen zu können. Deswegen geht jeder Stereotypisierung die Typisierung voraus. Diese arbeitet mit einfachen Kategorien, die sich wiederum auf binäre Positionen stützen. Die auffälligsten Merkmale, die einen Typus ausmachen, werden zu einer Klasse zusammengefasst (vgl. Rappe 2010: 78). In Binaritäten strukturierte Klassen werden aber meist als grundsätzliche Gegensätze definiert (vgl. Collins 1991: 69). Das ist insofern problematisch, als dass diese Gegensätze in den seltensten Fällen eine ebenbürtige 2. Feminismen: eine Frage der Identität 22 Machtbeziehung wiederspiegeln. „One pole of the binary [...] is usually the dominant one, the one which includes the other within its field of operations. There is always a relation of power between the poles of a binary opposition (Derrida 1974)“ (Hall 2004: 235). Merkmalpaare wie weiß/schwarz, Kultur/Natur, intelligent/dumm, fleißig/faul sind nicht gleichwertig, sondern beinhalten je eine positiv und eine negativ konnotierte Eigenschaft. Abstufungen oder feine Unterscheidungen aus den Kategorien fallen weg. Wenn eine Typisierung darüber hinaus so gebraucht wird, dass sie einen Pol als ‚unnormal‘ oder ‚anders‘ klassifiziert, wird die Typisierung zum Stereotyp. Die Grenzen des Typus werden klar definiert und alle realen Vermischungen müssen sich der Definition beugen (vgl. Hall 2004). Das heißt, ein Begriff muss entweder zum einen oder zum anderen Pol zählen. Diese Art der Festschreibung von Differenz geht mit einer ganz konkreten, gesellschaftlichen Machtausübung einher (vgl. Rappe 2010: 78). Die ‚Anderen‘ werden marginalisiert und aus dem gesellschaftlichen Diskurs gezwungen. Sie kommen in Diskursen nur peripher vor, weil sie nicht der Norm entsprechen und diese als ihr definiertes Gegenteil auch nie erreichen können. Sie werden also an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Als ‚Abnorm‘ wird ein spezieller, von der Norm bestimmter Diskurs über sie geführt, welcher stereotypes Wissen über sie als die ‚Anderen‘ produziert. Ich möchte nun darauf eingehen, welche stereotypen Bilder es von Schwarzen* Frauen gibt, wie diese weibliche Sexualität darstellen und auf die Realität Schwarzer* Frauen Macht ausüben. Die in der Kolonialzeit eingeführte Unterscheidung zwischen der zivilisierten westlichen und der wilden restlichen Welt wurde durch die biologische und körperliche Festschreibung von weiß und Schwarz* und aller damit zusammenhängender Konnotationen zementiert. Hall nennt hier „die Kultiviertheit, Lernen und Wissen, ein Glaube an die Vernunft, die Anwesenheit von entwickelten Institutionen, formaler Regierung und Recht und eine ›zivilisierte‹ Selbstbeherrschung in ihrem emotionalen, sexuellen und gesellschaftlichen Leben“ (127) als Assoziationen auf der westlichen, weißen Seite. Dagegen wird auf der Schwarzen* Seite eine Verbindung zur Natur entworfen. Mit ihr wird alles triebhafte in Verbindung gebracht „der offene Ausdruck von Emotion und Gefühl anstelle von Intellekt, der Mangel an ›Zivilisiertheit‹ im sexuellen und sozialen Leben, ein Sich-­‐verlassen auf Brauch und Ritual, und der Mangel an entwickelten zivilgesellschaflichen Institutionen“ (Hall 2004: 127). Pointiert dargestellt steht die Ratio gegen den Körper und ist über das ‚reine Fleisch‘ erhaben. Zur Konstruktion von Identitäten kann hier noch angefügt werden, dass die Ratio als handelndes Subjekt verstanden werden kann – ist sie doch das, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Der Körper ist dagegen auf der Objekt-­‐ oder Tierebene anzusiedeln, dem mit der Aufklärung immer weniger menschliche Qualität zugemessen wird. 2. Feminismen: eine Frage der Identität 23 Die Andersartigkeit wird im Rassendiskurs des Rassismus durch den Schwarzen* Körper repräsentiert. An ihm wird die Differenz der Anderen festgemacht und festgeschrieben. Hall (2004: 128) stellt heraus, wie der Körper zum diskursiven Ort von rassisiertem Wissen wird. Durch die offensichtlichste Differenz von Hautfarbe und körperlichen Merkmalen wurden soziokulturelle Unterschiede und Persönlichkeitsmerkmale abgeleitet, die wiederum im Zirkelschluss eigentlich daraus erklärt werden sollten. Schwarze* Menschen wurden infolgedessen durch die Konstruktion der rassisierten Differenz von Schwarz* und weiß als faul, dumm, sexuell aktiv etc. gewusst. Dieser Prozess der Naturalisierung, Fixierung und Essenzialisierung von rassisierter Differenz entsteht dadurch, dass „die auf das Objekt übertragenen ‚schlechten‘ Attribute als natürliche Eigenschaften angenommen und zu generellen Merkmalen aller Menschen des gleichen Phänotyps deklariert werden“ (Rappe 2010: 79). Analog zur Naturalisierung im Geschlechterdiskurs wird also rassisiertes Wissen über den Diskurs hergestellt („Die Anderen sind faul, triebhaft, dumm, weil sie Schwarz* sind“) und im Anschluss daran als Begründung für die zuvor hergestellte Differenz benutzt -­‐ („Man sieht ja daran dass sie Schwarz* sind, dass sie dumm sein müssen, deswegen ist es natürlich, dass Schwarze* den Weißen unterlegen sind“). Die Unterscheidung zwischen Kultur und Natur als dem ‚Anderen‘ steht im feministischen Denken außerdem in Verbindung mit der Objektivierung von Frauen. Diese sei eng damit verbunden, dass man sie als mit den mütterlichen Instinkten ausgestattete, naturnahe Wesen identifiziert (Collins 1991: 69). Frauen werden als schwächerer Pol zum Mann (Mann/Frau) ebenfalls als die ‚Anderen‘ konstruiert und müssen als Objekte des Patriarchats kontrolliert werden und kontrollierbar bleiben (vgl. ebd.: 69). „As subjects, people have the right to define their own reality, establish their own identities, name their history. As objects, one's reality is defined by others, one's identity created by others, one's history named only in ways that define one's relationship to those who are subject." (hooks 1989: 42 zitiert in Collins 1991: 69) Collins (1991) konstatiert, dass Stereotypen oder „controlling images“ (ebd.: 68) bestehen bleiben, lange nachdem sich die sozio-­‐kulturellen Bedingungen, die sie einst begünstigten, verändert haben. Diese ‚Bilder‘ sind besonders mächtig darin, verschränkte, intersektionale Unterdrückungssysteme zu bestärken und aufrechtzuerhalten (vgl. Collins 1991: 68). Während der Sklaverei wurde die Schwarze* Frau als Eigentum und ökonomisch wertvolle Gebärmaschine für Sklavenhalter angesehen. Dieses Bild prägte die gesellschaftliche Wahrnehmung von Schwarzen Frauen, als entweder genuin mütterlich und fürsorglich oder als sexhungrig und ungezügelt (vgl. Colins 1991: 76). Schwarze* Frauen waren sexuellen Übergriffen ausgesetzt und wurden für die Reproduktion von Kindern als Vermehrung von Eigentum ‚genutzt‘. Ihre Objektivierung -­‐ "they can produce children as easily as animals" (Collins 1991: 76) -­‐ war Legitimation dafür. Die Reproduktionsrechte von Schwarzen* Menschen wurden über die Beherrschung des weiblichen Schwarzen* Körpers kontrolliert. 2. Feminismen: eine Frage der Identität 24 „Um die Vergewaltigung und die sexuelle Ausbeutung der schwarzen Frauen durch den weißen Mann während der Sklaverei zu rechtfertigen, mußte die weiße Kultur eine Ikonographie produzieren, die den schwarzen weiblichen Körper beständig als hochgradig geschlechtsgetrieben darstellte, als die perfekte Verkörperung des primitiven, ungezügelten Erotizismus. So dachten alle, daß schwarze Frauen ganz Körper und kein Geist seien. Die kulturelle Geläufigkeit dieser Vorstellung bestimmt nach wie vor die Wahrnehmung von schwarzen Frauenkörpern“. (hooks 1992: 43) Die stereotypen Vorstellungen Schwarzer* Menschen wurde ab den 1840er Jahren durch populäre Minstrel Shows und später durch das Kino aufgeführt, verbreitet und immer wieder aufrechterhalten (vgl. Rappe 2010: 74). Schwarze* Menschen wurden in den Stereotypen auf die imaginierten Eigenschaften reduziert und so in verschiedenen kulturellen Texten performt. Die ständige Aufführung und Benennung von Andersartigkeit zeigt, um mit Butler zu denken, wie brüchig dieses angeblich natürliche Wissen ist. Eine ständige Wiederholung und Naturalisierung ist notwendig um den kulturellen Kampf um die Repäsentation aufrecht zu erhalten. Stereotypen afroamerikanischer Menschen fokussieren sich häufig auf sexuelle Merkmale. Die weiblichen Figuren werden dabei entweder hypersexualiseirt (Jezebel, Tragic Mulatto) oder entsexualisiert (Mammy, Matriarch) dargestellt. In beiden Fällen erfolgt die Objektivierung der Frauen durch ihre naturnahe Darstellung, die ihre auf Sexualität reduzierten Eigenschaften naturalisiert und essentialisiert. Sie werden also verallgemeinernt auf ihre körperlichen Merkmale festgeschrieben. Die Figur der Jezebel, der sexuell aggressiven, promiskuitiven Hure, war zentral in den weißen, männlichen Imaginationen über Schwarze* Weiblichkeit, „because efforts to control Black women's sexuality lie at the heart of Black women's oppression“ (vgl Collin: 77). Dieses stereotype Bild von wilder, ungezügelter Sexualität, das auch die weiße Sicht auf männliche Sklaven als unzähmbar prägte, diente neben der Naturalisierung und Objektivierung der SklavInnen dazu, sexuelle Übergriffe weißer Männer und das ‚sich eigen Machen‘ fremder Körper zu legitimieren. Die Tragic Mulatto wird als junge, attraktive Frau konstruiert, die durch ihre gemischte Herkunft zwischen den Welten steht und dadurch in weißen Männern ein exotisches Begehren auslöst. Der Konflikt der Rassenmischung kann aber letztendlich nicht gelöst werden. Für sie ist kein Happy End möglich, darum stirbt sie zumeist am Ende einer Geschichte (vgl. Rappe 2010: 76). Der Mammy-­‐Typus verkörpert ein Bild von einer Schwarzen* Frau ohne Sexualität. Meist dicklich und in westlichem Sinne unattraktiv dargestellt, wurde die Mammy als ihren Besitzern ergeben, sanftmütig und mütterlich -­‐ auch zu den Kindern des/der HerrIn -­‐ veranschaulicht. Schwarze* Sexualität wird als Inbegriff der Bedrohung und als Essenz Schwarzer* Körper gelesen. Die Stereotypen lassen zwei Umgangsweisen mit Schwarzer* Sexualität zu: in der einen wird durch eine Hypersexualisierung (Jezebel, Tragic Mulatto), die Möglichkeit eines natürlichen Umgangs mit Sexualität quasi unmöglich gemacht; in der anderen erreicht die Negierung jeglicher Sexualität das gleiche Ziel. In jedem Fall wird dem Schwarzen* Menschen die Fähigkeit zur Intimität versagt. Sexualität als Instinkt und Ausdruck von Intimität, 2. Feminismen: eine Frage der Identität 25 Zärtlichkeit und letzendlich Menschlichkeit wird Schwarzen* Menschen abgesprochen. Ihnen bleibt das Muster der wildgewordenen Vergewaltiger oder willigen Huren oder sie sind kastrierte menschliche Platzhalter, denen Gefühle nur im kontrollierbaren Rahmen erlaubt sind. Schwarze* weibliche Sexualität wird zusätzlich zu diesen dominanten Stereotypen in weiteren Negativbildern dargestellt. Collins (2000) nennt hier noch die kontrollierende Sapphire oder die Matriarchin, die durch ihre Dominanz Schwarze* Männer unterdrückt. Auf solche Stereotypen wird in Kontexten von Gewalt Schwarzer* Männer gegen Schwarze* Frauen zurückgegriffen. Misogynie und Gewalt gegen Schwarze* Frauen werden durch sie gerechtfertigt. Die Frauen werden zu Stellvertretern der rassistischen Bedrohung. Die wahre Entmachtung Schwarzer* Männer, die durch den Rassismus geschieht, findet ein Ventil durch Aggressionen gegenüber den Schwächeren in ihren eigenen Reihen. In der Hip Hop Kultur haben sich weitere Ausformungen der Stereotypen herausgebildet. Im Folgenden sollen einige der weiblichen Stereotypen dargestellte werden, die typischer Weise im Kontext von Hip Hop vorkommen. Diese beziehen sich auf sexuelle Identitäten von Schwarzen* Frauen und legen somit Grundsteine dafür, wie sich Schwarze* Mädchen möglicherweise als sexuelle Wesen verstehen können. Stephens und Few (2007) untersuchen, wie sich stereotype Darstellung Schwarzer* weiblicher Sexualität in kulturellen Produkten Schwarzer* Kultur anhand von sexuellen Skripts in Hip Hop Musikvideos wiederspiegeln. Sexuelle Skripts sind „sexual identity frameworks“ (ebd.: 49), die der Bedeutung von Sexualität in der Indentitätsbildung Rechnung tragen. Es handelt sich um Schemata, die Grundvorstellungen von angemessenem sexuellem Handlungsweisen strukturieren (ebd.: 49). Sie beeinflussen Normen des Sexualverhalten und damit ebenfalls, wie das Individuum sich selbst als sexuelles Subjekt konstituieren kann, ferner wie es selbst und andere dieses ‚Sexualwesen‘ beurteilen können (ebd.: 49). Hip Hop beschreibt sie als „das CNN des jungen Schwarzen Amerikas“ (ebd.: 50). „Hip Hop music videos are the most accessible providers of these sexual script frameworks. Music videos have emerged as some of the most popular genre of television programming among preadolescents. Hip Hop is the most popular genre of music shown on two of the most widely viewed channels among preadolescents and young adults—
Black Entertainment Television (BET) and Music Television (MTV). Through clothing, camera address, and visual images, women in Hip Hop videos are depicted as having both great sexual power and sexual desires (Brown 2000; Roberts 1996; Stephens and Few 2007). The projected sexual scripts not only work to reinforce stereotypical beliefs of viewers living in predominately White communities who have little contact with members of other racial or ethnic groups (Heaton and Wilson 1995; Stephens and Phillips 2005), but also serve as representation of how African American preadolescent women are expected to view themselves“. (Stephens; Few 2007: 51) Durch die Hip Hop Kultur entstanden neue Formen von Stereotypen Schwarzer* weiblicher Sexualität, die als sexuelle Scripts in Musikvideos auftreten. Sie heißen Diva, Freak, Gangster Bitch, Gold Digger, Dyke, Sister Savior, Earth Mother und Baby Mama (ebd.: 51). Ich möchte 2. Feminismen: eine Frage der Identität 26 auf die ersten drei kurz eingehen, da sie später noch von Bedeutung sein werden. Die Diva ist eine nach westlichen Schönheitsstandards strebende Schwarze* Frau, mit geglättetem und aufgehelltem Haar, heller Haut und schlanker Figur. Sie wird als unabhängig wahrgenommen, bleibt aber in ihrem Sexualverhalten der traditionellen Frauenrolle treu, die auf einen Partner fixiert ist, der ebenfalls zentral für ihre Identität empfunden wird (ebd.: 51). Die Figur des Freaks wird denjenigen Frauen zugeschrieben, die ihre eigenen sexuellen Bedürfnisse befriedigen und weder sozialen Status noch Beziehung in den Vordergrund stellen. Ihr geht es um puren Lustgewinn, wobei sie zwar als freie und selbstermächtigte Frau dargestellt wird, was aber mit der Bewertung des „Bad girl“ einhergeht. Ob sie wahre Selbstermächtigung verkörpert oder doch nur eine Facette männlichen Begehrens bedient, wird diskutiert (ebd.: 52). Die Gangsta Bitch ist als Gegenstück zum Gangsta entstanden. Ihr geht es vor allem ums Überleben. Sie wird als emotional abgestumpft konstruiert, ihr geht es nicht um eine Partnerschaft und Sex wird als Mittel zum vorübergehenden Hoch angesehen (ebd.: 52). Die jugendlichen Probanden erkannten und identifizierten sich mit diesen gängigen Skripts. In ihrer Studie wurde herausgestellt, dass junge Schwarze* Menschen sich mit und durch diese Vorstellungen als sexuelle, weibliche Wesen konstituieren und bewerten. Das Freak-­‐Skript wurde durchweg als negativstes Verhalten für Schwarze* Frauen bewertet. Generelle Tendenzen der patriarchalischen Kultur wurden außerdem bestätigt. Männer wurden demnach als der sexuell aktive oder aggressive Part gesehen, während Frauen die Rolle des „Gatekeepers“ (ebd.: 60), also der Pförtnerin, zukam. Der Jungfräulichkeit und ihrer körperlichen Verfassung wurde bei Frauen eine große Bedeutung zugemessen. Sie wurden aufgrund ihres Äußeren bewertet, wonach gesund und kulturell angepasst aussehenden Frauen zugetraut wurde, noch jungfräulich zu sein und keine Geschlechtskrankheiten zu haben. Damit zusammenhängend wurden Frauen mit vielen Sexualpartnern abgewertet, während die jugendlichen Männer mit vielen Sexualkontakten als durchaus positiv empfanden wurden. Stereotype Darstellungen sind, wie andere Begriffe und Bedeutungen auch (vgl. Kap. 2.1), nicht festgeschrieben. In der Hip Hop Kultur haben sich Stereotypen gebildet, die teilweise eine positive Umdeutung oder Rückeroberung durch Schwarze* Menschen und Schwarze* Kultur erfahren (vgl. Rappe 2010: 85). So entstanden Sätze wie „Black is beautiful“ oder Begriffe wie Nigga und Bitch, bei denen negative Zuschreibungen der weißen Gesellschaft angeeignet wurden und durch die eigene, selbstermächtigte Benutzung in eine positive Bedeutung verwandelt wurden. Wenn ein afroamerikanischer Mensch sich selbst als Nigga bezeichnet, entzieht er dem sonst zugeschriebenen ‚Nigger‘ die negativen Konnotationen. Sie/er verweigert die ursprüngliche Bedeutung und nutzt die Macht sich selbst neu als Subjekt zu definieren. „Der symbolische Kampf um die Bedeutung, der immer auch den Kampf um die reale (Sprach-­‐)Macht widerspiegelt, ist somit ein ständiges 2. Feminismen: eine Frage der Identität 27 Aushandeln, ein ständiger Kampf ziwschen den einzelnen Gruppen um die Bedeutung“ (Rappe 2010: 85). I’m a hip hop cheerleader carrying hand grenades and blood red pom poms screaming from the sidelines of a stage I built -­‐ Jessica Care Moore 2.2.3 Women of Color im Hip Hop: keepin’ it real Hip Hop entwickelte sich als kreative Kultur in den 1970er Jahren in der South Bronx, NY aus einer brutalen Gangkultur heraus. Das Aufkommen und die Verfügbarkeit neuer Technologien trafen auf ein durch Entbehrungen geprägtes Leben im inner-­‐city-­‐Ghetto in der postindustriellen Großstadt (vgl. Rappe 2010). Diese Kombination schafft ein einzigartiges Milieu, das auf eine neue Art und Weise versucht, die sozialen Missstände und ökonomischen Mängel zu kompensieren: durch Kreativität und Erfindungsreichtum (vgl. Rose 1994). Als besonders bemerkenswert hierbei führt Rappe (2010) die „Transformation der Gangkultur in eine friedliche Sub-­‐ und global erfolgreiche Popkultur“ an (ebd.). Die „Gang“ oder später die „Crew“ diente als lokale Quelle für Identitätsstiftung, in einer Umgebung, die jungen AfroamerikanerInnen und anderen Minoritäten eine positive Selbstidentifizierung verwehrte. „Identity in hip hop is deeply rooted in the specific, the local experience, and one’s attachment to and status in a local group or alternatively familiy“ (Rose 1994, 34). Anstatt die Kämpfe weiterhin auf physischer Ebene auszutragen, entstand ein Wettstreit ehemaliger Gangmitglieder auf den künstlerischen Ebenen Tanz (B-­‐Boying/Breakdance), Musik (MCing, DJing) und „Malerei“ (Graffiti): es geht um Ruhm (fame) und Ansehen (vgl. Rappe 2010); um sozialen Status (vgl. Rose 1994), der Großteilen der afroamerikanischen Bevölkerung auf konventionellen Wegen unzugänglich bleibt. Im battle gilt: je gefährlicher, spontaner, getrickster, cooler, um so angesehener: „man muss einen Stil finden, mit dem keiner klar kommt.“ (vgl. Rape 2010; „Styles ‚nobody can deal with“ Rose 1994). "The second verse is dedicated to the men More concerned with his rims and his Timbs than his women 2. Feminismen: eine Frage der Identität 28 Him and his men come in the club like hooligans Don't care who they offend popping yang like you got yen Let's not pretend, they wanna pack pistol by they waist men Cristal by the case men, still in they mother's basement The pretty face, men claiming that they did a bid men Need to take care of their three and four kids men They facing a court case when the child's support late Money taking, heart breaking now you wonder why women hate men The sneaky silent men the punk domestic violence men" (Lauryn Hill: Doowop) Anfang der 90er Jahre entstand der sogenannte Gangsta-­‐Rap an der Westküste, der nicht selten mit überzogenem Geprahle; gewaltverherrlichend, drogeninduziert und frauenfeindlich auftritt. Während Hip Hop als Kultur sowohl inhaltlich als auch vom Auftritt seiner einzelnen Ausdrucksformen zutiefst politisch ist, prägen diese ‚krassen‘ Bilder die Berichterstattung der Massenmedien und damit auch die überwiegend-­‐öffentliche Meinung der Kultur (vgl. Plough 2004: 70). Tricia Rose (1995) und Pough (2004) beschreiben, wie die sexistischen Lyrics und die Machokultur in Wissenschaft und Feminismus in den Mittelpunkt gestellt worden sind. Dabei ensteht ein geradezu einheitliches Bild vom aggressiven, sexistischen und frauenfeindlichen (Gangsta-­‐)Rapper. Künstler die sich differenziert äußern oder für Frauen eintreten, sind in öffentlichen Diskursen kaum vertreten (vgl. Rose: 147). In der marginalen Berichterstattung über RapperInnen im Hip Hop, werden diese als Gegenstück zu ihren männlichen Kollegen durchweg als anti-­‐sexistisch und feministische Stimmen gezeichnet (vgl. ebd.). Rose (1995) beklagt, dass dabei jene RapperInnen vergessen werden, deren Musik -­‐ oder auch nur Teile davon -­‐ patriarchale Gesellschaftsnormen und zwingend heterosexuelles Verhalten bestätigt (vgl. ebd.: 147). Es entsteht ein vereinfachtes duales Bild vom sexistischen Rapper und der feministischen Rapperin. Diese daraus erscheinende Opposition der Geschlechter analysiert Rose (1995) als problematisch, da Schwarze* RapperInnen sich nicht als Gegenposition zu ihren Kollegen sehen und auch gegen misogyne Tendenzen und Sexismus mit Vorsicht reagieren (vgl. ebd.: 176). Dies tun sie zum einen, weil ihnen bewusst ist, dass das Problem einen größeren, gesellschaftlichen Ursprung hat (und zwar den systematischen institutionellen Rassismus, der positive Selbstidentifikation und legitime gesellschaftliche Teilhabe Schwarzen* Individuen verwehrt). Zum Anderen, weil sie vereinfachende Beschreibungen vom dominanten Diskurs der weißen Mehrheitsgesellschaft und damit eine weitere stereotype Darstellung Schwarzer* Belange verhindern wollen (vgl. Rose 1995: 149). Die Reaktionen von RapperInnen auf Misogynie im HipHop fallen also unterschiedlich aus und sollten auch in ihrer Vielzahl differenziert betrachtet werden. Manche sind feministischer Natur (treten für die Menschenrechte von Frauen ein), andere sind widersprüchlich oder sogar idealisiert und verklärt. "[T]his way of thinking cannot account for the complexity and contradictory nature of the sexual dialogues in rap; not only those taking place between male and female rappers but within male sexual themes and within female sexual themes in rap: male rappers' sexual discourse is not consistently sexist, and female sexual discourse is not consistently feminist. Not only do women rappers defend male rappers' sexist speech in a larger 2. Feminismen: eine Frage der Identität 29 society that seems to attack black men disproportionately, but their lyrics sometimes affirm patriarchal notions about family life and the traditional roles of husbands, fathers, and lovers. Similarly, there are many lyrics in male rappers' work that not only chastise men for abusing women but also call for male responsibility in child rearing and support the centrality of black women in black cultural life." (Rose: 150) Rose nennt einige der nicht-­‐feministischen Momente im Rap von FemCees. Manche RapperInnen erwidern in ihren Liedern die Schmähungen der Männer unter anderem auch durch Beleidigungen, die darauf abzielen, die Männer zu ‚entmännlichen‘, sie zum Beispiel als Schwächlinge darzustellen (vgl. ebd.: 151). Dies geschieht nicht selten mit Anspielungen auf Homosexualität oder feminine Charakterzüge (‚Schwuchtel‘, ‚Tunte‘) und bestärkt so die scheinbar natürliche Binarität von ‚echten‘ Männern und ‚echten‘ Frauen und das heterosexuelle Normmodell, in dem männliche Heterosexualität mit Männlichkeit gleichgesetzt wird. Der männliche Sexismus im Rap äußert sich durch gewaltverherrlichendes Verhalten, das auch sexuele Gewalt als gerechtfertigten Umgang mit (Schwarzen*) Frauen einschließt. Körperliche Gewalt, Nötigung, Beleidigungen wie „bitch“ und „ho“ (Schlampe; Hure) werden so detailreich und inflationär gebraucht, dass sie nicht mehr schocken. Die zahlreichen Stimmen Schwarzer* Frauen aus Literatur und Kunst, die dieses Thema schon seit Beginn des Afroamerikanischen Lebens zu verarbeiten suchen, zeigen, dass diese Lyrics nicht immer bloße Reime und Prahlerei der harten Kerle, sondern für viele Schwarze* Frauen bittere Realität sind. Kaum ein Roman von Afroamerikanischen Autorinnen behandelt nicht auch den Teufelskreis der Gewalt, die, vom Rassismus ausgehend, Schwarze* Männer als Ventil ihrer gesellschaftlichen Kastration in Agrressionen gegen ihre Frauen übertragen und in ihnen den 5
Grund ihrer Unterdrückung finden . Schwarze* Frauen sind damit mehrfach gestraft. Zusätzlich zum Rassismus und ihrer minderwertigen Stellung als Frauen in einer patriarchalischen Gesellschaft werden sie durch die körperliche und seelische Gewalt Schwarzer* Männer misshandelt und weiter geschwächt. Diese Gewalt ist deswegen besonders verherend, weil sich Schwarze* Frauen oftmals aus Verständnis für die gesellschaftliche Situation, nicht öffentlich gegen ihre Männer stellen wollen und deswegen Misshandlungen häufig ertragen werden. Ein aktueller Artikel beschreibt, wie sogar Rap-­‐Superstar Jay-­‐Z in einem Interview Schwarze* Frauen für die Misere Schwarzer* Männer verantwortlich macht. Er verkündet, er würde erst dann seine frauenfeindlichen Lyrics ändern, wenn sich die Gesellschaft geändert hätte. Er äußert sich an anderer Stelle differenzierter und mit einer aufklärerischen Haltung gegenüber Schwarzer* Gewalt in den eigenen Reihen und setzt sich zumindest öffentlich wirksam für die gegenseitige Fürsorge und den Zusammenhalt der afroamerikanischen Bevölkerung ein. Rose kritisiert ihn dafür, dass er seiner Rolle als Rap-­‐Superstar und die ihm 5
Hier seien einige Beispiele genannt: Alice Walker: Strange Life of Grange Copeland, Color Purple; Toni Morrison: The Bluest Eye, Sula; Gayl Jones -­‐ Corregidora 2. Feminismen: eine Frage der Identität 30 damit verliehene Autorität nicht für die Belange Schwarzer* Frauen einsetze, sondern geholfen habe, eine frauenfeindlche und sexistische Gesellschaft populär zu machen: „It doesn't begin to address his role in contributing to and profiting from the global power of a hyper-­‐sexist brand of hip-­‐hop masculinity. I need to hear quite a bit more about how he feels about this legacy and its impact on millions of black girls and boys before getting all teary-­‐eyed. Sure, hip-­‐hop didn't invent sexism, nor has it been the only musical genre to profit from promoting it. The vast territory that is popular music is a treasure trove of sexist ideas and images.“ (Rose 2012 online) Rose betont in ihren Veröffentlichungen (1995; 2008), dass Sexismus im Hip Hop keinesfalls als eigenständiges Phänomen außerhalb der Gesellschaft zu betrachten sind. Die Gangsta-­‐
Rapper seien in ihren Haltungen so amerikanisch wie Bic Mac und Fritten und seien auch in 6
ihren sexistischen Extremen nur eine Ausprägung ihrer gesellschaftlichen Umgebung , in der Hip Hop als Schwarze* Jugendkultur einst entstanden ist. „Tate: Do you think rap is hostile toward women? ICE CUBE: The whole damn world is hostile toward women" (Rose 1995: 172). Auch Gangsta-­‐Rap ist damit ureigenes Kind des ‚American way of life‘. Er wird in der öffentlichen Debatte jedoch dafür benutzt, Schwarze* Männer zu demonisieren (vgl. Rose ebd.) und die kulturellen Problematiken als typisch Schwarze* darzustellen. Gleichzeitig wird im Diskurs verschwiegen, dass ein weißes Massenpublikum Hip Hop erst zum Mainstream und globalen Phänomen erhoben hat. Nichtsdestotrotz darf und muss Rap für seinen Sexismus kritisiert werden. Rose (2012 online) hält für besonders problematisch, dass ganze Künstleridentitäten im Hip Hop auf diesen exzessiven sexistischen und gewaltverherrlichenden Merkmalen aufgebaut werden, um ihnen Nachdruck und Macht zu verleiehen. „More than in any other genre in the history of black music, commercially celebrated hip-­‐
hop swagger depends on a brand of manhood that consistently defines black women as disrespected objects. And fans of all racial background, but especially young white males, [...] eat it up.“ (Rose online) Des Weiteren wird die männliche Dominanz der Szene im Musikjournalismus und in der öffentlichen Debatte so stark verallgemeinert, dass wichtige Entwicklungen, an denen weibliche Mitglieder (MCs, Producer) maßgeblich beteiligt waren, nicht gewürdigt oder sogar schlicht verschwiegen und damit ausgelöscht werden. „Women's contribution to HipHop culture has been lost, or rather erased. To hear some self-­‐proclaimed Hip-­‐Hop historians tell it, there were no significant women in Hip-­‐Hop's history“ (Pough 2004: 8). Eine ausführliche Beschreibung der Frauen, die Hip Hop entwickelt, mitgedacht, weiterentwickelt und den Weg 6
Ich denke hier beispielsweise an Hooters, eine im prüden, weißen Amerika akzeptierte Restaurantkette, in der Kellnerinnen mit großen Brüsten angestellt werden – das sogenannte „Breastrestaurant“. Sie servieren in knappen Minirock und tiefem Ausschnitt einem zumeist männlichen Publikum ihr Essen und sind mit allerlei Erniedrigungen konfrontiert. Psychische Folgen des besser bezahlten Kellnerjobs hat eine Studie nun offengelegt. Solche Beispiele entlarven die Doppelmoral der Debatte um Sexismus, die Schwarze* (Musik-­‐)kulturen in den Mittelpunkt stellt. 2. Feminismen: eine Frage der Identität 31 geebnet haben, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, deswegen möchte ich an dieser Stelle nur einige Namen nennen -­‐ Roxanne, Queen Latifah, Salt' N ' Pepa, Missy Elliott, Lauryn Hill, MC Lyte -­‐ und für ausführlichere Darstellungen auf Rose (1995) und Plough (1992) verweisen. Angela Davis (1990) untersucht die Verbindungen zwischen Musikproduktion Schwarzer* Frauen und Schwarzer* Kultur und stellt fest, dass die Frauen unterrepräsentiert werden und ihr Einflussbereich und ihre Beiträge in der Entstehung von Schwarzer* Kultur dadurch minderwertig erscheinen (vgl. Rose 1995: 153). Musik, Songs und Tanz seien besonders wichtige Orte in der afroamerikanischen Kultur, in denen ein reichhaltiges kulturelles Gedächtnis bewahrt, weitergegeben und verhandelt wird. Möchte man die Teilhabe *Schwarzer Frauen in zeitgenössischer Musik (auf die 90er Jahre bezogen) verstehen, so sieht Gaunt (1997) das größte Problem darin, dass ‚*Schwarz-­‐sein‘ überwiegend durch die Erfahrung von heterosexuellen Männern gedacht, imaginiert und beschrieben wurde (vgl. ebd.: 148). Sie sieht das Aufkommen des Typ 'Gangsta-­‐Rapper' in den 1990er Jahren als Quintessenz einer heterosexuellen, maskulinen Autorität anhand derer, *Schwarze Musik imaginiert und kanonisiert wurde -­‐ als Beispiel dienen ihr Namen von Scott Joplin bis Miles Davis (vgl. ebd.: 148). Sie untersucht zwei afroamerikanische Kulturtechniken – Klatschspiele und das sogenannte ‚Double Dutch‘ – bei denen die Aktivitäten von Schwarzen* Mädchen als grundlegend für die Kultur von Black Music aufgezgeigt werden. In diesen Spielen wird Rhythmus, Sprachgeschick, Intonation, Tonhöhe, Phrasierung, stylisierte Bewegung und Körpergefühl in der Gruppe trainiert. „Black musical style is a marriage of rhythms of melodies, the body, and language“ (Gaunt 1997: 152). Mädchen sind also in frühen Jahren die hauptsächlich Praktizierenden der *Schwarzen Kulturtechniken für musikalisches Handeln. Anfänglich ist das 'Double-­‐Dutch' für das Bild des Hip Hop ebenso prägend gewesen wie das der Breakdancer und Graffiti-­‐Writer und veranschaulichte die 'Straßenatmosphäre' vom Block inklusiver der Darstellung von weiblichen Akteuren. Pough (2004) legt dar, dass in der Geschichte über die Entwicklung des Hip Hop, in Filmen und Artikeln, Frauen kaum Erwähnung finden. Sie beschreibt, dass die Wahrnehmung von Männern im Hip Hop geprägt sei, durch die Vorstellung einer echten und ehrlichen Leidenschaft für die Kultur, während man den Frauen zuschreibt, dass sie wegen des Geldes im HipHop Geschäft wären (ebd.: 101). Ihre Beweggründe werden demnach als weniger edel oder rein bewertet, was ihren Status als ‚echte‘ RapperInnen stark angreift und ihre ‚realness‘ einschränkt. Was bedeutet es also, sich als Frau im Hip Hop Gehör zu verschaffen und einen Ort zu erobern, der Frauenstimmen zu absorbieren scheint? Plough (2004) hebt die Verbindung von Hip Hop zur Afroamerikanischen Kulturtradition hervor und stellt dadurch die Frauen im Hip Hop in die Tradition Schwarzer* kulturschaffender Frauen in Gesellschaft und Kunst. Besondere Bedeutung werden den „expressive arts and crafts“ (ebd.: 43) zuteil. Diese Ausdruckskunst und Fertigkeit werden zum 2. Feminismen: eine Frage der Identität 32 Werkzeug gegen Unterdrückung. Es ist oft die einzige Möglichkeit, um gegen stereotype Bilder, die ihre gesellschaftliche Teilhabe definieren, anzukämpfen, sich zu schützen und die Schwarze* Community zu stärken (vgl. ebd.: 43). "African American females communicate these literacies through storytelling, conscious manipulation of silence and speech, code/style shifting and signifying, among other verbal and nonverbal practices. Performance arts such as singing, dancing, acting, steppin, and stylin, as well as crafts such as quilting and use of their technologies are also exploited to these purposes" (Richardson zitiert in Plough 2004: 43). Angela Davis (1990) schlägt vor, einen näheren Einblick durch die Untersuchung ihres musikalischen Erbes in das kollektive Bewusstsein Schwarzer* Frauen zu bekommen (vgl. Rose 1995: 153). Dies ist dadurch möglich, dass afroamerikanische Musik in afrikanischer Tradition das kulturelle Leben durchdringt und an vielen Stellen funktionell eingesetzt wird. Die Musikalischen Formen stellen eine Möglichkeit dar, kulturelles Gedächtnis zu schaffen; gemeinsame Erlebnisse zu verarbeiten; sich miteinander auseinanderzusetzten; zu feiern; in Ekstase zu gelangen und zu lernen. Musik bedeutet in oralen Traditionen durch das Mitmachen beim Singen, Tanzen und Spielen an der Kultur teilzunehmen. Das Wort, die eigene Expression, ist Teil der kulturellen Identität, sei es als Sprachtrickser, Verkäufer oder Hustler an der nächsten Ecke. Plough (2004) eröffnet eine geschichtliche Verbindung, die den historischen Kampf Schwarzer* Frauen als Voraussetzung sieht, dass es Schwarzen* Frauen heutzutage möglich ist, als erfolgreiche UnternehmerInnen zu arbeiten, die sowohl MusikproduzentInnen als auch unter anderem AutorInnen, MusikerInnen, SchauspielerInnen, SchriftstellerInnen in einer Person sein können (vgl. ebd.: 44). Sein enormes kreatives und subversives Potential, angesichts oft verheerender Situationen, spiegelt sich in besonderem Maße in der Diktion des Afroamerikanischen wider. Wortspiele nehmen eine zentrale Rolle in der afroamerikanischen Sprachtradition ein und sind zurückzuführen auf ihre afrikanischen Wurzeln (vgl. Smitherman 2006). Toop (1992) erklärt, dass Sprachkämpfe schon bei afrikanischen Stämmen verbreitet waren und die Potenz und Macht eines Kämpfers an seiner linguistischen Fähigkeit festgemacht wurde. „The persistence of the African-­‐based oral tradition is such that [blacks tend to place only limited value on the written word, whereas] verbal skills expressed orally rank in high esteem“ (Smitherman 1977). Des Weiteren führt Smitherman (1977) an, dass neben einigen Ausnahmen nur diejenigen, Vorbilder und Helden in ihrem Kulturkreis werden können, die „oral gymnastics“ – also sprachliche Gymnastik – ausüben können, also gewiefte ‚Sprachturner’ sind. „Black folk are masters of linguistic improvisation and manipulators of the Word. We use our language as a mark of personal style and creativity“ (Smitherman 2006). Die RapperInnen übernahmen, „bewusst und unbewusst, die Kampfstrategien und Regularien des Signifyin’s und des verbal duellings“ (Rappe 2010) aus dieser, ihrer afroamerikanischen Sprachtradition. „Signifyin’ / Signifying bedeutet zunächst indirektes und metaphorisches 2. Feminismen: eine Frage der Identität 33 Sprechen und beschreibt im zweiten Schritt eine Bandbreite verbaler Verhaltensweisen und rhetorischer Strategien“ (Rappe 2010). Smitherman (2006) beschreibt Signifyin’ als verbales Spiel, das mit humorvollen, doppeldeutigen Aussagen über ein Individuum, ein Event, eine Situation oder Ähnliches sowohl neckischer Kommentar als auch ernste soziale Kritik sein kann. Sie nennt es auch die „Kunst der Beleidigung“ (vgl. Smitherman 1977). Die unterschiedlichen Formen des Signifyin’s haben sich im Laufe der und durch die afroamerikanische Geschichte entwickelt. „Es finden sich rhythmisch-­‐musikalisch vorgetragene Geschichten über verbale Auseinandersetzungen (toast), ritualisierte verbale Wettkämpfe (the dozens oder sounding), sowie verbale Selbstdarstellungs-­‐ und Selbstbehauptungstechniken (rappin’ und shuckin’ and jivin’)“ (Rappe 2010). Der Begriff des Signifyin’ geht auf eine tradierte Geschichte des ‚Signifying Monkeys’ zurück, in der ein Affe einzig durch sein sprachliches (Falsch-­‐)Spiel die angeblich natürliche Hierarchie im Dschungel in Frage stellt und den „König des Dschungels“, den Löwen, damit besiegt. Die rhetorischen Techniken des Signifyin’s, die auch der Affe anwendet, machen diese afroamerikanische Kommunikationsform aus. Rappe führt als wichtigste Stil-­‐Elemente des Signifyin’s an: „Parodie (markin’), indirektes und metaphorisches Sprechen (signifyin’), doppeldeutiges Sprechen (double talk), weitschweifende Erklärungen (runnin’ it down’), Prahlen (boastin’, braggin’), Lügen (shuckin’ & jivin’), Schmähen (Dissin’), Entschuldigungs-­‐ und Unterwerfungsgesten (coppin’ a plea), Provokation (loud talkin’), das Darstellen von Sachverhalten mittels Wortspielen (punnin’), das Benutzen von Sprichwörtern (using proverbs), sowie der Wechsel von Sprachebenen (code switchin’)“ (Rappe 2010). Schwarze* Frauen nutzen ebenfalls diese afroamerikanischen Kulturtechniken, um ihre Stimmen im öffentlichen Raum zu verorten – oder um mit Erikah Badu zu sprechen „goddamit sing their songs". Immer wiederkehrende thematische Schwerpunkte im künstlerischen Schaffen Schwarzer* Frauen sind: 1) heterosexuelle Normen des PartnerInnenwerbens, 2) die Bedeutung der Stimmen Schwarzer* Frauen, 3) ihre künstlerische Fähigkeiten und 4) die öffentliche Darstellung Schwarzer* weiblicher Körperlichkeit und Sexualität (vgl. Rose 1995: 147). RapperInnen stehen mit ihren Anliegen also in einer langen Tradition und treten das Erbe ihrer Mütter, Großmütter und Urgroßmütter an. Die oralen Kulturtraditionen haben trotz der widrigen Gegebenheiten in der Sklaverei, wo Familien und Volksstämme absichtlich getrennt wurden, in subversiven Praktiken überdauert, deren wahre Bedeutung und Wichtigkeit von den weißen Sklavenhaltern nicht verstanden oder verkannt wurden. Im Hip Hop ist der Cipher -­‐ zu Deutsch ‚Kreis‘ -­‐ ein besonders zentrales Element, das aus dieser Kulturtradition entstanden ist. Er ist seit jeher ein Ort der Schwarzen* Community und entsteht dann, wenn sich Leute zusammenfinden, um gemeinsam etwas (Tanz, Wissen, Essen, Musik ...) herzustellen, zu kreieren, zu teilen oder Informationen auszutauschen, zu tanzen. Die besondere Bedeutung entsteht durch das historische Versammlungsverbot der Sklaven. Es ist ein Platz, an dem man 2. Feminismen: eine Frage der Identität 34 sich mit den Anderen identifizieren kann, aber auch, an dem verhandelt wird, was es in dieser Gesellschaft heißt, Schwarz* zu sein -­‐ und Frau zu sein. Der Ring Shout war innerhalb des Great Awakening, dem großen Schub der Christianisierung der Schwarzen* Bevölkerung, eine erste Form des afroamerikanischen Ciphers (vgl. YouTube „Ringshout“). Auf anfangs heimlichen Versammlungen feierten die Unfreien ihre neue Religion, den Erlöser Jesus Christ, der ihnen versprach, dass auch sie Menschen aus Fleisch und Blut seien, obwohl sie tagtäglich erleben mussten, dass ihnen genau diese urmenschliche und lebensnotwendige Anerkennung -­‐ der anerkennende Blick eines anderen Menschen (Freud, Fanon) -­‐ verwehrt blieb. Sie bewegten sich im Kreis, während ein Vorsänger den call sang und der Rest der Kongregation darauf antwortete. Der Kreis symbolisiert hierbei die Verbindung zwischen Vergangenheit, Präsens und Zukunft und verkörperte somit unter Anderem die überlebenswichtige Hoffnung auf eine menschenwürdige Zukunft. Sich in der Bewegung und der Musik zu erschaffen, war für einen kurzen Moment möglich. Zum Menschen werden. Inkarnation. Seinen Körper wahrzunehmen und sich dem kurzen Moment Menschsein hinzugeben. Ektase. Sich in seiner eigenen Stimme als Menschen erkennen. Sich zu identifizieren mit dieser „verfluchten“ Schwarzen* Haut, die einen scheinbar zum Tier machte (vgl. Fanon 1980). Sich eventuell spüren zu können. Sich gemeinsam zu erinnern. DIS-­‐MEMBERED I RE-­‐MEMBER I MEMBERSHIP. Sich in die Gemeinschaft fallen zu lassen. Der Cipher wird also zum identitätsstiftenden Ort, in dem im Hip Hop die Kämpfe um Style und Kreativität ausgetragen werden. Frauen der HipHop Generation müssen sich, ähnlich wie ihre Mütter und Vorfahren, einen Platz in der öffentlichen Debatte erkämpfen, die wenn überhaupt auf schwarze Männer fokussiert ist (vgl. Pough 2004: 75). Sie sind inmitten von älteren weiblichen Generationen aufgewachsen, die Jahrzehnte der Jim Crow-­‐
Ära oder Segregation erlebt haben, in der sie dazu konditioniert wurden, sich aus dem öffentlichen Diskurs rauszuhalten und sich möglichst unauffällig zu verhalten, um keine zusätzlichen Repressalien oder Agressionen auf sich zu ziehen. Als Teil ihrer subversiven Möglichkeiten, sich doch in der Gesellschaft sichtbar zu machen, nutzen sie – wie in der Schwarzen* Community üblich – ihre sprachlichen Fertigkeiten ('skills'), um sich zu beweisen. „Black women's speech acts -­‐ what they say, and how and where they say it -­‐ are garnering some critical attention" (ebd.: 78). Plough (ebd.: 77) beschreibt eine weitere sprachliche Technik im HipHop, das „bringing wreck“ -­‐ im Deutschen vergleichbar mit dem Wort ‚zerstören’aus dem Jugendjargon: „der hat dich zerstört, Alta“. Ein besonders guter Mc oder Femcee kann durch seine/ihre ‚skills‘ jemand anderen ‚zerstören’, indem er die Person so überzeugend, geschickt, lustig, schmähend, dissend, beleidigend, reimend fertig macht, dass sein Gegenüber nichts mehr erwidern kann – Treffer versenkt. Dies gilt auch für andere Ebenen, zum Beispiel des Tanzes oder der Performance. Es geht erneut darum, sich durch seine Fertigkeiten und seinen eigenen Style zu behaupten, sich einen Namen (und damit eine Identität zu verschaffen) und sich einen Platz zu erkämpfen, indem man so gut ist, dass die 2. Feminismen: eine Frage der Identität 35 Kontrahenten aufgeben. „Man muss einen Stil finden, mit dem keiner klar kommt" (Rose 1995). Plough versteht „bringing wreck" als Teil der Sprechakte, die mit Schwarzer* Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden, wie beispielsweise das „talking back, going off, turning it out, having a niggerbitchfit, or being a diva" (ebd.: 78). Die Sprache wurde zum subversiven Vehikel gegen Unterdrückung, zum Raum um sich selbst auszudrücken und so ein Stück Selbstidentifikation zu ermöglichen. Schwarze* Frauen als hauptsächlich Verantwortliche für die Kindererziehung und damit für den Fortbestand ihrer Community, mussten eine Form des 'verbalen und non-­‐verbalen Ausdrucks finden, der Anstand mit Durchsetzungsfähigkeit verband' (vgl. ebd.: 78). „Their response to being made to feel invisible was to take their mouths and make them into guns“ (ebd.: 79). „Talking back“ -­‐ im Deutschen: eine freche Antwort oder Kontra geben -­‐ ist ein Sprechakt, der von bell hooks schon als kleines Mädchen als Rebellion empfunden wurde. Es geht hierbei nicht nur darum, seine sprachlich-­‐kreativen Fertigkeiten zu zeigen, sondern um das Potential, einen politischen Standpunkt zu vertreten. Im Talking-­‐Back werden also gesellschaftliche Bedingungen verhandelt, indem gegen Normen und Hierarchien ‚zurückgesprochen‘ wird (vgl. ‚Writing back‘ im postkolonialen Diskurs). „Talking back is a challenging political gesture of resistance to forces that render Black women nameless, voiceless, and invisible“ (ebd. 80). 2.5 „Du Stück“: Der weibliche Körper als Fragment Da sich diese Arbeit im Spannungsfeld von Rassismus und Feminismus bewegt und der Körper in beiden Diskursen als ‚Ort der Differenz’ konstruiert oder dekonstruiert wird, bietet sich im Folgenden an, einen Blick auf die Thematik des Fetisch zu werfen. Ich beschäftige mich mit den Fragen, wie dieses Thema mit Repräsentationen von weiblichen Körpern zusammenhängt und warum es für rassistisches Denken substanziell ist. 2.5.1 Fetisch und ‚Male Gaze‘ In der Psychoanalyse wird als Fetisch bezeichnet, wenn sich das sexuelle Begehren auf ein Ersatzobjekt fixiert. Diese Ersatzobjekte können sowohl Gegenstände als auch Körper oder Körperteile sein. Sie werden durch eine Über-­‐sexualisierung als besonders verheißungsvoll für sexuelle Befriedigung empfunden und das sexuelle Begehren konzentriert sich folglich nur auf das Objekt (vgl. Richard). Der weibliche Körper erfährt in der westlichen Kultur einen Fetischstatus, bei dem wahlweise Einzelteile wie Brüste, Lippen, Hintern und Beine oder aber der gesamte Körper als Objekt der Begierde fungiert. Schönheitsnormen, die ideale Körperformen wie 90-­‐60-­‐90 propagieren, spielen hier ebenso eine Rolle wie die kulturelle Übereinkunft, dass es für 2. Feminismen: eine Frage der Identität 36 Frauen wichtig sei, schön zu sein. Man denke hier an die weißen Frauen, die beispielsweise bei großen Sportevents wie der Fußballweltmeisterschaft während der Preisverleihung auf den Treppchen stehen. Sie stehen Spalier, haben hübsche bzw. sexy Kleider an und haben keinerlei Funktion außer schön zu sein. Sie stehen dort im Hintergrund wie schöne Pflanzen, um die Preisverleihung zu schmücken. Diese kulturellen Begebenheiten einer weißen, patriachalischen Kultur müssen für Außenstehende absolut absurd wirken; für uns aber ist es die Norm, dass diese Frauen dort stehen; sie fallen nicht weiter auf. Die amerikanische Schriftstellerin Flannery O’Connor beschreibt weibliche Charaktere im Roman Wise Blood (1954) nur in Einzelteilen, um diese Art der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Frauen zu kritisieren. Wie der Titel dieses Kapitels schon besagt, gibt es im Deutschen auch den abfälligen Begriff ‚Stück‘, um eine Frau zu bezeichnen. Der weibliche Körper wird fragmentiert und in seine Einzelteile zerlegt, die als Pars pro Toto nicht mehr den ganzen Menschen beschreiben, sondern – entgegen der Redefigur – die Frauen auf ihre Stücke reduzieren und sie in ihrer sexuellen Objektivierung fixieren. Die Erfolgsgeschichte der Barbiepuppe, deren Proportionen realiter nicht überlebensfähig wären, ist ein Beispiel für den kulturellen Aufstieg einer Ikonographie von unmenschlichen, weiblichen Körpern im öffentlichen Raum. Ein anderes Beispiel zeigt eine Studie, veröffentlicht in der Zeitschrift Psychological Science, die mit Bildern von Frauen, Männern und Objekten testet, wie diese wahrgenommen werden. Dabei werden Frauen und Objekte gleichermaßen erkannt, Männer dagegen schwieriger, weil sie als komplexe Menschen wahrgenommen werden, die nicht gleichermaßen auf ihre Teile 7
reduziert und vereinfacht werden können . Oft findet eine „hochgradige Überformung von Schlüsselreizen statt“ (Richard 2001 Online), die den weiblichen Körper sexualisieren und ihn als Lustobjekt konstituieren. „Das sofort erkennbare und Aufmerksamkeit erregende Artifizielle dieser Weiblichkeit geht einher mit einer ausgewiesenen Inszenierung. Immer zielt die Zurschaustellung auf ein voyeuristisches Gegenüber ab. Damit inszenieren sich Models als Objekte und fordern und steuern den begehrlichen Blick des Gegenübers, so dass Erotik zum kulturellen Tauschwert werden kann“. (Richard 2001 Online) Die Bedeutung von Blicken ist in dieser Arbeit schon an mehreren Stellen aufgetreten. Der anerkennende Blick des Anderen im Kontext der Psychoanalytischen Theorie, um sich selbst als Subjekt zu konstituieren. Die Suche nach dem Blick des Anderen ist demnach für die Konstitution des Individuums als Subjekt fundamental wichtig. Die Zurschaustellung von Körpern und Körperteilen fordert in gewissem Maße den voyeuristischen Blick heraus. Der weibliche Körper, der nicht mehr als Körper eines komplexen Menschen gedacht wird, sondern als Bühne für sexuelle Stimulanz fungiert, wird durch diesen objektivierenden Blick zum Objekt der Begierde. Die Betrachterperspektive wird in dem Sinne wichtiger als die (eigene) Blickperspektive. Dabei ist es wesentlich, den Zwang der kulturellen Norm zu 7
siehe: http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article108619670/Frauen-­‐werden-­‐prim aer-­‐als-­‐Sexobjekte-­‐wahrgenommen.html. (10.11.2015). 2. Feminismen: eine Frage der Identität 37 bedenken. Diese Normen werden von allen gesellschaftlichen Mitgliedern verinnerlicht. Das heißt, dass sich auch Frauen an diesen Normen messen, was oft als Gegenargument des Sexismusvorwurfs angeführt wird. Nur weil Frauen etwas tun oder auch schön finden, bedeutet das nicht, dass es nicht sexistisch ist. Die äußeren Normen von Schönheit werden so verinnerlicht, dass auch Frauen sich als ‚sexy‘ und ‚schön‘ darstellen wollen, um den voyeuristischen Blick der Mehrheitsgesellschaft zu befriedigen und die Norm zu erfüllen. Laura Mulvey hat mit ihrem Aufsatz „Visual Pleasure and Narrative Cinema“ (1975) die feministische Filmtheorie geprägt. Sie entwirft darin ein Konzept des hegemonialen männlichen Blicks, des sogenannten „male gaze“ (vgl. Sassatelli 2011). Sie arbeitet heraus, das der Blick, durch den kulturelle Produkte wie Filme und Fotos geprägt sind, die patriachalen Gesellschaftsstrukturen wiedergibt und somit zuallererst ein männlicher sei. Das liegt an der gesellschaftlichen Konstruktion von Werten und Normen, die natürlich in ihren kulturellen Produkten wiedergespiegelt werden. Frauen werden dabei als dem männlichen Blick ausgesetzt dargestellt, als Objekte wie weiter oben beschrieben wurde: „The spectator, both male and female, is invited to take pleasure in a particular configuration of the gaze through which ‘the male hero acts’ while ‘women are seen and showed at the same time’: ‘their appearance is so much coded for a strong visual and erotic impact that it can be argued that they connote the true essence of being seen’ (Mulvey, 1975 zitiert in Sassanelli 2011: 124). Das ‚Weibliche‘ verkörpert in gewissem Maße die Essenz des Gesehenwerdens. Darüber hinaus werden Frauen durch den Konsum von kulturellen Produkten fortwährend dazu aufgefordert, sich selbst durch die ‚normale‘ -­‐ die männliche -­‐ Sicht zu sehen und zu verstehen. Frauen sehen sich selbst durch eine männliche Perspektive – „the male gaze is also the female gaze -­‐ namely that women look at themselves through the male gaze“ (ebd.: 127). Der Blick auf das Bild organisiert das Begehren und die Involviertheit der BetrachterInnen (vgl. ebd.). Dabei wird der männliche Blick als Subjektposition konstituiert, der das Objekt der Begierde, das „weibliche, erotische Spektakel“ (ebd.: 130) konsumiert. Wie Mulvey erklärt, nutze Freud den Begriff des ‚Männlichen‘ um ein aktives Paradigma zu beschreiben, während das ‚Weibliche‘ das passive Gegenstück dazu darstellt – auch hier gehen Machtunterschiede mit diesen Unterscheidungen einher (vgl. ebd.: 130). Das Weibliche verkörpert in gewissem Maße die Essenz des Gesehenwerdens. Im Folgenden soll erst einmal die Frage nach dem Fetisch im Rassismus beleuchtet werden und daraufhin ein afroamerikanisch subversives Konzept des Widerstandes durch den „oppositionellen Blick“ (vgl. hooks 1994) erörtert werden. Wie sieht also die Fetischisierung von Schwarzen* Frauen aus? 2.5.2 Gestatten: Der Hintern ... im kolonialen Diskurs Im rassistischen Diskurs wurde, wie weiter oben beschrieben (Kap. 2.4.), rassische Differenz an den Körpern der Menschen festgeschrieben. Hall (2004) zeigt den grundlegenden 2. Feminismen: eine Frage der Identität 38 fetischisierenden Charakter des rassisierten Wissens über die ‚Anderen‘ anhand eines Beispiels der sogenannten „Hottentotten-­‐Venus“ auf. Es handelt sich um eine afrikanische Frau, die in England und Frankreich im 18. Jahrhundert in einem Käfig ausgestellt wurde wie man es zu dieser Zeit üblicherweise zum Beispiel mit Bären tat. Sie war als Spektakel in der Öffentlichkeit und als anatomische Besonderheit unter Ethnologen und Naturforschern bekannt (vgl. Hall 2004: 152). Ein Merkmal der sogenannten Hottentotten-­‐Anatomie war das Gesäß, das gemäß weißer Schönheitsideale als ‚hervorstehend‘ benannt wurde. Außerdem wurde eine Vergrößerung der Schamlippen durch stammesübliche Manipulationen der Genitalien, die sogenannte „Hottentotten-­‐Schürze“ (ebd.: 152), als Abnorm wahrgenommen. Hall zitiert eine Bemerkung über die öffentliches Aufsehen erregende Afrikanerin: „‚[M]an könnte sagen, dass sie ihr Glück hinter sich her trug, denn niemals zuvor mag London eine ›Heidin mit so schwerem Arsch‹ gesehen haben‘“ (ebd.: 152). Die Obsession, mit der ihre Differenz -­‐ hier stellvertretend für die Differenz Schwarzer* Menschen im rassistischen Diskurs -­‐ gesucht, markiert und geradezu zelebriert wurde, beschreibt Hall als einen ersten zentralen Punkt. Diese Differenz wurde dann ‚pathologisiert‘, indem sie als Abnorm klassifiziert wurde, gemessen an der Norm europäischer, weißer Frauen. Jeder Zentimeter ihres Körpers wurde untersucht und in Gipsabdrücken verewigt. Die medizinische und wissenschaftliche Herangehensweise zeigt wiederum das Verlangen, die Faszination am ‚Anderen‘ zu begründen und an seiner Natur festzuschreiben. Hall beschreibt, wie ihr Körper als ›Text‹ gelesen und an ihm ihre Andersheit, die scheinbare Primitivität, die Natürlichkeit abgelesen wurde und als naturgewordener Beweis für rassische Differenz galt. „Diese Naturalisierung von Differenz wurde vor allem durch ihre Sexualität signifiziert. Sie wurde auf ihren Körper reduziert, und ihr Körper wiederum wurde auf ihre Geschlechtsorgane reduziert“ (ebd.: 153). Die Geschlechtsorgane wurden Ort des Beweises ihrer Primitivität. Die Fragmentierung der Person wurde in ihrem Falle durch die Gipsabdrücke auf eine physische Ebene übertragen und Hall bemerkt, wie diese, ihre Einzelteile, später in einem Museum als „Kollektion sexueller Teile“ (ebd.: 154) ausgestellt wurden – sie wurde zum Museums-­‐‚Stück‘. Die Fetischisierung des Schwarzen* Körpers, wie bei Fanon (1980) beschrieben, verweigert den anerkennenden Blick, den Menschen zur Subjektkonstitution brauchen. „Eingeschlossen in dieser erdrückenden Objektivität, wandte ich mich flehend an meinen Nächsten. Sein befreiender Blick, an meinem Körper entlanggleitend, der plötzlich keine Unebenheiten mehr hat, gibt mir eine Leichtigkeit zurück, die ich verloren glaubte, gibt mich indem er mich der Welt entfert, der Welt zurück. Aber da unten, direkt am Steilhang, strauchle ich, und der andere fixiert mich durch Gesten, Verhaltensweisen, Blicke, so wie man ein Präparat mit Farbstoff fixiert.“ (Fanon 1980: 71). Da die Schwarzen* nicht als gleichwertige Subjekte Anerkennung erfahren, fällt ihnen eine Identitätsbildung in einer weißen Mehrheitsgesellschaft extrem schwer, da sie die Normen des Weißseins nie erfüllen können. Die möglichen psychologischen Folgen beschreibt Fanon 2. Feminismen: eine Frage der Identität 39 in Schwarze Haut, weiße Masken (1980), aber auch Morrisons Beloved verdeutlicht die Problematik, sich selbst nicht als Einheit verstehen zu können, sondern den fetischisierenden, weißen Blick verinnerlicht zu haben, der den eigenen Körper als fragmentiertes Objekt anschaut. Hall beschreibt weiterhin, dass beim Fetischismus eine Verschiebung des Blickes stattfindet. Bei der Hottentot-­‐Venus wurde das Gesäß zum Objekt der Begierde. Es stand vertretungsweise für ihre Genitalien, weil diese ein „tabuisiertes, gefährliches und verbotenes Objekt des Vergnügens“ (Hall 2004: 156) waren. Um diesem Vergnügen weiterhin fröhnen zu können, verschiebt der Fetisch den Blick auf ein Ersatzobjekt. Er verschafft dem Beobachter ein „Alibi“ (ebd.: 156) und ermöglicht es, weiter hinschauen und „gleichzeitig die sexuelle Natur [des] Blickes verleugnen“ (ebd.: 156) zu können. „So erlaubt Fetischismus also schließlich einen unregulierten Voyeurismus [...]. Wie Freud (1982a/1905) ausführt, liegt im ›Schauen‹ oft ein sexuelles Element, eine Erotisierung des Blicks. [...] Wir schauen weiter hin, auch wenn es nichts mehr zu sehen gibt. Er nannte die obsessive Kraft dieses Vergnügens am Schauen ›Schaulust‹.“ (Hall 2004: 157) Das Fröhnen dieser Schaulust, ohne dabei erwischt oder gesehen zu werden, macht den besonderen voyeuristischen Reiz aus. 2.5.3 Der „oppositionelle Blick“ hooks (1994) erinnert sich, wie sie bereits als kleines Mädchen für das Hinsehen, „für jenen unerbittlichen, intensiven, direkten Blick“ (ebd.: 145) gestraft wurde, da dieser als aufsässig gewertet wurde. Das Hinsehen bekam eine politische Dimension, spätestens ab dem Zeitpunkt, so fährt sie fort, an dem das Kind verstanden hat, dass es gefährlich sein kann, hinzuschauen. „Im Hinsehen liegt Macht“ (ebd.: 145). Auch in der Sklaverei wurden Schwarze* Menschen für das Hinsehen gestraft. Es verkörperte eine Willensstärke, die potentiell gefährlich sein konnte, zeugte nicht von Unterwürfigkeit und war eine Art, Zeuge für das Unrecht zu sein, dass an den SklavInnen verübt wurde. Das Ausradieren sozialer Geltung Schwarzer* Menschen wurde nicht nur durch die wahllose Gewalt und ihre Unterdrückung betrieben, sondern auch durch die Verweigerung des kulturellen Zugangs zu einer Erinnerungskultur – sei sie schriftlich oder mündlich. Durch das Auseinanderreißen von Familien, die ständig drohende Isolierung oder den willkürlichen Tod, war das Vergessenwerden, die Sinnlosigkeit der eigenen Existenz immer präsent. Ohne Erinnerungen, die in anderen fortleben würden, waren in gewisser Weise auch die Greueltaten vergessen. Oft gab es niemanden, dem man sie erzählen konnte, dem man sich mitteilen konnte, der Zeuge war und sich dagegen aussprach. Das Verstummen und ‚Sich nicht Erinnern‘-­‐Können machte die Bürde noch unerträglicher. Im Roman CoRregidora wird davon berichtet, wie der Lebenssinn der Protagonistin irgendwann einzig darin liegt, die furchtbaren Erlebnisse ihren 2. Feminismen: eine Frage der Identität 40 Kindern und Enkelkindern erzählen zu können – „to make generations“ – damit ihr Peiniger am Ende nicht durch das Vergessen der Taten ungewusst davon kommt. hooks bezieht sich auf Foucault und verortet in der Fähigkeit, den oppositionellen Blick gezielt einsetzen zu können einen Handlungsspielraum (ebd.: 146). Sie ermutigt auch Schwarze* Frauen dazu, ihre Handlungsspielräume zu nutzen und sich ihrer eigenen Mitverstrickungen in bestehende Machtverhältnisse bewusst zu werden. „Im Widerstandskampf liegt die Macht der Beherrschten darin, ihre Handlungsfreiheit zu behaupten, indem sie »Bewussheit« für sich in Anspruch nehmen und pflegen. Das wiederum politisiert die »Sichtverhältnisse« -­‐ wir lernen auf eine bestimmte Art zu sehen, um Widerstand zu leisten“ (ebd.: 147). hooks beschreibt, wie Schwarze* Menschen in ihrer Umgebung durch die Zensur des Blickes die Weißen vor allen Dingen im Kino ungestört und unbeeinträchtigt beobachten konnten. Den hegemonialen Lesarten von Filmen und Bildern müssen sich Schwarze* Frauen immer wieder widersetzen und durch eigene Lesarten und Kritik in eine intelligible Realität übersetzen. Sie mussten „kritische Sehgewohnheiten“ (ebd.: 149) ausbilden, die die objektivierende Anwesenheit Schwarzer*, weiblicher Subjekte in Filmen als Abwesenheit verstand, denn eine lebensechte Repräsentation kam nicht vor. Neben der Fetischisierung des weiblichen Körpers, wurde die Schwarze* Frau aber zudem noch im Gegensatz zu den weißen Frauen als weniger begehrenswert gezeichnet. Die Schwarze* Frau wurde als Mittel zum Zweck, zur Markierung der Differenz, verwendet, um die weiße Frau als Objekt der Begierde noch zu bestärken (vgl. ebd.: 150). “ hooks ruft dazu auf, dass sich Schwarze* Frauen aktiv dem Herrschaftswissen durch das Formen eines oppositionellen Blicks widersetzen, so könne „kritisches Zuschauen [...] als Bereich des Widerstands entstehen“ (ebd.: 161). Sich dem Zuschauen als Hinnahme bestehender, gesellschaftlicher Begebenheiten entgegenzustellen, schafft -­‐ in Analogie zum Kampf um Bedeutungen – neue Lesarten und ist damit produktiv: „Wir leisten mehr als nur Widerstand. Wir schaffen – nicht nur als Reaktion auf etwas – andere Texte. Schwarze Frauen arbeiten als kritische Zuschauerinnen an einem breiten Spektrum von Sehgewohnheiten: sie ziehen in Zweifel, leisten Widerstand, korrigieren, hinterfragen und erfinden auf mehreren Ebenen neu.“ (ebd.: 161) hooks schließt ihre Ausführungen mit der Aufforderung den oppositionellen Blick zu praktizieren um Raum für eine „radikale schwarze weibliche Subjektivität zu schaffen“ (ebd.: 162). 3. Moving Bodies 41 3. Moving Bodies The black cultural aesthetic is essentially both oral-­‐aural and motor, focusing on action, performance and expression. The young black girl learns the significance of perfecting performer roles ... by trying seriously to learn the current dances, by imitating adults' [ways of being] "hip" and "cool." Lee Rainwater zitiert in Gaunt 1997 3.1 Tanz als afroamerikanische Kulturtradition Um die Bedeutung des Tanzes innerhalb der afroamerikanischen Kultur begreifen zu können, lohnt ein Blick auf die oralen Kulturtraditionen. Die Menschen, die in Westafrika entführt und durch Sklavenschiffe in die Amerikas gebracht wurden, brachten verschiedene Sprachen und Bräuche mit. Familien wurden getrennt um Allianzen zu verhindern und das Individuum zu schwächen. Eine gemeinsame kulturelle Basis war durch die orale Kulturtradition trotzdem gegeben, in der Musik und Tanz, anders als in westlichen Schriftkulturen, eine elementare Funktion übernehmen. Traditionelle Westafrikanische Musik war funktional grundlegend für alle kulturellen Abläufe des Zusammenlebens (vgl. Davis 1990). Ob bei ökonomischen Aktivitäten, Zeremonien, Religion, Arbeit; es wurde gesungen beim Spielen, zum Kampf, beim Werben um eine(n) PartnerIn, bei der Arbeit und bei gesellschaftlichen Anlässen (vgl. ebd). Eine Abgrenzung von Musik als ästhetische Reinform gab es in diesen Kulturen nicht (vgl. ebd.). Musik war immer und überall im täglichen Leben vorhanden, fest verwoben mit den alltäglichen Aktivitäten. Sie war, so Davis (1990), kein externes Mittel um beispielsweise die Arbeit zu erleichtern, kein ästhetisches Instrumentarium sondern untrennbar mit Arbeit, Spiel und all jenen Bereichen verbunden, so dass sie als Teil von ihnen verstanden und nicht als alleinstehend gedacht werden konnte. „Song and dance have informed the collective consciousness of the Black community“ (Davis 1990). Davis beschreibt, wie den Sklaven verboten war, ihre Sprache zu sprechen, ihre Religion auszuüben und sich in ihren Familien und Communities zu treffen. Sie durften aber singen. Eben jene Funktion von Musik in afrikanischen Kulturen war den Sklavenhaltern nicht bewusst. Das Singen eröffnete einen Raum, in dem die Versklavten an ihre Kulturtraditionen anknüpfen konnten, in dem sie Bedeutungen verhandeln und der sprachlichen Zensur durch Tonhöhe, Rhythmus und Timbre etwas entgegensetzen konnten. In diesem Milieu wurde der Tanz, wenn die körperlich, freie Bewegung möglich und erlaubt war, zur erfahrbaren und gelebten Dimension des Widerstandes. Tanz und Gesang gehören in oraler Tradition zusammen. Der stimmliche und körperliche Ausdruck wird genutzt um Gemeinschaft herzustellen. Um, wie in der Einleitung erwähnt, Geschichten im Gesang und im Tanz zu erzählen und so Identität als Individuum und in der Gruppe herzustellen und zu lernen. Sobohl (2002) beschreibt Oralität unter anderem so: 3. Moving Bodies 42 “Orality is communal. Creativity + Community = Communion. We are here, we are hear, we are. We share. Identity. Land. Language. Values. Needs: We reaffirm – we re-­‐create – our community in sound, in song. Orality is participatory. We dance. We shout out. We call, and the leader responds. We let you know what we think of your song. We add our own verses. We sing along. We dance. We drum. We dance. Orality is interdisciplinary. What is music? There is only our joy, our worship, our pain in body, in sound, in paint, clay, or bone. You do not dance without music. You cannot have music without dance. See the way I shift my hip in time as Fela chimes from my transistor radio? Do you see how the spirit moves me? Let me tell you a story. Let me sing you a song. Orality is experiential. Sound dies as it is born on our lips. The experience – the creative moment – is what matters. The product is the process. Don’t look for me in a museum. If I am in a museum, I am dead. I am a continuum. I am to be continued. I am not, I become. Orality is vocal. I am the drum. I am a talking drum. My voice is your voice. My language Is your language. Let us converse. I am the drummer’s song, the fillder’s song, the xylophone’s song. I am a song sung in the voice of my friend, the earth-­‐fashioned instrument. I am a song.“ (Sobohl 2002 zitiert in Rappe 2010) Die Verflochtenheit von Gesang, Tanz und Musik; sowie das Tun in Gemeinschaft sind die Säulen einer oralen Kulturtradition. Körperlichkeit spielt eine besonders zentrale Rolle. Körperliche Erfahrung von Stimme und Bewegung im Rhythmus ist im Gegensatz zur westlichen Schriftkultur, die mit dem Aufstieg der Kirche, der damit einhergehenden Trennung von Geist und Körper und dem Glauben an die Ratio nicht bloß Zeitvertreib, sondern eine Möglichkeit der Erkenntnis und des Lernens. Wenn sich Sklaven zu Gottesdiensten versammeln durften, wurde gesungen und getanzt. Der Gesang und der Tanz ermöglichten einen kurzen Moment der Subjektwerdung, des ‚Sich selbst fühlen‘-­‐Könnens und der gemeinsamen Veräußerung der Schwarzen* Erfahrung -­‐ der Versklavung. Tanz und Musik waren identitätsstiftend und boten die Möglichkeit sich auf die afrikanischen Wurzeln zurückzubesinnen. Tanz und Musik haben das kulturelle Gedächtnis der afroamerikanischen Bevölkerung geformt und sind, in ihrer afrikanischen Tradition verhaftet, fundamentaler Ausdruck von eigener Identität in Schwarzer* Kultur. Die enge Verzahnung von Tanz und Musik ist in der afroamerikanischen Kulturtradition auch an der Entwicklung der black music zu sehen (vgl. Gaunt: 152). Diese hat sich als Tanzmusik immer im call & response mit den Tanzenden auf der Tanzfläche weiterentwickelt. Rappe nennt die kulturelle Technik des call & response den „Strukturbildner der musikalischen Techniken und Soundvorstellungen im Hip Hop“ (2010). Die DJs legen eine Platte auf (call), warten auf die Reaktionen der Tänzer (response) und gehen auf diese ein. So entsteht nicht nur der Breakbeat als Erwiderung auf das Verhalten der Tänzer, sondern auch „das bis heute gültige Klangideal im Hip Hop“ (Rappe 2010). Die Tänzer müssen auf der Tanzfläche in Ekstase geraten. 3. Moving Bodies 43 Das in Kapitel 2.2.3 wurde das „Double Dutch“ bereits als musikalisch bedeutende Praxis von Schwarzen* Mädchen und jungen Frauen vorgestellt. Beim Seilspringen sind die „Footworks“ – (Tanz-­‐)Schritte – elementarer Bestandteil. Das rhythmische Aufkommen der Seile auf den Boden bildet den Grundrhythmus, zu dem gemeinsam die „game songs“ (ebd.: 149) gesungen werden. Diese Songs beschreiben oft, wie der Körper bewegt werden soll, das sogenannte „‚body musicking‘ [-­‐] the act of making the body dance“ (ebd.: 149). Ein Beispiel hierfür wäre der Reim „Little Sally Walker“: „Rise, Sally, rise! Wipe your weepin' eyes. Put your hands on your hip and let your backbone slip. Ahhh! Shake it to the east, Shake it to the west, Shake it to the very one that you love the best.“ (vgl. Gaunt 149) Die Tänzerin in der Mitte übernimmt die Rolle von Sally, führt die Bewegungen aus und versucht ihre eigene Note, ihren eigenen Style in die Bewegung zu bringen. Improvisation und Style sind wichtige Elemente von afroamerikanischer Musik und Tanz. In der Wiederholung werden Spielräume ausgelotet, die Platz lassen für die Expression von Individualität. Einen eigenen Stil zu finden, ist in allen Ausdrucksformen des Hip Hop wichtiger als beispielsweise im Tanz das Abspulen von besonders vielen veschiedenen Bewegungen. Der Wiedererkennungswert, „der Stil, mit dem keiner klarkommt“ (Rappe 2010), ist identitätsstiftend und somit Überlebensgrundlage für die Afroamerikanische Bevölkerung, deren Umwelt ihr gesellschaftliche Teilhabe verweigert (vgl. Rose 1994). Die Bewegung der Hüfte spielt in afroamerikanischen Tanzstilen ein große Rolle (vgl. Gaunt 1997: 150). Ob im freien oder Paartanz ist der ‚hip shake‘ grundlegendes Ausdrucksmittel, Tanzfigur und afrikanische Spielart von Lebensqualität. Im „Double Dutch“, so Gaunt (ebd.), können die Mädchen ungestört spielen und sind im Kreise ihrer Mitspielerinnen vor gesellschaftlichen Urteilen über unziemliches Verhalten geschützt. 3.2 ‚Work it, twerk it, Baby!‘: Sexuelle Stereotypen in Musik und Tanz hooks (1994) beschreibt neben dem rassistischen Diskurs den Erfolg Josephine Bakers als einen weiteren Faktor für die Fokussierung auf den Hintern in der Popmusik. „Sie gab sich damit zufrieden, die weiße Erotisierung schwarzer Körper ›auszubeuten‹. In ihren Auftritten zog sie die Aufmerksamkeit auf ihren ›Hintern‹. [...] Mit dem Triumph der Baker wandte sich der erotische Blick der Nation nach unten; sie hatte eine neue Region des Verlangens entdeckt“ (Rose 1994: 83). Die heutige Faszination des Hintern im Pop drückt sich vor allem im populären Tanzstil des Twerkin’ aus. Hier wird durch Kippbewegungen der Hüfte der Hintern zum Wippen und Wackeln gebracht wird. Schon seit Anfang der 2000er Jahre wurde 3. Moving Bodies 44 dieser Tanzstil im Hip Hop populär und seit Miley Cyrus’ umstrittenem Auftritt bei den MTV 8
Music Awards 2012 ist Amerika im Twerk Fieber . „Twerkin’“ kommt laut Oxford Dictionary am wahrscheinlichsten aus einer Mischung der Begriffe twist, twitch und jerk, die allesamt Bewegungen beschreiben. Das Verb wird analog zu work benutzt, da dieses in ähnlichen Kontexten verwendet, ebenfalls auf Körper oder Hintern bezogen werden kann und beim Tanzen bereits als Aufforderung benutzt wurde: „Work your body!“ (vgl. Oxford Dictionary Online). Die heutige Bedeutung beinhaltet eine stark sexualisierte Konnotation, die durch jene Verwendung des Verbs im Hip Hop-­‐Kontext enstanden ist. Es beschreibt einen „dance to popular music in a sexually provocative manner involving thrusting hip movements and a low, squatting stance“ (Oxford Dictionary Online). Der Tanz wird normalerweise von Frauen ausgeführt, was auch alle angegebenen Beispiele im Oxford Dictionary belegen. Es wird vermutet, dass der populäre Tanz auf einen traditionellen westafrikanischen Tanz zurückzuführen ist, den Mapouka (vgl. Progressive.Pupil.com). Der Mapouka fokussiert Bewegungen des Hintern und wurde bei Festen und festlichen Zeremonien von Frauen an der Elfenbeinküste getanzt. Die unterschiedlichen Bewegungen des Hinterns erfordern große Geschicklichkeit und Körperbeherrschung (vgl. ebd.). Die Beschreibung einer Londonerin mit afrodiasporischem Hintergrund eröffnet eine andere Lesart des Tanzes: „I’ve seen variants of twerking my entire life. I remember watching the elderly women dance at the predominantly West African church I attended growing up. If the right ‘praise’ song was sung, they’d grab a white handkerchief and dance their way to the front of the church. They’d rotate their hips and bounce their bums until they were barely above the ground. In essence, their core movement was the same as twerking -­‐ all in the ass and hips. It’s rhythmic and complex, the footwork’s intricate and even though the body is blending different rhythms, it all manages to flow like water. The roots of twerking are rich. Variants of the dance exist in most places where there’s a high concentration of people of African descent. [...] Growing up, I saw it most frequently performed during joyful occasions -­‐ family gatherings and weddings. There was nothing scandalous about it, it was simply dancing.“ (Mbakwe 2013 Online) Durch die westliche Brille wird die ursprünglich festliche Intention des Tanzes als Ausdruck von Lebensfreude in eine sexualisierte Lesart umgedeutet. Die Körperlichkeit der oralen Kulturtraditionen nicht berücksichtigend, wird dieser Tanz in einer entkörperlichten Schriftkultur als ungezügelter Ausdruck von Sexualiät verstanden und die offensichtlichen Körperbewegungen als beschämend interpretiert. Dass Scham im Zusammenhang mit Sexualität und Begehren etwas Grundlegendes für die westliche Kultur ist, wurde in Kapitel 2.1 ausführlich besprochen. Andere Völker und Kulturen haben in ihrer Geschichte diese Zusammenhänge jedoch nicht zwingend hergestellt und können daher Verhalten, das für den 8
Die mediale Präsenz des Phänomens ging so weit, dass ein Comedy-­‐Video über ein twerk-­‐ süchtiges Mädchen viral wurde: https://www.youtube.com/watch?v=VkXZocIK5gQ. 45 westlichen Betrachter sexuell konnotiert ist, als Freude und Ausdruck der eigenen Körperlichkeit empfinden. Auch in der Musik werden musikalische und tänzerische Aktivitäten von Frauen, wie die Ethnomusikologin Ellen Koskoff beobachtet hat, überwiegend durch oder über ihre primären sozialen Rollen verstanden und beschrieben, weil diese elementar für ihre Genderidentität (als Frauen) sind (vgl. Gaunt 1997: 155). Das heißt, vereinfacht ausgedrückt, ihr musikalisches und tänzerisches Handeln wird zunächst mit bekannten – sprich sexualisierten – Lesarten gelesen. Im Kontext von Black Music fallen hier die stereotypen Bilder über die Sexualität Schwarzer* Frauen besonders ins Gewicht. „All of these stereotypes of black female identity contribute to the difficulty (the downright unattractiveness) of viewing or hearing the musical activities of black girls and women as reflecting authority and expertise in black music making“ (ebd.). Während Gaunt die sexuellen Stereotypen auch in 9
den Texten der Reime der Mädchen findet , argumentiert sie, dass Mädchen sich in diesen Tanzspielen nicht sexuell verhalten, sondern die sexualisierte Lesart ihrer Umwelt wiedergeben und damit umgehen. Sie haben die Stereotypen verinnerlicht und/oder praktizieren Tänze und Bewegungen, die aus der afrodiasporischen Tradition kommen und dort andere kulturelle Bedeutungen haben. Anhand einer Studie über Frauen im Karneval in Trinidad erklärt sie, dass die sexuellen Konnotation im Tanz und im Spiel eine Art Imitation ist. Die Frauen oder Mädchen benutzen diese „Idiome der Sexualität“ (ebd.: 158), aber sie sind nicht als sexuelles Verhalten zu deuten, das an Männer gerichtet ist. Es sind eher Zitate, die im Tanz kreativ verbaut werden. Die Frage einer sexualisierten oder einer anderen Bedeutung ist also von vielen Faktoren und Kontexten abhängig. In afrodiasporischen Traditionen sind die Körperbewegungen des Twerkin’ ursprünglich nicht mit sexueller Bedeutung aufgeladen, trotzdem sind sich afroamerikanische erwachsene Frauen im Hip Hop Kontext natürlich über jene, heutige Konnotation des Tanzes bewusst. Die sexualisierte Bedeutung wurde überdies durch den Gebrauch des Tanzes im Hip Hop gefestigt. Trotzdem ist Twerkin’ deswegen nicht per se sexuell zu verstehen. Seine Bedeutung muss vielmehr im Kontext der Situation und der beteiligten Akteure ausgehandelt werden. 9
„Mailman, mailman, do your duty, Here come the lady with da African booty. She can do da wah-­‐wah, she can do da splits, She can do anything to make you split, so split!“ (ebd.: 156). 4. Nicki Minaj: The modern Queen of Hip Hop 46 4. Nicki Minaj: The modern Queen of Hip Hop 4.1 Biographische Eckdaten Nicki Minaj wurde 1982 in Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad und Tobago, als Onika Tanya Maraj geboren. Dort lebte sie bis zu ihrem fünften Lebensjahr mit ihrem älteren Bruder Jelani bei ihrer Großmutter. Ihre Mutter holte die Kinder nach New York, wo Minaj aufwuchs und zur Schule ging. Minaj beschreibt ihre Kindheit als schwierig, da ihr Vater alkohol-­‐ und drogenabhängig war und gewalttätig gegenüber der Mutter und den Kindern wurde (vgl. Holloway 2012). Während das kleine Mädchen Onika sich Amerika als Paradies vorstellte, wo sie hoffte, in einem Einfamilienhaus mit Vorgarten und Zaun zu wohnen, war die Realität in South Jamaica, Queens, ein „Albtraum“ für sie (ebd.: 5). Die Drogensucht des Vaters überschattete ihre Kindheitsjahre, in denen sie sich selbst als „immer nervös und ängstlich“ (ebd.: 6) beschreibt. Negativer Höhepunkt ist der Mordversuch des Vaters an der Mutter, indem er das gemeinsame Apartment abbrennt. Minaj versucht als Kind ihre Mutter zu beschützen und wird von ihr als extrem diszipliniert und ehrgeizig beschrieben. Sie flieht vor dem prekären Familienumfeld und dem Chaos um sie herum in Traumwelten und wendet sich früh dem Schauspiel zu. „To get away from all their fighting, I would imagine being a new person, Cookie’ was my first identity [...]. I went on to Harajuku Barbie, then Nicki Minaj. Fantasy was my reality“ (ebd.: 7). Sie wurde in der bekannten LaGuardia High School for the Performing Arts für das Schauspielprogramm aufgenommen, nachdem sie die Eingangsprüfung für Gesang nicht geschafft hatte. Dort war sie eine von drei Schwarzen* SchülerInnen in ihrer Klasse und erzählt, dass alle weißen Jugendlichen sie für verrückt hielten (vgl. ebd.: 7). Sie fühlte sich im Schauspielprogramm „zu Hause“ (ebd.: 7) und machte sich schnell als reimende, rotzfreche Trickserin einen Namen an der Schule. Nach der Schule verliert sie ihr Interesse an der Schauspielerei und arbeitet in einem Bürojob, der sie allerdings schnell anfängt zu langweilen. Sie entscheidet sich dafür, einen Start im Musikbusiness zu versuchen, da sie rappt seit sie 12 Jahre alt ist. Nach ihren ersten drei Mixtapes wird ein Geschäftsführer von Dirty Money Entertainment auf ihre Freestylefertigkeiten aufmerksam. Rapper und Produzent Lil Wayne arbeitet fortan mit ihr und ist von ihrem Talent überzeugt, was 2009 zu außergewöhnlichen Vertragsverhandlungen führt. Nicki Minaj unterzeichnet bei Young Money/Universal und behält alle Rechte, sowohl im künstlerischen Bereich als auch in Vermarktung, Veröffentlichung und Endorsement (vgl. ebd.: 11). 4. Nicki Minaj: The modern Queen of Hip Hop 47 „You have to be like... a BEAST. You have to be a beast that’s the only way they respect you“ Nicki Minaj 4.2 Barbie / Monster / Fashion-­‐Ikone: Der Körper als Projektionsfläche Minaj sagt von sich selbst, dass sie viele verschiedene Persönlichkeiten hat und diese seit frühester Kindheit ein Weg für sie sind, sich auszudrücken. Minaj bindet diese als Alter Egos in ihr künstlerisches Werk ein. Ihr Alter Ego „Cookie“ sei seit frühester Kindheit ein Teil ihrer Persönlichkeit (vgl. ebd.: 7). Dazu kommen die bekannteren Alter Egos „Harajuku-­‐Barbie“, auch kurz „Barbie“ genannt, bekannt für ihre sanfte Stimme; „Martha Zolanksi“, eine strenge und traditionelle Frau und Romans Mutter; und „Roman Zolanski“, das wohl bekannteste Alter Ego Minajs. Er ist ein blonder, homosexueller Mann, der im Gegensatz zu Minaj selbst als unverblümter und schonungsloser charakterisiert wird. „He’s the boy that lives inside of me. He’s a lunatic and he’s gay and he’ll be on there a lot“ (Haraway 2012: 25). Minajs Fans, die sie liebevoll „Barbz“ nennt, haben ihr eine eigene wikipedia-­‐ähnliche Webseite eingerichtet, wo sie insgesamt 15 Alter Egos, ihre Herkunft und Charaktereigenschaften auflisten (vgl. Nickiminaj.wikia.com). Während manche Alter Egos in ihrer Kindheit entstanden und für Minaj überlebenswichtig waren, dienen andere der Unterhaltung und ihrer Performance auf der Bühne. Minaj nutzt ihre verschiedenen Personas präzise und bewusst, um sich nicht in ein bestimmtes Schema oder Genre pressen zu lassen. Das ist für sie künstlerisch genauso wichtig, wie auch im Privatleben. Die männlichen Personas gaben ihr beispielsweise die Möglichkeit, sich wie ein Junge verhalten und die gleichen Vorteile davon haben zu können. Im Hip Hop musste sie sich als Frau außerdem gegen ihre männlichen Kollegen behaupten und konnte sich mit den männlichen Versionen ihrer Selbst besser Gehör verschaffen. Hier kann sie genauso frauenfeindlich rappen und den ‚Boss‘ raushängen lassen wie die anderen Männer der Szene. Nicki Minaj nutzt ihre Alter-­‐Egos und ihren Körper als Ort der Inszenierung. Die verschiedenen Inkarnationen ihrer Selbst haben verschiedene Stimmfärbungen, wenn sie rappt und singt, sie sehen unterschiedlich aus, benehmen sich verschieden und haben ihren eigenen Style. Ihr besonderer und außergewöhnlicher Style wurde treffend als „Lauper gone cyberpunk, sexed-­‐up Missy Elliott, black-­‐light anime, Japanese street fashion, and hip-­‐hop booty mag among other influences from the anything-­‐goes fashion future“ (Haraway 2012: 35) beschrieben. Minajs Outfits sind so bunt, knallig, puppenhaft oder ‚gangsta‘, dass sie immer wieder überrascht und verstört. „Einen Stil zu finden, mit dem keiner klar kommt“ (vgl. Rappe 2010) ist eine afroamerikanische Kulturtechnik, die in Nicki Minaj eine Meisterin gefunden hat. Sie nutzt ihren Style und ihre Personas, um kulturelle Kategorien immer wieder durcheinander zu werfen und erfreut sich daran, Brüche zu verkörpern. Das Lied ‚Romans Revenge‘, das sie 2012 bei den Grammys performte, handelt vom Exorzismus ihres homosexuellen, männlichen Alter Egos. Minajs durchkreuzt mit ihren Alter Egos nicht nur 4. Nicki Minaj: The modern Queen of Hip Hop 48 Grenzen der Geschlechternorm, sondern verweigert auch heterosexuelle Normvorstellungen. Vor diesem Hintergrund sind also alle ihre ‚Charaktere’ Imaginationen und auch die sexistischen Gangsta-­‐Rap-­‐Inkarnationen werden zur Darstellung von Typen, die es bereits gibt. Nicki Minaj nutzt ihre schauspielerischen Fähigkeiten, um beispielsweise in einer männlich dominierten Hip Hop Szene erfolgreich zu sein. Das subversive Potenzial, dass ihr sexistisches, schwules Alter Ego in der Szene eigentlich hat, wird dabei verkannt. Wenn Männer sie als sexistisch rappenden Mann eher akzeptieren, als Nicki Minaj als Frau, zeigt Minaj im Grunde auf, dass diese Vorstellungen und Normen gänzlich absurd sind. Sie kann als Frau alles sein, was sie möchte, wenn sie dementsprechend performt. Minajs Vielheiten wurde unter Hip Hop-­‐Traditionalisten heftig kritisiert. Ihre poppige Hit-­‐
Single Starships wurde als „girly ass dance pop song“ (ebd.: 68) abgewertet und stieß eine weitere Debatte über ‚wahren‘ Hip Hop aus, der ursprünglich als nicht Mainstream und von der Straße kommend definiert wurde. Ein Choreograph beschreibt die extreme Anstrengung erfolgreicher Hip Hop Künstler, an großen Awardshows teilzunehmen, die Manifestation ihres Erfolgs sind und trotzdem in ihrem Genre die „street credibility“ (ebd.: 53) nicht zu verlieren. Minaj habe die jahrelange Bürde des Multitasking in eine Marketingstrategie verwandelt (vgl. ebd.: 64). Weibliche MCs mussten zusätzlich dazu eine Identität aufbauen, die nicht zu weiblich sein dürfte. Viele Femcees haben daraufhin versucht sich möglichst männlich und ‚cool’ zu verhalten und ihre Formen unter übergroßer Kleidung zu verstecken. Minajs Anliegen sich weder musikalisch-­‐künstlerisch noch auf persönlicher Ebene einer bestimmten Kategorie zuschreiben zu lassen, äußert sie in vielen Interviews. Zeilen aus ihrem Song Fly machen dies aber besonders deutlich: „Everybody wanna try to box me in Suffocating every time it locks me in Paint they own pictures, then they crop me in But I will remain where the top begins ‚Cause I am not a word, I am not a line I am not a girl that can ever be defined I am not fly, I am levitation I represent an entire generation“ 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 49 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ „But when you’re a girl you have to be like everything. You have to be dope at what you do, but you have to be super sweet, and you have to be sexy and you have to be this and you have to be nice and you have to be ... it’s like .... I can’t be all those things at once! I am a human beeeeeeeeeiiiiinnnnnggggg.“ Nicki Minaj 5.1 Die Kontroverse um das Single-­‐Cover Am 4. August 2014 wurde der Song „Anaconda“ als zweite Singleauskopplung des Albums „The Pink Print“ von Nicki Minaj von den Labels Young Money Entertainment, Cash Money Records und Republic Records veröffentlicht. Komponiert wurde der Song von Nicki 10
Minaj, produziert von Polow Da Don and Da Internz . Zuvor hatte Minaj am 24. Juli 2014 das Song Cover auf ihrem Instagram und Twitter Account bekannt gegeben. Nach Veröffentlichung des Covers brach eine Kontroverse in den sozialen Netzwerken los und mehrere Zeitschriften veröffentlichten kommentierende Artikel zum Artwork. Fans und Kritiker fertigten Kollagen von Minajs Sexy Pose an, in denen sie in dieser Haltung in 11
verschiedenste andere Bilder geschnitten wird. Diese Kollagen sind ein sehr populäres Mittel und Teil einer weiterverarbeitenden Bilderwelt -­‐ sowohl als Kritik als auch Kommentar und Verulkung gedacht. Sie deuten auf die Besonderheit des Bildes hin und versuchen das Gesehene, das Tabu zu rekontextualisieren und damit verdaulich zu machen. Auch Verkaufsstellen und Download-­‐Dienste standen vor der Frage, wie man das Album Cover ‚jugendfrei‘ vertreiben könne. iTunes verschob den nach Veröffentlichung der Single obligatorischen ‚Parential Advosory Explicit Content’-­‐Aufkleber, der in den USA vor nicht jugendfreiem Inhalt warnt, quasi als Sichtschutz vor die Pobacken. Andere kommentierten die Zensur-­‐Debatte ironisch, ob das wohl eine der lebenswichtigen Fragen sei: Wie viel Po ist zu 12
viel Po? oder versuchten in „5 Creative Ways to Censor Nicki Minaj’s ‘Anaconda’ Cover Art“
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mit Kollagen von Früchten anstelle des Hinterns der Obszönität etwas mehr elterntauglich entgegen zu stellen, während Konnotationen von saftigem (Frucht-­‐)Fleisch, Rundungen und Ritze erhalten bleiben. Minaj würdigte den kreativen Umgang und re-­‐postete einige gut 14
gemachte Kollagen auf ihrem Instagram Profil . 10
https://en.wikipedia.org/wiki/Anaconda_(Nicki_Minaj_song). (01.11.2015) Spätestens seit der brutalen Auflösung einer studentischen Occupy Bewegung Teil der Bilderwelt der sozialen Medien, nachzulesen unter folgendem Link: http://knowyourmeme.com/memes/casually-­‐pepper-­‐spray-­‐everything-­‐cop 12
http://www.zimbio.com/For+The+Win/articles/7tORE88iqDW/5+Creative+Ways+Censor+ Nicki+Minaj+Anaconda (20.10.2015) 13
s.o. (20.10.2015) 14
http://thisispopcenter.com/nicki-­‐minaj-­‐moons-­‐us-­‐her-­‐bare-­‐booty-­‐on-­‐her-­‐new-­‐singles-­‐ cover-­‐art/ (20.10.2015) 11
5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 50 In folgender, kurzer Beschreibung des Bildes, wähle ich bewusst Begriffe, die wenn möglich nicht extrem konnotiert sind – sei es positiv, negativ oder sexuell. Auf dem Cover trägt Minaj einen rosanen Bustier-­‐BH, rosanen String und blaue Air Jordan Sneaker. Das Foto zeigt sie in der Rückansicht, sie hockt auf dem Boden, die Beine sind offen, also nach außen zeigend, Minaj schaut über ihre Schulter in die Kamera. Ihren Blick könnte man als lasziv beschreiben, er ist gleichzeitig jedoch weder hingebungsvoll, verführerisch oder gehorsam. Sie guckt dem Betrachter direkt und stark in die Augen. Ihr Körper ist bis auf das an einen Sport-­‐Bh erinnernde Bustier und die Schuhe unbedeckt. Der Hintern ist, wenn man die gängingen Schönheitsideale der Kulturindustrie als Norm zugrunde legt, groß und rund und wird in seiner Nacktheit präsentiert. Der String bringt die Kurven des Pos noch deutlicher zur Geltung. Auf kompositorischer Ebene ist ihr Körper auf der Mittelachse des Bildes platziert. Ihr Kopf ist im mittleren Drittel, kurz über dem Zentrum des Bildes platziert, der Po befindet sich im unteren Drittel des Bildes. Der Hintergrund ist einfach und komplett weiß. Über Minajs Kopf steht in rosanen Großbuchstaben ihr Name und der Name des Songs. Minajs Augen sind dunkel geschminkt, sie hat eine sporliche Figur, ein Tattoo auf dem linken Arm, welcher lässig an ihrem Körper herunterhängt. Ihre körperliche Haltung könnte man als sportlich und selbstsicher beschreiben. Die heftigen Kontroversen um ihren nackten Po und das Album-­‐Cover hat Minaj, 15
nach eigenen Aussagen überrascht . Auf der Seite der Huffington Post wird noch am gleichen Tag darüber geschrieben: „If the cover art for ‘Anaconda‘ is this racy, we can only imagine 16
what the music video will be like“ . ‚Racy‘ wird im Oxford Dictionary and Thesaurus als „lively and exciting, especially in a sexual way“ (Oxford Dictionary Thesaurus 2001) beschrieben. Auf urbandictionary.com findet man die Gebrauchsbeispiele: „1) Yo theres racy, 17
she’s got one sexy ass, 2) woah she’s/thats racy, 3) so racy of her“ . Die Wortwahl determiniert also eine sexualisierte Lesart, die auf eine Frau als Sexobjekt abzielt. Minaj antwortet auf die Kritik und die Entrüstung auf ihrem Instagram Account und verteidigt ihr Album Cover. Sie empört sich darüber, wie die Kontroverse geführt wird und zeigt anhand von mehreren Bildern, die sie postet, dass die gleiche Nacktheit, die gleiche Pose bei weißen Frauen nicht nur keine Kontroverse auslösen, sondern als Magazincover von großen und bekannten Zeitschriften überall im öffentlichen Raum zugänglich sind. „Why is it that supermodels like Kate Upton who appear on magazine covers, most notably the Sports 18
Illustrated Swimsuit Issue, don’t get any blowback for doing the exact same thing?“ Nicki Minaj macht auf die rassisierte und rassistische Lesart ihres Album Covers aufmerksam und trotzdem beharren weiße Online-­‐JournalistInnen auf dem hegemonialen ‚aber‘, das die 15
http://nickiminaj.wikia.com/wiki/Anaconda?file=Anaconda_artwork.jpg (20.10.2015) http://www.huffingtonpost.com/2014/07/24/nicki-­‐minaj-­‐anaconda-­‐cover_n_5617153.html (20.10.2015) 17
http://www.urbandictionary.com/define.php?term=racy (20.10.2015) 18
http://www.spin.com/2014/07/nicki-­‐minaj-­‐anaconda-­‐single-­‐cover-­‐response/ (20.10.2015) 16
5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 51 rassistische Kritik durch ihre weiße Lesart der Situation überschreibt. Dan Reiley schreibt auf spin.com: „Given the fact that this is hardly uncharted territory for celebrities, especially pop stars, we’ll assume this has more to do with clickbait and, hopefully, less to do with race.“ Diese (wohlgemeinten) Kommentare relativieren die rassistische Dimension und Bedrohung für Schwarze* Menschen und sind in sich selbst Teil einer Zensur. Die Ausdrucks-­‐ und Redefreiheit einer Schwarzen* Frau wird hier von einem weißen Mann gedeckelt, der durch sein -­‐ wie es scheint unwissentliches -­‐ Verhalten, die hegemoniale, rassistische Lesart der Bilder fortschreibt. Weiße Menschen möchten sich einer rassistischen Realität nicht beugen, weil sie nicht das Gefühl haben, sie müssten es. Ihre Privilegien lassen sie an eine gerechte und faire Welt glauben. Nach dem Motto: ‚das kann doch gar nicht mit Rassismus zusammenhängen, das war nur ein Versehen‘. Auf meine Bildbeschreibung bezogen möchte ich eine alternative Lesart anbieten. Minajs Gesicht und ihr fester Blick stehen im Zentrum der Bildkomposition. Sie guckt die betrachtende Person direkt an. Ihre Haltung drückt Selbstbewusstsein aus und ihre Mimik ist nicht süß und nicht unterwürfig, wie beispielsweise die Fotos der weißen Models, die sie als Verteidigung auf ihrer Seite postete (siehe Fußnote 18). Diese gucken weg, senken den Blick schüchtern oder gucken in die Kamera, aber mit einem netten Lächeln. Diese Posen lassen den voyeuristischen Blick zu. Sie laden den Betrachter oder die Betracherin ein, ihre Körper anzugucken, denn die Models gucken weg. Ihre Körper werden dargestellt und sie scheinen dazu zu lächeln oder sich verschüchtert dem Blick des Betrachters auszusetzen. Minaj dagegen fordert den Blick des Betrachters heraus. Sie lässt die Person, die sie anguckt, nicht aus den Augen und macht auch durch ihre Körpersprache klar, dass sie eine aktive Subjektposition vertritt. Sie lässt sich nicht durch den fremden Blick des Anderen objektivieren. Und selbst wenn sie ihren nackten Hintern zeigt, guckt sie doch genau hin, wer sie anguckt. Wenn man ihr auf den Hintern starrt, darf man dies nicht voyeuristisch, unerkannt tun. Das lässt sie nicht zu. Man wird dabei quasi erwischt. Ihr zurückschauender Blick, ihre Pose zeigt eine Selbstbeherrschung, die keine bloße Fleischschau zulässt. Minaj spielt mit ihrer Sexualität, das ist klar. Klar ist auch, dass sie eine Meisterin der Verkleidung und auch der Aufmerksamkeitserregung ist, wie in der Popkultur üblich. Aber dem Vorwurf, sie würde sich nur ausziehen und sich als Sexobjekt darstellen, widersteht dieses Bild mit vielen Argumenten. Sie ist nicht Sexobjekt, sie ist Sexsubjekt -­‐ und das ist der Teil dieses Bildes, der auf die weiße, patriarchalische Gesellschaft so schockierend wirkt. Man muss keine Gangsta-­‐Rap Videos als Beispiel heranziehen, in sämtlichen Zeitschriften, in Unterwäschekampagnen, die im Großformat an jeder Bushaltestelle hängen, überall im öffentlichen Raum sieht man sehr leicht bekleidete Frauen, mit lasziven Blicken, offenen Mündern und weichen Gesichtszügen. Was man nicht sieht, sind schwarze, runde Frauen und/oder Frauen, die nicht diesen wohlwollenden, süßen, unterwürfigen Blick haben. Frauen, 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 52 die einem in die Augen schauen, als ob sie sagen würden: ‚Ich will das für mich und nicht für dich. Du darfst mich gerade angucken, weil ich das so will!‘ Nicki Minajs Single Cover ist also auf zwei Weisen subversiv. Es zeigt einen nackten, Schwarzen* weiblichen Körper und sie inszeniert sich als weibliches Subjekt in einer sexuellen Po-­‐sition. Schwarze* öffentliche Sexualität wird, wie im ersten Teil dieser Arbeit ausführlich dargelegt, als Affront der weißen Mehrheitsgesellschaft gelesen. Schwarze* Sexualität ist mit Stereotypen überladen. Lesarten, die Minaj als billig und nuttig abwerten, wie es auch in der 19
deutschen Rezeption passiert , spiegeln solche Stereotypen wider. Die offene weibliche Sexualität zum eigenen Lustgewinn wird in afroamerikanischen Kulturen -­‐ und ich möchte argumentieren auch bei uns -­‐ mit dem Script des „Freaks“ (Stephens/Few 2007) belegt und als nicht sittlich und unweiblich gesehen. Es irritiert und beschämt die in einer weißen Kultur sozialisierten Betrachter, die verinnerlicht haben, dass dieses Verhalten von Frauen schlicht gesellschaftlich unerwünscht ist. Überdies drückt es eine widerständige Kraft aus, die die hegemoniale Lesart brüchig macht und deswegen gezügelt werden muss -­‐ „Wo kämen wir denn hin, wenn jetzt auch noch Frauen sexuell aktiv sein möchten?“. 5.2 Anaconda – der Clip Nachdem die Veröffentlichung des Songs um eine Woche auf den 4. August 2014 verschoben worden war, wurde am 19. August 2014 das Musicvideo zu „Anaconda“ publiziert. Das unter der Regie von Colin Tiley produzierte Video brach den Rekord der meisten Streams auf der Musik-­‐ und Videoplattform Vevo, da es in den ersten 24 Stunden 19,6 Million Aufrufe verzeichnen konnte. Nur Taylor Swifts Video zu „Bad Blood“ (2015) hat bisher diesen Rekord knacken können. Das Musikvideo war zweifach nominiert bei den MTV Video Music Awards 2015 in den Kategorien ‚Bestes weibliches Video‘ und ‚Bestes Hip-­‐Hop Video‘. Letzteren Preis gewann Minaj. Im Vorfeld der Verleihung, als die Nominierungen bekannt gegeben wurden, gab es eine weitere öffentliche Diskussion darüber, warum das Video nicht in der prestigeträchtigsten Kategorie ‚Video of the Year‘ nominiert worden war. Es war ein viraler Megahit, aus den Feuilletons nicht wegzudenken, ganz Amerika – und wie man an dieser Arbeit sehen kann nicht ‚nur‘ Amerika – diskutierte über Po und Posen. Der Song hielt sich 20
acht aufeinanderfolgende Wochen in den US Billboard Top 10 , er war nominiert für den Besten Rap Song bei den Grammy Awards und war ein Internationaler Erfolg mit Platin und DoppelPlatin Status in den USA mit 1,3 Million verkauften Tonträgern bis Dezember 2014. Das 19
Auf laut.de ist eine sehr einseitig negative Kritik zu Song und Video, die in keinster Weise Black Culture und Black Music als Kontexte mitbedenkt. Auch die Kommentare der User folgen dem Tenor: „billig, nuttig, inkompetent“ und überdies findet man wieder die ‚gutmeinenden‘ Vertreter der Hegemonie: ‚sie soll doch bitte nicht auf ›dünnen Ärschen rumhacken‹, jeder sei so wie er ist‘. http://www.laut.de/News/Nicki-­‐Minaj-­‐Look-­‐At-­‐My-­‐Butt-­‐20-­‐08-­‐2014-­‐10733 (23.10.2015) 20
https://en.wikipedia.org/wiki/Anaconda_(Nicki_Minaj_song). (4.11.2015) 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 53 Single Cover und Video dominierten die öffentlichen Diskurse und markierten einen Einschnitt in der Popkultur. Auch hier nutzt Nicki Minaj ihre Social Media-­‐Seiten um Kritik zu äußern und twitterte: „When the ‚other’ girls drop a video that breaks records and impacts culture they get that nomination“ und „If your video celebrates women with very slim bodies, you will be 21
nominated for vid of the year“ . Die nominierte Taylor Swift fühlte sich angesprochen und reagierte verärgert auf die Posts, woraufhin Minaj klarstellte, dass sie Swift nicht persönlich angegriffen habe und forderte sie auf, keine persönliche Fede daraus zu machen, sondern ihren Einfluss als Superstar zu nutzen, um zu diesem Thema und für Schwarze* Frauen 22
öffentlich Stellung zu beziehen. Sowohl Swift als auch Miley Cyrus verstanden jedoch nicht, was Minaj kritisierte und lehnten ihre Interpretation mit dem Argument ab, der oder die Beste könne gewinnen. Es sei also kein sexistisches und rassistisches Problem. Swift lud Minaj daraufhin ein, sie im Fall ihres Sieges zum Preisempfang auf die Bühne zu begleiten, was Minaj ablehnte: „They're not missing the point, they're just attempting to overshadow the point. Oldest trick in the book.“
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Die marginalisierte Lesart der Situation wird zurückgewiesen – hier durch zwei einflussreiche, weiße Frauen. Minaj weist ausdrücklich durch ihren Kommentar des ‚ältesten Tricks‘auf die Geschichtlichkeit dieser Situation hin. Es gibt also eine Art Skript für bestimmte Anfeindungen und wie die Mehrheitsgesellschaft darauf reagiert. Die Zurückweisung, Relativierung und Herabspielung des Problems gehört zu den ältesten Stützpfeilern der rassistischen Ideologie. Miley Cyrus kommentiert den Vorfall in 24
einem Interview etwas lapidar, ‚man könne es natürlich dem Rassismus andichten, aber....‘ . Die Privilegien, die sie schützen, lassen viele Teile der Mehrheitsgesellschaft die faire Version der Gesellschaft annehmen. Mit fair ist hier – man denke an die Binaritäten unserer Sprache – eine gleiche, nicht wertende, also gleichwertige Gemeinschaft gedacht, in der auch die Gegensätze ebenbürtig mächtig sind. Dass dies nur sehr begrenzt für Schwarze* Menschen zutrifft und noch weniger für solche Frauen, können sie aus ihrer Position kaum erkennen. Sie werden durch ihre Privilegien von den Wirkungsweisen der Machtstrukturen abgeschirmt, da sie selbst nicht Opfer der intersektionalen Unterdrückung sind, und auch die sexistische Unterdrückung oft nicht reflektieren. In dem Sinne verteidigen sie die hegemoniale Lesart und wollen an eine für alle gerechte Gesellschaft glauben. Diese kannn aber nicht als jene existieren, der eine heterosexuelle, maskuline Norm zugrunde liegt. Im folgenden Kapitel soll der Videoclip erst einmal beschrieben werden, wobei ich mich auf die visuelle Komponente fokussiere. In Anlehnung an Clifford Geertz (1987) Konzept der „dichten Beschreibung“ gehe ich in drei Schritten, Beschreiben – Verstehen – Deuten, vor. 21
http://time.com/3967118/nicki-­‐minaj-­‐taylor-­‐swift-­‐vmas-­‐video-­‐music-­‐awards/. (4.11.2015) http://www.nytimes.com/2015/08/28/arts/music/miley-­‐cyrus-­‐2015-­‐mtv-­‐vmas.html. (4.11.2015) 23
siehe Fußnote 21 24
http://www.nytimes.com/2015/08/28/arts/music/miley-­‐cyrus-­‐2015-­‐mtv-­‐vmas.html. (4.11.2015) 22
5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 54 Die „dichte Beschreibung“ versucht Bedeutungen in ihrer kulturellen Einbettung und unter Berücksichtigung der kulturellen Geprägtheit des Forschers zu lesen. „Ich meine mit Max Weber, dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbst gesponnenen Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Untersuchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht. Mir geht es um Erläuterungen, um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen, die zunächst rätselhaft erscheinen.“ (Geertz, 1987: 9) Geertz beschreibt wie ‚Verstehen‘ zunächst durch Kontextualisierung des Phänomens angenähert werden kann. Als letzten Schritt kann das ‚Begreifen’ folgen, dass den Gegenstand produktiv mit Bedeutung füllt, indem dieser Prozess den Gegenstand in eine Reihe von Begriffen und Kategorien sortiert und damit Grenzen zieht, die bestimmte Bedeutungen zulassen und Andere abwehren (vgl. Butler in Kap. 2). Es ist ein Erschließen und Rekonstruieren von Bedeutung. Der Forscher oder ‚Leser‘ wird hierbei nicht als gänzlich objektiv verstanden, der quasi die Bedeutung des Gegenstandes ‚nur‘ abliest, sondern gleichzeitig als „Writer“ (Todd: 78), der durch seine Deutungen und Interpretationen soziale Diskurse seinerseits in den Gegenstand mit einschreibt (vgl. ebd.). Ich versuche also das Video als visuellen, kulturellen Text zu ‚lesen‘ und werde meine Lesart als eine relevante, mögliche Gegen-­‐Lesart darstellen. 5.2.1 Dichte Beschreibung Eine sekundengenaue Analyse des Clips, die versucht alle intertextuellen Referenzen und jede Kameraeinstellung einzufangen, würde ebenfalls den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ich konzentriere mich daher auf die dargestellten „Bilder bzw Sequenzen“ (Rappe 2010: 286). „Jedes dieser Bilder stellt innerhalb des Clips eine geschlossene filmische Einheit dar und besitzt einen gedanklichen und formalen Zusammenhang. Dieser Zusammenhang besteht für mich vor allem in der Darstellung einer Örtlichkeit […] an der performt, agiert und repräsentiert wird“ (Rappe 2010: 286). Im Videoclip kommen fünf verschiedene Schauplätze vor. Der erste Schauplatz ist im Dschungel, genauer vor einer Bambushütte. Hier sind verschiedene Gegenstände verortet, die durch einen Cut eingeblendet werden (Schallplattenspieler, Cocktails, Schatzkiste, Totenkopf, Whirlpool). Als zweites Bild fasse ich die Einschübe vor weißem Hintergrund zusammen, die aus der Urwaldthematik herausfallen und Hip Hop-­‐Kontexte zeigen. Hier werden Tanzchoreographien in Hip Hop üblicher Kleidung eingeblendet oder der Text des Songs verbildlicht, wenn es um Nicki Minaj als ‚Fashion Girl‘ geht. Dann wird sie in der jeweiligen Aufmachung gezeigt. Das dritte Bild ist ein in rosa und blau gehaltener Fitnessraum in der Bambushütte, in dem Frauen trainieren oder auch eine Tanzchoreographie abläuft. Als vierter Schauplatz dient eine bunte Küche, auch im inneren der oder einer Bambushütte. Hinter einer Anrichte schneidet einer Frau Obst und hantiert mit Sprühsahne. Des fünfte Bild zeigt einen 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 55 Stuhl vor einer Wand. Wand und Boden sind im gleichen, gräulich-­‐weißen Farbton und verfließen optisch. Auf dem Stuhl sitzt ein Mann, der von einem Spot beleuchtet wird. Er wird von einer Frau angetanzt, der Scheinwerfer leuchtet, sodass die Silhouette der beiden als Schatten im kreisrunden Lichtkegel an die Wand geworfen wird. Im Folgenden sollen die einzelnen Bilder so beschrieben werden, dass ein Eindruck von diesem Ort gewonnen werden kann. Zwischenzeitliche, kurze Einschübe werden nicht in chronologischer Reihenfolge berücksichtigt. Es geht um einen Gesamtkonzept vom jeweiligen Bild und was es dort zu sehen gibt. Innerhalb des ersten Bildes -­‐ dem Dschungel -­‐ lassen sich folgende Dinge beobachten: der Clip beginnt im Gegenlicht, es sind zwei Bäume zu erkennen, einer sehr mächtig und groß, der andere eher schmal. Eine Liane hängt quer durch das Bild und ein Affe läuft auf ihr entlang. Man hört verschiedene Vogelstimmen, ein Flirren und Surren von Insekten. Die Kamera fährt nach hinten unten, zuerst kommt das Dach einer Bambushütte ins Bild, dann eine Hängebrückenkonstruktion ebenfalls aus Bambus vor der Hütte, auf der drei Frauen stehen. Die beiden äußeren Frauen stehen mit dem Rücken zur Kamera und haben je das äußere Bein auf das Bambusgeländer angewinkelt. Sie Tragen eine Art Bikini in Schwarz mit breitem Slip und breitem Bustier ohne Träger. In der Mitte steht eine weitere Frau, sie steht frontal zur Kamera. Sie trägt eine Art Bustier, das aus goldenen Ketten besteht. Um ihren Hals laufen diese Ketten zusammen und sind auf der Rückseite gebunden. Das Geländer verbirgt ihren Unterkörper; man weiß nicht, was sie untenherum trägt. Vom rechten Bildrand schlängelt sich eine riesige Anakonda um das Geländer auf die Frauen zu, sie züngelt. Die Kamera fährt weiter zurück, auf der Vorderseite der Bambushütte ist eine große bunte Stammesmaske angebracht, zwei weitere Frauen liegen unten am Geländer, je ein Bein schräg nach oben streckend und ebenfalls in die Kamera guckend. Bevor die Musik losgeht, hört man ein knurriges Raubkatzengeräusch. Auf die ersten Beats der Musik wird ein Po einer der Frauen eingeblendet. Er wird so nach hinten geworfen, dass die Pobacken wackeln. Cut. Ein Schallplattenspieler auf einem roten Koffer dreht eine Ananas. Cut. Auf der Bambusbrücke stehen vier Frauen. Zwei sind auf das Geländer gestützt, so dass Oberkörper und ein Bein entlang des Geländers liegen können. Eine Frau steht quer auf der Brücke, zwei andere stützen sich an Pfeilern des Geländers in verschiedene Richtungen. Cut. Ein Close-­‐Up einer Kokosnuss wird eingeblendet. Sie ist oben aufgeschnitten zu einem Gefäß gemacht. Eine weiße Flüssigkeit quillt aus ihr heraus und ein kleines, rotes Schirmchen steckt am Rand. Cut. Die Frauen auf der Bambusbrücke rücken um die Frau mit dem goldenen Bustier herum und schmiegen sich gegenseitig an sie. Cut. Auf dem Plattenspieler drehen sich Bananen. Cut. Man sieht eine der Frauen auf der Brücke in einer Seitenansicht. Sie kniet auf dem Boden, ihre Unterarme stützen sich ebenfalls auf den Boden, so dass ihre Hüfte über der Schulterlinie ist. Sie guckt von unten in die Kamera. Cut. Eine Frau beugt sich über das Geländer, ihre Arme sind rechts und links auf das Geländer 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 56 aufgestellt. Sie schaut ebenfalls von unten in die Kamera. Cut. Eine Frau kniet an einem Geländerpfosten und streicht mit Blättern zwischen ihren Fingern an ihrem Oberschenkel und Po entlang. Cut. Die Frauen stehen auf der Brücke, alle schauen nach links, die Frau mit dem goldenen Bustier steht in der Mitte und schaut in die Kamera. Während des Build-­‐ups wird die Schnittfrequenz der Bilder erhöht. Auf die Eins des ersten Taktes des Build-­‐up wird eine der Frauen gezeigt, wie sie auf dem Geländer kniet mit beiden Beinen rechts und links auf einer Geländerstange. Sie bewegt ihr Hinterteil nach vorn und zurück, so dass ihre Pobacken geschüttelt werden. Sie schaut über ihren linken Oberarm in die Kamera. Cut. Eine weitere Frau lehnt über ein Geländer und man sieht sie von hinten mit Sicht auf ihren ausgestreckten Po. Cut. Die Kamera zeigt die Frau mit goldenem Kettenbustier von oben, sie lehnt sich mit ihrem Oberkörper nach vorne an das Geländer, streckt ihren Po nach hinten und schüttelt ihn und guckt dabei in die Kamera. Cut. Zwei Frauen stehen im Bildvordergrund nah beieinander. Eine hat ihr eines Bein auf dem Geländer angewinkelt und bewegt ihren Po rhythmisch vor und zurück. Cut. Vier Frauen stehen mit vorgebeugtem Oberkörper eng nebeneinander. Ihre Hände sind gekreuzt, so dass jede mindestens eine Hand auf der Pobacke einer anderen Frau liegen hat. In einer kleinen Choreographie bewegen sie ihre Rücken rhythmisch auf und ab. Cut. Ein Totenkopf hat einen rosanen, tragbaren, länglichen Lautsprecher zwischen den Zähnen. Cut. Eine Frau am Geländer schüttelt ihren Po, als in der Musik ein Peitschenknall zu hören ist. Die Frauen reiben ihre wackelnden Pos aneinander. Verschiedene weitere Bilder von Hinterteilen in verschiedenen Posen und Bewegungen werden im Dschungel gezeigt. Der zweite Schauplatz wird konstruiert durch den weißen Hintergrund, durch den weder Raum noch Tiefe zu erkennen sind. Der erste Einschub zeigt eine Schwarze* Frau auf blau-­‐roten Lackleder und Metallschuhen mit extrem hohen Absätzen. Sie trägt einen knielangen Bleistiftrock; eine goldene und blaue Corsage, außerdem mehrere Armreifen, eine Kette und eine Hochsteckfrisur. Der zweite Einschub zeigt eine Tänzerin mit Turnschuhen, Hot Pants, goldener Kette, goldenen Creolen und weißem Top, die in den Spagat springt. Sie landet, wenn beim Sample das Wort „Buns“ gerappt wird. Cut. Es folgt eine Tanzchoreographie mit und auf fünf Stühlen, die in einer Pyramide aufstellt sind. Die Tänzerinnen heben erst ihr gestrecktes rechtes Bein in einem Halbkreis bis zur Senkrechten hoch, dann werden beide Beine senkrecht vor das Gesicht gehoben und in einer Scherenbewegung auf und zu gemacht. Ein weiterer Teil der Choreographie beinhaltet, dass sich alle Frauen auf die Sitzfläche stützen, nun seitlich gestellt und mit ihren Hintern schütteln. Cut. Die vorderste Frau sitz breitbeinig auf dem Stuhl, in Stöckelschuhen, sie lehnt sich so weit mit ihrem Oberkörper nach vorne, dass er auf der gleichen Höhe wie ihre Hüfte ist, ein Arm stützt sie dabei mit der Hand auf dem Boden. Cut. Vier Frauen stehen ohne Stühle mit dem Rücken zur Kamera, breitbeinig und auch die Arme sind zur Seite gestreckt. Sie wackeln mit ihren Hintern. Cut. In der zweiten Strophe, bei „BANG, BANG, BANG“ liegen die 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 57 vier Frauen auf dem Bauch, den Kopf zur Kamera gedreht und schlagen ihr Gesäß und ihre Oberschenkel rhythmisch zu den Wörtern auf den Boden. Das dritte Bild beginnt mit dem zweiten Verse. Man sieht eine Frau in rosanem Bikini und zwei kleinen, rosanen Gewichten in der Hand in einem Fitnessraum. Sie steht in der Mitte, guckt in die Kamera und marschiert, die Gewichte abwechselnd hochziehend, auf der Stelle. Zwei Frauen knien im Vierfüßlerstand auf rosanen Matten, Gesicht zur Kamera gewendet. Sie heben das rechte Bein auf und ab. Im Hintergrund sitzt eine Frau mit gespreizten Beinen auf einem rosanen Gymnastikball und hebt sich aus den Knien auf und ab. Die vierte Frau steht in der rechten Ecke und macht Gewichtübungen mit kleinen rosanen Hanteln. Cut. Der Frau nahe der Gewichtsbank wird von der Frau im Bikini, die nun in Jogginghose und bauchfreiem Top gekleidet ist, gezeigt, wie tiefe Kniebeugen mit offenen Beinen ausgeführt werden. Cut. Die selbe Frau stößt die Beine von der Frau auf der Matte zurück, die diese zuvor gestreckt in Rückenlage zum Kopf geführt hat. Während des zweiten Build Ups wird im Fitnessraum eine Choreographie von vier Frauen getanzt. Die Frau in der rosanen Jogginghose wird gezeigt, wie sie auf allen Vieren über eine Gymnastikmatte auf die Kamera zu kriecht. Sie guckt dabei stets direkt in die Kamera. Die Hose verdeckt den Po zur Hälfte, ein rosaner String umrandet die Pobacken. Der Po ist auf gleicher Höhe wie die Augen und die Kamera. Cut. Jetzt ist der Oberkörper abgesenkt, ihr Blick geht von unten direkt in die Kamera, der halbnackte Po ist über dem Kopf und auf Kamerahöhe direkt im Blickfeld. Die Küche ist der vierte Schauplatz. Man sieht die Wände aus Bambusmaterial, ein großes Fenster, das mittig im Bild ist und Blick auf die Urwaldpflanzen bietet. Auf beiden Seiten neben dem Fenster sind rote Regale angebracht. Unter dem Fenster steht ein Sideboard, auf dem eine Kühltruhe, Bierflaschen, eine Schüssel, Dosen und andere Küchenutensilien stehen. Im Vordergrund ist eine Anrichte, auf der verschiedene Obstkörbe stehen. Eine Frau mit pinker Perücke in einer schwarzen Küchenschürze, schwarzen seidenen Handschuhen, die bis zu den Ellenbogen hochreichen, steht hinter diesem Tisch. Sie nimmt eine Dose Sprühsahne in die Hand und besprüht ihr Dekolleté. Cut. Erst bricht sie eine Gurke in der Mitte durch, dann isst sie eine Banane, später zerschneidet sie diese mit einem Küchenmesser. Cut. Die Anrichte fängt an sich zu drehen und die Frau hält sich an ihr fest und schwingt ihre Hüften, geht in die Knie und wieder hoch. Sie trägt unter der Schürze nichts außer einer Strumpfhose in Netzoptik mit verschiedenen Mustern. Der Gürtel der Schürze ist auf dem Rücken gebunden und eines der Bänder ist so lang, das es die Poritze verdeckt. Beim fünften und letzten Bild sieht man einen Mann auf einem Stuhl sitzen. Die Umgebung ist einheitlich grau-­‐weiß, es ist ein artifizieller Raum, ein Studio. Der Stuhl steht in der Mitte der Bildebenen und der Mann sitzt mit Blick und Beinen nach rechts. Aus dieser Richtung kommt eine Frau auf ihn zugekrochen. Sie hat ebenfalls eine Netzstrumpfhose an, die an den seitlichen Beinen große Aussparungen hat, die Pobacken werden bedeckt. Die Frau trägt fransige Stiefel mit hohen Absätzen und ein Bikinioberteil. Sie trägt außerdem ein 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 58 Baseballcap und großen goldenen Schmuck. Als sie den Mann auf allen Vieren erreicht hat, richtet sie sich an ihm auf und fängt an, ihre Hüften kreisen zu lassen. Bei dieser letzten Szene wird immer wieder zwischendurch ein anderer Ort eingeblendet, der zum Dschungel gehört. Es ist eine Art natürlicher Pool, ein Wasserloch, in dem sich dieselbe Frau in einem rosa-­‐roten Badeanzug befindet. Blätter, Sträucher und Farn ragen ins Wasser hinein. Die Frau lehnt anfangs an den Felswänden und zeigt ihre Zähne. Sie macht eine fauchende Mundbewegung und lächelt. Cut. Die Tanzszene geht weiter. Der Mann beobachtet die Frau ganz genau. Sie präsentiert ihm ihren Po von allen Seiten. Er scheint davon überfordert, nimmt eine Hand in Selbstbeherrschung vor den Mund. Cut. Im Pool liegt die Frau auf dem Rücken und lässt sich genüsslich in das Wasser gleiten. Cut. Nun kniet sie im Wasser und streicht sich mit einer Hand über den Po. Cut. Zurück zur Tanzszene steht sie hinter dem Mann und hebt ihr Bein über seine Schulter. Cut. Im Pool kniet sie, Po nach hinten, Hände nach vorne, Blick nach oben in die Kamera. Ihre Fingernägel sind in der gleichen Farbe lackiert, wie ihr Badeanzug. Die Frau wird immer wieder in unterschiedlichsten Haltungen gezeigt. 5.2.2 Das Sample Baby Got Back: musikalisches Signifyin’ Anaconda benutzt mehrere Sample von Sir Mix-­‐a-­‐lots Hit Baby Got Back. „For the most part, sampling [...] it’s about paying homage, an invocation of another’s voice to help you to say what you want to say“ (Rose 1994 zitiert in Rappe 2010: 169). Das Stück wurde 1992 zu einer regelrechten Hymne auf Schwarze* weibliche Hintern. Es fängt an mit den Worten: „I like big butts and I cannot lie“. Der Song wurde kontrovers diskutiert, da er unverhohlen über die Faszination mit Schwarzen* Hintern spricht und keinen Zweifel daran lässt, was der Rapper mit ihnen tun möchte. Sir Mix-­‐a-­‐lot bezeichnet in der dritten Strophe sein Geschlechtsteil als Anaconda. Das Sample dieser Stelle wird zum namensgebenden Moment für den Song von Nicki Minaj. Auch die anfänglich dargestellte Konversation zwischen zwei weißen Frauen in Baby Got Back („Oh my Gosh, look at her butt!“) wird gesampelt und verfremdet. „These samples are highlighted, functioning as a challenge to know these sounds, to make connections between the lyrical and musical texts. It affirms a black musical history and locates these ‚past‘ sounds in the ‚present‘“ (Rose 1994: 89). Rose zeigt auf, dass das Nutzen von Samples an orale Traditionen anknüpft und die Frage von Urheberschaft im westlichen Sinne vor eine große Problematik stellt. Anstelle des Autors/der Autorin oder des/der Komponisten/Komponistin tritt „communal authorship“ (ebd.: 86) – die gemeinsame Autorenschaft. Es geht um die Expertise der Auswahl und der Rekontextualisierung, um aus schon vorhandenen Sounds, Texten, etc. ein eigentständiges, neues Kunstwerk zu schaffen. Die Geschichte, der Song, Sound oder Text steht also nicht für sich, sondern wird durch die spezifische Art ihrer Verwendung und die dadurch entstehenden Kontexte, sowie der 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 59 Performance zu einem neuen Stück. Techniken der Kollage und des Versionings (vgl. Rose 1994) sind hierbei grundlegend. Sie lassen eine hoch referenzielle, mehrfach kodierte Intertextualität (vgl. Rappe 2010) entstehen. In der Community kommt es darauf an, diese Referenzen zu verstehen. Welcher Sound kommt von welcher Platte? Auf welchen Künstler und auf welche Zeit wird verwiesen? Wie werden diese Aussagen innerhalb der Black Community rekontextualisiert? Welche neuen Bedeutungen kommen deswegen hinzu, welche alten werden verdrängt? Außerdem kommt es in jeder Situation darauf an, wie ein/e KünstlerIn die Geschichte performt (ebd.: 86). Die persönliche Note und der künstlerische Style wird durch das Zusammenspiel von Samples, Sound, Sprache, Flow, Intonation, Rhythmus, Lyrics, Tanz und Performance sowie Klamottenstyle herausgearbeitet. Die gesellschaftliche Bedeutung innerhalb der Community spielt eine immense Rolle. Klang wird zum kulturellen Gedächtnis. Die Wiederholung, das Samplen von bekannten Stücken, entspricht der oralen Kulturtradition, ebenso wie das Schaffen von neuen Bedeutungen durch die Veränderungen, die in die Wiederholung einfließen. 5.2.3 Lyrics und Kontext Im Folgenden kann lediglich ausschnittsweise auf die Lyrics des Songs eingegangen werden, da die Komplexität und Vielschichtigkeit der referenziellen Intertextualität zu umfangreich für diese Arbeit werden würde und die Lyrcis für die Analyse nur unterstützende Funktion haben. Für eine ausführliche Darlegung der afroamerikanischen Sprachtradition und –kultur im Hip Hop, deren verbal duelling und signifyin‘ Techniken grundlegend für das Verständnis von Rap sind, möchte ich an dieser Stelle auf die deutschsprachigen Arbeiten von Rappe verweisen (vgl. Rappe 2010). Verse: My Anaconda don't... My Anaconda Sample „Baby Got Back“ von Sir Mix-­‐a-­‐Lot (Album don't... My Anaconda don't want none Mack Daddy, 1992. Def American) unless you got buns hun Nicki spricht von ihrem ‚Boy Toy‘. Sie boastet (prahlt) in afroamerikanischer Tradition und im Hip Hop üblicher Weise über ihren Liebhaber, der ein ‚harter Kerl ist‘, sein Geld durch Drogenhandel verdient, mit dem Gesetz im Konflikt steht und reich ist, im Luxus lebt und ihr Designerklamotten kauft. Sie bleibt in der Bildsprache der im Hip Hop verwurzelten Straßengangkultur. Boy toy named Troy used to live in Detroit Big dope dealer money, he was getting some coins Was in shootouts with the law, but he live in a palace Bought me Alexander McQueen, he was keeping me stylish 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ Now that's real, real, real, Gun in my purse, bitch I came dressed to kill Who wanna go first? I had them push daffodils I'm high as hell, I only took a half of pill I'm on some dumb shit Build up: By the way, what he say? He can tell I ain't missing no meals Come through and fuck 'em in my automobile Let him eat it with his grills, He keep telling me to chill He keep telling me it's real, that he love my sex appeal Because he don't like 'em boney, he want something he can grab So I pulled up in the Jag, and i hit 'em with the jab like... Dun-­‐d-­‐d-­‐dun-­‐dun-­‐d-­‐d-­‐dun-­‐dun Hook: My Anaconda don't... [...] Oh my gosh, look at her butt Oh my gosh, look at her butt Oh my gosh, look at her butt Look at her butt (look at her butt) 60 Sie unterstreicht ihren Style als extrem cool, ‚tödlich‘ und angesagt. Auf die Metapher des Tötens bezieht sich auch die nächste Zeile. Wer möchte zuerst (von ihr getötet werden)? Die Frage ist natürlich doppeldeutig und spielt auf sexueller Ebene darauf an, wer zuerst von ihr ‚um den Atem gebracht‘ werden möchte. ‚Pushing daisies‘ ist ein 25
älterer euphemistischer Ausdruck für ‚sterben‘ (etwa wie im Deutschen ‚die Radieschen von unten angucken‘). Auf diesen Ausdruck wird hier angespielt, nur dass Frau Minaj die Narzisse als Blume auswählt. Sie fordert Menschen heraus, die sie in Frage stellen und setzt sich durch; sie bringt die anderen dazu, ‚Radieschen von unten anzugucken‘. Hier wird auf Körperfülle angespielt. Sie lässt keine Mahlzeit aus und steht im krassen Gegensatz zu üblichen Frauenbildern in Videos. Die Zeile spiegelt eine von Nicki Minaj berühmte Zeile aus Kanye 26
Wests Hit „Monster” : „Forget Barbie, fuck Nicki ‘cause she’s fake She’s on a diet but her pockets eating cheesecake“ Die folgenden Zeilen sind sexuelle explizite Aussagen darüber, was Nicki mit Männern machen möchte, was sie ihnen sagt, was sie machen sollen. Sample (s.o.) Dieser Teil ahmt die ersten Sekunden des gesampelten Songs „Baby Got Back“ nach, in denen inszeniert wird, wie sich weiße Frauen darüber unterhalten, wie groß und ekelhaft sie die Hintern schwarzer Frauen finden. Nicki Minaj äfft diese Aussage nach und flippt sie in afroamerikanischer Manier. Die Bedeutung wird umgedreht und zurückerobert. Die vorher negative Besetzung ist nun positiv konnotiert. „Guck dir an, was sie für einen fenomenalen Hintern hat!“. 25
vgl. http://genius.com/3713772 und http://genius.com/3713760. (01.11.2015) vgl. http://genius.com/3647511. (02.11.2015) 26
5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 61 [2. Verse; Build Up; Hook] Yeah, he love this fat ass Yeah! This one is for my bitches with a fat ass in the fucking club I said, "Where my fat ass big bitches in the club?" Fuck the skinny bitches, Fuck the skinny bitches in the club I wanna see all the big fat ass bitches in the motherfucking club, fuck you if you skinny bitches. What? Yeah! Yea. I got a big fat ass. Come on!! 5.3 Verstehen: „I came dressed to kill – who wanna go first?“ 5.3.1 Referenzen zu Baby Got Back Um das Video von Anaconda verstehen zu können, muss man seine vielfältigen Referenzen 27
auf visueller , musikalischer und textlicher Ebene zu Baby Got Back von Sir Mix-­‐a-­‐lot berücksichtigen. Die visuellen Schlüsselkonzepte des Videos von Sir Mix-­‐a-­‐lot werden aufgegriffen und rekontextualisiert bzw. parodiert. In Baby Got Back kommen runde Früchte immer wieder als visuelle Referenz für den weiblichen Po vor. In einem Bild tanzt der Rapper auf zwei überlebensgroßen Honigmelonen, die zu einer Poform verschmolzen sind (Abb. 1). Des Weiteren werden immer wieder wackelnde und tanzende Früchte eingeblendet (Abb. 2). Der Schallplattenspieler, auf dem sich Früchte drehen, kommt ebenso aus dem Mix-­‐a-­‐lot Video. Bei ihm dreht sich eine Fleischtomate als Symbol für den Hintern auf dem Plattenteller, bei Minaj Ananas, Bananen, Zitronen und Tomaten. Die Präsenz von Obst in Anaconda ist also ein direkter Bezug. Auf textlicher Ebene rappt Sir Mix-­‐a-­‐lot darüber, wie ‚saftig‘ und ‚fleischig‘ er die Hintern seiner Frauen mag, was durch die Obstbilder zensurgerecht aufgegriffen wird; die sexuelle Konnotation kommt trotzdem an. Sir Mix-­‐a-­‐lot rappt im Video vor großen Buchstaben, die seinen Namen repräsentieren. Zu sehen sind vor allem die Buchstaben M-­‐I-­‐X (Abb. 3). Bei Nicki Minaj tanzen zwei Tänzerinnen vor den Buchstaben M-­‐Y-­‐X (Abb. 4), so heißt ihre Getränkemarke, von der 27
vgl. http://www.bustle.com/articles/36480-­‐7-­‐times-­‐nicki-­‐minajs-­‐anaconda-­‐music-­‐video-­‐wa s-­‐directly-­‐inspired-­‐by-­‐sir-­‐mix-­‐a-­‐lots-­‐baby-­‐got-­‐back. (02.11.2015). 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 62 auch die Bierflaschen in der Schatztruhe im Dschungel sind. Beide Wörter können in English auf die gleiche Art ausgesprochen werden. Die direkte Referenz ist wiederum zweideutig: sie verweist auf Sir Mix-­‐a-­‐lot, steht aber doch für Nicki Minaj’s eigene Kreation – die Getränkemarke. Die Tanzchoreographien weisen ebenfalls viele Parallelen auf. In beiden Videos tanzen vier Frauen (Abb. 5, 6). In Baby Got Back twerken die Frauen und ein Teil der Choreographie, der mit den überkreuzten Händen, taucht in Anaconda wieder auf. Die Kameraeinstellung aus der Vogelperspektive ist sogar die Gleiche (Abb. 7, 8). Sir Mix-­‐a-­‐lot rappt: „You can do side bends or sit-­‐ups, But please don't lose that butt“, während die Tänzerinnen im Hintergrund Sportübungen imitieren. Zum Peitschengeräusch sieht man ebenfalls, wie die Frauen sich auf den Hinter schlagen. Die Fitnesshütte bei Minaj verknüpft sowohl textliche als auch bildliche Anspielungen Mix-­‐a-­‐lots auf die Sportlichkeit der Hintern (Abb. 9). Sir Mix-­‐a-­‐lot rappt weiter, wie groß und stark sein Gemächt ist, während im Video eine Banane eingeblendet wird. Diese fliegt später mit einer Fleischtomate ins Bild (Abb. 10). Wenn Nicki Minaj in ihrem Video die Banane zerschneidet, ist das folglich eine klare Referenz zum Obst in Baby Got Back (Abb. 10.1). 5.3.2. Im Dschungel Die erste Einstellung der Kamera im Videoclip setzt, passend zum Namen des Songs, den Ort des Dschungels als Hauptspielstätte fest. Die sirrenden und flirrenden Geräusche und das Gegenlicht machen dem Betrachter die Hitze spürbar. Die Kamera gibt den Blick auf die Frauen frei, die wie Statuen die Brücke säumen. Die Frau in dem Bustier aus Goldketten ist Nicki Minaj. Sie schaut in die Kamera, ihre ‚Gang‘, die anderen Frauen, schirmen sie ab, als würden sie alle Richtungen im Auge behalten. Das Löwenknurren hat etwas Aggressives. Der Ausdruck des Raubtieres prägt die Grundstimmung und auch die Gang von Frauen erscheint animalisch. Selbst die Anakonda, die auf die Frauen zuschlängelt, erweckt keinerlei Regung in ihnen. Sie verharren in ihren Positionen. Sie sind selbst eine Horde wilder Tiere, die den Tag über faul herumliegen, aber immer ein wachsames Auge auf die Umgebung haben (Abb. 11). Minajs Halsketten-­‐Bustier verdeutlicht diesen Eindruck. Sie wird exotisiert, die Ketten um ihren Hals laufen zu ihren Brüsten: sie ist ein wildes Tier aus dem Urwald, das domestiziert wurde (Hütte, Halskette). Ihre wildesten Teile wurden als Fokus des Fetisch in Goldketten gelegt. Auch die anderen Haltungen der Frauen um die Brückenkonstruktion herum erwecken den Eindruck einer Gruppe von Wildtieren (Abb. 12), die sich beispielsweise auf einer Felsformation positioniert haben. Sie ruhen, warten zuerst darauf, dass etwas passiert und bewegen sich kaum. Ihren Kopf tragen sie stolz und hoch. Sie scheinen sich in ihrer Gruppe sehr wohl zu fühlen. Minaj, durch ihr Goldbustier hervorgehoben, ist die Anführerin der 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 63 Gruppe. Sie hat immer den Mittelplatz oder die Anderen gruppieren sich um sie herum. Dass sich die Frauen um die Geländer schlingen, die Art und Weise wie sie sich bewegen – der Kopf schweift weit nach rechts und links aus und führt die Bewegung an – und dass sich die Anakonda auf sie zubewegt, lässt darauf schließen, dass die Frauen selbst auch schlangenähnliche Qualitäten haben (Ab.. 13). Ihre verharrenden Positionen sind zudem sehr unbequem und muten unmenschlich an: die Beine angewinkelt, gespreizt, hochgehoben. Während das musikalische Build Up startet, werden die Frauen agil. Sie twerken und schütteln ihre Hintern, auch in den schwersten Positionen (Abb. 14). Gleichzeitig gucken sie, bis auf einige Ausnahmen, in die Kamera und müssen sich dafür teilweise geradewegs verbiegen. Es gibt einige Urwaldszenen, in denen sie wild ihre Körper und Hintern aneinander reiben (Abb. 15). Diese Szenen drücken eine starke Intimität aus. Die Frauen scheinen nur mit sich beschäftigt zu sein. Sie kümmern sich nicht um den Betrachter und scheinen ihr Tun zu genießen. Nicki Minaj guckt meist direkt in die Kamera, aber ihre Gesichtzüge lassen nicht anmerken, dass dort etwas oder jemand sein könnte, dessen Blick sie sich beugen würde. Sie scheint sich nach ihrem Willen auszuleben. 5.3.3 Tanzszenen und Fitnessraum Auch in den Tanzszenen gucken meist alle, zumindest ihre Anführerin Nicki Minaj in die Kamera. Ihr Blick ist entschlossen und herausfordernd. Sie scheint die Betrachter mit ihrem Blick fixieren zu wollen. In einer Szene (Abb. 16) erinnert sie an die Schlange Kaa aus dem Dschungelbuch, die hypnotisieren kann. Minaj bewegt sich hin und her, wie die Schlange, ohne ihren Blick auch nur einen Moment vom Betrachter zu nehmen. Im Fitnessraum ahmen die Frauen die Fitnessübungen nach, über die Sir Mix-­‐a-­‐lot rappt. Sie imitieren die Anstrengungen von Frauen, ihre Körper in Form zu bringen und zu halten. Die Frauen tragen alle hell blaue Turnschuhe und rosa oder weiße Bekleidung. Die viel zu kleinen rosanen Gewichte und Minajs knappes Outfit, die poppigen und grellen Farben stehen im totalen Kontrast zum vorherigen Dschungelbild. Die exotischen, wilden Tiere sind nun Frauen und imitieren, was ‚wahre Frauen‘ alles machen, um als solche mit ihren Körpern anerkannt zu werden. Lediglich die Bambushütte und die Stammesmasken an den Wänden verbinden diese Szenerie mit dem ersten Bild des Urwaldes. Diese Welt scheint aber nicht weniger surreal, als der Dschungel. Die Damen wirken einzig und allein konzentriert auf ihre Sportübungen, ihre leeren Blicke gehen ins Nichts, während Minaj den Betrachter trotz Hantelübung fest im Blick behält (Abb. 17). Ihr rosaner Bikini zeigt ihren trainierten, sportlichen Körper. Die sogenannte BOP-­‐Gymnastik (Bauch, Oberschenkel, Po) wird noch an anderer Stelle ad absurdum geführt (Abb. 17.1), wenn plötzlich drei Beine im Bild hängen. Die Fragmentierung von Körperteilen wird hier auf einer bildlichen Ebene angesprochen. Minaj 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 64 kniet später auf allen Vieren und ihren Unterarmen auf der Trainingsmatte und twerkt, so dass ihr Po auf der Bildebene über ihrem Gesicht wackelt (Abb. 17.2). 5.3.4 Die Obstküche Auch die Küche ist ein surreal anmutender Ort. Die bunten Farben der Regale, die vielen Früchte und die Köchin, Nicki Minaj, wirkt durch ihre rosane Perücke und ihr Schürzenoutfit wie aus einer anderen Welt. Das Versprühen der Sahne auf Dekolleté, Po und Oberschenkel, wie sie diese von ihrem Finger leckt und auch ihr Outfit sind pornographische Referenzen. Die Küchenschürze mit der Halskrause erinnert an Krankenschwesterkostüme, die zum sexuellen Rollenspielrepertoire gehören. Während die Puppe mit rosaner Perücke ihre sexuellen Verhaltensweisen in der Obstküche aufführt, wird immer wieder das Sample wiederholt, dass die Konversation der beiden weißen Frauen nachahmt: „Oh my gosh, look at her butt.“ Im Original geht die Konversation allerdings noch weiter: „They only talk to her, because, she looks like a total prostitute, 'kay? I mean, her butt, is just so big. I can't believe it's just so round, it's like, out there, I mean— gross. Look! She's just so... black!“ (Baby Got Back). Auch wenn dieser Dialog für Baby Got Back gestellt ist, echot er die Stimmen weißer Frauen und ihre Vorurteile über Schwarze* Frauen. Nicki Minaj lebt diese Stereotypen in ihrer absurderen Version nach. Sie ist in dem Moment nicht Nicki Minaj, sie trägt eine rosane Perücke und verkörpert damit einen zu spielenden Charakter. Während das Sample immer schneller wird, fängt auch die Anrichte an sich zu drehen. Man sieht ihren Hintern und wie sie sich an der Anrichte festhält. Dann wieder besprüht sie ihre Brüste und ihren Hintern mit Sahne. Es macht den Anschein, als würde sie die medialen, pornographischen Bilder nachspielen bis dem Betrachter schwindelig wird. Ausnahmsweise fordert dieser Charakter nicht den Blick des Betrachters heraus. Während sie die pornographische Kücheneinlage performt, schaut sie nicht in die Kamera. Ihr Gesichtsausdruck ist weich. Sie schaut so, wie Frauen medial verbreitet schauen, wenn ihnen etwas ‚gefällt‘ (Abb. 18). Das Drehen der Anrichte zum immer schneller werdenden Sample endet mit einem Cut. Beim musikalische Höhepunkt dieses Build Ups bricht sie erst eine Gurke durch, zerschneidet eine Banane und wirft diese seitlich hoch aus dem Bild. Das Zerschneiden der Banane wird durch die Musik und ihre großen Bewegungen dramatisch inszeniert. Sie hält die Banane hoch vor sich, sie ist im Bild auf Kopfhöhe. Da sie sie dort schlecht schneiden kann, hackt sie mit einem Messer Stücke der Banane in der Luft ab. Das Messer wird genutzt wie eine Mini-­‐Machete oder ein Schwert, das durch die Luft geschwungen wird. Nicki Minaj in Persona Köchin wirkt dabei selbstsicher und entschlossen. Am Ende der Küchenszene sucht sie wieder den Blick des Betrachters und schmeißt die Banane weg. Ihr Gesichtsausdruck ist genervt und bewertend (Abb. 19). Sie scheint sagen zu wollen: „Ich habe genug davon!“ 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 65 5.3.5 Der Lapdance und Whirlpool Nach der Küchenszene kommt kein textliches Sample aus Baby Got Back mehr. Man hört Nicki Minaj gehässig lachen. Sie rappt „Yeah, he loves this fat ass!“ Und wieder lacht sie. Es scheint als würde sie sich über Sir Mix-­‐a-­‐lots übertriebene Bindung an das Schwarze* weibliche Hinterteil lustig machen. „This one is for my bitches with a fat ass in the fucking club“ (Anaconda). Sie dreht den Spieß um und erklärt, dass dieser Song für alle Ladies mit großen Hintern ist. Nun wird sie abwechselnd in Bild fünf gezeigt, wo sie dem Mann auf dem Stuhl ihren Hintern im Tanz präsentiert, und im Dschungelkontext, wo sie jetzt in einer Art natürlichem Pool liegt, und sich räkelt und rappt. Sie guckt mal extatisch, mal wild und scheint den Betrachter beißen zu wollen, dann lässt sie sich wieder ins Wasser sinken. Sie trägt einen rosa-­‐roten Badeanzug, der eine Streifenoptik besitzt (Abb. 20). Man hört dabei, wie sie sich weiter lustig macht, sie klingt verrückt geworden, lacht hysterisch. Sie räkelt sich im Wasser, liegt auf dem Rücken und hat den Mund offen, dazu hört man auf dem Track ein knarriges, hohes Einatemgeräusch ihrer Stimme. Cut. Sie kniet im Wasser und streicht über ihren Po. Dazu kommt ein hohes ‚brrrrr‘ von ihrer Stimme im Track, das auch noch etwas Mockierendes im Klang hat. Cut. Der Lapdance geht weiter, ihre Stimme fordert auf: „Come on!“ während sie ihren Hintern im Twerking for dem sitzenden Mann hin und her schüttelt. Sie fordert ihren Zuschauer auf und spielt mit ihm. Sie wackelt ihren Po vor seinem Gesicht hin und her. Das Video endet damit, dass der Mann ihren Po anfassen möchte und sie seine Hand wegschlägt und geht. 5.4 Be-­‐Deutung-­‐en: „You could be the King but watch the Queen conquer“ Wie kann man Anaconda nun lesen und verstehen? Ist das Twerkin’ Teil einer weiblichen Ermächtigungsstrategie oder verbleibt es in der heterosexuellen Matrix und nährt Stereotypen von Frauen weiterhin? Im folgenden Abschnitt werde ich eine Deutung des Clips aufgrund der in dieser Arbeit ausgeführten Kontexte erörtern. 5.4.1 Gegengelesen: Baby Got Back Zuallererst möchte ich dieses Video gegen den Clip von Baby Got Back lesen. Auf den ersten Blick ist Sir Mix-­‐a-­‐lots Werk eine Hymne auf dicke, Schwarze* Hintern, die Schwarze* Frauen und ihre Körper anscheinend gegen die Normen der weißen, hegemonialen Gesellschaft verteidigt. Das Video unterstreicht diese Botschaft, in dem seine männlichen Kollegen dem Wortführer beipflichten. Sie schauen sich die Schwarzen* tanzenden Frauen an und rufen „Yeah!“. Ihre Blicke bestätigen ihr Verlangen und damit die ‚Schönheit‘ der Damen. Video und Text verbreiten auch einige kritische Botschaften, so werden weiße Schönheitsideale durch die „Cosmo“ (Baby Got Back) – die Zeitschrift Cosmopolitan – 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 66 repräsentiert und kritisiert. Außerdem seien diese Hintern „healthy“ und die weißen ‚Bohnenstangen‘ („beanpoles“) nichts für ihn. Er sagt darüber hinaus, dass er seine Frauen nicht beschimpfen oder schlagen würde und wenn das andere Männer täten, wäre er da und 28
würde die Frauen abholen . Während diese Botschaften positiv scheinen, vor allem im Vergleich zu der populären Gangsta-­‐Rap Sparte des Hip Hop der 90er Jahre, zeichnet sich ein anderes Bild, wenn man genau hinsieht und die Lyrics gründlich analysiert. Die scheinbar positiven Botschaften in seinem Rap beziehen sich allesamt auf das Schwarze* Gesäß – das Teil, nicht die gesamte Person. Cause you notice that Butt was stuffed [...], I'm hooked and I can't stop staring, [...] Take the average black man and ask him that, She gotta pack much back, [...] So ladies, if the butt is round, And you want a triple X throw down, [...] Little in the middle but she got much back, So Cosmo says you're fat, Well I ain't down with that!“ Die offenkundige Kritik an überschlanken Schönheitsnormen wird lediglich durch andere Normen ersetzt, die Frauen zu erfüllen haben, um begehrt zu werden. Der Hintern muss also dick und rund sein. Frauen sollen genug dafür essen, aber sie können schon sportlich sein („You can do side bends or sit-­‐ups, But please don't lose that butt“). Die Taille soll aber ebenfalls schmal sein, damit die Kurven noch besser zur Geltung kommen („'Cause your waist is small and your curves are kickin'“). Dass diese Fetischisierung des Hinterteils der sexuellen Lust dient, wird überdeutlich versprachlicht: „I just can't help myself, I'm actin' like an animal, Now here's my scandal, I wanna get you home [...]I wanna *fuck*, Till the break of dawn“ (Baby Got Back). Analysiert man das Video auf bildlicher Ebene, wird durch die Konzepte des ‚male gaze‘ und des ‚oppositionellen Blicks‘ (vgl. Kap. 2.5) unübersehbar, dass die weibliche Präsenz von Frauen im Video eine rein Objektivistische ist. Die erste Sicht auf einen Hintern wird ganz am Anfang des Videos gezeigt, wenn die Konversation der zwei weißen Mädchen abläuft. Die Kamera fährt durch eine Art Tor – wahrscheinlich zwischen zwei der riesigen Buchstaben -­‐ durch und zeigt eine Frau in kurzem Kleid, auf einem Podest. Sie steht auf diesem Sockel, wie eine Statue (Abb. 21) und po-­‐siert für den Betracher: dreht ihren Po zur Kamera. Der Sockel erinnert an die Karrikatur in Hall (2004: 157). Das Andere, das Objekt der Begierde wird hier präsentiert und dem fetischisierenden Blick freigegeben. Die beiden weißen Mädchen scheinen die Schwarze* Frau zu sehen, die Kamera folgt ihrem Blick. Über sie wird gesprochen, sie wird also schon zu Beginn des Clips als Objekt dargestellt, das zunächst von weißen Frauen als ‚häßlich‘ und ‚ekelhaft‘ gewusst wird und durch das Stereotyp der Prostituierten eine hypersexuelle Benennung erfährt. Als nächstes wird die Gruppe von Männern eingeblendet, die sich im Schatten der großen Buchstaben tummeln. Die Musik geht los, immer wieder wird (nur) der Po eingeblendet, während die weißen Mädchen abfällig über 28
„He had game but he chose to hit 'em, And I pull up quick to get wit 'em, So ladies, if the butt is round, And you want a triple X throw down“ (Baby Got Back). 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 67 ihn reden. Dann kommt die erste Zeile: „I like big butts and I cannot lie“. Das Schwarze* weibliche Körperteil steht also zwischen dem rassistischen Diskurs der weißen Mädchen und dem sexistischen Diskurs der Schwarzen* Männer, der nun beginnt. Eine Perspektive, die Schwarze* Frauen als Menschen bedenkt, wird ausgeschlossen. Sie werden abermals zum Schweigen gebracht. Zusätzlich fällt auf, dass der ‚ach so dicke Schwarze* Hintern‘ im Clip nicht dick ist, sondern sportlich und genau innerhalb der weißen hegemonialen Normen (vgl. Abb. 5;7). Bis auf eine Frau, die nur zweimal kurz im Video eingeblendet wird, sind alle Tänzerinnen und ihre Hintern extrem schlank. Sir Mix-­‐a-­‐lot stellt sich als scheinbarer Vertreter Schwarzer* Frauen in die Öffentlichkeit, in seinem Video tanzen aber schlanke Frauen mit kleinem Po (vgl. Abb. 1; 22). Der ‚männliche Blick‘ wird also in seiner hegemonialen Ausführung bestätigt. Die Tänzerinnen, die einzige weibliche Präsenz im Clip, gucken nicht in die Kamera. Mix-­‐a-­‐lot rappt über sie, sie zeigen ihre Körper und wackeln für ihn und für die anderen Männer, die sie angucken, mit ihrem Po. Der Text fordert sie mehrfach dazu auf, was die männliche Gruppe mit Gestik und Stimmen auf dem Track unterstützt: „So, fellas! (Yeah!) Fellas! (Yeah!), Has your girlfriend got the butt? (Hell yeah!), Tell 'em to shake it! (Shake it!) Shake it! (Shake it!), Shake that healthy butt!, Baby got back!“ (Baby Got Back) Die Frauen werden in jeder Hinsicht objektifiziert. Sie leisten keinen Widerstand, sondern setzen sich dem Blick der Männer aus. Wenn ihre Augen beim Tanzen in die Kamera schauen, lächeln sie lieblich und bemühen sich ihre Körper richtig in Schwung zu bringen (‚work their bodies‘). Die sexuell expliziten Gestiken führen sie aus, wenn Sir Mix-­‐a-­‐lot über seine Absichten rappt (Abb. 23). Dabei werden ihre Körper auch ohne Beine und ohne Kopf dargestellt -­‐ eine visuelle Zerstückelung in die Körperteile, die übersexualisiert werden und für den Sexualakt primär sind (Abb. 24). Die ständig auftauchenden Früchte, Fetischisieren und Objektivieren die Frauen weiter als Waren, die man begehren soll. Sie können gegessen und damit besessen werden. Die Bananen-­‐Symbolik gipfelt in einer Sequenz, bei der an einem neuen Schauplatz eine Frau tanzt. Man sieht sie nur von hinten, ihr Gesicht wird nicht gezeigt. Der Zuschauer weiß durch den Ortswechsel nicht, ob das eine der Tänzerinnen ist oder nicht. Sie tanzt in Unterwäsche und hat um die Hüfte eine Art Baströckchen -­‐ jedoch aus Bananen (Abb. 25). Ihre Hüfte ist also von phallischen Symbolen belagert. Hier wird suggeriert, dass Schwarze* Frauen folglich für Sex gut zu ‚gebrauchen‘ sind. Mix-­‐a-­‐lot rappt sogar: „Then turn around! Stick it out! Even white boys got to shout Baby got back!“. Selbst die weißen Männer müssten zugeben, dass der Schwarze* weibliche Hintern sexuell anziehend sei. Schwarze* Frauen werden als pure Sexobjekte zwischen weißen Frauen zu Beginn und dann Schwarzen* und weißen Männern gehandelt. Sie sind das absolut ‚Andere‘, was an ihrem Po – ähnlich wie bei der Hottentot-­‐Venus – festgeschrieben und essentialisiert wird. 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 68 Sir Mix-­‐a-­‐lot füttert die Stereotype Wahrnehmung von Schwarzen* Frauen also mit weiteren, scheinbar wohlwollenden Argumenten. In einem Interview erzählt er, dass er die diskriminierenden Schönheitsideale nicht mehr ertragen kann und deswegen den Song 29
geschrieben hat . Auch wenn er die rassistische Lesart versucht aufzubrechen, zementiert er die sexistische Darstellung und spielt somit einer weißen rassistischen Denkweise zu. 5.4.2 Anaconda: Twerkin’ -­‐ Selbstermächtigung oder Unterwerfung? Der Name des Stückes und das daraus resultierende Urwaldsetting des Clips rekontextualisieren das Sample von Baby Got Back in mehrfacher Hinsicht. Der ältere Videoclip ist jedoch von der Komplexität und Eigenständigkeit des heutigen Genres des Musikvideos durchaus entfernt. Es gibt kaum metaphorische Bildsprache außer der Früchte und des überlebensgroßen Hinterns. Das Setting verbleibt die meiste Zeit in der männlichen Hip Hop Crew und zeigt den Rapper, wie er und seine Band performen. Es wird also keine eigene Geschichte erzählt. Die Tänzerinnen sind Statisten für die musikalische Darbietung. Ihre Exotisierung und Objektivierung findet, wie zuvor aufgezeigt, dennoch statt. Der humorvolle Ton und die witzig anmutenden Früchte verharmlosen die diskriminierende Haltung Frauen gegenüber. Der Zuschauer lernt, dass es schon okay sei, dabei Spaß zu haben. Es findet abermals eine Relativierung der Situation statt, indem suggeriert wird: „Hey, tanz mit uns! Wir wollen doch nur Spaß haben!“. Die prahlerische, männliche Perspektive mit einer Überzahl an phallischen Symbolen gipfelt in der Metapher der Anaconda – der mächtigsten ‚Schlange‘ im Urwald. Diese Metapher wird also von Nicki Minaj aufgegriffen und in einen ganz neuen Song verwandelt. In Minajs Clip werden die Frauen gleich im Urwald gezeigt, sie sind, wie bereits gesagt, wilde Tiere. Die Exotisierung des weiblichen Körpers findet hier explizit statt. Ihr Benehmen, ihre Haltungen, ihre Po-­‐sitionen scheinen animalisch. Minajs permanenter Blick in die Kamera konstituiert sie als Subjekt. Sie ist die Chefin ihrer Gang und sie ist auch Herrin über den Blick des Betrachters. Mit hooks (1994) Konzept des ‚oppositionellen Blickes‘ gesprochen, leistet sie Widerstand. Obwohl die Damen sehr spärlich bekleidet sind und ihre Hintern schütteln, guckt Minaj doch die ganze Zeit hin und bleibt die dominante Person. Zu keiner Zeit vermittelt sie das Gefühl, sie würde etwas für jemand Anderen machen. Bis auf die Schlussszene ist kein Mann im Clip anwesend. Die Frauen sind unter sich und leben sich aus. Minaj und ihre Ladies reiben „those fat asses“ (Anaconda) aneinander, als gäbe es nichts Vergnüglicheres auf der Welt, als wäre das eine ganz natürliche Körperfunktion – der sogenannte Booty-­‐Shake. Minaj spielt mit dem voyeuristischen Blick der Betracher, aber sie liefert sich nicht aus. Sie traut sich, halb nackt vor der Kamera ihren Hintern zu kreisen und 29
http://www.vulture.com/2013/12/sir-­‐mix-­‐a-­‐lot-­‐baby-­‐got-­‐back-­‐video-­‐oral-­‐history.html#. (10.11.2015). 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 69 das mal sexy, mal als wäre es das Normalste von der Welt. Sie weist Zuschreibungen von Männern und „those skinny bitches“ – weißen Frauen – zurück und konstituiert sich als Subjekt. Das Twerkin’ aller Frauen im Urwald, wie sie sich begehren und auch die animalischen Haltungen rufen Erinnerungen an eine Affenhorde hervor, die im Zoo auf dem sogenannten ‚Affenfelsen‘ sitzt und sich natürlich verhält. Sie lausen sich, gucken sich ihre Genitalien gegenseitig an und kopulieren logischerweise schamfrei, während drum herum hunderte Besucher zusehen. Minaj inszeniert die Exotisierung, Fetischisierung und Sexualisierung von Schwarzen* Frauen, indem sie und die Anderen sich genauso aufführen, wie sie in ihren Stereotypen dargestellt werden – nämlich wie Tiere. Und sie haben Spaß dabei. Sie versucht die Bedeutung zu drehen (flippin’ the script) und den Kampf der Bedeutungen zu gewinnen. Was ihnen sonst von der weißen Gesellschaft und Männern vorgeschrieben wird, erobern sie zurück, aber unter ihren eigenen Bedingungen. Sie schaut genau hin und bleibt Herrin ihrer Lage. Der Fixierung, Naturalisierung und Sexualisierung Schwarzer* Körper, die in Mix-­‐a-­‐
lots Video anfangs durch die weißen Frauen geschieht, wird hier widerstanden. Die Logik der Naturalisierung („weil sie einen großen Hintern hat, ist sie eine Prostituierte“) wird der Kampf um die Bedeutungen des „Big Butts“ entgegengestellt. Minaj Track sampelt immer wieder die Stimme, die sagt: „Look at that butt“. Wie Hall beschreibt, kann der voyeuristische Blick auf das Objekt des Fetischs nicht beendet werden, obwohl es nichts Neues zu entdecken gibt (vgl. Kap. 2.5). Minaj fordert diesen ewigen Blick heraus: Jetzt guck gefälligst wieder hin! Man guckt unter ihrem Befehl und daher unter ihren Bedingungen. Sie zeigt sich als Tier, in verschiedenen sexualisierten Rollen in der Küche und spielt mit diesen. Sie scheint sagen zu wollen: wie genau möchtest du mich denn jetzt haben? Als Tier, als Prostituierte, als Freak oder als Köchin im sexy Kostüm? Und bevor ein imaginärer Betrachter antworten könnte, sagt sie: „Ich kann alle, ich bin alles; aber ich bin es nur, wenn ich es möchte. Ich lasse mich von dir nicht benennen“. Sie inszeniert ihren Körper als Oberfläche des ‚Spektakels des Anderen‘, dass von außen in ihr gesehen wird. Die Goldkette um Minajs Hals repräsentiert die Besitznahme ihres Körpers. Er wurde durch die vielen stereotypen Vorstellungen domestiziert und sie projiziert diese nun zurück. Der festschreibende Blick der Beobachter wird eingeladen, ihm wird ein Spektakel vorgeführt, aber Minaj behält die Macht über das Spektakel. „We get viewership without submission, gaze without power“ (Flamingo Semiotics Online). Minajs Verwandlungen und Gefühlsregungen im Video ändern sich schnell. Sie gibt sich wild, aggressiv, lustig, hysterisch, sexy, genießerisch, sanft – so lange, bis der Betrachter zu wissen glaubt, wo man sie einordnen kann. Der Dschungel mit der Bambushütte und den Stammesmasken gibt auch keine natürliche Umgebung vor, er ist viel mehr ein Dschungel, wie wir ihn uns vorstellen (vgl. 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 70 London Semiotics Online). Er repräsentiert das Wissen, das über „die Anderen“ produziert wird und als naturgegeben in den Diskursen über das Andere wieder auftaucht. Minaj spielt mit unseren Imaginationen und Machtdiskursen. Minajs Körper ist ebenfalls Fiktion. Die Imaginationen, die ihn ins Leben rufen, sehen den sexualisierten Körper, den sie sehen wollen, während Minaj die Projektionsfläche spielt. Minajs Körper ist in einer hyper-­‐visuellen Weise der Spiegel für die Bilder, die von der Gesellschaft über Schwarze* Frauen produziert werden. Sie stellt ihren Körper nicht so dar, wie er sich für sie anfühlt oder gebraucht ihn wie ihren echten Körper (vgl. London Semiotics). Die Farben in Küche und Fitnessraum unterstützen die Wahrnehmung einer fiktiven Welt. Einer Bubblegum-­‐Welt in der alles rosa, blau, bunt ist und leuchtet. Sie repräsentieren ebenfalls die Imaginationen der Anderen. Minaj stellt eine Welt dar, die aus dem gesellschaftlichen Wissen produziert wird. Wissen darüber, wie man als Schwarze* Frau zu sein hat und in welchen Kontexten man entsteht. Diese Fiktionen der hegemonialen Normen über Schwarze* Frauen sind so überzeichnet und idiotensicher, dass sie in ihrer ganzen zerstörerischen Kraft nicht mehr als lustig und normal gelesen werden können. Sie stiften Unbehagen. Sie imitieren in gewisser Weise die hegemoniale Lesart besser als das Original und das ist beängstigend (vgl. Kap. 2.1). In HD Qualität und mit Dolby Surround Sound kann sie wirklich niemand relativieren und daran vorbeisehen, oder doch? Die ständige Gefahr des Umbruchs der Lesart ist ein weiterer Beweis für die Unmöglichkeit des Festschreibens einer Bedeutung. „I mean, what we might be dealing with here is a kind of female empowerment which can look like a kind of female subjugation; so, where does the power lie here, because it seems to be quiet unstably pinging between two possibilities?“ (London Semiotics Online). Minaj spielt zwar in ihrem Video mit Darstellungen, sie tut dies aber mit großer Kontrolle und Wissen darüber, was sie macht. Sie wird seit ihrer frühesten Kindheit als extrem perfektionistisch und arbeitswütig beschrieben (vgl. Kap. 4.2). Anaconda ist ein Kunstwerk, ein Musikvideo, das zuvor geschrieben wurde und an dem ein ganzes Team der professionellsten Menschen aus Pop und Rap gearbeitet hat. Minaj weiß also genau, was sie tut. Wie kontrolliert und wissend sie mit diesen Stereoypen und dem Tabu des nackten, weiblichen Schwarzen* Körpers umgeht, ist eine andere Art des Widersetzens. Ihre Kommentare in Sozialen Medien und Interviews zeigen außerdem, dass sie sich politisch positioniert und sich in rassistischen und sexistischen Diskursen auskennt. Das Zerschneiden der Mix-­‐a-­‐lot-­‐ischen Banane ist also auch keine pure Spielerei, sondern eine Kampfansage an sein sexistisches Video. Die Blicke, die Haltungen, die Kameraeinstellungen sind kein zufälliges Produkt eines Songs, der sich zum Scherz das Wort Anaconda aus einem Hit sampelt und dann im Urwald spielt, um viel nackte Haut zu zeigen. Die Schlange ist ein symbolträchtiges Tier: "Die Symbolik der Schlange ist polyvalent: sie kann männlich, weiblich oder aus sich selbst entstanden sein. Als ein Tier, das tötet, ist sie Tod und Zerstörung; als eines, das periodisch seine Haut erneuert, ist sie Leben und Auferstehung; eingerollt wird sie mit den 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 71 Zyklen der Manifestation gleichgesetzt. Sie begleitet alle weiblichen Gottheiten und die Große Mutter, und häufig ist sie so dargestellt, daß sie sie umwindet oder von ihnen in den Händen gehalten wird. Hier hat sie dann auch die weiblichen Charakteristika des Geheimnisvollen, Rätselhaften und Intuitiven; sie ist das Unberechenbare, das sich zeigt und plötzlich wieder verschwindet. Die Schlange wurde auch für zweigeschlechtig gehalten, ist das Attribut aller aus sich selbst heraus schaffenden Götter und steht für die schöpferische Kraft der Erde.“ (Cooper, J. C. 1986 online) Die Schlange passt also besser zu Nicki Minaj, als jedes andere Tier. Sie ist polyvalent, wie Minajs vielzähligen Eigenschaften: sie bringt Tod und Zerstörung wie Minajs Gangsta-­‐Image. Minajs häutet sich in den Reinkarnationen ihrer Alter Egos, die ihre unterschiedlichen Charaktere verdeutlichen sollen und zeigen, dass sie sich nicht festschreiben lassen will. Sie ist gleichzeitig männlich und weiblich – wie Roman Zolanski und Barbie Minaj. Sie ist unberechenbar, und dreht und wendet sich oder verschwindet ganz aus den Kategorien, die sie gerade noch erfüllt hat. Auch ihre Musik lässt sich nicht festschreiben und sie tut dies bewusst (vgl. Kap. 4.2). Sie ist die einzige Frau, die sowohl im Pop als auch im Rap Erfolge feiert. Sie trifft alle künstlerischen Entscheidungen selbst und ist eine herausragende Rapperin. „I’m trying very hard to give nothing but quality“ (YouTube Interview). Am Ende des Videoclips, zwischen Wasserloch und Lapdance, scheint Minaj gänzlich zur Anakonda geworden zu sein. Sie räkelt sich im Wasser, faucht, züngelt, lacht, genießt ihre Bewegungen und hat den Betrachter voll im Blick. Sie hat Sir Mix-­‐a-­‐lot also nicht nur enttrohnt, sie ist selbst zur Anakonda, zur Wasserschlange, geworden. Minaj weist das passive, weibliche Paradigma zurück. Sie wird aktiv, ent-­‐männlicht symbolisch durch die Zerschneidung der Banane den männlich-­‐festschreibenden Blick und eignet sich den aktiven, männlichen Part an, indem sie selbst zur Anakonda wird, die vorher noch Sir Mix-­‐a-­‐lot für sich beansprucht hat. Auch im Lapdance ist sie der aktive, verführerische Part. Sie zeigt, dass man auch als Schwarze* Frau sexuell offen auftreten und trotzdem Herrin der Lage bleiben darf. Sie schlägt am Ende die Hand des Mannes aus. Sie verweigert die Objektivierung, auch wenn sich vorher sexuell aktiv verhalten hat. Minaj geht auch gegen die Vorstellung vor, dass verführerische und freizügige Frauen Männern zur Verfügung stünden. Es macht ihr Spaß und sie nimmt sich das heraus, was ihre männlichen Kollegen schon lange tun. Ihr Körper gehört jedoch immer noch ihr. „When I am assertive, I’m a bitch. When a man is assertive, he’s a boss“. Nicki Minaj 5.5 Kritische Rezeption von Schwarzen* Frauen Sowohl das Video als auch das Album Cover zu Anaconda musste neben den Stimmen von Minajs Fans sehr viel Kritik einstecken. Im folgenden Abschnitt möchte ich kurz auf einige Stimmen von Schwarzen* Frauen aus der Debatte eingehen. 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 72 bell hooks war unter den Schwarzen* Frauen eine der lautesten Kritikerinnnen des Videos und des populären ‚Booty-­‐Feminism‘, zu dessen Vertreterinnen auch Beyoncé Knowles zählt. Sie sei gelangweilt, von der obszönen Nacktheit, sagte sie bei einem Panel zum Thema „Whose Booty Is This?“ (vgl. Stoeffel 2014). Ihre Argumentation gründet jedoch auf dem Gedanken, dass die ‚Booty-­‐Feministinnen‘ Befreiung mit Wohlstand verwechseln würden. Sie könnten zwar eine gewisse Macht exerzieren, aber diese, so argumentiert hooks, bliebe immer im Rahmen der vorgegebenen und bekannten Grenzen des Möglichen von weiblicher Sexualität innerhalb einer weißen, kapitalistisch-­‐patriachalischen Gesellschaft (vgl. Stoeffel 2014 Online). Sie gibt zu bedenken, ob Beyoncé und Nicki Minaj genauso erfolgreich wären, wenn sie einen natürlicheren, Schwarzen* Look annehmen würden. Sie kritisiert die Anstrengungen einiger Schwarzer* Stars, durch blonde, glatte Haare und das Aufhellen der Haut – sei es chemisch oder durch Photoshop – weißer zu erscheinen. Sie spricht von einer feministischen Krise, wenn es darum geht, sexuelle Befreiung zu definieren und deutet an, dass pornographische, erniedrigende Verhaltensweisen nicht selbst-­‐ermächtigend wirken, nur weil sie von Frauen initiiert werden (vgl. ebd.). „‚A booty-­‐centric vision of female sexuality [...] asks, ‚who has access to the female body’?” (ebd.). Eine allgemeine Kritik am Booty-­‐
Feminismus äußert immer wieder die Sorge um die Kinder. „I wish for black teenage girls that those [natural] images were as accessible to them as the images of pop culture that are limited in their vibrancy and are in some way a reproduction” (ebd.). hooks Wunsch nach natürlichen Schwarzen* Frauenbildern kommt in gewisser Weise auch aus der Notlage der völligen Unterrepräsentation Schwarzer* Weiblichkeit im öffentlichen Raum. Diese kreidet Lhooq (2014) als größtes Problem für Schwarze* Weiblichkeit an und gibt so den Booty-­‐Feministinnen Rückendeckung. Sie schreibt auf der Homepage von The Guardian, dass zu einer Zeit, in der die Wunden des Rassismus aufplatzen und eine ganze Stadt in Flammen stand, die Welt der Popmusik und der öffentlichen Debatte nur über die Hintern von Schwarzen* Frauen sprechen möchte (vgl. ebd.). Sie spielt damit auf die Ereignisse in Ferguson an, wo am 9. August 2014 ein Schwarzer*, unbewaffneter Teenager von Polizisten erschossen wird und diese wenig später freigesprochen wurden. In der Folge ergeben sich sogenannte Rassenunruhen und hunderte Menschen protestieren gegen die systemische Gewalt gegen die Schwarze* Bevölkerung. Aus diesem Aufruhr und dem Hashtag #BlackLivesMatter wird eine Bewegung, die weiterhin um die Anerkennung und Aufarbeitung rassistischer Gewalt bemüht ist und Geringschätzung Schwarzen* Lebens anprangert, sichtbar macht und sich medial Gehör verschafft. Nur zehn Tage nach dem Vorfall wird der Clip zu Anaconda veröffentlicht. Lhooq kritisiert damit nicht etwa Nicki Minaj oder das Video, sondern den Unwillen der Öffentlichkeit, sich den wichtigen Themen zu stellen und auch dieses Video nur auf seine Po-­‐Inhalte zu reduzieren. Den Stimmen, die eine strengere Zensur zum Schutze der Kinder vorschlagen, stellt sie entgegen, dass deren Subtext sei: 5. Nicki Minaj: „Anaconda“ 73 „‚Hide your butt cheeks, hide your breasts, because people cannot learn to respect women if they are sexual creatures.‘ The real problem, of course, is the assumption that displays of feminine sexuality are indicators of sexual availability. That, and the framework of (white) patriarchal privilege that paves the way for this logical misstep [...] .“ (Lhooq 2014 Online) hooks Frage danach, wer Zugang zum weiblichen Körper erhält, verbleibt in gewisser Weise selbst in einem patriachalen Rahmen -­‐ jenem, der eingrenzt, dass das Zeigen weiblicher Sexualität ein Indikator für die Verfügbarkeit weiblicher Körper sei und einem Fremden Zugang gewähren würde. Lhooq plädiert dagegen für mehr und verschiedene Darstellungen Schwarzer* weiblicher Sexualität im öffentlichen Raum. Sie konstatiert, dass den Musikvideos eine immense Macht zukommt, weil kaum andere Repräsentationen von Schwarzer* Weiblichkeit öffentlich zugänglich sind. Musikvideos sollten nicht die einzigen Repräsentationsformen von Schwarzer* weiblicher Sexualität sein, von denen die Mainstreamkultur die ‚Anderen‘ erfährt. Sie verteidigt in diesem Sinne Nicki Minajs Video und spricht sich für eine offene Haltung ihm gegenüber auf. Sie hält Anaconda außerdem zu Gute, dass der Song die einseitige, männliche Darstellung von Baby Got Back in typischer Hip Hop Referenzialität in einen Dialog über die gesellschaftlichen Repräsentationsverhältnisse Schwarzer* Frauen verwandelt hat, der nun durch die weibliche Sicht erweitert wurde. In der Schlussszene des Lapdance verhindert Minaj ihrer Meinung nach außerdem eine Objektifizierung dadurch, dass die Kameraeinstellung weitwinklig bleibt, nicht auf ein Körperteil einzoomt und dieses damit vom Ganzen abtrennt und damit keine Fetischisierung zulässt. 6. Bildungsprozesse 74 6. Bildungsprozesse 6.1 Und was ist mit den Kindern? Pädagogische Gedanken Die Frage nach den Kindern ruft oft am schnellsten einen Zensurgedanken hervor. Wie geht man mit der Nacktheit und der Fetischisierung von Frauen in der Öffentlichkeit um? Welche Bilder von Frauen möchten wir an Kinder weitergeben und was sollen diese von jenen lernen? Auch wenn bell hooks wichtige Punkte kritisiert, lässt sich die Diskussion um Ermächtigungsstrategien, die Sexualität beinhalten, nicht einfach klären. Gerade weil es sich um eine komplizierte Angelegenheit handelt, die auf die Kontextualisierung von kulturellen Lesarten angewiesen ist, darf man Kindern gegenüber nicht schweigen. Sie verinnerlichen sonst die hegemoniale Lesart, die sich, wie im Verlauf dieser Arbeit ausführlich besprochen, auf sexistische und rassistsische Normvorstellungen bezieht. Die Bilder, die im öffentlichen Raum täglich auf Kinder und Jugendliche einprasseln, sind nicht dadurch zu beheben, dass man zu Hause ein Fernsehverbot aushängt oder nicht über Sexualität spricht. Auf dem Weg in die Schule hängen an jeder Bushaltestelle halb nackte Models, mit offenen Mündern und verführerischem Blick. Auch durch Handys und Internetzugang ist der nächste Pornofilm nur zwei Klicks entfernt. Eine Medienerziehung, die über die Bedeutungen von Bildern spricht und aufzeigt, was an ihnen gefährlich sein kann, muss unbedingt stattfinden. In dieser Hinsicht sind die impliziten Bilder, wie sie in dieser Arbeit bei Sir Mix-­‐a-­‐lots Video beschrieben wurden, eine weitaus größere Herausvorderung, als die explizite Sexualität einer Nicki Minaj. Auch wenn sie es ist, die um der Kinder willen zensiert wird, sind es die weißen, patriachalen Normen, die gefährlich sind, wenn sie nicht reflektiert werden und harmlos und witzig erscheinen. Dabei geht es nicht um eine Verurteilung, sondern ein Aufzeigen, warum etwas unterdrückend ist, damit Kinder lernen, sich ihre eigene Meinung zu bilden. 6.2 Gebrochene Rezeption / Grenzen der eigenen Lesart In der deutschen Rezeption von Anaconda gibt es, wie eingangs erwähnt, einige Stimmen, die in ihrer Bewertung offensichtlich die weiße, hegemoniale Brille aufsetzen und über Black Culture oder Black Music kaum etwas zu wissen scheinen. Obwohl diese für die Entwicklung der Popmusikkultur grundlegend ist, haben sich ihre Sparten wie Hip Hop global so weit entwickelt, dass die ursprünglichen Inhalte und subversiven Bedeutungen ihrer Gründercommunity verloren gehen bzw. offensichtlich nicht gelesen werden können. Spannend sind hierbei die Prozesse kultureller Aneignung, die wiederum durch die hegemoniale Kultur passieren. Im Internet gibt es eine große Debatte über „cultural appropriation“ und warum sich jemand wie Nicki Minaj über das Twerkin’ von Miley Cirus aufregt. Wenn die weiße Cyrus mit Schwarzen* Tänzerinnen auf der Bühne steht, twerkt und 6. Bildungsprozesse 75 ihnen auf den Hintern schlägt, ist das nicht vergleichbar, mit einer Schwarzen* Künstlerin. Cyrus kommt nicht aus der Afrodiasporischen Kultur, sie ist eine Vertreterin der hegemonialen Unterdrückerkultur und das anscheinend gleiche Auftreten hat damit eine ganz andere kulturelle Bedeutung. Minaj kritisiert sie weiterhin dafür, dass sie sich der rassistischen Unterdrückung anscheinend nicht bewusst ist, da Cyrus ihr Unverständnis darüber ausgedrückt hat, dass sich Minaj gegen Rassismus ausspricht. Die Aneignung einer kulturellen Praxis geht also nicht einher mit der Aneingung der dazugehörigen Bedeutung. Wenn Twerkin’ bei Schwarzen* Frauen in bestimmten Kontexten als Selbstermächtigend gelesen werden kann, ist es das in anderen Kontexten oder bei weißen Frauen nicht automatisch auch. Wie ich versucht habe in der Einleitung aufzuzeigen, war auch meine eigene Herangehensweise zunächst eine von Vorurteilen geprägte. Die Beschäftigung mit Schwarzen* kulturellen Inhalten und vor allen Dingen mit Schwarzem* feministischem Gedankengut hat mich in vielerlei Hinsicht gebildet. Nicht nur, dass ich ein neues Verständnis von Nicki Minaj als Künstlerin, vom Twerkin’ und vom Videoclip Anaconda bekommen habe, am eindrücklichsten war die Dekonstruktion meiner eigenen kulturell geprägten Lesart. Die Grenzerfahrung der Situation in der Gruppe, in der man merkte, dass die Bedeutungen nicht sicher waren und wir uns unwohl gefühlt haben, ist im Nachhinein ein erster Moment der Einsicht, dass die eigene Konstruktion von Bedeutung unterlaufen werden kann oder nicht auf andere Kontexte zutrifft. Für meine qualitative Forschung in dieser Arbeit, finde ich ein Zitat von Clifford Geertz besonders passend, dass sich auf die Methode der dichten Beschreibung als Instrument des Verstehens anderer Kulturen bezieht: „Die eigentliche Aufgabe [der deutenden Ethnologie] ist es nicht, unsere tiefsten Fragen zu beantworten, sondern uns mit anderen Antworten vertraut zu machen, die andere Menschen [...] gefunden haben, und diese Antworten in das jedermann zugängliche Archiv menschlicher Äußerungen aufzunehmen.“ In diesem Sinne wäre ein Bildungsprozess, die eigenen Grenzen erkennen zu können und trotzdem fremde, andersartige Kulturprodukte als mögliche Äußerungen anderer Menschen kennen zu lernen und die Brüche der Lesarten auszuhalten. 7. Ausblick 7. Ausblick 76 All the girls will come in, as long as they understand that I’m fightin’ for the girls that never thought they could win ‘Cause before they could begin you told ‘em it was the end. But I am here to reverse the curse that they live in „I’m the Best“ – Nicki Minaj In dieser Arbeit wurde Nicki Minajs Twerkin’ als Afroamerikanische Kulturpraxis im Spannungsfeld zwischen Ermächtigung und sexueller Objektivierung erörtert. Auch wenn das ‚Hintern-­‐Wackeln‘ aus feministischer Sicht weiterhin ambivalent bleibt, wurde aufgezeigt dass Nicki Minaj gerade die Brüche und Widersprüche zwischen beiden Polen nutzt um die eigentliche Praxis der kulturellen Bedeutungszuschreibung subversiv zu unterwandern. Das ist ein künstlerisches Ergebnis, eine ‚Antwort im Archiv menschlicher Äußerungen‘, die aufgrund der Vielschichtigkeit und hohen Referenzialität einen Diskurs über Schwarze* Frauen in der Populären Musik verankert hat. Nicki Minaj durchbricht mit der Inszenierung ihrer selbst in den verschiedensten Reinkarnationen jegliche Vorstellung von Gendernorm oder Begehren. Sie irritiert und provoziert nicht nur ihre KontrahentInnen, sondern auch die Hip Hop Welt, die nicht an eine Gangsta-­‐Bitch gewöhnt ist, die gleichzeitig eine Pop-­‐Barbie verkörpern kann und damit auch noch Erfolg hat. Nicki Minaj hat durch ihren mal bunten, mal puppenhaften, mal monstermäßigen Style eine visuelle feministische Schwarze* Ästhetik entwickelt. Sie lässt sich nicht klassifizieren und nicht einengen – nicht musikalisch, nicht als Person und schon gar nicht auf körperlicher Ebene. Offenbar möchte Minaj die Betracher dazu auffordern, sie nicht als „ein Spiegel zweiter Ordnung [zu sehen], der [ihnen] zeigt, was bereits existiert, sondern als eine Darstellungsform, die uns als neue verschiedenartige Subjekte konstituieren kann und es uns dadurch ermöglicht zu entdecken, wer wir sind«“ (hooks 1994: 165). 8. LITERATUR-­‐ UND QUELLENVERZEICHNIS 77 8. LITERATUR-­‐ UND QUELLENVERZEICHNIS LITERATUR Adichie, Chimamanda Ngozi. 2013. Americanah. New York, Toronto: Alfred A. Knopf. 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