Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)

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Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
Das begleitete Besuchsrecht
(Art. 273 ff. ZGB)
Fachbereich Zivilrecht
Proseminararbeit von
Raphael Kottmann
Matrikel-Nr. 01-279-694
3. Semester
Sonneggweg 9
6210 Sursee
041 920 15 52
[email protected]
Verfasst im Rahmen des Proseminars bei Dr. iur. Gregor Wild
im HS 08 an der Universität Luzern
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
II
Inhaltsverzeichnis
Literaturverzeichnis ................................................................................ III
Abkürzungsverzeichnis ........................................................................VIII
I.
Einleitung...................................................................................... 1
II.
Das Recht auf persönlichen Verkehr („Besuchsrecht“) und
seine gesetzlichen Grundlagen im Allgemeinen ....................... 2
1.
2.
III.
1.
Grundzüge des Besuchsrechts .................................................................... 2
1.1.
Begriff, Sinn und Zweck .....................................................................................2
1.2.
Der Kreis der Betroffenen....................................................................................3
Rahmen und Ausgestaltung der Besuchsordnung..................................... 4
2.1.
Form, Inhalt und Umfang.....................................................................................4
2.2.
Zuständigkeit.......................................................................................................4
Das begleitete Besuchsrecht als
besuchsrechtsbeschränkende Massnahme im Besonderen .... 5
Besuchsrechtsbeschränkungen zur Wahrung des Kindeswohls.............. 5
1.1.
Einvernehmliche Lösung als Idealfall ..................................................................5
1.2.
Ermahnungs- und Weisungsrecht (Art. 273 ZGB Abs. 2 ZGB) ............................6
1.3.
Verweigerung oder Entzug des Besuchsrechts (Art. 274 Abs. 2 ZGB) ................6
1.4.
Anspruch auf Regelung des persönlichen Verkehrs (Art. 273 ZGB) ....................6
2.
Begriff und Bedeutung des begleiteten Besuchsrechts............................. 7
3.
Sinn und Zweck des begleiteten Besuchsrechts ........................................ 7
4.
Indikationen des begleiteten Besuchsrechts .............................................. 8
5.
6.
4.1.
Grundsätzliches ..................................................................................................8
4.2.
Ausgangssituation ...............................................................................................8
4.3.
Entscheidungsfindung .........................................................................................9
Praktische Ausgestaltung des begleiteten Besuchsrechts ..................... 10
5.1.
Rahmenbedingungen ........................................................................................10
5.2.
Organisation der Begleitung ..............................................................................11
5.3.
Kontinuierliche Beratung als „must“ des begleiteten Besuchsrechts..................11
5.4.
Im Fall von Kindsmisshandlung und Partnerschaftsgewalt ................................12
Zuständigkeit und Vollstreckung ............................................................... 12
6.1.
Zuständigkeit.....................................................................................................12
6.2.
Durchsetzung der Anordnungen und Kostenregelung .......................................13
IV.
Erfahrungen mit dem begleiteten Besuchsrecht ..................... 13
V.
Konklusion und persönliche Schlussbetrachtung .................. 14
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
III
Literaturverzeichnis
Zitierweise:
Die nachfolgend aufgeführten Publikationen werden, wenn nichts anderes angegeben ist, mit Nachnamen des Autors sowie mit Seitenzahl oder Randnote zitiert.
AEBI-MÜLLER REGINA
Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts
im Jahre 2005, Kindesrecht, in: ZBJV 6/2006, S. 511 ff.
(zit. AEBI-MÜLLER, Rechtsprechung 2005)
DIES.
Die privatrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts
im Jahre 2007, Kindesrecht, in: ZBJV 8/2008, S. 585 ff.
(zit. AEBI-MÜLLER, Rechtsprechung 2007)
AMT FÜR JUGEND- UND
Das begleitete Besuchsrecht als Spezialfall der Be-
BERUFSBERATUNG DES
suchsrechtsregelung, Empfehlungen für Gerichte, Vor-
KANTONS ZÜRICH
mundschaftsbehörden und Fachstellen, in: ZVW
54/1999, S. 21 ff.
BALLY CHRISTA
Die Anordnung des begleiteten Besuchsrechts aus der
Sicht der Vormundschaftsbehörde, in: ZVW 53/1998, S.
1 ff.
BIDERBOST YVO
Zu Besuch bei …, in RUMO-JUNGO/PICHONNAZ (Hrsg.),
Kind und Scheidung, Symposium zum Familienrecht
2005 Universität Freiburg, Zürich 2006, S. 147 ff.
BLÜLLE STEFAN
Begleitetes Besuchsrecht: Indikationen – Entscheidungsprozesse – Gestaltung, in: ZVW 53/1998, S. 45 ff.
BLUM RICHARD
Der persönliche Verkehr mit dem unmündigen Kind gemäss Art. 273-275 ZGB (Besuchsrecht), Diss. Zürich
1983
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
BRÄM VERENA
IV
Das Besuchsrecht geschiedener Eltern, in AJP 7/1994,
S. 899 ff.
BRÄNDLI GIAN/
Neues aus der Rechtsprechung im Ehe- und Kindes-
KILDE GISELA
recht, in: RUMO-JUNGO/PICHONNAZ (Hrsg.), Scheidungsrecht, Aktuelle Probleme und Reformbedarf, Symposium
zum Familienrecht 2007 Universität Freiburg, Zürich
2008, S. 161 ff.
BREITSCHMID PETER
Handkommentar zum Schweizer Privatrecht, Zürich
2007
FELBER MARKUS
Pflichtrecht auf persönlichen Kontakt, Besuchsmöglichkeit trotz Verdacht auf sexuelle Misshandlung, in: NZZ,
03. November 1994, S. 17 (zit. FELBER, Pflichtrecht)
DERS.
Vater und Stiefvater, Besuchsrecht gegen den Willen
der Mutter, in: NZZ, Nr. 154 vom 06. Juni 2004, S. 14
(zit. FELBER, Besuchsrecht)
FELDER W ILHELM/
Drittüberwachtes Besuchsrecht: Die Sicht der Kinder-
HAUSHEER HEINZ
psychiatrie, in: ZBJV 11/1993, S. 698 ff.
GUGLIELMONI MARIO/
Besuchsrecht und Kinderzuteilung in der Scheidung :
LAURI LORENZO/
zur Aufgabe von Dogmen und zur Begehung neuer kon-
TREZZINI FRANCESCO
struktiver und evolutiver Wege, (…), in: AJP 1/1999, S.
45 ff.
GULER ALBERT
Ausgewählte Fragen zur Regelung des Besuchsrechts,
in ZVW 39/1984, S. 98 ff.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
HÄFELI CHRISTOPH
V
Kosten für begleitete Besuchstage von unmündigen
Kindern mit ihrem nicht obhutsberechtigten Elternteil, in:
ZVW 56/2001, S. 198 ff.
HAMMER-FELDGES
Persönlicher Verkehr – Probleme der Rechtsanwendung
MARIANNE
für Vormundschaftsbehörden, Richter und Anwälte, in:
ZVW 48/1993, S. 15 ff.
HAUSHEER HEINZ
Die drittüberwachte Besuchsrechtsausübung (das sogenannte „begleitete“ Besuchsrecht) – Rechtliche Grundlagen, in: ZVW 53/1998, S. 17 ff.
HAUSHEER HEINZ/
Das Familienrecht des Schweizerischen Zivilgesetzbu-
GEISER THOMAS/
ches, (…), 3. Aufl., Bern 2007
AEBI-MÜLLER REGINA
HEGNAUER CYRIL
Berner Kommentar, Kommentar zum schweizerischen
Privatrecht, Band II: Das Familienrecht, 2. Abteilung: Die
Verwandtschaft, 2. Teilband: Die Wirkung des Kindesverhältnisses, 1. Unterteilband: Die Gemeinschaft der
Eltern und Kinder, Art. 270-275 ZGB (mit Supplement)/(…), Bern 1997 (zit. HEGNAUER, BeKomm, N … zu
Art. … ZGB)
DERS.
Vormundschaftsbehörde und persönlicher Verkehr. Ein
Überblick, in: ZVW 53/1998, S. 169 ff. (zit. HEGNAUER,
ZVW)
DERS.
Grundriss des Kindesrechts und des übrigen Verwandtschaftsrechts, 5. Aufl., Bern 1999 (zit. HEGNAUER, Kindesrecht)
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
VI
HONSELL HEINRICH/
Basler Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht,
VOGT NEDIM PETER/
Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 3. Aufl., Ba-
GEISER THOMAS (Hrsg.)
sel/Genf/München (zit. BEARBEITER, BaKomm, N … zu
Art. … ZGB)
KINDLER HEINZ/SALZGEBER
Familiäre Gewalt und Umgang, in: FamRZ 51/2004, S.
JOSEPH/FICHTER JÖRG/
1241 ff.
WERNER ANNEGRET
MAIER PHILIPP
Aktuelles zu Eheschutzmassnahmen, Scheidungsgründen und Kinderbelangen anhand der Praxis der erstund zweitinstanzlichen Gerichte des Kantons Zürich, in:
AJP 1/2008, S. 72 ff.
METZGER PETER
Schweizerisches juristisches Wörterbuch, einschliesslich
Versicherungsrecht mit Synonymen und Antonymen,
Basel/Genf/Zürich 2005
MIJUK GORDANA
„Begleiteter Besuchstreff“ in Thalwil erfolgreich / 2002
wird über Weiterführung entschieden, in: NZZ, 05. Mai
2001, S. 51
RUMO-JUNGO ALEXANDRA/
Neues aus der Rechtsprechung im Ehe- und Kindes-
BACHMANN SIMON/
recht, in: RUMO-JUNGO/PICHONNAZ (Hrsg.), Kind und
FUMASOLI NICCOLÒ
Scheidung, Symposium zum Familienrecht 2005 Universität Freiburg, Zürich 2006, S. 287 ff.
RUMO-JUNGO ALEXANDRA
Reformbedürftiges Scheidungsrecht: ausgewählte Fragen, in: RUMO-JUNGO/PICHONNAZ (Hrsg.), Scheidungsrecht, Aktuelle Probleme und Reformbedarf, Symposium
zum Familienrecht 2007 Universität Freiburg, Zürich
2008, S. 1 ff.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
VII
SCHAFROTH ANDREA/
„Mami ist gut, Papi muss es erst beweisen“, Interview
REISS KRISTINA
mit BRÜHWILER ROGGER, KÜPFER HANSPETER und
BAUMANN MARKUS, in: Tages- Anzeiger, 17. Juni 2004,
Seite 57
SCHWENZER INGEBORG
Scheidung, Familienrechts-Kommentar, Bern 2005 (zit.
(Hrsg.)
SCHWENZER/BEARBEITER, FamKomm, N … zu Art. …
ZGB)
STAUB LISELOTTE
Das begleitete Besuchsrecht: Entwicklungen, Status
Quo und Erfahrungen damit in der Deutschschweiz, in
LJZ 20/1999, S. 45 ff.
STAUB LISELOTTE/
Gemeinsame elterliche Sorge – eine psychologische
HAUS-HEER EINZ/
Betrachtungsweise, in: ZBJV 6/2006, S. 537 ff.
FELDER W IHLEM
TUOR PETER/SCHNYDER
Das Schweizerische Zivilgesetzbuch, 12. Aufl., Zürich
BERNHARD/SCHMID
2006
JÖRG/ALEXANDRA RUMOJUNGO (Hrsg.)
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
VIII
Abkürzungsverzeichnis
a.a.O.
am angeführten Ort
a.M.
anderer Meinung
Abs.
Absatz
AJP
Aktuelle Juristische Praxis (Lachen)
Art.
Artikel
Aufl.
Auflage
BaKomm
Basler Kommentar
BBl
Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft
bez.
bezüglich
BG
Bundesgesetz
BGE
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (Lausanne)
BGer
Schweizerisches Bundesgericht
Botschaft ZGB Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches
(Personenstand, Eheschliessung, Scheidung, Kindesrecht, Verwandtenunterstützungspflicht etc.) vom 15. November 1995, BBl 1996 1 ff.
BV
Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.
April 1999 (SR 101)
bzw.
beziehungsweise
ders.
derselbe
dies.
dieselbe/dieselben
Diss.
Dissertation
E.
Erwägung
etc.
et cetera
f.
und folgende/folgender (Seite, Randnummer etc.)
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (Bielefeld)
ff.
und folgende (Seiten, Randnummern etc.)
Fn
Fussnote
geb.
geboren
insb.
insbesondere
i.K.
in Kraft
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
IX
Kap.
Kapitel
LGVE
Kantonale Entscheidsammlung der Gerichts- und Verwaltungsentscheide im Kanton Luzern
LJZ
Liechtensteinische Juristen-Zeitung (Schaan)
m.w.H.
mit weiteren Hinweisen
m.w.Verw.
mit weiteren Verweisen
N
Note, Randnote
Nr.
Nummer
NZZ
Neue Zürcher Zeitung
Pra
Die Praxis (Basel)
S.
Seite(n)
StGB
Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (SR
311.0)
u.
und
u.a.
unter anderem
UKRK
Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November
1989 (SR 0.107).
u.U.
unter Umständen
vgl.
vergleiche
z.B.
zum Beispiel
ZBJV
Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins (Bern)
Ziff.
Ziffer
zit.
zitiert als
ZGB
Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210)
ZVW
Zeitschrift für Vormundschaftswesen (Zürich)
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
I.
1
Einleitung
„Gute Beziehungen schaden nur dem, der sie nicht hat“. Dieses Sprichwort von
LOTHAR SCHMIDT1 bringt die Wichtigkeit menschlicher Kontakte zum Ausdruck. Einen
besonderen Stellenwert nimmt dabei der Kontakt, die Begegnung zwischen Eltern
und Kind ein.2 Art. 273 Abs. 1 ZGB attestiert Eltern, denen die elterliche Sorge3 oder
Obhut nicht zusteht und dem unmündigen Kind gegenseitigen Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr (umgangssprachlich Besuchsrecht genannt)4. Wobei bereits der Wortlaut erkennen lässt, dass bei der konkreten Ausgestaltung dieses
Anspruches unterschiedliche Formen existieren, welche ihrerseits wiederum im Einzelfall personen- und situationsbedingt ihre konkrete Ausprägung finden.5 Nicht selten stehen jedoch bei der Ausübung des Besuchsrechts Hindernisse im Wege.6 Um
es dennoch - zumindest in eingeschränkter Form - realisieren zu können, wird in den
letzen Jahren vermehrt auf die Möglichkeit des begleiteten Besuchsrechts zurückgegriffen, welches als Spezialfall und flankierende Massnahme des Regelbesuchsrechts eben dort zum Zuge kommt, wo der Besuchskontakt sonst nicht möglich wäre.7 Diesem Spezialfall nimmt sich die vorliegende Arbeit an.
Gerade weil aber das begleitete Besuchsrecht eine Ausnahme des Regelbesuchsrechts bzw. eine Alternative zum gänzlichen Besuchsrechtsentzug darstellt, soll es
der Verständlichkeit halber im Lichte des Gesamtkontextes, in welchem es sich eingebetet sieht, diskutiert werden. Dies hat mich veranlasst, die Arbeit wie folgt zu gliedern:
In einem ersten, allgemein gehaltenen Teil (Ziff. II), werden die Grundzüge des
Rechts auf persönlichen Verkehr („Besuchsrecht“) und dessen gesetzlichen Grundlagen aufgezeigt um darauf aufbauend im zweiten Teil (Ziff. III) die Möglichkeiten zur
1
2
3
4
5
6
7
LOTHAR SCHMIDT (geb. 1922) ist deutscher Politologe, Aphoristiker und Schriftsteller.
Statt vieler BGE 71 II 209; BIDERBOST, S. 148; HEGNAUER, BeKomm, N 17 zu Art. 273 ZGB.
Mit der ZGB Revision vom 26. Juni 1998 (BG vom 26. Juni 1998 über die Änderung des ZGB (Personenstand, Eheschliessung, Scheidung etc.), AS 1999 S. 1118) wurde der Begriff der elterlichen
Gewalt durch jenen der elterlichen Sorge ersetzt, wobei dadurch keine materielle Änderungen erfolgt sind (HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER, Nr. 17.66).
BGE 5C.293/2005 vom 6. April 2006, E. 3; BGE 5P.349/2003 vom 21. Oktober 2003, E. 2.1; Botschaft ZGB, S. 157; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.02; STAUB, S. 45.
AEBI-MÜLLER, Rechtsprechung 2005, S. 516 zum BGE 5C.199/2004 vom 19. Januar 2005; vgl. zum
Kriterium der Angemessenheit ausführlich HEGNAUER, BeKomm, N 61 – 122 zu Art. 273 ZGB.
STAUB, S. 45; z.B. wenn der Vorwurf oder Verdacht des sexuellen Missbrauchs im Raum steht.
LGVE 2000 I Nr. 13, E. 3.5 (Luzerner; AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH,
S. 21, 23; STAUB, S. 45; SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 20 zu Art. 274 ZGB.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
2
Besuchsrechtsbeschränkung und das begleitete Besuchsrechts im Speziellen zu besprechen. Daran anschliessend werden die in der Praxis gemachten Erfahrungen
skizziert (Ziff. IV), um in der Folge mit einer persönlichen Schlussbetrachtung zu
schliessen (Ziff. V).
II. Das Recht auf persönlichen Verkehr („Besuchsrecht“)
und seine gesetzlichen Grundlagen im Allgemeinen
Der persönliche Verkehr ist für den Aufbau und Erhalt der inneren, sozialpsychischen
Verbundenheit zwischen Eltern und Kind unentbehrlich und bringt dessen geistigseelische Gemeinschaft zum Ausdruck.8 Eine Regelung drängt sich regelmässig
dann auf, wenn einem oder beiden Elternteilen keine elterliche Sorge oder Obhut
über ihr unmündiges Kind zusteht.9 Gesetzliche Grundlage bilden nebst den Art. 273275 ZGB (Randtitel), Art. 9 Abs. 3 UKRK10 und der Art. 8 Abs. 1 EMRK.11
1.
Grundzüge des Besuchsrechts
1.1. Begriff, Sinn und Zweck
Obschon der persönliche Verkehr nicht bloss Besuche - wenn auch die persönliche
Begegnung im Zentrum steht - zwischen dem nicht obhuts- oder nicht sorgeberechtigten Elter und dem Kind umschreibt, sondern die gesamte verbale und nonverbale
Kommunikation auch mittels modernen Kommunikationsmitteln umfasst, wird in der
Praxis oft nur von „Besuchsrecht“ gesprochen.12
Sinn und Zweck des Besuchsrechts ist, die persönlichen Kontakte zwischen den Eltern und dem unmündigen Kind auch dann zu ermöglichen, wenn einem Elternteil die
8
9
10
11
12
GULER, S. 99; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.02 ff.; BIDERBOST, S. 148.
Infolge Entzug im Rahmen einer eherechtlichen Anordnung (Art. 133, 137 Abs. 2, 176, 110 ZGB),
einer Kindesschutzmassnahme (Art. 310, 311, 312 ZGB) oder einer Anordnung der Jugendstrafbehörde oder wenn eine solche von Gesetzes wegen fehlt (Art. 296 Abs. 2, 298 Abs. 1 ZGB);
HAUSHEER, S. 18; HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER, Nr. 17.30; im Einzelnen dazu HEGNAUER, BeKomm, N 26 ff. zu Art. 273 ZGB; zur Zuteilung der elterlichen Sorge und Obhut MAIER, S. 83 ff.
Für die Schweiz i.K. seit 26. März 1997; Abs. 3 lautet: „Die Vertragsstaaten achten das Recht des
Kindes, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmässige Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, sofern dies nicht dem Kindeswohl widerspricht“.
AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 21; BLUM, Einleitung; GULER, S. 98;
HAUSHEER, S. 19; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.05; SCHWENZER, BaKomm, N 4 zu Art. 273 ZGB;
TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, S. 401 f.
BLUM, Einleitung; BREITSCHMID, N 2 zu Art. 273 ZGB; HAMMER-FELDGES, S. 18; SCHWENZER, BaKomm, N 2 zu Art. 273 ZGB. Auch in dieser Arbeit werden die beiden Ausdrücke als Begriffspaar
verwendet, wobei ich die Meinung von GUGLIELMONI/LAURI/TREZZINI, S. 54 teile, dass nicht der Besuch, sondern viel mehr die Beziehung das summum bonum (höchstes Ziel) darstellt;
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
3
Obhut nicht zusteht und sich deshalb die (sozialpsychische) Elter-Kind-Gemeinschaft
nicht unmittelbar verwirklichen lässt.13 In der Rechtsprechung und Lehre wird die
Wichtigkeit der kontinuierlichen Beziehungspflege des Kindes zu beiden Elternteilen
insb. für die Identitätsfindung (Realitätskontrolle) besonders akzentuiert.14 Es ist aus
entwicklungspsychologischer Sicht anerkannt, dass die Aufrechterhaltung der Beziehung zu beiden Elternteilen trotz Auflösung der elterlichen Hausgemeinschaft sich
positiv auf die psychische Entwicklung des Kindes auswirkt.15
1.2. Der Kreis der Betroffenen
Der Anspruch auf persönlichen Verkehr steht - als Pflichtrecht16 verstanden - primär
dem nicht-obhutsberechtigten Elternteil17 um seiner Persönlichkeit willen aber auch
dem Kind selbst, sowie unter bestimmten Voraussetzungen sonstigen Bezugspersonen (insb. Verwandten, Art. 274a ZGB) zu.18 Des Weiteren soll der obhutsberechtigte
Elternteil (meist die Mutter) durch die Ausübung des Besuchsrechts entlastet werden.19 Verpflichtet ist jene Person, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht,
im Regelfall der andere Elternteil. Und zwar insofern, als sie den persönlichen Verkehr zu dulden, ja gar zu ermöglichen hat.20
13
14
15
16
17
18
19
20
BGE 5C.123/2004 vom 15. Juli 2004, E. 2.1; HAUSHEER, S. 19; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.02;
ist das Sorgerecht oder die Obhut gegeben, richtet sich der persönliche Verkehr nach dem Willen
der Betroffenen und ergibt sich in der Regel aus dem Lebensalltag (Botschaft ZGB, S. 159;
HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER, Nr. 17.30); praktisch bedeutend ist das Recht insb. in Trennungsu. Scheidungssituationen: 16'154 unmündige Scheidungskinder im Jahr 2006 (RUMO-JUNGO, S. 30);
zum Zusammenhang zwischen Elternkonflikt, Sorgerechtsmodell und Vater-Kind-Beziehung
STAUB/HAUSHEER/FELDER, S. 546 f.
FELBER, Besuchsrecht; HEGNAUER, BeKomm, N 19 zu Art. 273 ZGB; welche in diesem Zusammenhang von der Gefahr einer Idealisierung oder Dämonisierung sprechen.
HEGNAUER, BeKomm, N 18 zu Art. 273 ZGB; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.06; STAUB, S.45.
Botschaft ZGB, S. 158; BREITSCHMID, N 1 zu ZGB 273; FELBER, Pflichtrecht;
GUGLIELMONI/LAURI/TREZZINI, S. 54 f.; HEGNAUER, BeKomm, N 57 f. zu Art. 273 ZGB;
SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 4 – 10 zu Art. 273 ZGB; STAUB, S. 46; es geht nicht primär um einen Interessensausgleich, als vielmehr darum die Verantwortung der Eltern gegenüber dem unmündigen Kind zu schärfen (Art. 272 ZGB) und als Loyalitäts- und Friedenspflicht auch auf die Eltern Wirkung zu zeitigen; BGE 120 II 229 ff. (233), E. 3b; nach HAMMER-FELDGES, S. 15 ff., wird der
Rechtsanspruch gegenüber dem Verpflichtungscharakter überbetont.
Dies kann u.U. für beide Elternteile gleichzeitig zutreffen (HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER, Nr.
17.31); Voraussetzung ist ein rechtliches Kindesverhältnis (GULER, S. 99; HEGNAUER, Kindesrecht,
Nr. 19.02 ff.); ist dies nicht der Fall, kommt ein Besuchsrecht lediglich nach Art. 274a Abs. 1 ZGB in
Betracht, wonach auch „Dritten“ ein Besuchsrecht eingeräumt werden kann.
Urteil des BGer 5C.146/2003 vom 23. September 2003, in: FamPra.ch 1/2004, S. 159 ff. (161), E.
1.2; zusammengefasst von RUMO-JUNGO/BACHMANN/FUMASOLI, S, 302 (Nr. 148); BRÄM, S. 903;
BREITSCHMID, N 3 zu Art. 273 ZGB; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.02 ff.; MAIER, S. 86; Voraussetzungen sind das „Vorliegen ausserordentlicher Umstände“ und „im Sinne des Kindeswohls“.
HEGNAUER, ZVW, S. 170; HAMMER-FELDGES, S. 26 f. betont m.E. zu Recht die die Wichtigkeit einer
angemessenen Berücksichtigung der Sichtweise aus der Warte des Obhutsberechtigten.
SCHWENZER, BaKomm, N 5 zu Art. 273 ZGB; SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 11 zu Art. 273 ZGB.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
2.
4
Rahmen und Ausgestaltung der Besuchsordnung
2.1. Form, Inhalt und Umfang
Oberste Richtschnur bei der Ausgestaltung des Besuchsrechts stellt stets das im
Einzelfall anhand der gegebenen Umstände zu bemessende Kindeswohl dar, welches Elterninteressen vorgeht.21 Es umfasst – wie bereits erwähnt - jegliche Kommunikationsformen und Art von Kontakten, welche geeignet sind in der konkreten Situation die Beziehung zwischen dem berechtigten Elter und dem Kind in angemessener
Weise zu pflegen.22 Es ist diejenige (individuelle) Lösung zu wählen, welche die
„notwendige Stabilität der Beziehung ermöglicht und eine harmonische Entwicklung
in emotionaler, psychischer, moralischer und intellektueller Hinsicht gewährleistet.“23
Massgebend für den Umfang des Rechts auf persönlichen Verkehr ist das Kriterium
der Angemessenheit (Art. 273 Abs. 1 ZGB), wobei es insofern zu relativieren ist, als
es stark von den personen- (Alter, Entwicklung, Gesundheit) und situationsspezifischen (örtliche Distanz, psycho-soziale Nähe, Konsens, Dissens) Gegebenheiten
abhängt und zudem in der Praxis regionale Unterschiede bestehen (richterliches Ermessen nach Art. 4 ZGB).24 Auch die Schranken des Rechts auf persönlichen Verkehr werden durch das Wohl des Kindes bestimmt und in Art. 274 ZGB explizit aufgezeigt.25 Art 275 ZGB statuiert den Eltern unabhängig vom Recht auf persönlichen
Verkehr ein Recht auf Information und Auskunft.26
2.2. Zuständigkeit
Zuständigkeitsfragen (Art. 275 ZGB) werden weiter hinten im Rahmen der Erläuterungen zum begleiteten Besuchsrecht aufgegriffen (Ziff. III, Kap. 6). An dieser Stelle
sei jedoch bereits darauf hingewiesen, dass die Ordnung des Besuchsrechts bei
21
22
23
24
25
26
BLUM, S. 26 ff.; MAIER, S. 86; vgl. zur Diskrepanz zwischen der Einzelfallspezifität und dem Postulat
des raschen Verfahrens und den sich daraus ergebenen Schwierigkeiten BIDERBOST, S. 154 f.
Vgl. BLUM, S. 72 ff. sowie HEGNAUER, BeKomm, N 79 – 88 zu Art. 273 ZGB.
Urteil des BGer 5C.238/2005 vom 2. November 2005, in: FamPra.ch 1/2006, S. 193 ff. (195), E.
2.1; Urteil des BGer 5C.77/2005 vom 27. Mai 2005, in: FamPra.ch 4/2005, S. 953 (955), E. 2.1;
beide erwähnt vom von BRÄNDLI/KILDE, S. 216 ff. (Nr. 142 und 152); nach BIDERBOST, S. 155 f. können im Streitfall normierte Besuchsrechte vorteilhaft wirken, weshalb er etwas schismatisch zu
mehr Mut zum Regelbesuchsrecht auffordert ohne dabei die Individualisierung verwerfen zu wollen.
BGE 5C.123/2004 vom 15. Juli 2004, E. 2.1; HAUSHEER, S. 18; vgl. auch BRÄM, S. 901 ff. und
SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 19 ff. zu Art. 273 ZGB; ausführlich zur Ausgestaltung und Relativität der Angemessenheit auch BLUM, S. 72 ff. und HEGNAUER, BeKomm, N 61 ff. zu Art. 273 ZGB.
TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, S. 404 ff.; HEGNAUER, BeKomm, N 6 ff. zu Art. 274 ZGB.
HAUSHEER/GEISER/AEBI-MÜLLER, Nr. 17.45; SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 1 ff. zu Art. 275a ZGB.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
5
Fehlen einer behördlichen oder richterlichen Anordnung grundsätzlich beim Inhaber
der elterlichen Sorge liegt.27
III. Das begleitete Besuchsrecht als besuchsrechtsbeschränkende Massnahme im Besonderen
Grundsätzlich sind die Eltern zur gegenseitigen Loyalitäts- und Friedenspflicht angehalten (Art. 272 und Art. 274 Abs. 1 ZGB).28 Dennoch kommt es in der Praxis vielfach bei der Regelung des persönlichen Verkehrs zu Konfliktsituationen.29
Beim Recht auf persönlichen Verkehr handelt es sich um ein höchstpersönliches
Recht, das auch durch höherrangiges Recht (Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 9 Abs. 3
UKRK) Schutz geniesst.30 Es kann als Grundrecht nur in Ausnahmesituationen beschnitten oder gar gänzlich untersagt werden.31 Eine Beschränkung kommt nur dann
zum Tragen, wenn durch den persönlichen Verkehr das Wohl des Kindes in unzumutbarer Weise gefährdet wird (Art. 274 Abs. 2 ZGB).32 Ein Verschulden oder eine
bereits eingetretene Schädigung indes ist nicht verlangt.33
1.
Besuchsrechtsbeschränkungen zur Wahrung des Kindeswohls
1.1. Einvernehmliche Lösung als Idealfall
Die zur Verfügung stehenden Instrumente, mit denen einer Gefährdung des Kindes
vorgebeugt oder begegnet werden kann, werden analog der Kindesschutzmassnahmen in einer Stufenfolge nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip und den Grundsätzen der Komplementarität und Subsidiarität angeordnet.34 Als Idealfall steht zuoberst
die einvernehmliche Lösung zwischen Mutter, Vater und Kind(er), wobei eine solche
27
28
29
30
31
32
33
34
Fallen elterliche Sorge und rechtliche Obhut auseinander, entscheidet der Obhutsberechtigte; vgl.
BREITSCHMID, N 1 zu Art. 275 ZGB; SCHWENZER, BaKomm, N 1 ff. zu Art. 275 ZGB.
HAUSHEER, S. 20 f.; STAUB, S. 46; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, S. 404 f.
Z.B. im Fall der Rechtsverhinderung oder -Verweigerung; BLÜLLE, S. 50; HAMMER-FELDGES, S. 22.
HAUSHEER, S. 19; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.20.
HAMMER-FELDGES, S. 22; HAUSHEER a.a.O.
Das BGer hält in ständiger Rechtssprechung fest, dass eine Gefährdung des Kindeswohl dann
gegeben ist, „wenn dessen ungestörte körperliche, seelische oder sittliche Entfaltung durch ein
auch nur begrenztes Zusammensein mit dem nicht obhutsberechtigten Elternteil bedroht ist“; so
auch im Entscheid 5C.293/2005 vom 6. April 2006, E. 3; BRÄM, S. 903; GULER, S. 100; STAUB, S.
46; zu den Gefährdungsgründen im Einzelnen HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.21 ff.; sicherlich jedoch nicht im Sinne einer Disziplinierung oder einer Bestrafung, so BIDERBOST, S. 158 (Fn 34).
GULER a.a.O.; HAUSHEER, S. 27; längst nicht jede Unannehmlichkeit ist sanktionswürdig, so
BREITSCHMID, N 8 zu Art. 273 ZGB.
Urteil des BGer 5C.293/2005 vom 6. April 2006, E. 3; BIDERBOST, S. 157; HAUSHEER, S. 22.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
6
genehmigungsfrei nur zum Zuge kommen kann, wenn sich die Eltern nicht in einem
Scheidungs- oder Trennungsverfahren befinden.35
1.2. Ermahnungs- und Weisungsrecht (Art. 273 ZGB Abs. 2 ZGB)
Ist eine einvernehmliche Regelung nicht möglich, kommt wiederum im Sinne des
Verhältnismässigkeitsprinzips die mildeste, im Gesetz in Art. 273 Abs. 2 umschriebene Massnahme in Betracht, wonach der Vormundschaftsbehörde gegenüber den
Eltern, Pflegeeltern und Kindern ein Ermahnungs- und Weisungsrecht zusteht.36 Zunächst wird seitens der Vormundschaftsbehörde mittels Ermahnen versucht, eine mit
dem Kindeswohl zu vereinbarende Besuchsrechtsregelung zu ermöglichen.37 Stellt
sich dies als inadäquate Massnahme heraus, kommen Weisungen - u.U. unter Strafandrohung nach Art. 292 StGB - in Betracht.38
1.3. Verweigerung oder Entzug des Besuchsrechts (Art. 274 Abs. 2 ZGB)
Nur wenn keine dieser milderen Interventionen eine Kindeswohlgefährdung auf ein
erträgliches Mass reduzieren lässt, kommt bei vorliegen einer eindeutigen Zweckwidrigkeit39 als ultima ratio die Beschränkung oder der gänzlicher Entzug des Besuchsrechts nach Art. 274 Abs. 2 ZGB zum Tragen.40
1.4. Anspruch auf Regelung des persönlichen Verkehrs (Art. 273 ZGB)
Gestützt auf Art. 273 Abs. 3 ZGB steht den Eltern und dem Kind das Recht auf Regelung des persönlichen Verkehrs zu.41 Wie die übrigen Kinderbelange unterliegt
auch diese der Untersuchungs- und Offizialmaxime, wodurch die zuständigen Behörden nicht an Anträge und andere Vorbringen gebunden sind.42
35
36
37
38
39
40
41
42
AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 22 f.; BRÄM, S. 905.
SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 32 zu Art. 273 ZGB; TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, S.
405.
Z.B. an die Wohlverhaltensklauseln (Art. 272 u. 274 Abs. 1 ZGB); SCHWENZER/W IRZ a.a.O.; BIDERBOST, S. 158.
Eine solche Weisung stellt auch das begleitete Besuchsrecht als interimistische Lösung dar.
BREITSCHMID, N 8 zu Art. 273 ZGB; SCHWENZER, BaKomm, N 23 zu Art. 273 ZGB.
Gemeint sind die im Gesetz erwähnten vier alternativen Voraussetzungen: Kindeswohlgefährdung,
pflichtwidrige Ausübung, nicht ernstliches Kümmern, andere wichtige Gründe; vgl. dazu BGE 122 II
404 ff. (407), E. 3b; BLUM, S. 93 ff; SCHWENZER, BaKomm, N 5 ff. zu Art. 274 ZGB.
HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.20; BIDERBOST, S. 159; BREITSCHMID, N 8 zu Art. 273 ZGB; MAIER,
S. 87 f.; vgl. auch die beiden Urteile des BGer 5C.93/2005 vom 9. August 2005 und 5C.250/2005
vom 3. Januar 2006, beide zusammengefasst von BRÄNDLI/KILDE, S. 231 f. (Nr. 179 und 180).
BREITSCHMID, N 9 zu Art. 273 ZGB; SCHWENZER/WIRZ, FamKomm, N 34 ff. zu Art. 273 ZGB;
SCHWENZER, BaKomm, N 29 zu Art. 273 ZGB; a.M. HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.10.
BGE 120 II 229 ff. (231), E. 1c; BRÄM, S. 905; BIDERBOST, S. 157.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
2.
7
Begriff und Bedeutung des begleiteten Besuchsrechts
Obwohl in der Praxis nach einer Trennung oft Fragen zur Gestaltung der Eltern-KindBeziehung Gegenstand von Debatten sind und zu Konflikten Anlass geben, ist die
Anordnung eines begleiteten Besuchsrechts selten indiziert.43 Dieser Umstand soll
jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein solches in einigen Fällen positive
Effekte zu erzielen vermag und in den letzen Jahren an Bedeutung gewonnen hat.44
Das Gesetz kennt den Begriff „begleitetes Besuchsrecht“ nicht.45 Unter dem Begriff
wird in der Praxis die Besuchsrechtsausübung unter Beisein einer (oder mehreren)
Drittperson(en) verstanden.46 Dies kann eine neutrale Drittperson sein, welche insb.
mit Vermittlungs- und Koordinationsaufgaben betraut wird.47 Wird jedoch mit der Besuchsrechtsregelung einhergehend eine Beistandschaft im Sinne einer Kindesschutzmassnahme nach Art. 308 Abs. 2 ZGB angeordnet, kann dem Beistand nebst
den üblichen Organisations- und Vermittlungsaufgaben mittels expliziter Anordnung
auch die Überwachungsaufgabe übertragen werden.48
3.
Sinn und Zweck des begleiteten Besuchsrechts
Wie bereits erläutert, belegen entwicklungstheoretische und empirische Forschungsergebnisse, dass es für die Entwicklung und zur eigenen Identitätsfindung des Kindes wichtig ist, auch nach einer Trennung zu beiden Elternteilen den Kontakt aufrechterhalten oder mindestens die Beziehungsmöglichkeit prüfen zu können.49
Besuchsrechtsbeschränkende Massnahmen sind einschneidende Anordnungen und
kommen insb. auch aufgrund des Verhältnismässigkeitsprinzips - welches im ganzen
Kindesschutzrecht Anwendung findet – nur als Notlösung in Betracht50 Das Begleitete Besuchsrecht nimmt eine Zwischenstellung zwischen dem gänzlichen Entzug und
den freien Kontaktformen ein, wobei es die Spitze der Pyramide der einschränken43
44
45
46
47
48
49
50
AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 21; BLÜLLE, S. 46.
STAUB, S. 46 f. zu den Gründen der Zunahme insb. der Anzahl begleiteter Besuchstreffpunkte.
HEGNAUER, ZVW, S. 176.
M.w.V. SCHWENZER, BaKomm, N 19 zu Art. 274 ZGB; die Lehre verwendet verschiedene Begriffe.
BALLY, S. 2; Drittpersonen können sein Pflegeeltern, Grosseltern oder andere geeignete Personen.
Dies ist meist angezeigt, wenn es den Eltern nicht gelingt eine einvernehmliche Besuchsregelung
zu treffen, welche eine Abwicklung an einem Bestimmten Ort unter Anwesenheit einer neutralen
Drittperson beinhaltet, so SCHWENZER, BaKomm, N 25 zu Art. 274 ZGB; BALLY a.a.O.; HAUSHEER,
S. 17; BIDERBOST, S. 158; vgl. auch BGE 120 II 229 ff. (235 f.), E. 4a u. 4b.
STAUB, S. 50; STAUB/HAUSHEER/FELDER, S. 544 zur Vater-Kind-Beziehung nach der Scheidung.
BRÄM, S. 905; AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 24; der Pflichtrechtscharakter findet hier seine Ausprägung: sowohl der Anspruch, wie auch die Pflicht lassen es
nicht zu von eine Besuchsrechtsregelung einfach so nonchalant einzuschränken oder von ihr abzusehen; m.w.H. TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO, S. 402.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
8
den Massnahmen darstellt und entsprechend restriktiv angewendet werden soll (Kap.
4.1).51 Durch das begleitete Besuchsrecht sollen Krisensituationen entschärft, Ängste
abgebaut und Hilfestellung bei der Beziehungspflege geboten werden, wodurch Kontakte aufrecht erhalten, Schritt um Schritt aufgebaut oder neu (bzw. wieder) aufgenommen werden können, welche sonst entfallen würden.52
4.
Indikationen des begleiteten Besuchsrechts
4.1. Grundsätzliches
Art. 9 Abs. 3 UKRK attestiert den Kindern das Recht auf regelmässige persönliche
Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen. Nach Art. 11 BV
(Abs. 1 u. 2) haben sie Anspruch auf besonderen Schutz ihrer Unversehrtheit, sowie
nach Massgabe ihrer Urteilsfähigkeit auf Mitspracherecht.53 Art. 41 BV (Abs. 1 lit. b.,
c. u. g.) gewährleistet Unterstützung durch Bund und Kantone zur Förderung der
Familiengemeinschaft und zur gesunden Entwicklung der Kinder und Jugendlichen,
sowie die für die Gesundheit notwendige Pflege.54 Unmittelbare gesetzliche Grundlage stellt jedoch Art. 274 Abs. 2 ZGB dar, wonach das Recht auf persönlichen Verkehr bei vorliegen der genannten Gründe verweigert oder entzogen werden kann.55
4.2. Ausgangssituation
Meist liegt eine Konfliktsituation vor, wenn ein begleitetes Besuchsrecht in Erwägung
gezogen wird.56 Es braucht konkrete (nicht lediglich abstrakte) Anhaltspunkte für eine
Gefährdung des Kindeswohls.57 Weil der Besuchsrechtsausübung unter Begleitung
einer Drittperson nicht die gleiche Qualität zukommt, wie wenn die Kontakte nach
Regelbesuchsrecht stattfinden können und diese Beschränkung einen einschneiden-
51
52
53
54
55
56
57
BLÜLLE, S. 53; HAUSHEER, S. 22; STAUB, S. 45.
HEGNAUER, ZVW, S. 176; SCHWENZER, BaKomm, N 26 zu Art. 273 ZGB; SCHAFROTH/REISS, in: Tagesanzeiger vom 17. Juni 2004, S. 57; nicht in Betracht kommt die Massnahme indes nur um den
gänzlichen Entzug zu umgehen, siehe dazu BGE 119 II 201 ff. (207), E. 4.
Urteil des BGer 5C.250/2005 vom 3. Januar 2006, E. 3.2.
HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.05; VEREIN BEGLEITETE BESUCHSTAGE AARGAU, Begleitete Besuchstage für Kinder getrennt lebender, geschiedener, allein erziehender Eltern, Empfehlungen für
zuweisende
soziale
Fachstellen,
Aargau
2007,
S.
4,
<http://www.bbt-ag.ch/pdfdokumente/Emfehlungen%20Zuweiser.pdf> (besucht am 8. August 2008).
SCHWENZER, BaKomm, N 23 zu Art. 273 ZGB.
AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 23; BLÜLLE, S. 58; HEGNAUER,
ZVW, S. 171 u. 176.
SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 21 zu Art. 274 ZGB; HAUSHEER, S. 35; FELBER, Pflichtrecht; elterliche Konflikte allein sind seit BGE III 585 keinen Grund mehr zur Besuchsrechtsbeschränkung.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
9
den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Eltern und Kind darstellt, ist bei der Anordnung eine gewisse Zurückhaltung angezeigt.58 Da das begleitete Besuchsrecht
als Spezialfall der Besuchsrechtsregelung nicht eine Alternative zum regulären Besuchsrecht, sondern vielmehr eine solche zum gänzlichen Entzug nach Art. 274 Abs.
2 ZGB darstellt, sind die Hürden gleich hoch wie im letztgenannten Fall anzusetzen.59 Es kommt dort zum Tragen, wo das Kindeswohl so stark gefährdet ist, dass
nach dem Proportionalitätsprinzip von Kindesschutzmassnahmen die Voraussetzungen60 für einen Obhutsentzug gegeben sind; das Wohl des Kindes61, das Persönlichkeitsrecht des nicht obhutsberechtigten Elternteils, das Verhältnismässigkeitsprinzip
aber auch Sinn und Zweck des persönlichen Verkehrs eine gänzliche Unterbindung
aber verbieten und anderweitige nachteilige Auswirkungen trotz der Kontaktgewährung unter Begleitung in für das Kind vertretbaren Grenzen gehalten werden können.62
4.3. Entscheidungsfindung
So verschieden die Ausgangslagen sein können, so verschieden müssen auch die
Möglichkeiten an Massnahmen sein, die ihrerseits ein grosses Gestaltungsspektrum
aufweisen müssen. Nur ein flexibler Massnahmenkatalog vermag den einzelfallspezifischen Umständen gerecht zu werden und eine opportune Lösung zu finden.63 Stets
wird sich eine „Kosten-Nutzen-Analyse“64 bei der Festlegung der optimalen Lösung
aufdrängen.65 Eine sorgfältige Bestandesaufnahme unter Berücksichtigung der elterlichen Kompetenzen und, soweit tunlich, der Meinung des Kindes ist unabdingbar.66
58
59
60
61
62
63
64
65
66
Luzerner Obergericht, 18. Dezember .2000, LGVE 2000 I Nr. 13, E. 3.5 (Internetpublikation); der
dargelegten Bedrohung kann nicht durch geeignete andere Vorkehren begegnet werden.
Luzerner Obergericht a.a.O.; SCHWENZER, BaKomm, N 26 zu Art. 273 ZGB; der Unterschied zur
Verweigerung oder dem Entzug liegt im Grund, der im letzen Fall weder durch eine Begleitung,
noch durch eine andere Massnahme (z.B. Weisung) ausgeschlossen werden kann, so MAIER, S. 89.
SCHWENZER a.a.O. nennt folgende Fälle in denen ein begleitetes Besuchsrecht indiziert sein kann:
Verdacht auf sexuelle Übergriffe, Gewaltanwendungen, Entführungsgefahr, Suchtabhängigkeit oder
psychischer Erkrankung, negativer Beeinflussung des Kindes, Überforderung und Ängste des Kindes; zu den sachlichen Voraussetzungen HEGNAUER, ZVW, S. 177.
Insb. zur Identitätsfindung und um einer „Schwarz-Weiss-Malerei“ (Dämonisierung oder Idealisierung des nicht obhutsberechtigten Elternteils) entgegenzuwirken.
Vgl. AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 23; Urteil des BGer
5C.180/2006 vom 9. November 2006, in: FamPra.ch 1/2007, S. 170 ff. (171), E. 1.
BLÜLLE, S. 53.
Ähnlich einer SWOT-Analyse (engl. Akronym für Strengths (Stärken), Weaknesses (Schwächen),
Opportunities (Chancen) und Threats (Gefahren)) im Bereich der Betriebswirtschaft.
FELDER/HAUSHEER, S. 704; HAUSHEER, S. 37; BLÜLLE, S. 50 ff.
MAIER, S. 89; BLÜLLE, S. 51 u. 54, DERS. S. 47 ff. umschreibt vier Ausgangslagen mit jeweils unterschiedlichen Hauptzielen; zu den Voraussetzungen auch STAUB, S. 48;
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
5.
10
Praktische Ausgestaltung des begleiteten Besuchsrechts
5.1. Rahmenbedingungen
Das begleitete Besuchsrecht soll wie teils schon erwähnt im Interesse des Kindes
sein, keinen Selbstzweck darstellen sowie zeitlich befristet angelegt, beratend unterstützt und zeitweilig reflektiert werden.67 Obwohl eigenverantwortliches Handeln der
Betroffenen bei der Ausgestaltung eine wichtige Rolle spielt, ist es dennoch nötig
klare Regelungen seitens der Behörden vorzugeben.68 Weil das begleitete Besuchsrecht oft in Krisensituationen zum Tragen kommt, von wessen die Behörden meist
spät - nachdem schon viel passiert ist - erfahren, ist ein rascher Entscheid umso
wichtiger, um Klarheit und mindestens fürs erste etwas Stabilität zu schaffen.69 Eine
mögliche Gefährdung kann insb. bei Klein- und Vorschulkindern vorliegen, weshalb
eine Besuchsrechtsbegleitung häufig in Fällen, in denen Kinder diesen Alters betroffen sind, zur Anwendung gelangt.70 Ebenso wie die Eltern einer Mitwirkungspflicht
unterliegen, ist auch das Kind in den Ausgestaltungsprozess einzubeziehen und
dessen Meinung zu berücksichtigen (Art. 12 UKRK).71 Die Urteilsfähigkeit wird bezüglich der Zuteilung der elterlichen Sorge allgemein etwa ab dem 12. Altersjahr gegeben sein.72 Eine Besuchsbegleitung soll nur dann verfügt werden, wenn sie interimistisch Geltung (wenige Monate bis ca. zwei Jahre) erlangen soll, da eine unbefristete kaum Sinn macht, zumal die Motivation eine Verbesserung der Situation zu erreichen im zweiten Fall gering wäre.73
Wie alle zwischenmenschlichen Beziehungen einer Dynamik unterliegen, tut dies
auch das Besuchsrecht, weshalb verschiedene Möglichkeiten der Besuchsrechtsbegleitung im konkreten Fall in Betracht gezogen werden müssen.74
67
68
69
70
71
72
73
74
AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 24; zur konkreten Ausgestaltung
auch HAUSHEER, S. 31 ff.
Das Konfliktpotenzial kann durch die Schaffung klarer Verhältnisse reduziert werden und ist aus
Gründen der Rechtssicherheit nötig. Insb. dann wenn der persönliche Verkehr droht zum „Spielball
von Eigenmacht und Selbstzweck zu werden“; so HEGNAUER, ZVW, S. 170.
Zeit kann Gift sein, so BIDERBOST, S. 152.
BLÜLLE, S. 55; HEGNAUER, ZVW, S. 176 sieht die praktische Bedeutung etwa bis zum 10. Altersjahr.
SCHWENZER, BaKomm, N 5 zu Art. 275 ZGB.
Bei der Besuchsrechtsregelung noch etwas früher; so das Urteil des BGer 5C.293/2005 vom 6.
April 2006, in: FamPra.ch 3/2006, S 757 ff. (759), E. 4.2.
Vgl. BGE 119 II 201 ff. (207), E. 4; Luzerner Obergericht, 18. Dezember .2000, LGVE 2000 I Nr. 13,
E. 3.5 (Internetpublikation); BLÜLLE, S. 57; BRÄM, S. 905; HAUSHEER, S. 38; HEGNAUER, ZVW, S.
176; SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 22 zu Art. 274 ZGB.
BLÜLLE, S. 56; BGE 120 II 229.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
11
5.2. Organisation der Begleitung
Es kommen in der Praxis drei mögliche Formen der Begleitung zur Anwendung: die
Begleitung durch eine neutrale Drittperson, durch einen Beistand (Art. 308 Abs 2
ZGB) oder durch eine öffentliche oder private Stelle (Jugendamt, Pro Juventute).75
Diese Formen lassen sich fallindividuell ausgestalten (Subformen).76 Aus ressourcebedingten und persönlichkeitsrechtlichen Gründen wird der Beistand nur in Ausnahmefällen mit der unmittelbaren Begleitung (Besuchsrechtspräsenz) beauftragt werden.77 Vielmehr übernimmt dieser Vermittlungs- und Koordinationsaufgaben und delegiert die Aufgabe der direkten Überwachung üblicherweise an eine Drittperson oder
an eine - oben bereits erwähnte - heute in allen Kantonen vorhandene Stelle, die „begleitete Besuchstreffs“ anbietet.78 Auch sollen die betroffenen Eltern möglichst in die
Pflicht genommen und zur Mitwirkung angehalten werden.79
5.3. Kontinuierliche Beratung als „must“ des begleiteten Besuchsrechts
Wird ein begleitetes Besuchsrecht - meist in Verbindung mit einer Beistandschaft
nach Art. 308 Abs. 2 ZGB - angeordnet, ist die kontinuierliche Begleitung durch eine
Koordinationsperson von eminenter Bedeutung, zumal sich die Beteiligten in einem
Entwicklungsprozess befinden und Fortschritte in der Beziehungsgestaltung erzielt
werden sollen. Die Aufgaben der Leitung lassen sich aus der Zielsetzung ableiten
und müssen individuell festgelegt werden.80 Eine flankierende Beratung, welche insb.
auch eine genügende Vor- und Nachbereitung (Kontrollfunktion) gewährleistet ist
jedoch in jeden Fall unabdingbar.81
75
76
77
78
79
80
81
HEGNAUER, ZVW, S. 176; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.32; bei der Wahl der Besuchsbegleitung
ist Sorgfalt geboten und sollte darauf geachtet werden, dass dem Kind dadurch nicht eine Vertrauensperson entzogen wird.
BLÜLLE, S. 55 ff.
Urteil des BGer 5C.68/2004 vom 26. Mai 2004, zusammengefasst von RUMOJUNGO/BACHMANN/FUMASOLI, S. 302 (Nr. 150); BALLY, S. 7; BRÄM, S. 906; SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 25 zu Art. 274 ZGB.
BALLY, S. 13; GULER, S. 105 f.; HAUSHEER, S. 34; SCHWENZER, BaKomm, N 25 zu Art. 273 ZGB;
STAUB, 45 f.; zur Idee der begleiteten Besuchstreffs auch STAUB, S. 46 ff.
So ist es sinnvoll und für den Beistand entlastend, wenn Besuchsrechtsarrangements so weit als
möglich an die Eltern übertragen werden; BLÜLLE, S. 55; vgl. zur Mitwirkungspflicht der Eltern auch
BALLY, S. 12; vgl. auch AEBI-MÜLLER, Rechtsprechung 2007, S. 592 zum Urteil des BGer
5C.269/2006 vom 6. März 2007.
BALLY, S. 8 f; VEREIN BEGLEITETE BESUCHSTAGE AARGAU, Begleitete Besuchstage für Kinder getrennt
lebender, geschiedener, allein erziehender Eltern, Empfehlungen für zuweisende soziale Fachstellen, Aargau 2007, S. 4, <http://www.bbt-ag.ch/pdf-dokumente/Emfehlungen%20Zuweiser.pdf> (besucht am 8. August 2008).
SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 22, 24 zu Art. 274 ZGB; BLÜLLE, S. 56; im Falle des Missbrauchs
vgl. KINDLER/SALZGEBER/FICHTNER/W ERNER, S. 1252.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
12
5.4. Im Fall von Kindsmisshandlung und Partnerschaftsgewalt
Sonst bewährte Regeln – wie die positive Korrelation zwischen Kontakten und Kindeswohl – können im Fall von Gewaltanwendungen ihre Wirklichkeit verlieren.82 Bei
Verdacht auf sexuellen Missbrauch ist jeder unbeaufsichtigte persönliche Kontakt
verboten, was jedoch ein begleitetes Besuchsrecht nicht ausschliesst.83 Angesichts
der schwierigen Lage sind eine fallspezifische Diagnostik und eine rasche Stabilisierung im Sinne des Kindeswohls (Schützbedürfnis des Kindes) umso wichtiger.84
6.
Zuständigkeit und Vollstreckung
6.1. Zuständigkeit
Die Zuständigkeitsfragen sind in Art. 275 ZGB geregelt und unterliegen einer bestimmten Rangfolge.85 Da die gerichtliche Entscheidungsfindung grundsätzlich auf
eine unabänderliche res iudicata zielt, ist die gerichtliche Zuständigkeit oft wenig geeignet.86 Sofern keine behördliche Anordnung über den persönlichen Verkehr vorliegt
(Normalfall), befindet der Inhaber der elterlichen Sorge oder Obhut über dessen Gewährung und Umfang (originäre „elterliche Zuständigkeit“, Art. 275 Abs. 3 ZGB).87 Ist
eine behördliche Anordnung nötig, ist - u.a. aus Flexibilitäts- und Praktikabilitätsüberlegungen – vorrangig die Vormundschaftsbehörde zuständig (Art. 275 Abs. 1 ZGB).88
Im Eheschutz-, Trennungs- und Scheidungsverfahren ist das Gericht aufgrund der
Annexzuständigkeit auch für die Regelung des persönlichen Verkehrs zuständig und
regelt allenfalls zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Kindesschutzmassnahmen
neu (Art. 275 Abs. 2 ZGB).89 Sowohl das Anordnungs- wie auch das Abänderungs-
82
83
84
85
86
87
88
89
KINDLER/SALZGEBER/FICHTNER/W ERNER, S. 1245.
Urteil des BGer 5P.131/2006 vom 25. August 2006, zusammengefasst von BRÄNDLI/KILDE, S. 231
(Nr. 178).
KINDLER/SALZGEBER/FICHTNER/W ERNER, S. 1245, 1250 f.; DIES., S. 1249 erwähnen dass Extremlösungen auch hier meist nicht angezeigt sind; vgl. auch LGVE 2003 II Nr. 21, S. 164 ff. (Luzerner
Obergericht).
HEGNAUER, ZVW, S. 170.
BREITSCHMID, N 1 zu Art. 275 ZGB.
HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.10; SCHWENZER, BaKomm, N 2 zu Art. 275 ZGB; BREITSCHMID
a.a.O.
BREITSCHMID a.a.O.; HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.11; sofern nicht die Vormundschaftsbehörde
am Aufenthaltsort des Kindes Kindesschutzmassnahmen nach Art. 315 Abs. 2 ZGB getroffen hat
oder trifft, ist diejenige am Wohnort des Kindes zuständig (Art. 275 Abs. 2); zur örtlichen Zuständigkeit auch SCHWENZER, BaKomm, N 4 zu Art. 275 ZGB und TUOR/SCHNYDER/SCHMID/RUMO-JUNGO,
S. 407 f.; vgl. Motion JANIAK CLAUDE, Amtl. Bull. NR 08.12.2004, Nr. 04.3654.
HEGNAUER, Kindesrecht, Nr. 19.13; SCHWENZER/W IRZ, FamKomm, N 10 zu Art. 275; SCHWENZER,
BaKomm, N 7 zu Art. 275 ZGB.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
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verfahren unterliegt der Offizial- und Untersuchungsmaxime.90 Mit der Anordnung soll
der materielle und formelle Rahmen vorgegeben werden bezüglich Dauer und Häufigkeit der Besuchskontakte. Die Einzelheiten können fallspezifisch durch den Beistand bzw. die Drittperson(en) festgelegt werden.91
6.2. Durchsetzung der Anordnungen und Kostenregelung
Bei der Vollstreckung der Besuchsrechtsregelung können aufgrund der Eigenart dieses Rechts verschiedentlich Probleme auftreten.92 Diesen kann mit unterschiedlichen
Massnahmen entgegengewirkt werden. So können Ermahnungen und Weisung ausgesprochen oder mittels strafrechtlicher Sanktionen sowohl auf den Besuchsberechtigten, wie auch den verpflichteten Elternteil eingewirkt werden.93 Auch können das
Kind und der Besuchsberechtigte für vergebliche Aufwendungen oder nicht wahrgenommene Leistungen allfällige Schadenersatzansprüche geltend machen.94 Die Kosten werden sowohl beim Regelbesuchsrecht, wie auch im Fall einer Besuchsrechtsbegleitung grundsätzlich vom Besuchsberechtigten getragen.95
IV. Erfahrungen mit dem begleiteten Besuchsrecht
Besuchsrechtsfragen stellen sich regelmässig im Zusammenhang mit Trennungen
und bilden im triadischen Spannungsverhältnis zwischen dem Pflichtrecht der Eltern
auf persönlichen Verkehr, dem Anspruch des Kindes auf psychosoziale Beziehung
mit den Eltern und dem Kindeswohl in konfliktuösen Fällen oft den Kulminationspunkt
der Streitigkeiten.96 Die richtigen Massnahmen in solchen Situationen zu finden, stellt
für die Behörden und Gerichte eine grosse Herausforderung dar und verlangt ein
90
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96
Zu den Begriffen Offizial- und Untersuchungsmaxime, vgl. METZGER, S. 414 und S. 611; HEGNAUER,
Kindesrecht, Nr. 19.18; SCHWENZER, BaKomm, N 8 zu Art. 275 ZGB; zum Abänderungsverfahren
BALLY, S. 10; BLUM, S. 191 ff.; SCHWENZER, BaKomm, N 11 f. zu Art. 275 ZGB.
AMT FÜR JUGEND UND BERUFSBERATUNG DES KANTONS ZÜRICH, S. 24 f.; BALLY, S. 7.
BREITSCHMID, N 7 zu Art. 275 ZGB.
Z.B. Kindesentziehung nach Art. 220 StGB, Entführung nach Art. 183 f. StGB, Ungehorsamkeitsstrafe nach Art. 292 StGB.
Z.B. bei systematischem Versäumnis des Besuchsberechtigten oder Verhinderung durch Inhaber
der elterlichen Sorge oder Obhut; SCHWENZER, BaKomm, N 16 zu Art. 275 ZGB; BREITSCHMID, N 7
zu Art. 275 ZGB.
Bei erheblicher wirtschaftlicher Besserstellung des obhutsberechtigten Elternteils kann auch eine
andere Kostenteilung vorgesehen werden; Urteil des BGer 5P.17/2006 vom 3. Mai 2006, Zusammenfassung aus BRÄNDLI/KILDE, S. 228 f. (Nr. 172); Urteil des Luzerner Obergerichts vom 23. Dezember
2002,
in:
ZBJV
5/2004,
S.
360
f.;
Zusammenfassung
aus
RUMOJUNGO/BACHMANN/FUMASOLI, S, 302 (Nr. 148); m.w.H. auch BALLY, S. 10 f.; BIDERBOST, S. 163 ff.;
HEGNAUER, BeKomm, N 146 ff. zu Art. 273 ZGB, ausführlich zum Ganzen HÄFELI, ZVW, S. 198 ff.
HAUSHEER, S. 17.
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
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hohes Mass an Einfühlungsvermögen.97 Mediative Lösungsansätze zur Konfliktbewältigung zeitigen nicht immer den erwünschten Erfolg. Damit eine ausgewogene
Lösung erzielt werden kann, braucht es ein grosses Objektivierungsvermögen, zumal
die Lagebeurteilung aus verschiedenen Blickwinkeln vorgenommen werden kann.98
Zu Fragen Anlass gibt manchmal auch der korrekte Gebrauch der Begrifflichkeiten.
So kann unter „Begleiten“ Verschiedenes verstanden werden, nämlich die Anwesenheit einer oder mehreren Drittperson(en) als blosse Besuchsrechtsauflage oder aber
die Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 2 ZGB als Kindesschutzmassnahme.99 Eine
sprachliche Differenzierung und eine Einigung bezüglich des begrifflichen Gebrauchs
wären hier angezeigt. Obwohl das Institut der begleiteten Besuchsrechtstage eine
wertvolle Alternative zur herkömmlichen drittüberwachten Besuchsrechtsausübung
darstellt, dürfen dessen Grenzen nicht verkannt werden. Die Idee der begleiteten
Besuchstage darf nicht ausschliesslich auf die zeitliche Belastung der Amtsvormünder gestützt werden. Vielmehr bieten sie im Gegensatz zur individuellen Begleitung
weniger Spielraum bei der Ausgestaltung, weshalb deren Anordnung stets mit Blick
auf das Verhältnismässigkeitsprinzip und die Rechtsansprüche der Betroffenen (Persönlichkeitsrecht, Kindeswohl) geschehen muss und sie keine generelle Lösung für
das begleitete Besuchsrecht darstellen kann. Bedingt durch die Eigenart der Kontaktrechte, kann in der Praxis die Kompetenzverteilung und Ordnung der Zuständigkeiten, wie auch deren Vollzug Fragen aufwerfen.100
V. Konklusion und persönliche Schlussbetrachtung
Damit ein begleitetes Besuchsrecht erfolgreich und sinnvoll angeordnet werden
kann, muss dessen Zielsetzung definiert sein.101 Stets soll es als Versuch dem Kind
eine unbelastete Beziehung zum anderen Elternteil zu ermöglichen dazu beitragen
eine Verbesserung der Besuchsrechtssituation zu erreichen und auf das Ziel einer
freien, unbegleiteten Besuchsrechtsausübung hinwirken.102 Es soll – durch den Ein-
97
HAUSHEER, a.a.O.
Vgl. HAMMER-FELDGES, 15 ff., welche eine Überbetonung des Rechtsanspruches gegenüber dem
Verpflichtungscharakter des Instituts rügt.
99
Zur Wichtigkeit der behördlichen Unterscheidung zwischen Aufsicht und Begleitung BLÜLLE, S. 45 ff.
100
BREITSCHMID, N 7 zu Art. 275 ZGB; MIJUK, S. 51 zu den gemachten Erfahrungen in Thalwil.
101
Schutzfunktion, Chance des berechtigten Elternteils das Verantwortungsbewusstsein unter Beweis
zu stellen, Förderung von positiven Erfahrungen zwischen dem berechtigten Elternteil und dem
Kind, Entkoppelung gespannter Beziehungen; m.w.H. BLÜLLE S. 47ff.
102
BALLY, S. 1.
98
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
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griff in die Persönlichkeitsphäre des Berechtigten – nur bei vorliegen ernsthafter
Gründe einer Kindeswohlgefährdung angeordnet werden darf.103
Weil jeder Konfliktfall seinen Eigenheiten unterliegt sind pauschalisierende oder
„schwarz-weiss“-Lösungen nicht angebracht. Es ist wichtig, dass auf die einzelfallspezifischen Gegebenheiten Rücksicht genommen werden kann und bei der Begleitung und Aufsicht der vorhandene Spielraum eine personen- und situationsgebundene Ausgestaltung und eine schnelle und unbürokratische Anpassung an sich ändernde Verhältnisse zulässt.104 Trotz aller Flexibilität ist es wichtig, die für die Betroffenen (insb. für das Kind) oft so wichtige Stabilität und Kontinuität zu gewährleisten.105 Das staatliche Konfliktmanagement vermag den persönlichen Verkehr nicht zu
garantieren, sonder bestenfalls sozialpsychische Bedingungen für sinnvolle Kontakte
zu begünstigen. Hierzu und insb. zur Stabilisierung und positiven Entwicklung der
Eltern-Kind-Beziehung kann die Besuchsrechtsbegleitung beitragen und dadurch
nachhaltig günstige Wirkung zeitigen.106
So vielfältig sich die Problematik des begleiteten Besuchsrechts darstellt, so vielfältig
sind die Anforderungen an Diagnostik und Intervention. Dies erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit, Kooperation der Fachleute und Mut und Offenheit bezüglich neuer Ausgestaltungsformen.107 Das Hauptaugenmerk soll bei der Ausgestaltung
auf die elterlichen Kompetenzen gerichtet werden. Wenn es den Betroffenen gelingt
die Eltern- von der Paarebene zu trennen und auf eine Lösung im Sinne des Kindeswohls hinzuarbeiten, bietet das begleitete Besuchsrecht wenn auch weder absoluten Schutz des Kindes noch (wie so selten im Leben) Garantie auf Erfolg, jedoch
mindestens eine echte Chance zur Verbesserung der Besuchsrechtssituation.
Wir müssen uns aber auch im Klaren darüber sein, dass das begleitete Besuchsrecht
als auf Zeit angelegte Minimallösung zwar helfen kann aus blockierten Situationen
herauszufinden, jedoch keine Gewähr für eine Verbesserung der Eltern-KindKontakte bietet und es manchmal wichtig und richtig ist, diese ganz zu unterbrechen.
103
BALLY, S. 11; BLÜLLE, S. 57.
BLÜLLE, S. 45; FELDER/HAUSHEER, S. 706; KINDLER/SALZGEBER/FICHTNER/W ERNER, S. 1249.
105
KINDLER/SALZGEBER/FICHTNER/W ERNER, S. 1246; Urteil des Luzerner Obergerichts vom 5. Februar
2004, in: FamPra.ch 2/2005, S. 401 ff.; zum Aspekt der Stabilität des bisherigen Umfelds und dessen Bedeutung Aebi-Müller, Rechtsprechung 2007, S. 587 zum Urteil des BGer 5A.171/2007 (sic!)
vom 11. September 2007, E. 2.1.
106
HEGNAUER, ZVW, S. 171; KINDLER/SALZGEBER/FICHTNER/W ERNER, S. 1252.
107
BIDERBOST, S. 150; KINDLER/SALZGEBER/FICHTNER/W ERNER a.a.O.
104
Das begleitete Besuchsrecht (Art. 273 ff. ZGB)
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Ich bestätige mit meiner Unterschrift, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig
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