Bericht über nachhaltigen Tourismus im Mittelmeerraum

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Bericht über nachhaltigen Tourismus im Mittelmeerraum
Bericht über nachhaltigen Tourismus im Mittelmeerraum
Dieser Bericht wurde von Berichterstatterin Michèle Sabban (Versammlung der Regionen Europas;
Regionalrat der Île-de-France/Frankreich) erarbeitet. Er wurde am 16. Januar 2013 in der 4. Sitzung
des ARLEM-Fachausschusses für nachhaltige Entwicklung (SUDEV) erörtert und auf der ARLEMPlenartagung am 18. Februar 2013 in Brüssel (Belgien) verabschiedet.
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DE
-1Ungeachtet erheblicher Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern ist der Mittelmeerraum
insgesamt das wichtigste Reiseziel der Welt. 30% der Touristen wählen als Ziel den Mittelmeerraum,
der 25% der weltweit durch den Fremdenverkehr erzielten Einkünfte für sich verbuchen kann. 80%
1
der Touristen kommen aus Europa, hauptsächlich aus Deutschland . Der Fremdenverkehr hat für die
wirtschaftliche Entwicklung der Region und deren Anpassung an den Prozess der Globalisierung eine
zentrale Bedeutung, belastet zugleich aber auch in erheblichem Maße die natürlichen Ressourcen und
die Umwelt. Die Mitglieder der ARLEM unterstützen voll und ganz die Forderung des Ausschusses
der Regionen nach einer Tourismusförderung auf der Basis von Wettbewerbsfähigkeit und
Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit umfasst drei verschiedene Kategorien: wirtschaftliche Nachhaltigkeit
zur Gewährleistung einer gerechten und effizienten wirtschaftlichen Entwicklung zum Wohle der
künftigen Generationen; soziokulturelle Nachhaltigkeit, d.h. Vereinbarkeit mit der Kultur, den Werten
und der Identität der Regionen des Mittelmeerraums; ökologische Nachhaltigkeit zur Sicherstellung,
dass die Entwicklung mit der Erhaltung der lebenswichtigen Prozesse, der biologischen Vielfalt und
der natürlichen Ressourcen vereinbar ist2.
Die Förderung eines ökologisch nachhaltigen Tourismus ist vor allem in diesem Teil der Welt von
entscheidender Bedeutung, da hier die globale Erwärmung besonders rasch voranschreitet und mit
Phänomenen wie Wüstenbildung, zurückgehenden Trinkwasserreserven und Verlust der biologischen
Vielfalt einhergeht. Die Bewirtschaftung der Wasserressourcen, Umweltverschmutzung, Abfall und
die Eindämmung von Bodenerosion gehören zu den größten Herausforderungen, die sich im
Mittelmeerraum durch den Fremdenverkehr ergeben. Anschaulich wird dies anhand der Tatsache,
dass die Region 2007 ihre natürlichen Ressourcen 2,6 mal schneller verbraucht als wiederhergestellt
hat (weltweit liegt diese Rate bei 1,5)1. Da der Tourismus von der Krise nur unwesentlich betroffen ist
und der durch den Arabischen Frühling verursachte Konjunkturrückgang wahrscheinlich nicht länger
andauern wird, ist zudem zu erwarten, dass sich die Situation weiter verschärfen und die zunehmende
Zahl von Touristen (in den vergangenen zwanzig Jahren konnte der Mittelmeerraum im Tourismus
die größten Zuwachsraten weltweit verzeichnen)1 bedenkliche Auswirkungen auf die Umwelt haben
wird.
Der Fremdenverkehr (die entsprechenden Dienstleistungen und Investitionen mit eingerechnet), der
2010 durchschnittlich 10,9% des BIP ausmachte, ist durch die Schaffung von Arbeitsplätzen und den
Beitrag zur Außenhandelsbilanz der Mittelmeerländer für die Wirtschaft der Region1 ein
entscheidender Faktor. Ohne den Tourismus sähen sich zahlreiche Mittelmeerländer gezwungen, zum
Ausgleich ihrer Handelsbilanz den Import von Waren und Dienstleistungen drastisch zu reduzieren
(in Albanien und Montenegro macht der Tourismus mehr als 50% der Exporte aus).
1
2
Robert Lanquar (2011): Tourism in the MED 11 countries, CASE Network Reports, Nr. 98/2011, CASE – Center for Social and
Economic Research, Warschau (http://www.case-research.eu/upload/publikacja_plik/34467842_CNR_2011_98.pdf, 18.1.2013)
Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zum Thema "Europa – Wichtigstes Reiseziel Der Welt", Berichterstatter: Ramón
Luis Valcárcel Siso, verabschiedet auf der 88. Plenartagung am 27./28. Januar 2011 (CdR 342/2010), Ziffer 12.
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-2Andererseits bewegen sich die Mittelmeerländer in Bezug auf Infrastruktur, Humankapital, natürliche
und kulturelle Ressourcen sowie rechtliche Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich auf
einem eher niedrigen Niveau.
Dementsprechend sind zwei der wichtigsten Ziele die Reduzierung der Umweltfolgen des Tourismus
durch Sensibilisierung und effizienteres Ressourcen- und Infrastrukturmanagement sowie die
Entwicklung alternativer Formen des Fremdenverkehrs, die weniger Auswirkungen auf die
Ökosysteme haben als das derzeit vorherrschende Modell des "3S-Tourismus" (sea, sand, sun), das
mit dem Bau von Golfplätzen, Swimmingpools und anderen Einrichtungen einhergeht.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Zahl der Touristen von Region zu Region und von Land
zu Land sehr unterschiedlich ist und in einigen Gebieten sehr hohe Touristenaufkommen zu
verzeichnen sind, während andere Region kaum besucht werden. Die Ausgaben ausländischer
Touristen machen z.B. im Libanon mehr als 20% des BIP aus, in Algerien beträgt dieser Anteil am
BIP nahezu 0%1. Lösungen für die Umweltprobleme im Zusammenhang mit dem Fremdenverkehr
sind also auch in einer Verlagerung auf weniger besuchte Regionen zu sehen.
Schließlich muss im Zusammenhang mit nachhaltigem Tourismus neben Fragen der ökologischen
Nachhaltigkeit auch ein nachhaltiges Konzept für die lokale Kultur der Gastländer entwickelt werden.
Bei der Förderung von nachhaltigem Fremdenverkehr muss darauf geachtet werden, dass die
Besucher der Region nicht ihren kulturellen Stempel aufdrücken und die lokale Kultur vor
übermäßiger Kommerzialisierung geschützt wird. Nachhaltiger Tourismus muss die Bewahrung der
Traditionen ermöglichen und darf die reiche Vielfalt der Region nicht schmälern.
Den regionalen und lokalen Gebietskörperschaften kommt eine entscheidende Bedeutung dabei zu,
die Entwicklung des Tourismus zu steuern und seine Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
1.
Umweltprobleme durch Tourismus im Mittelmeerraum: Förderung eines nachhaltigen,
ganzheitlichen Tourismus
Ein Unterschied zwischen dem Fremdenverkehr und vielen anderen Wirtschaftszweigen besteht darin,
dass die Umweltverschmutzung, die der Tourismus verursacht, für die Branche selbst negative Folgen
hat. Wenn die Umweltverschmutzung solche Ausmaße annimmt, dass ein Gebiet nicht mehr als
Reiseziel attraktiv ist, kann die betreffende Region eine wichtige Einkommensquelle verlieren.
Zudem nimmt die Belastung der Ökosysteme zu: der Verbrauch an Wasser und Energie übersteigt
oftmals die vorhandenen Produktions- und Versorgungskapazitäten, die Erfassung und Behandlung
von festem Abfall ist unzureichend, die Verstädterung, die Bebauung von Küsten und die
Umwandlung von Naturräumen haben beträchtliche Auswirkungen auf die biologische Vielfalt im
Mittelmeerraum. Mit diesen Problemen einher geht die Versalzung von Böden in Küstengebieten,
insbesondere in Italien, und die intensive Landwirtschaft trägt zu einer rasch voranschreitenden
Bodenerosion bei.
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-3Es wird daher immer wichtiger, die Boden- und Wasserressourcen zu schützen. Obwohl das Thema
auf nationaler Ebene nicht unbedingt Priorität hat, müssen die lokalen und regionalen
Gebietskörperschaften entsprechende Hilfe leisten und dabei von der Union für den Mittelmeerraum
sowie den verschiedenen Organisationen, die imstande sind, die erforderlichen Projekte und die
Infrastruktur zu finanzieren, unterstützt werden.
1.1
Wasserwirtschaft:
übermäßiger
Wasserverbrauch,
Wasserverschmutzung und -wiederaufbereitung
Wüstenbildung,
Der Tourismus im Mittelmeerraum führt zu einer stärkeren Nachfrage nach Wasser und bringt so eine
Senkung des Grundwasserspiegels und Wasserverschmutzung mit sich.
Im Allgemeinen verbraucht ein Tourist 3 bis 4 mal mehr Wasser als ein Einheimischer. In
Alanya (Türkei) beispielsweise waren 2009 52% des Gesamtwasserverbrauchs auf den
Fremdenverkehr zurückzuführen. Auch in Gegenden, in denen der Wasserverbrauch geringer ist, kann
die Verfügbarkeit von Trinkwasser zum Problem werden. Im Gouvernement Matruh in Ägypten etwa
ist die Qualität des vor Ort vorhandenen Wassers so schlecht, dass die Wasserversorgung der Gegend
über zwei an das Versorgungsnetz von Alexandria angeschlossene Pipelines sowie über den Transport
per Bahn und Wassertanks erfolgt – und dies nur um den zusätzlichen Bedarf für den Tourismus zu
decken. In Djerba reichen die beiden vorhandenen Entsalzungsanlagen nicht aus, um den großen
Wasserbedarf des Tourismus zu decken. In den Sommermonaten, wenn die Wasserknappheit
3
besonders akut ist, müssen daher ähnliche Maßnahmen wie oben beschrieben durchgeführt werden .
Der neueste Lösungsansatz besteht in der Nutzung von Entsalzungsanlagen zur Gewinnung von
Trinkwasser.
Diese Lösung ist allerdings ungenügend und teuer, und obwohl hierbei weniger Energie verbraucht
wird als beim Transport von Wasser über Tanks oder Pipelines, bleibt die Energiefrage ein großes
Thema: Im gesamten Mittelmeerraum werden für die Entsalzung von täglich 30 Millionen
Kubikmetern Wasser 5 000 Megawatt an Energie verbraucht – dies entspricht der Kapazität von 8 bis
10 gasbetriebenen Kombikraftwerken oder 4 bis 5 Atomkraftwerken. Zudem setzen
Entsalzungsanlagen sowohl Brine als auch Treibhausgase frei, und ihr Energieverbrauch stellt
während der Zeit des höchsten Strombedarfs durch touristische Einrichtungen und städtische
Tourismusinfrastruktur ein ernsthaftes Problem dar.
In Torremolinos (Spanien) entfallen auf den Tourismus 40% des Stromverbrauchs, der in den letzten
zwanzig Jahren um 169% gestiegen ist. In Alanya (Türkei), wo der Stromverbrauch zwischen 2000
und 2008 um 208% gestiegen ist, sind 21% des Stromverbrauchs auf den Fremdenverkehr
zurückzuführen. In der Hochsaison verdoppelt oder verdreifacht sich der Stromverbrauch in
Urlaubsgebieten zuweilen sogar.
3
Lucia De Stefano (2004): "Freshwater and Tourism in the Mediterranean", WWF Mediterranean Programme
(http://www.scribd.com/doc/20408492/Fress-Water-and-Tourism-WWF, 18.1.2013)
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-4Die NGO Plan Bleu hat in der Region Untersuchungen durchgeführt und empfiehlt zusätzlich zur
Entsalzung die Verwendung von wiederaufbereitetem Abwasser. Die Sammlung und
Wiederaufbereitung von Abwasser wäre weniger energieintensiv und die für die Wasseraufbereitung
erforderlichen Technologien (u.a. Membrandestillation und Umkehrosmose) sind denjenigen, die für
die Entsalzung erforderlich sind, sehr ähnlich. Die beiden Ansätze würden sich somit in Bezug auf
Arbeitsplätze und Ausbildung ergänzen. Zunächst müssen die Regionen jedoch mit
Abwasseraufbereitungsanlagen ausgestattet werden. In Torremolinos (Spanien) gibt es trotz der etwa
5 Millionen Übernachtungen jährlich keine solche Anlage. An der Küste von Tétouan (Marokko) wird
das im Fremdenverkehr anfallende Abwasser häufig direkt unbehandelt in das Meer eingeleitet, und
die vorhandenen Abwasseraufbereitungsanlagen sind stark überlastet. Nach Schätzungen der
Europäischen Umweltagentur (EEA) war der Tourismus im Jahr 2000 für 7% der gesamten
Verschmutzungen im Mittelmeer verantwortlich. In der Türkei verfügen etwa 90% der Anlagen
und 80% der touristischen Einrichtungen über keine Wiederaufbereitungsanlage; lediglich 20%
der Abwässer aus Haushalten werden wiederaufbereitet und nur 6% der jährlichen anfallenden festen
Abfälle werden entsorgt (WWF Türkei, 2002). In Italien werden 80% des Abwassers der
120 größten Küstenstädte vollkommen unbehandelt in das Mittelmeer eingeleitet. Hinzu kommt,
dass das Mittelmeer nur 0,7% der Wasseroberfläche weltweit ausmacht, aber mit 17% der weltweiten
Ölverschmutzung durch den Seeverkehr belastet ist. Schätzungen zufolge werden jedes Jahr zwischen
3
100 000 und 150 000 Tonnen Rohöl aus Schifffahrtsaktivitäten in das Meer eingeleitet .
Angesichts des langsamen Erneuerungsprozesses von Salzwasser im Mittelmeer, der etwa 80 Jahre
dauert, ist die Wiederaufbereitung von verschmutztem Wasser insofern prioritär zu behandeln, als das
Mittelmeer auch für Fischerei und Aquakultur (die wiederum ihrerseits zur Verschmutzung beitragen)
und von Touristen zum Schwimmen genutzt wird.
Investitionen in Wasseraufbereitungsanlagen würden zur Lösung von Problemen im
Zusammenhang mit Hygiene und Gesundheitsschutz, Umwelt (insbesondere der
Meeresumwelt) und Wasserversorgung beitragen.
Beträchtliche Mengen an Wasser können gespart werden, wenn zum einen die Tourismusbranche
ausreichend für das Thema sensibilisiert wird und entsprechende Schritte in die richtige Richtung
unternimmt und zum anderen die Behörden Wasserwirtschaftspläne einführen. Diese Pläne müssen
auf Studien über das Kosten-Nutzen-Verhältnis der verschiedenen Möglichkeiten der
Wasserbewirtschaftung beruhen (einschließlich einer Analyse des Kosten-Nutzen-Verhältnisses der
Erhaltung der Wasserressourcen im Vergleich zum Ausbau der Wasserversorgung). Zudem scheinen
Maßnahmen mit dem Schwerpunkt Bedarfssteuerung weniger kostspielig zu sein als Maßnahmen zum
Wasserversorgungsmanagement. Anhand von Studien dieser Art könnten auch die Vorteile einer
optimierten Zuteilung von Wasserressourcen auf die verschiedenen Sektoren aufgezeigt werden
(Haushalte, Tourismus, Landwirtschaft und Industrie), deren Wasserverbrauch somit reguliert würde.
Die Studien könnten zudem Grundlage dafür sein, die Unternehmen zur Behandlung oder
Vorbehandlung der durch sie eingeleiteten Abwässer zu verpflichten.
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-5Den staatlichen Stellen kommt bei der Durchführung von Kontrollen, der Erfassung von Daten zu
Wasser und damit zusammenhängenden Problemen sowie bei der Umsetzung neuer Vorschriften eine
wesentliche Rolle zu. Diese ist von entscheidender Bedeutung und kann auf verschiedene Weise wie
durch eine Wasserpolizei, den Aufbau institutioneller und administrativer Kapazitäten und die
Weiterentwicklung von Fachwissen, Anreizen und Sanktionen erfolgen.
1.2
Erosion, Zersiedelung, Verlust der Artenvielfalt und Verschlechterung des Zustands der
Küstengebiete
Eine zweite wichtige Herausforderung ist die Entwicklung einer Regionalplanung zur Verbesserung
der städtischen Dienstleistungen, zur Regulierung der zunehmenden Beanspruchung von Flächen und
zur Eindämmung der Folgen für die natürliche Umwelt. Die durch den Tourismus bedingte
Entwicklung der Städte hat eine Reihe negativer Auswirkungen: (1) Verschlechterung des Zustands
der Küstengebiete und Bodenerosion, (2) Flächensättigung und (3) Rückgang der landwirtschaftlich
nutzbaren Böden.
(1) Die Konzentration des Tourismus hauptsächlich in den Küstenregionen bringt durch
Stranderosion ein schwerwiegendes Problem mit sich. Eine von der EEA zitierte Studie
4
(2001) zeigt, dass infolge der Verstädterung im Zusammenhang mit der Tourismusentwicklung
drei Viertel der Sanddünen zwischen Spanien und Sizilien verschwunden sind. Durch den Bau
touristischer Infrastruktur in allzu großer Nähe zur Küste und vor allem auf Küstendünen wird der
Prozess der Stranderosion beschleunigt.
(2) Die zunehmende Verstädterung durch den Bau von Unterkünften für den Fremdenverkehr und die
massive Entwicklung des Wohnungsbaus seit den 1990-er Jahren haben zudem zur
Flächenverbrauch beigetragen. Mit 25 000 km genutzter Fläche bei insgesamt 46 000 km Küste
ist die kritische Schwelle erreicht. Entlang der Küste bei Tétouan (Marokko) befinden sich infolge
von Wohnungsbau und Bauprojekten im Umfeld eines Golfplatzes nur noch 12,5% des
Uferbereichs in ihrem natürlichen Zustand. In Torremolinos wurden 85% der gesamten
Bodenfläche zur Bebauung genutzt und nur noch 10 Hektar Bauland sind geblieben.
(3) Im Mittelmeerraum insgesamt ist die Zahl der landwirtschaftlich genutzten Flächen pro
Einwohner seit 1990 um ein Viertel und in den vergangenen 40 Jahren um die Hälfte gesunken.
Inzwischen beläuft sich diese Zahl auf nur noch 0,2 Hektar pro Einwohner. Obwohl neues Land
der Kultivierung zugeführt wurde, hat die Gesamtfläche seit 1990 um 7% abgenommen. Der
Verlust an landwirtschaftlicher Nutzfläche lässt sich durch eine Reihe von Faktoren wie Erosion,
abnehmende Bodenfruchtbarkeit und Besiedlung erklären. Diese Verluste sind häufig irreversibel.
Zudem müssten Maßnahmen ergriffen werden, um die Anfälligkeit städtischer Gebiete für den
Klimawandel zu reduzieren und um Planungs- und Baunormen einzuführen, die den langfristigen
Folgen des Klimawandels Rechnung tragen. Ferner muss auch der Zersiedelung Einhalt geboten
4
Europäische Umweltagentur (EUA), 2001: Environmental signals.
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-6werden (durch umfassende Nutzung der vorhandenen städtischen Strukturen, Nutzung von
Industriebrachen und Neuansiedlungen in Gebieten mit geringer Bevölkerungsdichte) und durch
Reduzierung der Umweltfolgen von Gebäuden, neue Mobilitätspläne (Fußgänger, Fahrräder,
öffentlicher Verkehr) sowie durch Förderung der funktionalen Vielfalt eine nachhaltige
Stadtentwicklung und -architektur vorangetrieben werden. Es versteht sich von selbst, dass
Anpassungen dieser Art auf den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung beruhen und Maßnahmen
wie Rückgewinnung und Wiederverwendung von Wasser und Abfall aller Art sowie die Nutzung von
Energie aus erneuerbaren Quellen beinhalten müssen.
1.3
Verkehr
Etwa 5,3% aller Treibhausgasemissionen gehen auf den Fremdenverkehr zurück; hiervon entfallen
75% auf den Verkehr als der größten Ursache von Luftverschmutzung im Zusammenhang mit
Tourismus. Umweltschonenden und weniger energieintensiven Formen des Verkehrs muss daher
Vorrang eingeräumt werden.
Obwohl der Flugverkehr bei weitem die stärksten Umweltverschmutzungen verursacht, privilegieren
oft die Regierungen selbst dieses Verkehrsmittel gegenüber der Bahn. Seit 1970 nimmt die Zahl der
Flüge, vor allem infolge der deutlichen gesunkenen Ticketpreise, jährlich um 5-6% zu.
In Anbetracht der erheblichen Umweltfolgen muss auch dem Individualverkehr besonderes
Augenmerk gewidmet werden. Aus einer Studie des französischen Umweltinstituts IFEN vom August
2007 geht hervor, dass alleine durch Autoreisen, die für Wochenendausflüge und Urlaub
unternommen werden, 16% der gesamten jährlichen CO2-Emissionen privater Fahrzeuge in
Frankreich verursacht werden. Obwohl lediglich 7% der Touristen per Flugzeug reisten, entfielen auf
den Luftverkehr 62% der Treibhausgasemissionen des touristischen Reiseverkehrs.
Langstreckenflüge, die nur 2% der Gesamtzahl der Reisen ausmachten, verursachten zudem 42%
dieser Emissionen.
Verkehrsspezifische Anreize müssen daher auf unterschiedliche Ziele gerichtet sein: die lokalen
Gebietskörperschaften sollten zur Einführung energieschonender Verkehrsmittel (Bahn, Straßenbahn,
Fahrrad), zur Förderung des öffentlichen Verkehrs und zur Beschränkung der Zufahrt von Autos in
einigen Bereichen angeregt werden. Die Tourismusbranche sollte zudem dazu ermuntert werden,
umweltfreundliche Aktivitäten zu fördern (z.B. Kanu- und Kajakfahren anstelle von Jet-Ski), und in
der Auto- und Flugzeugindustrie sollte die Entwicklung umweltfreundlicherer Verkehrsmittel
gefördert werden.
1.4
Abfälle
Der Ausbau städtischer Abfallentsorgungsanlagen wird immer dringender: nicht nur wegen des im
südlichen Mittelmeerraum anhaltend hohen Bevölkerungswachstums, sondern auch weil die
Anwohnerdichte in Urlaubsgebieten während der Sommermonate deutlich zunimmt (so steigt z.B. die
Bevölkerungszahl in Torremolinos im August von 3 300 auf 10 000 Personen pro km2) und weil
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-7Touristen deutlich mehr Festabfall produzieren als Einheimische (in Cabras etwa hinterlässt jeder
Tourist durchschnittlich 7 Kilogramm Abfall am Tag, ein Einheimischer nur 0,5 Kilogramm),
während zugleich die Recyclingkapazitäten oft unterentwickelt sind.
Mittelmeerkreuzfahrten
sind
Ursache
für
erhebliche
Umweltprobleme
wie
etwa
Wasserverschmutzung, die Verunreinigung der Küstenregionen und die Zerstörung des
Meeresbodens. Durch ein einziges Kreuzfahrtschiff entstehen jährlich etwa 50 Tonnen fester
Abfallstoffe, 7,5 Millionen Liter flüssiger Abfälle, 800 000 Liter Abwasser aus sanitären
Einrichtungen und 130 000 Liter Abwasser aus der Gastronomie.
Ohne Investitionen in die Müllbeseitigung, die Lagerung und die Behandlung von Abfällen sind
hierdurch ernsthafte Gesundheitsprobleme für die Bevölkerung sowie die Verunreinigung von Böden
und Trinkwasser zu erwarten. Sowohl in Privathaushalten als auch in Touristenunterkünften muss
daher für Abfallsortier- und Recyclingsysteme gesorgt werden. Alle im Fremdenverkehr
beschäftigten Personen (Angestellte, Unternehmer, Händler und gewählte Vertreter) müssen
umfassend über diese Fragen informiert werden und diese Informationen ihrerseits an die Touristen
weitergeben. Darüber hinaus müssen öffentliche Recyclingdienste entwickelt und eine bessere
Abfallbewirtschaftung eingeführt werden.
Die mangelnde Motivation zur Einführung entsprechender Maßnahmen erklärt sich schließlich aus
der Saisonbedingtheit des Fremdenverkehrs. Zu überdenken ist daher die Abfallwirtschaft als Ganzes
und nicht nur die Bewältigung des durch den Tourismus bedingten Abfallaufkommens.
1.5
Biologische Vielfalt
In den meisten Ländern des Mittelmeerraums wurden durch den Bau von Infrastruktur entlang der
Strände Sanddünen zerstört und Pflanzenarten ausgerottet.
Intensivtourismus trägt auch dazu bei, dass sich der Zustand sensibler Feuchtgebiete in der Nähe von
5
Touristenhochburgen verschlechtert. Bereits 1996 wurde in einem Bericht der OECD/IUCN darauf
hingewiesen, dass seit 1900 möglicherweise 50% der weltweiten Feuchtgebiete verschwunden sind.
In einigen Gebieten gibt es heute fast gar keine Feuchtgebiete mehr. Obwohl die Situation im
südlichen Mittelmeerraum, etwa an der Küste von Tétouan besonders kritisch ist, sind auch
Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien betroffen. Das Verschwinden dieser natürlichen
Lebensräume geht einher mit dem Verlust zahlreicher Arten, für die diese Umwelt überlebenswichtig
ist: die Zahl der Wasservögel ist in den vergangenen 20 Jahren um mehr als die Hälfte gesunken und
ein Viertel der in diesen Gebieten angesiedelten Arten ist vom Aussterben bedroht.
5
OECD/IUCN (1996): Guidelines for aid agencies for improved conservation and sustainable use of tropical and sub-tropical
wetlands, OECD, Paris, S. 10 (http://www.cbd.int/doc/guidelines/fin-oecd-gd-lns-wlands-en.pdf, 18.1.2013).
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-86
Für die biologische Vielfalt der Meere hat die Europäische Umweltagentur 2010 ein Gutachten
erstellt, nach dem mindestens 50% der europäischen Reptilien (Schildkröten) und Meeresfische
bedroht sind, während die Situation anderer Arten entweder unbekannt ist oder, wie im Falle ganz
weniger Fischarten, als positiv zu bewerten ist. Keine der untersuchten Reptilienarten und wirbellosen
Arten gilt als nicht gefährdet, und zur Einschätzung der Situation von 70% der (ebenfalls gefährdeten)
Säugetiere und Wirbellosen liegen nicht genügend Daten vor.
Auch der Betrieb von Sportbooten und andere Wasserfreizeitaktivitäten leisten dem Verlust an
biologischer Vielfalt Vorschub, führen zur Verschlechterung des Zustands von Seegraswiesen
(Posidonia-Arten und koralligene Arten), tragen durch Zerstörung von Eiablagegebieten zum
Rückgang der Meeresschildkrötenpopulation bei und stellen insbesondere in Alanya (Türkei) eine
Bedrohung für die Mönchsrobben dar. Nach Angaben der EEA sind lediglich 10% der europäischen
Meeresökosysteme angemessen geschützt, 50% sind bedroht oder in einem sehr schlechten Zustand,
und der Zustand der verbleibenden 40% ist nicht bekannt. In Küstenregionen sind 70% der
Meereshabitate entweder zerstört oder teilweise zerstört und nur 8% befinden sich noch in einem
guten Zustand.
Einfachere Sportarten (wie Surfen, Segeln, Tretbootfahren und Schwimmen) sollten daher gefördert
werden, die anderen Sportarten in sensiblen Bereichen nur eingeschränkt erlaubt sein. Schließlich
müssen die Touristen über die ökologischen Gefahren der Produkte, die sie verwenden, wie etwa
Sonnenschutzmittel und Produkte zur Pflege ihrer Sportgeräte, informiert werden. So verteilt zum
Beispiel der Verband "Santé Environnement France", dem 2 500 Ärzte angehören, einen kostenlosen
"grünen" Sportleitfaden (petit guide vert du bio-sportif) 7 , der Ratschläge enthält, wie sich Sport,
Gesundheit und Umweltschutz vereinbaren lassen, und mit Informationen über jede Sportart und die
entsprechenden Produkte über negative Folgen für Umwelt und Gesundheit aufklärt.
1.6
Verbesserung des Verhältnisses zwischen Tourismus und nachhaltiger Entwicklung
Die Beispiele Sardinien, wo für Besucher von Naturreservaten besondere Programme entwickelt
wurden, und Rovinj (Kroatien), wo natürliche Lebensräume dank eines entsprechenden Schwerpunkts
der Raumplanungspolitik erfolgreich geschützt werden konnten, machen deutlich, dass es möglich ist,
ein positives Verhältnis zwischen dem Fremdenverkehr und dem Schutz natürlicher Lebensräume
herzustellen.
Das Verhältnis zwischen Tourismus und Umweltschutz ließe sich verbessern durch die
Sensibilisierung aller Beteiligten, durch Einführung ökologischer Anreize, die Umsetzung von
Normen und strategischen Plänen, die diesen Aspekten Rechnung tragen, die Durchsetzung von
Sanktionen für Verstöße gegen Vorschriften, durch Honorierung mit Umweltsiegeln sowie durch
Umweltchartas. Ebenso wichtig sind öffentlich-private Partnerschaften, der Austausch bewährter
6
7
European Environment Agency (2010): 10 messages for 2010 – Marine ecosystems. (http://www.eea.europa.eu/publications/10messages-for-2010-2014-2, 18.1.2013)
http://www.asef-asso.fr/attachments/article/830/Guide%20du%20sportif%20ASEF%20bd.pdf, 18.1.2013.
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-9Verfahren und die Zusammenarbeit mit Umweltverbänden (wie etwa Plan Bleu und WWF, die
Studien und Vorschläge erarbeiten können). Schließlich darf auch der Umweltgedanke allgemein
nicht vernachlässigt werden und muss über den Tourismus hinausgehend auch Bereiche wie
Landwirtschaft und Gastronomie einbeziehen.
8
In diesem Zusammenhang ist das Beispiel Çirali (Türkei) sicherlich besonders anschaulich. Dieses
Gebiet an der türkischen Riviera entwickelte sich zu einem Vorbild für den nachhaltigen Tourismus,
indem die Bevölkerung vor Ort an Umweltschutzmaßnahmen mitwirken und von den positiven
wirtschaftlichen Folgen des Umweltschutzes profitieren konnte. Es gibt eine Genossenschaft zur
Erzeugung und Vermarktung lokaler Produkte und ein eigenes Siegel für Erzeugnisse aus Çirali. Für
Naturführer finden Schulungen statt und Wanderwege wurden angelegt. Durch
Aufklärungsmaßnahmen für Touristen, die Förderung bewährter Verfahren für den Schutz der
Eiablagegebiete von Meeresschildkröten und die ununterbrochene Überwachung der Strände konnte
die akute Gefährdung dieser Art gemindert und zugleich dem Tourismus Auftrieb gegeben werden.
Diese Maßnahmen haben insbesondere bei den jungen Menschen des Ortes die Zusammenarbeit
gefördert und zu mehr Zusammengehörigkeits- und Verantwortungsgefühl geführt, das für den
langfristigen Erfolg des Projektes von entscheidender Bedeutung sein wird.
Dabei ist zu bedenken, dass die Entwicklung eines tragfähigen, ökologisch verantwortlichen
Tourismus auch aus rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten letztlich vorteilhafter ist. Die Tatsache
schließlich, dass nicht die Touristen, sondern die lokale Bevölkerung die Umweltfolgen zu tragen hat,
macht deren Einbindung in die Entwicklung dieser Form des Fremdenverkehrs um so mehr
erforderlich.
2.
Nachhaltige Entwicklung der Tourismusbranche
Mit dem Tourismus können wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ökologische Folgen für die
Regionen und Kommunen verbunden sein. Der Fremdenverkehr fördert die Wirtschaft, sorgt für
Diversifizierung einer relativ beschränkten Basis und ermöglicht die Verbesserung der Infrastruktur.
Die Herausforderung besteht deshalb darin, Mittel für die Unterstützung eines nachhaltigen
Tourismus im Mittelmeerraum aufzutun. Die Beispiele der UNEP und der UNWTO9 haben gezeigt,
dass durch Investitionen in einen ökologischeren und nachhaltigen Tourismus Arbeitsplätze
geschaffen, Armut gemindert und die Umwelt verbessert werden können.
Dies erfordert die Einbeziehung der lokalen und regionalen Dimension, die einem demokratischen,
partizipativen Prozess zugutekommt. Zur Beurteilung der spezifischen Maßnahmenpläne wird daher
ein gemeinsames, über die ARLEM durchgeführtes Protokoll notwendig sein. Die ARLEM könnte
auch Informationen zusammentragen und die verschiedenen Interessenträger zur gemeinsamen
Erarbeitung lokaler Maßnahmenpläne im Mittelmeerraum ermuntern.
8
9
Siehe WWF Mediterranean: A showcase for sustainable tourism in Turkey, veröffentlicht am 20. Juni 2002.
(http://mediterranean.panda.org/?4685/A-showcase-for-sustainable-tourism-in-Turkey, 18.1.2013).
Siehe das Kapitel über Tourismus im gemeinsam von UNEP und UNWTO erstellten Bericht "Green Economy report" (2011),
der unter http://www.unep.org/greeneconomy/Portals/88/documents/ger/GER_11_Tourism.pdf (18.1.2013) abrufbar ist.
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- 10 -
Zudem muss sichergestellt sein, dass sich die Region an den veränderten weltweiten Tourismus und
insbesondere auf Reisende aus Schwellenländern einstellt. Schulungen, Infrastruktur sowie
Unterstützung und Informationen für KMU sind weitere Bereiche, in denen die lokalen und
regionalen Gebietskörperschaften tätig werden können und in denen die Hinzuziehung der
Erfahrungen von Partnern und Organisationen wie die Union für den Mittelmeerraum wichtig ist.
Zur Förderung des nachhaltigen Tourismus in ihrer Region stehen den lokalen und regionalen
Gebietskörperschaften daher eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung.
2.1
Förderung von Innovation, Attraktivität, Qualität und produktivem Wachstum
Dies erfordert den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Akteuren (die Beispiele der
Berufsverbände sollten an dieser Stelle nicht unerwähnt werden) und ein hohes Maß an Unterstützung
für KMU, damit diese in der Lage sind, die Erwartungen der Touristen, insbesondere hinsichtlich der
Qualität der Dienstleistungen, zu erfüllen. Außerdem ließen sich touristische Dienstleistungen
dadurch diversifizieren, dass sie auf verschiedene Zielgruppen (wie ältere Menschen, Behinderte,
Studenten) zugeschnitten werden. Als mögliche Optionen sollten zudem Technologietransfer (um zu
gewährleisten, dass Unternehmen mit grundlegenden Diensten wie Telefon und Internet ausgestattet
sind) und eine Zusammenarbeit auf mehreren Ebenen in Erwägung gezogen werden.
2.2
Verwaltung der Humanressourcen
2010 standen rund 12% der Arbeitsplätze in der Region direkt oder indirekt mit dem Fremdenverkehr
im Zusammenhang (ILO, 2012). Obwohl die Zahl der Arbeitsplätze nicht im gleichen Maße
zugenommen hat wie die Zahl der Touristen, gibt der Tourismus doch entscheidende Impulse für die
Beschäftigung in einer Region mit chronisch hohen Arbeitslosenquoten, insbesondere bei jungen
Menschen (die Tourismusbranche bietet gerade dieser Gruppe zahlreiche Arbeitsmöglichkeiten). Die
Verwaltung der Humanressourcen in diesem Bereich sollte daher auch die Möglichkeit
fachspezifischer Schulungen (Dienstleistungen, Sprachen und Management) sowie attraktivere
Arbeitsbedingungen und Einkommen beinhalten.
2.3
Akzentuierung der Besonderheiten des jeweiligen Touristenziels
Ein weiterer Aspekt der Förderung des Fremdenverkehrs ist der Erhalt des Kulturerbes.
Kulturtourismus ist für viele Regionen im Mittelmeerraum von zentraler Bedeutung. Pilgerreisen sind
in Ländern wie Griechenland, Israel, Italien, den besetzten Palästinensischen Gebieten, Spanien und
der Türkei ein wesentlicher Aspekt und machen stellenweise bis zu 90% des Fremdenverkehrs
insgesamt aus. Organe wie die UNESCO können die Regionen bei der Erhaltung sowohl ihres
materiellen als auch ihres immateriellen Erbes, wie Traditionen und Kulturen, unterstützen. In dem
Bericht über die Bewahrung und Förderung des kulturellen Erbes im Mittelmeerraum, der auf der
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dritten ARLEM-Plenartagung am 23. Januar 2012 in Bari angenommen wurde , heben die Mitglieder
der ARLEM hervor, dass die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Bewahrung des
Kulturerbes und der effizienten Verwaltung seiner Nutzung eine zentrale Rolle spielen können.
Die Herausforderung für den Fremdenverkehr besteht darin, der Nachfrage von Touristen nach
authentischen Erlebnissen zu entsprechen und zugleich die touristischen Dienstleistungen zu
modernisieren. Im Hinblick auf den Umweltschutz und die Förderung einzelner Regionen auf
nationaler und internationaler Ebene wäre die Einführung strengerer Normen für die Stadtplanung am
besten geeignet.
2.4
Schutz und Erhaltung von Ressourcen
Die Entwicklung des Fremdenverkehrs muss energieschonender und nachhaltiger gestaltet werden.
Investitionen in eine energieeffiziente Verkehrs- und Tourismusinfrastruktur, die Eindämmung des
Abfallaufkommens und der Umweltverschmutzung, der Schutz der biologischen Vielfalt und die
Nutzung des technischen Fortschritts zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen müssen
vorrangige Themen sein. Um sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit für Umweltthemen sensibilisiert
ist, werden die Behörden dabei auch auf die Unterstützung von Naturschutzverbänden angewiesen
sein.
2.5
Abbau von Hindernissen für den Tourismus
Zwei Arten von Hindernissen sind hierbei zu unterscheiden: Hindernisse materieller Art, wie etwa
eine ungenügende Verkehrsinfrastruktur (interne und externe Verkehrsverbindungen), unzureichende
Fremdenverkehrskapazitäten und unzureichende Versorgung mit Ressourcen, sowie Hindernisse
immaterieller Art wie etwa fehlende Investitionen (im Zusammenhang mit einer mangelnden
Attraktivität für Investoren) und komplizierte oder unkoordinierte Verwaltungsverfahren. Zur
Förderung des Tourismus, der für die Länder im Süden und Osten einen wichtigen Teil des
Nationaleinkommens ausmacht, sowie zur Gewährleistung seiner Nachhaltigkeit sollten langfristige
Pläne für eine Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Akteuren ausgearbeitet und deren Folgen
genau überwacht werden. Während dieses Übergangszeitraums sollte insbesondere die Entwicklung
der südlichen Mittelmeerländer nicht behindert werden.
2.6
Mehr Information über den Tourismus und seine Folgen
Für eine angepasste Tourismuspolitik und effizientere Unternehmen müssen Statistik- und
Informationsinstrumente geschaffen werden, die alle Aspekte von Tourismus abdecken. Damit
könnten den Bedürfnissen der Branchenakteure besser entsprochen, die Herausforderungen im
Zusammenhang mit Tourismus bewältigt und potenzielle Interessenträger über die Vorteile der
Fremdenverkehrsförderung informiert werden. Dazu sollten Büros für lokale und nachhaltige
Tourismusentwicklung mit folgenden Aufgaben eingerichtet werden:
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CdR 386/2011 rev. 1, abrufbar unter: http://cor.europa.eu/arlem.
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Vermittlung und Koordination,
Information und Unterstützung für Personen, die im Fremdenverkehr tätig sind,
Kontrolle des Zustands der natürlichen Umwelt (Verschmutzung, Bodenerosion, Auswirkungen
der chemischen Industrie).
11
Derzeit wird in Europa an dem ENPI-SEIS-Projekt gearbeitet, einem System für den Austausch von
Umweltinformationen innerhalb der EU und ihren Nachbarstaaten. Die Partnerländer dieses
Programms sind die EU-Mitgliedstaaten und die Länder der Europäischen Nachbarschaftspolitik, zu
denen Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libyen, Marokko, die Palästinensische
Autonomiebehörde, Syrien und Tunesien zählen. Die Statistikämter und Umweltorganisationen der
Länder stellen zentrale Umweltdaten zur Verfügung, und Ministerien, Agenturen, Statistikdienste und
andere Einrichtungen geben ihre statistischen Daten an ENPI-SEIS weiter. Die Zusammenarbeit
zwischen Mitgliedstaaten und kooperierenden Staaten findet auch im Rahmen des UNEP/MAPÜbereinkommens von Barcelona, der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa und
der Europäischen Umweltagentur (EEA) statt. Auch das Informationssystem über Biodiversität für
Europa (BISE) kann den EU-Regionen und den nicht-europäischen Mittelmeerregionen als
einheitliche Anlaufstelle für Daten und Informationen über die biologische Vielfalt dienen. Durch die
Erfassung von Fakten und Zahlen über die biologische Vielfalt und Ökosystemdienstleistungen
verknüpft dieses System die entsprechenden Politikbereiche, Zentren für Umweltdaten, Gutachten
12
und Forschungsergebnisse aus verschiedenen Quellen .
2.7
Stabilität und Sicherheit
Die Regionen stehen vor dem Problem, dass sie einerseits zur Aufrechterhaltung des Tourismus
Sicherheit brauchen, aber andererseits relativ wenig Einfluss auf die politische Stabilität ihres Landes
haben. Andererseits haben sie Möglichkeiten, die Sicherheit auf ihrem Gebiet, insbesondere im
Zusammenhang mit Naturkatastrophen, zu verbessern. Sie können zudem die wirtschaftliche
Entwicklung und den sozialen Zusammenhalt verbessern sowie die Bevölkerung vor Ort in ihre
Projekte zur Förderung des Fremdenverkehrs und zum Erhalt des Kulturerbes einbinden und so das
Gemeinschaftsgefühl der Bürger vor Ort stärken.
Regionen, die in besonderem Maße durch Naturkatastrophen oder politische Unruhen gefährdet sind,
sollten jedoch nicht übermäßig auf den Fremdenverkehr setzen, da sich Ereignisse dieser Art
besonders negativ auf die Branche auswirken und damit dramatische Folgen für die Region als
Ganzes haben können. Vor der Protestbewegung in Syrien und ihrer Niederschlagung konnten 12%
der Arbeitsplätze und des BIP dem Tourismus zugerechnet werden. Die Touristen werden erst wieder
kommen, wenn sich die Lage stabilisiert hat. Eine ähnliche Wirkung hatte der Arabische Frühling mit
seinen Aufständen, und zwar auch in Ländern des südlichen Mittelmeerraums, die nicht unmittelbar
11
12
http://enpi-seis.ew.eea.europa.eu (18.1.2013).
BISE-Faltblatt, erhältlich über: http://biodiversity.europa.eu/bise/info (18.1.2013).
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- 13 betroffen waren. Mit der Wiederherstellung von Stabilität und Sicherheit erholt sich in der Regel
jedoch auch der Fremdenverkehr relativ schnell wieder.
2.8
Zusammenarbeit im Dienste eines nachhaltigen Tourismus
Die Mitglieder der ARLEM unterstützen voll und ganz den Standpunkt des Ausschusses der
Regionen, dass die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und den Ländern des
Mittelmeerraums ausgebaut werden sollte, "um nachhaltige Tourismusmodelle und eine Kultur der
Bewahrung der Umwelt zu fördern, da sich positive Ergebnisse nur erreichen lassen, wenn alle
13
Akteure mit dem gleichen Engagement und Verantwortungsbewusstsein zusammenarbeiten" .
Langfristige Strategien können in Partnerschaft mit anderen Regionen entwickelt und durch den
Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren, interregionale Zusammenarbeit und
gegenseitige Bewertung unterstützt werden.
Das Projekt PRESERVE14 der Versammlung der Regionen Europas ist hierfür ein gutes Beispiel.
Innerhalb von nur drei Jahren konnten im Rahmen von PRESERVE 13 Partner aus 11 europäischen
Regionen Erfahrungen und bewährte Verfahren austauschen und so ihre lokalen Strategien
verbessern. Nach einer Analyse der Lösungsmöglichkeiten dieser Partner wurden anschließend
24 Beispiele für einen gelungenen nachhaltigen Tourismus detailliert in einer Broschüre beschrieben
und zur Nachahmung empfohlen. Durch das Beschreiten innovativer Wege konnten mit dem Projekt
neue Arbeitsplätze geschaffen, Mittel eingespart und wichtige Erfahrungen bekannt gemacht werden,
die anderen Regionen zugutekommen.
Auch zahlreiche andere internationale Organisationen bieten Hilfe und finanzielle Unterstützung für
die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus:
•
Die Union für den Mittelmeerraum ist eine multilaterale Partnerschaft, die 43 Länder aus
Europa und dem Mittelmeerraum umfasst. Sie wurde 2008 mit dem Ziel der Förderung von
Stabilität und Wohlstand in der gesamten Mittelmeerregion gegründet und führt eine Reihe von
Initiativen durch, die indirekt zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Ein Projekt ist der
Umweltsanierung im Mittelmeerraum und ein weiteres dem Bau von Häfen, Autobahnen und
Bahnlinien gewidmet, die indirekt dem Tourismus zugutekommen. Ferner wurde eine Initiative
ins Leben gerufen, mit der die Entwicklung von Unternehmen im Mittelmeerraum, insbesondere
KMU, unterstützt werden soll. Außerdem befasst sich die Mittelmeerunion auch mit der
Bekämpfung der Wüstenbildung und des Klimawandels in der Mittelmeerregion.
•
Die EIB (Europäische Investitionsbank) finanziert Initiativen in Partnerländern des
Mittelmeerraums, die seit 2002 in der Investitions- und Partnerschaftsfazilität Europa-Mittelmeer
(FEMIP) zusammengefasst sind. Seit 2008 unterstützt FEMIP die Durchführung von Projekten
13
14
Stellungnahme des Ausschusses der Regionen zum Thema "Europa – Wichtigstes Reiseziel der Welt", Berichterstatter: Ramón
Luis Valcárcel Siso, verabschiedet auf der 88. Plenartagung am 27./28. Januar 2011 (CdR 342/2010), Ziffer 30.
http://preserve.aer.eu/project-description.html (18.1.2013).
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- 14 zur Umweltsanierung im Mittelmeerraum und zur Entwicklung des Verkehrs zu Wasser und zu
Land. Ferner ist auch ihr ELENA-Projekt zu erwähnen, das lokalen und regionalen
Gebietskörperschaften technische Hilfe bietet und sie so bei ihrer Politik zur Förderung von
Energieeffizienz und erneuerbaren Energien unterstützt.
•
Auch die Weltbank und die EBWE bieten technische Hilfe oder finanzielle Unterstützung für
Unternehmen in der Tourismusbranche an.
•
Die
Welttourismusorganisation
der
Vereinten
Nationen,
die
staatliche
Tourismuseinrichtungen vertritt, erfasst und veröffentlicht statistische Daten, die einen Vergleich
der Touristenströme und des Wachstums weltweit ermöglichen. Die Organisation tritt ein für den
Globalen Ethik-Kodex für Tourismus, mit dem gewährleistet werden soll, dass alle Beteiligten für
einen möglichst großen sozioökonomischen und kulturellen Beitrag des Fremdenverkehrs sorgen
und die potenziellen negativen sozialen und ökologischen Folgen möglichst gering halten.
Schließlich spielt die ARLEM auch eine immer größere Rolle innerhalb der Union für den
Mittelmeerraum und hat ihre Zusammenarbeit mit den europäischen Institutionen, insbesondere mit
der Europäischen Kommission, ausgebaut. Das CIUDAD-Programm (Cooperation In Urban
15
Development And Dialogue) der Kommission richtet sich ausschließlich an Städte und hat als
Schwerpunkte die Themen ökologische Nachhaltigkeit und Energieeffizienz, nachhaltige
wirtschaftliche Entwicklung und Minderung der sozialen Unterschiede sowie gute Regierungsführung
und nachhaltige Städteplanung. In der derzeitigen Entwicklungsphase ihres neuen Projekts "Cleaner
energy saving Mediterranean cities" (Grünere Energie zum Schutz der Städte im Mittelmeerraum)
konsultierte die Europäische Kommission die ARLEM und gab dem ARLEM-Sekretariat
Gelegenheit, als Beobachter an ihrem Lenkungsausschuss teilzunehmen. Mit diesem Projekt sollen
die Kapazitäten der lokalen Gebietskörperschaften im Mittelmeerraum zur Konzipierung und
Umsetzung weiterer nachhaltiger lokalen Maßnahmen gefördert werden – etwa durch den Beitritt zum
Konvent der Bürgermeister und damit zusammenhängend die Entwicklung von Aktionsplänen für
nachhaltige Energie. 2013 sollten zudem Synergien zwischen der Arbeit der ARLEM und der AdRFachkommission für natürliche Ressourcen (NAT) angestrebt werden, die sich mit Tourismus befasst
und eine Stellungnahme zu der bevorstehenden Mitteilung der Europäischen Kommission zum
Küsten- und Meerestourismus erarbeiten wird.
Durch die Koordinierung der verschiedenen Partnerschaften zwischen nationalen und lokalen
Gebietskörperschaften wird auch ein Beitrag zu einem effizienteren Wissenstransfer geleistet. Die
erfolgreichsten Beispiele sollten zu internationalen Partnerschaften für die Übernahme bewährter
Verfahren führen. Mit der Annahme des territorialen Ansatzes in Bezug auf den Klimawandel
(TACC), der die regionale Entwicklung bei gleichzeitiger Reduzierung der CO2-Emissionen fördert,
tritt die ARLEM zudem für die Kombination von nationalen und lokalen Maßnahmen im Bereich
Umwelt ein.
15
http://www.ciudad-programme.eu/ (18.1.2013).
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- 15 Ein Hindernis ist der Umstand, dass die für die Umsetzung der Aktionsprogramme zuständigen
Behörden nur beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln haben. Es ist deshalb notwendig,
innovative Systeme für eine langfristige Finanzierung zu entwickeln und sicherzustellen, dass die
Regionen die entsprechenden Informationen erhalten, um die ihnen zur Verfügung stehenden
Finanzierungsquellen, insbesondere von europäischer Ebene und von internationalen Organen, besser
nutzen zu können.
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