Eiertanz - Horizont

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Eiertanz - Horizont
Die Bilanz des Lehrmeisters
Walter Lürzer über 20 Jahre an der Angewandten
Der Werber und sein Bunker
Kunstsammler Christian Boros im Porträt
Die Gesichter des Erfolgs
P.b.b. Verlagspostamt A-2380 Perchtoldsdorf, GZ 02Z031817 M
Das Bestseller-Kreativranking 2010
Eiertanz
Die Emanzipation des Mannes
EDI & PATRICK KECK
Fotografiert von Oliver Jiszda
11|12
2010
Bei uns ist heute schon Bescherung
Mit dem iPhone 4
um 1Euro
1,Angebot gültig bei Neuanmeldung im Tarif Hallo iPhone bis 31.12. 2010 und 24 Monatsbindung. Mehr auf orange.at/hallo-iphone
sebastian loudon
doris rasshofer
editorial
Familienbande
Lassen Sie sich inspirieren von diesem Bestseller-Weihnachtsheft, genießen
Sie den Advent und Weihnachten, rutschen Sie gut ins Jahr 2011, und vor allem:
Bleiben Sie uns auch im kommenden Jahr gewogen!
karl michalski
impressum
medieninhaber Manstein Zeitschriftenverlagsges.m.b.H.
und verleger DVR 0753220
anschrift Brunner Feldstraße 45, A-2380 Perchtoldsdorf
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geschäftsführerin Mag. Dagmar Lang, MBA
aufsichtsratHans-Jörgen Manstein (Vorsitz),
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herausgeber Mag. Dagmar Lang, MBA
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art direction Martin Renner
creative consultant Erich Schillinger
redaktion/autoren Dr. Walter Braun, Clemens Coudenhove,
dieser ausgabe­Carolin Daiker, Dkfm. Milan Frühbauer, ­­
Mag. Dagmar Lang, MBA, Sebastian ­Loudon,
Lisa Mang, ­Mag. Sarah Obernosterer, ­
Dipl. BW Doris ­Raßhofer, Mag. Birgit ­Schaller,
Rainer ­See­bacher, Armin ­Thurn­her, Dr. Hans­
jörg Wachta, Mag. Harald Wolkerstorfer
anzeigenleitung Martina Hofmann anzeigen Martin Kaindel, Sabine Vogt-Kraußler
sekretariat Ariane Schlosser
vertrieb Gertrude Mayer
lektorat Andreas Hierzenberger
elektronische DTP-Abteilung, Manstein Verlag:
produktionMarkus Brocza, Lisa Eigner,
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erscheinungsweise sechsmal im Jahr (exkl. Specials)
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Seien wir ehrlich. Vermutlich gibt es heutzutage nichts Familiä­
reres mehr als Weihnachten, wenn alle Lieben aus nah und ­fern
zusammenkommen, zusammenrücken, es sich gemütlich ma­
chen, sich freuen. Vielleicht ist noch der 90er der Großmutter
ein ähnlich gemeinschaftsträchtiger Tag. Aber das war‘s dann
auch schon. Denn sonst ist Familie eigentlich nicht mehr an­
gesagt: Scheidungsquote von 50 Prozent, 40 Prozent Single­
haushalte, Mobilität, Globalisierung. Es sprengt uns derzeit
­auseinander wie Atome beim Urknall – ohne jetzt Anspruch auf physikalische
Korrektheit dieses Bildes zu erheben. Das aktuelle Familienmodell existiert nur
noch in Ausnahmefällen, als Exot, Erinnerung oder Traum. Und wenn man
­keine Ehefrau mehr hat, die bügelt, putzt und kocht, und keinen Ehemann, der
die Fliesen verlegt, müssen Mann und Frau eben lernen, alles zu können und zu
sein. „Falsch!“, sagt unser Cover-Duo Edi und Patrick Keck, ihres Zeichens Vater
und Sohn und Autoren des Buches „Eier, alles was ein Mann braucht“. Denn
diese gegenseitigen Gleichmachereien sind für die beiden à la longue der Tod
­jeder Beziehung – Bestseller begab sich mit den Kreativen in den Ring für einen
augenzwinkernden Schlagabtausch über Männer mit Eiern und Weicheier, über
Ein-Minuten-Orgasmen und die fehlende Emanzipation des Mannes (Seite 16).
Wo Mann und Frau offenbar von selber nicht mehr zusammenfinden, da hilft
– sehr erfolgreich – das Internet dank seiner Fähigkeit, individuelle Einstellungen
und Vorlieben zu matchen: Lisa Mang wühlte in den Tiefen und Untiefen der
Partnervermittlungen und Single-Börsen (Seite 32). Auch die TV-Industrie be­
kommt die Auflösung des klassischen Familienbildes zu spüren und tut sich
­zunehmend schwerer, ein generationsübergreifendes Hauptabendprogramm
­anzubieten, das vom Großvater bis zum Enkel alle gleichermaßen erfreut – ein
Phänomen, dem Harald Wolkerstorfer auf Seite 24 nachgegangen ist.
Hingegen gibt es jemanden, der sich genau diese Sehnsucht nach ein paar
Stunden heile Welt, in der Menschen und Tiere wieder in trauter Eintracht
­nebeneinander leben und sich lieben, sehr, sehr erfolgreich zu Nutze macht:
­Michael Aufhauser mit seinem Gut Aiderbichl – ein perfekt inszeniertes und
kommuniziertes Weihnachtsmärchen (Seite 28).
Gewaltig kreativ waren heuer auch wieder die Einreicher zum Bestseller-­
Kreativranking 2010: Lesen Sie selbst ab Seite 36, wer die meisten Preise in
­diesem Jahr abgesahnt hat.
Der nächste BESTSELLER erscheint am 24. Februar 2011
Bestseller 11|12 2010
3
inhalt
INHALT
Bestseller
Ausgabe 11|12 2010
16
36
66
6creation, Media, trends, Branding
74 mail, showcase
31 kommentar milan frühbauer
59 kommentar walter braun
82 Medientagebuch armin thurnher
Titelgeschichte Edi und Patrick Keck im provokanten Interview über die Emanzipation der Männer
Umfrage Kommunikationsexpertinnen über den „Neuen Mann“
Familiy-Entertainment Über den kommunikativen Kitt durch Fernseher & Co.
Märchenwelten Ein Besuch auf Gut Aiderbichl: Authentizität und perfekte Inszenierung
E-Commerce Das Geschäft mit der Einsamkeit: Partnerbörsen boomen
Kreativranking I Und der Gewinner ist …
Kreativranking II Die kreativsten Auftraggeber
Portrait Der Werber Christian Boros über seine Kunstsammlung in seinem Berliner Bunker
Recycling-Design Wenn verbrauchte Dinge einen zweiten Sinn bekommen
Geodienste Ein erster Weg durch den digitalen Dschungel inklusive Selbstversuch
Social Commerce Online-Shops müssen kommunikativer werden
Interview Philip Ginthör, Sony-Music-Geschäftsführer, über die digitalen Lektionen der Musikindustrie
Portrait Österreichs Marketing-Pionier Professor Ernest Kulhavy feiert seinen 85. Geburtstag
Interview Walter Lürzer zieht kritische Bilanz über seine mehr als 20-jährige Professur
4
oliver jiszda, karl michalski (3), Huber von Wald
16
23
24
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78
48
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Bestseller 11|12 2010
GABLER JURAS CH
Schalt auf
der Krone!
Die neue Werbemöglichkeit auf der Krone: Sachetkleber, Booklets, Sticker in den verschiedensten
Shapes und v.a.m. Ab 12.500 Stück und bis zu
einer Auflage von 1,6 Mio. Es klebe Ihre Werbung.
Gut fürs Geschäft.
„Werbung ist Teamarbeit –
ich denke nicht in diesen
‚Meins/Deins‘-Kategorien.“
Lukas Hueter
Ganz nach Hueters Geschmack: Nur der Schatten
am Boden lenkt den Blick des ­Betrachters auf die
­Aussage des Sujets für Actual-Sicherheitsfenster.
Bestseller 11|12 2010
CREATION
Blickfang
in der Grafik
DM&B, oliver jiszda
Schmerzlos. Er wollte nicht BWL studieren. Also entschied
sich Lukas Hueter nach seinem HAK-Abschluss für das
Studium „Informationsdesign“ an der FH Joanneum. Über
die Werbung „stolperte“ er im Rahmen eines Praktikums
bei Jung von Matt/Alster in Deutschland – und war sofort
Feuer und Flamme. Warum? „Weil ich nicht nur Logos
­entwerfen wollte. In der Werbung muss ich mich nicht
­einschränken. In der Werbung kann ich mit allen Medien
arbeiten … und Logos entwerfen.“ Zurück in Graz schrieb
er seine Diplomarbeit, eine 360-Grad-Kampagne mit dem
Titel „Painless“ über das Thema „Schutzbekleidung im
Wintersport“. Diese wurde beim Mobius Award mit dem
Student Award ausgezeichnet. Und dann ging es Schlag auf
Schlag: Im Februar 2009 entdeckte Demner, Merlicek &
Bergmann das junge Talent, seitdem arbeitet der 27-Jährige
für Kunden wie Actual, mömax, Media Markt Schweiz,
OMV und Wiener Zucker. An dem Job in einer großen
Agentur wie DM & B schätzt Hueter vor allem die Möglichkeit, für große Auftraggeber zu arbeiten. Und Werbefilme
realisieren zu können – denn diese haben es dem Kärntner
besonders angetan. „Film bedeutet ja nicht notwendigerweise nur TV-Spot – der Bereich Bewegtbild deckt ein
­unheimlich großes Spektrum an Medien ab.“ Stichwort
YouTube & Co. Hueters Credo: Grafik muss schlicht, klar
und simpel sein – und den Blick des Betrachters gezielt
lenken. Wie bei seinem neuesten Baby, der Actual-Kam­
pagne für Sicherheitsfenster: Nur durch ein Detail, den
Schatten am Boden, wird das reduzierte Bild mit der
­Message aufgeladen.
Oliver Jiszda –
Teil einer Bewegung
OJ, geboren in Wien, bezeichnet sich selbst als Einzelkämpfer.
OJ hatte immer schon ein Problem mit Autorität und hierarchischen
Strukturen. Dies bewog ihn, oft die Schule zu wechseln und früh­
zeitig sein Grafikdesign-Studium zu beenden, um nach Los ­Angeles
zu ziehen: „Ich habe mich für Los Angeles entschieden, um den
Schrott, der es bis in mein Kinderzimmer geschafft hat, vor Ort
zu erkunden.“ In seiner Zeit in Los Angeles assistierte er inter­
nationalen Fotografen und arbeitete zusätzlich als Setfotograf bei
­Musikvideo-Produktionen. 2002 kehrte er nach Wien zurück, ist
­jedoch noch heute stark mit Amerika verbunden. 2009 hatte OJ e
­ ine
Ausstellung in der renommierten Leica Gallery, New York, in Koope­
ration mit Erich Lessing (Magnum). Bei der Frage nach seinem Stil
lässt sich OJ nicht gerne einordnen. Es gibt jedoch ein paar Dinge,
wie zum Beispiel Werbung für Fleisch, Pelz oder andere für ihn
­moralisch nicht vertretbare Produkte, die er unter keinen Umstän­
Minimalistisch ist der Stil von
Oliver Jiszda, minimalistisch
sind die Hallen von Vater Edi
und Sohn Patrick Keck. Und so
wie die Thesen ihres Eier-­Buches
durch Reduktion zur knackigen
Pointe werden, so reduzierte auch
Jiszda das Coverbild der beiden
auf eine der Grundinsignien
der Männlichkeit, den Kampf.
den fotografieren würde. Selbst wenn ihn dies auf die Straße setzen
würde. Ansonsten hält er sich für aufgeschlossen und findet gerade
in der Vielseitigkeit den Reiz. OJ ist kein Anhänger der Selbstpräsen­
tation, deshalb hatte er auf die Frage, wie er seine Bilder beurteilen
würde, keine Antwort. Er überlasse es lieber jedem Einzelnen, seine
Arbeiten zu bewerten. Auf die Frage nach seinen beruflichen Zielen
sieht sich OJ als Teil einer Bewegung: „Ich bin sehr dankbar für die
Möglichkeiten, die ich bekommen habe, und möchte davon etwas
zurückgeben. Die Welt steht am Abgrund, daher sollte man sich
­entscheiden, auf welcher Seite man stehen möchte.“
Mehr Informationen unter www.ojblog.com
Bestseller 11|12 2010
7
MEDIA
Menschen sehnen sich
nach Hochgefühlen
Bestseller Herr Mikunda, Sie sind heute Autor, Speaker, Lehrbeauftragter an Universitäten und Dramaturg – was wollten Sie
ursprünglich werden?
Christian Mikunda Eigentlich habe ich Theaterwissenschaften studiert, war allerdings unglücklich mit diesem praxisfernen Studium.
Wirklich interessiert hat mich der Film, weshalb mein erstes Buch
sich diesem Thema widmete. Schon damals sah ich es als meine
Aufgabe, hinter die Dinge zu blicken und Umsetzungen, die intuitiv passieren, zu ergründen. Konrad Lorenz sagte schon: „Intuition
ist ein kognitiver Lernprozess, den man nur vergessen hat.“
CD-Tipps von Hans Kulisch
Lura ist die kapverdische Sängerin und Komponistin, die zu
Recht als Nachfolgerin der
Grand Dame der kapverdischen Musik, Cesaria Evora, gilt. Geboren in
Lissabon, dann von den Kapverden
exiliert, veröffentlichte sie 1996 ihre
erste CD, „Nha Vida“. Ihre Art der
Interpretation verbindet in genialer
Weise kapverdische Tänze, Saudade
und Morna, und brasilianische
Rhythmen mit Flamenco-Elementen
zu einer höchst aktuellen, kosmopolitischen Weltmusik. Das ist in keinster Weise – wie so oft bei Weltmusik
vermutet – altbackene Folklore oder
Anbiederung, sondern seriöseste
musikalische Arbeit. Auf der DVD ist
auch ein Livekonzert, das Luras Stärken optimal präsentiert.
8
CHRISTIAN
MIKUNDA
Schließlich wurden Sie zum Dramaturgen, der Marken inszeniert.
Mikunda Die Aufgabe des Dramaturgen am Theater ist es, ein Stück so zu
bearbeiten, dass es der Regisseur umsetzen kann. Man könnte sagen, er ist ein
Geburtshelfer. Ich konnte zum Beispiel für das My Zeil Shopping Center in
Frankfurt eine riesige Rolltreppe durchsetzen, die sogenannte Himmelstreppe
mit 47 Metern Länge. Der Architekt war Massimilliano Fuksas, sie wissen
schon, der Typ „großer Künstler“, großer Hut, roter Schal … die Treppe betont
die Gefühle Glory und Joy, die ideal zu Einkaufszentren passen, sie werden
durch Größe erlebt und nehmen dem Menschen auf einer tieferen Ebene die
Angst. Das ist sozusagen der psychologische Code, womit wir bereits mitten in
meinem aktuellen Buch über die sieben Hochgefühle sind.
Christian Mikunda ist Autor, Vortragender, Lehrbeauftragter am Institut für
Psychologie der Sigmund Freud Universität Wien und Dramaturg. Nach seiner Zeit
als Fernsehjournalist, Trainer und Dramaturg in Deutschland und Österreich kam
er 1993 über das Duttweiler Institut Zürich zum Marketing. Es folgten die Bücher
VA
Future Bass
Soul Jazz
„Future Bass“
bezeichnet alle
basslastigen modernen Stilrichtungen,
das heißt, es geht nicht mehr nur um
Dubstep (so wie ursprünglich gedacht),
sondern um Post-Dubstep, Post-Dub
und so weiter. Soul Jazz als innovatives
Label bringt auf seiner neuesten Kompilation wieder einige der besten Produzenten Englands zusammen: Von
Coki, Kevin Martin, Foul Tet bis Mal sind
nur Größen vertreten.
NATACHA ATLAS
Mounqaliba
World Village
Ein Konzeptalbum
der Sängerin, die ihren Wechsel ins traditionelle arabische
Fach hier mit einem idealen Crossover
ernster Songs (zum Beispiel von Nick
Drake) westlicher und orientalischer
Provenienz meisterhaft zelebriert. Ein
würdevolles Album, das von ihren
früheren Dancefloor-Experimenten so
weit weg ist wie London von Kairo.
MAXIMUM
BALLOON
s/t
Universal
David Sitek – Gitarrist und Produzent der hochgeschätzten
Band TV On The Radio – ist mit der
erfolgreichen Band anscheinend nicht
ausgelastet. Sein Soloprojekt hat es
aber in sich und das Zeug zur besten
Rockplatte des Jahres. Zehn wunderbare Songs mit zehn verschiedenen
Sängern, darunter David Byrne, Holly
Miranda, Karen O und andere.
Bestseller 11|12 2010
COMMENT
LURA
Best of mit DVD
Lusafrica
ARMIN REINS UND VERONIKA CLASSEN
Die Sahneschnitte – Wie die besten Texter
aus Deutschland, Österreich und der Schweiz
das Mittelmaß in der Werbung bekämpfen.
Verlag Hermann Schmidt Mainz,
2010254 Seiten, 49,80 Euro
ISBN 978-3-87439-790-2
CHRISTIAN MIKUNDA
Warum wir uns Gefühle kaufen.
Die 7 Hochgefühle und wie man sie weckt
Econ, Berlin 2009, 272 Seiten,
29,90 Euro, ISBN: 978-3430200684
Raus aus dem Mittelmaß
Was hat es mit diesen Gefühlen auf sich?
Mikunda Die sieben Hochgefühle sind das Geheimnis der inszenierten Welt und die Emotionen, nach denen sich Menschen sehnen.
Die Evolution stellt den schädlichen niederen Gefühlen mitreißende
hohe Gefühle entgegen. Heute nutzen Flagshipstores, Hotels, Shopping Malls, Marken genau dieses Wissen, um der Erlebnisgesellschaft starke Gefühle zu geben. Glory, das positive Gefühl zu Hochmut, dient nicht der Selbstverherrlichung, sondern der Ehre eines
anderen – des Konsumenten. Joy, die helle Seite der Völlerei, ist der
Freudentaumel. Man erlebt ihn am Karneval von Rio, in all seiner
Farbe, Energie und Pracht. Power, die Kraft, kommt von Zorn – im
positiven Sinn bewirkt sie einen Adrenalinschub und ist beglückend.
Bravour entsteht durch besonderes Können, das Begeisterung anstelle von Neid auslöst. Eine Marke muss herausfinden, welches
Grundgefühl sie wecken kann und möchte. Die Marke Mercedes
zum Beispiel vereint Glory und Bravour.
„Die Sahneschnitte ist die neue Mörderfackel“, so die einleitenden
und zum Lesen einladenden Worte zum neuen Werk von Armin Reins
und Veronika Claßen, die 1998 gemeinsam mit Detlef Gerlach die Texterschmiede e.V. und somit die erste praxisorientierte Schule für den deutschen
Texter-Nachwuchs gegründet haben. Was sie damit meinen? 2002 kam ein Lehrbuch namens „Mörderfackel“ heraus, in dem 30 der besten deutschen Werbetexter mittelmäßige Anzeigen überarbeiteten. Acht Jahre später kommt nun ein
neues Lehrbuch dieser Art, nur dieses Mal mit dem Namen „Sahneschnitte“ auf
den Markt, in dem wieder etablierte Werbetexter – diesmal auch aus Österreich
und der Schweiz – aus durchschnittlichen gar auszeichnungswürdige Anzeigen
machen. Und professionelle, ehrliche Tipps haben Kreative von heute notwendiger denn je, hat sich die Werbewelt seit der „Mörderfackel“ 2002 doch zusehends verschärft. Und einfallsreiche Texter sind gefragter denn je.
Was sind Ihre persönlichen Lieblingsgefühle?
Mikunda Glory und Chill – sie sind ideal für jemanden, der hart
arbeitet. Glory meint das Gefühl der Erhabenheit, die mir eine Art
Applaus gibt. Chill ist das Gefühl der Entlastung, es entspannt Körper
und Geist.
„Der verbotene Ort“ (1995) und „Marketing spüren. Willkommen am
Dritten Ort“ (2002), Beratungstätigkeiten für Unternehmen wie
Mercedes oder Bertelsmann, Lehr- und Seminartätigkeiten und, nicht
zuletzt, viele Reisen, mit Vorliebe nach Las Vegas, Tokio oder New York.
Die Figur in der Medienlandschaft
Das theoretische Werk, herausgegeben und geschrieben von den beiden Medienwissenschaftlern
Rainer Leschke und Henriette Heidbrink, beschäftigt sich mit Figuren. Diese treten in vielerlei
Kontexten und auf verschiedenen Bühnen auf, bevölkern Bilder, Filme, Comics, Zeitungen,
Theater und Werbespots. Die beiden haben Erkenntnisse unterschiedlicher Autoren zusammengetragen und nun in einem Buch veröffentlicht. Wer sich gerne theoretischen Werken widmet,
dem sei das Buch empfohlen, da es die Erscheinungsformen der Figur in Künsten
und Medien von vielen Blickwinkeln aufarbeitet. Allerdings sei betont, dass es keine
leichte Lektüre ist und speziell die Einstiegskapitel von Rainer Leschke durchaus
etwas trockene, wissenschaftliche Kost sind. Die folgenden Darstellungen der Figur
in ihren Formen und auf wechselnden Bühnen sind dagegen etwas einfacher und
auch informativ zu lesen. Hintergrundwissen.
HERAUSGEBER: RAINER LESCHKE UND HENRIETTE HEIDBRINK
Formen der Figur: Figurenkonzepte in Künsten und Medien
UvK, 2010, 418 Seiten, 44 Euro, ISBN 978-3-867-64086-2
Bestseller 11|12 2010
Gestrandete im
Wandel der Zeit
Im ersten Moment wirkt der Debütroman
von Tom Rachman – selbst Auslandskorrespondent für AP in Rom und Redakteur der Herald Tribune in Paris – ein
wenig wie das, was Jeff Jarvis immer vorgeworfen wird: ein Tanz auf dem Grabstein
der Printmedien, ein Abgesang an das Zeitungswesen. Dabei liegt in der Redaktion eiTOM RACHMAN ner englischsprachigen Traditionszeitung in
Die Unperfekten Rom so viel mehr Leben, als man das von
Dtv, München 2010, außen vermuten möchte, schließlich ist sie,
395 Seiten, 15,40 Euro, dank versäumter Modernisierung, vom UnISBN 978-3-423-24821-1 tergang bedroht – und ihre Mitarbeiter mit.
So wie sich die Welt verändert und das Zeitungsgeschäft, so erzählt auch Rachman vom Aufblühen und
Scheitern einzelner Leben im Newsroom. Jedes Kapitel könnte für sich auch wie eine abgeschlossene Kurzgeschichte über
sympathische Fehlleistungen gelesen werden, jedoch laufen
im Hintergrund die feinen Fäden zusammen: über Ruby, die
unglückliche Texterin, Arthur, den Nichtstuer und Nachrufspezialisten, den einsamen Korrespondenten Dave und die
Finanzchefin, die keine Zeit für die Liebe hat. Sie alle sind Gestrandete am schmalen Ufer einer sich überschlagenden Zeit.
Vor allem aber sind sie Lebens-, nein, Überlebenskünstler.
Das Buch: komisch und traurig zugleich.
9
trends
von Walter Braun
aut IMF erarbeiteten im Jahre 2000 jene Länder, die als „emerging and developing economies“ gelten,
20 Prozent der globalen Wirtschaftleistung. Heuer sind es schon 34 Prozent und 2015 vermutlich knapp
40 Prozent. Europa, die USA und Japan fallen in der Weltwirtschaftsordnung rasant zurück. Einer Einschätzung von McKinsey zufolge sollte China bis 2050 eine doppelt so große Kaufkraft wie die
USA haben. Auch die Bildungsinvestitionen der aufstrebenden Länder machen sich b
­ emerkbar:
Es gibt in diesen Regionen nicht länger einen Mangel an Wissen oder Fähigkeiten. Was ist aus dieser
Entwicklung zu schlussfolgern? Dass in absehbarer Zeit die Weltordnung wieder wie im 17. und 18.
Jahrhundert ­aussehen wird, als China und Indien die zwei größten Ökonomien der Welt waren.
Einem Bericht von The Futures Company zufolge lassen sich aus dem E
­ rfolg der aufstrebenden
­Ökonomien vier globale Trends ableiten:
. Eine unmittelbare Folge ist ein immenser Energie- und Rohstoffhunger.
Diese Gewichtsverlagerung an politischer
In den kommenden Jahren wird in der gesamten Welt ein Wettrennen um
Macht und Wirtschaftskraft bedeutet für den
Energieeffizienz einsetzen – bei fehlendem Erfolg droht der Ölpreis, wie eine
Westen eine gravierende Gefahr, bietet aber
Rakete in die Höhe zu gehen, da die Spitzenausbeute bei konventioneller Ölauch Chancen. Kleine, innovative Geschäfte
produktion bereits 2007 erreicht wurde und seither die Fördermenge sinkt.
. Es tut sich rund um den Globus eine immer schärfere Kluft zwischen arm
müssen Wege finden, in globalen Vertriebsfragen zu kooperieren. Auch die größten und
und reich auf, was die politischen Risiken vergrößern wird. Zu absehbaren
erfolgreichsten Exporteure werden sich darsozialen Unruhen kommen sich verschärfende religiöse und ethnische Konauf einstellen müssen, dass demnächst die
flikte.
. Der Erfolg vieler Länder des Ostens beruht auf einer Art Staatskapitalismus.
Welt von Asien dominiert wird – mit entsprechenden Konsequenzen für die Art und Weise
Der Unterschied zum Westen macht sich besonders in „strategischen Bereider internationalen Geschäftsabwicklung.
chen“ bemerkbar: in der Energie- und Rohstoffsicherung, der Außenpolitik
Wie sich darauf vorbereiten? Die Wirtund dem Investitionsverhalten von superreichen, staatsnahen Fonds. Wähschaftsunis sollten Chinesisch als Pflichtfach
rend Europa Afrika mit Geldgeschenken und Menschenrechten händeringend
erwägen und die Philosophieinstitute Konfubeglückte, ist China durch die Hintertür gekommen und hat beinharte Gezianismus unterrichten (der irgendwann den
schäfte gemacht. Folge: Sie besitzen so gut wie alle Vorkommen seltener
Marxismus als „Staatsreligion“ ablösen
­Erdmetalle, die dringend in der Konsumelektronik gebraucht werden. Als
wird). Künftige Manager sollten ein „globanächstes werden chinesische staatliche Investitionsfonds, die den Finanzles Bewusstsein“ entwickeln, um Risiken
überschuss des Landes bisher bevorzugt in ausländischen Bonds angelegt
und Chancen in der neuen Weltordnung
haben, börsenotierte Unternehmen rund um den Globus aufkaufen.
. Es zeichnet sich ab, dass die erfolgreichen Ökonomien des Fernen Ostens
­korrekt einschätzen zu können. Wir müssen
bereits jetzt beginnen, die sehr unterschied­
(unter der drohenden Faust eines stark aufrüstenden Chinas?) bevorzugt mitlichen Mentalitäten von Verbrauchern im
einander kooperieren werden. Das begünstigt die Entstehung regionaler
Nahen und Fernen Osten (und in Afrika)
Märkte und Marken (siehe folgende Geschichte), aber auch neuer For­intensiv zu studieren. Dank weltumspannenschungszentren (in der zukunftsweisenden Nanotechnologie sind die Chi­
der Medien wird künftig selbst ein sensibler
nesen hinter den USA bereits die Nummer zwei). Europäische Großkonzerne
Bereich wie Innovation global gemanagt
aus dem Pharmabereich stellen sich auf diese Entwicklung ein, indem sie
werden, da Unternehmen in der ganzen Welt
Forschungsjobs im Westen abbauen und nach Osten verschieben.
auf Talentsuche sind.
10
Bestseller 11|12 2010
braun
Eine neue Weltordnung
Die Publico verbindet sich mit einem Weltklasse-Partner
und bleibt Österreichs führendes Unternehmen für strategische
Kommunikationsberatung. Wir freuen uns auf die künftige
Zusammenarbeit mit unseren Kunden und Partnern.
Coming soon: www.ketchum-publico.at
„Generation Zero“:
Konsumüberdruss
+ Zukunftsangst
TRENDS
in Phänomen, das Soziologen seit einiger Zeit beobachten: Junge
Menschen bleiben immer länger im elterlichen Nest. Typische Erklärungen: zu wenig Arbeitsplätze, schlecht bezahlte Jobs. Allerdings spielt
auch eine Rolle, dass die „Generation X“ gewohnt war, mehr zu
konsumieren, als ihr frei verfügbares Einkommen es erlaubte. Eine gewisse
Orientierungslosigkeit und Verantwortungsscheu haben Sozialforscher ebenfalls
diagnostiziert.
Ein Teil der nun nachrückenden Kohorte
an 20-Jährigen scheint allerdings anders
zu denken: Ihnen sind Freiheit und
n den vergangenen fünf Jahren kamen 70
Selbstbestimmung wieder wichtiger als
Prozent des Weltwirtschaftswachstums aus
Konsummaximierung. Der Slogan der
Regionen, die vor nicht so langer Zeit als
sogenannten „Generation Zero“ lautet:
„Länder der Dritten Welt“ gegolten hatten.
„So wenig wie möglich besitzen“. Manche
Als mehr und mehr Industriearbeitsplätze in
sind geradezu stolz darauf, dass außer
Richtung der aufstrebenden Länder verloreneinem Laptop und einem iPhone ihr
gingen, lautete die öffentliche Rechtfertigung:
gesamtes Hab und Gut auf einem Web„Dafür verkaufen wir China & Co. DienstleisServer gelagert ist. Das gibt den Jungen
tungen und Markenprodukte.“ So einfach ist
den zusätzlichen Vorteil, extrem mobil zu
die Situation aber nicht. Zum einen sind viele
sein, was notwendig erscheint, da immer
Dienstleistungen lokaler Natur (lassen sich almehr ihren Jobs hinterherreisen müssen.
so nicht exportieren), zum anderen sind die
Der neue Minimalismus hat bereits
neuen Ökonomien scharf darauf, selbst
eine Reihe einschlägiger Titel hervorgehöherwertige Waren zu entwickeln. Das
bracht, „The Joy of Less“ beziehungsweiheißt, europäische Exportmarken, so begehrt
se „The 100 Thing Challenge“ oder etwa
sie auch sein mögen, treffen vor Ort immer
die Website cultofless.com. Das ist nicht
häufiger auf regionale Konkurrenz. Es kommt
bloß eine aus der Not der Rezession genoch schlimmer: Die erfolgreichsten Konsumborene Bewegung – da steckt richtige
produkte streben ihrerseits in den Export und
Philosophie dahinter. Für die Anhänger
machen westlichen Marken nun in den
dieser Bewegung stellen die gewohnten
Heimatmärkten Konkurrenz.
Unternehmens- und Medienstrukturen
Beispielsweise Lenovo: Der chinesische
(inklusive Werbung) die alte Welt dar,
PC-Produzent ist der viertgrößte der Welt,
unter anderem charakterisiert dadurch,
nachdem er 2005 von IBM deren PC-Gedass „die Botschaften von oben komschäftszweig erworben hatte. Nun dehnt er
men“. Ihre neue Welt gleicht eher einer
sich aus: Im kommenden Jahr wird er mit
Basisbewegung, bei der „die Botschaft“
einer eigenen Spielkonsole den extrem lukraaus vielen kleinen, bloggenden Stimmen
tiven Markt der Computerspiele angehen, den
von unten kommt.
sich bis dato Sony mit der Playstation,
Nach außen hin wird von dieser BeweMicrosoft mit der Xbox und Nintendos Wii
gung nicht viel zu sehen sein; aber wie es
teilten. Haier wiederum ist nicht bloß ein
scheint, dürfte der Minimalismus die Stimnamenloser Riese im Bereich Konsumelektromung der kommenden Generation – die
nik (Jahresumsatz: 17,8 Milliarden Dollar),
wesentlich weniger Chancen als die „Baby
sondern hat eben im Segment Kühlschränke
Boomer“ vorfindet – gut widerspiegeln.
Whirlpool als globale Nummer eins verdrängt. Der indische Traktorenhersteller
Mahindra Tractors ist der größte im Land und
Marken aus der „anderen“ Richtung
12
gehört schon zu den Top 3 in der Welt. Das
brasilianische Unternehmen Embaer ist hinter
Airbus und Boeing bereits der drittgrößte
Flugzeughersteller. In Brasilien ist auch
Marcopolo beheimatet – ein Bushersteller, der
zehn Milliarden Dollar Umsatz macht und in
60 Länder exportiert. Und die Möbel des türkischen Herstellers Çilek Mobilya sind sogar
schon bei kika Leiner anzutreffen.
Von „verlängerter Werkbank“ kann da
nicht länger die Rede sein: Diese Unternehmen stoßen gezielt in margenträchtigere Segmente vor. Nicht bloß im Bereich industrieller Fertigung – auch in kreativeren Branchen
wie Mode und Kosmetik: Li Ning ist hinter
Nike zusammen mit Adidas bereits die Nummer zwei unter den Sportmarken in China.
Wer wissen möchte, welche Produkte aus
Übersee Potenzial haben (die brasilianische
Jeans-Marke Ellus etwa oder die chinesische
Mode-Luxusmarke NE Tiger): Die Kollegen
von der Agentur Trendwatching.com haben
eine beeindruckende Liste von neuen globalen Marken-Kandidaten zusammengestellt.
Falls diese neuen Marken erfolgreich sind,
ist das vorteilhaft für die Verbraucherauswahl
im Westen, es gehen dabei aber sicher auch
Arbeitsplätze in unseren Breiten verloren. Die
große Hoffnung beruht nun darauf, dass eine
gewaltige globale Mittelschicht entsteht,
deren Konsumhunger unsere strukturellen
Defizite und fehlenden Arbeitsplätze wettmachen wird. Laut einer Schätzung von McKinsey gibt diese (recht großzügig gerechnete)
Mittelschicht zurzeit 6,9 Billionen Dollar pro
Jahr aus – bis 2020 sollte diese Zahl auf das
fast Dreifache (20 Billionen) explodieren.
Bestseller 11|12 2010
DIE
WIRKUNG
DIE
ICH
AUF
M E NSCHEN
HABE
IST
FAST
BEÄNGSTIGEND
I am the power of print. Was in Printmedien steht, hat Gewicht: 33% der Leser
halten Informationen aus Zeitschriften für wichtig. Nur 20% schreiben Informationen
aus dem Fernsehen diese Bedeutung zu, und im Internet sind es 10%. Mehr unter
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Wo Staud draufsteht, ist Staud drin:
Hans Staud führt seine Marke seit 39 Jahren
mit Kaufmannskunst der alten Schule.
Der Marmeladenverweigerer
Arbeitslust. „Marmeladenbrotverweigerer und Löffler“ stand einst im
Mitteilungsheft eines Wiener Internatsschülers, der die „grausliche Marmelade“,
die es zur Jause gab, partout nicht essen und sie sich schon gar nicht aufs Brot
schmieren wollte. Knapp 50 Jahre später verkauft der strebsame, aber heikle
Bub, aus dem inzwischen längst ein nicht minder strebsamer und kulinarisch
anspruchsvoller Mann geworden ist, seine eigenen Erzeugnisse – süße wie
saure – bis nach Japan, in die USA und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Der Name des damaligen Marmeladenbrotverweigerers: Hans Staud. Seine 1971
gegründete Firma: Staud‘s GmbH Konserven & Konfitüren.
Zwischen dem Buben, der der Internatsmarmelade nichts abgewinnen konnte,
und dem Erwachsenen, der mit seinen Konfitüren – übrigens die Bezeichnung
für Marmelade, die aus nur einer Obstsorte besteht – und Kompotten, eingelegten Früchten, Sirupen und Sauergemüsen vergangenes Jahr einen Umsatz von
6,75 Millionen Euro gemacht hat, liegen reelle Jahrzehnte, aber nur gefühlte
Minuten. Denn Stauds Augen strahlen hell, wenn der Obstbauer von seinen
Produkten und den „guten Wachauer Marillen“ erzählt. Sein Engagement für
die Marke, sein Umfeld und sein Team scheint ebenso ungebrochen. Staud IST
seine Marke, und das 24 Stunden am Tag. In seinem Pavillon im 16. Wiener
Gemeindebezirk direkt am Brunnenmarkt und nur wenige Gehminuten von seiner Produktion und den Büroräumlichkeiten entfernt, verbringt er ab und zu
sogar seine Freizeit, um sich in Ruhe seiner zweiten großen Liebe, der Musik,
zu widmen. Inmitten von Gläsern, offenem Kraut und Sirupflaschen steht in
dem modernen und dennoch einladenden Shop eine Heimorgel, die Staud in
seinen seltenen freien Minuten spielt. Wenn die Rollläden geschlossen sind,
ertönen durch die dicken Glasscheiben – dreimal wurde bei Staud nämlich
schon eingebrochen – ganz leise und dumpf jene Orgelklänge, die die Bewohner und Standler der Gegend manches Mal dazu animieren, bei Staud einzukaufen, auch wenn er geschlossen hat. Überhaupt ist der „Herr Chef“, wie
er am Markt liebevoll genannt wird, hier allseits beliebt, ja sogar zum Marktsprecher wurde er gewählt. Kein Wunder: Stauds Lächeln ist ansteckend,
14
Herzlichkeit. Hans Staud,
von klein auf im 16. Wiener
Gemeindebezirk daheim,
verbindet Multikulturalität
mit der Liebe zu Wien.
Bestseller 11|12 2010
KARL MICHALSKI, PETRA SCHMIDT, JOHANNES KITTEL
Text von Sarah Obernosterer
branding
er ist ­offen für alle Kulturen, spricht
­mehrere Sprachen und setzt sich ein, wo
er kann. „Ein Manager ist kein Roboter“, so
seine Philosophie.
Mediales Parkett
Vielfalt. Neben 95 Sorten von Konfitüren bietet Staud auch
eine Auswahl aus 42 verschiedenen Sauergemüse-Produkten.
Staud ist am Boden geblieben, der „Kaufmann der alten Schule“, wie er sich selbst
mit Etiketten zugeklebten Gläser, nichts soll
bezeichnet, verkauft am Samstag seine
jene Früchte verdecken, die optisch schön
­Produkte und steht auch schon einmal am
arrangiert in die Gefäße wandern. WerbeSonntag selbst in der Produktion. Nur zu
agentur braucht Staud keine, und dass sich
­delegieren, liegt ihm nicht, er zeigt sich mit
auf den Gläsern kein Hinweis mit „Bio“
seinen Angestellten lieber solidarisch. Diese
­findet, liegt nicht daran, dass die Produkte
Bodenhaftung ermöglicht es auch, dass
bearbeitet sind, sondern daran, dass Staud
Staud seine Kontakte zu Politikern dazu
Natürlichkeit für selbstverständlich hält.
nutzt, ihnen zu sagen, was den Standlern
und Selbstständigen das Leben schwer
Qualität statt Elite
macht, ohne sich in irgendeiner Weise
Die Erzeugnisse aus der kleinen Wiener
­vereinnahmen zu lassen oder sich auf eine
­Delikatessen-Fabrik finden sich neben
Seite schlagen zu müssen. Ebenso viel
Lachs und Champagner in Geschenkkörben,
­Freude haben Medienvertreter mit ihm, und
in Gourmetläden und an Frühstückstischen
auch auf Society-Events ist er ein gern ge­
in Nobelhotels. Staud‘s Wien beliefert beisehener Gast. „Weil ich mich halbwegs gut
spielsweise das St. Regis Hotel in New York
anziehen und mich benehmen kann“, meint
er augenzwinkernd. Sogar Dokumentationen sowie das zur Kempinsky-Kette gehörende
Hotel Grand Hotel des Bains in St. Moritz
wurden von ausländischen TV-Anstalten
und das Adlon in Berlin. Ausschließlich
schon über ihn und seine Marke gedreht,
Produkte für Reiche möchte Staud aber
und das, bevor Österreich ihn für sich entnicht machen, elitär soll höchstens die
deckte. Staud macht das nichts aus, im
­Qualität sein. Mit diesem Selbstbewusstsein
­Gegenteil: Über seine Produkte versucht er,
und dem Bewusstsein für Qualität kann ein
­Österreich auch im Ausland interessanter zu
ernteschwaches Jahr wie dieses weder
machen. Am Konfitüren-Deckel hat sich
schon die eine oder andere Illustration – bei- Staud noch seine Marke umhauen. Überhaupt: Turbulenzen und Anstrengungen der
spielsweise im Augarten-Design – gefunden.
vergangenen Jahre und Jahrzehnte sieht
Im Jubiläumsjahr 2002 gab es auch eine
man dem Geschäftsmann und seiner Marke
Konfitüren-Edition „Hommage an Johann
Nepomuk Nestroy“, und in Zusammenarbeit nicht an. Beide scheinen zeitlos, zufrieden,
mitten im Leben und zu guter Letzt unmit WienTourismus wurden bereits mehrere
trennbar miteinander verbunden. Ein
Editionen gestaltet. Das Grund-Design der
achteckigen Gläser ist seit 23 Jahren das sel- „­ Marmeladenbrotverweigerer“ ist Staud
­ brigens nach wie vor, seine Konfitüre
be – und wirkt doch wie eben erst erfunden. ü
­löffelt der Meister auch immer noch.
Ein schlichter, schwarzer Schriftzug, keine
Bestseller 11|12 2010
15
Ein Mann muss tun,
was ein Mann tun muss
Interview von Doris Raßhofer
Eier – alles was ein Mann braucht. Das Buch von Vater
Edi Keck und Sohn P
­ atrick Keck. Es lag eine Woche bei
uns zu Hause am K
­ üchentisch. Kaum ein männ­liches
Wesen, das in dieser Zeit vorbeischneite und nicht
hochinteressiert darin zu blättern begann. Den Frauen
entlockte es meist einen überheblichen Grinser, der so
viel sagt wie „süß“. Eben. Genau deshalb ist das Buch
ein Leitfaden für ein neues m
­ askulines Rollenmodell,
für den emanzipierten Mann – oder doch besser für die
­dominanten Frauen unemanzipierter Männer? Bestseller
traf das berufliche V
­ ater-Sohn-Duo in seinem Männerdomizil – und wurde mit selbstgemachtem ­Kuchen
empfangen. Schau, schau. Die Räume g­ leichen einer
Reithalle, Zierkissen sucht man hier vergeblich.
16
Bestseller 11|12 2010
Patrick & Edi Keck
Fotografiert von Oliver Jiszda
Bestseller Sie beide besiedeln diese spärlich e­ ingerichteten ­Hallen
­alleine zu zweit?
Edi Keck Ja. Gefällt es Ihnen?
Naja, gemütlich ist etwas anderes.
Edi Klar, Sie sind ja auch eine Frau. Und ­würden vermutlich
am liebsten zum dekorieren anfangen … (grinst)
Ich weiß eh: Männer können sich auch ohne 17 Zierkissen
wohlfühlen. Steht ja in Ihrem Buch.
Edi Sie haben es gelesen? Und? Wie gefällt es Ihnen?
Ich habe sehr gelacht. Selten einen so provokanten Männer­
ratgeber gelesen. Naja. Eigentlich hab ich noch nie einen
­Männerratgeber gelesen.
Edi Das ist ja auch kein Männerratgeber.
Das dachte ich mir. Obwohl draufsteht „Von Männern für
­Männer“ und „Achtung. Nichts für Frauen!“
Edi Naja, wir sind ja nicht blöd. Und außerdem stammen
wir aus der Werbung. Da wissen wir schon, welches Klötzerl
wir den Frauen hinwerfen müssen, damit sie es nehmen.
Sie waren fast 30 Jahre bei Haslinger Keck und sind vor
zwei Jahren ausgestiegen. Warum eigentlich?
Edi Ich mache Werbung, seit ich 21 bin. Das genügt.
Und KeckundKeck macht keine Werbung?
Edi Also ich zumindest nicht mehr. Wenn, dann im
­po­litischen oder kulturellen Bereich. ­Alles andere freut
mich nicht mehr. Aus. Jetzt schreibe ich Bücher mit Hilfe
meines Sohnes.
Wie ist da Ihre Aufgabenteilung?
Patrick Keck Wie Sie vielleicht schon gemerkt haben: Mein
Vater ist der Redsteller, und ich bin der Schriftsteller (lacht).
Edi (lacht auch) Ja, ich bin der, der redet und redet und
r­ edet in solche Bänder, wie Sie hier liegen haben, viel mit
einem Gesprächspartner. Patrick bekommt das Abgetippte –
er hat ein analytisches Verständnis, plus kennt er mich,
plus kann er schreiben.
Patrick, Sie sind aber noch in der Werbebranche, als Texter.
Patrick Richtig. Bis letztes Jahr war ich bei Haslinger Keck
in Linz, seit einem Jahr bin ich selbstständig in Wien. Ich
bin bei meiner Mutter in Linz aufgewachsen. Mein Vater
war ja schon immer in Wien. Privat hatten wir zwar regelmäßigen guten Kontakt, aber beruflich eigentlich bis dato
wenig miteinander zu tun, denn Linz und Wien waren in
der Agentur immer strikt getrennt.
„Ganz viele Männer sind
durch die Medien einfach
völlig verblödet.“ Patrick Keck
Edi Das war ganz witzig. Der Haslinger hatte das Linzer
­ üro, und Patrick hat dort schon während seiner SchulB
und Studienzeit gearbeitet. Und ich hatte immer schon die
Wiener Dependance, und bei mir hat die Tochter vom
­Haslinger gearbeitet.
Und warum ist der Sohn nun zum Vater nach Wien
­gekommen?
Patrick Wegen der Unlust an der Stadt Linz.
Kam reichlich spät, Sie sind jetzt 34?
Patrick Meine Partnerin und ich haben letztes Jahr eine
Weltreise gemacht – und danach war Linz einfach end­gültig
zu klein.
18
Bestseller 11|12 2010
In Wien hatten Sie dann also die Idee für Ihr erstes gemeinsames Projekt – das Eier-Buch. Eine unglaublich provokante,
augenzwinkernde Aufforderung zur Emanzipation des Mannes, eine Kampfansage an Weicheier und sonstige domestizierte männliche Wesen. Wie kommen Sie zu so einem Buch?
Edi (grinst) Durch Beobachtung von Frauen.
Patrick Wir saßen im „Schwarzen Kameel“ und haben diese
vielen Frauen mit ihren vielen Einkaufssackerln beobachtet.
Und wir haben uns gefragt, was die wohl schon in aller
Früh mit diesen vielen Sackerln machen. Und hatten keine
Antwort darauf.
Edi Weil wir keine Antwort darauf haben können. Weil
kein Mann weiß, wie eine Frau tickt, und umgekehrt.
Nicht fühlen, nicht denken, ned nix.
Also haben Sie das Minenfeld verlassen und sich auf das
konzentriert, bei dem Sie sich auskennen.
Edi (grinst) Ja. Genau. Mann und Frau sind einfach zwei
Planeten. Eine Frau, die eine richtige Frau ist, ist was
­Tolles. Und ein Mann, der ein Mann ist, auch. Alles da­
zwischen, dieses angenäherte Hybridhafte – Mannweiber,
verweichlichte Männer, Zwitter – das ist nix.
Patrick Polarisierung ist das Spannende in allen Bereichen,
finden wir. Deshalb wollten wir ein Leitbild machen für
Männer, was essen, kochen, anziehen, wie die Wohnung ge­
stalten, über Freizeitverhalten bis Körperpflege. Weil ganz
viele Männer durch die Medien einfach völlig verblödet sind.
… durch die Medien …
Edi Vor allem durch die weiblichen
Medien.
Weiblich?
Edi Sitzen doch überall Frauen, die
darüber schreiben und berichten,
wie Männer zu sein haben. Und
wenn sie dann so sind, wie sie sie
haben wollen, dann wollen sie sie
eh nicht mehr – und sie werden von
der Bettkante gestoßen. Wir sind der
Meinung, dass es auch schlecht ist
für Kinder, wenn sie immer nur
­unter der Obhut von Frauen auf­
wachsen – Mama, Kindergärtnerin,
Lehrerin … die männliche Einmi­
schung ist dringendst notwendig,
egal, ob für Bub oder Mädchen.
Jetzt schreiben Sie aber in Ihrem
Buch, dass ein Mann, der in Karenz
geht, in Wahrheit von den Frauen
­belächelt wird.
Edi Das muss man viel pragmati­
scher sehen. In Karenz soll derjenige
gehen, der das geringere Einkom­
men hat. Aus.
Ihr Buch hört sich ein wenig so an
wie zwei Männer, die es ein wenig
satt haben, von ihren Frauen permanent und in allen Belangen gegängelt
und benörgelt zu werden. Eine Autobiografie à la „Schreib Dich frei“.
Edi Nein, überhaupt nicht. Ich bin
rund 30 Jahren mit ­meiner Frau zu­
sammen. Und auch Patrick hat eine
super Frau als Partner. Und wir sind
überhaupt nicht untergebuttert. Ich
hab meine Frau zum Klettern ge­
bracht, heute ist sie um ein Viel­
faches mehr in den Bergen als ich.
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Wir, also Patrick und ich, kochen beide, wir waschen beide.
Wir l­eben so, wie es in unserem Buch steht.
Was ist das Tolle an Ihren Frauen, das anderer Männer
Frauen offenbar nicht haben?
Edi Dass mich meine Frau zum Beispiel in Ruhe lässt. Wir
akzeptieren und respektieren uns in unserer Einzigartigkeit
und lassen uns damit gegenseitig in Ruhe. Wir bevormun­
den, erziehen uns nicht.
Und was ist jetzt falsch am heutigen Mann, an seinem
­Rollenverhalten?
Edi Die Männer spüren es ja eh, dass irgendwas nicht
stimmt. Dass sie sich zu lange von Medien und Frauen
­verbiegen haben lassen.
Die weibliche Emanzipation ohne klar formuliertes Ziel,
schreiben Sie.
Edi Ja, was hat es den Frauen denn gebracht, diese Herum­
erzieherei? Dass sie jetzt doch lieber wieder das Arschloch
wollen?
Gibt‘s vielleicht was dazwischen?
Edi Ja: uns. (grinst)
Die Prototypen des modernen ­Mannes …
Edi Ja, so könnte man das sagen.
Wo sind wir denn in der Emanzipation angelangt?
Edi Wir sind in der Phase, in der vielleicht die Emanzi­
pation der Frau erreicht ist. Aber auf jeden Fall nicht
die des emanzipierten Mannes.
Patrick Deshalb sind uns ja gerade die Kampfemanzen
alle voll auf die Schaufel gelaufen … vor allem aus
dem linken Lager.
Manche Passagen in Ihrem Buch sind schon sehr
provokant: „Ein Mann ­bügelt nicht. Ein Mann ändert
sich nicht. Ein Mann muss eine Frau nicht verstehen.
Ein Mann lügt nicht …“
Patrick Das ist alles nicht so ernstzunehmen. Das Augen­
zwinkern kommt doch rüber, oder?
Edi Wir vertreten NATÜRLICH die Meinung „Halbe/Halbe
im Haushalt und in der Erziehung“, gar keine Frage. Und
der moderne Mann hat natürlich bügelfreie Hemden, und
er bügelt natürlich nicht seine Socken, Unterhosen und
Handtücher. Und natürlich verdienen Frauen und Männer
das Gleiche für den gleichen Job. Dafür zu kämpfen, ist
­absolut lächerlich.
Es gibt Passagen, wo Sie aber auch den Männern ordentlich
Stress machen, zum Beispiel wenn Sie schreiben: „Ein
Mann hat eine sinnliche Frau“. Und: „Entweder, er hat es
sexuell drauf oder eben nicht“. Also wenn ich ein Mann
­wäre und hätte jetzt weder das eine noch das andere, dann
hätte ich jetzt Stress.
„Eine Frau weiß nicht, wie ein Mann tickt und umgekehrt.“ Edi Keck
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Bestseller 11|12 2010
Ein
NEUES
GESETZ
von Wirtschaftsminister Mitterlehner eingebrachtes
sorgt für Unmut im Lebensmittelhandel: Es
VERBIETET
ab 2012 das Mitwiegen der Wurst- oder Käseverpackungen in der Feinkostabteilung.
Die vielleicht bekannteste Wurstart Österreichs ist davon aber kaum betroffen: Die legendäre
BURENWURST
wird hauptsächlich am Würstlstand verkauft – zum Stückpreis und auf Papptellern.
Der Hintergrund macht die Nachricht. Ihre Zeitungen und Magazine.
Zeitungen und Magazine liefern Orientierung und
Information. In Zeiten von Häppchenjournalismus
und Newsflashes haben Kaufzeitungen und Kaufmagazine einen entscheidenden Mehrwert. Sie liefern
gut recherchierte Fakten, Hintergründe, Analysen
und Stories, auf die man vertrauen kann. Und das
auf Papier und online. Mehr Hintergründe und Details erfahren Sie auf www.zeitungen-magazine.at.
Eine Initiative des Verbandes Österreichischer Zeitungen und seiner Mitglieder
Edi Viele glauben ja, dass man alles erlernen kann. Mit
einer Gebrauchsanweisung. Aber guter Sex mit einer
Frau funktioniert doch nur, wenn ein Mann wirklich
­interessiert daran ist, wenn er neugierig am Entdecken
seiner Frau und seiner selbst ist, wenn er kreativ ist.
Das kann man nicht erlernen. Wenn du das aber nicht
hast, wird es schnell fad für beide Beteiligten.
Eine schräge Sache ist mir noch aufgefallen: „Ein
Mann muss auf die Frau sexuell nicht eingehen.
­Vielmehr müssen Techniken gefunden werden, damit
die Frau binnen einer Minute zum Orgasmus kommt.“
Ähm … haben Sie diese Technik schon gefunden?
Für eine Minute?
Edi (grinst) Naja, sagen wir für zwei Minuten.
Wie wär‘s mit drei?
Edi OK.
Und?
Edi Schauen Sie, jahrzehntelang wurde den Männern
eingetrichtert, sie müssen auf die Frau im Bett Rück­
sicht nehmen. Wenn man aber – nur so zum Spaß –
die Fragestellung umdreht und in den Frauenzeitun­
gen schreiben würde: „Liebe Frau, hör endlich auf mit
dem Schmusen, Kuscheln, Streicheln vorher, sondern
lern endlich, in einer Minute zu kommen, so wie es
der Mann gerne hätte.“ Eine solche Aussage würde
­jeder als absurd abtun. Aber das Umgekehrte, das seit
Jahrzehnten verbreitet wird, erlebt niemand als ver­
trottelt. Diese Forderung mit der einen Minute an die
Frauen soll nur zeigen, was Ihr Frauen immer von uns
verlangt – und zwar mit einer ganz anderen Selbstver­
ständlichkeit.
Provokation. Patrick
und Edi Keck im
Geschlechter-Gespräch
mit Doris Raßhofer.
Jetzt sind natürlich gerade im Produktmarketing sehr viele Frauen
­tätig. Und wie Sie eingangs schon
sagten: Eine Frau weiß nicht, wie ein
Mann denkt, und umgekehrt. Also
eine Fehlbesetzung, wenn eine Frau
Werbung für einen Männerrasierer
macht?
Edi Ich hab in jungen Jahren einmal
eine Kampagne für o.b. gemacht. Ich
hab wirklich nur Bahnhof verstan­
den bei dem ganzen Briefing. Aber
sie wollten unbedingt, dass ich die
Kampagne mache.
Aber die revolutionäre Palmers-­
Kampagne stammt von Christian
­Satek, einem Mann.
Edi Und für wen ist die PalmersKampagne?
Für den Mann?
Edi Für die Frau!
Wieso? Der Mann soll doch die
­Unterwäsche zu Weihnachten
­schenken.
Patrick Durch eine solche Irritation wollen wir ein­
fach aufzeigen, wie blöd das Eine und das Andere ist. Edi Es weiß doch keiner die Körb­
Als Kreativer kommt man sehr oft genau dadurch
chengröße. Genau deswegen gibt es
weiter, wenn man Dinge einfach umdreht, um drauf­
die Palmers-Gutscheine. Die sind für
zukommen, dass im Grunde alles ein völliger Blöd­
den Mann.
sinn ist.
Kann Werbung ein neues MännerDie Erwartungshaltungen sind in der Tat gewaltig und
auch die Ängste, die multiplen und diffusen Erwartungen nicht zu erfüllen. Wie spiegelt sich denn dieser
­Status quo im Rollenbild in den Medien wider?
­Welcher Mann, welche Frau wird denn in der Werbung
derzeit dargestellt?
Edi Männer werden derzeit vor allem als minderbe­
mittelte Trotteln dargestellt. Und wenn man nur einen
Hauch von Sexismus am Plakat hat, dann rennen
gleich alle Amok, von Verbänden bis Frauen.
Patrick Schauen Sie sich die Actimel-Kamapagne an,
„Herbert, trink das“. Oder nehmen Sie eine Wasch­
maschinenwerbung her – meistens läuft der Slogan
darauf hinaus: „So einfach zu bedienen, dass es sogar
der Mann schafft“.
Edi Klar wurden Frauen über Jahrhunderte diskrimi­
niert, aber jetzt ist gerade der Mann dran. Diskrimi­
nierung ist aber immer schlecht.
22
bild in die Welt setzen?
Edi Ich glaube, dass Werbung ein­
fach super konservativ ist. Die
­großen Tanker gehen doch kein
­Risiko ein. Das Pionierhafte in der
Werbung ist die Ausnahme. Wie bei
Unternehmen auch. Innovativ sind
meist nur die Anfänger oder die,
­denen das Wasser bis zum Hals
steht. Der Erfolgreiche trottet ein­
fach weiter in seinem Fahrwasser.
Er wär ja auch ein Trottel, wenn er
es anders machen würde.
„Wir akzeptieren
uns in unserer Einzig­
artigkeit und lassen
uns damit gegen­
seitig in Ruhe.“ Edi Keck
Patrick Toll wäre einfach, wenn
e­ inmal der Mann beim Knorr-Spot
kochen würde und nicht daneben
sitzt und sich belehren lässt.
Was ist denn zu den Fliesenleger­
kursen für Frauen zu sagen und den
Waschmaschinenkursen für Männer?
Edi Na gar nichts. Es soll jeder alles
können. Und es kann auch jeder al­
les, wenn er will. Schauen Sie sich
die Trümmerfrauen in der Nach­
kriegszeit an, was die alles geschafft
haben, während ihre Männer im
Krieg waren oder verwundet oder
gar nicht zurückkamen.
In den 50ern hat man denselben
Frauen dann wieder eingeredet, das
Dummchen am Herd sein zu müssen.
Edi Und jetzt lernen die Buben im
Unterreicht wieder stricken.
Na und? Mädchen haben Werken.
Edi Ja, aber es gibt doch sicher
­Sinnvolleres als Stricken in unserer
heutigen Zeit!
Sie haben in Ihrem Buch zum
Schluss etwas sehr Schönes geschrieben zum Thema, was eine Beziehung
auch nach vielen Jahren noch wertvoll sein lässt, auch wenn die sexuelle Attraktion längst nicht mehr im
Vordergrund steht …
Edi Die gemeinsamen Interessen,
­gemeinsamen Lebensziele, gemein­
samen Freunde?
Patrick Nein, sie meint das Lachen.
Darf ich das Zitat von Paul Newmans Ehefrau zitieren? „Sexiness
wird dünn mit der Zeit, und die
Schönheit verblasst, aber mit einem
Mann verheiratet zu sein, der einen
jeden Tag zum Lachen bringt, ja, das
ist ein wirkliches Vergnügen.“
Edi Erst wenn Männer wieder wis­
sen, wie sie selbst zu sein haben,
werden sie auch wieder wissen, wie
ihre Frauen zu sein haben.
Bestseller 11|12 2010
Und was muss Frau tun?
Wenn die Emanzipation des Mannes noch nicht angefangen
hat, aber die Emanzipation der Frau bereits fertiggestritten ist,
ist es Zeit für eine weibliche Bilanz.
Eva Dichand
Herausgeberin Heute
Heutzutage ist es normal, wenn statt der Mutter der Vater (alleine!)
mit den Kindern Babyschwimmen oder Eislaufen geht. Die Emanzi­
pation der Frau hat einerseits zu mehr Druck bei Männern geführt
(bei den altmodischen), bei ­anderen wiederum (den mo­
dernen) zu mehr Freiheit. Heute braucht sich kein Mann
mehr genieren, wenn er mit seinem Kind am Spielplatz ist
und zugibt, dass dies ihm durchaus Spaß bereitet. Beruf­
lich betrachtet: In einer kompetitiven Welt wird der Druck
auf ­Männer noch größer, da im Konkurrenzkampf um ­gute
Positionen nun auch Frauen auftauchen.
Mira Kloss Zechner
Director of Brand Management bwin
heute, bwin, Styria Multi Media Ladies, Österreich, MindShar, krone
Ich nehme die Annäherung der Geschlechter
zutiefst ­betroffen und traurig wahr, denn sie
hat einen Großteil der Manhood zu “Warm­
duschern“ gemacht. Der Edi hat t­eilweise Recht mit seinen Aussagen,
denn eine wirkliche Frau wünscht sich trotz allem einen richtigen
Mann, der ihr „manchmal“ sagt, wo es langgeht! Es sind Männer
­gewünscht, die der Frau das Gefühl vermitteln, den Ton anzugeben,
obwohl sie weiß, dass dem nicht so ist. Denn das sind die Männer,
von denen wir uns auch gerne verführen lassen würden!
Svetlana Puljarevic
Geschäftsführerin Styria Multimedia Ladies
Ich würde mal den Titel abändern auf „Eier. Alles was man braucht“.
Ich habe schon sehr oft gehört, dass man über eine Frau sagt: „Na
die hat ja mehr Eier als so ­mancher Mann!“. „Eier haben“ assoziiert
man mit Mut, Entscheidungskraft, Tatkraft, Stehver­
mögen, egal bei ­welchem Geschlecht. Ich liebe
­Menschen mit diesen ­Eigenschaften. Nur: Solche
Frauen werden in der Gesellschaft noch immer als
große Ausnahme gesehen, ­denen man teils Bewun­
derung, aber größtenteils Distanziertheit, Angst,
Skepsis entgegenbringt.
Conny Absenger
Vorsitzende der Geschäftsführung
Fellner Medien
Ich habe Herrn Kecks Buch leider nicht gele­
sen, aber wenn ich Titel und Umfeld richtig
interpretiere, handelt es sich nicht um ein Kochbuch. Prinzipiell gilt:
„Mit“ sind mir – unabhängig von der Gender-Frage – alle Menschen
lieber … bedeutet dieses Synonym doch Courage, Mut, Willen und
Einsatz. Und das steht Frauen und Männern gut zu Gesicht.
Friederike Müller-Wernhart
Geschäftsführerin MindShare
Sich mit diesem Thema zu befassen, bedeutet, dass
es immer noch ein Thema ist. Allerdings schlägt sich
die „neue Generation“ der Männer bereits in Zahlen
nieder. Die haushaltsführenden Männer sind von 8,7
Prozent der Bevölkerung in 1995 auf 12,5 Prozent in
2009/2010 gestiegen. Die Werbeausgaben für Herrenkosmetik stiegen
seit 2008 auf mehr als das Doppelte. Und auch die beworbene
­Produktpalette ist tiefer und breiter geworden. 2006 wurden drei
­verschiedene Nivea-Produkte für die Herrenkosmetik beworben, 2010
waren es sieben. Der Warenkorb „Herrenkosmetik“ besteht aus
­nahezu doppelt so vielen ­Produkten.
Manuela Hofbauer-Paganotta
Gesamtanzeigenleitung
Kronen Zeitung
Emanzipation ist ein großes Wort. Viel wäre
schon erreicht, wenn sich beide Geschlechter
mehr an den Stärken und positiven Eigen­
schaften des jeweils anderen orientieren
­würden. Wir Frauen könnten noch viel von der lösungsorientierten
Zielgerichtetheit und dem konsequent strategischen Denken der
Männer lernen, anstatt sich durch allzu große Detailverliebtheit
selbst auszubremsen. So mancher Mann könnte andererseits von
uns Frauen viel über soziale Kompetenz und gelebten Teamgeist
­lernen, anstelle des mitunter sehr selbstbezogenen Agierens. Sich
der eigenen Schwächen bewusst zu werden, bedeutet, über­kommene
Rollenbilder aufzubrechen.
WIR SINGEN
DIE ZUKUNFT
Unsere Gesellschaft wird immer ­fragmentierter.
Welchen ­Stellenwert ­hat da die gemeinsame
­Zerstreuung in Familien überhaupt noch?
Über den kommunikativen Kitt durch Fernseher
& Co. kurz vor Weihnachten. Text von Harald Wolkerstorfer
Baum-Solitäre im Programm-Wald
So untypisch das Familiy-Entertainment in
den Häusern Merlicek auch sein mag, so ist
doch eines charakteristisch für die heutige
Zeit – zumindest was die gemeinsame TVUnterhaltung anbelangt: Das generationenübergreifende Abhängen auf der Fernsehcouch vor Serien wie „Dallas“, „Denver
LIVE DABEI SEIN
TICKETS UNTER: tickets.ORF.at
Andreas Zachhuber/Fotolia
Individualisieren wir uns zu Tode?
Atomisierung. Nein, in ihrem Wohnzimmer
in der Wiener Wohnung steht kein hässlicher, dicker Flimmerkasten und auch kein
fetter Flatscreen. Dafür ein edler BlüthnerFlügel, der es – eben gerade aufgrund der
Abwesenheit eines Fernsehers – geschafft
hat, im Mittelpunkt zu stehen. Und auch
das gemeinsame Abendessen mit Ehemann
Franz und den beiden Zwillingsbuben –
zum Leidwesen des Hauptabendprogramms
– ist ein zentraler Punkt im Freizeitverhalten
einer, zugegeben vielleicht nicht ganz
durchschnittlichen, österreichischen Familie.
Wir sind zu Hause bei Rosa Haider-Merlicek, Kreativdirektorin der Werbeagentur
Demner, Merlicek & Bergmann. Fernsehen
bildet bei ihnen nicht den Mittelpunkt der
gemeinsamen Familienzeit, wenngleich es
einen „miesen kleinen Fernseher“ im Nebenzimmer gibt. „Die Zwillinge (elf Jahre)
schauen einmal die Woche fern, und zwar
‚Universum‘, bei dem das Medium seinem
Bildungsauftrag nachkommt – und zwar
meistens mit dem Vater gemeinsam“, erzählt Haider-Merlicek. Und natürlich wird
Fußball geschaut, wenn gerade eine WM ist
oder eine EM. „Champions League spielt es
zu spät für die Kinder“, sagt die Werberin.
Und das Wochenende verbringen die Merliceks sowieso in einem alten Bauernhaus –
und da hat eine Satellitenschüssel schon
aus ästhetischen Gründen keinen Platz.
„Die Männer gehen manchmal zum Nachbarn, um den Start eines Formel-1-Rennens
zu sehen.“ Oder wenn eben ein wichtiges
Fußballspiel läuft.
mehr schauen – der Medienkonsum insgeClan“ oder zumindest vor „Wetten, dass..?“ Fernsehen, bei dem sich die gesamte Famisamt ist gestiegen. Immer mehr Menschen
lie vor dem TV-Gerät versammle, „nicht
gibt es immer weniger. Durch die Diversifiverbringen immer mehr Zeit mit immer
mehr oder kaum mehr“. Bei vier Kindern
zierung der TV-Programmangebote und
mehr Medien. Aber die Kids sehen relativ
weiß der UPC-Chef auch aus den eigenen
Plattformen gleicht die familiäre Fernsehwenig lineares, also klassisches, Fernsehen.
landschaft individuellen Baum-Solitären im vier Wänden her nur zu gut, wovon er
Lineares Fernsehen ist eine Generationen­
spricht. Früher hätte Hintze zufolge quasi
dicht gedrängten Programmwald. Ob das
frage. Es kann davon ausgegangen werden,
der fixe Fernsehtermin (etwa 19.30 Uhr
jetzt gut ist oder schlecht, sei vorerst noch
dass die durchschnittlichen ORF-Seher (aber
oder 20.15 Uhr) den Familienablauf fest­
dahingestellt (mehr dazu später im Text).
auch jene von CNN) in etwa so alt sind wie
gelegt. Heute versammle man sich eher
Zumindest war es nicht immer so. Wenndie durchschnittlichen Zeitungsleser – also
vor dem Bildschirm, wenn Zeit dazu sei.
gleich auch das Gegenteil nicht immer der
nicht mehr ganz taufrisch. Das lineare Fern„Der familiäre Fernsehkonsum ist nach der
Fall war. So war in der Kindheit von Rosa
sehen hat sicher eine gute Gegenwart. In
Haider-Merlicek zwar Fernsehen an und für gemeinsamen Zeit organisiert, die Inhalte
Wien gibt es statistisch 2,7 Fernseher pro
sucht man dann.“ Ausnahmen seien Sportsich von Elternseite verboten – weil es die
Haushalt – die Zweit- und Drittgeräte nach
veranstaltungen oder Votings (etwa bei
Phantasie verdirbt, doch geheime Abhilfe
dem Kauf eines Flatverschafften die Besuche bei der Nachbarin. ­Casting-Shows) – also
screens sind analoge
ausschließlich Sen„In meinem Beruf zehre ich heute noch von
Geräte. Aber hat desden netten Geschichten von damals“: „Dak- dungen mit Live-Chawegen das herkömmrakter. Was sich ja sotari“, „Drei Mädchen und drei Jungen“,
Rosa Haider-­Merlicek, liche Fernsehen auch
gar bei den Merliceks
„Raumschiff Enterprise“, „Flipper“, „SkipDemner, Merlicek & Bergmann eine gute Zukunft?
py“, „Verliebt in eine Hexe“ und „Pan Tau“. gezeigt hat.
Laut Joachim
Diese neue Konfi„Meine Vorliebe für Advertising Characters
­Feher, Chef der Mediaagentur MediaCom in
guration des familiären TV-Konsums wird
stammt auch daher“, meint Haider – und
Wien, hätte das erweiterte Fernsehangebot
jedenfalls durch die Segnungen der neuen
führte die Kreative ­direkt zum „Ja,
dazu geführt, dass die individuellen VorlieTechnik ermöglicht. Dokumentationen auf
natürlich!“-Schweinchen und zur Familie
ben jedes Einzelnen punktgenau befriedigt
National Geographic oder dem Discovery
Putz (da sage noch einer, Fernsehen töte
werden können. Der Kampf um die FernbeChannel oder ein Spiel aus der NBA, der
die Phantasie). In den 1980ern saß dann
dienung wurde seltener. „In meinen Augen
US-amerikanischen Basketballliga, oder
aber ihre gesamte Familie schließlich doch
ist es weniger eine Frage des veränderten
­georderte Filme über „Video on Demand“
geschlossen vor der Glotze – „Dallas“,
Verhaltens der Generationen als vielmehr
sowie Vorgespeichertes: Die Inhalte werden
„Dornenvögel“, „Denver Clan“, „Shogun“,
das deutlich größere Programmangebot, das
„Der Kurier des Zaren“, Fußball­spiele, „Uni- halt dann konsumiert, wenn Zeit dazu ist.
dafür sorgt, dass einzelne Sendungen nicht
versum“ etcetera.
mehr Reichweiten von 30 oder mehr ProKonvergenz war gestern
zent haben.“ Am ehesten seien es noch imHintze hält jedenfalls die Anzahl der „MitGeneration Next-Set-Top-Box
mer die Unterhaltungssendungen, die Genespieler“, also der verwendeten Geräte im
Das Fernsehen machte also in den NachHaushalt, für steigend – vor ein paar Jahren rationen gemeinsam vor dem Schirm
kriegsjahren bis hinauf zu den 1980er-Jahversammeln würden – nur heißen sie heute
sprach die Branche noch von Medien-Konren „aus dem Kreis der Familie einen Halbnicht mehr „Dalli Dalli“ oder „Einer wird
vergenz, also von einem All-in-one der Abkreis“, wie es die französische Literatin
gewinnen“ (Hans-Joachim Kulenkampff),
Françoise Sagan einmal beschrieb. Doch die spielgeräte. Letztlich läuft die Entwicklung
sondern „DSDS“ oder „Was gibt es Neues?“
Digitalisierung des Fernsehens sprengte die- aber anders: Flatscreen im Wohnzimmer,
oder auch „Die Lugners“.
kleine, alte Kiste im Gästezimmer, Laptops
sen Halbkreis rund um den einstigen gein den Kinderzimmern. Welche Rolle hier
meinsamen Familienschrein. Thomas
Moderne Apparatschiks
der Tablet-PC einnehmen wird, wird sich
­Hintze, Vorsitzender der Geschäftsführung
Noch vor zehn Jahren gab es Fernseh-­
noch zeigen.
von UPC, Anbieter von Internet-, TV- und
Wie auch immer: Es ist eine Mär, zu glau- Formate wie „Taxi Orange“, die ganz
Telefonservices in Österreich, erklärt, war­Österreich gemeinsam vor den Schirm
ben, dass die Jugendlichen kein Fernsehen
um: Laut ihm gebe es klassisches, lineares
„In meiner Kindheit
­hatten wir auch keinen
Fernseher.“
HELDEN VON MORGEN
JEDEN FREITAG, 20.15 UHR, LIVE IN ORF 1
­ olten. Dass das heute nicht mehr so ist,
h
liegt für Feher aber auch zu einem gewissen
Teil an „mangelnden Innovationen“. Auch
wenn sportliche Großereignisse noch am
ehesten zu generationenübergreifenden TVRobert Steiner, Steiner Familyentertainment
Events würden, so könne man auch an diesen beobachten, dass sie insgesamt immer
weniger Menschen live vor den Fernsehkonjunktur. Allen voran die Spiele. Und wer
schirmen versammeln. „Digital Divide sorgt Gleiche reden.“ Das sei seiner Beobachtung
nicht nur dem Konsolen-Eskapismus frönt,
zufolge genau das Gegenteil davon, was im
ja nicht dafür, dass nicht mehr ferngesehen
landet rasch bei Brettspielen. Die analoge
wird, sondern, dass anderes gesehen wird“, Web passiere. „Öffentlichkeit bedeutet, dass
Spielebranche spürte denn auch laut Expernicht jeder in seinem eigenen Segment ist“,
sagt der Media-Experte.
ten zuletzt leichten Aufwind. Ferdinand de
sagt er. Und: Das öffentlich-rechtliche FernDie Gefahr, dass mit der Fragmentierung
Cassan veranstaltet das „Wiener Spielefest“.
sehen erfülle wie kein anderes Medium die
der Medien und derer Angebote nicht nur
die Familie, sondern auch die Öffentlichkeit Aufgabe, Öffentlichkeit herzustellen. Mit dem Ende November ging die Veranstaltung zum
Spiele-Ausprobieren zum 26. Mal über die
Internet bestünde jedoch die Gefahr einer
in seine Bestandteile zu zerfallen droht,
absoluten Fragmentierung von Öffentlichkeit. Bühne. Laut ihm hätten die Brett- und Karsieht Joachim Feher nicht: Er glaube nicht,
tenspiele gar nie Rückgänge verzeichnet,
dass der soziale Kitt durch das Fernsehver- „Wo bleibt dann der Kitt, der die Gesellschaft
­derzeit wachse der Marktanteil wieder. Er
zusammenhält?“, fragt Precht. Ein „Kollekhalten verlorengehe, „dafür sind schon antivdasein vereinzelter Massen­eremiten“ wäre ­erlebe gar eine „Renaissance“ der Spiele.
dere Strömungen verantwortlich“. AußerDiese ermöglichten eine einfache Form, mit
dem habe man solche Befürchtungen schon wohl in diesem Negativszenario die letzte
jemanden zu kommunizieren. „Dabei müsKonsequenz. Mediale Fragmentierung, die
mit dem Aufkommen des Fernsehens geden Zusammenhalt in Gesellschaft und Fami- sen die Menschen an einem Tisch sitzen und
hegt, „als die Menschen dann nicht mehr
reden“ – im Gegensatz zu Youtube und Konlie untergräbt. Reichweitenstärke und vermiteinander Spiele gespielt oder sich Gesolenspielen. „Trends kommen und gehen,
lässliche Leitmedien bündeln jedenfalls Meischichten erzählt haben“. Auch UPC-Chef
die Brettspiele bleiben“, sagt de Cassan.
nungen und können so ein starkes Geländer
Besonders gefragt seien laut dem Experdurchs Leben sein.
ten derzeit so genannte Partyspiele, bei deAuch Otfried Jarren, Kommunikationswisnen es nicht ums Konflikteaustragen und
senschaftler an der Universität Zürich, reiht
sich in die Phalanx der Fragmentierungs-Kas- ums Gewinnen gehe, sondern um „Dabeisandras ein. Für ihn kommen „intermediären sein, Spaß, Freude und Gemeinsamkeit“. ­De
Joachim Feher, MediaCom
Cassan führt hier das Spiel „Schlag den
Organisationen“ – wie Parteien, Verbänden,
­Raab“ von Ravensburger ins Treffen, bei
aber auch Massenmedien – eine besondere
dem Teile der TV-Show „sehr gut umgesetzt
Bedeutung für Erhalt und Entwicklung
Thomas Hintze glaubt übrigens nicht an
sind“ – das Spiel ist derzeit eines der erfolg­moderner Gesellschaften zu. „Sie sind Refle­einen Zerfall von Familie und Gesellschaft,
xionsorte, wirken als Vermittler und ermögli- reichsten seiner Art in Deutschland.
da es ja nach wie vor Sendungen gebe, die
Laut einer ökonomischen Gesetzmäßigkeit
chen gesellschaftlichen Austausch.“ Laut
gemeinsam geschaut würden (wie etwa
gedeiht die Brettspielkultur gerade in KrisenJarren käme jedoch in der Wissens- oder InSport- und Live-Übertragungen). Pay-TVzeiten gut. Denn auch Brettspiele dienen eiformationsgesellschaft den Medien eine zuAnbieter wie Sky zum Beispiel halten hier
nem Eskapismus – wenn auch nicht jeder alnehmend wichtigere Rolle zu. Das Web sei
eigene Family-Kanäle zum Abo bereit.
lein dabei bleibt. Außerdem spreche laut de
zur Orientierung nicht ausreichend, erst InCassan der relativ günstige Preis fürs analoge
termediäre würden bei Entscheidungen helGeneration-Gap
fen. Und diese Hilfestellung habe die heutige Spielen. Die aktuellen Brettspiele scheinen
Es gibt allerdings Soziologen, Philosophen
sich aber auch Anleihen bei ihren digitalen
Gesellschaft dringend nötig.
und auch Medienwissenschaftler, die es mit
Geschwistern genommen zu haben. Denn
Sorge sähen, verkäme die Öffentlichkeit
diese sind in der jüngsten Vergangenheit
durch die neuen digitalen Medienanwendun- Homo Ludens
­sicher poppiger, greller und auch komplexer
Natürlich wird auch in anderen Familien als
gen tatsächlich zu einem Fragment. Der
den Merliceks nicht nur ferngesehen. Gerade geworden.
deutsche Publizist und Philosoph Richard
in der finsteren und kalten Jahreszeit – zuDavid Precht ist so einer. „Demokratie
Fernsehen an erster Stelle
rückgeworfen auf die eigenen vier Wände –
braucht Öffentlichkeit. Und Öffentlichkeit
Beim wichtigsten Punkt im Family-Enterhaben Basteln, Lesen & Co. vielerorts Hochentsteht, wenn viele Menschen über das
„Kinder werden immer
mehr zum Alleinunterhalter.“
„Immer weniger Menschen
­versammeln sich
live vor dem Fernseher.“
BACKSTAGE-INFOS ZUR SHOW
heldenvonmorgen.ORF.at
„Neue Kristallisationspunkte schaffen“
YFE
Stefan Piëch, CEO der Münchner Your Family Entertainment AG,
über gemeinsame TV-Brennpunkte in Familien
tainment hat sich in den vergangenen Jah­
ren wohl gar nichts verändert: Kinder wol­
len Zeit mit der Familie verbringen – und
zwar Qualitätszeit. Dazu gehören gemein­
same Mahlzeiten, gemeinsames Fernsehen,
gemeinsames Spielen oder Outdoor-Aktivi­
täten. Für Robert Steiner, Chef Steiner
Family­entertainment und ORF-Moderator, ist
der Qualitätsanspruch der kleinen (Medien-)
Konsumenten gestiegen. „Höchst professio­
nelle Vergnügungsparks wie Disneyland sind
erreichbarer als früher, und auch der Ein­
fluss und Umgang mit elektronischen Medi­
en wirkt sich aus.“ Alles lassen sich die Kids
von heute also nicht mehr vorsetzen.
Laut Steiner liegt das Fernsehen weiter­
hin an erster Stelle der medialen Freizeitbe­
schäftigung der Jüngeren. „Später werden
die interaktiveren Medien Handy – für Spie­
le, MP3, SMS – und Internet – für Spiele,
Youtube, Facebook – wichtiger.“ Auch der
Familienunterhaltungsprofi (er organisiert
etwa das „Nivea-Familienfest“) bemerkt,
dass Kinder dabei immer mehr zum „Allein­
unterhalter“ werden. Es fällt ihm allerdings
auch eine andere Entwicklung auf: „Durch
interaktive Onlinespiele, Skype, Facebook
etcetera tritt die Kommunikation mit Freun­
den und Gleichgesinnten via elektronische
Medien wieder stärker in den Vordergrund.“
Na, immerhin.
Noch einmal zu Rosa Haider-Merlicek
und ihren Fernsehgewohnheiten: Die Krea­
tivdirektorin sieht sich Downloads wie die
Werber-Serie „Mad Men“ am Computer an,
„weil bei uns in Österreich kannst du darauf
lange warten, und außerdem schau ich nur
Originalfassung – nachts, wenn alle schla­
fen, per Kopfhörer.“ Aber irgendwie mag
auch sie das nicht Fernsehen nennen, wenn
sie die Nacht im Seattle Grace Hospital bei
„Grey‘s Anatomy“ verbringt – eher schon
„Nachtschicht“.
Bestseller Herr Piëch, Sie produzieren und vertreiben Kinder- und Familien­sendungen.
Wie schaffen Sie es, Oma und Enkel vor der „Glotze“ zu vereinen?
Stefan Piëch Unsere generationsübergreifenden Serien (etwa „Fix und Foxi“, Anm.) haben
alle etwas gemeinsam: Sie vermitteln unterhaltsam Wissen, universelle Werte und laden
junge und alte Zuschauer ein, Fragen zu stellen. Es ist eine der größten Herausforderun­
gen für das Fernsehen, auf die medialen Bedürfnisse heranwachsender Generationen ein­
zugehen und zugleich Eltern in ihrer Erziehung zu unterstützen und zu unterhalten.
Wie sieht nun der Generationen-Kitt im Fernsehen konkret aus?
Piëch Die Eltern geben ihre persönlichen Fernseherfahrungen an ihre Kinder weiter. Dies
führt zu Schnittstellen, an denen sich Eltern und Kinder treffen. So werden bewährte
Formate wie etwa „Urmel“ (Zeichentrickserie, Anm.) an die nächste Generation
­weitergereicht. Diese stellen quasi den kommunikativen Kitt zwischen den
­Generationen dar. Unser Ziel ist es, an diese hochwertigen Produktionen
anzuknüpfen, um neue Kristallisationspunkte für die heutigen und
künftigen Zuschauer zu schaffen.
Warum kommen gerade Zeichentrickserien sehr oft generationenübergreifend gut an?
Piëch Aufgrund des höheren Abstraktionsgrades lassen sich mit
­Cartoons spannende Geschichten erzählen, die, von gängigen
Moden losgelöst, bei den Zuschauern Fantasien anregen und
Kreativität fördern. Live-Action (Realfilm, Anm.) hingegen ist
nicht zuletzt durch die gefilmte Wirklichkeit in ihrer jeweiligen
Zeit verwurzelt.
Welche Chance hat das klassische, lineare Fernsehen im Family­Entertainment gegen die neuen, digitalen Medienanwendungen noch?
Piëch Die Abrufbarkeit von Angeboten on
Demand ermöglicht es auch technik­
ferneren Zuschauern, Inhalte
aktiv nach persönlichen
­Bedürfnissen auszuwählen.
Klassisches Fernsehen
hingegen erfüllt weiterhin
Orientierungsfunktionen.
Gerade Eltern erhalten
­dadurch einen besseren
Überblick über das vorhan­
dene Senderangebot und
können so deutlicher ein­
schätzen, wessen Produk­
tionen
aktiv weiterverfolgt
Stefan Piëch gewann im November
werden sollen.
in Venedig mit dem Pay-TV-Sender
yourfamily den „Hot Bird TV Award“
für das beste internationale
­Kinderprogramm.
HELDEN VON MORGEN
JEDEN FREITAG, 20.15 UHR, LIVE IN ORF 1
Märchenwelten
Tiere vor Grausamkeiten zu retten, ist eine gute Sache.
Die Emotionalität für ein erfolgreiches Vermarktungskonzept
zu nutzen, zeugt von ­Cleverness, die Authentizität vor Ort
von perfekter Inszenierung. Willkommen auf Gut Aiderbichl.
Wunder. Es ist alles perfekt. Der Bauernhof –
natürlich, authentisch und ursprünglich.
Keine Anzeichen von Attrappe, Billigpfusch
oder Plastikkitsch. Zu seinen Füßen ein wei­
ter, freier Blick auf die sanften Wiesenhügel
des Salzburger Flachgaus – durchzogen von
hölzernen Koppelzäunen, Pferdemähnen
wehen in der Freiheit im Wind. Es hat gera­
de frisch geschneit, der Weihnachtsmarkt
hat begonnen, die Stände sind behaglich in
Rot, Grün und Gold gehalten, schlichte Rei­
sigkränze zieren die Fensterläden. Prunk,
Protz oder Geschmacklosigkeit? Fehlanzeige.
Verdammt gute Authentizität, wo man
­hinsieht. Und Stress hat hier auch keiner,
zumindest zeigt ihn niemand.
28
Wir sind auf Gut Aiderbichl, einem der
größten, bekanntesten und erfolgreichsten
Gnadenhöfe Europas, an einem der beiden
Besuchshöfe in Henndorf am Wallersee. In
Summe gibt es mittlerweile 20 Güter in
Deutschland, Österreich, Frankreich und
der Schweiz. Das Paradies der Tiere, wie
auf der Holztafel am Gatter zu lesen ist.
­Eine Zufluchtsstätte für gequälte und aus­
gemusterte Tiere, ein Platz des Vergessens
und der Hoffnung, eine Heimat. Für die
­Besucher eine Oase der heilen Welt, ein
Hauch Vergangenheit, Erinnerungen an die
gute alte Zeit, ein Ort der Illusion, der per­
fekten Inszenierung – für kleine Momente
des Glücks, Augenblicke der Erdung. Hier
Bestseller 11|12 2010
gut aiderbichl (2)
Text von Doris Raßhofer
wird nicht gedrängelt, gehastet, geschimpft
oder geflucht. Hier spazieren die Menschen
mit weichen, entspannten Gesichtszügen
und offenen Herzen durch die Gehege.
Etwas Schwarzes bahnt sich seinen Weg
durch die Massen. Dick, borstig, bauchig.
Es ist die Wollsau Liselotte. Mit unglaubli­
cher Gelassenheit, aber auch einem ebenso
unglaublichen Selbstverständnis scheint sie
zu demonstrieren, wer hier zu Hause ist
und wer Besucher. Da kommt doch glatt ei­
ne ausgewachsene Riesensau im Schweins­
galopp den Weg heruntergequiekt, ein paar
grüne Äpfel kullern vor ihr her. Ausweichen
scheint in diesem Fall keine schlechte Idee.
„Keine Angst, das ist Biggy“, lacht ein Tier­
pfleger, „die will heim in den Schweine­
palast.“ Palast? So eine Beschönigung wie
Raumkosmetikerin oder Office-Manager?
Nein. Keine Worthülse. Hier auf Gut Aider­
bichl bekommen Tiere das Versprechen, die
bestmögliche Haltung und Pflege zu erhal­
ten, bis zu ihrem Tod. Freiheit, Respekt,
Fürsorge und Würde sind das oberste Gut,
steht auf der Website beschrieben. „Wenn
ein Tier einen guten Freund hat, dann darf
der natürlich mit ans Krankenbett“, erzählt
die blonde Pferdepflegerin mit einem erfri­
schenden Lachen. Den Besuchern huscht
ein entzücktes Lächeln übers Gesicht. Und
die Pflegerin legt nach mit Geschichten über
Fohlen ohne Mami, für das eine wurde eine
Stute als Amme gefunden, die wiederum ihr
eigenes Fohlen verloren hatte, für ein ande­
res Fohlen organisierte man eine Rettungs­
aktion der Mama, zwei Viehackerpferde
­stehen sich nun in den Boxen gegenüber,
wo sie früher in einem Gespann zusammen­
geschnallt waren, obwohl sie sich gegen­
seitig nicht ausstehen konnten, und die
griechischen Esel wurden vor dem klägli­
chen Tod durch Anbinden und Verhungern
bewahrt. Einer von ihnen steht stoisch am
Eingang zur Halle und lässt sich von jedem
Eintretenden am Kopf streicheln – vermut­
lich das 500ste Mal heute. Wie der es aus­
hält, sich immer wieder an der selben Stelle
streicheln zu lassen? „Ja, es ist schrecklich,
was Menschen den Tieren alles so antun“,
Bestseller 11|12 2010
versucht die Pflegerin die Menschen wieder
beim Thema zu halten. Die Besucher
­schütteln entsetzt den Kopf und fassen sich
mit der Hand ans Herz.
Vom Egoismus gelangweilt
Volltreffer. Mitten ins Herz. Genau dort will
er auch hin, der Oberchef vom Gut Aider­
bichl, die Gallionsfigur Michael Aufhauser.
Eine schillernde Figur – mit interessanten
Ingredienzen: Schauspieler, einst wohl recht
erfolgreicher Tourismus- und Marketingchef
in den USA, ausgestattet mit Kommunikato­
ren- und Manipulationsgeschick, society-fit
dank seiner langjährigen Freundschaft zum
Prinz von Thurn und Taxis, wie er selber
zugibt, und mit guter Medienlobby im
­Rücken durch Wegbegleiter Hans-­Richard
Beierlein, einen der größten Strippenzieher
im volkstümlichen Massenmarkt. Und er
ist Millionär: wohlhabend von Geburt auf,
plus Erbschaften, plus Verdienst, erteilt er
bereitwillig Auskunft.
Eigentlich musste so fast kommen, was
kam: ein massentaugliches Tourismuskon­
zept im Dienste der guten Sache. Aufhauser
hatte genügend Geld, um sich einen wun­
derschönen Hof zu erbauen. Er hat genü­
gend Marketing-Know-How, um daraus ein
hochprofessionelles Vermarktungskonzept
zu entwerfen. Er kennt genug A- und Dop­
pel-A-Promis, die für ihn im Dienste der gu­
ten Sache seine Botschaften zu den Massen
transportieren – „wenn ich einen Promi bei
uns habe, der eine Tierpatenschaft über­
nimmt, schreiben die Massenblätter zwar in
erster Linie über den Promi – doch in sei­
nem Dunstkreis erzählen sie auch jedes Mal
wieder die Geschichte von Gut Aiderbichl“,
begründet Aufhauser den Prominenten-Auf­
marsch. Und er kennt die richtigen Leute,
die ihm Quotengiganten wie die alljährliche
Eurovisions-Show „Weihnachten auf Gut
Aiderbichl“ ermöglichen. Doch vor allem
hat er eines: gutes schauspielerisches Talent.
Und das muss er auch haben, wenn er nicht
nur Wohl, Heil und Schutz der Tiere zu sei­
ner Mission macht, sondern gleich noch so
hehre, große Anliegen wie die „neue Huma­
Privilegiert. Michael Aufhauser, die Gallionsfigur von
Gut Aiderbichl, ist ein begabter Kommunikator und
­bestens vernetzt. Sein Anliegen: die „neue Humanität“.
nität“, wie es heißt – schließlich sei
„der Umgang mit den Tieren ein Spie­
gel des Zustandes einer Gesellschaft“.
Denn warum sollte ein millionen­
schwerer Tourismus- und Marketing­
manager plötzlich Mitte 40 sein Herz
und auch gleich noch seinen gesam­
ten Einsatz den Tieren schenken,
wenn sein Hirn nicht komplett von
der esoterischen Weltverbesserungs­
welle weggespült worden ist? Die Ar­
gumentation ist nahezu wasserdicht.
Die ­Kapitalistenvorwürfe entkräftet
Aufhauser schon mal mit seinem Gra­
tis-Engagement: „Ich bin in der finan­
ziell glücklichen Lage, völlig unent­
geltlich für Gut Aiderbichl arbeiten zu
können.“ Gut Aiderbichl mache mitt­
lerweile jährlich zehn Millionen Euro
Umsatz, das gesamte Geld fließe in
die Deckung der Kosten. Gewinn
­werde keiner gemacht, Überschüsse
reinvestiert er, Gehalt nehme er auch
keines, Vermögen habe er schließlich
genug. Die Erlösströme sind übrigens
mannigfaltig wie selten: Eintrittsgel­
der bei den Besuchshöfen, Spenden,
Sponsoren, Lose, vegetarisches Res­
taurant, Merchandising as Merchandi­
sing can, Weihnachts-, Oster- und
sonstige Events, Patenschaften mit
monatlichen Mitgliedsbeiträgen ...
und auch hier sind die Promis gute
Zugpferde: Das riesige schottische
Hochlandrind ist das Patentier von
Thomas Gottschalk – wegen der Fri­
sur, wird gewitzelt. Und der mittler­
weile selten gewordene Pusztataler
Stier heißt Alex, nach seinem Paten
Peter Alexander. Die Gratis-Führungen
enden – wen wundert‘s? – direkt am
Patenstand. Ach ja, und dann sei
noch das Gut-Aiderbichl-Magazin
zu erwähnen, das regelmäßig laut
­eigenen Angaben von über einer
­Millionen Menschen gelesen wird.
29
Paradies. Auf Gut Aiderbichl bekommen Tiere das Versprechen, die bestmögliche
Haltung und Pflege zu erhalten – bis zu ihrem Tod. Und wenn ein Tier einen guten
Freund unter den anderen Tieren hat, dann darf der schon mal ans Krankenbett.
ne Besuchsgüter und die Gäste geht, sondern auch wirklich um das Wohl der Tiere.
Eine kurze Aktualitätsmeldung unterbricht
das Gespräch. „Es sind gerade fünf neue
Busse angekommen, jede Menge los“,
­Aufhauser quittiert es mit einem lautlosen
Nicken, aber es scheint dennoch keine für
ihn unbedeutende News gewesen zu sein.
Aufhauser, der Tourismusprofi, Gut Aiderbichl, der Lockvogel. „Sie sind immer noch
skeptisch?“, erkundigt er sich. „Fragen Sie
provokanter, fragen Sie, ich antworte.“
„Partys sind keine meiner Sehnsüchte“ Es scheint ihm wichtig, denn der Zeitrahmen ist längst um ein Vielfaches überzogen.
Der Geläuterte, vom Protz und der
Und dann noch ein letzter Seelenstriptease –
Präpotenz des Reichtums Abgekehrte,
der sein Hab und Gut samt Talent und um auch den letzten Vorwurf der Rampensau zu entkräften: „Ich verrate Ihnen noch
Erfahrung plus der seiner Leute –
was: Ich mag keine Partys. Gesellschaft als
„und wir haben in jedem Bereich die
solche ist keine Sehnsucht von mir. Ich bin
weltbesten Leute, das kann ich Ihnen
am liebsten allein. Doch gerade über die
versichern“ – in den Dienst der guten
Gesellschaftliche Seite lässt sich sofortige
Sache, nämlich der Würde der Tiere,
stellt, um seinem Leben einen Sinn zu Publicity erzeugen.“
So. Es muss also wohl doch so sein, wie
geben? Und für diesen Sinn sieben Taes aussieht oder aussehen soll. Die Show
ge die Woche im Einsatz ist – seien es
lässt keine andere Möglichkeit zu. Es zeichTierpräsentationen auf dem eigenen
nen selbst die Aussagen von Mitarbeitern
Weihnachtsmarkt mit Buchsignierunkein anderes Bild: „Ich war früher Immobigen, TV-Shows, Kolumnen in der TZ,
Vorträge bei den Bauern und Versuchs- lienmaklerin und habe meinen Job für Gut
Aiderbichl aufgegeben. Und ich muss sagen,
labors, auf Partys und Society-Events,
ich war noch nie so glücklich und erfüllt“,
im Schoß der Mächtigen. „Wir sitzen
erzählt die Dame mit Strahlen in den Augen,
sehr, sehr nahe bei denen, die die Gesetze machen.“ Pause. Der Blick bleibt interessanterweise ohne dass man sie wirkstark und aufrecht, ohne sich am Blick lich danach gefragt hätte. Eine andere versichert, dass Herr Aufhauser wirklich alle Ardes Gegenübers festzuhalten. Er
tikel im Gut Aiderbichl-Magazin selber
möchte Nachdruck verleihen, dass es
ihm nicht nur um die Publicity für sei- schreibt – „naja, zumindest selber diktiert“,
schmunzelt die Mitarbeiterin. Brainwashing? „Nein“, lacht Aufhauser, „was bei
uns zählt, ist Ehrlichkeit“. Übrigens schreibt
der Chef nicht nur alles selber, er ist auch
30
bei jedem Filmdreh dabei, „diesen Blick für
diesen einen Moment, wenn das Tier in
­seiner Angst und Unsicherheit aus dem
Transporter geholt wird, das muss ich selber
machen“, so Aufhauser. Die Show muss
eben authentisch perfekt sein. Wie die
­Geschichten.
Ob man die Geschichten jetzt glaubt oder
nicht, spielt im Grunde keine Rolle. „Der
Aufhauser soll soviel Geld verdienen wie er
will. Schließlich schadet er damit niemandem. Nutzt‘s nix, schadt‘s nix, sagt man bei
uns“, bringt es eine Besucherin auf den
Punkt. Philosophen würden es vermutlich
„Sozialkapitalismus“ nennen: Geld verdienen ja, aber mit einem sozial verträglichen
Produkt. Hans-Richard Beierlein formulierte
es einst so: „Wenn man den Leuten ein paar
Stunden heile Welt schenkt, indem man ein
paar Tiere vor dem Schlachter rettet, was ist
daran verwerflich?“ Ob man so allerdings
gleich die ganze Welt verbessern kann?
„Wir machen keinen Kampagnen-Tierschutz,
der mit schlimmen Bildern und erhobenem
Zeigefinger zum Tierschutz zwingt. Wir
­zeigen die guten Bilder, wie es sein könnte.
Und wir möchten, dass die Menschen diese
Bilder mitnehmen und in sich speichern“,
so Aufhauser. Glauben Sie wirklich, dass
sich unser aller Bewusstsein nachhaltig
­ändern wird, wegen 2.000 geretteten GutAiderbichl-Tieren? „Ich werde das nicht
mehr erleben“, räumt der Gutschef frei­
mütig ein, „aber ich habe schon einen
Nachfolger“.
Vielleicht ist ja doch alles echt. Und nicht
nur perfekt. Wer weiß? Zu Weihnachten
sind wir alle ganz besonders geneigt, an die
schönen Dinge, an Wunder und an eine
bessere Welt zu glauben.
Bestseller 11|12 2010
gut aiderbichl (4)
Als weiteres Beweisargument für
die Authentizität seiner Tierliebe
schickt Aufhauser seine zehn Hunde
und sieben Katzen ins Rennen, die mit
ihm sein Schlafzimmer in seinem
Haus in Salzburg bewohnen. Als Initialzündung für den Gesinnungs- und
Professionswandel des Millionärs wird
offiziell ein Schlüsselerlebnis bei einer
Hundevergasung in Spanien erzählt.
Offiziell. Aufhauser holt tief Luft, lässt
seinen Blick ernst werden und lehnt
sich zurück, um zu zeigen, dass er
jetzt ein exklusives Türchen in die eigentliche Wahrheit öffnen will. Was
folgt, hört sich nach einer tiefreflektierten Lebensbeichte an: „Soll ich Ihnen sagen, warum? Ich war von meinem Wohlstand und meinem eigenen
Egoismus gelangweilt. Ich hatte alles,
ich konnte mir alles kaufen. Diesen
Hof, eine eigene Reithalle, die tollsten
Pferde. Doch was nun? Es war diese
Sinnlosigkeit des Reichtums.“ Er
macht eine Pause, um die Worte wirken zu lassen. „Also habe ich mich
entschlossen, meine Expertise einer
guten Sache zur Verfügung zu stellen.“
Ein Vorzeichenwechsel.
milan frühbauer
Kommentar
Hätte der Papst doch recht!
Es war vor einigen Wochen, als der Heilige Vater anlässlich eines Besuchs
in Spanien von der „Radikalsäkularisierung“ unserer westlichen Industriegesellschaften gesprochen hat. Der gelebte Glaube und der praktizierte
­Katholizismus würden immer stärker von den ökonomischen Zwängen und
dem wohlstandsbedingten Hedonismus verdrängt. Er hat recht, aber leider
nicht in der vollen Breite seiner abendländischen Analyse.
Denn in einem wehrt sich unsere Gesellschaft gegen die Säkularisierung
ganz massiv und – paradoxerweise – ganz im Sinne der Ökonomie: Das
Weihnachtsfest spielt – verfolgt man Alltag und Medien aufmerksam – eine
immer größere Rolle. Im November, früher als in den Jahren zuvor, begann
die Spiritualisierung des Marketings. Als einfacher Konsument, für den die
liturgische Komponente des wichtigsten Festes der Christenheit frühestens
am ersten Adventsonntag beginnt, musste man einmal mehr feststellen:
Man kann mit der Besinnung und der Besinnlichkeit nicht früh genug
­anfangen.
Als im ausgeprägten Fönklima bei rund 18 Grad am Wiener Rathausplatz
der Christkindlmarkt seine Pforten öffnete, konnte man das noch als weiteren Vorboten der globalen Klimaerwärmung abtun. Doch spätestens ab dem
Zeitpunkt, ab dem die Tiefkühlwaren in den entsprechenden Vitrinen bei
Spar-Gourmet ohne artistische Fähigkeiten nicht mehr erreichbar waren,
wurde auch dem säkularisiertesten Weihnachtsmuffel klar: Wer Tiefkühl­
erbsen will, der muss sich durch eine Batterie der hoch gestapelten Ange­
bote an Lebkuchen, Christstollen und Schokoladefiguren durcharbeiten. Sie
verstellen zwar dem Käufer den Weg, aber irgendwie weisen sie allesamt
doch nach Bethlehem … Die ersten Angebote von Panettone (Marke „Tre
Marie“), jener italienischen Kuchenköstlichkeit für „Buon Natale“, waren
im Supermarkt von Spar schon Ende Oktober vorhanden. Nur die im
­Vergleich zum Herkunftsland stark überhöhten Preise vermittelten noch ein
­gewisses Säkularisierungssignal …
Im E-Mail-Account verdichten sich seit Wochen die Hinweise auf Adventmärkte, Adventkonzerte, vorweihnachtliches Turmblasen und auf adventspezifische Sonderangebote im Nobelhotel, wo man die – und dieses Zitat
ist praktisch unausrottbar – „stillste Zeit des Jahres“ als aufrechter
­Vorsaisonnier zu verbringen habe. Schon weit vor Novemberende gesellten
sich die ersten Einladungen zum Charity-Punsch, also jenem karitativen
peter svec
„Wer Tiefkühlerbsen will, der muss sich
durch eine Batterie der hoch gestapelten
Angebote an Lebkuchen, Christstollen und
Schokoladefiguren durcharbeiten.“
Leistungstrinken, das der kontrollierenden
Polizei fette Beute an abgenommenen
Führerscheinen verspricht, hinzu. Den
Anfang – soweit das der Autor überblickt –
macht sinnvollerweise der ÖAMTC, dessen neuer Generalsekretär von 18 bis 20
Uhr höchstpersönlich ausschenken wird.
Es gibt quer durch das Land zahllose
Adventmärkte, an deren Ständen man
sich doch zum „Innehalten im vorweihnachtlichen Treiben“ einfinden solle.
Kein Burghof, kein Schlossgraben, keine
Weinbaugemeinde und kein hochalpines
Dorf kommt mehr ohne die artifiziellen
Buden mit der „Handwerkskunst aus der
Region“ aus.
In Radio Stephansdom werden Karten
für Oratorien von Bach und Händel angeboten, die sich – weil wenige Tage vor
dem Heiligen Abend stattfindend – offensichtlich schlechter verkaufen als gedacht.
Denn wer schafft es zwischen Punschstand und Weihnachtsmarkt noch in den
Musikverein oder in das Konzerthaus?
Wohin man auch blickt: Von „Radikalsäkularisierung“ keine Spur. Hätte der
Papst doch recht!
Milan Frühbauer ist Kommentator
für Wirtschaftspolitik/Manstein Verlag.
Bestseller 11|12 2010
31
Lãv€
All
you
need
is
Vom Suchen und Finden der großen Liebe und
des kleinen Abenteuers im Zeitalter des Internets.
Text von Lisa Mang
Online-Liebe. Im Internet kann man kein
Geld verdienen, hieß es lange und heißt es
immer noch. Für manche Bereiche mag das
auch zutreffen – die Diskussionen im Medienbereich füllen Bände. Für andere, wie
zum Beispiel den E-Commerce, gilt das hingegen überhaupt nicht. Darüber hinaus gibt die Mitglieder, die von den österreichischen
es aber noch einen weiteren Bereich, in
Singlebörsen angegeben werden, ergeben
dem das Web seine Fähigkeiten voll zum
sich gar astronomische Zahlen, was aber vor
Einsatz bringt, und das lukrativ: das Matallem an den zahlreichen Karteileichen liegt
chen. Das Zusammenführen von Angebot
– denn: Mitglied wird man mit wenigen
und Nachfrage. Suchen und Finden. Zeitun- Mausklicks und in der Regel kostenlos, die
gen bekamen d
­ iesen Vorzug unschön durch ­wenigsten denken daran, sich wieder abzudas Abwandern von Auto-, Immobilienmelden (die meisten Betreiber i­nvestieren
und Jobinseraten ins Web zu spüren. Und
aus diesem Grund vermehrt in die Datennoch etwas hat sich verlagert: die Liebe.
bankbereinigung).
Früher füllten Heiratsanzeigen Seiten in den Ein vermeintliches Schlaraffenland. Einer
Wochenendausgaben der Tageszeitungen.
aktuellen Marketagent.com-Studie zufolge
Heute boomen die Partnerschaftsbörsen im
nutzen 57,8 Prozent der österreichischen
Internet – ob Lebenspartner oder Flirt, ob
­Internet-User das Web auch für die Partneraußereheliche Affäre oder langfristige Binsuche. Singleboersen-vergleich.at geht von
dung, ob Alleinerzieher, Hundefreunde oder etwa 700.000 österreichischen Online-­
Christen – das Web führt zusammen, was
Dating-Nutzern aus, die monatlich die
­zusammengehört.
­einschlägigen Portale besuchen. Weitere
300.000 tummeln sich auf Portalen für rein
Single-Nachschub ist gesichert
erotische Kontakte. Die Umsatzschätzungen
In Österreich gab es im Jahr 2009 laut Stafür das Jahr 2009 belaufen sich für Östertistik Austria 1,283 Millionen Ein-Personenreich auf zwölf bis 15 Millionen Euro (2008:
Haushalte. Fast jede zweite Ehe wird heutelf bis 14 Millionen, 2007: neun bis elf
zutage wieder geschieden – und zwar im
­Millionen Euro). Und wie es aussieht, ist
Schnitt nach etwa zehn Jahren. Für Singledas G
­ eschäft mit der digitalen Liebe nicht
Nachschub ist also gesorgt. Summiert man
nur lukrativ, sondern auch noch krisensicher. Denn das Krisenjahr 2009 scheint für
die Online-Dating-Industrie ihr bestes Jahr
überhaupt gewesen zu sein. Gründe dafür
32
sind einerseits der anhaltende Aufwärtstrend aus den Vorjahren und andererseits
wohl das in ­Krisenzeiten noch stärkere
­Bedürfnis nach einem Partner, vermutet
Singleboersen-­vergleich.at – die Plattform
bietet einen Überblick über die seriösen
und etablierten Portale und erspart Partnersuchenden so, sich durch den Dschungel
der unzähligen Online-Dating-Angebote zu
schlagen.
Der Markt der digitalen Liebe wird im
Grunde von ausländischen – insbesondere
deutschen – Unternehmen beherrscht.
Das sei ganz klar, sagt Henning Wiechers,
Geschäftsführer Singleboersen-vergleich.at,
die kleinen Anbieter würden einfach „plattgemacht“. Nach dem Motto „Wo Tauben
sind, fliegen Tauben zu“ tummelt sich das
Angebot natürlich dort, wo die Nachfrage
entsprechend ist – und umgekehrt.
­Dennoch hat auch Österreich seine eigenen
Online-Dating-Portale. Eines der führenden
ist Love.at, das seit dem Management-Buyout aus dem Schoß der Mutter, Telekom
Austria, im Jänner 2007 selbstständig agiert,
sowie das rein werbefinanzierte Portal
Websingles.at. Daneben mischen Öster­reichAbleger großer deutscher Medienunter­
nehmen wie Parship.at (Holtzbrinck),
FriendScout24.at (Deutsche Telekom) oder
Elitepartner.at ­(Tomorrow Focus Media)
kräftig mit. Auch die französische
Bestseller 11|12 2010
SEHEN SIE
ES VON
UNSERER
SEITE.
Auf DiePresse.com übersehen Sie nichts.
Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Menschen
und Meinungen.
All das und mehr, beleuchtet von allen Seiten.
­börsenotierte Meetic-Gruppe ist mit
Partner.at und Neu.at in Österreich
­aktiv.
Spiegelbild oder Gegenstück?
Zahlreiche Online-Partnervermittlungsagenturen bieten einsamen Herzen Unterstützung bei der Suche nach ihrem
perfekten Gegenstück – das eigentlich
keines ist. Denn im Netz sucht man
nach Gemeinsamkeiten. Wer nicht in
weiten Teilen mit dem eigenen Profil
übereinstimmt, scheint in der Ergebnisliste gar nicht auf. Ungleiche Paare
sind heute nicht mehr vorgesehen.
„Ähnlichkeits- versus Komplementaritätsthese“ nennt das die Soziologin
Cornelia Kopitschek, die gleich in perfektem Wissenschaftsdeutsch hinzufügt: „Zahlreiche Untersuchungen
­weisen einen positiven linearen
­Zusammenhang zwischen dem Grad
der wahrgenommenen Einstellungsähnlichkeit und der Zuneigung beziehungsweise Sympathie auf.“ Gleich
und gleich gesellt sich eben gern.
Grundsätzlich lässt sich die Branche
in vier Segmente einteilen, die hinsichtlich Nutzerstruktur und Preispositionierung teilweise sehr unterschiedliche
Geschäftsmodelle verfolgen: Partnervermittlungsbörsen, Singlebörsen, Sexbörsen und Nischenbörsen.
Die eher hochpreisigen Dienste ei-
„Das Wechselspiel von Nähe
und Distanz ist nirgendwo
­besser zu bewerkstelligen als
im virtuellen Raum.“ Daniel Glattauer
im Interview mit dem Online-Magazin Stadtsolist
ner Online-Partnervermittlung belaufen sich auf einen monatlichen Beitrag
von rund 50 Euro bei der kürzesten
Abo-Variante (in der Regel drei Monate). Bei längerer Abo-Laufzeit reduziert
sich der Betrag, der pro Monat zu erstatten ist. Dafür muss man sich nicht
aktiv auf die Suche begeben, sondern
bekommt auf Basis der „wissenschaftlich fundierten“ Eingangstests vom
System Partner vorgeschlagen.
Also klickt sich der Vermittlungswillige durch endlose Fragen zu seinen
Vorlieben, wie er sich in dieser oder jener Situation verhalten würde, welche
psychedelischen Bilder ihm am besten
34
gefallen. Das Prozedere erinnert ein bisschen
an Psychotests in Frauenzeitschriften, am
Ende sollen diejenigen Kandidaten herausgefiltert werden, die die meisten „MatchingPoints“ oder den höchsten BQ (Beziehungsquotienten) aufweisen. Ein solches Angebot
richtet sich eher an ältere User (ab 30 Jahren), die auf der Suche nach einer ernst­
haften Partnerschaft sind. Angestrebt wird
natürlich ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Um dieses zu halten, müsse man
allerdings viel stärker in Richtung Frauen
kommunizieren, meint Christian Henne,
Head of PR & Communications Neu.de.
­Getreu dem Ladys-Day-Prinzip: Hol die Frauen, die Männer folgen ihnen von ­alleine.
Nix mit gratis gucken
Bei der Etablierung umsatztreibender Maßnahmen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Nur wenige Minuten nach der Regis­
trierung will Chiffre 7E29B864 Kontakt
aufnehmen. Die Botschaft ist verschwommen, 16 Wörter sollen es sein, teilt die Online-Partnervermittlungsagentur mit. Lesen
kann der geneigte Single seine Anfragen
aber nur als VIP- oder Premium-Mitglied.
Bei einem anderen Anbieter werden nur einige „Teaser-Interessenten“ angezeigt, beim
Versuch, die weiteren Kontaktfreudigen anzuwählen, wird sofort auf die Payment-Page
weitergeleitet. Wieder andere erlauben den
Erstkontakt, ab dem zweiten Mal muss bezahlt werden. Die kostenlose Registrierung
zum „gratis Gucken“ ist in jedem Fall relativ
unbefriedigend, der Gang zur Online-Kasse
scheint unumgänglich. Anders als die überwiegend werbefinanzierten Social-Communities erzielt die Online-Dating-Branche über
85 Prozent des Umsatzes direkt von den
Mitgliedern. Obwohl klassische Online-Werbemaßnahmen wie Banner-Werbung, Newsletter und E-Targeting aufgrund der genauen
Angaben in den Nutzerprofilen prinzipiell
natürlich möglich sind, lassen die meisten
Betreiber sehr wenig Fremdwerbung zu. Die
Sorge ist zu groß, dass sich die User gestört
fühlen könnten. Schließlich sollen diese ja
das Angebot nutzen und nicht auf ­andere
Seiten abwandern. Lediglich konzern­eigene
Werbung beziehungsweise Kooperationspartnerschaften, die einen Mehrwert für die User
bieten (zum Beispiel Single-Reisen), werden
da und dort umgesetzt.
Kontakte wie beim Autokauf
Wem Online-Partnervermittlungen zu teuer
sind oder wer eher auf einen Flirt aus ist,
der kann in einem der zahlreichen Kontaktanzeigen-Portale sein Liebesglück versuchen. Dementsprechend sind die Nutzer
dieser ­Angebote tendenziell jünger, überwiegend zwischen 25 und 45 Jahren alt.
Wie beim Autokauf grenzt man in der erweiterten Suchfunktion (natürlich nur für
zahlende Mitglieder) die Features des zukünftigen Traumpartners ein: Haar- oder
Augenfarbe, Gewicht, Einkommen, Hobbys
oder Bildungsabschluss sollen schließlich
dem gemeinsamen Happy End nicht im
­Wege stehen. Dort muss der Suchende
­allerdings selbst aktiv werden. Nach einer
Woche hat sich noch kein Interessent gemeldet – der Posteingang zeigt nach wie vor
eine gähnende Null. Dafür belaufen sich die
Kosten nur auf die Hälfte. Für zirka 25 Euro
für einen Monat suchen Alleinstehende bei
Kontaktbörsen nach Mr. oder Mrs. Right.
Zum V
­ ergleich: Eine klassische Kontaktanzeige in einem Printmedium kostet rund
drei Euro pro Wort.
Ausgereizt?
Online-Dating hat nun schon ein knappes
Jahrzehnt mit beeindruckenden Wachstumszahlen hinter sich. Die erste Welle des
Booms ist dadurch entstanden, dass sich
einfach immer mehr Singles für die Partnersuche im Internet begeistern ließen –
schließlich ist es leichter, nur Anzeigen zu
durchforsten, die dem eigenen Wunschbild
entsprechen, statt sich – wie früher in der
Zeitung – durch tausende Heiratsannoncen
jedweden Alters und Inhalts wühlen zu
müssen, noch dazu mit ihren ureigenen
Schlüsselcodes im Wording, Stichwort „Tagesfreizeit“ und so. Dieses Potenzial der
Erstlingssucher scheint mittlerweile ausgeschöpft. Die zweite Welle bezog sich auf
das monetäre Wachstum: „Die Unterneh-
Bestseller 11|12 2010
Den Kuchen aufteilen
Umsatzanteile nach Marktsegmenten
Quelle: Singleboersen-vergleich
Die Angaben beziehen sich auf den deutschen Markt.
Singlebörsen
Partnervermittlungen
42 %
35 %
Adult-Dating
17 %
men wurden mittels Abo-Modellen, Preiserhöhungen und diverser Anreize immer
­besser darin, die Kunden an die Grenzen
dessen heranzuführen, was sie für die
Dienstleistung ‚Online-Dating‘ zu zahlen
­bereit sind – und teilweise darüber hinaus“,
erklärt Wiechers. Im Vergleich zum deutschsprachigen Ausland gäbe es hierzulande
beim Thema „Geldverdienen“ allerdings
noch Aufholbedarf. Beim Umsatz pro Einwohner liegt Österreich mit 1,75 Euro hinter
Deutschland (2,20 Euro) und deutlich ­hinter
der Schweiz (2,50 Euro).
Sowohl bei Partnervermittlungen als auch
bei Singlebörsen sind die Zeiten, in denen
Milch und Honig flossen, vorbei, meint
­Wiechers. Ab jetzt sei Verdrängungswettbewerb angesagt. Dem stimmt auch Henne zu:
„Heute mit einem neuen Angebot vom Start
weg große Reichweite zu erzielen, ist sehr
schwierig.“ Seiner Meinung nach liegen die
wesentlichen Herausforderungen für die
­Zukunft in der Entwicklung eines eigenen
Markenprofils. Denn von den Preisen, der
Funktionalität und der Mitgliederstruktur her
seien sich die Anbieter sehr ähnlich.
Fremdgehen leicht gemacht
Ein Segment, von dem hingegen noch starke
Marktbewegungen zu erwarten sind, ist das
Adult-Dating, bei dem es vornehmlich um
erotische Kontakte geht. Seitensprung-Portale wie C-Date, Meet2cheat oder AdultFriendFinder erfreuen sich zunehmender Beliebtheit. Vor Kurzem startete der
Deutschland-Ableger der amerikanischen
Seitensprungagentur Ashley Madison, der
bereits zirka 10.000 Premium-Mitgliedschaften seit September 2010 verzeichnete. Vor allem Frauen sind erst dabei, den Trend zum
Casual Dating für sich zu entdecken. Wohl
deshalb sind diese Plattformen für Frauen oft
kostenlos. Ansonsten bewegt sich die preisliche Positionierung etwas über der von Singlebörsen (zwischen 30 und 40 Euro pro Monat). Die Profilangaben ähneln jenen in
anderen Online-Dating-Portalen, erweitert
um pikante „Extras“ wie ­sexuelle Vorlieben.
Dass das Geschlechterverhältnis auf diesen
Seiten noch zu wünschen übrig lässt,
Bestseller 11|12 2010
Nischenanbieter
6%
­signalisiert die Desktop-Mail-Benachrichtigung, die nach der Registrierung sofort im
Minutentakt aufpoppt. Frischfleisch ist
­offenbar dringend gesucht.
Liebe zwischen Hundefreunden
Natürlich ist der Seitensprung eine Spezialdisziplin im Online-Dating, ebenso wie
­Seiten für spezielle Sexualpraktiken von
BDSM bis Fetisch. Doch es gibt noch mehr
Nischen, die von zahlreichen Spezialanbietern bedient werden: Alleinerzieher, Leute
mit Handicap, die Generation 50 plus, Christen, ja, sogar Hundefreunde suchen auf
­diesen Seiten im World Wide Web nach der
großen Liebe. Die Kosten spiegeln hier auch
gleich das Marktpotenzial wider: Preislich
am untersten Rand angesiedelt, sucht man
hier fast für lau. Wolfgang Arnberger, Inhaber des österreichischen Partner-Portals für
Alleinerzieher, Halbvoll.net, verlangt zum
Beispiel lediglich eine einmalige Gebühr von
45 Euro: „Dabei geht es nicht darum, das
große Geld zu verdienen, sondern darum,
­sicherzustellen, dass ernsthaftes Interesse
vorhanden ist.“ Wenngleich diese Nischenprodukte durch die extreme Spezialisierung
nicht annähernd an die Mitgliederzahlen der
großen Online-Dating-Player herankommen,
sind die Angebote für die Betroffenen natürlich von großem Nutzen
Da geht noch was
Die Partnersuche im Web hat sich in den
meisten westlichen Gesellschaften als Bestandteil des täglichen Lebens etabliert und
aus Unternehmenssicht auch passabel monetarisieren lassen. Diese Rahmenbedingungen
versprechen eine gewisse Stabilität für die
Branche. Spannend wird in Zukunft die Entwicklung bei einzelnen Zielgruppen sein.
Steigerungen und die Forcierung spezieller
Angebote dürfen etwa bei den Älteren erwartet werden, denn einerseits ist in der Zielgruppe 50 plus die Internetnutzung im Steigen begriffen, andererseits kommt hier eine
Generation nach, die mit dem Thema Online-Dating bereits bestens vertraut ist. Auch
das Gay-Segment weist großes Entwicklungspotenzial auf. Wiechers: „Die homosexuelle
Community ist sehr online-affin, was zuweilen bereits die schwule Gastronomie in Mitleidenschaft gezogen hat.“ Statt sich in den
einschlägigen Szene-Lokalen zu treffen, habe
sich die amouröse Anbandelung mittlerweile
zum Großteil in die virtuelle Welt verschoben. Parship trug diesem Trend mit der Etablierung von gayparship.at bereits Rechnung.
Wenn es für die Online-Dating-Branche
eine Bedrohung gibt, dann sind es substituierende Dienstleistungen – ein neuer, hipper
Trend, der vielleicht auf anderen Technologien beruht. Ob sich die heute 14- bis 20-Jährigen, die mit Social Networks aufwachsen,
im selben Maße wie die heute über 30-Jährigen für das klassische Online-Dating inter­
essieren werden, steht in den Sternen. Auf
jeden Fall gibt es bereits eigene Dating-Applikationen für Facebook-Freaks – zum Beispiel Zoosk, eine App aus den USA, die eigentlich keinen direkten Bezug zu Facebook
hat, da sich der User ein ganz neues Profil
zulegt, um anonym flirten zu können. Die
führenden deutschen Online-Dating-Player
hätten jedenfalls bereits damit begonnen,
auf den Facebook-Zug aufzuspringen: Zum
einen, indem sie es als Kanal für Anzeigenwerbung nutzen, zum anderen mit Marketing-Aktionen wie den Flirt-Ratgebern „Doctors of Love“ powered by FriendScout24, die
als Dr. Date, Dr. Style und Dr. Kiss Tipps
und Tricks zum Partnerangeln auf Lager haben. Wird die Idee vom perfekten Partner in
den unendlichen Weiten des Web Wirklichkeit? Vielleicht. Schon Bert Brecht beschrieb
einst, was passiert, „Wenn Herr Keuner
­einen Menschen liebte“: „Was tun Sie“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ „Ich mache einen Entwurf
von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, dass er
ihm ähnlich wird.“ „Wer? Der Entwurf?“
„Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“
35
Die Gesichter des Erfolgs
Bestseller proudly presents:
das Kreativranking 2010!
Text von Clemens Coudenhove, Sebastian Loudon, Carolin Daiker | Fotos von Karl Michalski
Erfolgsteam aus der Vogelperspektive.
Tolga Büyükdoganay, Rosa Haider-Merlicek
und Sebastian Kaufmann halten den „Erfolg“
in Form des Barmanns in Händen, René ­Pichler,
Alistair Thompson, Alexander Hofmann,
Harry Bergmann, Francesco Bestagno und
­Mariusz Jan Demner (mit einem Foto
seines Kompagnons Franz Merlicek).
Alle
Jahre
wieder! Das Bestseller-Kreativranking ist geschlagen, und auch
in diesem Jahr gibt es einen ganz klaren Gewinner:
Demner, Merlicek & Bergmann liegt fast 1.000 Punkte
vor der zweit­platzierten Agentur, Jung von Matt/Donau.
An dritter Stelle liegt – ebenfalls wie im Vorjahr –
­TBWA Wien. Die Kreativspitzen der Top-3-Agenturen
posierten für unseren Fotografen Karl Michalski. Die
komplette Rangliste finden Sie auf den Seiten 42 und 43.
Das Bestseller-Kreativranking reiht die teilnehmenden
Agenturen nach ihren Erfolgen bei nationalen und internationalen Kreativwettbewerben. Es erhebt nicht
den Anspruch auf Vollständigkeit, sehr wohl aber
­darauf, einen guten Überblick über den Aktivitätsgrad
der heimischen Agenturszene sowie die Sichtbarkeit
­ihres kreativen Outputs zu bieten.Wie das BestsellerKreativranking genau funktioniert, welcher Bewerb
wie gewichtet ist, lesen Sie auf Seite 44.
Demner, Merlicek & Bergmann
Punkte 2010: 3.687
Awards
National: 90
International: 44
Dauer-Abo auf die Pole-Position
Hätte ihn wahrscheinlich auch gewundert, den prominentesten heimischen Werber, Mariusz Jan Demner,
wenn die Agentur aus der Lehargasse in der zehnten Auflage des Bestseller-Kreativrankings nicht wieder die
­Spitze erklommen hätte. Nur 2007 musste sich DM&B die Führungsposition mit einem Konkurrenten teilen.
„Mag es vielleicht für Journalisten schon langweilig sein, dass wir ein Dauer-Abonnement auf die Pole-­
Position im Bestseller-Kreativranking zu haben scheinen, unsere Kunden und Kreativen freut es allemal“,
meint Demner wohlgelaunt. Nun, für uns sicher nicht langweilig, für unsere Leser hoffentlich auch nicht.
Und bei einem derart hohen Vorsprung von knapp 1.000 Punkten können wir nur anmerken: Ehre, wem E
­ hre
gebührt! Demner weiter: „Die Stärke der Agentur zeigt sich auch daran, dass wir nicht nur mit einigen
­wenigen Kunden und Kampagnen gewonnen haben, sondern mit einem breiten Spektrum an ausgezeichneten
Arbeiten punkten konnten.“ Zu den wichtigsten, punkteholenden Kampagnen zählten Arbeiten für Mömax,
Actual - Fenster und Türen, Darbo, aber auch auch bob und Leica Shop. Besonders freut Demner auch, dass
die Kampagne für Media1 viel gewinnen konnte. Insofern hatte hatte das Abwerbe-Scharmützel mit DDB
auch seine erfreulichen Seiten. Überhaupt kann Mariusz Jan Demner zufrieden sein. Bereits im Krisenjahr
2009 wäre die Agentur als eine von ganz wenigen leicht gewachsen, und heuer habe man bereits neun Etats
gewonnen, darunter Manner, Casali, Napoli, Recheis, XXXLutz Tschechien und Schweden, OMV Türkei
­sowie Hofstätter von Rewe, für die auch eine Corporate-Kampagne gestaltet wurde.
Bestseller 11|12 2010
37
2
Jung von Matt/Donau
Punkte 2010: 2.783
Awards
National: 74
International: 15
38
Ideenentwickler.
Thomas Niederdorfer, Georg
Feichtinger, Andreas Putz,
Christoph Gaunersdorfer
und Volkmar Weiss.
Nur die Idee zählt
„Der 2. Rang freut mich wirklich extrem, zumal wir heuer nicht blindwütig
eingereicht haben, sondern viel selektiver“, meint Andreas Putz, Kreativ­
geschäftsführer der Agentur Jung von Matt/Donau, und nennt dieses
­Ergebnise schlicht einen „schönen Erfolg“. Natürlich gibt es einen Kunden,
für den mehr gewonnen wurde als für andere, und der heisst MercedesBenz. Immerhin ist die Automobilmarke heuer bei der CCA-Gala zum
­dritten Mal in Folge zum „Kunden des Jahres“ gekürt worden. Aber, auch
ein Grund für Putz‘ Freude, „wir haben dennoch heuer sehr gut gestreut.“
Er hebt die Kampagne für die Stadtzeitung Falter hervor, aber auch Kunden
wie EasyMotion, derstandard.at, Neuroth, Gut Oggau, auch den „sehr breit
­aufgestellten Kunden“ Saturn. Überhaupt war das Jahr 2010 ein durchaus
erfolgreiches gewesen, nicht zuletzt dank Etat-Gewinne wie etwa Voest
­Alpine, Kindernothilfe und Sports Experts. „Dass uns so viele Kollegen aus
der Branche auf die Sports-Experts-Kampagne ansprechen, macht uns alle
sehr froh“, ergänzt Putz, der aber auch mit Kritik nicht spart. „Ich bin nach
wie vor der Meinung, das Ranking sollte Award-Ranking heissen, da –
­obwohl abgespeckt – noch immer zu viele Awards darin vertreten sind“,
meint ­Andreas Putz, der generell lieber „macht“ als redet: „Wir glauben an
Ideen, alles andere ist heiße Luft!“ Na dann …
Bestseller 11|12 2010
Demner, Merlicek & Bergmann sucht Berater,
die Kundengeheimnisse für sich behalten können.
Bewerbungen bitte an Sylvia Kosmak unter [email protected]
3
TBWA Wien/MAB Media
Punkte 2010: 1.252
Awards
National: 32
International: 13
40
Media-Artisten. Gert Turetschek,
Bernhard Grafl, Florian Gigler,
Gerda Reichl-Schebesta und
Christian Schmid mit den Logos
jener Kunden, mit denen sie im
vergangenen Jahr die meisten
Kreativpreise abgeräumt haben.
Die Marken-Inszenierer
Der letztjährige Sprung unter die Top 3 der kreativsten Agenturen des Landes hat bei TBWA einiges
in Bewegung gebracht. Ganz im Sinne der CCA-Devise „Kreativität ist besser fürs Geschäft“ schärfte
die TBWA damit ihre Agentur-Marke und war mit einem Schlag im Radar der Top-Auftraggeber des
Landes. So konnte man sich 2010 gegen Mitbewerber, die in Kreativrankings bis dato vor TBWA
­gereiht waren, durchsetzen: Großkaliber wie der Flughafen Wien, Wiener Festwochen, ­Vario-Haus
und Verbund konnte die Agentur von ihrer Ideenstärke überzeugen und damit die ­gesammelten
Kreativpunkte bestmöglich kapitalisieren.
Besonders viele Kreativzähler sammelte TBWA 2010 für die Marken der Auftraggeber Österreich
Werbung und Mars. Gemeinsam mit der 2007 gegründeten Schwesteragentur MAB und deren
Hauptkunden, BMW, machen diese Arbeiten beinahe 70 Prozent der Awards aus, hier vor allem
im immer wichtigeren Bereich der digitalen und medienübergreifenden Inszenierung von Marken.
Die Agentur-Philosophie des Media-Arts-Prinzips scheint dabei aufzugehen: Werbung zu machen,
die Marken ganzheitlich und medienadäquat inszeniert und zum Erlebnis macht.
„Wir sind ein Team von Ideen-Entwicklern und dabei in der einmaligen Lage, für die Umsetzung
Spezialisten für jeden Aufgabenbereich im Haus zu haben: von Digital über Direktwerbung bis
zum Event. Für unsere Kunden hat das den entscheidenden Vorteil, immer gleich auch einen
Agentur-Ansprechpartner mit dem richtigen Know-how am Tisch zu haben. Die immens wichtige
Markenführung bleibt so in einer Hand, die Arbeit wird strategisch integrierter vorbereitet und
­kreativ zielgerichteter ausgearbeitet“, so TBWA\-Geschäftsführer Christian Schmid.
„Wir freuen uns sehr über diese weitere Top-Platzierung und werden auch 2011 wieder alles daran
setzen, starke Ideen für unsere Kunden zu entwickeln. Dass uns das auch gelingen wird, davon
bin ich überzeugt: Die wichtigste Grundlage für Erfolg sind die Mitarbeiter, das Team. Und wir
­haben ein Spitzen-Team mit ausgezeichneten Leuten – manche sind selbst schon eine eigene Marke.
Ich bin froh, mit ihnen arbeiten zu dürfen“, streut der TBWA\-Chef seinen Kreativen Rosen.
Bestseller 11|12 2010
Mehr Wirkung gibt’s bei uns!
Entscheidend ist, wo Sie werben.
www.ip-oesterreich.at
Bestseller-Kreativranking 2010
Summe
(Punkte)
Rang
10 09
1
1
Agenturname
2010 2009 GP G
Demner, Merlicek & Bergmann
3.687 3.224
40
120
2
2
Jung von Matt/Donau
2.783 2.331
3
3
TBWA Wien/MAB Media
1.252 1.204
4
9
Wien Nord
1.229
375
5
6
Euro RSCG Vienna
1.170
746
6
4
PKP BBDO
1.088 1.061
7
7
Publicis Group Austria
742
641
8
11
Ogilvy & Mather Vienna
674
320
9
10
Rahofer
662
373
10
-
Wunderman
413
-
11
5
Büro X Wien
374
837
12
-
Screenagers
240
-
13
8
McCann Erickson Vienna
231
376
14
-
Faschingbauer & Schaar
212
-
15 14
Die 3 A gentur für Werbung und Kommunikation
184
171
15 12
Springer & Jacoby Österreich
184
294
17 16
Initiative Media
123
154
18
-
Werner Bühringer Konzept & Text
96
-
19
-
KOOP Live Marketing
83
-
20
-
Kraftwerk Agentur für Neue Kommunikation
60
-
21 22
Hartinger Consulting
49
48
22
Createam
42
-
Zurgams Kommunikationsagentur
40
151
-
23 18
Kategorie 20
42
S
B
Kategorie 19
N ND GP G
S
B
Kategorie 18
N GP G
S
B
Kategorie 17
N GP G
102
57 38
S
B
Kategorie 16
N GP G
S
B
51 238
72
102
34
60
192
80
136
102
Kategorie 15
N GP G
N GP G
S
B
N GP G
N
128
600585240375
28
104
104
64
60 45 270 60
84 28 98
78
26 39
32
120180120 60 84 56
28
64
60 135120 75
98
60 45 30 45
126266
30 45
208 91 91 221
91
234
56
30
56
26
28
30 30
78
56
30
32
26
65
56 42 28
90 180120
48
34
B
252210 84 168
64
38
S
240225495210
60
80 60
B
Kategorie 13
64
34
40
S
Kategorie 14
52
30 15
52
56
14
39
13
56
30
56
28
52
14
45
52
15
13
Bestseller 11|12 2010
Die Agenturen
GP G
S
B
Kategorie 11
N GP G
24 24
44
S
B
Kategorie 10
N GP G
22
S
120
B
Kategorie 9
N GP G
S
100
B
Kategorie 8
N GP G
S
B
Kategorie 7
N GP G
27
S
B
28
24
60
44
20
24 16
B
72 36
N GP G
54
S
32
B
Kategorie 3
N GP G
4
24
32
N GP G
S
B
N GP G
48 27 6 12
8
30 20
24 18
36
14
S
B
3
74
15
32
13
23
8
24
13
25
18
14
10
17
5
21
17
15
4
6
8
6
4
6
12
13
-
1
4
-
9
6
-
7
-
3
-
5
-
2
-
7
-
10
-
-
2
4
3
32 48 32
18
8
32 24 16
9
24
80
96 32
48
4
48 108 72 48
60 18 18 18
6
9
27
8
6
64 96 64 24 16
16 12
21
12
18
24 18
6
4
64 48 32
12
30 140
14
12 6
24 18
12
3
36
64
48
16
3
12
4
12 18 12 3
4
9
2
8
6
40
Bestseller 11|12 2010
N Nat. Int.
44
6
24
Awards
90
36
96
60
B
Kategorie 1
12
180 24 72
24
S
Kategorie 2
24 18
60
12
36
S
Kategorie 4
14 36 72 72
36
36
N GP G
14
72 24
48
Kategorie 6
43
© bestseller/horizont 2010
Kategorie 12
BestsellerKreativranking 2010
Die Kategorien
(erstellt in Kooperation mit der IAA und dem CCA)
Die Formel zum Erfolg:
Multiplikationsfaktoren
Internationale Awards
Grand Prix: 8 Punkte; Gold: 6; Silber: 4;
Bronze: 3; Shortlist/Nominierung: 2;
Nationale Awards
Grand Prix: 6 Punkte; Gold: 4; Silber: 3;
Bronze: 2; Shortlist/Nominierung: 1;
Der Sonderpreis für Social Advertising beim Top Spot
wird wie ein Gold-Award gerechnet. Beim ORF-Werbehahn wird die Kategorie „Regional“ mit einem GoldAward gleichgesetzt. Der Platin-EFFIE wird wie ein
Grand Prix bewertet, der Gold-EFFIE für dieselbe Kampagne wird zusätzlich wie ein EFFIE in Gold bewertet.
Die Nachwuchspreise bei CCA und Adgar werden einer
Wertung in Gold gleichgesetzt. Die Schwarze Venus
beim CCA wird wie eine Venus in Gold bewertet. Der
EFFIE CEEMax wird in die Wertung mit Gold, Silber,
Bronze und Shortlist aufgenommen. Bei Wettbewerben
wie beispielsweise dem London International Advertising Award, die neben dem Grand-Award-Preisträger
nur Winner kennen, werden Letztere mit Gold gleichgesetzt. Das National ­Diploma bei den Cannes Lions wird
mit einem Punkt berechnet (Multiplikationsfaktor 20).
Bewertet werden bei den einzelnen Awards ­keine
­Monats-, Quartals- oder Halbjahreswertungen (Adgar,
­Transport Media Award etcetera), sondern ausschließlich die Jahreswertungen.
Berechnungsbeispiel:
Agentur A: 1x Shortlist in Cannes, 1x Venus in Gold des
Creativ Clubs Austria, 1x EFFIE in Bronze der IAA,
eine Nominierung zum Staatspreis Werbung.
Ergibt folgende Wertung: Shortlist/International=
2 Punkte, Multiplikationsfaktor=20: 40 Punkte;
CCA-Venus: Gold=4 Punkte,
Multiplikationsfaktor = 15: 60 Punkte;
EFFIE: B
­ ronze=2 Punkte, Multiplikationsfaktor=14:
28; Staatspreis Werbung: Nominierung=1 Punkt,
­Multiplikationsfaktor=13: 13 Punkte.
Agentur A erzielt mit vier Awards 141 Punkte.
44
20: Cannes Lions
19: One Show, D&AD, Clio
18: ADC New York
17: Eurobest, Cresta
16: LIA, ADC Europe
15: Euro EFFIE, Epica, CCA
14: Echo, Golden Drum, John Caples Award, EFFIE, CEEMAX
13: Global Award, Midas Awards, NY Festivals, AME, Mobius, Staatspreis
­Marketing, Staatspreis Werbung, ADC Deutschland, Adgar (Jahressieger)
12: Columbus, ORF-Werbehahn, RMS-Award, Top Spot, WebAd
11: Staatspreis Werbefilm, Staatspreis Print/Outdoor, Staatspreis Wirtschaftsfilm, Staatspreis Verpackung, Staatspreis Design, Staatspreis Multimedia &
­E-Business
10: Die Klappe, FEDMA, Montreux, Jahrbuch der Werbung (Econ), Joseph
­Binder Award
9: Gallup Top Ten
8: Andy, Berliner Type, Corporate Design Award, Das Plakat, ARC, Austrian
Event Award, Goldenes Ohr
7: BOB, Comprix, Deutscher Design Club – Gute Gestaltung (DDC), Deutscher
Marketingpreis, DMMA OnlineStar, Die Anzeige, IMC European Award,
­Designpreis der Bundesrepublik Deutschland
6: IF Design Award, Promax, Red Dot Design Award, Europrix, Impactissimo,
AFSP, Großer Österreichischer Plakatpreis, Magazin Award, Media Award
5: 4: Deutscher Event Award (EVA), Ramses, Printissimo, Emballissimo, Golden
Pixel, Goldenes Skalpell, Yellow Pages, TAI Werbe Grand Prix, Spotlight,
Prospekt Award
3: Bundesländer-Preise (Caesar, Twister etc.), Momentum Creative Award,
­Gustav-Klimt-Preis, Plakatpreis Wien, Deutscher Dialogmarketing Preis
(DDP), Schweizer Dialogmarketing-Preis
2: Austrian Annual Report, Fundraising Award, B2B-Award, Pharma Ad,
T­ransport Media Award (Jahressieger)
1: Best Mail, Kurier Werbeliebling
Das Bestseller-Kreativranking berücksichtigt alle im Kategorieschema angeführten
nationalen und internationalen Awards, die zwischen 1. Oktober 2009 und
19. Oktober 2010 verliehen wurden. Es zählt der Tag der Preisverleihung, nicht
der der Bekanntgabe der Gewinner. Wenn es jedoch keine Award-Show gibt,
wird der Tag der Veröffentlichung der Resultate eines Wettbewerbs als Stichtag
­herangezogen. Für das Kreativranking 2011 werden die vergebenen Awards, die
zwischen 20. Oktober 2010 und 20. Oktober 2011 vergeben wurden, berücksichtigt.
Bestseller 11|12 2010
Wir stehen
dahinter.
Agentur für strategische Markenberatung
www.blink.co.at
„Neue Ehrlichkeit“ als Hausaufgabe
An Offenheit für Kreativität fehlt es den laut Kreativranking 2010
meistausgezeichneten Auftraggebern nicht. Text von Lisa Mang, Sarah Obernosterer
Augenschmaus. Mit Respektabstand holte
sich Mercedes-Benz Österreich die Krone
als erfolgreichster Auftraggeber beim diesjährigen Bestseller-Kreativranking: Mit
1.193 Punkten gab der Autokonzern ordentlich Gummi und ließ die Konkurrenz weit
hinter sich. Dahinter folgen das Österreichische Filmfestival für Menschenrechte mit
765 und der Vorjahressieger Mömax mit
471 Punkten.
Bestseller-Kreativranking 2010
Die Auftraggeber
Rang Auftraggeber
AwardsPunkte
national international
1
Mercedes-Benz Österreich
940
253
1193
2
This human world - Filmfestival für Menschenrechte 341
424
765
3
Mömax
383
88
471
4
Palfinger AG
37
418
455
5
T-Mobile
135
272
407
6
Leica
131
265
396
7
Stiegl
59
330
389
8
Tools at work
63
256
319
9
Verein Neunerhaus
0
304
304
10
Media 1
63
198
261
11
Reed Messe
165
92
257
12
Telekom Austria AG
116
128
244
13
Screenagers
45
195
240
14
BMW
60
158
218
15
Darbo
183
34
217
16
Mario Haller Schnaps
45
168
213
17
ÖBB
60
148
208
18
Neuroth AG
162
39
201
19
Wienerberger
23
172
195
20
Tscheppe Weine
23
168
191
21
Aids Hilfe Wien
120
70
190
22
Falter
189
0
189
23
Netdoctor
30
149
179
24
Naturhistor. Museum
150
26
176
25
Henkel
71
102
173
26
BauMax
105
56
161
27
Gut Oggau/Familie Tscheppe
75
74
149
28
Easy Motion
105
40
145
29
Andritz AG
0
144
144
30
Demner, Merlicek & Bergmann
114
28
142
46
Sich über das Alltägliche hinwegsetzen –
das ist laut Michael Oblasser, Leiter Marketing und Produkt-Management bei Mercedes-Benz Österreich, der Schlüssel zum
Erfolg. Er ist sich sicher, dass nicht nur die
normale Autofahrt in einem Mercedes zum
„Genuss“ wird, sondern auch die Werbung
für die Marke mit dem Stern zum „Augenschmaus gereichen“ darf. Ganz im „AutoMarketing-Sprech“ erklärt Oblasser, warum
die Werbung der Premium-Marke so erfolgreich ist: „Die Werbung verfolgt ein Ziel
und ist dennoch, oder gerade deswegen,
kreativ. Wir sehen – wie unser aktives Kurvenlicht – gerne besser und früher ‚ums
Eck‘ als andere. Dies ist in punkto Sicherheit genauso wichtig wie in punkto Kommunikations-Ausleuchtung.“ Und durch
­gute Ausleuchtung sieht man bekanntlich
nicht nur selbst besser, sondern wird auch
besser gesehen: „Werbung für MercedesBenz erkennen Sie bereits von weitem. Sie
ist unverwechselbar.“ Weiter aus der Masse
herauszuragen, ist denn auch die Ambition
für die Zukunft. Unterstützt wird MercedesBenz Österreich bei diesem Vorhaben von
Jung von Matt/Donau, bei der die „Vertrauensbasis“ einfach stimmt, so Oblasser.
Erfolgsrezept Mundpropaganda
Gleich 765 Punkte staubte das Österreichische Filmfestival für Menschenrechte als
Neueinsteiger unter den Top Drei im Kreativranking ab. Festivalleiter Johannes
Wegenstein glänzte mit Unterstützung der
betreuenden Werbeagentur, Wien Nord, sowohl bei nationalen, vor allem aber bei internationalen Awardshows. Beim ADC
Europe­gab es beispielsweise ebenso Gold
wie bei den Golden Awards Montreux. Dazu kommen Silber und Bronze beim New
York Festival beziehungsweise in Cannes.
Wegenstein sieht den Werberummel dennoch eher pragmatisch: „Ein gutes Produkt,
Bestseller 11|12 2010
Mercedes-Benz Österreich, this human world, XXXLutz-Grupp
Michael Oblasser, Marketingleiter
von Mercedes-Benz Österreich,
meint: „Wir setzen uns gerne über
das Alltägliche hinweg.“
Unverwechselbarkeit und überzeugende
Qualität“ sind laut ihm die wichtigsten Kriterien für gute Werbung, die für ihn in erster Linie aus funktionierender Mundpropaganda ­besteht. Ebenso wichtig sei es, die
Werbung bewusst und an ausgesuchten Orten zu platzieren. Imagepflege und die Auseinandersetzung mit Social Media, User Generated Content und Web 2.0 stehen
ebenfalls am Plan. Diese Tools sinnvoll abzustimmen, sei auch die große Werbe-Herausforderung der Zukunft. Generell werde
die „Vermittlung einer ‚neuen Ehrlichkeit‘
in Wirtschaft und Werbung“ nötig sein.
Kultstatus
Nach dem Sieg im Vorjahr als Gruppe belegt
die XXXLutz Group mit ihrer Vertriebsschiene
Johannes Wegenstein, Leiter des
Filmfestivals „This Human World“,
ist überzeugt: „Meine wichtigste
Werbung ist Mund­propaganda.“
Mömax auch dieses Jahr einen Platz ­unter
den Top Drei. „Kommunikation muss einfach, konsequent, durchgängig und
­unterhaltend sein. Zudem sollten alle kommunikativen Maßnahmen ein langfristiges
Element haben“, zählt Thomas Saliger,
­Werbeverantwortlicher des Möbelriesen, die
Kriterien guter Werbung auf. Auf Langfristigkeit, „gepaart mit Kreativität und Aktualität“, setzt er sowohl mit der betreuenden
Agentur, Demner, Merlicek & Bergmann, als
auch mit den „weitergedrehten“ Kampagnen seiner Möbelhäuser: Kultstatus hat
mittlerweile nicht nur die Familie Putz erreicht, sondern auch die humorige Mömax-
Kampagne „Lass dich nicht von deinen
­ öbeln blamieren“. „Kreativ ist, was dem
M
Kunden gefällt und ihn zum Lachen bringt
beziehungsweise dem Kunden auffällt“, ist
Saliger überzeugt. Dass das nicht nur den
Kunden gefällt, sondern auch den Jurierenden zahlreicher Kreativpreise, bestätigt ihm
das aktuelle Bestseller-Kreativranking. Die
Aufgaben für die (digitale) Zukunft sind
auch für ihn klar definiert: „Entscheidend
wird sein, den richtigen Media-Mix zu
­finden und richtig zwischen den Elementen
‚Markenaufbau‘ und ‚Promotion‘ zu vari­
ieren. Und natürlich beschäftigt uns das
­Thema ‚Social Networks‘.“
eIN orDeN FÜr aLLe, die SiCH fÜr
die neUe wirtSCHaftliCHKeit der
werbefilMProdUKtion entSCHeiden.
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„Kreativ ist, was dem Kunden
­gefällt und ihn zum Lachen
bringt“, so XXXLutz-Unternehmenssprecher Thomas Saliger.
Christian Boros ist Werber und Kunstsammler. Mit seinem Museum im
Privatmuseum. Mit dem „Bananenbunker“ fand Christian Boros die Herberge für seine Kunstsammlung. Oben am Dach baute er sich ein Traum-Penthouse.
48
Bestseller 11|12 2010
Der Zwangsvermittler
Bunker schuf er sich und der zeitgenössischen Kunst ein Denkmal.
Bestseller stattete dem Ästheten einen Besuch in Berlin ab.
Text von Sebastian Loudon
Boros Collection, Huber von Wald
Berlin Mitte,
Anfang November. An einem grauen Freitagnachmittag schleichen zwei Gestalten um
den sogenannten „Bananenbunker“ in Berlin-Mitte. Es ist kalt, viel
zu kalt für diese Jahreszeit. Und es ist feucht. Der Bunker, erbaut
1942, bekam diesen liebevollen Namen in den Fünfzigerjahren, als
er der DDR-Führung als Lager für Südfrüchte diente. Nach der
Wende war er Schauplatz der härtesten Techno-Feten in Berlin. Das
Gebäude ist quadratisch angelegt, hat auf jeder Seite einen Eingang.
Die beiden Figuren im Novembernebel sind auf der Suche nach
dem einen Eingang, der in eines der spektakulärsten Penthouses
Berlins führt. Dort oben auf dem Dach des Bunkers lebt seit zwei
Jahren Christian Boros mit seiner Frau Karen Lohmann und dem
gemeinsamen siebenjährigen Sohn. „Sie sind auf der falschen Seite
des Bunkers“, sagt Boros durch das Telefon. Er klingt geduldig, die
Bestseller-Reporter sind offenbar nicht die ­Ersten, die sich schwer
tun, auf Anhieb den richtigen Eingang zu finden. Umgekehrt läuten auch viele Museumsbesucher irrtümlich bei den Boros‘ im
sechsten Stock an. Museum? Im Bunker? Ganz genau. Vor zwei
Jahren machten Boros und Lohmann ihre Sammlung zeitgenössischer Kunst der Öffentlichkeit zugänglich. Im Berliner „Bananenbunker“. Und oben auf dem Dach stellten sie sich ihre Wohnung
hin. Mit dem Fahrstuhl geht es also durch die 3,1 Meter dicke Decke des Bunkers – bis das Loch im Stahlbeton frei war, vergingen alleine drei Monate, das wird sogar den Museumsbesuchern aus aller
Welt erzählt. Oben angekommen stehen die Besucher aus Wien vor
einer gigantischen Metall-Schiebetür. Für einen Moment fühlen sie
sich wie in einem James-Bond-Film, im Herzstück des Hauptquartiers des Bösewichts. Die Tür gleitet zur Seite, aber da steht kein Bösewicht, sondern Christian Boros, von Beruf Werber und seit 2008
Berliner Nebenerwerbs-Museumsdirektor.
Flüchtlingskind und Ästhetik-Stundent
Boros ist vielbeschäftigt – auch an diesem Freitagabend. Er muss
seinen Sohn abholen, und abends kommen Gäste. Dennoch gibt er
seinem Besuch keine Sekunde das Gefühl, er wäre nicht willkommen. Und er ist völlig unhektisch. „Bevor wir anfangen, möchte ich
noch eine Zigarette rauchen.“ Dafür gibt es nur einen Ort in dem
riesigen Loft, das man gemeinhin als atemberaubend bezeichnen
würde, nämlich unter der Edelstahl-Dunstabzugshaube in der Küche. Neben dem Herd steht bereits das geschnittene Gemüse für die
Gäste. „Heute wird groß aufgekocht“, sagt Boros, als er genüsslich
seine Zigarette raucht und zu erzählen beginnt. Von seiner Kindheit
im Flüchtlingslager, nachdem Boros‘ Eltern, als dieser sieben Jahre
alt war, aus Polen in den „goldenen Westen“ kamen. Von seiner Jugend in Köln, wo er keinen Sport betrieb, „viel zu spät“ mit Mädchen zu tun hatte, aber dafür bereits sehr früh mit Kunst in Berührung gekommen ist. Er erzählt von seinem ­Entschluss, bei Bazon
Brock in Wuppertal Ästhetik zu studieren, wo ihn Brock immer
­einen „Zwangsbeglücker“ genannt habe. „Weil ich die Dinge, die
ich gut fand, immer unbedingt allen anderen vermitteln wollte.“
49
50
stellen sollte. Boros, bestens bekannt mit
Wurm, war eingeladen und dachte sich
„Oh Gott, jetzt wird der Erwin eitel, jetzt
will er einen Prachtband über sein Lebens­
werk.“ Sein Vorschlag ging ins Gegenteil:
Was gibt es Ironischeres und Wahrhaftige­
res zugleich, als wenn ein erfolgreicher
Künstler in einem Buch über sein Lebens­
werk ebendieses als gescheitert oder eben
umgangssprachlich als „vergurkt“ darstellt,
dachte sich Boros und präsentierte das
„Gurkenbuch“, einen dicken Schmöker mit
einer großen Essiggurke im Relief vorne
drauf. „Ein Objekt, kein Buch“, sagt Boros
stolz, bevor er das Gespräch unterbricht:
„So, genug geraucht, setzen wir uns rüber.“
Erster oder Letzter
Wenn Boros mit seinen Ideen in eine Prä­
sentation geht, weiß er vorher schon ganz
genau: Entweder werde ich mit Abstand
Letzter, oder ich gewinne den Pitch haus­
hoch. Wie das geht, wollen wir wissen.
„Ich habe nie in meinem Leben in einer an­
deren Agentur gearbeitet, nicht einmal ein
Praktikum habe ich gemacht. Das heißt,
mir hat niemand jemals gesagt: Das geht
nicht, oder: So können wir das nicht ma­
chen. Nachdem mir dieser Abschleifungs­
prozess gefehlt hat und ich als Student oh­
nehin nicht viel zum Leben gebraucht
habe, ging ich immer kompromisslos ins
Viva liebt dich
Rennen. Und bald hat man von uns erwar­
„Unser Auftrag lautete: Zeig der deutschen
tet, dass wir Terror machen, wenn wir
Jugend, wie toll Viva ist“, erinnert sich
­Boros. „Und wir haben dem Kunden gesagt: ­unsere Pappen hochhalten.“ Ecken und
Kanten, das macht für Boros den Erfolg
Entschuldigt, aber in den Augen eines
aus – den der Kunst, den der Werbung und
Sechzehnjährigen ist Viva nicht toll. Ers­
tens ist MTV viel toller, und zweitens inter­ auch seinen eigenen. „Wenn ich kein Profil
habe, kann ich auch keine Spuren hinter­
essiert er sich ohnehin viel mehr für Pet­
lassen.“ Aus dieser Überzeugung resultiert
ting als fürs Fernsehen.“ Betretene Stille,
seine tiefe Abneigung, die Werbelinie von
nachdenkliches Schweigen, bis Boros fort­
Marktforschung abhängig zu machen.
fuhr: „Die imperativen Muster – ich sage
„Solche Aufträge nehme ich gar nicht an.
dir, was du von mir halten sollst – das
funktioniert nicht mehr.“ Das Ergebnis: Das Das ist ungefähr so, wie wenn ein Künstler,
um Erfolg zu haben, nur mehr gelbe Bilder
erste Sujet für Viva zeigte ein Pärchen, das
malt, weil er weiß, dass gerade gelbe Bil­
fummelnd unter einer Bettdecke versteckt
der angesagt sind. Wenn man in der Wer­
war. Ganz nebenbei ein Fernseher, auf dem
bung immer nur das produziert, was das
Viva lief. Und unten der simple Slogan:
normale Rezeptionsbewusstsein fordert,
­Viva liebt dich. „Was wir damals der
dann befriedigt man zwar existierende Er­
­Jugend gesagt haben, war: Wir sind nicht
wartungen, aber man überrascht nie, man
wichtig. Ihr seid es, die wichtig sind. Und
schafft nichts Neues, nichts – im wahrsten
wir sind für euch da.“ Bescheidenheit und
Sinne des Wortes – Merkwürdiges.“ Genau
Selbstironie – das sind die Hebel, mit de­
nen die Agentur Boros Communications ihr dieser Mut zu neuen Wegen ist für Boros
das, was die Werbung von der Kunst ler­
Ziel der Relevanzmachung verfolgt. Ande­
nen muss. Und was er selbst aus der Kunst
res Beispiel: Der österreichische Künstler
gelernt hat. Allerdings schränkt er ein:
Erwin Wurm bat zum Wettbewerb für ein
Buch, das sein bisheriges Lebenswerk dar­ „Werbung muss zwar mutig, darf aber nie
Bestseller 11|12 2010
Huber von Wald (2)
„Werbung muss mutig,
darf aber niemals leicht­sinnig sein.“ Christian Boros
Die Studienwahl erfolgte sehr zum Leidwe­
sen seiner Eltern, die nicht in den Westen
gekommen waren, damit ihr Sohn einen so
brotlosen Weg einschlägt. Diese Sorge war
unbegründet. Um sein Studium zu finanzie­
ren, begann Boros in Wuppertal als Werber
in Eigenregie. Was ihn dazu legitimierte?
„Ästhetik ist ja nicht nur die Lehre des Schö­
nen, Wahren und Guten, sondern letztlich
die Kunst des Vermittelns, des Relevanz­
machens. Und nichts anderes sollte Wer­
bung ja auch tun, und man kann nun ein­
mal damit mehr Geld verdienen als mit
Taxifahren“, sagt Boros. Es war ein Kava­
liersstart. Sein erster Kunde: Ein Musikleh­
rer aus Wuppertal kam mit der Idee eines
deutschen Musikfernsehsenders auf ihn zu.
„Er sagte, ich müsse mir einen Namen dafür
ausdenken.“ Der Musiklehrer heißt Dieter
Gorny, der Name, den sich Boros ausge­
dacht hat, lautet, erraten: „Viva“. „Das war
mein Initialkunde, und die erste Kampagne,
die ich dafür gemacht habe, war gleichzei­
tig das härteste Stück Werbung meiner
zwanzigjährigen Laufbahn.“ Moment, das
wollen wir genauer wissen! Und siehe da,
mit der folgenden Anekdote nimmt Boros
einen Gutteil der seit Jahren laufenden
­Diskussionen über Rolle und Tonalität der
Werbung vorweg.
leichtsinnig sein, denn schließlich arbeiten
wir mit dem Geld anderer Leute.“ Und
dann, nachdenkliche Kehrtwende: ­„Eine
langweilige Kampagne ist auch nur raus­
geschmissenes Geld.“
TV ist tot. Es lebe das Buch
Boros ist ganz verrückt nach Facebook. Er
hat mehr als zweitausend Freunde, kommu­
niziert rege mit ihnen, ist aber weit davon
entfernt, sich als Social-Media-Junkie titu­
lieren zu lassen. Seine Frau wundert sich
nur, sie ist Verweigerin. Für ihn als Werber
sind Social Media ein Riesenthema, das er
Ästhet. Der Werber und Kunstsammler Christian Boros empfängt Bestsellerim größeren Zusammenhang sehen will. Er
Chefredakteur Sebastian Loudon in seinem Loft, hoch oben auf dem Bunker.
ist sich mit Amir Kassaei, dem Kreativchef
von DDB Germany, in einem einig: „Die
Zaha Hadid, James Turrel, Jean Nouvel oder sehr visuelle Menschen.“ Die Eckpunkte
Werbung, wie wir sie kennen, ist tot. Nach
der Sammlung Boros: rund 500 Werke von
Olafur Eliasson. „Das ist pure Relevanz.
Dekaden des bezahlten Lügens muss man
57 Künstlern, darunter Namen wie Damien
Und glaubwürdig noch dazu.“ Nachsatz:
mit einer anderen Mechanik arbeiten. Und
Hirst, Olafur Eliasson, Elizabeth Peyton,
diese Mechanik heißt Relevanz.“ Die Medien „Eine Broschüre wird weggeworfen, für ein
Wolfgang Tillmans, Anselm Reyle, Manfred
Buch sagt man ‚Danke‘.“ Manchmal spielt
spielen dabei für Boros eine nachgelagerte
Pernice, Tobias Rehberger oder John Bock.
Rolle. Das traditionelle Fernsehen ist für ihn Boros die Marke seiner Kunden also be­
Olafur Eliasson, den Dänen, der in Berlin
ein aussterbendes Geschäft. „Ich kenne kei­ wusst herunter, um Glaubwürdigkeit zu er­
sein Studio betreibt und unterrichtet, zählt
reichen, wie im Fall von Viva, und dann
nen mehr, der Fernsehen guckt – die Men­
Boros zu seinen engsten Freunden, und er
wieder wird ein Produkt mit allen Mitteln
schen haben so wenig Zeit, da möchten sie
erhöht, wie es nur geht. Apropos: Die Agen­ war sein erster Sammler. Die „Boros Collec­
rezipieren, was sie wollen, und nicht, was
tion“ ist der Hotspot unter den Berliner
tur der Zukunft beschreibt Boros konse­
ihnen ein Programmchef gerade serviert.“
Museen. Führungen gibt es nur nach Vor­
quenterweise als eine „Gruppe von Fach­
Auch die Funktion des Fernsehens als Trä­
anmeldung im Internet, die Werke sind
arbeitern, die daran arbeiten, eine Marke
ger einer kollektiv erlebten Öffentlichkeit
relevant zu machen, und den Inhalt um die­ nicht gekennzeichnet („Das gefällt Herrn
sieht Boros ganz stark im Abnehmen. „Das
Boros nicht“, sagt die Führerin), teilweise
se Marke herum am Köcheln halten“. Kurze
gilt vielleicht noch für den ‚Tatort‘ oder
wurden die Räume für einzelne Werke
Unterbrechung. Boros‘ Frau kommt nach
‚Wetten, dass..?‘, aber wenn Sie an einem
­eigens und extrem aufwendig adaptiert. Für
Hause: „Liebste, läuft alles? Wann soll ich
Samstagabend mit 60 Freunden auf Face­
Materialfetischisten: Beim Bau wurde soge­
denn unseren Sohn abholen?“
book online sind und chatten, spüren Sie
nannter „Blauer Beton“ verwendet, der da­
die Gleichzeitigkeit und diese Gemeinschaft
mals widerstandsfähigste Baustoff, der erst
viel intensiver, als wenn Sie ahnen, dass Ihr Mit der Kunst unter einem Dach
Man kann nicht mit Boros zusammensitzen, nach 30 Jahren voll ausgehärtet ist. Man­
Nachbar auch gerade ,Wetten, dass..?‘
che Werke hingegen fügen sich perfekt in
ohne ihn über den Bunker auszufragen.
schaut.“ Eine große Zukunft steht, Boros
die existierende Architektur. Wenn Boros
„Auch hier will ich letztlich nichts anderes
zufolge, Print bevor, aber nur dann, wenn
als vermitteln.“ Seine Sammlertätigkeit wird an die jahrelangen Umbauarbeiten zurück­
es gelingt, die Haptik wirklich erlebbar zu
denkt, gerät er ins Grübeln: „Wenn ich ge­
von zwei Konstanten bestimmt, einer
machen. Aus dem Südflügel des Lofts holt
wusst hätte, wie aufwändig das wird, hätte
­formalen und einer subjektiven. Erstens
er dann einen Geschäftsbericht für das
ich es nicht gemacht. Das ist das Schöne,
kaufen Boros und Lohmann ausschließlich
­Vorarlberger Lichttechnik-Unternehmen
wenn man in schwarze Löcher springt.
Zumtobel. Wieder so ein Beispiel: „Ich habe Werke, die zum Zeitpunkt des Erwerbs
Man weiß nicht, wie groß die Fallhöhe ist.
nicht älter als ein Jahr sind, und zweitens:
den Herrschaften bei der Präsentation ge­
Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich nicht
sagt, ein Geschäftsbericht wird doch sowie­ „Ich interessiere mich nur für Kunst, die ich
hineingesprungen. Jetzt bin ich froh, dass
nicht verstehe, weil nur die das Potenzial
so weggeworfen. Darauf herrschte wieder
ich es gemacht, und vor allem, dass ich es
hat, mich weiterzubringen. Alles, was ich
dieses betretene Schweigen. Und dann
schlug ich ihnen vor, etwas zu machen, das ohnehin verstehe, muss ich nicht auch noch geschafft habe.“ Auf die Frage, ob für so
ein Megaprojekt mitten in Berlin nicht auch
eben nicht weggeworfen wird.“ Der Wälzer, tautologisch wiederholen.“ Und warum die
eine Portion Größenwahn von Nöten sei,
den Boros in den Händen hält, ist mit Weiß­ enge Eingrenzung auf zeitgenössische
Kunst? „Das sind die Werkzeuge der Gegen­ kann Boros nur milde lächeln. „Nein, aber
gold verziert und beinhaltet Essays von
wart. Meine Frau und ich wollen die Gegen­ Naivität.“ Aber dann doch wenigstens Sen­
dungsbewusstsein, der Wunsch, der Welt
wart verstehen und Hilfe für die Zukunft
ein großes Statement zu hinterlassen. „Ich
­suchen. Da interessiert mich das Statement
bin eben ein Zwangsbeglücker“, sagt Boros
anderer Menschen – das kann genauso ein
und lacht.
Buch sein, aber Karen und ich sind eben
Bestseller 11|12 2010
51
Design, das Geschichten erzählt
Upcycling – wenn verbrauchte Dinge ­
einen zweiten Sinn bekommen. Text von Birgit Schaller
Wiederentdeckt. Geduldig fädelt er Eisstiel an Eisstiel –
20.000 Stück ausrangierte Hölzchen werden händisch
­verwoben. Davor wurden in jeweils elf Stielchen mit der
selbst konstruierten Maschine Löcher gebohrt – eine Arbeit von Tagen für Innenarchitekt Arkadius Quittek. Endlich, die Lampe ist fertig: Sie kann ihre Form verändern
und strahlt Lagerfeuerromantik aus, zu kaufen auf der
Website von Zweitsinn. Zweitsinn ist ein Netzwerk von
Designern, die dem Ausgedienten, nicht mehr Geliebten,
einen zweiten Sinn geben. Eine ganz neue Generation,
anders als die „gefährliche Berufsgruppe Designer“, wie
sie der Gestalter Victor Papanek 1970 in seinem Buch
„Design für die reale Welt“ sah, „die billige Idiotien zusammenbrauen, die von Werbeleuten verhökert werden
und schließlich als bleibender Müll die Landschaft
­verschandeln“.
„Aus alt mach neu“ ist auch das Motto des deutschen
Gestalters von Recyclingmobiliar Oliver Schübbe. „Pixelstar“ heißen seine Sofas, die nicht nur auf der Architekturbiennale in Venedig, auf Messen und in Designeredelläden wie Hamburgs Stilwerk, sondern auch in
Wohnzimmer eingezogen sind. „‚Pixelstar‘ ist trashig, der
Holzkörper mit Schaumstoffwürfeln im
„Frank“, designed by Patchwork-Mix als Polsterung liegt im Trend.
Oliver Schübbe: Das
In Zeiten von Ikea, in denen Wohnungen imkurvige Regalsystem
mer ähnlicher werden, gibt es eine Sehnsucht
aus kombinierbaren
Sperrholzelementen
nach Möbeln, die Geschichten erzählen“,
ist inspiriert von den glaubt der Designer. Der 36-Jährige hat sich
Formen des Stararchitekten Frank Geary – auf die Neuinterpretation von Weggeworfe15.000 Mal verkauft. nem spezialisiert, weil er „schon als Kind
den Schrottplatz als riesige Inspiration empfand“ – und aus Überzeugung. Im Frühling war Schübbe
als Koordinator im Hintergrund für die ZDF-Dokumentation „Das Schrott-Hotel“ tätig – aus Sperrmüll entstand ein
Designerschuppen. Den ökologischen Ansatz weiter
­getrieben hat die Londoner Designerin Nina Tolstrup
mit ihrem „Pallet“-Project: Sie verkauft Anleitungen für
­Recycling-Produkte via Internet, denn die Rohstoffe seien
ohnehin überall verfügbar.
Müll in Hülle und Fülle
„In Deutschland landen jährlich sieben Millionen Tonnen
Möbel am Müll, weniger als zehn Prozent davon werden
wiederverwertet“, weiß Schübbe, der für seine Umsetzungen mit der Recyclingbörse, einer Müllsammelstelle, in
Herford zusammenarbeitet. „Vor 25 Jahren haben ein paar
Hippies alte Waren abgeholt, an Bedürftige weiterverkauft“, erinnert sich Udo Holtkamp, Geschäftsführer des
Vereins Arbeitskreis Recycling, der die Börse leitet. Inzwi-
Bestseller 11|12 2010
Schlicht und umweltschonend: Die
in London lebende Designerin Nina
Tolstrup verkauft Anleitungen für
­Recycling-Design im Internet: Die Rohstoffe dafür gibt es ohnehin überall.
schuebbe, AKR/recyclingbörse/v. MEtte, tolstrup
schen gibt es vier Müllplätze, zwei Werkstätten und drei
Läden, ab 1999 gab es einen Kunst-, und seit vier Jahren
gibt es einen Designpreis, der Altem neues Leben einhaucht. In der Holzwerkstätte der Börse werden Schübbes
Ideen mit Materialien und Maschinen vom Müll, auf „Low
Tech“-Art, von Langzeitarbeitslosen realisiert – der
Tischler­Joachim Ebert, Hartz IV-Bezieher, verdient sich so
ein Zubrot von 120 Euro pro Monat. Nicht nur der ökologische, auch der soziale Blickwinkel ist von Bedeutung.
Soziale Aspekte spielen mit
Auch das österreichische Designunternehmen gabarage,
Teil des Anton Proksch Instituts, bekannt als Suchtklinik
Kalksburg, ist ein sozialökonomischer Betrieb. Es wurde
2002 als Konzept im Rahmen eines EU-Förderprogramms
ins Leben gerufen. 25 Menschen mit Suchtproblematik
erhalten hier eine Arbeitsstelle. „Das Unternehmen muss
nach marktwirtschaftlichen Prinzipien funktionieren“,
sagt Gabriele Gottwald-Nathaniel, Verwaltungsdirektorin
des Instituts, Geschäftsführerin und strategische Leiterin
von gabarage. Insgesamt kostet gabarage rund eine Million Euro, 200.000 Euro müssen an Eigenerlösen erwirtschaftet werden. „Im Krisenjahr 2009 sind wir auf 95.000 „Soziale Thematiken schwingen aber genauso bei Unternehmen mit, die mit nachhaltig produzierten Stoffen
Euro heruntergesackt, weil große Kooperationspartner
­arbeiten“, weiß Gottwald-Nathaniel.
­ihre Budgets kürzten“, schildert die Sozialpädagogin die
angespannte Lage. Ein dreistöckiger Lampenschirm aus
Von Unternehmern, die anders ticken
eingefärbten Infusionsschläuchen, Sitzgelegenheiten aus
Biobaumwolle und Modedesigns für das junge Label Götalten Müllcontainern, Fußbälle als Blumenübertöpfe sind
tin des Glücks (GDG) werden ausschließlich in Partner„der letzte Schrei“ aus der Upcycling-Werkstatt, die Ausunternehmen der Entwicklungszusammenarbeit versponrangiertes aufwertet. Das gabarage-Standardprodukt, Planen, verstrickt, gefärbt und konfektioniert, bestätigt Lisa
nentaschen in immer neuen Variationen, beispielsweise
Muhr, Designerin und Mitgründerin von GDG: „Für ein
aus alten Hüpfburgen, haben immer Saison. „Jeder
faires Produkt gilt beispielsweise, dass sozial gerechte
Mensch ist ein Künstler und kann durch kreatives HanLöhne bezahlt werden, die sich nicht an Weltmarktpreideln zum Wohl der Gemeinschaft beitragen“, nach diesem Motto von Joseph Beuys erhalten die Mitarbeiter von sen orientieren. Unternehmer, die nachhaltig arbeiten, ein
Zotter oder die Druckerei gugler, ticken überhaupt anders,
gabarage nach einer Einschulungsphase die Möglichkeit,
auch wirtschaftlich – es geht nicht um Gewinnmaximieeigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Ziel ist die
rung, sondern um Würde.“
Qualifizierung und Wiedereingliederung der Menschen
in den Arbeitsmarkt und ihre Entstigmatisierung.
4.000 Zeichnungen für Schokoschleifen
Andreas Gratze, Designer der Schleifen von Zotter
Das von Frank Geary
­Schokoladen, wird von ähnlichen Themen bewegt: „Ich
­ge­staltete Museum Marta
in Herford zeigt jährlich die
arbeite am liebsten und nur mit Menschen, für die das
Siegerideen des Deutschen
Leben mit Natur, Tier und Mitmensch keine Frage der
­Recycling Designpreises: HeuWirtschaftlichkeit
ist. Es geht oft um kleine Gesten.“ So
er war „Murx“ von ­Jeanette
Jakob siegreich: ein Hocker
zeichnet und gestaltet der Steirer, der in Berlin lebt für
aus ausgedientem PVC-Rohr
Zotter. Aber auch für die Imkerei Wagner, die Biohonig
und Traktorschläuchen.
erzeugt, eben prämiert mit dem steirischen Landespreis
2010, oder den zwischen Deutschland und seiner Heimat
53
Upcycling by gabarage: Menschen mit
Suchtproblematik, von der Gesellschaft
ausgegrenzt, gestalten aus ebenso
Ausrangiertem neue Produkte.
pendelnden Griechen Teberkides, der mit Olivenöl handelt und ein Pionier der Bio-Bewegung ist. Gratze stand
als gelernter Koch zunächst selbst mit Josef Zotter im
Kaffeehaus. später wechselte er die Seiten und zeichnete
die ersten Banderolen: „Es waren jene mit einem Teuferl
für Schlingel und einem Nikolo für die Braven.“ 4.000
Zeichnungen für beinahe alle Zotter-Sorten hat er in 14
Jahren designt. Für die Grafiken lässt sich Gratze von der
Schokolade inspirieren: „Manchmal koche ich das Rezept
nach, ich integriere die Länder, wo Zutaten herkommen
oder arbeite anlassbezogen, mal abstrakt, dann wieder
figural.“ Thema Nachhaltigkeit: „Wir experimentieren intensiv mit Papiersorten und verwenden umweltfreundliche Farben und Lacken, die möglichst geruchsneutral
sind“, beschreibt Gratze. Das Papier sei immer zertifiziert, käme aus nachhaltiger Forstwirtschaft oder sei reines Altpapier. Der verwendete Kunststoff, beispielsweise
für Schokospritzen, sei zu 70 Prozent biologisch abbaubar, versichert er und: „Wir sind immer
auf der Suche nach den letzten 30 Prozent.“ Es ist nicht
ganz einfach, denn natürliche Papiersorten verändern
die Farben, hier muss nachkorrigiert werden. Es ist ein
stetiger Prozess.
Kann viel Müll auch zu wenig sein?
Die Sache mit dem Material ist überhaupt so eine Sache.
Während gabarage in Wien inzwischen wählen kann, haben andere bereits mit Engpässen zu kämpfen. Denn die
Gestaltung von „Wohnambiente mit Fehlerästhetik“ hat
ihre Tücken. Für das erfolgreichste Produkt von Oliver
Schübbe, „Frank“, ein Regalsystem, das sehr kurvig
anmutet und von dem innerhalb der letzten drei Jahre
bereits 15.000 Stück verkauft wurden, gibt es in Herford
Zotter Schokolade wird in Altpapier aus nachhaltiger Waldwirtschaft verpackt,
bedruckt mit umweltschonenden Farben und Lacken, darauf achtet der Künstler
Andreas Gratze. Er zeichnet und gestaltet seit 14 Jahren beinah jede der Banderolen.
einen Produktionsstopp – es fehlt das nötige Holz. „Ab
1.000 Stück wird es knapp“, weiß Materiallieferant Udo
Holtkamp von der Herforder Recyclingbörse. Zum trendund umweltbewussten Konsumverhalten passen Müllmöbel perfekt. Doch: „Wir haben versucht, mit Möbelhäusern zu kooperieren. Aber die fanden es zu
aufwändig, altes Material zu bearbeiten. Die neuen Maschinen sind nicht dafür gemacht, und die Herstellung
mit neuem Material ist schlicht weniger arbeitsintensiv
und – billiger.“ „Frank“ gibt es seit kurzem auch in Tel
Aviv und Barcelona, aber auch das ist eine Herausforderung. In Israel läuft es ähnlich wie in Berlin: Alte Möbel
werden einfach auf die Straße gestellt, und jeder kann sie
mitnehmen, somit gibt es keine Sammelstellen, und die
Altmöbel sind kaum aufzutreiben. Auch die Produktion
der Eisstiel-Lampe von Quittek wurde vorübergehend eingestellt: „Der Hersteller möchte aufgrund einer möglichen
Verletzungsgefahr durch die Stielchen keinen Ausschuss
mehr zur Verfügung stellen – sicher ist sicher.“ Und – die
angefragte Menge wird langsam schwer zu bewältigen.
Severin Filek, Geschäftsführer des Interessensverbandes
Österreichischer Designer, designaustria, bestätigt, dass
nicht alle Materialien in ausreichenden Mengen verfügbar
seien. Anlässlich der heuer erstmaligen Auslobung des
redesign@(net)work Awards, der Reuse-Designprojekte
Bestseller 11|12 2010
thomas.m.jauk/stagepicture, zotter/Gratze, S. krimshandl-tauscher/garbarage, quittek
auszeichnet, wurde eine Untersuchung durchgeführt.
Das Ergebnis: Autoreifen, Kartonagen, Tetrapak und Textilien gibt es in großen Mengen – Filmdosen, Glasflaschen
oder Kleiderbügel dagegen kaum. Den Award gewonnen
hat jedenfalls der „Fa(hnen)beu(tel)“ von Maren Krämer.
Der Designprototyp aus nicht mehr benötigten Fahnen
­diverser Events wird nun von gabarage erstproduziert.
Arm, aber glücklich?
Filek glaubt, dass es generell schwer ist, Fuß zu fassen:
„Es gibt kaum Verdienstmöglichkeiten, und nur wenige
Menschen kaufen Produkte aus Altstoffen. Auch deshalb
findet sich häufig ein arbeitspolitischer Gedanke wie bei
gabarage.“ Dazu passt, dass auf Müllprodukte in
Deutschland nur sieben Prozent Mehrwertsteuer angesetzt sind, „wohl weil Müll keinen Wert hat, das Material
bereits abgeschrieben ist“, witzelt Schübbe. GottwaldNathaniel ist jedenfalls bemüht, so wenig als möglich zuzukaufen, auch wenn sich „manche Kunden wünschen,
dass die Dinge aussehen wie neu. Es ist eine Gratwanderung, aber wir produzieren nachhaltige Produkte.“ Und
Holtkamp erzählt: Das Regal „Frank“ wird inzwischen
auch über Fachzeitschriften verkauft, diese retuschieren
die Fotos: „Da gab es schon Reklamationen, als die Kunden die wilde Holzmischung, die Schrammen und Kratzer sahen.“
Eines ist klar: Es gilt, längerfristige Partnerschaften zu
etablieren, sei es in Form von Großaufträgen wie ein Auftrag für -zigtausende Taschen für den Aidshilfe-Kongress,
oder auch, dass Transitmitarbeiter in ein Unternehmen
wechseln können. „Meine Vision wäre aber ein Produkt,
das so erfolgreich ist, dass es gabarage trägt. Dann könnte
ich in allen Bereichen experimenteller werden und zum
Beispiel Mitarbeiter dauerhaft einsetzen“, wünscht sich
Gottwald-Nathaniel. „Mittlerweile kann ich ganz OK leben,
aber es war ein langer Weg in der zehnjährigen Selbstständigkeit. Doch das Schöne ist, wenn Beruf und Hobby verschmelzen“, so Schübbe. Es ist ein harter Weg. Josef Zotter
musste 1996 Insolvenz anmelden, bevor er mit der eigenen
Produktionsstätte durchstartete, 2009 launchte er den
­Franchise-Schoko-Laden, und heuer war Zotter als erster
­Österreicher Protagonist einer Harvard Business School
Case Study. Und Lisa Muhr und ihre drei Designer-Kollegen von Göttin des Glücks können laut Businessplan ab
2012 erstmals allein vom Geschäft der „Göttin“ leben. Und
wie lebt es sich heute? „Sehr sparsam eben“, lacht sie.
Trotzdem: Das Geschäft floriert – „unser eigener Stil aus
Streetware und alltagstauglicher Mode mit Charme und
Humor gefällt, der Nachhaltigkeitsaspekt auch. Das
­Bewusstsein ist größer geworden, das spüren wir.“
Bestseller 11|12 2010
Second Hand ist sexy
Gottwald-Nathaniel denkt weiter: „Es geht um eine Vernetzung, das Kennenlernen unbekannter Lebens- und Arbeitswelten, eine gegenseitige Befruchtung. Kunst hatte ja
immer schon den Anspruch, gesellschaftsverändernd zu
wirken.“ Und es tut sich etwas: „Ab 2012 wird der neue
Studienzweig Social Design eingeführt“, informiert Gerald
Bast, Rektor der Angewandten. „Hier geht es nicht um
das Gestalten goldener Puderdosen, sondern die Lösungssuche für drängende gesellschaftliche Probleme von Überalterung über Mobilitätsprobleme bis zu ökologischen
und interkulturellen Thematiken.“ Ein Hauptthema wird
die Querverbindung zwischen sozialen, technischen oder
stadtplanerischen Studienzweigen sein.
„Die letzten fünf Jahre ist viel passiert, es war ein richtiger Hype. Aber der relevanteste Punkt ist die Bewusstseinsschaffung. Mit dem Designpreis möchten wir zum
Umdenken anregen. Es geht um Müllvermeidung und –
Second Hand ist einfach sexy. Die prognostizierte Rohstoffknappheit regt die Diskussion weiter an“, macht
Holtkamp von der Recyclingbörse seine Position klar. Es
ist wohl an der Zeit für Veränderung, schon Victor Papanek warnte: „Wenn wir unseren Besitz wie Müll behandeln, Produkte wechseln, bevor sie ausgedient haben, immer nach der neuesten Mode gehen, dann werden sich
die Gegenstände in enormen Stückzahlen, wie sie durch
die Massenproduktion möglich geworden sind, gegen uns
wenden, als wären wir moderne Zauberlehrlinge.“ Schübbe streicht das Positive hervor: „Die höchste Stufe wäre
natürlich das Cradle-to-Cradle-Prinzip, das vom Chemiker
Michael Braungart entwickelt wurde. Aber solange wir
keine Produkte haben, die sich am Ende aufessen lassen,
wollen wir zu i­hrer Lebenszeitverlängerung und zu einer
CO2-Reduktion in der Atmosphäre beitragen.“ Die Sehnsucht nach einer besseren Welt lebt.
Tausende Eisstiele aus
­Buchenholz, die aufgrund
kleiner Fehler aussortiert
wurden, sind das Material,
aus dem Designer Arkadius
Quittek seine kunstvollen
Leuchten herstellt.
55
Ich weiß, wo Du bist
Geobasierte Dienste erfreuen sich gerade größter Beliebtheit
bei Usern – nur: Ohne Angebote kein Nutzen Text von Dagmar Lang
Ortes. In den USA, wo ortsbezogene Dienste
eingecheckt war, wird „Bürgermeister“ in
Location Based Services. Was für ein
bereits von vier Prozent der Amerikaner
diesem Garmin-Store und kann ein
sperriger, technischer Begriff. „Fourgenützt werden – sie sind zwischen 19 und
Navigationsgerät gewinnen. Ob sich der
square“ kann man fast nicht tippen.
35, männlich und weisen gute Schulbildung
Und „GPS-basierte Geo-Dienste“ klingt Aufwand für 3.400 Foursquare-Nutzer in
auf –, sind Firmen wie Starbucks schon
Österreich bezahlt macht? „Garmin ist nun
auch nicht wirklich sexy. Und denlängst marketingmäßig unterwegs, indem
einmal ein sehr innnovatives Unternehmen,
noch ist es – zumindest in den USA –
sie für Empfehlungen, oftmaliges Einchedaher passen auch solche
der volle Renner. Einfach die GPScken und Bekanntmachen der Standorte
First-Mover-Aktionen“, ist
Funktion im Handy aktivieren, sodass
an andere Nutzer Rabatte, Freigetränke
Matthies überzeugt. Wo bleider aktuelle Aufenthaltsort geortet
oder andere Vergünstigungen gewähren.
ben die anderen First-Mover?
werden kann, und staunen, welche
In Österreich sind derzeit wenig BestAngebote einem rundherum gemacht
Würstelstandmajor
werden. Hierzulande hat es sich
Practice-Beispiele bekannt. Einer von
Foursquare ist mit vier Millionen Usern
schnell ausgestaunt, denn da gleicht
ihnen ist Michael Vesely, der für
weltweit einer der größten Locationdie Foursquare-Welt eher einer riesisein Lokal „Reisinger am SalzBased-Services-Anbieter – daneben
gen leeren Halle mit Echohall. Keine
gries“ Foursquare nutzt und
Matthias Kimpl,
PXP interactive
gibt es noch andere wie Gowalla
Shops, keine Anbieter, keine Promojedem, der bei ihm einservices & solutions:
checkt, ein Getränk gratis
oder Brightkite. Ihr Prinzip der Lotions. Die Marketer dieses Landes
„Interessant für
anbietet und für seinen
kalisierungsdienste ist ziemlich ähnscheinen ortsbezogene Dienste noch
alle Betriebe im
Tourismus.“
„Bürgermeister“ einen Gutnicht für ihren Marketingplan entdeckt lich: Man lädt sich das Programm
schein parat hält. Ottakringer
auf sein Smartphone, das drei Signale
zu haben. Doch halt! Seit wenigen
hat alle Würstelstände, die ihr
von drei GPS-Satelliten empfängt, somit
Tagen gibt es sie wirklich on Air, eine
Bier verkaufen, als Orte angelegt,
wird das Handy „geortet“, und der Benutzer
der ersten österreichweiten POS-Prosozusagen als ersten Schritt.
kann sich einloggen. Dann werden „Orte in
motions auf Foursquare, initiiert von
Florian Matthies, Creative Director der der Nähe“ angezeigt, in die man sich einchecken kann. Bei Foursquare, das laut dem Horror vor Push-Angeboten
Agentur Home – Digital Full Service,
Mathias Kimpl, Senior-Stratege der PXP
Social-Media-Experten Anton Kutscherauer
für den Navigationsgerätehersteller
interactive services & solutions, der seine
(Loebell & Nordberg) eine Kernzielgruppe
Garmin. Über den GeolokalisierungsKunden zu allen Aspekten des E-Commerce
von 13 bis 25 Jahren aufweist, überwiegt
dienst Foursquare wurden zu diesem
berät, erklärt: „Ortsbezogene Dienste wären
dann der spielerische Charakter. Man samZweck in den 15 größten Einkaufsim Prinzip seit vielen Jahren möglich gewemelt Punkte fürs Einchecken, das
zentren Österreichs virtuelle
sen. Die Mobilfunkbetreiber konnten ihre
Anlegen neuer Orte und Badges
„Garmin Stores“ als Venues
Karl Kollmann,
Kunden immer orten, doch sie haben sich
als Auszeichnung für Akvititä(Orte) angelegt, in denen sich
Arbeiterkammer:
„Es muss diesen
aus Gründen der möglichen Privatsphäre
ten. Wer an einem Ort innerder Benutzer von Foursquare
virtuellen roten Knopf
dagegen entschieden.“ Kimpl sieht den
halb eines Zeitraums am
über sein Smartphone eingeben, mit dem man
Marketingnutzen
der ortsbezogenen Dienste
meisten
„eingecheckt“
war,
ist
checken kann. Wer am Samsalles wieder abdrehen
kann.“
„Mayor“ (Bürgermeister) dieses in erster Linie für Gastronomie, Hotellerie,
tag um 18 Uhr am öftesten
Tourismusorte, Skigebiete und Tourismusregionen, die an der Verbreitung ihrer Locations interessiert sein müssen. Das gilt auch
Sabine Hoffmann,
für den stationären Handel, der mit Fourambuzzador:
square und Co. regionale Angebote bewer„Zu wissen, wo der
ben kann, meint Vera Steinhäuser, Head of
Kunde sich aufhält,
und ihn mit passenden
Digital bei DDB Wien. „Die wichtigste Frage,
Angeboten abzuholen,
die sich ein Unternehmen stellen sollte, ist,
hat schon was.“
welchen Mehrwert man dem Kunden passend zur Marke anbieten kann.“ Steinhäuser
ist überzeugt, dass große Autofirmen oder
die ÖBB durchaus eigene Plattformen ins
56
Bestseller 11|12 2010
SHUTTERSTOCK, PETER SVEC, STEFAN CSAKY, LUKAS BECK, KARL MICHALSKI, LOEBELL&NORDBERG, BRAIN INJECTION, OGILVY
Frido Berger,
Draft FCB:
„Wir müssen aufpassen,
dass wir den Kunden
nicht auf den Keks
gehen.“
Anton
Kutscherauer,
Loebell & Nordberg:
„Digital Natives haben
eine völlig andere
Einstellung zum
Thema Privatsphäre.“
Beratungsagentur. „90 Prozent
Leben rufen können, wenn der Mehrwert
meiner Studenten kennen
für den Nutzer ein nachvollziehbarer und
Foursquare nicht, auf Facebegehrter ist. Für Steinhäuser sind dabei
book sind sie aber alle.“
zwei Dinge entscheidend: Opt-in- (der KunSeitens des Social-Mediade muss den Dienst aktivieren) statt OptNetzwerks wird noch vor dem Start in Ösout-Strategien (Kunde muss aktiv sagen,
dass er den Dienst jetzt nicht will) und Pull- terreich ausdrücklich betont, dass Facebook
statt Push-Lösungen. „Eine Horrorvision ist, das Thema Privatsphäre sehr ernstnimmt,
eine echte „Opt-in“-Strategie fährt und in
dass der Kunde an einem Geschäft vorbeigeht und eine SMS bekommt, er möge doch den Grundeinstellungen die „Orte, an denen
man sich aufhält“ nur für Freunde sichtbar
reinkommen, hier gäbe es gerade ein Sonsind, aber „natürlich lässt sich alles sperderangebot.“ (Steinhäuser)
ren“, so versichert man seitens Facebook.
Frido Berger, CEO der Draft FCB, geht
Für Skibicki ist klar, dass Dienstleister, Gastnoch einen Schritt weiter. „Menschen verronomie und der Handel sich diese Chance
halten sich im Netz völlig unterschiedlich.
attentätern oder Scharfschützen werden.“
Das macht das Marketing auch so schwierig. „nicht entgehen lassen können“. Eine kosAber nicht nur im Krieg empfiehlt sich Vortenlose Pflichtübung sei es, die Standorte
Ich sage daher zu unseren Kunden immer:
als „Orte“ in allen bekannten Diensten einSchauen wir uns das gemeinsam an und lesicht. Arbeitnehmer, die
im Krankenstand auf
zugeben. Skibicki sieht in den ortsbezogegen nicht einfach drauf los.“ Berger setzt
Facebook als Ort
nen Diensten sogar eine Chance für kleine
auf den gesunden Menschenverstand.
Elisabeth
„Strandcafé Alte Do„Durch die Omnipräsenz der Medien müssen Unternehmen wie Friseure.
Pechmann, Ogilvy:
„Potenzial nicht nach
nau“ angeben, könwir stark aufpassen, dass wir den Men„Da kann man doch punktgenau die
dem beurteilen, was
nen sich schon auf
schen nicht auf den Keks gehen.“
Auslastung steigern, indem man
man zur Zeit sieht.“
die Entlassung durch
Sabine Hoffmann, Geschäftsführerin
mitteilt, dass in den nächsten
den Dienstgeber vorder Agentur ambuzzador, sieht die
zwei Stunden der Haarschnitt
Prof. Klemens
Skibicki:
ortsbezogenen Dienste durchaus
nur die Hälfte kostet.“ Für
bereiten. Dr. Hans Tren„Riesenchance
als „Marketingtool der Zukunft“:
eigentümergeführte
Betriebe
ner,
Leiter Serviceleistungen
für lokale
„Zu wissen, wo der Kunde sich aufwahrscheinlich sogar einfaAK Wien: „Arbeitsrechtlich ist es
Dienstleister.“
das Gleiche, ob man im Krankenstand
hält, und ihn mit einem passenden
cher umzusetzen als für einen
bei einer unerlaubten Tätigkeit geseAngebot abzuholen, das hat schon
Filialisten. „Jede Aktion, die behen wird oder der Arbeitgeber über die sowas.“ Frido Berger sieht es etwas diffeworben wird, muss auch umgesetzt
zialen Netzwerke, sei es jetzt Facebook oder
renzierter: „Mehr denn je gilt
werden, sonst ist die Frustration beim
andere, mitbekommt, dass man sich unkorKunden groß“, meint der Marketingvordabei: Ich muss meinen Kunstand einer Bekleidungsfirma. „Also einfach rekt verhalten hat.“ Fälle, dass Arbeitnehden kennen. Ein Vegetarier
mer im Krankenstand Fotos von wilden Fedrauflosstarten ist nicht.“
fängt mit Sonderangeboten
ten auf Facebook posten, gäbe es genügend,
für Burger nichts an.“
und sie gehen für den Arbeitnehmer meisIm Krankenstand im Strandcafe
tens nicht gut aus. Trenners Kollege Karl
Für die älteren Semester stellt sich im ZuHaarschnitt für die Hälfte
Kollmann von der konsumentenpolitischen
sammenhang mit Facebook Places auch die
Für alle befragten Experten ist eines klar:
Abteilung kriegt ob der Sorglosigkeit der BeFrage, ob man wirklich jedem mitteilen
Der Start von Facebook Places, der in den
nutzer überhaupt die Krise. „Es ist unglaubmöchte, wo man sich gerade aufhält, und,
USA, Japan, Großbritannien, Kanada, Austlich, wie leichtsinnig die Leute sind“, sagt
welche Gefahren sich daraus ergeben könnralien, der Schweiz, Frankreich, Italien und
Kollmann, der sich dafür einsetzt, dass die
zuletzt Deutschland schon erfolgt ist und in ten. Bild.de berichtet, dass das britische
Verteidigungsministerium seine Soldaten ge- „aktive Deaktivierung aller dieser Dienste“
Österreich „bevorsteht“ (so ein Facebookgesetzlich verpflichtend ist. „Es muss dieSprecher), wird die Bedeutung der ortsbezo- warnt hat, diese Dienste zu nutzen: „Wer
sen virtuellen roten Knopf geben, mit dem
etwa im Einsatzgebiet seine aktuelle GPSgenen Dienste „revolutionieren“, meint
man alles wieder abdrehen kann“, wünscht
Position über das Internet verrate, könne
etwa Klemens Skibicki, Kommunikationser sich. Große Unterstützung seitens
schnell zum Anschlagsziel von Selbstmordwissenschaftler aus Köln und Inhaber einer
Bestseller 11|12 2010
57
Foursquare-Anfänge im Selbstversuch
der Bundesregierung spürt Kollmann
im Augenblick nicht: „Da sind wohl
jetzt gerade andere Themen im Fokus.“
Schluss mit Schwindeln
Social-Media-Experte
Anton Kutscherauer
Vera Steinhäuser,
DDB Wien:
sieht diese Probleme
„Welcher Mehrwert
zwar auch, doch er
passt zu meiner
glaubt nicht an die
Marke?“
Beeindruckbarkeit der
„Digital Natives“ damit.
Die jugendliche Zielgruppe,
die mit dem Handy und mit Facebook aufgewachsen ist, hat eine
völlig andere Einstellung zum Thema Privatsphäre. Doch selbst sie
wird manchmal nachdenklich. Alexandra, 17, Schülerin aus München
und seit 5. Oktober auf Facebook mit
„Places“ unterwegs, beklagt als negative
Begleiterscheinung, dass man „sich
jetzt nicht mehr so leicht rausreden
kann, wenn man jemanden nicht treffen möchte“, weil der „ja weiß, wo du
bist“. Die berühmten „White Lies“. Aus
die Maus. Dieser Aspekt
könnte ein Punkt sein,
weshalb die ortsbeFlorian Matthies,
zogenen Dienste
Home Digital
Full Service:
vielleicht doch
„Erste österreichweite
nicht so hypen
POS-Promotion mit
werden wie erwarvirtuellen Stores
für Garmin.“
tet. Da Österreich
in der digitalen Kommunikation der internationalen Entwicklung „extrem
zurückliegt“ (Berger), wird die
tatsächliche Entwicklung absehbar sein. „Wir diskutieren
international schon den Einsatz der Location-based Services für die politische Kommunikation“,
verblüfft Elisabeth Pechmann von Ogilvy. Und: „Man darf das Potenzial der
ortsbezogenen Dienste nicht nach dem
beurteilen, was man im Augenblick
sieht oder erlebt. Da kommt noch sehr
viel mehr.“ Na, warten wir’s ab.
58
Nach zwei, drei Gesprächen war mir klar: Wenn ich wirklich wissen
will, was das alles bringt, dann muss ich es selber testen. Also einmal Foursquare am firmeneigenen Blackberry registriert und daheim
gleich eingeschaltet. Das Donauzentrum ist nicht nur in Sehweite,
sondern offensichtlich in GPS-Reichweite, denn mein FoursquareAccount fordert mich auf, mich doch dort einzuchecken. Nicht sehr
authentisch von der Terrasse der Wohnung, aber bitte, doch recht
bequem. Also jetzt geht ja wohl gleich die Post ab bei Wiens größtem Einkaufszentrum, das sich erst vor kurzem verdoppelt hat. Ich
checke ein und erfahre, wer der Bürgermeister des Donauzentrums
ist – da ich ihn nicht kenne, ist es mir doch eher egal. Also dann mal
die Möglichkeiten aktivieren: „Friends“ – na kein Wunder, da ist
keiner, hab ja auch keinen eingeladen. „Places“: Da kommen einige
Donauzentrum-Shops, aber kein einziges cooles Angebot, nicht mal ein
Espresso wird mir angeboten. Also
dann mal „Tipps“: Die sind auch eher
mäßig, denn dass es im Cineplexx
Lokale gibt, in denen man gute
Burger essen kann, weiss ich als Anrainerin schon lange. Gähn! Mehr ist
da nicht? Schauplatz City:
Mein Versuch, mich im
Haas & Haas einzuchecken,
scheitert an der Meldung,
Schon eingecheckt, aber kaum
dass ich schon eingecheckt
Angebote – Dagmar Lang
sei. Wie geht denn das? Im
(Herausgeberin Bestseller)
wagte den Foursquare-Selbstneu eröffneten Billa Corso
versuch via Blackberry.
Herrenhuterhaus versuche
ich mein zweites Glück an
diesem Tag, Pech gehabt,
den gibt es als Venue noch
nicht. Tage später erfahre
ich dann, ich hätte ihn anlegen und zehn Punkte kassieren können
… Irgendwas in mir wird ehrgeizig: In den „3 Hacken“ versuche ich
am Abend nochmals mein Glück, bekomme wieder die Meldung, ich
sei schon eingecheckt, und dann der große Absturz. Blackberry
haucht das Leben aus, zumindest vorübergehend, aber hartnäckig,
denn zehn Versuche, die Batterie zu entfernen und das Teil zu resetten, werden mit der Meldung „Sim ungültig“ abgestraft. Der Leiter
der EDV-Abteilung versichert, das wäre ein ganz komischer Zufall
gewesen, holt im A1 Shop eine neue SIM-Karte und gestattet mir,
den Versuch, Foursquare zu testen, in München zu wiederholen.
Schuhmanns Bar ist meine erste Location, und mein Check-in fällt
zunächst einmal ins Wasser: „Your company network does not allow
check in“, teilt mir mein Foursquare-Account in roten Lettern mit.
Beim zweiten Versuch geht es dann doch, aber das Bild gleicht dem
Wiener Szenario: Verweis auf andere Gaststätten in der Nähe, aber
nicht das geringste Promotion-Angebot … In den „Fünf Höfen“ wird
mir mitgeteilt, dass es „bei Vapiano coole Pizzen gibt“. Auf dem Weg
zurück nach Wien erfahre ich, dass demnächst die erste österreichweite POS-Promotion auf Foursquare startet, na bitte, na endlich,
also doch.
Bestseller 11|12 2010
GERHARD SCHMOLKE, HOMEDIGITAL, LANG
Zwischen München und Wien
ist die digitale Welt noch leer
walter braun
Kommentar
braun
Verlangt das Web eine
völlig neue Marketingdenke?
Es mutet wie eine kleine Ewigkeit an, seit der „Information Highway“ heiß
debattiert wurde. Das Web hat seither unser Leben beeinflusst wie nur
­wenige Entwicklungen. Die radikale Veränderung scheint die Marketingwelt
in zwei Lager gespalten zu haben: auf der einen Seite „digitale Hitzköpfe“,
die voller Überzeugung behaupten, traditionelles Marketing wäre überholt.
Ihnen gegenüber die „Bewahrer“, die Online-Marketing immer noch für einen
­Feldversuch halten.
Beide Seiten können gute Argumente ins Feld führen – was den Spannungszustand erklärt. Zumindest drei Konfliktbereiche sind auszumachen:
. Branding hat nur einen einzigen Zweck: einer namenlosen Ware eine
­Identität zu verleihen, damit das Produkt aus der Masse der Angebote herausragt. Diese Markenpersönlichkeit attraktiv zu halten, verlangt laufendes
Investment, um die Botschaft der Kernwerte zeitgemäß zu gestalten. Das
Internet wirkt in gewissem Sinne in die entgegengesetzte Richtung: Bei
­dermaßen viel Chaos und Millionen Web-Sites möchten die Nutzer die
­Auswahl reduzieren. Sie erreichen das, indem sie sich an das Vertraute
­halten (falls Sie, liebe Leserin, werter Leser, ein täglicher Google-Nutzer
sind: Wie oft haben Sie Bing ausprobiert?). Verbraucher im Web wollen
sich nicht jeden Tag ein neues Interface antun, weshalb man sich an das
Gewohnte hält.
. Werbung in klassischen Medien hat den primären Zweck, das Image einer
Marke durch einen fortlaufenden Erzählfaden lebendig zu halten. Digitale
Medien tun genau das Gegenteil: Die lineare Erzählform wird in vielfache
Betrachtungswinkel und einander überschneidende Erzähl­ebenen aufgesplittert. Online will jeder seinen eigenen Senf dazugeben (weshalb alle
­Medien-Sites großzügig Platz für Kommentare einräumen). Über Nacht
kann sich eine neue Idee wie ein Feuerbrand rund um die Welt ausbreiten,
hinausgetwittert, gemailt, telefoniert etcetera. Völlig unvorherseh- und
­-kontrollierbar. Können Marken sich dieses Risiko leisten, indem sie ihre
Werbung durchlässig für Verbraucher-Feedback machen? Fraglich. Der
­einzige Grund, w
­ arum traditionelle TV- und Printwerbung immer noch
funktioniert, ist schlicht ihre Vertrautheit. Aber ohne Kommunikation in
den neuen Kanälen werden die alten Botschaften austrocknen.
. Angesichts der überwältigenden Flut neuer Medien können die Menschen
gar nicht anders, als abzuschalten. Den Werbedruck zu erhöhen, kann da
wenig bewirken. Einfach aus Prinzip „schrill“ zu werden, bloß um Aufmerksamkeit zu erzwingen, ist riskant (und, wenn alle es tun, ein garantierter Flop). Werbung als überwältigendes Massenphänomen ist ein
­Ärgernis, kein Ereignis. Irgendwelche Belanglosigkeiten als „bedeutend“
aufzublasen, verstimmt bloß die Empfänger der Botschaft. Bleibt nur ein
Ausweg: den Konsumenten einen ehrlichen Gegenwert für die investierte
Aufmerksamkeit zu bieten, sei es brilliante Unterhaltung, ein Erlebnis von
Schönheit oder eine ethische Botschaft.
Bestseller 11|12 2010
Aus einer globaleren Perspektive betrachtet, verursachen digitale Medien eine tiefgreifende Wirkung, die traditionelle Medien
nicht erzielen können. Fernsehen, Zeitungen, Radio haben ihren Platz in unserer alltäglichen Umgebung und werden bevorzugt
an gewohnten Orten konsumiert. Die neuen
Medien dagegen dringen in unser Leben
aus vielen Richtungen ein und schaffen ­
„Das Internet wird die Kunst
der Vermarktung sicher gravierend
­beeinflussen, aber zur Zeit befinden
sich Branding und Marketing noch in
einem Übergangsstadium.“
eine zusätzliche, ortlose Dimension, die
­ nser Realitätsempfinden beeinflusst.
u
Ob diese medial vermittelte Wirklichkeit
­unsere Wahrnehmung bereichert oder eher
ver­armen lässt, ist derzeit noch offen.
Das Internet wird die Kunst der Vermarktung (inklusive Vertrieb) sicher gravierend
beeinflussen – aber zur Zeit befinden sich
Branding und Marketing noch in einem
Übergangsstadium. Der verlässlichste Weg
scheint zu sein, alles Künstliche und Aufgesetzte doppelt kritisch zu beäugen. Relevanz und Glaubwürdigkeit von Marken sowie eine wahrnehmbare Unterschiedenheit
werden weiterhin die Lichtpunkte sein, an
denen sich Verbraucher orientieren. Daran
wird keine Medienrevolution etwas ändern.
Walter Braun ist unabhängiger Journalist
und lebt in Großbritannien.
59
Jetzt menschelt‘s in den Online-Shops
Einkaufserlebenis. Wenn es auch
gerade in der Vorweihnachtszeit
­etwas nerven mag: Einkaufen ist
dennoch eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Österreicher.
Auch online – wie eine bei der KMU
Forschung Austria des Handelsverbandes in Auftrag gegebene Studie
belegt: Das Web ist im Distanzhandel bereits die dominierende Bestellplattform. Um mit dem stationären
Handel in Sachen Einkaufserlebnis
mithalten zu können, fehlt den Online-Shops aber etwas Wesentliches:
Da kann man sich kaum mit der
Freundin über das pinke Top unterhalten. Da geht es nicht, mit dem
Vater über den neuesten Laptop zu
plaudern, und auch die Vorzüge des
neuesten Mountainbike-Modells
kann man mit den Radclubkollegen
nicht so leicht teilen. Sprich: Beim
Shoppen im Web fehlt das Persön­
liche. Fehlte, müsste man genauer
sagen. Denn das Web 2.0 macht
auch nicht vor dem E-Commerce
halt. Web 2.0 bedeutet ja nichts
­anderes, als zwischenmenschliche
Beziehungen durch die moderne
Technologie zu pflegen. Warum
­sollte dies nicht auch beim Shoppen
gehen? Es ist möglich – und geistert
als „Social Commerce“ als neuer
Megatrend durch die Fachmagazine
und Publikumsgazetten.
Eigentlich ungerechtfertigt, wie
Stefan Mumelter, Geschäftsführer
des Österreichischen Handelsverbandes, findet: „Social Commerce
ist nicht besonders neu.“ Erste
­Geh­versuche von Social Commerce
gab es bereits Mitte der 90er-Jahre:
Mit Hilfe von Datamining kann
­Amazon einem Kunden, der ein
60
­bestimmtes Produkt gekauft hat, ­andere
Pro­dukte, die ihn vielleicht interessieren,
vorschlagen. Dort heißt es dann: Kunden,
die dies gekauft haben, haben auch das
­gekauft. Die gegenseitige Be­wertung von
Käufer und Verkäufer bei der Versteigerungsplattform eBay ist ebenfalls nichts
­anderes als Social Commerce.
Kunden und die persönliche Beziehung
­sowie die Kommunikation der Kunden untereinander im Vordergrund stehen.“ Social
Commerce geht also weit über Facebook &
Co. hinaus. „Kundenbewertungen oder
Wunschlisten stellen genauso Interaktionswerkzeuge dar wie Empfehlungssysteme“,
betont Hotz.
Social Commerce zeigt viele Gesichter
Mittlerweile hat sich die Formenvielfalt von
Social Commerce exponentiell erhöht – und
damit das Online-Shopping „menschlicher“
gemacht. Doch was versteht man unter
­Social Commerce nun eigentlich genau?
­Adrian Hotz, Projektleiter beim E-Commerce-Center Handel am Institut für Handelsforschung in Köln, beschäftigt sich schon
seit mehreren Jahren intensiv mit Social
Media und Multi-Channel-Management –
ein ausgemachter Social-Commerce-Experte
also. Er definiert das Trendwort folgendermaßen: „Social Commerce bezeichnet eine
konkrete Ausprägung des elektronischen
Handels, bei der die aktive Beteiligung der
Kunde als Stilberater
Alles klar – aber wie funktioniert das alles in
der Praxis? Einige Anwendungsbeispiele
bringen Licht in die Sache: Smatch.com
­etwa gilt im deutschsprachigen Raum als
Vorzeigeplattform in Sachen Social Commerce. Sie wird von der Hamburger shopping24
GmbH betrieben. Die Tochtergesellschaft der
Otto Gruppe hat sich als Produktsuche für
die Segmente Mode, Wohnen und Lifestyle
positioniert – mit einem Angebot von etwa
1,5 Millionen verschiedener Pro­dukte.
­Diesen Warenberg organisiert sie nicht
­selber – vielmehr nutzen derzeit etwa
600 Partnershops smatch.com als Plattform,
um ihre Produkte online anzubieten.
Bestseller 11|12 2010
Yuri Arcurs /Fotolia
„Social Commerce“, lautet der Megatrend im ­E-Commerce:
User wollen im Web 2.0 nicht nur ihre Beziehungen pflegen,
sondern auch das Einkaufserlebnis teilen. Text von Rainer Seebacher
In-Video-Ads in exklusiven Sport-Videos*:
O p e n f o r n e w „ B o o K i n g s “!
www.laola1.tv
* T V-Spot s , O p ener, O v e r l a y - S p o t s , I n - Vi d e o -A d s zu F u ß b a ll,
Prim e ra D i v i si ón, E u r o p a L e a g u e , C h a mp i o n s L e a g u e ,
Ö s t errei chi scher B u n d e s l i g a , E i s h o c k e y, L i v e F u ß b a ll,
L iv e Vol l ey b al l , u . v. m.
K o n ta k t:
M a g . (F H ) P h ilip p A ppel t
E ma il: p h ilip p .a p p el t@l aol a1. at
Te le fo n : 0 1 /2 5 6 3 1 4 1 5 17
62
Bestseller 11|12 2010
Geizhals/Kunrath.com, Institut für handelsforschung Köln, Shopping 24.de
Smatch.com kann so völlig unabhängig agieren und kassiert für jeden User,
den sie in den Webshop der Partnerhändler bringt. Viel interessanter ist
freilich das, was der Konsument zu
Gesicht bekommt: einen Style-Editor
etwa. Dort können registrierte User
aus dem riesigen Angebot von Smatch
verschiedenste Produkte zu einer Stil„Soziale Beziehungen haben beim
„Wer im Internet verkaufen will,
„Wir sehen Facebook nicht als
Shopping seit jeher eine Rolle gekann sich der Interaktion mit der
Konkurrenz an – noch nicht.“
welt kombinieren. So wie etwa Userin
spielt.“ Björn Schäfers, smatch.com
Zielgruppe nicht entziehen.“
Vera Pesata, Geizhals.at
„mizzzSarah“ ihr „Rock Chick“-Outfit
Adrian Hotz, Institut für Handels­
zusammengestellt hat – angefangen
forschung, Köln
von der schwarzen Lederjacke bis hin
zum knallroten Lippenstift. Andere
Währungen in Facebook Fuß fassen und vor
Drücken geht nicht
Kunden können das Modekombinat
allem für kleine Transaktionen innerhalb des
Sich jedoch als Online-Händler nur sporabewerten – oder weiterempfehlen.
eigenen Freundeskreises genutzt werden.
disch mit Social Media zu befassen, wird in
­Darüber hinaus können sich die BesuZukunft nicht mehr möglich sein. Für Han- „Es wird unglaublich einfach sein, Freunden
cher von smatch.com ganz generell
Geld innerhalb des Netzwerkes zu überweidelsexperte Hotz ist Social Commerce oder
über die neusten Shoppingtrends aussen“, glaubt der Experte. Mit derzeit über
nicht auch kein „ob“, sondern vielmehr ein
tauschen. Smatch.com-Geschäftsfüh­einer halben Milliarde Mitgliedern werde
rer Björn Schäfers: „Durch Empfehlun- „wie viel“. Denn: „Wer im Internet verkausich diese Währung schnell global verbreifen will, kann sich der Interaktion mit der
gen aus dem eigenen Freundes- und
ten. Aber: „Das bedeutet nicht zwangsläufig,
eigenen Zielgruppe nicht entziehen.“ Der
Bekanntenkreis werden Produkte im
Shop-Betreiber sollte sich also viel lieber da- dass auch der Handel komplett in Facebook
Netz vermarktet, daraus können eine
abgewickelt wird.“ Denn ob Facebook ein
mit auseinandersetzen, ob er lediglich eine
höhere Kaufwahrscheinlichkeit und
Ort ist, wo zwischenmenschliche Beziehungeringere Retourenquoten resultieren.“ Kundenbewertung oder einen Blog einsetzen oder auch die Kraft der Social Networks gen gepflegt werden, oder ob dort auch
Er ist überzeugt davon, dass sich Online-Händler nicht vor Social Commer- wie etwa Facebook für seine Zwecke nutzen ­eingekauft wird, würde letztendlich alleine
der Nutzer entschieden, so Hotz. Nach
will. Hotz: „Letzteres stellt für Händler
ce drücken können, denn: „Soziale
E-Commerce kommt also nun F-Commerce.
mit zwölf Millionen Mitgliedern alleine in
­Beziehungen haben beim Shopping
Deutschland ein unglaublich attraktives
seit jeher eine Rolle gespielt.“
Händler lieben Bewertungen
­Instrument dar, welches sowohl für KunDoch wie sehen das die Online-Shoppingdenbindung und -service, aber auch zur
Stationärer Handel im Web 2.0
Anbieter selbst? Vera Pesata vom in ÖsterNeukundenakquise genutzt werden kann.“
Handelsverband-Chef Mumelter geht
reich gegründeten und mittlerweile inter­
Einige Online-Shops haben das schon
noch einen Schritt weiter: „Social
national tätigen Preisvergleichsdienst
­beherzigt, etwa Frontlineshop.com (apps.
Commerce betrifft auch den stationäGeizhals.at wiegelt ab: „Wir sehen Facefacebook.com/frontlineshop) oder Butlers
ren Handel, weil sich die Konsumenbook nicht als Konkurrenz an.“ Sie schießt
(apps.facebook.com/deko_shopping).
ten auch über den stationären Handel
aber ein „Zumindest noch nicht“ nach.
Sie haben ihre Online-Shops mithilfe einer
auf Web-2.0-Plattformen wie etwa
Geizhals selbst hält sich (noch) auf Distanz
Softwarelösung von Smatch.com in Face­Facebook austauschen.“ Ein Beispiel,
zu Social Networks. „Wir lehnen eine enge,
book integriert. Schäfers: „Wir haben sehr
wie man den stationären Handel mit
nur auf Facebook & Co. basierende Definitipositive R
­ esonanz erhalten.“ Bereits zehn
dem Web 2.0 verbindet, lieferte Diesel
on von Social Commerce ab“, meint Pesata.
weitere Händler sind dem Beispiel der
in Spanien: In ausgewählten Shops
­beiden gefolgt – darunter auch große Player Social Commerce sei nichts anderes als eine
war die so genannte „Diesel Cam“ in­
besondere Form der Kaufentscheidungsbewie der Schuhanbieter Zalando oder der
stalliert: Kunden konnten sich selbst
einflussung im Web, in die Meinungen und
Sportartikelhersteller Dakine.
in den anprobierten Textilien knipsen,
Erfahrungen von vielen anderen Internetdie Fotos in ihrem eigenen Facebooknutzern einfließen würden. Die Plattform
Kommt F-Commerce?
Profil posten und damit vor dem Kauf
selbst bietet ein Forum, in dem sich Kunden
mit den Web-2.0-Freunden diskutieren. Laut Schäfers werde es mittelfristig auch
möglich sein, den gesamten Verkaufsprozess austauschen können – und auch eine MögMit vergleichsweise geringen Kosten
lichkeit, Produkte und Händler zu bewerten.
konnte Diesel so enorm viel Aufmerk- – also auch die Zahlung – auf Facebook abVor der Zeugnisverteilung durch den Kunzubilden. Laut Hotz wären die Grundlagen
samkeit – gerade bei jungen Leuten –
den fürchten sich die auf Geizhals gelisteten
für eine komplette Integration des Prozesses
auf sich ziehen.
Händler nicht, wie Pesata betont. „Wir
bereits heute verfügbar: „Facebook hat
­bieten Produkt- und Händlerbewertungen
mit Facebook Credits bereits eine eigene
seit sechs Jahren an, und der Großteil der
­Währung entwickelt und kooperiert mit
Händler sieht das sehr positiv, da die Bewer­Anbietern wie PayPal oder Clickandbuy.“
tungen ein starkes Distinktionsmerkmal
Hotz rechnet damit, dass diese virtuellen
CASA DEL VINO
bekocht internationale Stars
Das Catering-Team von Nina Kapun konnte 2010 viele ganz besondere ­
Gäste von seinem Top-Service begeistern und verrät deren Lieblingsgerichte.
S
eit 2006 begleitet das Gastronomie-Unternehmen aus
­Wiener Neustadt den Musikantenstadl weltweit mit
der sogenannten CASA DEL VINO-„Stadlwirtschaft“.
Dabei zählten – neben Moderator Andy Borg – schon
­zahl­reiche Schlagerstars wie Hansi Hinterseer, Heino,
DJ Ötzi, die „Flippers“, aber auch internationale Größen wie
Larry Hagman und, zuletzt bei seinem Auftritt in Salzburg,
auch David Hasselhoff zu den begeisterten Gästen.
Jürgen Steinbrecher mit dem Rennstallbesitzer
und Weinfreak Paul Stoddart, der sich vom
­Kaiserschmarrn ernähren könnte.
Seppi Eigensperger,
­Geschäftsführer von
ip-media und Veranstalter des Musikantenstadls und der Starnacht, Karl Schranz,
Norbert Rier von den
Kastelruther Spatzen
und der Tiroler Landeshauptmann ­Günther
Platter beim Stadl in
Innsbruck.
Als VIP-Caterer bei der „Starnacht“ aus Interlaken erfreute
CASA DEL VINO sowohl die Schweizer Lieblinge Monique
und Francine Jordi als auch Al Bano Carrisi, Lou Bega und
die Kultband „Boney M.“.
Aber auch im Sportbereich ist CASA DEL VINO intensiv tätig.
Im Fußballstadion des SC MAGNA WIENER NEUSTADT werden die VIP-Gäste, darunter Sportlegenden wie Franz Hasil,
Herbert Prohaska, Hans Krankl, aber auch Peter Schöttl,
­Manfred „Mani“ Czak und der Hausherr selbst, Frank
Stronach, regelmäßig bekocht.
Im VIP-Zelt bei der „62. Österreich Radrundfahrt
2010“ erfreute CASA DEL VINO täglich an einem
­anderen Etappen-Ziel zahlreiche internationale
Radsport-Giganten. Darunter auch der diesjährige Sieger, der Italiener ­Riccardo Ricco, und
­Österreichs Ex-Radprofi Gerhard Zadrobilek.
bezahlte anzeige
Für die CASA DEL VINO-Küche verantwortlich ist Jürgen
Stein­brecher, der es durch seine Leidenschaft für den Motorsport sogar geschafft hat, das Catering für das MINARDI
TEAM USA und seinen Besitzer, Paul Stoddart, bei den
Champ Car Races in Europa, Kanada und Mexico zu übernehmen. In ­seinem Team fährt auch der ehemalige österreichische Formel-1-Pilot Patrick Friesacher. Mit den Teams von
Ferrari und BMW in der „Le Mans ­Series“ begann die
Zusammen­arbeit im Frühjahr 2010 bei den 24-Stunden-Rennen von ­Spa-Francorchamps, Le Mans und am Nürburgring.
CASA DEL VINO – Restaurant-Catering-Weine
A-2700 Wiener Neustadt, Stadionstraße 34
Tel./Fax: 02622/85555, E-Mail: [email protected]
Harald Serafin überlässt die Menüauswahl
immer seiner „Mausi“.
Die erfolgreichen Schlagerstars „The
Flippers“ lieben die bodenständige Klassiker
wie ­„Alt-Wiener Krautfleckerl“.
Ex-Formel-1-Fahrer Patrick Friesacher „kostet
alles, aber denkt immer ans ideale ‚Leicht­
gewicht‘ fürs Cockpit“, meinen Nina Kapun
und Jürgen Steinbrecher.
Heino steht auf Leberkäse, den er durch seine
­österreichische Gattin, Hannelore, kennen- und
lieben gelernt hat.
Der Ex-Rad-Profi Gerhard Zadrobilek – selbst
Züchter der seltenen Wagyu-Rinder – ernährt
sich noch immer sehr gesundheitsbewusst.
Andy Borg
wünscht sich
auch im Ausland
immer eine
Wurstsemmel
mit Wiener Wurst
zur Erinnerung
an seine Kindheit
in Wien.
Ivica Vastic genoss das CASA DEL VINO-Buffet
bei der SPORT ART-GALA des Puchberger
Künstlers VOKA und seiner Gattin Petra Vogl.
neben dem Preis ist.“ Ja, ja, der Preis.
Der wird als Unterscheidungsmerkmal
im Online-Handel überhaupt ein wenig überbewertet. Was allerdings nur
allzu logisch ist: Denn im Web gibt es
keine Unterscheidungsfaktoren wie
Lage, Öffnungszeiten, Einrichtung
oder Verkaufspersonal, die Entscheidungen im stationären Handel stark
beeinflussen. Und deshalb fokussieren
oft auch die Händler selbst auf den
Preis, mit dem sie sich voneinander
abheben wollen.
Shoppen im Club
Der Online-Shopping-Club Brands4Friends wirbt ebenfalls mit Rabatten,
die er in kurzen Aktionszeiträumen
auf Markenprodukte einräumt. Zu
Brands4Friends hat aber nicht jeder
sofort Zutritt – man muss entweder
von einem Mitglied vorgeschlagen
werden oder eine Begründung angeben, warum man mit dabeisein will.
Einmal im Club aufgenommen, bekommt man fast täglich ein E-Mail, in
dem die Verkaufsaktionen angeteasert
werden. Ein erfolgreiches Geschäftsmodell: Derzeit zählt Brands4Friends
3,5 Millionen registrierte Mitglieder –
etwa 150.000 davon kommen aus Österreich. Christopher Maaß, Marketing
schengeschäft zeitgleich auftauchen und
behaupten, dass ein spezielles Modell aus
diesem oder jenem Grund „schlecht“ ist,
dann steigt der Stresspegel beim Verkaufspersonal. Das ist online nicht anders: außer
dass sich die Konsumenten leichter „zusammenrotten“ können, weil sie dies dank der
Web-2.0-Plattformen unabhängig von Zeit
und Ort tun können. Maaß, Brands4Friends:
„In der heutigen Zeit ist es sinnlos, sich gegen Social Commerce aufzulehnen oder der
Tatsache verängstigt ins Auge zu blicken.“
Ziel sei es, die Dinge als Chance zu sehen
und aus Kundenrückmeldungen zu lernen.
Würde Brands4Friends etwa ein bestimmtes
Produkt zu einem höheren UVP anbieten,
als dies andere Online-Shops tun, dann
dient die Meldung des Kunden als Warnung.
„Sein Hinweis bietet uns die Chance, in erneuten Kontakt zur Marke zu treten und
mögliche Fehler unserer oder der Gegenseite zu korrigieren“, betont Maaß. Und wenn
es der Kunde nicht gut meint und nach der
Strategie „Geld zurück oder Facebook“
agiert? Hier bringt der HandelsverbandsMächtiger Kunde
Chef Mumelter das eigene Gütezeichen
Wenn sich aber Kunden untereinander austauschen, dann bekommen sie mehr Macht. „E-Commerce-Quality“ ins Treffen, das man
schon vor zehn Jahren eingeführt hat.
Wenn vier Kundinnen in einem Handta-
Director von Brands4Friends, betont: „Der
Kunde kauft dort, wo er sich wohl fühlt.“
Dies gelte auch für den Online-Handel.
„Auch dort ist Emotionalität mit einer attraktiven emotionalen Markenwelt und einer
Atmosphäre, in der sich der Kunde wohl
fühlt, unverzichtbar.“ Aber auch die Kaufsicherheit und die Kundenbetreuung wären
online wichtige Punkte. Ebenso wie die
Interaktionsmöglichkeiten: So können Mitglieder ihre gekauften Produkte sowie laufende Verkaufsaktionen den Freunden via
Facebook, Mail oder auch StudiVZ weiterempfehlen. Das Online-Magazin dient nicht
nur zur Bewerbung von Sales-Kampagnen,
sondern auch als Feedback-Kanal für
Kundenmeinungen. Maaß generell: „Social
Commerce sehen wir nicht nur eng mit
Facebook und anderen Social Communities
verwoben, sondern vielmehr in der ganzheitlichen Unternehmenskommunikation
eines E-Commerce-Unternehmen zu seinen
Kunden und der Kunden untereinander.“
Gruppenerlebnis. Social Commerce
hat viele Gesichter: Der Shoppingclub Brands4Friends erlaubt nur
Mitgliedern Zutritt. Der OnlineShop Frontlineshop hat sein
Web-Geschäft bereits in Facebook
integriert. Auf smatch.com können
User eigene Styles kreieren und
mit dem Web-2.0-Freundeskreis
darüber diskutieren.
„Das Gütezeichen verhindert, dass der Konsument unfair behandelt wird, und gibt
gleichzeitig dem Online-Händler die Sicherheit, dass er korrekt gehandelt hat.“ Damit
sei der Händler gegen ein unfaires Feedback
des Kunden gewappnet.
Ignorieren ist gefährlich
Durch das Web 2.0 ist der Kunde allerdings
schon mächtiger denn je, so Handelsexperte
Hotz. „Eine Gefahr ergibt sich jedoch nur
dann, wenn nicht auf die Meinung der Kunden reagiert wird.“ Nur Händler, die ihren
Kunden zuhören und auf Anforderungen
eingehen, werden nachhaltig erfolgreich
sein. Doch wie weit geht dieses Eingehen
auf Kundenwünsche? Bestimmt dann der
Kunde letztendlich, was der Online-Händler
anzubieten hat? Werden die Einkäufer des
Handels in Zukunft entmündigt? „Das Sortiment bestimmt der Händler schon noch
selbst“, wiegelt smatch.com-Chef Schäfers
ab. Der wachsende Einfluss des Kunden
wachse freilich, was aber nicht unbedingt
schlecht für den Anbieter sei. „Dadurch
bekommt der Händler direktes Feedback.“
Schlechte Produkte können so schneller aus
dem Sortiment ausgesondert werden und
gute sich schneller durchsetzen. Doch dies
kann noch weiter gehen: Bei Tchibo können
Konsumenten Wünsche, Aufgaben, aber
auch Lösungen vorschlagen, die dann von
der dortigen Community bewertet werden.
Erfinder und Designer nehmen sich der Vorschläge an und entwickeln eine Lösung –
die man dann beim Tschibo kaufen kann:
BEST OF
CHRISTMAS
10. Dez. '10
halle D
HOLIDAY ON
ICE „Tropicana“
13. - 30. Jän. '11
halle D
Ticketpartner:
So hat etwa das Tchibo-Ideas-Mitglied Jasmin Wollesen ein Fingergolf-Set entwickelt,
mit denen Golfer ihre Feinmotorik trainieren können. Designerin Kristine Brückner
wiederum entwickelte eine Trinkflasche
samt Geheimfach für Schlüssel, Uhr und Co.
Mit der Flasche muss man sich im Fitnessstudio keine Sorgen mehr um die Wertsachen machen.
Die Ausprägungen von Social Commerce
sind also überaus vielfältig. Einen neuen
Impuls bekommt das Thema gerade durch
ortsbezogene Social Networks wie Foursquare oder Gowalla. Denn damit kann man
sich nicht nur darüber austauschen, was
man kauft oder kaufen soll, sondern weiß
auch, wo die Web-2.0-Freunde einkaufen.
Doch das ist eine andere Geschichte.
POCAHONTAS
Das Familienmusical
12. + 13. März '11
halle F
MASTERS OF
DIRT 2011
12. - 13. März '11
halle D
Philip Ginthör „Heute müssen auch große Unternehmen in der Lage sein,
Dinge auszuprobieren und eine Vielzahl an Wegen gleichzeitig zu beschreiten.“
Fotografiert von Karl Michalski
66
Bestseller 11|12 2010
Umarmt das Problem!
Philip Ginthör, Geschäftsführer von Sony Music Entertainment
in Ö
­ sterreich, sitzt in der Jury bei „Helden von Morgen“.
Im Bestseller-Interview spricht er über die digitalen Lektionen
der Musikindustrie und sein erstes Groupie. Interview von Sebastian Loudon
Bestseller Sie sitzen derzeit jeden Freitag in der Jury von
„Helden von Morgen“ vor einigen hunderttausend
­Zusehern. Um Österreichs Antwort auf Dieter Bohlen zu
sein, sind sie eindeutig zu nett …
Philip Ginthör (lacht) Dass ich Österreichs Dieter Bohlen
werde, kann ja wohl niemand ernsthaft geglaubt haben.
Ich repräsentiere bei der Show die Stimme des Musikmarkts, und als solche muss ich natürlich streng sein,
nämlich besonders dann, wenn es um die musikalische
Qualität geht.
­ tellenwert bekommt, dass sie an einem Freitagabend
S
im Hauptabendprogramm über zwei Stunden lang die
Menschen beschäftigt. Das ist sehr wichtig für die gesamte Musikindustrie.
Welche Verantwortung verspüren Sie gegenüber jungen
Menschen, die sich auf das Abenteuer Castingshow
Warum machen Sie das eigentlich?
­einlassen?
Ginthör Ich habe in den vergangenen Jahren in DeutschGinthör Unsere Verantwortung als Label beginnt erst geland sehr viel mit Castingshows zu tun gehabt – Sony
nau in ­jenem Moment, in dem der Sieger feststeht. Was
ist dort ja für „Deutschland sucht den Superstar“ und
davor passiert, ist Sache des Fernsehsenders, und der
das „Supertalent“ mitverantwortlich. Als ich 2009 nach
ORF legt sehr viel Wert auf die Betreuung der KandidaWien kam, suchte ich das Gespräch mit dem ORF.
ten. Dazu muss man sagen: Diese Kids sind sehr smart
­Damals war noch gar nicht einmal klar, wie die neue
– da ist niemand, der nicht weiß, wie ihm geschieht und
Show heißen wird. Irgendwann kam dann die Frage, ob wie er die Show für sich nutzen kann. Grundsätzlich
ich selbst als Jurymitglied dabeisein will. Zuerst war ich gilt: Wenn wir uns für einen Künstler entscheiden, besehr zurückhaltend, dann habe ich mir gedacht: Was
kommt er das absolute Versprechen, dass wir uns für
soll‘s? Talente zu finden, ist immerhin Chefsache.
ihn ­einsetzen und dass er professionell beraten wird.
Alles
andere wäre Wahnsinn, schließlich ist die BezieUnd, gab‘s schon Drohanrufe oder Liebesbriefe?
hung
zum Künstler unser wichtigstes Asset!
Ginthör Drohbriefe blieben bis jetzt aus, Liebesbriefe auch,
und damit kann ich bestens leben. Nur von einer ä­ lteren
Sie sind seit zehn Jahren im Musikbusiness, das
Dame habe ich einen sehr lieben Brief
­gemeinhin als erstes Opfer der Digitalisierung
bekommen.
­be­zeichnet wird …
Philip Ginthör, Wiener mit Jahrgang 1975,
Ginthör Ich denke nicht, dass wir ein Opfer der ­Digi­tali­Quotenmäßig verlief die Sendung
ist Jurist, studierte ebenso in Harvard und
sierung
sind, und auch nicht, dass wir sie verschlafen ha­bislang unter den Erwartungen.
­Fontainebleau und arbeitet seit 2005 bei Sony.
ben.
Ich
sehe es lieber so: Wir sind als Erster aufgewacht
Lohnt sich das Engagement für Sony?
Im September 2009 übernahm er die Geschäftsund
haben
gelernt, sie für uns zu nutzen. Aber, ja: Bis
Ginthör Auf jeden Fall dann, wenn wir
führung von Sony Music Entertainment Austria,
dahin gab es blutige Lektionen. Heute ist der digitale Verein Talent finden, das es wirklich
zusätzlich ist er im Board für die D-A-CH-­
triebsweg in seinem Stellenwert absolut gleichwertig zum
schafft, mit seiner Musik viele MenRegion. Vor seinem Engagement bei Sony war
physischen, wobei der digitale Markt zwischen 25 und 30
schen zu begeistern und dementspreGinthör für die Bertelsmann AG in New York
chend kommerziell erfolgreich zu sein. Prozent jedes Jahr zulegt. Unsere Zukunft ist ganz sicher
als Director für Corporate Development tätig.
digital, das fällt bei uns heute nicht mehr in den Bereich
Aber natürlich wird die Sendung mit
­Seinen Berufseinstieg erlebte er in verschie­
„Strategie“, sondern ist schlicht Tagesgeschäft.
dem Anspruch gemacht, möglichst
denen Funktionen für den Condé Nast Verlag
viele Menschen zu erreichen, daher
Bei welchem Anteil wird das physische Restgeschäft zum
in München, London und Moskau. Ginthör ist
ist die Quote absolut ausschlaggebend. Liegen kommen?
Der Musikmanager
verheiratet und hat drei Kinder.
Man wird den Eindruck nicht los,
­ astingshows werden zu einem
C
­zentralen Vehikel der Talentsuche …
Ginthör Keineswegs! Die Talentsuche ist ein riesiges Feld,
und wir arbeiten beispielsweise noch immer mit ganz
klassischen Talentscouts, die sich in den Clubs oder im
Internet umsehen. Castingshows sind da nur ein kleiner
Ausschnitt, wenn auch ein unterhaltsamer. Das Schönste an ihnen ist ja, dass die Musik wieder so einen
Bestseller 11|12 2010
Ginthör Schwer zu sagen: Derzeit machen wir immer
noch zwischen 80 und 85 Prozent unseres Geschäfts
mit physischen Produkten. Das wird zwar noch deutlich zurückgehen, aber letztlich immer ein wichtiger
Markt bleiben. In den USA ist bereits die Hälfte des
Marktes digital, dafür nimmt der Umsatz über iTunes
schon wieder leicht ab. Der digitale Verkauf hat seinen
Zenith dort schon überschritten. Jetzt kommen mit
­einer ungeheuren Geschwindigkeit neue Modelle ins
67
Spiel. Streaming-Angebote sind derzeit das Heißeste in der
Welt der Musikdistribution.
Ein Beispiel, bitte?
Ginthör Eine echte Erfolgsgeschichte momentan ist spotify
aus Schweden, Sony ist mittlerweile daran beteiligt. Jeder
vierte Schwede ist schon registriert, in Deutschland und
Österreich ist es noch nicht verfügbar. Auf spotify kann
man sich jegliche Musik anhören, zu Playlists zusammenstellen, seinen Freunden in Social Networks empfehlen und
das alles, ohne die Musik kaufen und herunterladen zu
müssen. So wird Reichweite aufgebaut, die erstens werblich genutzt wird und zweitens die Basis für Premium-Angebote bildet. Für zehn Euro im Monat kann man die Musik
auch hören, wenn man unterwegs ist oder gerade nicht im
Internet hängt.
Und das ist ein Geschäftsmodell?
Ginthör Man muss es gesehen haben. Die Idee ist, den
Menschen einen außergewöhnlich benutzerfreundlichen
und guten Zugang zu bieten. Wenn das erst einmal
­ge­lungen ist, lässt sich vieles darauf aufbauen.
Das Freemium-Modell also, das auch viele Verlage pro­
bieren. Das Basisangebot kostenlos, die zusätzlichen
­Services nur gegen Bezahlung …
Ginthör Ganz genau! Informationen sind ja inzwischen
­genauso zu einer Commodity geworden wie Musik. Was
zählt, ist die benutzerfreundliche Zur-Verfügung-Stellung
und Präsentation von Inhalten. Diese Entwicklung treiben
heute die Technologiefirmen wie Apple voran. Dieses userzentrierte Denken ist das Einzige, was einen in der modernen Welt weiterbringen kann. Und dazu noch Offenheit,
Transparenz und R
­ isikobereitschaft. Heute müssen auch
große Unternehmen in der Lage sein, Dinge auszuprobieren und eine Vielzahl an Wegen gleichzeitig zu beschreiten. Verkaufs- und Marketingstrategien von der Chefetage
aus durchzusetzen, das funktioniert heute immer weniger.
Ist das auch ihr Tipp für die Medienindustrie?
Ginthör Mein ganz großer Appell an jedes Unternehmen,
das die Digitalisierung seines Geschäfts durchschreitet,
­lautet: Umarme das Problem und laufe dieser Entwicklung
entgegen. Die Musikindustrie hat lange geglaubt, sie kann
die digitale Verbreitung verhindern, anstatt sich gleich für
legale Download-Möglichkeiten stark zu machen. Wir
­waren Ende der neunziger Jahre noch so besoffen vom
„Wer heute alles wahrnimmt, was ihm angeboten wird, kommt
aus dem Konsumieren nicht mehr heraus. Deshalb ist das
­wichtigste Wort, das ein junger Mensch heute lernen muss, ‚Nein‘.“
Philip Ginthör, Sony Music Entertainment Austria
Labelvisite.
Philip Ginthör im
Gespräch mit
Sebastian Loudon.
­ rfolg der CD, dass die DigitalisieE
rung komplett unterschätzt wurde.
Jeder Anbieter von medialen Inhalten muss Plattformen unterstützen,
die es dem Kunden einfach machen,
diese Inhalte auch zu konsumieren.
Dazu muss man sich von der ausschließlichen Herangehensweise
„Ich habe exklusive Inhalte, und die
gebe ich nur gegen Bezahlung her“
lösen. Stattdessen sollte man dem
Reichweiten-Prinzip folgen und daraus dann neue Umsätze generieren –
letztlich ist das eine Form der Umwegrentabilität.
Das heißt aber, das Geschäft wird
­immer fragmentierter …
Ginthör Das kann man wohl sagen!
1997 gab es von einem Celine-DionAlbum vier verschiedene Produktkonfigurationen: das normale
­Album, ein Premium-Album und
zwei Single-Auskoppelungen. Von
diesem Album wurden damals etwa
10 Millionen Stück weltweit verkauft. Und heute? Das letzte Album
von Beyoncé hat weltweit über 300
Produktkonfigurationen – vom
­Album über Einzeldownloads bis
zu Ringtones, Videos, Remixes und
so weiter. Und trotzdem gehen die
Gesamtumsätze zurück. Letztlich
kommt genau diese Entwicklung
auf jeden Medienkonzern zu. Wir
haben früher alle sehr gut vom
­Hit-Effekt gelebt. Und dieser ist in
der Umsatzstärke und Häufigkeit
rückläufig.
Über MySpace und YouTube kann
heute jeder seine eigenen Inhalte zur
Verfügung stellen – hat sich das
­Musikgeschäft demokratisiert?
Ginthör Zwischen etwas online stellen und ein Star werden ist ein großer Unterschied. Natürlich: Die Vielfalt des Angebots explodiert, und
das finde ich großartig. Aber You­
Tube oder iTunes haben noch keinen
einzigen echten Star gemacht. Viele
Talente wurden von Labels entdeckt,
weil sie sehr früh auf diesen Platt-
formen sichtbar waren. Stars werden sie erst, wenn sie bei einem
­großen Plattenlabel oder Entertainmentunternehmen unterschrieben
haben, das sie ins Bewusstsein der
Öffentlichkeit bringen kann.
Sie befassen sich berufsbedingt
sehr viel mit der Digitalisierung.
Wie gehen Sie persönlich mit ihren
Begleiterscheinungen um?
Ginthör Was mich immer interessiert,
ist, wie der Mensch damit umgeht.
Muss er sich alles merken, muss er
die tausenden Urlaubsfotos wirklich
speichern? Oder hat er den Mut, Dinge auch wieder zu löschen – sowohl
von der Festplatte im Computer als
auch jener im Kopf. Wer heute alles
wahrnimmt, was ihm angeboten
wird, kommt aus dem Konsumieren
nicht mehr heraus. Deshalb ist das
wichtigste Wort, das ein junger
Mensch heute lernen muss, „Nein“.
Es ist alles eine Frage der Eigenverantwortung. Wenn ich Castingshows
schlecht finde, muss ich sie abschalten. Dann habe ich auch plötzlich
Zeit, ein gutes Buch zu lesen. Und
wenn ich einen ganzen Abend auf
Facebook und YouTube herumhänge,
sollte ich mir vornehmen, am nächsten Tag wieder etwas mehr in die
Tiefe zu gehen. Dieser Abtausch
zwischen Breite und Tiefe muss
­bewusst gepflegt werden.
Sie sind jung und trotzdem schon
lange erfolgreich im Musikbusiness.
Sind Sie sehr ehrgeizig? Oder was
treibt Sie sonst an?
Ginthör (lacht) Nein. Aber ich bin jedenfalls sehr offen, leidenschaftlich
und hard-working. Und was mich
antreibt, ist leicht zu beantworten:
meine Leidenschaft für den Menschen
und seine kreative Schöpfungskraft.
Ich weiß um die Herausforderungen
und die Anstrengung, die es be­
nötigt, um mit Kreativität Geld zu
verdienen. Diese Herausforderung
im Team mit Anderen zu meistern,
ist meine Mission.
Bestseller 11|12 2010
Raum für Kritik jeder Art:
Das Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit und
unabhängiger Journalismus bilden ein Umfeld, das jedes
professionelle Unternehmen braucht. Als führender Energiekonzern im europäischen Wachstumsgürtel unterstützt die OMV deshalb seit
vielen Jahren die regierungsunabhängige Organisation „Reporter ohne Grenzen“.
Mehr bewegen.
Als das Marketing nach Österreich kam
Sein Arbeitszimmer an der Universität hat er bereits vor zwölf Jah
Ernest Kulhavy im Unruhestand – anders lässt sich sein umtriebiges
Am 24. Dezember feiert Österreichs Marketing-Pionier seinen 85.
1976. Das Institutsteam an der
Johannes Kepler Universität Linz
(vorne Ernest Kulhavy).
70
Gentleman. Wo immer der elegant gekleidete und stets vergnügt wirkende Gentleman
auftaucht, wird er sofort von zahlreichen
Menschen erkannt und begrüßt. Politiker,
Unternehmer, Manager, Diplomaten, ehemalige Studenten und Bekannte umringen
ihn. Er ist fünffacher Ehrendoktor, Träger
schule für Welthandel in Wien, der erste
unzähliger Auszeichnungen, Mitglied und
­berufliche Erfahrungen in einem Export-/­
Funktionär in vielen Clubs und VereinigunImport-Unternehmen sammelte. Da er sein
gen, begnadeter Netzwerker, ein Charmeur
Studium mit dem Doktorat abschließen
und Herr vom alten Schlag. Man begeht kei- ­wollte, schlug er nach zwei Jahren die
nen Kardinalfehler, Ernest Kulhavy als ös­wissenschaftliche Laufbahn ein, wurde
terreichischen „Marketing-Papst“ zu apost­Assistent, Oberassistent und Dozent. Er disrophieren. Denn er steht einer großen
sertierte („Exportförderung durch innervolksGemeinde vor, die seine Management-Philo- wirtschaftliche Verbandswirtschaften und
sophie teilt, lebt und weiter verbreitet.
Wirtschaftskammern“), studierte ein Jahr am
Jüngere Semester werden sich nur
Ableger der John Hopkins Universität in Boschwer vorstellen können, dass es einmal
logna (1956/57), erhielt eine Fellowship bei
Verkäufermärkte gegeben hat, auf denen die der UNO und anschließend eine Anstellung
Nachfrage weit größer als das Angebot war.
bei der EFTA (European Free Trade AssociatiAls typisches Beispiel kann der Möbelhanon) in Genf. 1963 wurde er an die Technidel der Nachkriegszeit angeführt werden:
sche Universität Berlin berufen – als ProfesSo gut wie jeder Verkäufer hatte damals Ersor für „Allgemeine Betriebswirtschaftslehre
folg, sofern er nur ­einen Bestellblock halten
und Betriebswirtschaft des Handels“. Dort
konnte und des Schreibens mächtig war.
setzte seine wissenschaftliche AuseinanderDie Kunden mussten mit der vorhandenen
setzung mit Marketing ein, und alsbald wollWare vorlieb nehmen und die verlangten
te er ein Institut für Marketing und ManagePreise akzeptieren, geduldig warteten sie
ment gründen – es wäre das erste im
monatelang, bis die bestellten Möbel angedeutschsprachigen Raum gewesen.
fertigt und zugestellt wurden. Diese – aus
Sicht der Unternehmen – paradiesischen
Ära der Marktorientierung
Zustände hielten nicht ewig, und schon in
Kulhavy war der Paradigmenwechsel in der
den Fünfzigerjahren ­entstanden die ersten
Wirtschaft mit den neuen Realitäten der
Käufermärkte. Allmählich setzte eine Ära
Käufermärkte nicht verborgen geblieben.
des Wettbewerbs ein, die Machtverhältnisse „Die Führung einer Unternehmung war ohne
verschoben sich zu Gunsten der Konsumen- Marktorientierung nicht mehr denkbar“, erten, die es nunmehr zu umwerben galt.
innert er sich. Aus den USA war das MarkeErnest Kulhavy war in den besagten Fünfting nach Europa gekommen und hatte
zigerjahren ein junger Absolvent der Hochlängst in den internationalen Konzernen
Eingang gefunden – nicht jedoch in der
deutschen Betriebswirtschaftslehre, ins­
besonders der Absatzwirtschaftslehre.
­Kulhavy legte sechs Namensvorschläge für
ein neues Institut in Berlin vor, in fünf davon war der Begriff „Marketing“ enthalten.
Sein erster Assistent, der spätere Konsumentenforscher Werner Kroeber-Riel,
­erstellte eine „Gedankensammlung“ zur
­Untermauerung des Antrags.
Bestseller 11|12 2010
ren geräumt, seither befindet sich
Dasein nur schwer beschreiben.
Geburtstag. Text von Hansjörg Wachta
privat (3)
2002. Bei einer der
vielen W
­ anderungen
am Reichraminger Bach im
­Nationalpark Kalkalpen.
zeitgemäßes Marketingverständnis führte.
Der Akademische Senat in Berlin zeigte
sich vom amerikanischen Begriff nicht son- „Die behördlich dekretierte Namensgebung
war (und ist) amateurhaft“, ärgerte sich
derlich angetan, immerhin kam ein lebhafter fachlicher Diskurs in Gang. Kulhavy war ­Kulhavy und stellte fest, dass die stürmische
Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre als
federführend, knüpfte Kontakte zur deutschen Industrie, wurde Beirat der angesehe- eigenständige Wissenschaft im 20. Jahrhundert an der Ministerialbürokratie offensichtnen Fachzeitschrift „Absatzwirtschaft“
lich vorbeigegangen war. Er selbst wollte
(Handelsblatt-Verlag Düsseldorf), hielt VorMarketing als Konzeption der Unternehträge (unter anderem vor der Vereinigung
mensführung und als Führungsphilosophie
Deutscher Marketing- und Verkaufsleiterdes Managements am Anfang des unternehclubs in Essen) und wiederholte seine Formerischen Entscheidungsprozesses verstanderung nach einem eigenen Institut. Mit
den sehen: „Die Zeit war reif für die VeranSchmunzeln erinnert er sich an den Prorekkerung des Marketings in der universitären
tor Ulrich Gundlach, der einmal meinte,
Forschung und Lehre, war reif für die Entsteman müsse den Bären erst erlegen, bevor
hung der Marketingwissenschaft.“
man sein Fell verteilen könne. Kulhavys
Kulhavy hatte ab dem Wintersemester
Antwort glich einem Plädoyer für Marktorientierung: „Falsch. Man muß zuerst wissen, 1967/68 den Ausdruck „Absatzwirtschaft“
aufgegeben und nur noch die Bezeichnung
ob überhaupt jemand das Fell will.“
„Marketing“ verwendet. In seinen Lehrveranstaltungen setzte er eine Grafik ein, die das
Erstmals „Marketing“
komplexe Marketingsystem darstellte und
1966 ereilte den österreichischen Professor
­eine überaus moderne, ganzheitliche Sichtein „Ruf“ aus der Heimat: Auf Initiative seiweise erkennen ließ. Er berücksichtigte im
nes Wiener Kollegen Josef Koblinger wurde
Umfeld des Unternehmens auch Ethik und
ihm die Errichtung eines Instituts für InterMoral, Natur und Ökologie, Kunst und Ästhenationales Marketing an der Johannes Keptik. Und er verwies sogar auf den Einfluss der
ler Universität Linz ermöglicht – ohne
Religion mit einem konkreten Beispiel: „Eine
Schwierigkeiten, wie er rückblickend anmerkt. Stolz weist er darauf hin, dass es das kleine Firma stellte Wanduhren für Bauernstuben mit aufgemalten Blumen und Kirchen
erste im deutschsprachigen Raum war, das
die Bezeichnung „Marketing“ in seinem Na- her und wollte diese auch nach Saudiarabien
exportieren. Das war erst möglich, als die
men trug. Die Freude darüber währte indes
Kreuze der Kirchen entfernt wurden.“
nicht lange, da 1970 im Zuge der Universitätsreform eine Umbenennung in „Institut
Primat des Verkaufs
für Handel, Absatz und Marketing“ erfolgte
Von den fünf Instrumenten des Marketing
– trotz heftiger Proteste des Institutsvorstan(Leistung, Entgelt, Kommunikation, Distribudes und dessen massiver Unterstützung
tion und Verkauf) hob Kulhavy stets den
durch die oberösterreichische Industrie.
­Verkauf besonders hervor. „In Holland entDer Widerstand gegen den neuen Namen
mag heute vielleicht übertrieben er1970. Kulhavy
scheinen, doch entsprang er der bemit Studenten
grifflichen Exaktheit des Wissenschaftim Seminarraum
des Instituts
lers, der einen steten Kampf für ein
in Linz.
Bestseller 11|12 2010
deckte ich einmal eine alte Ansichtskarte“,
erzählt er. „Sie zeigte zwei Viehhändler, die
gerade eine Kaufvereinbarung getroffen hatten und diese mit einem Handschlag besiegelten. Das Foto habe ich vergrößern lassen
und in meinem Zimmer aufgehängt.“ Der
Professor nahm es sogar in den Hörsaal mit –
als einprägsames Symbolbild für das Primat
des Verkaufs: „Wofür betreiben wir Marketing? Damit es zum Verkaufsabschluss
kommt – dafür wird das ganze Theater gemacht. Das ist eine Kernaussage in meinem
System: Alle Marketingmaßnahmen haben
letztlich den Zweck, im Verkauf zu münden.“
In Linz wirkte Kulhavy 22 Jahre lang. Er
realisierte viele Ideen, die heute zum Standardrepertoire von Universitäten gehören:
„Mir ging es immer darum, die Wissenschaft
aus dem Glaskasten zu holen und mit der
Praxis zu verbinden.“ Es wurden Studienreisen mit Hörern und Assistenten in viele
Länder Europas, ja sogar in die USA unternommen. Praktiker hielten Vorträge, und
Studenten besuchten Betriebe. Das überzeugende Argument des Professors: „Ein angehender Arzt gehört als Student ans Krankenbett, und ein BWL-Student muß in die
Betriebe gehen.“ In Linz wurden aktive
Lehrmethoden wie Planspiele, Fallstudien
und betriebliche Projektstudien forciert
­sowie praxisrelevante Diplomarbeiten vergeben. Die ersten Fallstudien kaufte Kulhavy persönlich in Harvard ein. Im Dezember
1976 gründete er in Zusammenarbeit mit
der Landesinnung des wirtschaftlichen Werbewesens und der werbetreibenden Wirtschaft Oberösterreichs das Marketing Forum
Linz, das zwei Jahre später in Marketing
Club Linz umbenannt wurde. Ab 1983 fand
ein jährlicher Kongress (unter dem Namen
Marketing Forum Linz) statt: Erstklassige
Referenten handelten aktuelle Themen vor
400 bis 450 Teilnehmern ab.
71
Erfolgreiche Studenten
Zu Kulhavys bekanntesten Studenten gehörten Wirtschaftskammer-Präsident Christoph
Leitl, Ludwig Scharinger (Generaldirektor
der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich)
oder Rudolf Trauner jun. (Präsident der Wirtschaftskammer Oberösterreich). Scharinger
ist mittlerweile selbst Lektor und Förderer
der Johannes Kepler Universität, Trauner betreibt unter anderem den Universitätsverlag,
der laufend Forschungsergebnisse aus drei
Fakultäten publiziert und auch Kulhavys
Standard-Werk „Internationales Marketing“
verlegte. Bei Seminaren und Vorträgen des
Marketing-Professors konnte man stets erfolgreiche Unternehmer und Manager antreffen, was Kulhavy einmal dazu bewog, einen
Teilnehmer anzusprechen: „Warum kommen
Sie überhaupt hierher? Sie könnten den
­Vortrag doch an meiner Stelle halten.“ Der
Manager gab zu, 90 Prozent des Gehörten
2006. Aufnahme
von Ernest Kulhavy
in die Hall of Fame
des Direct Marke­
ting Ver­bandes
­Österreich (DMVÖ)
im Rahmen einer
Fest­veranstaltung.
Gleichzeitig wurde
ihm die Ehren­
mitgliedschaft
­beurkundet.
72
1990. Als Rektor
der Johannes
Kepler Universität.
zu kennen. „aber sieben Prozent erfahre ich
von anderen Teilnehmern, und drei Prozent
sind neu für mich,“ sagt er. „Auf diese
­Nasenlänge Vorsprung kommt es mir an.“
Als die Wirtschaftsuniversität Wien den
Ansturm von Studenten der Studienrichtung
Handelswissenschaften kaum mehr bewältigen konnte, setzte Kulhavy die Einrichtung
dieser Studienrichtung auch in Linz durch.
Bereits im Herbst 1981 hatte er einen
­Exportlehrgang für Praktiker gegründet.
Fremde Länder und Sprachen weckten
schon immer sein Interesse, weshalb er
1982 eine sechswöchige Weltreise unternahm. Sie führte ihn von Indien nach Südostasien und Australien. In jeder der elf besuchten Städte blieb Kullhavy vier Tage, traf
die dortigen Botschafter und Handelsdelegierten, suchte Universitäten und Nieder­
lassungen österreichischer Firmen auf.
Der Netzwerker lief zur Höchstform auf.
­Kulhavy organisierte unter anderem die erste
Sommeruniversität (1990), an der bereits 40
osteuropäische Studenten und Assistenten
teilnahmen, Besuche und Gegenbesuche,
­Bücherspenden sowie Sponsoren für Diplomarbeiten. Heute kann die Johannes Kepler
Universität Linz auf elf Partnerschaftsverträge mit Universitäten in Tschechien, Ungarn,
Polen und der Slowakei verweisen.
Burgtheater-Deutsch
Kulhavy selbst war wie sein Vater stets österreichischer Staatsbürger, wenngleich sein
Name häufig als ungarisch interpretiert
wird. „Die Übersetzung lautet angeblich
‚aus den Schneebergen kommend‘“, amüsiert sich der Professor, der 1925 im schlesischen Oderberg geboren wurde, „das war
eine politische Wetterecke, mal deutsch,
mal polnisch, mal tschechisch.“ Mit dieser
Herkunft erklärt Kulhavy auch sein perfekt
artikuliertes Deutsch, das eines BurgtheaterMimen würdig wäre: „Ich musste siebenmal
Eingeschifft
das Gymnasium wechseln, aber nicht, weil
Das größte Vergnügen bereitete Kulhavy
ich ein so schlechter Schüler gewesen wäre,
freilich eine mehrwöchige Kreuzfahrt von
dabei hat sich meine Sprache abgeschliffen.“
San Francisco bis nach Alaska. Eines Tages
Kulhavys Ehefrau Emilie, mit der er belernte er den Schweizer Direktor einer
reits 58 Jahre lang verheiratet ist, stammt
Kreuzfahrtflotte kennen. Dieser sollte einen
aus Linz. Sie war Studienkollegin an der
Vortrag halten und erbat sich vom Marketing-Professor entsprechenden Input. Kulha- Hochschule für Welthandel in Wien, und er
lernte sie nach einer Vorlesung in der Eisenvy bedauerte, vom Kreuzfahrtgeschäft zu
bahn kennen. Das Ehepaar hat drei Töchter
wenig zu verstehen, worauf er sofort eingeladen wurde, einschlägige Marktstudien auf und acht Enkelkinder. „Die Namen habe ich
mir gemerkt, die Geburtstage nicht mehr“,
hoher See anzustellen. Seine Marktbeoblacht der angehende Jubilar, dessen geistige
achtung gipfelte in dem Satz „Ein Schiff ist
Frische erstaunen lässt. Er benützt das
wie eine Stadt“. Es sollte nicht bei dieser ei­Internet zum Recherchieren und für die
nen Kreuzfahrt bleiben. In Hongkong lernte
E-Mail-Korrespondenz, demnächst will er
Kulhavy 1990 den österreichischen Reeder
und Milliardär Helmut Sohmen kennen, der sich auch noch ein Smartphone zulegen:
ihn als Beirat in die Sohmen-Stiftung holte. „Ich möchte mitreden können“. Das wache
Weltoffenheit und Weitsicht kennzeichne- Interesse an aktuellen Entwicklungen hindert ihn nicht daran, die Kostbarkeit jedes
ten seit jeher den polyglotten UniversitätsTages, Monats und Jahres zu erkennen.
lehrer, der 1989 auch das Amt des Rektors
­Seine ­Briefe beschließt er neuerdings mit
übernahm. Kaum hatten sich die Grenzen
Osteuropas geöffnet, knüpfte er sofort ­engste dem Satz „Tempus fugit – Die Zeit eilt“.
Kontakte zu den Universitäten der Nachbar- Die ­große Bestseller-Familie und der Autor
­dieser ­Zeilen entbieten die herzlichsten
länder. Er betrachtet dies nicht nur als bilGlückwünsche daher ebenfalls in Latein:
dungs-und staatspolitische Verpflichtung,
Ad multos annos!
sondern auch als historische Aufgabe.
Bestseller 11|12 2010
privat (2)
Unterstützt wurde der Professor von wissenschaftlichen Mitarbeitern (Assistenten)
wie Günter Schweiger (heute emeritierter
Professor der Wirtschaftsuniversität Wien),
Hans Jörg Schelling (Präsident des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger),
Hannes Foullon-Matzenauer (langjähriger
Geschäftsführer der Kölner Werbeagentur
WESTAG), Gerhard Stürmer und Helmut
Ramsauer (Ramsauer & Stürmer Consulting), Alfred Schweiger (langjähriger Marketingchef von Umdasch/Doka Schalungstechnik), Manfred Salzinger (bereits verstorben),
Hans Mühlbacher (heute Universitätsprofessor in Innsbruck) oder Dietrich Kropfberger
(Universitätsprofessor in Klagenfurt). Vor
fünf Jahren, als Ernest Kulhavy seinen 80.
Geburtstag feierte, kamen 28 seiner 32 ehemaligen Assistenten aus dem In- und Ausland angereist – das sagt sehr viel über die
Verbundenheit des Teams mit seinem Lehrer
aus. Das damalige Geschenk der akademischen Gratulantenschar für den Jubilar:
­eine komplette Homepage.
Weggefährten
Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik, WU-Wien , Raiffeisenlandesbank oÖ, Hauptverband der österr. Sozialversicherungsträger
Gastkommentare.
Dkfm. Heinz Pechek
Geschäftsführer des Bundesverbandes Material­
wirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich
Dr. Hans Jörg Schelling
Generaldirektor des Hauptverbandes
der Sozialversicherungsträger
Mit Prof. Ernest Kulhavy verbinde ich nur beste Erinnerungen: Ich war zwar niemals sein Schüler, da ich an der Hochschule für Welthandel in Wien studierte, doch kam es im
­Zuge meiner Zeit beim ÖPWZ und bei der Veranstaltung des
Marketingtages wiederholt zur Zusammenarbeit. Für mich ist
Professor Kulhavy der Pionier des Marketings in Österreich,
er hat stets die Verbindung zur Praxis gesehen, ist weltoffen,
positiv und vergnügt. Er steht stets mit
beiden Beinen am Boden der Wirklichkeit und zeichnet sich durch grenzenlose Bescheidenheit aus. Natürlich
wüsste ich auch eine lustige Episode,
die ist aber nicht medientauglich …
Professor Kulhavy war immer visionär und für Neues aufgeschlossen, noch heute mit 85 korrespondiert er per E-Mail
­regelmäßig mit mir. Er hat Methoden eingeführt, die heute
selbstverständlich sind, aber damals revolutionär waren:
­Gespräche mit der Praxis, Seminare zu Zukunftsthemen mit
Mobil Oil unter aktiver Mitgestaltung und Mitbeteiligung der
Studenten, das Fallstudiencenter „Aus der Praxis für die Praxis“ etc. Er hat seine Mitarbeiter stets gefördert, ihnen aber
gleichzeitig große Spielräume mit Eigenverantwortung überlassen. Er war ein Meister des Fundraisings: Was heute von
den Unis in Bezug auf Drittmittel gefordert wird, hat er aktiv
gelebt und realisiert, er ist so etwas wie die
Verkörperung des Marketings. Er betrieb das,
was man heute Networking nennt. Als gesellschaftliches Großereignis rief er das „Marketing-Gschnas“ ins Leben, mit den ­Erlösen
wurden die jährlichen Studienreisen finanziert. Er stand persönlich beim Eingang,
selbstverständlich maskiert, und achtete darauf, dass nur Geladene eingelassen wurden – ohne Maske
schon gar nicht. Bei den Mobil-Seminaren gab es im Winter
immer ein Skirennen. Um auch als absoluter Antisportler eine
Chance auf einen Pokal zu haben, wurde eine Klasse „Generaldirektoren und Professoren“ mit zwei Teilnehmern ins Leben gerufen: So stand jedes Jahr ein Pokal (zumindest für
den Zweiten) in seinem Büro. Er hat viel Sinn für Humor: Zu
seinem 60er drehten wir ihm eine ZiB nach, die sich ausschliesslich um ihn drehte (inklusive Wetterbericht). Natürlich wurde er dabei auch von uns produzierenden Assistenten
ein wenig auf die Schaufel genommen. Darüber hat er wirklich herzhaft gelacht, sich riesig gefreut und Kopien dieser
­Innovation (TV-Kassette anstelle von Festschrift) an Freunde
und Bekannte verschickt.
Dr. Günter Schweiger
emeritierter Universitätsprofessor für
­Werbewissenschaft und Marktforschung
an der Wirtschaftsuniversität Wien
Ich hatte die Ehre, der erste angestellte Mitarbeiter von Prof.
Kulhavy am Institut in Linz gewesen zu sein. Gemeinsam
können wir auf 14 Habilitierte verweisen, von denen viele als
Professoren in drei Erdteilen tätig sind. Kulhavys Lehrer an
der Hochschule für Welthandel war Professor Oberparleiter,
der sich bereits nach dem ersten Weltkrieg mit Marketing beschäftigt hatte. Ernest Kulhavy trieb die Internationalisierung der Universität voran, sein Motto
lautete: „Die Welt hört nicht am Rhein auf“. Studienreisen und Betriebsbesichtigungen führten in viele
Länder, etwa zu Patek Philippe in Genf, zu einer Reederei in Amsterdam oder zu Nestle in Vevey. Kulhavys große Stärke war das Networking, er zeigte gesellschaftliche Präsenz und war in kürzester Zeit überall
bekannt. Seinen Mitarbeitern legte er mindestens drei Mitgliedschaften in Vereinen nahe – tolerant und liberal, wie er
ist, hat er es aber nie zur Bedingung gemacht. Legendär waren die Gschnasfeste, die in Linz als gesellschaftliches Ereignis galten. Tage vorher sah unser Institut wie eine LogistikZentrale aus, wegen der Lagerung von Bier, Wein und Sekt
blieb oft nur ein einziges Zimmer zum Arbeiten frei. Kulhavy
wandert gern, liebt das Eislaufen – und Schiffe: Als Angehöriger des 25er-Jahrgangs wurde er zur Marine eingezogen und
diente auf dem Kreuzer „Emden“.
Bestseller 11|12 2010
Dr. Ludwig Scharinger
Vorstandsvorsitzender der
Raiffeisenlandesbank Oberösterreich
Als ehemaliger Schüler bin ich em. Univ.Prof. Dr. Ernest Kulhavy heute noch sehr dankbar. Er war mir Vorbild und Motivator und hat uns Studenten den Zugang zu einem zukunftsorientierten Marketing ermöglicht, das das gesamte
Unternehmen zu erfassen und auf den
Markt auszurichten hat. Ernest Kulhavy ging es immer um die Menschen
und die Emotionen der Menschen und
nicht so sehr um die coolen Typen.
73
Kategorie I
An einen Haushalt bzw.
als Beilage in Printmedien
mail
Kategorie II
An einen namentlich
adressierten Haushalt
Platz 1
auftraggeber Schneiders Bekleidung
agentur Demner, Merlicek & Bergmann
kontakt agentur Mag. Lilli Gerlich
cd Franz Merlicek
text Arno Reisenbüchler
ad Roman Steiner
auflage 2.000 Stück
Platz 1
auftraggeber Traisenpark 18 Vermietungs GmbH
agentur A. Clodi Werbeagentur GmbH
kontakt agentur Elisabeth Gollnitzer
cd Mark Schneider
text Astrid Hinterholzer
ad Michael Strohmayer
auflage 108.000 Stück
Platz 2
auftraggeber Thalia Buch & Medien GmbH
agentur Createam Werbeagentur GmbH
kontakt agentur Nina Kern, Mag. Andrea Manaitu
cd Erwin Schmölzer
text Magdalena Felgenhauer
ad Dini Hross
auflage 1.300.000 Stück
Platz 3
auftraggeber SCN Gebäudevermietungs GmbH
agentur A. Clodi Werbeagentur GmbH
kontakt agentur Elisabeth Gollnitzer
cd Mark Schneider
text Astrid Hinterholzer
ad Michael Strohmayer
auflage 160.000 Stück
74
Bestseller 11|12 2010
Der Manstein Verlag ermittelt den Prospekt des Monats, eine Fachjury wählt die drei
besten Arbeiten aus. Wir bitten Sie, Ihren Einreichungen ein Briefing, bestehend aus
Werbeziel, Marketingziel, Zielgruppe und Positionierung, beizulegen. Ebenso bitten wir
Sie, uns die entsprechenden Credits wie Auftraggeber, Kontakt Auftraggeber, Werbeagentur, Kontakt Werbeagentur, Art Director, Creative Director, Text, Foto, Druck, Erscheinungszeitraum, Papierqualität sowie die Auflage des Prospekts bekanntzugeben.
best mail
in Kooperation
mit
Kategorie I
Platz 1
„Nette Idee, zielgruppengerecht aufbereitet und leicht verdaulich serviert.“
Hedi Zinöcker
Platz 2
„Klassisch; mit gutem Zugang zu den Emotionen.“ Alexandra Perl
Platz 2
auftraggeber VSG Direktwerbung GmbH
agentur VSG Direktwerbung GmbH
kontakt agentur Michael Moser
cd/text/ad Michael Moser
auflage 952 Stück
Platz 3
„Sehr interessante neue Werbeart; ein Türhänger mit Gutscheinen.“ Ramona Muik
Kategorie II
Platz 1
„Tolle Umsetzung, sowohl layoutseitig als auch produktionstechnisch.“
Hedi Zinöcker
Platz 2
„Überraschend und informativ.“ Alexandra Perl
Platz 3
„… eine Agentur, die feiern will … da geht der Blues ab ;)“ Ramona Muik
Platz 3
auftraggeber Agentur am Flughafen
agentur Agentur am Flughafen
kontakt agentur Benita Sutter
cd René Eugster
text Patrick Lidner
auflage 250 Stück
Bestseller 11|12 2010
Die Jury: (von links nach rechts)
Hedwig Zinöcker red-hot, Alexandra Perl Bundesministerium für Wirtschaft,
Familie und Jugend, Ramona Muik Österreichische Post AG
Einreichungen beim Manstein Verlag,
Brunner Feldstraße 45, A-2380 Perchtoldsdorf
Tel.: 01/866 48-626 (Ariane Schlosser)
75
SHOWCASE
76
Demner, Merlicek & Bergmann
Orange
Mediaedge
Ogilvy & Mather
OMD
Gull + Company
Wirz
PKP BBDO
Lowe GGK
Was sin
Eine
philoso
E
Pah
Seit M
Komm
und v
Irgendw
H
Bestseller 11|12 2010
Eine Branche gratuliert:
Unsere liebsten
Glückwunschanzeigen zu
30 Jahren Bestseller
Die Gratulanten
leben hoch!
MMS
DMVÖ
Glückwunschanzeigen bei Jubiläumsausgaben
von Printmedien sind eine besondere Herausforderung für Kreative, und so war es auch im
Fall des 30-Jahre-Heftes des Bestseller. Aus
Dank und Freude darüber wollen wir daher an
dieser Stelle noch einmal jene Anzeigen ausloben, die uns den 30. Geburtstag in besonderem Maße versüßt haben. Ob reduziert und
knackig oder multimedial und höchst aufwändig – das Bestseller-Jubiläum hat so manchen
Kreativen zu Höchstleistung angespornt, und
dafür sagen wir nicht nur ein lautes „Danke!“,
sondern auch: „Gratulation!“
dreißig Jahre? Eine Generation
Epoche Ein Witz. Fragen Sie mal einen Kulturophen wie Liessmann . Wir haben das getan
h! Von wegen Paradigmenwechsel.
Menschengedenken geht es in der
munikation vor allem darum: verstehen, verhandeln
verführen. Und das soll jetzt anders sein?
wie schon. Und dann wieder nicht. Aber lesen Sie selb
Hier und jetzt. Das Buch zum Wandel.
nd schon
RMS
Peugeot
TV-Media
Publicis
30
1980-2010
„Ausbilden muss man sich selber!“
Walter Lürzer, ehemaliger Leiter der Klasse
Kommunikationsdesign Schwerpunkt Werbung
an der Universität für Angewandte Kunst, zieht
kritisch Bilanz über seine mehr als 20-jährige Professur.
Interview von Clemens Coudenhove
Bestseller Herr Lürzer, wenn Sie auf die vergangenen 20 Jahre hier an der Klasse
für Kommunikationsdesign Schwerpunkt Werbung an der Universität
für Angewandte Kunst zurückblicken, was war die größte Zäsur bei der
Ausbildung?
Walter Lürzer Reden wir zuerst über das Wort „Ausbildung“. Dieser Be­
griff wird hier in der Schule gar nicht gern gehört. Die Veranwortlichen
bevorzugen „Bildung“. Wenn ich „Ausbildung“ sage, bekomme ich Ärger.
Warum denn das?
Lürzer Man ist der Meinung, dass die Klasse eigentlich auf eine Fach­
hochschule gehört – was ich für einen absoluten Blödsinn halte. Warum?
Was ist der Unterschied zwischen Werbung und Architektur? Null. Es
sind nur unterschiedliche Medien, die verwendet werden, aber letzten
Endes kommt es auf das Ziel an. Das Ziel der Werbung ist es, e­ inen
Zweck zu erfüllen. Das Ziel der Architektur ist ebenfalls, einen Zweck zu
erfüllen. Und nicht die Selbstdarstellung des Entwerfens um jeden Preis.
Wir heißen hier „Universität für Angewandte Kunst“, und so hat die­
sem Namen nach die Bildende Kunst hier nichts zu suchen. Ich be­
grüße es trotzdem sehr, dass die Bildende Kunst hier angesiedelt ist.
Weil man sich gegenseitig befruchten kann. Letzten Endes müssen
­unsere Leute mit den Studenten in den Fachhochschulen konkurrieren
können. Und über den Tellerrand blicken.
Gab es denn aus ihrer Sicht über eine Zäsur in der „Bildung“ hier?
Lürzer Letzten Endes verändern sich die Menschen nicht – sie ändern
sich nur durch die Entwicklung der Technik und der Wissenschaft. Sie
kommen sicher auf das Internet. Das ist eine Medienfrage und nicht
­eine Frage, ob sich Menschen verändern. Die größte Zäsur der Werbung
war eigentlich immer von der ­Entwicklung der Medien bestimmt. Die
Umgebung wurde durch die Medien
­bestimmt. Vor 20 Jahren gab es kein
­Handy. Ich hatte ein Autotelefon, das
war damals ein ­Prestigeobjekt.
geboren am 9. Juli 1942, war Mitbegründer der
Internet wird klassische Werbung nie
Agenturen TBWA in Frankfurt sowie Lürzer,
­ersetzen. Warum? Weil es einfach nicht
Conrad und Leo Burnett. Danach war er Chair­
möglich ist, Leute dazu zu bekommen,
man von Lowe, Lürzer und leitet von 1988 bis
mehrfach die gleiche Quelle anzuzapfen.
2010 die Meisterklasse für Grafik und Werbung
Einer der wesentlichen Punkte in der
an der Wiener Universität für Angewandte
Werbung ist die Wiederholung. Und
Kunst (heute: Kommunikationsdesign Schwer­
­unsere Formel für die Werbewirkung
punkt Wertbung). Seit 1984 ist Lürzer Verleger
(A+B+C / 1+V, siehe Kasten Seite 80)
und Herausgeber der Zeitschrift „Lürzer‘s Ar­
ist auch trotz Internet immer noch gültig.
chiv“, die Anzeigen, TV-Spots und Poster aus
Das ­Internet ist ein Schrotthaufen, der
aller Welt sammelt. Im Rahmen der CCA-Gala
sehr hilfreich sein kann, aber klassische
am 14. März 2008 wurde Lürzer zum CCAWerbung nicht ersetzen kann, wo sie den
Walter Lürzer
Ehren­mitglied ernannt. Er wurde 2009 von der
­Wirtschaftswoche und dem Gesamtverband
Kommunikationsagenturen in die Hall of Fame
der deutschen Wirtschaft aufgenommen.
78
Leuten 20 Mal einbläuen müssen, dass ihre
­ udeln mehr Eier enthalten als andere Nudeln.
N
Wenn man glaubt, durch Internet die klassische
Werbung ersetzen zu können: Dann wird das für
einige Produkte stimmen, aber für viele nicht.
Der Benefit habe heute immer weniger Bedeu­
tung für die Werber. Das halte ich für Unsinn.
Neulich hat mir jemand gesagt, der USP
(Unique Selling Proposition, Anmerkung) ist out.
Das ist Quatsch. Der Benefit ist vielleicht für
manche Produktgruppen nicht mehr wichtig.
Oder für Schüler, die Nike tragen müssen. Aber
für die meisten sind die Produkteigenschaften
und Benefits noch ein ganz wichtiger Grund,
­etwas zu kaufen.
Welchen Stellenwert hat Werbung hier auf der
Universität für Angewandte Kunst?
Lürzer Werbung wird immer gleichgesetzt mit
Wirtschaftswerbung. Werbung wird hier an
der Universität irgendwie abgesnobbt. Es ist
auch blöd zu sagen, „Werbung ist Kunst“.
­Werbung ist nicht Kunst, sondern ein zweck­
gerichtetes Bemühen. Aber es kann Kunst
sein. Und wir verwenden Mittel der Kunst im
besten Fall. Das ist positiv.
Vergleichen Sie die Anforderungen an die
­Studenten heute mit jenen vor 20 Jahren …
Lürzer Die Studenten waren damals genauso in­
dividuell und begabt wie heute, nur haben sich
die Medien vervielfacht. Wir hatten vor kurzem
die Aufnahmsprüfung hier, mit 120 Bewerbern.
Vor 20 Jahren war es lockerer. Damals ging es
den Agenturen auch noch viel besser. Heute
sind die Bewerber doch viel mehr unter Druck.
Als ich bei Lowe, Lürzer Chairman war, betreu­
ten wir Opel und hatten ein jährliches Honorar
von zwei Millionen D-Mark. Heute schauen
Kunden natürlich viel mehr auf den Preis.
Bestseller 11|12 2010
Wenn sie auf die letzten 20 Jahre zurück­blicken:
Was erfüllt sie mit Stolz?
Lürzer Die Studenten und Absolventen. Dass
wir es schafften, dass sie wirklich studierten
und nicht nur das schöne Leben als Student genossen. Und vor allem, wenn sie dann draußen
ihren Platz gefunden haben. Hier sieht man
wieder die Auseinandersetzung zwischen Ausbildung und Bildung. Ich persönlich bin stolz,
wenn jemand einen Job bekommt und davon
leben kann und dazu noch gebildet ist. Aber
nicht das eine oder das andere. Es hat keinen
Sinn, einen Berufszweig zu studieren, der gar
nicht gefragt ist. Das ist gesellschaftlich sinnlos.
War die Entscheidung, damals die Werbe-Klasse
zu leiten, einfach? Sie hatten großen Erfolg in
der Werbung, haben sehr viel Geld verdient, als
sie ihre Agenturanteile (an Lowe/Interpublic
Group, Anmerkung) damals verkauften?
Lürzer Ich wurde von Ernst Caramelle, einem
­international bekannten deutschen Künstler, damals angerufen. Er fragte mich, ob ich Professor
werden will. Ich habe geantwortet: Meine Mutter würde sich freuen. Das war es dann. Wenn
man, so wie ich, sehr viel verdient hat, wird
das Geld auf einmal nicht mehr so wichtig.
Was waren denn Tiefpunkte in ihrer Karriere?
Lürzer Die Angewandte selbst. Ich halte e
­ inige
meiner Kollegen teilweise für Kunst-Schma­
rotzer. Leute, die ihren Job nicht erfüllen.
Die nicht einmal anwesend sind. Und der
Punkt Ausbildung versus B
­ ildung hat mir
schon auch Kopfzerbrechen bereitet. Und ich
habe mich oft mit den Verantwortlichen an­
gelegt. Es ist nicht notwendig, dass unsere
­Studenten doppelt so viel kosten wie Studenten
auf anderen Universitäten.
Walter Lürzer
Fotografiert von Karl Michalski
Lürzers ABC-Formel
Fassen sie ihren größten Wunsch für die Zukunft der Werbe-Klasse
in Worte
Lürzer Als ich an die Uni kam, begrüßte man mich mit einem Trans­
parent: „Willkommen auf der Wirtschaftsuniversität!“. Das hat mich
damals sehr belustigt. Ich habe den Wunsch, dass man Werbung ernst
nimmt. Werbung ist älter als Architektur. Denken Sie an die Duftstoffe
von Mikroben vor Milliarden Jahren, die sich paaren wollten. In der
Natur ist normal, zu werben, sonst gibt es keine Fortpflanzung. Ich
wünsche mir, dass Werbung endlich als universeller Gedanke verstan­
den wird und nicht immer auf Wirtschaftswerbung reduziert wird.
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger an der Klasse, Matthias Spaetgens?
Lürzer Dass es ihm gelingt, einen ebenso guten Kontakt mit den
­Studenten aufzubauen. Ich habe immer gedacht, dass ich hier eher
unbeliebt bin, und war total überrascht, wie viel Unterstützung ich
speziell in den letzten Monaten, seit ich krank wurde, bekommen
­habe. Außerdem, dass Spaetgens es schafft, Leute auszubilden, die
­gute Jobs bekommen. Je mehr Stars sich entwickeln, desto besser.
Zitate über Werbung gibt es viele. Haben Sie ein Lieblingszitat? Welches
ist das dümmste?
Lürzer Keines dieser Zitate, die ich im Internet gefunden habe, ist inter­
essant genug. Wenn es sich überhaupt über einen längeren Zeitraum
hält. Aber die Leute plappern immer alles nach. Nehmen Sie Henry
Ford: „Die Hälfte der Werbespendings ist rausgeworfenes Geld. Man
weiß nur nicht, welche Hälfte“. Können Sie mir das erklären? Warum
nicht 80 Prozent? Was heißt „die Hälfte“? Ford wollte damit nur sagen,
dass er sich nicht sicher ist, aber trotzdem in Werbung investiert. Oder
nehmen Sie das Buch des deutschen Künstlern und Designers Michael
Schirner, „Werbung ist Kunst“. Das ist ein blöder Spruch und stimmt
einfach nicht. Auf der anderen Seite halte ich das aber für eines der
­besten Zitate, weil es der Werbung sehr geholfen hat. An die Kunst traut
sich niemand ran. An die Werbung traut sich jeder, die wird nur zu gern
kritisiert. Der Zweck des Zitats war positiv. Das war sehr geschickt.
Welche Ausbildungsstätte hatte den größten Einfluss auf Ihre 20-jährige
Lehrtätigkeit?
Lürzer Keine. Ich habe Welthandel studiert, das war zwar interessant
und wichtig, hat mir aber in der Werbung nicht weitergeholfen. Es gab
bei uns auch kein strukturiertes Lernen, es waren eigentlich immer
die Agentur-Leute, die für mich wichtig waren, Vorbilder waren. Ich
bin noch heute der Meinung, dass man Werbung nicht studieren muss.
Es kommt immer auf Einzelpersonen an und später auf das Team. Ein
guter Art Director ist gleichzustellen mit einer Universitätsausbildung.
Den Bildungsbereich lernt man dabei allerdings nicht. Der Bildungsbe­
reich, der kam für mich dann später hier. Man muss sich sein eigenes
„Es gibt heute hunderte Sender,
und die sind gezwungen, Mist zu
produzieren. Die Leute werden
dadurch immer dümmer.“
Walter Lürzer
Eine der bekanntesten Formeln, die unter der Leitung von
Walter Lürzer an der Werbeklasse e­ ntwickelt wurden, ist die
ABC-Formel für die Bewertung von Werbebotschaften:
Q = (A+B+C) / (1+V)
A = Aktivierung
Die Botschaft muss Aufmerksamkeit erregen – indem man die
Menschen der Zielgruppe interessiert oder amüsiert.
B = Benefit
Werbung muss einen Vorteil für den Kunden präsentieren.
C = Character
Eine Werbekampagne muss individuell sein und Kontinuität
besitzen, das heisst, einen unverkennbar gleichen Stil tragen
und diesen so lange wie möglich beibehalten.
V = Vampir-Effekt
Claude C. Hopkins warnte bereits 1922 vor der Gefahr, die ein
falsches Bild oder eine besonders witzige Headline in sich birgt
– indem sie zwar für Aufmerksamkeit sorgt, zugleich jedoch
vom Produkt und seinem eigentlichen Nutzen ablenkt
­(Beispiele: Sex, Humor oder Testimonials).
Gebäude schaffen, viel lesen. Ich habe meinen
Studenten immer gesagt: „Schaff Dir Dein eige­
nes Werbegebäude. Das muss mit meinem
nicht übereinstimmen, sondern nur eine eigene
Logik in sich haben, und dann musst Du in der
Lage sein, Dinge ungewöhnlich zu sehen“.
­Dazu kommt Talent. In welcher Ausbildungs­
stätte können Sie lernen, ungewöhnlich zu
denken? Man kann den Leuten nur helfen –
ausbilden muss man sich selber. Ähnlich wie
bei Journalisten. Wenn sie nicht selber gern
­lesen und schreiben, dann nützt auch keine
Ausbildungsstätte. Ich halte auch von der Foto­
grafenausbildung hier an der Uni gar nichts.
Die besten Fotografen haben noch immer bei
einem anderen besten Fotografen gelernt.
Wodurch wird sich die Ausbildung Ihrer
­Meinung nach unter ihrem Nachfolger Matthias
Spaetgens unterscheiden? Welchen Rat haben
Sie ihm mit auf den Weg gegeben?
Lürzer Unterscheiden? Das weiß ich nicht. Er
hat die gleichen Assistenten und Lehrbeauf­
tragten, und er ist intelligent genug zu sagen:
„Ich schaue mir das einmal an und werde dann
entscheiden, was zu ändern ist“. Insofern weiß
ich nicht, was sich verändern wird. Ich bin
auch überhaupt nicht gegen Veränderung. Ich
sage ja, jeder soll sein eigenes Gebäude schaf­
fen. Er ist viel jünger als ich, das bringt auch
enorme Vorteile mit sich. Ich habe ihm keinen
Rat gegeben. Ich habe ihn ein bisschen vor
­dieser elitären Gesellschaft gewarnt, die Uni ist
nicht das Nonplusultra, auch die sogenannten
Stars sind es nicht. Die sind sehr selbstbezogen.
Das ist eigentlich das Schlimmste, was es gibt.
Egoismus
Bestseller 11|12 2010
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Armin Thurnher
MEDIENTAGEBUCH NR. 166
Er mag sich bekanntlich nicht fassen
lassen, der Augenblick. Dennoch
­habe ich meinen Augenblick in
schriftlicher Fassung. Denn als ich
im November den Ehrenpreis des
österreichischen Buchhandels erhielt, eine äußerst ehrenvolle Auszeichnung, da konnte sich mein
Laudator, der Philosoph Konrad
Paul Liessmann, der Aufgabe nicht
entziehen, auch mein Kochbuch
„Thurnher auf Rezept“ zu loben, obwohl es so gar nicht in sein Metier
fällt – schließlich ist dieses Buch
mein neuestes Werk und Teil meiner
schriftstellerischen Publikation. Ich
hatte ihm zuvor bedeutet, er müsse
es erwähnen, ich sei stolz darauf,
wie schön es geworden sei.
Liessmann entledigte sich der
Aufgabe äußerst elegant, indem er
am Ende seiner Laudatio öffentlich
ankündigte, er sei noch nie von mir
zum Essen eingeladen worden,
k­önne also die Qualität meines
Kochbuchs nicht beurteilen. Seine
Laudatio war, wie der hinter mir
­sitzende Franz Schuh bemerkte, die
charmanteste und schönste Art,
sich selbst zum Essen einzuladen.
Die ganze Veranstaltung war eine Freude für mich; ich konnte gleich
öffentlich die Selbsteinladung als angenommen erklären und sagte
­danach einige unfreundliche Dinge über den Zugriff der Politik auf den
öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das interessierte zwar eine junge Kollegin vom Fernsehen, ihr Beitrag wurde jedoch in der Mittags-ZiB entsorgt.
Radio Ö1 berichtete wie immer korrekt, selbstverständlich nur in der
­Kultur, nicht in der Politik. In der Politik hat man beim ORF andere
­Sorgen. Nämlich das Wohlergehen der Protagonisten. Denen ist allesamt
das Hemd näher als der Rock.
Ich habe einen prima Magen und musste nur ganz kurz schlucken, als
ich verstanden hatte. Die wollten nie und werden nie im ORF selbst über
den ORF reden wollen. Die werden nie das eigene Medium thematisieren,
die werden nie kapieren, dass sie nur so, nur aus eigener Kraft, ihre
­öffentliche Rolle festigen könnten. Wenn das Publikum nicht versteht,
wozu es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht, warum soll es
ihn dann wollen? Und wenn nicht das Publikum, wer dann soll ihn
­wollen? Die Verleger, die ihn amputieren, und die Politik, die ihn instrumentalisieren will? Das ORF-Desaster stolpert in die nächste Runde.
Am nächsten Tag ging ich auf die „Buch Wien“, Abteilung Kochbühne.
Man muss im Leben ja auch Spaß haben. Meine
Frau, Irena Rosc, Ko-Autorin des Kochbuchs,
„Wenn das Publikum
meine zur Preisverleihung angereiste Mutter
(91) und mein sie begleitender Neffe Martin
nicht versteht, wozu
­Ender (30) bildeten mit mir ein Team. Wir
es einen öffentlich­hatten uns für Fleischlaberln mit Erdäpfelsalat
rechtlichen Rundfunk
entschieden, und die wollten wir nicht nur
­andeutungsweise vorkochen, wir wollten die
braucht, warum soll
Menge füttern. Gemeinsam hatten wir stundenes ihn dann wollen?“
lang frischen Majoran, Petersilie, Zwiebel, Knoblauch und frische Semmelwürfel geschnitten.
Daraus und aus zehn Kilo Bio-Faschiertem (ein Drittel Schwein, zwei
Drittel Rind) formten wir über 300 Fleischlaberln, die wir innerhalb einer
Stunde brieten, wobei uns eine charmante Moderatorin interviewte.
Wir trugen Headsets, Irenas Headset fiel aus, was sie nur insofern
­behinderte, als sie beim Austeilen von Senf, Salat und Laberln beiseite
ins vorgehaltene Mikrofon sprechen musste. Hunderte stellten sich an,
die meisten konnten wir abspeisen. Für einmal keine Phrase! Meine
­Mutter bewies beim Laberlformen und beim Überraschungsinterview
Haltung und Kondition. Mein Neffe, Grafiker von Beruf, briet Laberln wie
der Teufel. Er verstand, Gott sei Dank, im Unterschied zu mir den Induktionsherd. Ich spritzte meine Falter-Kochschürze mit Butterschmalz voll.
Das mitfilmende Team von ServusTV war so fasziniert, dass es vergaß,
mir am Ende das drahtlose Mikro wieder abzunehmen. Danach waren
wir so glücklich wie ein Restaurant-Team nach der erfolgreichen Eröffnung. Nur Liessmann war nicht gekommen. Obwohl Fleischlaberln seine
Lieblingsspeise sind. Wir haben den Rest eingefroren: für die Einladung.
Armin Thurnher ist Gründer und Chef­redakteur der Wiener ­Stadtzeitung Falter.
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