Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer

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Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Atlas der Industrialisierung
der Neuen Bundesländer
Gerald Braun, Tobias Güra, Sebastian Henn, Thilo Lang,
Carsten Schürmann, Karsten Voß, Pawel Warszycki
Atlas der Industrialisierung
der Neuen Bundesländer
Gerald Braun, Tobias Güra, Karsten Voß, Pawel Warszycki
Hanseatic Institute for Entrepreneurship and Regional Development at the University of
Rostock (HIE-RO)
Rostock
Sebastian Henn, Thilo Lang
Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL)
Leipzig
Carsten Schürmann
Büro für Raumforschung, Raumplanung und Geoinformation (RRG)
Oldenburg i.H.
Rostock, November 2013
Erstellt im Auftrag der
Beauftragten der Bundesregierung
für die neuen Bundesländer
Erstellt durch das Hanseatic Institute for Entrepreneurship
and Regional Development an der Universität Rostock
HIE-RO, Rostock
© 2014 BMWi, Berlin
Alle Rechte vorbehalten
Redaktion und Lektorat: Ulrike Kretschmer, HIE-RO, Rostock
Redaktionsschluss: 1. Oktober 2013
Kartographie und Grafiken: Carsten Schürmann, Büro für Raumforschung, Raumplanung und
Geoinformation (RRG), Oldenburg i.H.
Inhaltsverzeichnis
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Die Industrie als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung
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Die Industrie, seit jeher Treiber wirtschaftlicher Entwicklung
Ostdeutschlands, verliert keinesfalls an Bedeutung. Vor allem sie
ist es, die den wirtschaftlichen Abstand zu Westdeutschland
verringern kann. Dabei ergänzen sich Industrie und Dienstleistungen als wettbewerbsfähiger Verbund. (G. Braun, T. Güra)
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Teil 1: Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Waren beide deutschen Staaten vor der Wiedervereinigung eher
Randgebiete in ihren jeweiligen politischen Blöcken mit vorherrschenden Nord-Süd-Verkehren, katapultierten die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit insbesondere Ostdeutschland von der
Peripherie ins Zentrum Europas. (C. Schürmann)
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History Matters – Industrielle Traditionen setzen sich fort
Bedeutende Industriestandorte und Branchen reichen in den
Neuen Bundesländern bis ins 19. Jahrhundert zurück. Auch die
Verteilung der industriellen Arbeitsplätze in Ostdeutschland zeigt
historisch bekannte Muster. (G. Braun)
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Flucht vor der DDR-Planwirtschaft
Der wachsende Rückstand der DDR-Wirtschaft hatte vier Ursachen: (1) Hohe Reparationen an die Sowjetunion, (2) Abwanderung von Fachkräften und Unternehmern, (3) Verlagerung von
Konzernzentralen nach Westdeutschland und (4) Innovationsfeindlichkeit der DDR-Planwirtschaft. (G. Braun)
116
Wo der DAX sitzt – Ostdeutschland (fast) ohne Konzernzentralen
40
Ein Standort D oder Zwei? Deutschland der zwei Produktivitäten
Gemessen an wichtigen Kennziffern (BIP, Arbeitslosenquote,
Industrialisierungsgrad, Einkommen) bestehen zwischen West
und Ost immer noch erhebliche Unterschiede. Gründe dafür sind
die geringe Zahl von Großbetrieben, die KMUUnternehmensstruktur, fehlende Cluster und Netzwerke im Osten.
(G. Braun)
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Teil 2: Perspektiven für Ostdeutschland – Industriestandorte im internationalen Vergleich
Für Ostdeutschland war die Wiedervereinigung Startschuss einer
anhaltenden Aufholjagd. Der wirtschaftliche und technologische
Rückstand ist geschrumpft. Investoren bietet sich ein attraktiver,
wettbewerbsfähiger Standort bei regionalen Unterschieden. Für
Zukunftsmärkte gilt es vorbereitet zu sein. (G. Braun, T. Güra)
32
Auf der Überholspur – Standortbedingungen in Ostdeutschland
Im vergangenen Jahrzehnt hat Deutschland unter allen industriellen Hightech-Ländern den größten Sprung nach vorn gemacht.
Dies gilt, wenngleich in geringerem Maße als für Westdeutschland, auch für den Standort Ostdeutschland. (G. Braun)
Berlin: Hauptstadt mit kreativer Gründerszene
„Berlin, Berlin, du bist so wunderbar!“ Nach langwieriger Hauptstadtdebatte ist das flächenmäßig kleinste ostdeutsche Bundesland Repräsentanz hochkarätiger Industrie, Politik und Kultur
geworden. Attraktiv für kommende Generationen mit ambitionierten Vorstellungen für die Zukunft. (T. Güra)
54
Brandenburg: Metropolnah mit dezentralen Wachstumskernen
Bedenkt man die zentrale Rolle der ehemaligen preußischen
Provinz, so muss sich Brandenburg mit seiner Wirtschaft in
Ostdeutschland keineswegs verstecken. Die Symbiose mit Berlin
demonstriert die deutsche Hauptstadtregion und bildet eine
bedeutende wirtschaftliche Säule Ostdeutschlands. (T. Güra)
56
Mecklenburg-Vorpommern: Agrarwelten, Tourismus und
Gesundheit
Meck-Pomm zählt zu den strukturschwächsten Regionen: Agrarisch strukturiert, dünn besiedelt, niedriger Industriebesatz, relativ
hohe Arbeitslosigkeit. Dominierende Branchen sind Nahrungsmittelindustrie und maritime Wirtschaft. Potenzial haben Tourismus, Gesundheitswirtschaft, Logistik und Erneuerbare Energien.
(G. Braun)
Die Bevölkerungszahl Ostdeutschlands sank in den letzten Jahren stärker als im Westen, das Durchschnittsalter stieg schneller
als im Bundesschnitt. Für ostdeutsche Arbeitgeber wird es
höchste Zeit, sich auf die demographischen Veränderungen
einzustellen. (Th. Lang)
30
Teil 3: Die Neuen Bundesländer – Vielfalt in der Einheit
Nach der Wende haben die Neuen Bundesländer vielfältige
Wirtschaftsprofile entwickelt mit Ansätzen eigenständiger Entwicklungskonzepte: Regionalstruktur, Bevölkerungsentwicklung,
Bildungsstand, Innovationstätigkeit, strukturprägende Industriebranchen, Internationalisierungsgrad, Attraktivität. (G. Braun)
Mit der Entflechtung der VEB-Großbetriebe kommt es zu einer
Konzentration auf kleinere und mittlere Unternehmen (KMU). Auf
ihnen ruht wesentlich das wirtschaftliche Wachstum, Beschäftigung, regionale Wirtschaftskreisläufe, Bildung und Ausbildung.
(G. Braun)
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Systemköpfe: Ein Blick in die Zukunft
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile haben (ost-)deutsche Industriefirmen, die einfache Fertigungen mit niedrigen Wertschöpfungsstufen ins Ausland verlagern und sich auf wertschöpfungsintensive Dienstleistungen und Produktionsverfahren am Standort
Deutschland spezialisieren. (G. Braun)
Unternehmerischer Mittelstand: Motor des Aufbaus Ost?
Weniger, älter, bunter – Demografische Folgen für das
Humankapital
Neues schaffen – Ostdeutsche Industrie im technologischen Wettbewerb
Nach Prognosen ist die ostdeutsche Industrie in wichtigen Zukunftsfeldern wie Gesundheits- und Umweltökonomie, Erneuerbare Energien, IuK-Wirtschaft, optische Industrie und Nanotechnologie langfristig aussichtsreich aufgestellt. (G. Braun)
Von den größten und bedeutendsten Aktiengesellschaften des
Standortes Deutschland haben exakt sechs ihren Firmensitz in
den Neuen Bundesländern: zwei in Jena und fünf in Berlin. In
den anderen ostdeutschen Bundesländern befindet sich kein
einziger Hauptsitz. (K. Voß, C. Schürmann)
118
Ostdeutsche Firmen im Kampf auf dem Weltmarkt
Die DDR-Industrie war von den „kapitalistischen“ Weltmärkten
abgeschottet und auf die sozialistischen ‚Bruderländer’ fixiert.
Dennoch ist es der ostdeutschen Industrie gelungen, mit ihren
Produkten Auslandsmärkte zu erobern, bei weiterhin erheblichem
Rückstand gegenüber Westdeutschland. (G. Braun)
Die bemerkenswerte Entwicklung der ostdeutschen Industrie
greift auf historische Vorgänger, Kompetenzen und Erfahrungen
zurück. Ein Mix überwiegend kleinerer mittelständischer Unternehmen und regional ansässigen Branchen prägt heute das
industrielle Strukturbild der Neuen Bundesländer. (G. Braun)
12
Von der Peripherie ins Zentrum Europas
58
Sachsen: Dialekt macht erfolgreich!
Bereits Goethe hatte erkannt: „Sachsen, Sachsen! Ey! Ey! Das
ist starker Tobak!“ Zum industriellen Innovationstreiber mutiert,
sind hier die meisten ostdeutschen Weltmarktführer beheimatet.
Das Produktportfolio ist äußerst vielfältig, und in manchen Nischenmärkten zum Primus avanciert. (T. Güra)
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Sachsen-Anhalt: Das ostdeutsche Chemieland
Sachsen-Anhalt ist bekannt für seine UNESCOWeltkulturerbestätten, wie das Bauhaus oder das Lutherhaus.
Auch die Industrie hat eine lange Tradition. Die Ursprünge des
verarbeitenden Gewerbes reichen weit zurück. Daneben siedeln
sich immer mehr Betriebe aus innovativen Branchen an. (K. Voß)
Inhaltsverzeichnis
Thüringen: Alte Kultur und moderner Mittelstand
Thüringen – das Land in der Mitte- gilt mit seiner Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft seit alters her als ‚Herz Deutschlands’.
Forschergeist, unternehmerische Initiative und mittelständische
Unternehmensstruktur in bedeutenden Wachstumsfeldern prägen
das Land. (G. Braun)
Teil 4: Spezifische Industriebranchen in Ostdeutschland Branchenschwerpunkte im Überblick
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Nach jahrzehntelanger Isolation vom Weltmarkt sind die Folgen
der Planwirtschaft nicht mehr zu sehen. Frei nach dem Motto
„Auferstanden aus Ruinen“ rollen aus den ostdeutschen Werkshallen hochmoderne Fabrikate für den Weltmarkt – heute auch
mit E-Antrieb und Karbonkarosserie. (T. Güra)
Nanotechnologie: Eine Branche unter der Lupe
74
Der Maschinenbau ist einer der wichtigsten deutschen Industriezweige. Das galt auch für die DDR, die in den 1980er Jahren zu
den zehn größten Maschinenbauproduzenten der Welt gehörte.
Die Zukunft liegt im Export, doch dazu braucht der Osten mehr
Vernetzung und Kooperationen. (K. Voß)
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Das Gesundheitswesen hat sich verändert. Ostdeutschland hat
diese Trends frühzeitig erkannt und damit begonnen, einen
neuen Markt führend mitzugestalten. Dabei kommen längst
vergessene Relikte des DDR-Gesundheitswesens zum Einsatz
und verschaffen Regionen mitunter einen Wettbewerbsvorteil. (T.
Güra, K. Voß)
Biotechnologie: Ein farbenfroher Wachstumsmarkt
Als junge Technologie ist die Biotechnologie forschungsintensiv
mit langfristig interessanten wirtschaftlichen Perspektiven. In den
letzten Jahren konnten sich die ostdeutschen Bioregionen gut
entwickeln, wobei weiteres Wachstum im Bereich der industriellen Biotechnologie zu erwarten ist. (K. Voß)
108
112
Die Internationalisierung ostdeutscher Industriefirmen, gemessen
an Exporten und Produktionsstätten im Ausland, ist laufend
gewachsen, jedoch gibt es immer noch Rückstände im Vergleich
zu westdeutschen Unternehmen. Eine mögliche Exportstrategie
für ostdeutsche KMU wird skizziert. (G. Braun)
116
Ostdeutschland verfügt über zahlreiche Cluster sowohl im HighTech-Bereich als auch in traditionellen Industrien. Ihre Förderung
beruht auf verschiedenen länderspezifischen, bundeslandübergreifenden und bundesweiten Maßnahmen. (S. Henn)
Toleranz, Talente und Technologie – wo Ostdeutschlands
Zukunft liegt
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Unternehmensgründungen – sei es aus Not oder aus Streben
nach Selbständigkeit – leisten in Ostdeutschland wichtige Beiträge zur Modernisierung und Verbreiterung der Produktionsstruktur,
zu Innovationen, regionaler Beschäftigung und zum Aufbau des
unternehmerischen Mittelstands. (G. Braun)
Endogenes Wachstum – Netzwerke und Cluster fördern
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Das Erwerbspotenzial wird vor allem in Ostdeutschland erheblich
schrumpfen und älter werden. Fachkräfte in MINT-, Gesundheits- und Pflegeberufen werden bereits gegenwärtig dringend
gesucht. Ein Konzept zur Vergrößerung der Erwerbsbevölkerung
und zu seiner Höherqualifizierung wird entwickelt. (G. Braun)
Internationalisierung ernst nehmen
Bis 2009 galten (ost-)deutsche Solarfirmen als Weltmarktführer.
Überkapazitäten und ein enormer Preisrutsch haben trotz staatlicher Förderung den Niedergang der Branche ausgelöst. F&E,
neue Produkte, Verfahren, Märkte und internationale Zusammenarbeit bieten Zukunftsperspektiven. (G. Braun)
96
Eines der zentralen Probleme der ostdeutschen Wirtschaft ist der
geringe Anteil forschungsintensiver Großunternehmen. KMU
scheuen häufig F&E-Risiken; ihnen fehlt meist auch Zugang zum
notwenigen Kapital. Daher liegt der Schwerpunkt der F&EAktivitäten bei öffentlich finanzierten Einrichtungen. (T. Güra, K.
Voß)
Entrepreneurship – Impulsgeber innovationsgetriebener
Volkswirtschaften
Mit dem entschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft wurden die
Neuen Bundesländer zum Vorreiter einer Energierevolution.
Regenerative Energien (Windkraft, Solar und Bioenergie) werden
massiv gefördert. Sie sind wichtige Wachstumsfelder für Wertschöpfung, Beschäftigung und Innovation. (G. Braun)
Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik: Genesung des
Patienten
94
„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“, so der
deutsche Soziologie Sir Ralf Dahrendorf. Diese Erkenntnis ist in
den Naturwissenschaften unumstritten, in der Wirtschaftspolitik
hingegen werden oft Maßnahmenbündel ohne theoretischen
Unterbau entworfen. (G. Braun, T. Güra)
Mitarbeiter in den Mittelpunkt: Strategien gegen den Fachund Führungskräftemangel
Maschinenbau: Erfolgsfaktor mit aussichtsreicher Tradition 76
Solarindustrie: Geht im Osten die Sonne unter?
Teil 5: Industriepolitik für Ostdeutschland - Perspektiven
und Entwicklungspotenziale
Wachstumstreiber Innovation: Forschen für die Zukunft
Ostdeutschland verfügt über rund ein Viertel aller bundesdeutschen Organisationen mit Aktivitäten in der Nanotechnologie.
Merkmale der ostdeutschen Nanolandschaft sind wettbewerbsfähige Clusterstrukturen in Berlin und Dresden sowie ein deutlicher
Mangel an Großunternehmen. (S. Henn)
Erneuerbare Energien: Sonne, Wind und Wolken über
Ostdeutschland
Aufbruch ins digitale Zeitalter – IKT als Schlüsseltechnologie
Die IKT-Branche ist einer der größten Branchen und Innovationstreiber (E-Commerce und E-Business, E-Energy, E-Health,
E-Learning und E–Mobility). Bedeutende Standorte mit europäischem Rang in Ostdeutschland sind vor allem Berlin/Brandenburg und Silicon Saxony um Dresden. (G. Braun)
Die größten Produktionsstätten der chemischen Industrie in
Ostdeutschland befinden sich nach wie vor im Mitteldeutschen
Chemiedreieck. Die Branche hat sich nach der Wende spät
erholt und verzeichnet nun von Jahr zu Jahr wachsende Umsätze
mit einer Exportquote um die 50%. (K. Voß)
Automobilindustrie: Vom Zweitakter zum Elektroauto
90
Der Flughafen Leipzig / Halle sowie die Seehäfen Rostock und
Saßnitz sind die „Tore zur Welt“ Ostdeutschlands in der Logistikwirtschaft. Transportketten im Osten bauen auf exzellente,
Maßstab setzende Güterverkehrszentren auf; KEPs hadern mit
der geringen Bevölkerungsdichte. (C. Schürmann)
Seit der Wende vollzieht sich ein langfristiger Strukturwandel in
der ostdeutschen Wirtschaft. Die Branchenstrukturanalyse zeigt,
welche Industrien die Basis der ostdeutschen Industrie darstellen
und dass forschungsintensive, innovative Branchen zunehmend
wichtiger werden. (K. Voß, T. Güra)
Die Chemie stimmt?!
Verkehr und Logistik: Gateways und Hubs
120
Die essentielle Voraussetzung für Zukunftstechnologien und
Weltmarktfähigkeit sind die heutigen Einst-eins und Michelangelos von Morgen! Ohne kreative Köpfe kann keine Nation zum
Überholen beschleunigen. Ostdeutschland konkurriert um die
Gunst der Talente aus aller Welt. (G. Braun)
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
124
Einleitung
Die Industrie als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung
Die Industrie, seit jeher Treiber wirtschaftlicher Entwicklung Ostdeutschlands, verliert keinesfalls an
Bedeutung. Vor allem sie ist es, die den wirtschaftlichen Abstand zu Westdeutschland verringern
kann. Dabei ergänzen sich Industrie und Dienstleistungen als wettbewerbsfähiger Verbund.
Vor mehr als 60 Jahren veröffentlichte der französische Wirtschaftsforscher Jean Fourastié ein aufsehenerregendes Buch. Sein Titel: „Die große
Hoffnung des 20. Jahrhunderts“. Diese Hoffnung
war der Dienstleistungssektor: Das Wachstum privater Leistungen wie etwa Frisör- und Kosmetikdienste, Kino- und Theateraufführungen, Bankund Versicherungsleistungen, Reisen, aber auch
staatliche Dienste wie Schulen, Krankenhäuser und
Verkehr.
Im Zuge steigender Einkommen, so Fourastié,
werde sich die Nachfrage der Verbraucher von
Agrarprodukten, Nahrungs- und Genussmitteln
über industrielle Erzeugnisse wie Autos, Kühlschränke und Fernsehapparate zu privaten und
staatlichen Dienstleistungen verlagern.
Keine andere Prognose der Wirtschaftswissenschaften war so zutreffend wie Fourastiés Vorhersage – bis vor kurzem: Tatsächlich ist der Anteil
des Landwirtschaftssektors an den Gesamtbeschäftigten in Deutschland von 17% (1950) auf
knapp 2% (2012) gesunken, der des Industriesektors hat von 48% auf 23% abgenommen. Umgekehrt stieg der Anteil der Dienstleistungen an der
Gesamtbeschäftigung von 35% auf 75%.
Allerdings hat sich die große Hoffnung als durchaus trügerisch erwiesen. Bei persönlichen und
haushaltsnahen Dienstleistungen sind in den letzten
Jahren vor allem schlecht bezahlte und unsichere
(Halbtags-)Arbeitsplätze entstanden, etwa im Einzelhandel, im Fremdenverkehr und in der Krankenpflege. Mehr noch: Der Verlust an industriellen
Arbeitsplätzen konnte häufig nicht ersetzt werden
mit dramatischen Folgen für die gesamtwirtschaftliche Beschäftigung und Einkommen.
Kaum verwunderlich also, dass in nahezu allen
sogenannten „Industrieländern“, die in den vergangenen Jahren industrielle Kapazitäten an die neuen
Wettbewerber, vor allem China, verloren haben, ein
Prozess des Umdenkens stattfindet. Die Europäische Kommission setzt sich zum Ziel, den Anteil
der Industrie in der EU-Wirtschaft von derzeit
16,5% wieder auf über 20% zu steigern. Die USA,
die es in den vergangenen Jahren besonders hart
getroffen hat, nachdem der Industrieanteil nur noch
bei ca. 10% liegt, erlebt derzeit eine Reindustrialisierung. Großbritannien, einst Mutterland der Industrie, will seine einseitige Ausrichtung auf moderne Dienstleistungen des Banken- und Versicherungssektorsdurch eine Renaissance seiner Industrie ausgleichen.
Tatsächlich ist der industrielle Sektor unverändert
Motor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung:
6



Innovationsleistungen werden im Durchschnitt
aller Volkswirtschaften zu 80% in der Industrie
erbracht.
Zwei Drittel der Exporte hängen mit der Industrie
zusammen.
Ein Arbeitsplatz in der Industrie lässt ein bis
zwei weitere Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich entstehen.
Deutschland hat es geschafft, seinen Industrieanteil konstant bei knapp 23% zu halten. In Ostdeutschland liegt er derzeit bei knapp 16%. Damit
hat der Standort Deutschland im internationalen
Vergleich die größte Industriebasis aller HighTech-Nationen. Speziell aus ostdeutscher Sicht ist
bedeutsam, dass die Angleichung der Wirtschaftskraft an die westlichen Bundesländer vor allem mit
Hilfe einer starken, modernen Industrie gelingen
kann. Die empirische Wirtschaftsforschung zeigt,
dass Konvergenz zwischen zwei wirtschaftlich unterschiedlichen Regionen, hier zwischen Ost- und
Westdeutschland, in der Industrie besonders hoch
und auch besonders nachhaltig sind.
Nirgendwo ist die ostdeutsche Wirtschaft seit der
Wende so kräftig gewachsen wie in der Industrie.
Sie war und ist bis heute der Motor des Aufbau Ost
und der Angleichung der Wirtschaftskräfte zwischen Ost und West.
Ein Blick auf die Karte der regionalen Branchenschwerpunkte in Ostdeutschland zeigt, salopp
formuliert, ein farbenfrohes Bild. Es ist Ausdruck
des Erfolgs der vergangenen zwei Jahrzehnte; eine
Aufbauleistung, die durch das Engagement und
Ideen der Menschen und durch eine, keineswegs
unumstrittene, Transformations- und Förderpolitik
zustande kam. Doch die historischen Strukturbrüche durch Krieg, Demontagen, verfehlter Planwirtschaft und Treuhandpolitik sind bis in die Gegenwart sichtbar. Seit 1995 ist die ostdeutsche Industrie jedoch real mit beachtlichen 5% pro Jahr gewachsen.
Der Abstand zu den westlichen Bundesländern hat
sich gerade hier am deutlichsten verkürzt. Damit
hat sich wieder eine solide und wettbewerbsfähige
industrielle Basis gebildet, nachdem aufgrund der
Schwächen in der DDR und den besonderen Herausforderungen der Zeit nach der Wende die industrielle Produktion fast zum Erliegen kam.
Einleitung
7
Einleitung
Und doch: Die ostdeutsche Industrie ist gemessen
an ihrer westdeutschen Schwester bis heute relativ
klein und kapitalschwach. 2012 machte die industrielle Leistung der Neuen Bundesländer gerade
einmal 8,9% der industriellen Gesamtleistung
Deutschlands aus, mit Berlin waren es immerhin
10,7%. Die Reindustrialisierung Ostdeutschlands
zeigt damit ein vielschichtiges Bild: Beeindruckende Aufholerfolge mit wachsenden regionalen
Schwerpunkten an vielen, besonders häufig an
traditionellen Standorten auf der einen Seite und
zugleich prekäre strukturelle Schwächen auf der
anderen Seite, dicht neben einander. Vor allem
fehlen dem industriellen Mittelstand Ost weitgehend
die regionalen Wirtschaftskreisläufe, die andere
Regionen in Deutschland und Europa auszeichnen
und deren industrielle Stärke ausmachen. Auch die
Einbindung in globale Wertschöpfungsketten und
Vernetzungen sind erst in Anfängen entstanden.
Die Kleinteiligkeit der ostdeutschen Unternehmensstruktur – Erbe der Transformationsphase nach der
Wiedervereinigung und speziell der Privatisierungspolitik – stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Der ostdeutsche Industriesektor ist durch
kleine und wenige mittelgroße Betriebe geprägt,
große Unternehmen und Konzernzentralen aber
fehlen bis heute nahezu vollständig. Dieses Phänomen zählt zu den grundlegenden strukturellen
Problemen der ostdeutschen Industrie, mit Auswirkungen in vielen Bereichen. Wenn sich die Einkommen weiter angleichen sollen - die Arbeitnehmereinkommen pro Stunde liegen erst bei 76% des
westdeutschen Durchschnitts - dann brauchen die
Neuen Bundesländer eine Dynamisierung ihrer
industriellen Entwicklung. Die Vorteile von kleinen
Unternehmen wie Flexibilität und Spezialisierung
müssen genutzt, die Nachteile wie geringe Kapitalkraft und Marktmacht durch Zusammenarbeit
überwunden und in Wertschöpfungsketten eingebracht werden. Hierzu zählt auch die Konzentration
auf internationale Märkte, denn 90% des weltweiten
Wachstums werden in den nächsten Jahren außerhalb Europas stattfinden. Die Voraussetzungen für
einen dynamischen Industrialisierungsprozess sind
in Ostdeutschland günstig. Die Unternehmen profitieren von Rahmenbedingungen wie einem verlässlichen Rechtssystem, offenen Märkten und Handelsbeziehungen, qualifizierten Arbeitskräften und
guten Universitäten wie an kaum einem anderen
Standort weltweit. Die ostdeutschen Industriebetriebe zeichnen sich durch hohe preisliche Wettbewerbsfähigkeit und Flexibilität aus. Weitere Elemente einer erfolgreichen Industrialisierungsstrategie sind unternehmerische Kompetenzen und innovatives Verhalten, im Folgenden immer wieder als
Entrepreneurship thematisiert, Teilnahme an Netzwerken, Kooperationen und Wertschöpfungsketten
sowie eine konsequente Eroberung internationaler
Märkte durch Exporte und Auslandsproduktionen.
Hier sind die Herausforderungen häufig noch groß.
Gleiches gilt für den sich abzeichnenden Fach8
und Führungskräftemangel und die Intensivierung
des weltweiten Wettbewerbs.
Und noch eine Erkenntnis: Vielleicht behält Fourastié am Ende doch noch recht – zumindest teilweise. Industrielle Fertigung ist weit mehr als nur die
Herstellung materieller Güter. Der Anteil von
Dienstleistungen an der Industrieproduktion steigt
laufend, etwa bei Marketing, Design, Controlling,
Finanzierung, Reparatur- und Servicediensten.
Industrieunternehmen wachsen mit industrienahen
Dienstleistern in globalen Wertschöpfungsketten
zusammen. So trägt der Industriedienstleistungsverbund 41% zur gesamten Wertschöpfung in
Deutschland bei, in Ostdeutschland sind es 32%.
Industrie-Dienstleistungs-Verbund
Unter Industrie versteht man nach deutscher Lesart das
Verarbeitende Gewerbe. Hierzu zählen u.a. der Maschinen- und Anlagenbau, die Elektroindustrie, die Chemie
oder Autoindustrie, um einige der stärksten Industriebranchen in Deutschland zu erwähnen. Die Stärke der
deutschen Industrie beruht aber auch auf zahlreichen
unternehmensnahen Dienstleistungen wie Logistik, F&E,
Marketing, Design u.a. Sie zusammen bilden den wettbewerbsfähigen Industrie-Dienstleistungs-Verbund.
Gemeinsam erstellt dieser Verbund ca. 35 – 45% der
Wertschöpfung in Deutschland.
Das deutsche Produktionsmodell:
„Die Stärke der deutschen Wirtschaft liegt darin, dass
sie in der Lage ist, intelligente Maschinen zu bauen,
komplexe Anlagen oder Fahrzeuge der Spitzenklasse zu
konstruieren, deren Wertschöpfung nicht mehr auf industrieller, d.h. materieller Produktion beruht, sondern
auf immateriellen, d.h. wissenschaftlich fundierten Fähigkeiten zur nachindustriellen Maßschneiderei. Diese
Erfolgsgeschichte hat Ende des 19. Jahrhunderts mit der
Ablösung der einstiegen Industrienation par excel-lence
– Großbritannien – von der Führungsposition auf dem
Weltmarkt begonnen. Eine große Rolle spielen zudem
die auf Kooperation angelegten Arbeitsbeziehungen.
Mitbestimmung senkt die Kosten, weil sie die ursprünglich weit auseinander klaffenden Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern relativ eng zusammenführt.
Zum deutschen Produktionsmodell zählt auch das duale
Ausbildungssystem, das einen Typus von qualifizierten
Facharbeitern hervorbringt, der z.B. in der Lage ist, eine
Maschine selbstständig einzurichten.
Ohne nachindustrielle Maßschneiderei keine duale Ausbildung und ohne duale Ausbildung keine Fähigkeit zur
Maßschneiderei. Die Strategiefähigkeit der mittelstandsorientierten deutschen Produktionsmodells ist durchaus
ein Problem: Obwohl es auch ein paar Verbände gibt,
sind die KMU sehr schwach organisiert Dazu kommt der
sogenannte Buddenbrook-Effekt. Das sind oft Familienunternehmen, die in der vierten Generation keiner mehr
will. Das deutsche Produktionsmodell ist nicht nur sehr
mittelstandsorientiert, es ist auch sehr exportorientiert,
bislang noch sehr erfolgreich.“
Interview mit dem Wirtschaftshistoriker Werner Absslhauser, in: RegioPol eins + zwei, 2012, S. 43 ff. (Auszüge)
Einleitung
Dieser Industrieatlas gibt einen vielschichtigen und
aktuellen Überblick über die Industrialisierung der
Neuen Bundesländer. Eine solche Studie betritt
aufgrund fehlender Vergleichsliteratur Neuland bei
der Aufarbeitung der historischen und wirtschaftlichen Analyse Ostdeutschlands vor und nach der
Wiedervereinigung. Dabei wurde ein ganzheitlicher
Ansatz gewählt, um sowohl historische Hintergründe, internationale Zusammenhänge, regionale
Strukturen, spezifische Branchen und politische
Herausforderungen zu thematisieren.
Für den Atlas wurde eine ergänzende Kombination
aus Karten, Grafiken und beschreibenden Texten
gewählt. Somit verstehen sich die kartographischen
Darstellungen als visueller Vermittler räumlicher
Phänomene und Entwicklungen. Die textlichen
Ausführungen vermitteln zusätzlich einen Eindruck
der historischen Entwicklung und des Status quo
der wirtschaftlichen Perspektiven der Neuen Bundesländer.
Teil 1 gibt einen geschichtlichen Überblick der
Entwicklung der DDR-Planwirtschaft bis heute. Das
historische Erbe der Neuen Bundesländer formte
die Industriestruktur und ihre Standorte in besonderem Maße. Konturen, die heute noch präsent sind
und die Einzigartigkeit der ostdeutschen Industrie
ausmachen. Ob im direkten Ost-West Vergleich,
der (fehlenden) Präsenz großer DAX-Konzerne
oder der Herausforderungen ostdeutscher Unternehmen auf internationalen Märkten, die historischen Zusammenhänge führen oft zu überraschenden Erkenntnissen.
wirtschaft, erneuerbare Energien. und Logistik wird
ein breiter Branchenüberblick vermittelt. Besonders
hier kommt die kartographische Darstellung der
Branchen zur Geltung.
Der abschließende politisch relevante Teil 5 möchte als konzeptionell fundierter Handlungsrahmen
verstanden werden, mit dem Ziel, nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben bzw. zu werden. Die
Schlagwörter in diesem Zusammenhang lauten:
Mitarbeiter in den Mittelpunkt, Unternehmertum
stärken, Netzwerke ausbauen, in Forschung investieren und Internationalisierung ernst nehmen, Toleranz, Talente und Technologien fördern.
Ein ausführliches
Glossar, Daten- und Literaturverzeichnis und
Anhänge mit detaillierten Tabellen runden diesen
Atlas ab. Begriffe, die in kursiv-blauer Schriftart
gesetzt sind, verweisen auf relevante Abbildungen,
Karten, Tabellen, oder auf weiterführende Informationen im Glossar. Die einzelnen Themen werden
auf einer oder zwei Doppelseiten abgehandelt,
wobei die linke Seite den Text aufnimmt, und die
rechte Seite den Illustrationen vorbehalten ist.
Autoren: G. Braun, T. Güra
Teil 2 setzt sich mit den immensen Herausforderungen beim Wiederaufbau, der Marktkonsolidierung sowie der bisweilen erstaunlichen Erfolgsgeschichte Ostdeutschlands auf nationaler, europäischer und globaler Ebene, auseinander.
Auch wenn es paradox klingen mag: „Gemeinsam
sind wir stark“ bedeutet konkret, dass trotzdem
jedes Bundesland und jede Branche ihre spezifischen Potenziale ausspielen und unverwechselbare
eigene Wirtschafts- und Standortprofile entwickeln
muss. Die Neuen Länder sind dabei, aufbauend
auf historischen Strukturen, weit vorangekommen,
so dass von dem Standort Ostdeutschland nicht
mehr die Rede sein kann. Daher steht in Teil 3
jedes der Neuen Bundesländer individuell im Fokus
der Betrachtungen. Spannend zu verfolgen sind
sowohl die regionalen Charakteristika von DDRErbe, infrastruktureller Entwicklung und branchenspezifischen Schwerpunkten. Unterschiedliche
Länderstrategien zeugen dabei auch von unterschiedlichen historischen Traditionen in Kultur,
Wissenschaft, Verwaltung und Wirtschaft.
(Detaillierte Abbildung siehe Seite 25)
Länderübergreifend thematisiert Teil 4 des Atlas die
bedeutendsten ostdeutschen Industriebranchen,
Netzwerke und Cluster: Von Automobil, Chemie
und Maschinenbau (=traditionelle Industrien) bis zu
Zukunftsfeldern wie Biotechnologie, Gesundheits9
Teil 1: Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Die bemerkenswerte Entwicklung der ostdeutschen Industrie greift auf historische Vorgänger, Kompetenzen und Erfahrungen zurück. Ein Mix überwiegend kleinerer mittelständischer Unternehmen
und regional ansässigen Branchen prägt heute das industrielle Strukturbild der Neuen Bundesländer.
Dies ist das Ergebnis des marktwirtschaftlichen
Neuanfangs nach der Wiedervereinigung, industrieller Traditionen und historischer Umbrüche.
Knapp 25 Jahre nach der deutschen Einigung befinden sich die Neuen Bundesländer jedoch weiterhin in einem Aufholprozess, dessen Tempo und
Ausgang nicht abzusehen sind. In seinem Verlauf
haben sich drei relativ triviale Erkenntnisse der
sozialwissenschaftlichen Netzwerktheorie bestätigt:
(1) „Geschichte zählt“ („history matters“),
(2) „Geographie zählt“ („geography matters“), und
(3) „System zählt“ („system matters“).
Zur geschichtlichen Erkenntnis zählt, dass der Osten Deutschlands (genauer: Mitteldeutschland) vor
dem Zweiten Weltkrieg die industrielle Kernregion
des Deutschen Reiches bildete. 1936 war die Wirtschaftsleistung pro Einwohner auf dem Territorium
der späteren DDR gut 20% höher als in den späteren amerikanischen und französischen Besatzungszonen, und nur 10% niedriger als in der britischen Besatzungszone mit ihrem Industriezentrum
im Rhein-Ruhr-Gebiet. Weite Teile Mitteldeutschlands, insbesondere Sachsen, Thüringen, der Süden Sachsen-Anhalts und auch der Metropolraum
Berlin/Brandenburg zählten zu den traditionellen
Industriezentren nicht nur Deutschlands, sondern
Europas. Selbst der Welthandel konzentrierte sich
im nahegelegenen Leipzig. 1939 lag die Industrieproduktion im Osten Deutschlands je Einwohner
mit 725 Reichsmark um 20% über der Westdeutschlands (609 Reichsmark). Lediglich das
dünnbesiedelte Mecklenburg-Vorpommern, Teile
von Brandenburg und der Norden Sachsen-Anhalts
waren agrarisch geprägt, ähnlich wie die weiten
Flächen der norddeutschen Tiefebene in Schleswig-Holstein und Niedersachen.
Dieses industrielle Herz Deutschlands bedeutet
sehr viel mehr als die bloße Konzentration von
Fabrikanlagen. Es symbolisiert vor allem unternehmerische Initiative, Wagemut, Marktkenntnisse,
10
Kundenorientierung, Tüftlergeist, Ingenieurskunst
und einen motivierten und hochqualifizierten
Stamm von Fachkräften, Forschern und Entwicklern. Sie waren und sind das Potenzial, das der
Osten in die Entwicklung Gesamtdeutschlands
eingebracht hat. Und so ist es kein Zufall, dass die
ehemaligen Kernregionen in Mitteldeutschland
heute wieder an der Spitze des industriellen Fortschritts in Ostdeutschland stehen.
Zur geographischen Erkenntnis zählt, dass
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg von den
Besatzungsmächten in zwei antagonistische Staaten aufgeteilt wurde: Der weitaus größere Weststaat als bürgerlich-parlamentarische Demokratie
mit sozialer Marktwirtschaft (‚Rheinischer Kapitalismus’), der Oststaat als sozialistische ‚VolksDemokratie’, die sich in der Praxis als EinParteiendiktatur manifestierte, mit zentral gelenkter
staatlicher Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild: „Von der Sowjetunion lernen - heißt siegen
lernen“, lautete die Losung in der DDR.
Die Teilung Deutschlands trennte künstlich, was
historisch zusammengehörte, sprachlich, kulturell,
und auch wirtschaftlich.
Die räumliche Entfernung ist gering. Die meisten
Orte in der DDR lagen weniger als 200 Kilometer
vom Westen und Westberlin entfernt. Da es bis
zum Mauerbau keine Barrieren gab, setzte eine
Völkerwanderung von Ost nach West ein, die seit
der Wende, wenngleich auf niedrigerem Niveau, bis
in die Gegenwart anhält. Dieser Verlust an hochqualifizierten Fach- und Führungskräften, an Ärzten, Ingenieuren, Forschern und Unternehmern war
eine der wirtschaftlichen Ursachen des Niedergangs Ost, und bildete zugleich (mit) die Basis für
den Aufstieg West. Auch Weltkonzerne, die in Mitteldeutschland beheimatet waren, wechselten
fluchtartig ihre Zentralen von Ost- nach Westdeutschland.
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Zur systemischen Erkenntnis zählt, dass marktwirtschaftliche Systeme, bei allen Defiziten, Planwirtschaften systemimmanent überlegend sind. So war
neben dem Verlust an hochqualifizierten Fachkräften die zweite große Ursache des wachsenden
Rückstands zum Westen die zwangsweise Einführung eines Systems zentraler Kommandowirtschaft
in der DDR. Ein Wirtschaftsmodell, das nach kurzem Aufschwung und langem Siechtum letztlich an
systemimmanenten Widersprüchen scheiterte bzw.
sich selbst zerstörte.
Dafür werden viele Gründe ins Feld geführt: Die
Preisbildung erfolgte nicht, wie in Marktwirtschaften, nach Angebot und Nachfrage, sondern willkürlich durch die Planbürokratie. Die Folge: Warteschlangen auf der einen, Ladenhüter auf der anderen Seite. Zudem Motivationsverluste, wenig Neuerungen, und Nischenwirtschaft.
Die marxistische Entwicklungsphilosophie lautete
auf den kürzesten Nenner gebracht: Technik ohne
Unternehmertum. Sie war sozusagen eine Philosophie der ‚halbierten Vernunft’, gerichtet gegen jegliche historische Erfahrung. Der Aufstieg Europas
seit der industriellen Revolution war gerade der
einzigartigen Kombination von unternehmerischer
Initiative und technischen Neuerungen zu verdanken – auch in Mitteldeutschland. „Ohne Unterneh-
mertum wird die Technik ziellos, ohne Technik das
Unternehmertum ärmlich“ (K.-H. Paqué, 2009, S.
209). In der DDR-Planwirtschaft hingegen sollten
nicht am Markt orientierte Unternehmer Richtung
und Tempo der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmen, sondern politisch gesteuerte Techniker
und Planbürokraten. Die Gesellschaft wird als eine
Art Maschine betrachtet, an deren Hebeln eine
neue Klasse von Ingenieuren sitzt. Der Versuch,
das Nichtplanbare zu planen, scheiterte letztlich
auch, weil findige DDR-Bürger immer wieder Mittel
und Wege fanden, die starre Logik des Plans flexibel zu unterlaufen.
Die Eröffnungsbilanz der DDR-Wirtschaft erschütterte selbst die – erstmals - frei gewählten Mitglieder der Volkskammer: Die gesamtwirtschaftliche
Produktivität lag bei etwa 30% der westdeutschen
Wirtschaft. Kurz: Es gab nicht einen Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern zwei. Bis heute –
system matters.
Mit dem Systemwechsel von der Plan- zur Marktwirtschaft war zugleich der Verlust der traditionellen
Absatzmärkte in Osteuropa verbunden, die enorme
Konkurrenz der westdeutschen und internationalen
Industrie, der Mangel an Kapital und attraktiven
Produkten. In der neu gegründeten Treuhandanstalt
– zeitweilig der größte Industriekonzern der Welt –
wurden die Volkseigenen Betriebe der DDR zusammengefasst und nach dem höchst umstrittenen Prinzip Privatisierung vor Sanierung in die
Marktwirtschaft überführt. Wettbewerbsfähige Teile
der alten Kombinate wurden mit frischem Geld aus
gestattet. Neue Eigentümer und ein neues Management übernahmen die Firmen, nur eine Minderheit kam aus dem Osten. Die Treuhand legte
damit den Grundstock für eine neue industrielle
Basis Ostdeutschland. Zugleich aber wurden große
Teile der industriellen Produktion geschlossen. Die
Folge: Massenarbeitslosigkeit. Ende 1992 wurden
in den Neuen Bundesländern nur noch 3,5% der
deutschen Industrieproduktion erbracht.
Der ostdeutschen Industrie fehlte es an allen wesentlichen Elementen: am Zugang zu großen internationalen Absatzmärkten, an modernen innovativen Branchen, an Firmen- und Konzernzentralen.
Entstanden sind Kleinst- und Kleinbetriebe und
einige „verlängerte Werkbänke“. Diese Faktoren
sollten den Industrialisierungsprozess der Neuen
Bundesländer lange Zeit prägen, bis in die heutigen
Industriestrukturen. Trotz dieser strukturellen Nachteile ist die ostdeutsche Industrie von einer schmalen Basis aus seit 1995 mit durchschnittlich rund
5% pro Jahr real gewachsen – bis auf 10,7% der
industriellen Gesamtleistung Deutschlands im Jahre
2012.
Für die Zukunft spricht vieles dafür, dass ostdeutschen Industrieregionen auf lange Zeit am innovativsten bleiben werden, die über Jahrzehnte, teilweise über Jahrhunderte eine erfolgreiche Geschichte der Entwicklung industrieller Innovationskraft aufweisen können.
Die folgenden Kapitel beschäftigen sich mit dem
historischen industriellem Erbe der neuen Bundesländer, mit dem Anfang und Ende der Planwirtschaft in der DDR, zeigen auf, wo die Konzernverwaltungen der im DAX-gelisteten Unternehmen
angesiedelt sind. Ferner beschäftigen sie sich mit
unterschiedlichen Produktivitätsniveaus in Ost und
West und beleuchten die spezielle Rolle der kleinen
und mittleren Unternehmen in Ostdeutschland.
Darüber hinaus zeigen sie die Folgen des demographischen Wandels für das Humankapital auf.
Autor: G. Braun
11
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
History Matters – Industrielle Traditionen setzen sich fort
Bedeutende Industriestandorte und Branchen reichen in den Neuen Bundesländern bis ins 19. Jahrhundert zurück. Auch die Verteilung der industriellen Arbeitsplätze in Ostdeutschland zeigt historisch
bekannte Muster.
Mitteldeutschland bildete seit Ende des 19. Jahrhunderts neben dem Ruhrgebiet eines der beiden
wirtschaftlichen Kraftzentren des Deutschen Reiches, dessen Mittelpunkt wiederum Sachsen als
Wiege der deutschen Industrialisierung bildete.
Chemnitz galt als Manchester on Continent. Dresden beheimatete eine bedeutende Kamera- und
Zigarettenproduktion und Leipzig war ein bedeutendes Zentrum der Buchproduktion und des Welthandels. Ein fruchtbares Zusammenspiel von Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur machte Sachsen,
Thüringen und Teile von Sachsen-Anhalt zum bevorzugten Ziel für Einwanderer. Vor dem Ersten
Weltkrieg wurde in Sachsen und dem benachbarten
Böhmen die höchste Pro-Kopf-Wertschöpfung in
ganz Europa erzielt.
Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs waren in
der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ, ab 1949
DDR) insgesamt niedriger als in den Westzonen.
Gravierende Startnachteile waren das Fehlen von
Rohstoffen (Eisenerz), einer metallurgischen Basis
und industrielle Weiterverarbeitungsstufen. Diese
Strukturschwächen der SBZ waren Ergebnis des
Eisernen Vorhangs, der den historisch gewachsenen Wirtschaftsraum mit Westdeutschland zerriss.
Die räumliche Struktur der bedeutendsten Industriestandorte der DDR glich drei Streifen:



Die drei Nordbezirke Rostock, Schwerin und
Neubrandenburg waren industriell unterentwickelt. Weniger als 25% aller Beschäftigten war
dort in der Industrie tätig.
Die weiter südlich angrenzenden Bezirke Magdeburg, Potsdam, Frankfurt/Oder und Berlin
bildeten einen Mittelstreifen mit 25-32% Industriebeschäftigten. Hier sind der Maschinenbau
(Magdeburg), die Elektro- (Berlin) und Stahlindustrie (Eisenhüttenstadt) überdurchschnittlich
vertreten.
Die acht südlichen Bezirke bildeten das industrielle Kernland der DDR mit einem Anteil der Industriebeschäftigten zwischen 40% (Leipzig)
und 48% (Suhl): optische Industrie (Jena), Informationstechnik (Dresden/Sömmerda), Textilindustrie (Karl-Marx-Stadt), Braunkohlenbergbau (Cottbus, Leipzig), Chemieindustrie
(Bitterfeld, Buna, Leuna) und Automobilindustrie (Zwickau, Eisenach).
Knapp 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung bietet sich ein überraschendes Bild:

12
Das Grundmuster der DDR-Industriestruktur ist
noch immer sowohl regional (Nord/Mitte/ Süd)
wie sektoral erkennbar. Industrieansiedlungen,
Neugründungen wie Aufkäufe setzten auf die
historisch gewachsenen Strukturen auf: Infrastruktur, Branchenkonzentration und das vorhandene Fachkräftepotenzial. Vor allem der
Süden Ostdeutschlands ist Wachstumstreiber
der industriellen Entwicklung.


Auch Zukunftsfelder (IuK, Biotechnologie Erneuerbare Energien, Umwelttechnik, Nanotechnologie) haben ihre regionalen Schwerpunkte in
Sachsen und Thüringen.
Parallel dazu findet eine Ost-West Verschiebung statt. Von den zehn Landkreisen mit
höchstem Anteil an Industriebeschäftigten (alle
in Thüringen und Sachsen) grenzen sieben an
die alten Bundesländer. Und auch in SachsenAnhalt und Mecklenburg haben die Landkreise
mit Westgrenzen die höchste Industriedichte
aufzuweisen.
Entscheidend für die Westverlagerung der ostdeutschen Industrie waren die Verschiebung der Absatzmärkte und die Standortattraktivität in ehemals
grenznahen Regionen der DDR. Mit der deutschen
Einigung eröffneten sich im Westen für Ostprodukte kaufkräftige Absatzmärkte (die anfänglich wegen
der starken Konkurrenz kaum genutzt werden
konnten). Parallel dazu erfolgten Aus- und Neugründungen entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze durch westdeutsche und internationale Unternehmen mit entsprechenden regionalen
Wachstums– und Beschäftigungseffekten.
Nach der Vereinigung verlief die Entwicklung in
Ostdeutschland dramatisch, als im Zuge der Deindustrialisierung die Zahl der Arbeitsplätze in der Industrie von mehr als 3 Mio. vor der Wende auf
einen historischen Tiefpunkt von etwa 1 Mio. in den
Jahren 1998/99 sank, jedoch dank Modernisierung,
Aufbau wissensbasierter Arbeitsplätze und wachsender Exporte auf etwa 1,4 Mio. Beschäftigte im
Jahre 2012 angestiegen ist. Dabei überrascht
kaum, dass insbesondere in Sachsen und Thüringen wieder Aufwärtsbewegungen zu verzeichnen
sind. Im Übrigen galten die Komponenten des
„German Engineering“ für beide deutschen Staaten. Beide Teile Deutschlands waren in ihren jeweiligen Systemen Prototyp fortgeschrittener Industriegesellschaften: Jeweils höchster Anteil wissensbasierter Industriearbeitsplätze, Technologiepatente
und Investitionsgüterexporte. Tüftlergeist, Ingenieurskunst und praxisnahe Berufsausbildung bildeten Garanten dieser Erfolge in West und Ost. History matters.
Autor: G. Braun
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
13
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Flucht vor der DDR-Planwirtschaft
Der wachsende Rückstand der DDR-Wirtschaft hatte vier Ursachen: (1) Hohe Reparationen an die
Sowjetunion, (2) Abwanderung von Fachkräften und Unternehmern, (3) Verlagerung von Konzernzentralen nach Westdeutschland und (4) Innovationsfeindlichkeit der DDR-Planwirtschaft.
Die Wirtschaftsgeschichte der DDR ist die Geschichte eines prognostizierten Niedergangs. Der
neoliberale Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm
Röpke hatte bereits im Jahre 1937 das Scheitern
kollektivistischer Planwirtschaften vorhergesagt.
Nach Röpke sei der Kollektivismus (1) außer Stande, das Problem der Ordnung und Ergiebigkeit der
Wirtschaft befriedigend zu lösen, (2) gerate mit
elementaren Freiheits- und Rechtsidealen in Widerspruch, (3) führe in ein unentrinnbares und
allumfassendes staatliches Supermonopol hinein,
das schlimmer sei als alle Privatmonopole, und (4)
sei mit den Erfordernissen der internationalen Gemeinschaft unvereinbar. Diese Kritik ist bis heute
unwiderlegt, und durch das Scheitern der DDRWirtschaft bestätigt.
Die historische Ausgangslage der Sowjetischen
Besatzungszone (SBZ ) war besser als in den
Westzonen. Das Gebiet der späteren DDR bildete
vor 1945 das wirtschaftliche Kraftzentrum des Reiches mit dem Mittelpunkt Sachsen als Wiege der
deutschen Industrialisierung. 1939 lag die Industrieproduktion je Einwohner im späteren Gebiet der
DDR mit 725 Reichsmark um 20% über der Westdeutschlands (609 Reichsmark).
Die Kriegszerstörungen hielten sich mit maximal
15% der industriellen Kapazitäten in Grenzen und
waren insgesamt niedriger als in den Westzonen.
Dennoch tat sich bereits frühzeitig eine beträchtliche Produktivitätslücke zwischen Ost und West auf.
Sie vergrößerte sich von ca. 20-30% in 1950 auf
über 70% gegen Ende der DDR. Was nicht heißen
soll, dass nicht auch in der DDR Beschäftigung,
Einkommen und Lebensstandard stiegen, es also
ein kleines Wirtschaftswunder gab, welches allerdings im Schatten des westdeutschen Wunders
stand. Die wachsenden Abstände in Einkommen
und Produktivität zwischen Ost und West hatten vor
allem vier Ursachen:
1. Demontagen und Reparationen an das sozialistische Bruderland UdSSR (Motto: Wiedergutmachung) führten zu einem Abbau der modernsten
Fabriken (optische und elektrotechnische Industrie, Automobil- und Flugzeugbau, chemische und feinmechanische Industrie mit bis zu
80% der Kapazitäten), der führenden Forschungseinrichtungen und Gleisanlagen. Die
Demontagen waren etwa zehn Mal höher als im
Westen. Umgekehrt erhielten die Westzonen
durch den Marshallplan dringend benötigte Devisen, welche die finanzielle Basis des Wirtschaftswunders West bildeten. Diese Hilfe war
14
auch der SBZ angeboten worden, durfte aber
auf Intervention Stalins nicht angenommen werden.
2. Von Kriegsende bis Ende 1990 verließen fast 5
Mio. Menschen Ostdeutschland: Landwirte, Arbeiter und Angestellte, Handwerker, Unternehmer, Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler und
Künstler. Diese „Abwanderung der Fachkräfte“
(Brain drain) verringerte unwiederbringlich das
Erwerbspotenzial. Mit den Menschen gingen der
DDR Forschergeist, Tüftlerwissen, Geschäftsideen und Firmenkonzepte verloren. Sie entfalteten sich anschließend im Westen neu und
wurden Teil des Wirtschaftswunders West.
3. Aus Furcht vor dann tatsächlich einsetzenden
Enteignungskampagnen wanderten Firmenzentralen aus dem Osten nach Westdeutschland
und Westberlin ab, darunter viele, die Rang und
Namen hatten. Mit ihnen gingen nicht selten
auch ganze Wertschöpfungsketten. Westdeutschland sind so allein 360.000 Unternehmer und Gewerbetreibende zugewachsen. Bereits 1975 wäre ohne die Zuwanderer die Industrieproduktion im Westen etwa 18% niedriger gewesen. Diese Bevölkerungs- und Kompetenzverluste können in ihrer Bedeutung für
den Niedergang der DDR nicht hoch genug eingeschätzt werden.
4. Nicht zuletzt erwies sich die sozialistische Planwirtschaft als systemimmanente Wachstumsund Innovationsbremse und scheiterte letztlich.
Die staatliche top-down Planung war mangels
Marktpreisen nicht in der Lage, die Bedürfnisse
der Bevölkerung abzuschätzen und die knappen
Ressourcen effizient und effektiv einzusetzen.
Die Anmaßung des Wissens durch Planbürokraten produzierte, vereinfacht formuliert, Warteschlangen auf der einen und Ladenhüter auf
der anderen Seite. Anreize für Produkt- und
Prozessinnovationen gab es kaum, und das
Plandenken in Quantitäten führte zur bekannten
„Tonnenideologie“.
Im Endergebnis führten Demontagen, Abwanderung kreativer Köpfe und von Firmen mit Weltgeltung sowie planwirtschaftliche Fehlleitung der Produktivkräfte zu mangelnder internationaler Wettbewerbsfähigkeit der DDR und verschlechterten so
ihre Eröffnungsbilanz zum Zeitpunkt der Wende.
Autor: G. Braun
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
15
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Wo der DAX sitzt – Ostdeutschland (fast) ohne Konzernzentralen
Von den größten und bedeutendsten Aktiengesellschaften des Standortes Deutschland haben exakt
sieben ihren Firmensitz in den Neuen Bundesländern: zwei in Jena und fünf in Berlin. In den anderen
ostdeutschen Bundesländern befindet sich kein einziger Hauptsitz.
Die größten deutschen im CRM: Abkürzung aus der
Informationstechnologie, welche Software bzw. Applikationen zum Content Rights Management (=digitale Rechteverwaltung) bzw. zum Customer-RelationshipManagement (=Kundendokumentationen) beinhalten.
DAX an der Deutschen Börse in Frankfurt gelisteten
Aktiengesellschaften sind vor allem in den Metropolregionen München und Stuttgart, dem Großraum Frankfurt a.M., dem Ruhrgebiet und Hamburg angesiedelt (Anhang A.2). Die höchste Konzentration findet sich dabei in Frankfurt a.M., wo
neben den beiden Großbanken Deutsche Bank und
Commerzbank auch kleinere SDAX-Unternehmen
aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen ihren
Hauptsitz haben. Die Gesellschaften aus den anderen Indizes (MDAX, TecDAX, SDAX) sind räumlich disperser verteilt, wobei Unternehmen der klassischen Branchen aus dem MDAX im Ruhrgebiet,
und teilweise um Stuttgart und München zu finden
sind. Die in Hamburg ansässigen Unternehmen
sind in der Mehrzahl im SDAX gelistet.
Viele der 160 Unternehmen haben zwar in den
Neuen Bundesländern Produktionsstätten, wie z.B.
BMW in Eisenach oder BASF in Schwarzheide, aber
nur sieben haben ihren Hauptsitz im Osten, davon
zwei in Jena (Jenoptik und Carl Zeiss Meditec) und
fünf in Berlin (Deutsche Wohnen, Axel Springer,
GSW Immobilien, PSI-AG, Air Berlin). In Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt
und Sachsen befindet sich keine einzige Hauptverwaltung eines börsenindexierten Unternehmens.
Die Ursache dafür liegt vor allem an den Entwicklungen nach der Wiedervereinigung. Im Rahmen
des ostdeutschen Transformationsprozesses
schien es nicht möglich, die überdimensionierten
DDR-Kombinate zu erhalten, da aufgrund der wenig konkurrenzfähigen Produkte die Absatzmärkte
nach 1989 wegbrachen.
Das erklärte Ziel der Treuhandanstalt war eine
möglichst schnelle Privatisierung bzw. Liquidierung
der Betriebe. Dazu wurden die früheren volkseigenen Betriebe in Kapitalgesellschaften umgewandelt
und der Treuhandanstalt übertragen. Die ehemaligen Betriebsstrukturen wurden zerschlagen und aus
den ursprünglichen 8.500 Betrieben entstanden bis
Ende 1994 letztlich mehr als 15.000 Wirtschaftseinheiten, von denen rund 70% in privater oder
öffentlicher Hand weitergeführt wurden. Die betriebs- und nicht unternehmensorientierte Privatisierung trennte wichtige Unternehmensbereiche
und damit auch Lieferverflechtungen und Netzwerke.
In den Betrieben, die von Investoren aufgekauft
wurden, entstanden zumeist „verlängerte Werkbän16
ke“. Dabei verblieben die Firmenzentralen außerhalb der Neuen Bundesländer. Dies spiegelt letztlich die Verteilung der Firmenzentralen der DAXnotierten Unternehmen wider.
Aber warum ist die Frage, wo Unternehmen ihren
Hauptsitz haben, so wichtig? Die Führungszentralen von Unternehmen haben eine besondere Bedeutung für die Region, in der sie angesiedelt sind.
In den Zentralen ist eine große Anzahl von Entscheidungsträgern der höheren und höchsten Hierarchieebenen sowie hoch qualifiziertes Personal in
wichtigen Abteilungen, wie z.B. der Forschung und
Entwicklung, konzentriert. Damit ist nicht selten
auch ein „Brain gain “, d.h. Zuwanderung in- und
ausländischer kreativer Köpfe, verbunden. Letztlich
ist dadurch in der Regel das Lohnniveau höher als
jenes an den nachgeordneten Betriebsstandorten,
wie den „Werkbänken“, so dass das Vorhandensein von Führungszentren Auswirkungen auf die
örtliche Kaufkraft am Hauptsitz hat.
Darüber hinaus siedeln sich weitere Unternehmen
in der Region an, wie unternehmensnahe Dienstleistungen, Zulieferbetriebe aber auch Abnehmer.
Da die Gewinne meist am Hauptsitz des Unternehmens anfallen und dort versteuert werden,
verbessert dies die Einnahmensituation der Kommunen. Zudem steigern Hauptverwaltungen von
Unternehmen das Image und Renommee der Regionen und Städte.
Selbst unter der Prämisse, dass nicht jede Stadt
eine (Haupt-)Verwaltung eines börsennotierten
Industriebetriebs am Ort haben muss, um von
diesem Verwaltungssitz zu profitieren (Arbeitsplätze, Wissen, Renommee, etc.), solange eine gute
Erreichbarkeit solcher Verwaltungssitze gegeben
ist, schneidet Ostdeutschland im gesamtdeutschen
Vergleich schlecht ab. Mit Ausnahme eines Korridors Hannover-Magdeburg-Berlin, eines Speckgürtels um Berlin sowie Teilen von Thüringen, leiden große Teile Ostdeutschlands an einer mangelhaften Erreichbarkeit der Hauptverwaltungen. Die
Folgen sind extrem lange Anreisen, sowie fehlende
Spillover-Effekte durch die Hauptzentralen in die
umliegenden Regionen.
Autoren: K. Voß, C. Schürmann
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
17
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Ein Standort D oder Zwei? Deutschland der zwei Produktivitäten
Gemessen an wichtigen Kennziffern (BIP, Arbeitslosenquote, Industrialisierungsgrad, Einkommen)
bestehen zwischen West und Ost immer noch erhebliche Unterschiede. Gründe dafür sind die geringe Zahl von Großbetrieben, die KMU-Unternehmensstruktur, fehlende Cluster und Netzwerke im
Osten.
Mit der deutschen Vereinigung 1989/90 begann ein
gesellschaftlicher Prozess, der historisch ohne Beispiel
ist. Zwei antagonistische Systeme wurden vereinigt:
die soziale Marktwirtschaft und parlamentarische
Demokratie Westdeutschlands mit der zentralen
Planwirtschaft und sozialistischen Einparteiendiktatur
Ostdeutschlands, wesentlich getrieben durch die
Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Es gab keine
Vorbilder, von denen man hätte lernen können, keine
Musterlösungen, keinen Masterplan. Der Vereinigungsprozess war, salopp ausgedrückt, eine „Reise ins
Ungewisse“.
Bekannt war lediglich, dass die beiden deutschen
Staaten extrem ungleich waren, nach Bevölkerungsgröße (West: 60,6 Mio.; Ost: 15,2 Mio.), nach
Bruttoinlandsprodukt (West: 1.364 Mrd. Euro; Ost: 107
Mrd. Euro) und nach Einkommen pro Kopf (West:
22.030 Euro, Ost: 7.330 Euro – Zahlen jeweils für
1989). Die gesamtwirtschaftliche Arbeitsproduktivität
lag in der DDR bei 30% des Westniveaus. Kein
Wunder also, dass die ostdeutsche Bevölkerung nach
Fall der Mauer ihrem untergegangenen Staat massenhaft den Rücken kehrte. Von 1989 bis 2011 verließen
mehr als 2,5 Mio. Ostdeutsche ihre Heimat.
Entwicklung ist ein langfristiger historischer Prozess,
der nicht beliebig abgekürzt werden kann. Es kann
daher nicht verwundern, dass zwischen den beiden
Teilen Deutschlands immer noch wirtschaftliche und
soziale Ungleichheiten existieren (aber auch zwischen
Nord und Süd sowie innerhalb von West und Ost). Von
den 30 strukturschwächsten Landkreisen Deutschlands
liegen 27 in den Neuen Bundesländern (Zukunftsatlas
2013 des PROGNOS-Instituts ).
Tatsächlich bietet Ostdeutschland knapp 25 Jahre
nach der deutschen Wiedervereinigung ein zwiespältiges Bild:
Eine hochmoderne Infrastruktur, steigende Einkommen
(pro Kopf von 1989-2012 um mehr als 200%) und ein
Konsumstandard auf Westniveau. Kurz: „blühende
Landschaften“ (Altbundeskanzler Helmut Kohl).
Inzwischen existiert im Osten der Republik eine
wettbewerbsfähige mittelständische Wirtschaft, einige
Regionen und Branchen boomen. Und die Zahl der
Studierenden an ostdeutschen Hochschulen wächst
stark. Doch die sichtbaren Erfolge des Aufbau Ost
werden von gewichtigen Negativposten getrübt.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner verharrt
im Osten mit zuletzt etwa 22.972 Euro (ohne Berlin)
hartnäckig um etwa ein Drittel unter dem Durchschnittswert der Westländer mit 34.244 Euro. Die
Arbeitslosenquote ist im Osten mit 10,7% (Juni 2013)
18
fast doppelt so hoch wie im Westen (5,9%). Die
Arbeitsproduktivität liegt im Durchschnitt aller Neuen
Bundesländer und Sektoren bei 79% des Wertes West.
Bedenklicher noch: sie stagniert praktisch seit dem
Jahre 2009. Die Gründe für diese Rückstände Ostdeutschlands sind vielfältig:






Der Industrialisierungsgrad, d.h. der Anteil der
Industrie an der gesamten Wertschöpfung und
Beschäftigung des jeweiligen Bundeslandes ist
bei den Ostländern signifikant niedriger (Ausnahmen: Thüringen und Sachsen-Anhalt).
Großunternehmen sind in Ostdeutschland die
Ausnahme, zumindest verglichen mit WestLändern. Die Gründe: Der Zusammenbruch
nicht konkurrenzfähiger großer VEBs nach der
Wende und ihre Privatisierung und Aufteilung
durch die Treuhand.
Großbetriebe sind häufig wettbewerbsfähiger
durch Großserienfertigung in Massenproduktion.
Zudem können sie eher Preiserhöhungen via
Marktmacht durchsetzen als kleinere Unternehmen. Im Vergleich sind bei den „Großen“ das
Produktivitäts- und Einkommensniveau höher
und ebenso die Forschungsleistungen, Exportintensität und produktionsnahe Dienstleistungen. So liegen die Ausgaben für F&E in den
Neuen Ländern (mit Berlin) nach wie nur bei gut
einem Drittel des Westniveaus.
Dies bedeutet umgekehrt: Im Osten dominieren
Klein- und Mittelunternehmen (KMU, die im
Hinblick auf Produktivität, Einkommensniveau
ihrer Beschäftigten, auf Innovations- und Exportintensität sowie Nachfragewirksamkeit hinter
den Großunternehmen in Westdeutschland zurückbleiben (müssen)).
Geografische Struktur und Bevölkerungsdichte
führen dazu, dass viele Kleinstädte Ost und bevölkerungsarme ländliche Regionen kein attraktiver Standort für hochproduktive Großbetriebe
in Zukunftsfeldern sind. Das Fehlen großer Unternehmen drückt auch die kommunalen Steuereinnahmen.
Außer der Region rund um Berlin gibt es größere Industriezentren um Dresden und Leipzig,
Jena, Erfurt-Eisenach und Rostock, während
der Westen viele wettbewerbsstarke Standorteetwa um München, Stuttgart, Frankfurt a. Main,
Köln, Dortmund, Hamburg, Bremen uvm. aufweist. Zahl sowie Größe industrieller Zentren
und Netzwerke beeinflussen nicht unerheblich
die Wettbewerbsfähigkeit von Regionen.
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Verarbeitendes Gewerbe: Ost-West-Vergleichsdaten, 2008
Westdeutschland
Ostdeutschland
Ostdeutschland
(WD=100)
Tätige Person je Betrieb (Anzahl)
143,2
90,3
63,1
Umsatz je tätiger Person (1.000 Euro)
287,3
244,0
85,0
41.140,1
22.039
53,6
41,7
29,7
71,2
18.351,9
6.876
37,5
Export je tätige Person (1.000 Euro)
128,1
76,1
59,4
Entgeltanteil am Umsatz v.H.
14,5
12,16
83,8
Gegenstand
Umsatz je Betrieb (1.000 Euro)
Entgelte je tätiger Person (1.000 Euro)
Export je Betrieb (1.000 Euro)
Quelle: Stat. Bundesamt, 2008 (zum Redaktionsschluss waren keine aktuelleren Daten verfügbar)
19
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die ostdeutschen Industriebetriebe verfügen
über moderne Produktionsanlagen, ein effektives
Management und motivierte Mitarbeiter. Sie produzieren in der Regel ebenso effektiv wie in Größe
und Erzeugnissortiment vergleichbare Unternehmen
im Westen. Die Produktivitätslücke zum Westen
resultiert mithin aus Strukturunterschieden in der
Gesamtheit der ostdeutschen Industrie, nicht aus
technisch-ökonomischer Rückständigkeit oder
fehlender Qualifikation der Fachkräfte.
Für eine zukunftsorientierte Politik stellt sich generell die Frage, ob wirtschaftliche Konvergenz (Angleichung gleichsam aller Länder an alle Länder)
ein sinnvolles und realistisches Ziel sein kann.
Auch im Westen bestehen signifikante wirtschaftliche Unterschiede zwischen Nord und Süd (etwa
zwischen Schleswig-Holstein und Bayern), sowie
zwischen ländlichen und städtischen Regionen.
Und die Unterschiede zwischen den Ostländern in
Wirtschaftsstruktur, Innovationssystemen und Finanzsituation sind soweit fortgeschritten, dass die
Entwicklung eigenständiger ‚Profile’ orientiert an
den regionalen Stärken erfolgversprechender erscheint als eine generelle Angleichung (oder Einebnung).
Da aber die aktuelle Wirtschaftskraft noch nicht
ausreicht, um einen eigenständigen und selbsttragenden Entwicklungsprozess in Gang zu setzen,
sind für die „Zukunft Ost“ investive und innovative
Förderkonzepte gefragt.
Autor: G. Braun
20
Arbeitsproduktivität 2010
(Deutschland=100)
134
Hamburg
115
Hessen
108
Bremen
Bayern
105
Baden-Württemberg
104
Nordrhein-Westfalen
103
Berlin
96
Niedersachsen
95
Rheinland-Pfalz
94
94
Saarland
91
Schleswig-Holstein
Brandenburg
81
Sachsen-Anhalt
80
Mecklenburg-Vorpommern
Thüringen
0
20
76
76
Sachsen
74
40
60
80
Autor: C. Schürmann
Quelle: VGA d. Länder
100
120
140
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Entwicklung der Arbeitsproduktivität in Deutschland 1991-2010 (1991=100)
350
Thüringen
Quelle: Stat. Bundesamt, 2012
Autor: C. Schürmann
300
Sachsen-Anhalt
Brandenburg
Sachsen
Mecklenburg-Vorpommern
250
200
Nur geringe Steigerungen der Arbeitsproduktivität in Westdeutschand, aber von hohem Niveau
ausgehend; hohe Steigerungen in Ostdeutschland, aber von vergleichsweise geringem Niveau aus.
Deutschland
150
100
1991 92
93
94
95
96
97
98
99
00
01
02
03
04
05
06
07
BW
BY
BE
BB
BR
HH
HE
MV
NW
RP
SL
SC
SA
SH
TH
BRD
08
09 2010
NS
21
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Unternehmerischer Mittelstand: Motor des Aufbaus Ost?
Mit der Entflechtung der VEB-Großbetriebe kommt es zu einer Konzentration auf kleinere und mittlere Unternehmen (KMU). Auf ihnen ruht wesentlich das wirtschaftliche Wachstum, Beschäftigung,
regionale Wirtschaftskreisläufe, Bildung und Ausbildung.
„Siemens beschäftigt weltweit 400.00 Mitarbeiter“.
„Volkswagen ist der drittgrößte Autobauer der
Welt“. Auch wenn Weltkonzerne wie Siemens, VW,
Allianz, Bayer und Deutsche Bank die Schlagzeilen
der Presse beherrschen, ist Deutschland traditionell
das Land des Mittelstands. Kleine und mittlere
Unternehmen sind in West wie Ost Motoren von
Wachstum, Innovation und Beschäftigung.
Laut Statistischem Bundesamt gehörten 99.6%
aller Unternehmen in der Bundesrepublik zum Mittelstand (Stand: 2010). Das sind mehr als 3.6 Mio.
Firmen. Ihnen stehen nur rund 14.000 Großunternehmen gegenüber. Etwa 18 Mio. Menschen arbeiten in kleinen und mittleren Unternehmen, nicht
mitgezählt jene rund 4.4 Mio. Firmeninhaber, Freiberufler und Selbständige, die in mittelständischen
Unternehmen arbeiten. Insgesamt ist der Mittelstand eine Jobmaschine. 71% aller Beschäftigten
arbeiten in ihm. Mehr noch: Mehr als 80% aller
Auszubildenden lernen in kleinen und mittleren
Unternehmen, und werden nach Abschluss gern
von Großbetrieben eingestellt.
Auch international gilt die deutsche Volkswirtschaft
als „Tüftler- und Erfinderökonomie“ mittelständischer Ingenieurskunst mit Produkten, die bisweilen
als „unsexy“ gelten. Repräsentativ dafür ist etwa
das US-Magazin „Time“ (Titel: „How Germany
became the China of Europe“, 24.2.2011): „Das
Rückgrat der deutschen Industrie sind kleine, häufig Familienbetriebe, die sich historisch auf die
unsexy Seite des industriellen Spektrums spezialisiert haben: keine Smart Phones oder iPads, sondern Maschinen und andere schwere Ausrüstungsgüter.“ Mit „Made in Germany“ werden heimliche
Weltmarktführer (‚hidden Champions’) assoziiert,
unter ihnen kleinere, aber hochinnovative Familienbetriebe.
Nach der Wende begann auch in Ostdeutschland
eine „Erfolgsgeschichte“ des privaten unternehmerischen Mittelstands. Zur Erinnerung: In der DDR
hatte die SED-Einheitspartei durch systematische
Enteignung und Diskriminierung das selbstständige
Unternehmertum zu einem Kümmerdasein verurteilt. Von den 1,6 Mio. Selbstständigen (=15 % )
aller Erwerbstätigen auf dem Gebiet der DDR im
Jahre 1955 verblieben bis 1980 nur 180.000
(=2%). Unter ihnen waren etwa 80.000 Einmannbetriebe.
22
„Hidden Champions“ („heimliche Gewinner“):
Darunter versteht man relativ unbekannte mittelständische Unternehmen, die in ihrem jeweiligen
Markt(segment) Marktführer sind. Nach Recherchen
der WeissmanGruppe existieren im deutschsprachigen
Raum ca. 1.400 Unternehmen, die weltweit unter den
Top 3 oder in Europa Marktführer in ihrer Branche sind.
WeissmanGruppe, 2013
Definition KMU (Europäische Kommission):
Typ
Kleinstunternehmen
Kleine Unternehmen
Mittlere Unternehmen
Beschäftigte
0 bis 9
Umsatzerlöse
bzw. Bilanzsumme (Mio
Euro)
< 2 Mio
10 bis 49
2 bis 10 Mio
50 bis 249
10 bis 50 Mio
(Umsatz)
10 bis 43 Mio
(Bilanz)
Hiervon abweichend definiert das Statistische Bundesamt KMU als Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeitern und weniger als 50 Mio. Euro Jahresumsatz.
Allerdings ist die Aussagekraft derartiger quantitativer
Größen gerade für Ostdeutschland sehr begrenzt.
Aufgrund der kleinteiligen Unternehmensstruktur wird
argumentiert, dass Unternehmen mit 10–49 Beschäftigten in den neuen Ländern bereits mittlere Unternehmen, und Unternehmen mit 50-249 Beschäftigten als
Großunternehmen zu klassifizieren seien.
Mittelstand ist ein qualitativer gesellschaftspolitischer
Begriff, der das bürgerliche Unternehmertum, die
Freien Berufe, Handwerksmeister und Selbständigen
als freigesellschaftliche „Gegenmacht“ (J.K. Galbraith)
gegen staatliche Dominanz und als Triebkraft marktwirtschaftlich-industrielle Entwicklung verortet.
Mit Zusammenbruch, Privatisierung und Entflechtung der Volkseigenen Kombinate (VEB) kommt es
zunächst zu einer massiven Erhöhung der Zahl der
nunmehr wesentlich kleineren privaten Unternehmen bei massivem Rückgang der Beschäftigten im
produzierenden Gewerbe von 3.8 Mio. (1989) auf
0,9 Mio. (2010).
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Betriebsgrößenklassen in den Neuen Bundesländern (2009)
Anteil der Betriebe nach Größenklasse an Gesamtbetriebszahl (%)
Quelle: Stat. Bundesamt, 2012; Autor: C. Schürmann
100
98
Prozentanteil (%)
96
94
92
90
88
86
84
82
80
250 <
50 bis 249
10 bis 49
0 bis 9
Berlin
Brandenburg
0,33
1,58
6,50
91,59
0,22
1,82
8,22
89,73
MecklenburgVorpommern
0,23
1,94
9,13
88,69
Sachsen
0,26
2,16
9,18
88,40
SachsenAnhalt
0,32
2,42
9,78
87,48
Thüringen
0,25
2,25
9,12
88,39
23
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Parallel dazu erlebte die mittelständische Industrie
im Osten eine Renaissance. Management-buyouts , Unternehmensübernahmen und Neugründungen führten zum Aufbau eines insgesamt wettbewerbsfähigen Mittelstands, nicht nur in der gewerblichen Wirtschaft. Der Anteil der Selbstständigen nähert sich mit über 10% an allen Erwerbstätigen dem Westniveau.
Die „neue Klasse“ selbständiger Unternehmer tritt
aus ihrem sozialen Schattendasein zur DDR-Zeit
heraus, und leitet mit massiver staatlicher Unterstützung eine Phase moderner Reindustrialisierung
in Ostdeutschland ein. Ziel ist neben der Modernisierung von Altindustrien (etwa Automobil, Chemie,
Maschinenbau) die Entwicklung wissensbasierter
Zukunftsindustrien wie IuK, Medizin- und Umwelttechnik, Life Sciences, Photovoltaik – um nur einige zu nennen.
Tatsächlich haben KMU häufig auch gesamtwirtschaftliche Vorteile, mit anderen Worten „small is
beautiful“ (E. Schumacher):





Expansive mittelständische Handwerks- und
Industriebetriebe sind, verglichen mit kapitalintensiven Großkonzernen, wichtige Quelle anhaltenden Wirtschafts- und Beschäftigungswachstums in Ostdeutschland. Ihr Wertschöpfungsanteil beträgt 52% an der gesamten Wertschöpfung.
KMU sind auch in strukturschwächeren, ländlichen Räumen ansässig und tragen dort zu einer
ausgewogeneren regionalen Wirtschaftsentwicklung bei.
In wirtschaftlichen Zukunftsfeldern wie IuK, Biound Nanotechnologie, Gesundheitswirtschaft,
erneuerbare Energien sind hochinnovative KMU
überdurchschnittlich vertreten.
Der Mittelstand gilt als ‚Brutkasten’ („breeding
ground“) für innovative Unternehmerpersönlichkeiten. Die Eintrittsbarrieren für Neugründer
sind, verglichen mit kapitalbrauchenden Großbetrieben, relativ niedrig.
Nicht zuletzt ist das mittelständische Gewerbe
die zentrale Stätte betrieblicher Aus- und Weiterbildung.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten: KMU sind
relativ forschungsschwach, - ihr Anteil an den
gesamten Forschungs- und Entwicklungsausgaben
der Wirtschaft liegt bei nur 15%. Und nur ein Viertel
der 350.000 Forscher und Entwickler ist in mittelständischen Unternehmen beschäftigt. Trotz hoher
Aufbauerfolge erreicht die ostdeutsche Industrie
bislang erst einen Anteil von 51 Prozent der industriellen Leistung pro Kopf der Bevölkerung in den
alten Bundesländern. Dies hat seine Ursache im
Wesentlichen im Fehlen größerer leistungsstarker
Unternehmen und Konzerne in Ostdeutschland. Die
Gründe hierfür sind:
24





Der Industrialisierungsgrad ist in Ostdeutschland
geringer als im Westen. Er liegt unter dem erforderlichen Niveau, um in den Neuen Ländern
das westdeutsche Produktivitätsniveau, etwa
durch Stückkostensenkungen, zu erreichen.
Es dominieren Kleinstbetriebe, die im Hinblick
auf Forschungs-, Innovations- und Exportorientierung hinter westdeutschen (Groß-) Unternehmen zurückbleiben.
In der Branchenstruktur der ostdeutschen Industrie dominieren Betriebe, die vorrangig regionale Märkte bedienen, etwa traditionelle Nahrungsmittelverarbeiter (Molkereien, Schlachthöfe, Bäckereien) oder Rohstoffproduzenten (Zementwerke, Ziegeleien). Produktionsgewinne
aus dem Auslandsgeschäft können so nicht erwirtschaftet werden.
Die Betriebe Ost fungieren häufig nur als Produktionsstätten und Zweigstellen westdeutscher
oder ausländischer Unternehmen (These von
den ‚verlängerten Werkbänken’).
Leitzentralen, Netzwerke, Zulieferbetriebe und
Produktionsstätten für Enderzeugnisse liegen
meist außerhalb Ostdeutschlands. Regionale
Wertschöpfungsketten sind eher die Ausnahme.
Im Endergebnis bedeutet dies: Die Produktivitätslücke zum Westen resultiert aus Strukturunterschieden in der Gesamtheit der ostdeutschen Industrie,
nicht aus technisch-ökonomischer Rückständigkeit
der einzelnen Betriebe oder gar mangelnder Leistungsbereitschaft oder Qualifikation ihrer Mitarbeiter. Anders ausgedrückt: Die mittelständischen
Industriebetriebe Ost sind bei gleicher Größe und
Produktsortiment gegenüber gleichartigen Konkurrenten im Westen wettbewerbsfähig, bei Neuinvestitionen sogar überlegen.
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Eine innovative Förderpolitik des ostdeutschen
Mittelstands muss daher vorrangig an folgenden
Punkten ansetzen:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Abbau diskriminierender Vorschriften und Regeln
Förderung von Produkt-/Verfahrensinnovationen
Förderung von Unternehmenskooperationen
Verbreiterung/Verbesserung der Fachkräftebasis
Erleichterter Zugang zu Kredit/Venture Capital
Förderung der Internationalisierung von KMUs
Autor: G. Braun
25
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Weniger, älter, bunter – Demografische Folgen für das Humankapital
Die Bevölkerungszahl Ostdeutschlands sank in den letzten Jahren stärker als im Westen, das
Durchschnittsalter stieg schneller als im Bundesschnitt. Für ostdeutsche Arbeitgeber wird es höchste Zeit, sich auf die demographischen Veränderungen einzustellen.
Der demographische Wandel wird seit einiger Zeit
immer wieder im Kontext der Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen und der Zukunftsfähigkeit
ländlicher Räume diskutiert. Die einen zeichnen hier
erste Untergangsszenarien dünn besiedelter Regionen Ostdeutschlands, die anderen sehen gerade
dort eine neue Avantgarde entstehen, weil ostdeutsche Akteure aufgrund der markanten Veränderungen bereits frühzeitig begonnen haben, sich auf die
neuen Rahmenbedingungen tabulos vorzubereiten.
Von den massenhaften Abwanderungen der Wendezeit abgesehen (Anhang A.6 ), ändern sich demografische Faktoren nur sehr langsam. Wir können uns daher frühzeitig auf die dadurch bedingten
Veränderungen einstellen. Für Ostdeutschland als
Industrie- und Wirtschaftsstandort sind dabei insbesondere vier Trends von Bedeutung, die in betrieblichen Personalentwicklungsüberlegungen und
-konzepten berücksichtigt werden sollten:
1. Stark rückläufige Geburtenzahlen und damit ein
Einbruch bei den Schulabgängern,
2. ein fast flächendeckender Bevölkerungsrückgang insgesamt,
3. ein starker Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen sowie
4. Veränderungen der Altersstruktur und ein relativ
schnell ansteigendes Durchschnittsalter.
Spätestens seit Mitte der 2000er Jahre bekommen
ostdeutsche Ausbildungsbetriebe den „Geburtenknick“ der Wendejahre zu spüren. Standen in den
Jahren zuvor den Ausbildungsplatzangeboten immer eine große Zahl an Bewerbern gegenüber,
entstand plötzlich eine Konkurrenz der Betriebe um
die Schulabgänger. Mehr und mehr Angebote bleiben unbesetzt. Insbesondere für kleine und mittlere
Unternehmen wird der Kontakt in die Schulen immer wichtiger. Landesregierungen sind gefordert,
das Niveau der Schulabgänger zu heben und Abbruchquoten zu senken. Die Zahlen indes sprechen
für sich: im Vergleich zu 1991 hat sich die Anzahl
der unter 16-Jährigen in den ostdeutschen Flächenländern in etwa halbiert. In den 1990er Jahren
war der Rückgang in den Neuen Bundesländern
besonders gravierend, wohingegen westdeutsche
Länder große Zuwächse verzeichnen konnten. Eine
Folge der damals dominanten Ost-WestWanderungen und der Zuwanderung aus dem Ausland, die fast komplett von westdeutschen Kommunen aufgenommen wurden. Im zweiten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung waren die Verluste nicht mehr so gravierend und verteilten sich
gleichmäßiger zwischen den Bundesländern. Nach
den Stadtstaaten Hamburg (-0,9%), Berlin (4,4%) und Bremen (-10,1%) ist der Rückgang der
26
Kinder und Jugendlichen in Hessen (-11%) und
Sachsen (-11,9%) am niedrigsten, im Saarland (22,7%) und in Sachsen-Anhalt (-23,5%) am
höchsten. Durch die stark reduzierten Elterngenerationen lassen sich die dadurch induzierten Entwicklungen nicht mehr umkehren; ein weiterer
Rückgang ist sozusagen „vorprogrammiert“.
Durch den zu erwartenden Sterbeüberschuss (mehr
Menschen sterben als geboren werden) ist auch die
Entwicklung der Wohnbevölkerung absehbar. Ostdeutschland wird weiter schrumpfen. In den vergangenen gut 20 Jahren hat allerdings die Überlagerung dreier demographischer Prozesse für einen
besonders schnellen Rückgang der Einwohnerzahlen geführt: eine negative natürliche Bevölkerungsentwicklung, eine flächendeckende Abwanderung
nach Westdeutschland und ins Ausland sowie geringe Zuwanderungszahlen. Im Vergleich des Jahres 2011 zu 1991 haben die ostdeutschen Länder
allesamt Einwohner verloren, wohingegen mit Ausnahme des Saarlandes (-5,9%) und Bremens (3,3%) alle westdeutschen Länder einen Einwohnerzuwachs zu verzeichnen hatten. Der Einwohnerverlust ist mit -18,1% in Sachsen-Anhalt am höchsten. Nur in Berlin und Brandenburg sieht es besser
aus, wobei sich die Einwohnerzuwächse stark auf
Berlin und das Umland konzentrieren.
Die Bevölkerungsabnahme brachte auch einen
deutlichen Rückgang der Zahl der Erwerbspersonen
mit sich; besonders gravierend in den 1990er Jahren in den Flächenländern Sachsen-Anhalt (19912001: -12,8%), Mecklenburg-Vorpommern (11%), Thüringen (-10,2%) und Sachsen (-9,1%).
Im zweiten Jahrzehnt nach der Wiedervereinigung
war die Entwicklung weniger dramatisch. Nach
Analysen der Bundesagentur für Arbeit wird sich
der Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials –
also des theoretischen Arbeitskräfteangebots – bis
2020 deutschlandweit in moderatem Tempo und
dann beschleunigt fortsetzen. Schon heute verzichten einzelne Unternehmen auf Investitionen in
neue Geschäftsfelder, weil ihnen geeignetes Personal fehlt. Es steht zu befürchten, dass ostdeutsche Unternehmen in ihrer zukünftigen Entwicklung
durch das Fehlen von Fachkräften zunehmend
gehemmt werden, sofern sie nicht rechtzeitig gegensteuern.
Die beschriebenen Entwicklungen haben auch zu
einer Veränderung der Altersstruktur geführt. Weniger jungen stehen mehr ältere Menschen gegenüber. Dieser Alterungsprozess erfolgte in Ostdeutschland wesentlich schneller als in Westdeutschland.
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
27
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
So ist der durchschnittlicher Bewohner Mecklenburg-Vorpommerns 2010 im Vergleich zu 1990
zehn Jahre älter und damit etwas über 45 Jahre alt.
Das einst jüngste Bundesland nimmt heute Platz
12 im Ländervergleich ein (2010). Die Flächenländer im Osten sind nicht nur die „ältesten“ Länder
Deutschlands, sie sind auch allesamt im Zeitraum
1990-2010 schneller gealtert als die „jüngeren“
Westländer. Immerhin belegt Berlin beim Durchschnittsalter 2010 den dritten Platz (nach Hamburg
und Baden-Württemberg). Für ostdeutsche Unternehmen ergibt sich durch die veränderte Altersstruktur ein besonders deutlicher Anpassungsbedarf. Denn mit den Veränderungen in der Gesellschaft wird auch das Durchschnittsalter in den
Betrieben steigen. So müssen u.a. inner- und
außerbetriebliche Weiterbildungsprogramme sowie
die generellen Arbeitsbedingungen an sich ändernde Bedürfnisse und Fähigkeiten angepasst werden.
Den Bedarf an neuen Mitarbeitern werden Betriebe
in Ostdeutschland indes in stärkerem Maße als
bisher durch den Zuzug von Fachkräften aus dem
Ausland decken müssen. Aber auch kleinere Städte und Unternehmen sollten sich frühzeitig gegenüber Fremden öffnen und neue Formen der Willkommenskultur und Integration entwickeln. Aufgrund des bisher sehr niedrigen Ausländeranteils in
Ostdeutschland (2-3% der Gesamtbevölkerung)
sind dies für lokale Gemeinschaften besondere
Herausforderungen, die aktiv angegangen werden
müssen. Große, bisher kaum genutzte, Chancen
bestehen vor allem in der Internationalisierung der
kleinen und mittleren Unternehmen durch Wissenstransfers sowie durch die Kenntnis ausländischer
Märkte und Marktbedingungen.
Gerade die Entwicklung der Zuwanderung aus dem
In- und Ausland ist schwer zu prognostizieren. So
sind Bevölkerungsprognosen zwar hinsichtlich der
natürlichen Entwicklung der (sesshaften) Bevölkerung sehr verlässlich, die Wanderungen sind allerdings kaum zuverlässigvorherzusagen. So sind
beispielsweise die Abwanderungen aus den Neuen
Bundesländern seit 2001 um über 40% zurückgegangen, so dass 2011 nahezu ein ausgeglichener
Wanderungssaldo erzielt wurde. In der Schrumpfungsdebatte der letzten Jahre kam denn auch der
Blick auf die Zuzüge zu kurz. Dabei sind seit 1991
etwa 750.000 ostdeutsche Abwanderer wieder nach
Ostdeutschland
zurückgezogen, und
seit einigen Jahren
gilt jeder zweite
Zuzug aus dem
Westen und aus
dem Ausland als
Rückwanderung.
28
Insbesondere die größeren, aber auch attraktive
kleinere Städte ziehen derzeit Bevölkerung an. Aus
dem Umland, aus Westdeutschland (2011: 91.879;
2006: 81.835), und auch zunehmend aus dem
Ausland (2011: 48.108; 2001: 38.365). Insbesondere die große Gruppe der (potenziellen) Rückkehrer sollte schnell Einzug als Zielgruppe in die aktuellen Fachkräftestrategien der Unternehmen finden,
denn gerade diese Personen verfügen über eine
enge Bindung zur Region, die es zu nutzen gilt.
Auch wenn die Negativmeldungen der Demographieexperten und Migrationsforscher überwiegen,
so sind doch nicht alle Entwicklungen negativ.
Kleinteilige Wachstums- und Schrumpfungsregionen liegen oft dicht beieinander, und vor allem die
größeren ostdeutschen Städte haben sich zu attraktiven Wohn-, Forschungs- und Wirtschaftsstandorten entwickelt, die auch vom überregionalen und internationalen Zuzug profitieren. Die damit
verbundenen Chancen gilt es zu nutzen.
Ausländeranteil 2011 (%)
BE
HH
HB
BW
HE
NW
BY
SL
RP
NI
SH
SN
BB
MV
Quelle:
Stat. Bundesamt, 2013
Autor: C. Schürmann
TH
ST
0,0
5,0
10,0
15,0
Autor: Th. Lang
Historische und gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge
Entwicklung der Erwerbstätigen 1991-2011 (1991=100)
115
Alte Bundesländer
1991
110
2001
2011
105
Neue Bundesländer
100
95
90
85
80
BB
MV
SN
ST
TH
BE
BW
BY
HB
HH
HE
Autor: C. Schürmann
NI
NW
RP
SL
SH
Quelle: Stat. Bundesamt, 2013
29
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Teil 2: Perspektiven für Ostdeutschland – Industriestandorte im internationalen Vergleich
Für Ostdeutschland war die Wiedervereinigung Startschuss einer anhaltenden Aufholjagd. Der wirtschaftliche und technologische Rückstand ist geschrumpft. Investoren bietet sich ein attraktiver,
wettbewerbsfähiger Standort bei regionalen Unterschieden. Für Zukunftsmärkte gilt es vorbereitet zu
sein.
Seit der Wende kann die Entwicklung der ostdeutschen Industrie nicht mehr nur an nationalen Maßstäben wie an den Verhältnissen zu Westdeutschland oder zur DDR gemessen werden. Die ostdeutsche Industrie ist heute Teil der vernetzten Weltwirtschaft. Sie muss sich daher an internationalen
Standards und Wettbewerbsbedingungen messen
lassen.
Die zunehmende Vernetzung geht weit über die
historisch überkommenen Vorstellungen des klassischen Außenhandels hinaus, bei dem Güter, die
in einem Land produziert werden, an ein anderes
Land exportiert und dort konsumiert werden. Gegenwärtig wird die Mehrzahl der Erzeugnisse in
einer Reihe von Schritten und Stationen in unterschiedlichen Teilen der Welt konzipiert, produziert
und vermarktet. Intensiv vernetzte globale Wertschöpfungsketten und neue Produktionsmethoden
lassen die traditionellen Grenzen zwischen Staaten,
Betrieben und Märkten immer weiter verschwimmen. So findet die Produktion eines Sportschuhs
heute nur noch selten am Hauptstandort statt.
Dagegen sind Design und Finanzierung als vorgelagerte Wertschöpfungsprozesse wie auch Vermarktung und Logistik als nachgelagerte Leistungen meist (noch) in Deutschland angesiedelt. Zulieferkomponenten der Automobilindustrie werden
in ähnlicher Weise produziert und in die globale
Produktionskette eingefügt, wobei es für die oft
mittelständischen Zulieferunternehmen eine ständige Herausforderung ist, Teil der Lieferketten zu
werden bzw. zu bleiben.
Die globale Vernetzung von Beschaffung, Produktion und Absatz hat weitreichende Konsequenzen für
die industrielle Entwicklung auch der neuen Bundesländer. Einfache Produktionsprozesse können
meist besser und vor allem billiger in anderen,
Niedriglohnländern erledigt werden, etwa in China,
Vietnam und Bangladesch. Die Konsequenz: An
einem im internationalen Vergleich relativen Hochlohnstandort wie Ostdeutschland können langfristig
nur noch forschungs- und wissensintensive Produkte mit hoher Qualität und hohem Fertigungs30
knowhow wettbewerbsfähig hergestellt werden.
Kleine und mittlere Unternehmen sind dazu häufig
auf Kooperationen angewiesen. Eine weitere Konsequenz besteht darin, dass der reine Produktionsvorgang meist nicht mehr der wertvollste Teil der
gesamten Wertschöpfungskette ist. Industrieunternehmen müssen sich verstärkt in die vor- und
nachgelagerten Wertschöpfungsprozesse entwickeln oder mit entsprechenden Unternehmen eng
zusammenarbeiten. Diese Herausforderung wird in
einem der folgenden Kapitel unter dem Begriff
Systemkopf beschrieben.
Die Güte eines Produktionsstandortes im globalen
Wertschöpfungsprozess hängt daher immer stärker
vom Qualitätsniveau, der Verlässlichkeit von Lieferbeziehungen, Reparatur- und Serviceleistungen,
der Netzwerk- und Innovationsfähigkeit, der Qualität seiner Fach- und Führungskräfte sowie seiner
logistischen Leistungsfähigkeiten ab. Darüber hinaus sind auch mittlere Industrieunternehmen zunehmend gezwungen, im Ausland selbst zu produzieren, um vor Ort in den großen Wachstumsmärkten präsent zu sein, die gegenwärtig vor allem
außerhalb Europas liegen.
Anschub für die Entwicklung der ostdeutschen
Wirtschaft gab das größte Investitionsvorhaben der
Bundesrepublik in ihrer Geschichte: Rundumerneuerung der Infrastruktur, Umweltsanierung, innovative Industrieparks und zahlreiche Förderprojekte
im F&E-Bereich sollten Konkurrenzfähigkeit und
Produktivität der Neuen Bundesländer erhöhen.
Infrastruktur
Fördermittel
Image
Techno
logieakzepta
nz
Stärken
NBL
Umwelt
qualität
Immobi
lienprei
-se
Industriestandorte im internationalen Vergleich
Die daraus resultierenden internationalen Wettbewerbsvorteile der ostdeutschen Industrie lassen
sich etwa folgendermaßen umreißen:
Die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit (VDE) zielten
auf die Modernisierung und Erweiterung des maroden Straßen- und Schienennetzes der DDR, um
die Erreichbarkeit sowohl für Bevölkerung als auch
für die Wirtschaft zu erhöhen. In gleicher Weise hat
sich die Anbindung der europäischen Nachbarn
stark verbessert, birgt jedoch noch weitere Potenziale. Ostdeutschland verfügt heute über eines der
modernsten und leistungsfähigsten Verkehrssysteme, und ist zum Knotenpunkt Europas geworden
(s. Von der Peripherie ins Zentrum Europas).
Besonders technologieorientierte Unternehmen der
Neuen Bundesländer haben sich im internationalen
Vergleich einen Wettbewerbsvorsprung zu Osteuropa und Ostasien erarbeiten können. Die Ausnutzung vorteilhafter lokaler Produktionsbedingungen
gilt als entscheidendes Motiv bei der Standortwahl.
Deutsche (53,9%) und auch ausländische Mutterunternehmen (57,1%) entscheiden sich nach aktuellen Befragungen von Managern vorrangig für den
Standort Ostdeutschland. F&E sowie wissensintensive Produktion sind eindeutig ostdeutsche
Standortqualitäten.
Mehr noch: Die ostdeutsche Innovationslandschaft
hat die Fähigkeit entwickelt, mit neuen Produkten
und Verfahren eigenständig neue Märkte zu erschließen und selbst zu generieren. Dabei könnten
im Zeichen von Globalisierung, demographischem
Wandel und Klimaveränderung Medizin- und Umwelttechnik, erneuerbare Energien und der wachsende Gesundheitsmarkt zukünftige Treiber der
Weltwirtschaft werden. Für ostdeutsche Unternehmen wird sich damit die Frage nach einer international wettbewerbsfähigen Strukturierung niedriger
Wertschöpfungsstufen und der Eroberung neuer
Märkte stellen.
Auch die Forschungslandschaft mit zahlreichen
Instituten und Hochschulen machen den Standort
attraktiv für technologie- und wissensbasierte Erzeugnisse. Hier hat sich Ostdeutschland mittlerweile von seinen osteuropäischen Nachbarn absetzen
können und Wettbewerbsvorsprünge erarbeitet. Gut
entwickelt ist vor allem die öffentliche Forschungslandschaft in den Neuen Bundesländern insbesondere in Berlin, Sachsen und Thüringen. Hier werden
rund 2/3 der Forschungsanstrengungen erbracht.
Doch auf Unternehmensseite ist trotz der Unterstützung durch die öffentliche Hand die private
Forschungstätigkeit vergleichsweise gering geblieben. Die finanziellen Aufwendungen der ostdeutschen Wirtschaft liegen nur bei 7,9% der Forschungsaufwendungen der deutschen Wirtschaft
insgesamt. Ein Grund dafür ist die (zu) kleinteilige
Unternehmensstruktur.
Eine besondere Stärke der ostdeutschen Wirtschaft
liegt im hohen Ausbildungsniveau ihrer Fachkräfte,
ihrer Leistungsbereitschaft und Motivation. Die
technologischen Entwicklungen und damit die Anforderungen an die Qualifikationen nehmen immer stärker
und schneller zu. Bedingt durch demografische
Faktoren (Bevölkerungsschwund, Alterung und
Abwanderung) könnten sich in der Zukunft Fragen des
Fach- und Führungskräftemangels einstellen. Bereits
gegenwärtig zeichnen sich Engpässe bei MINTBerufen (Mathematiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Informatiker), im Tourismus und im
Gesundheitssektor (Ärzte, Krankenschwestern,
Pfleger) ab (s. Mitarbeiter in den Mittelpunkt: Strategien
gegen den Fach- und Führungskräftemangel).
Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes drückt sich in einer steigenden Exportquote aus.
Sie hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, zumindest bei Firmen mit mehr als 50 Beschäftigten liegt sie heute bei ca. 34%. Bislang konzentrieren sich die ostdeutschen Ausfuhren auf nahe Auslandsmärkte in West- und Osteuropa. Märkte, die
bereits weitgehend erschlossen und hart umkämpft
sind. Exportstrategisch erforderlich wäre es, sich
verstärkt auf wachstumsstarke außereuropäische
Märkte zu orientieren, die heute vor allem in Asien und
dem gesamten amerikanischen Kontinent liegen.
Gleiches gilt für weitergehende Internationalisierungsschritte, sei es durch Aufbau eigener Vertriebszentralen bis hin zur Produktion vor Ort. Auslandsinvestitionen und Exportstärke stehen in einer vernetzten
Weltwirtschaft in enger Beziehung. Nach einer
Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) haben 24% der ostdeutschen
Industrieunternehmen im Jahr 2012 den Schritt in die
Auslandsmärkte gewagt und damit mehr als im Jahr
davor. In den alten Ländern liegt diese Quote bei 49%.
Alles in allem verfügt die ostdeutsche Wirtschaft über
gute Standortbedingungen als geografisches Zentrum
in Europa. Doch: Die Voraussetzungen und insbesondere die Fähigkeiten der Unternehmen, von internationalen Wachstumsmärkten zu profitieren, müssen
vielfach noch entwickelt werden (s. Internationalisierung ernst nehmen).
Der nächste Beitrag beschäftigt sich mit ostdeutschen
Faktor- und Standortbedingungen, gefolgt von einer
Analyse der Erreichbarkeitsverhältnisse in Ostdeutschland und dem Kampf ostdeutscher Firmen auf dem
Weltmarkt. Der vierte Beitrag widmet sich möglichen
Zukunftsfeldern als Wachstumstreiber für die ostdeutsche Wirtschaft, bevor abschließend die strategische
Rolle von Systemköpfen thematisiert wird.
Autoren: G. Braun, T. Güra
31
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Auf der Überholspur – Standortbedingungen in Ostdeutschland
Im vergangenen Jahrzehnt hat Deutschland unter allen industriellen Hightech-Ländern den größten
Sprung nach vorn gemacht. Dies gilt, wenngleich in geringerem Maße als für Westdeutschland,
auch für den Standort Ostdeutschland.
Deutschland wird als Industriestandort immer besser. Noch in den 1990er Jahren als „kranker Mann
Europas“ kritisiert, wandelte sich Standort D zur
Wachstumslokomotive Europas. Die Gründe: Innovations- und Modernisierungsstrategien der Industrie, Fokussierung auf industrielle Kernkompetenzen
und Schlüsselbranchen, sinkende Lohnstückkosten
und dynamisches Exportwachstum.
Derzeit belegt die Bundesrepublik im Ranking der
industriellen Standortqualität unter den wichtigsten
45 Industrienationen den fünften Platz, knapp hinter Spitzenreiter USA, Schweden, Dänemark und
der Schweiz. Danach hat der Standort Deutschland
sich in den vergangenen 15 Jahren um neun Ränge
verbessert. Kein anderes Industrieland hat einen
derartigen Sprung nach vorn gemacht.
weiterentwickelt wurde. Gezielte Innovations- und
Modernisierungsstrategien der Firmen bei flexibler
Spezialisierung, Abbau staatlicher Innovationshemmnisse, Infrastrukturinvestitionen, Netzwerkbildung und sinkende Lohnstückkosten sicherten
international den Wechsel auf die Überholspur. Die
Folge: In den Wachstumsregionen Ostdeutschlands
konnte sich inzwischen eine beträchtliche Zahl
dynamischer Unternehmen in zukunftsträchtigen
Industriebranchen etablieren mit steigender Wertschöpfung, Exportanteilen und Beschäftigung.Dies
gilt in besonderem Maße für den Werkzeug- und
Maschinenbau, den Fahrzeugbau, die Metall- und
Elektroindustrie, der optischen Industrie, der
Kunststoffindustrie, der Solarindustrie und der Mikroelektronik.
Als besondere Stärken des Standorts Ost gelten
die exzellente Infrastruktur, die Qualifikation der
Arbeitskräfte, Zuverlässigkeit und Qualitätsorientierung, die hohe Forschungs- und Energieeffizienz
sowie der soziale Frieden. Für ausländische Investoren sind zudem die Existenz innovativer Netzwerke und Cluster in Zukunftsfeldern der IKT, der Medizin- und Umwelttechnik attraktiv und die Nähe zu
Wachstumsmärkten in Mittel- und Osteuropa.
Standortnachteile sind insbesondere der anhaltende Bevölkerungsrückgang mit wachsendem Fachkräftemangel, die geringe Zahl attraktiver Metropolen, und die hohe bürokratische Regulierungsdichte.
Dabei schätzen die Manager von Industrie- und
Dienstleistungsunternehmen die Bedeutung einzelner Standortfaktoren teilweise recht unterschiedlich
ein.
Autor: G. Braun
Wichtige Konkurrenten schneiden deutlich schlechter ab. So ist Großbritannien von Rang 6 auf 13
abgerutscht. Frankreich liegt unverändert auf Platz
23, und noch schlechter sieht es mit den europäischen Krisenländern aus: Spanien (26), Portugal
(32), Italien (34) und Griechenland Platz 39.
Auch Ostdeutschland weist inzwischen eine überdurchschnittliche industrielle Standortqualität auf,
(s. Stärken-Schwächen-Analyse Ostdeutschland),
die in den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich
32
Industriestandorte im internationalen Vergleich
33
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Von der Peripherie ins Zentrum Europas
Waren beide deutschen Staaten vor der Wiedervereinigung eher Randgebiete in ihren jeweiligen politischen Blöcken mit vorherrschenden Nord-Süd-Verkehren, katapultierten die Verkehrsprojekte
Deutsche Einheit insbesondere Ostdeutschland von der Peripherie ins Zentrum Europas.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere
nach dem Mauerbau konzentrierten sich die Verkehrsinfrastrukturinvestitionen in beiden deutschen
Staaten auf den Ausbau von Nord-Süd-Korridoren.
Nach der Wiedervereinigung und dem Wiedererstarken der West-Ost-Verkehre waren das Zusammenwachsen der beiden getrennten Verkehrssysteme sowie die Verbesserung der Qualität der
Verkehrsinfrastrukturen in Ostdeutschland die
größten verkehrspolitischen Herausforderungen.
Die wichtigsten Maßnahmen im Verkehrssektor
wurden zu den sog. Verkehrsprojekte Deutsche
Einheit (VDE) gebündelt und deren Umsetzung auf
Grundlage der Beschleunigungsgesetze priorisiert.
Über Jahre floss ein großer Teil der Bundesmittel
im Verkehrssektor somit in den Neu- und Ausbau
der Verkehrsinfrastrukturen in den Neuen Bundesländern.
Die VDE setzen sich aus neun Schienen-, sieben
Autobahn- und einem Wasserstraßenprojekt zusammen. Sie erstrecken sich auf einen Nordkorridor Lübeck-Rostock-Stettin, auf einen mittleren
Korridor Hannover/Uelzen/ Helmstedt-Magdeburg/
Stendal-Berlin, sowie auf einen Südkorridor Nürnberg-Erfurt-Halle/Leipzig-Berlin als neue Hauptachsen. Neben der Anbindung der Großstädte
Leipzig, Dresden, Halle, Erfurt und Rostock zielten
die VDE insbesondere auf die bessere überregionale Einbindung Berlins ab. Im Zeitraum 1991 bis
2011 wurden vom Bund ca. 31,8 Mrd. Euro in die
VDE investiert, ein Großteil direkt in den Neuen
Bundesländern. Davon ca. 48% in die Schiene,
47% in Straßen- und 5% in Wasserstraßenprojekte. Ende 2011 waren sechs von neun Schienenprojekten fertiggestellt; die Projekte 1 (Lübeck / Hagenow Land-Stralsund) und 9 (Leipzig-Dresden)
waren zu etwa 68% realisiert, während Projekt 8
zeitlich weiter zurücklag. Bei den Straßenprojekten
konnten die A20 Lübeck-Stettin sowie VDE 16
(Schweinfurt-Erfurt/Lichtenfels-Suhl) fast zu 100%
fertiggestellt werden. Insbesondere VDE 13 (Göttingen-Halle) und 15 (Kassel-Eisenach/EisenachGörlitz) liegen in der Implementierung jedoch zeitlich zurück.
Gleichzeitig sind die VDE eingebunden in das Leitschema der Transeuropäischen Verkehrsnetze
(TEN-T ), das die Integration der Regionen Europas sowie die Erreichbarkeit und Konnektivität von
Städten verbessern helfen soll.
34
Neben der konkreten Instandsetzung veralteter oder
reparaturbedürftiger Straßen und Eisenbahnen in
Ostdeutschland dienen die VDE sowie die übergreifenden TEN-Ts insbesondere dazu, die durch
die Wiedervereinigung und europäische Integration
massiv zugenommenen Personen- und Güterströme gerade in West-Ost-Richtung zu bewältigen.
Verkehrsinfrastrukturen sind jedoch kein Selbstzweck. Sie dienen der Sicherstellung der Erreichbarkeit von Städten, Regionen, Menschen und
Märkten (Erreichbarkeitsindikatoren). In diesem
Sinne zeigt die Europakarte, wie viele Menschen
(links) bzw. wie viel BIP (rechts) von einem Ort aus
erreichbar ist.
Westdeutschland zählt zusammen mit England,
den Beneluxstaaten, den Großraum Paris sowie
Norditalien zu den Regionen mit der höchsten Erreichbarkeit in Europa. Außerhalb dieses Kernbereichs gibt es einige Agglomerationen mit hohen
Erreichbarkeiten (vor allem Hauptstädte, wie z.B.
Madrid), aber es gibt ein starkes Gefälle zu den
weniger gut erreichbaren Regionen, wie z.B. in
Südfrankreich, der Iberischen Halbinsel, Schottland
und Irland, Skandinavien, in den Baltischen Staaten oder Südosteuropa zu sehen ist. Mit Ausnahme
der Küstenregionen in Mecklenburg-Vorpommern
liegen alle Gebiete in Ostdeutschland trotz relativ
geringer Bevölkerungsdichte und einer geringen
Anzahl an Verdichtungsräumen weit über dem
Europäischen Durchschnitt, haben also, auch dank
der durch die VDE und TEN-Ts gut ausgebauten
Verkehrsnetze, eine gute bis sehr gute Erreichbarkeit. In Bezug auf die Erreichbarkeit des BIP definiert die Grenze zu Polen und zur Tschechischen
Republik nach wie vor eine räumliche Zäsur zwischen alten und neuen EU-Staaten, denn die Erreichbarkeit fällt hinter der Grenze schlagartig ab.
Erreichbarkeitspotenzial:
Je mehr Menschen bzw. je mehr BIP von einem Ort
aus erreicht werden können, desto höher ist sein
Erreichbarkeitspotenzial (Schürmann et al., 1997;
Wegener et al., 2000). Die Erreichbarkeit zur Bevölkerung kann interpretiert werden als ein Maß für die
Größe von Absatzmärkten und Dienstleistungen,
während die Erreichbarkeit zum BIP ein Maß für die
Standortgunst eines Ortes für wirtschaftliche Aktivitäten ist
Industriestandorte im internationalen Vergleich
35
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Bezogen auf die Erreichbarkeit innerhalb Deutschlands, in der Abbildung dargestellt anhand der
innerhalb von fünf Stunden erreichbaren Bevölkerung, liegt Ostdeutschland nach wie vor hinter den
alten Bundesländern zurück, trotz des enormen
Infrastrukturausbaus. Zwar hat es im Eisenbahnnetz hohe Erreichbarkeitsgewinne für das gesamte
Bundesgebiet durch den Ausbau der Schnellverkehre gegeben, wovon insbesondere die NordSüd-Achse Hamburg-Hannover-Kassel-Würzburg
-München sowie die Rheinschiene profitieren
konnten. In Ostdeutschland verbesserte sich die
Erreichbarkeit im Dreieck Hannover-Berlin-Leipzig
stark, jedoch konnten weite Teile MecklenburgVorpommerns, Brandenburgs sowie Sachsen nur
partiell davon profitieren. Im Straßennetz konnte
insbesondere der Ost-West Korridor DresdenLeipzig-Erfurt-Kassel/Frankfurt von gestiegenen
Erreichbarkeiten profitieren, aber auch bei der
Straße liegt die Erreichbarkeit in großen Teilen
Ostdeutschlands noch immer weit unterhalb des
Bundesdurchschnitts.
Die Infrastrukturpolitik in Deutschland hat die durch
die Wiedervereinigung ergebene Chance aufgegriffen, Ostdeutschland aus der Peripherie ins Zentrum
Europas zu katapultieren. Der Ausbau der Straßenund Eisenbahnnetze durch die VDE und durch die
TEN-Ts hat dazu geführt, dass Ostdeutschland
nun verkehrsgeographisch ins Zentrum Europas
gerückt ist als Schnittstelle zwischen den Märkten
in West- und Osteuropa mit einer Vielzahl an leistungsfähigen Ost-West-Verkehrsachsen. Ostdeutschland weist nunmehr im europäischen Kontext überdurchschnittlich hohe Erreichbarkeiten auf
und besitzt nun insbesondere entlang der Hauptachsen deutliche Standortvorteile gegenüber Regionen in Ost-, Nord- oder Südeuropa. Alle ostdeutschen Zentren sind nun gut an die alten Bundesländer angebunden; letztere haben jedoch nach
wie vor – sowohl national wie europäisch betrachtet
– signifikant höhere Erreichbarkeiten, was nicht
zuletzt in den höheren Bevölkerungszahlen und im
höheren Bruttoinlandsprodukt begründet liegt.
Diese strukturellen Nachteile können durch den
Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen nur partiell
ausgeglichen werden.
Für die Industrie in Ostdeutschland erzeugt der
Infrastrukturausbau dennoch ambivalente Ergebnisse: Zum einen sind nun Absatzmärkte und Kunden in Westdeutschland und Europa besser erreichbar, und es bilden sich sogar dezidierte
„Hub“-Standorte (z.B. Leipzig) heraus (s. Verkehr
und Logistik: Gateways und Hubs), zum anderen
begünstigen hochwertige Verkehrsinfrastrukturen
das Tages- bzw. Wochenendpendeln zwischen
Wohnstandorten in Ostdeutschland und Arbeitsstätten in Westdeutschland, wodurch der ostdeutschen Industrie ein großes Arbeitskräftereservoir
verloren geht. Zwar trägt das Auspendeln zum
Abbau von Arbeitslosigkeit bei, andererseits verhindert es die Ausbildung von lokalen und regiona36
len Arbeitsmärkten. Das Beispiel Thüringen mit
einem negativen Pendlersaldo von -72.052 in 2012
zeigt die Effekte guter Verkehrsanbindungen in die
alten Bundesländer.
Autor: C. Schürmann
Industriestandorte im internationalen Vergleich
37
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Ostdeutsche Firmen im Kampf auf dem Weltmarkt
Die DDR-Industrie war von den „kapitalistischen“ Weltmärkten abgeschottet und auf die sozialistischen ‚Bruderländer’ fixiert. Dennoch ist es der ostdeutschen Industrie gelungen, mit ihren Produkten Auslandsmärkte zu erobern, bei weiterhin erheblichem Rückstand gegenüber Westdeutschland.
Nach dem Zusammenbruch des Systems sozialistischer Arbeitsteilung zwischen den Bruderstaaten,
so die kommunistische Sprachregelung, entsteht
eine wahrhaft globale ‚kapitalistische’ Weltwirtschaft.
Waren, Kapital, Dienstleistungen, Informationen
und (eingeschränkt) Arbeitskräfte können weltweit
frei und ungehindert zirkulieren. Die Folge: Eine
Verschärfung des internationalen Wettbewerbs –
auch und gerade für mittelständische Unternehmen, die die ostdeutsche Industriestruktur prägen.
Bereits in den letzten Jahren der DDRPlanwirtschaft hatte die internationale Konkurrenzfähigkeit der ostdeutschen Industrie stark nachgelassen. Auch bei den Ausfuhren zeigte sich ein
deutliches Nord-Süd-Gefälle. Die Nordbezirke,
aber auch Berlin und Potsdam lagen unter dem
DDR-Durchschnitt; im Süden, in Sachsen und
Thüringen, existierten die „Exportlokomotiven“,
etwa Traditionsfirmen wie Zeiss Jena, Meißener
Porzellan, Agfa Wolfen, (um nur einige zu nennen).
Mit der Wirtschafts- und Währungsunion brachen
die Exporte Ostdeutschlands nahezu flächendeckend weg. Produkte, die zu DDR-Zeiten zum
Wechselkurs 1:4 (1 DM zu 4 DDR-Mark) abgesetzt
werden konnten, waren zum neuen Umtauschverhältnis von 1:1 nicht mehr konkurrenzfähig, Die
ostdeutsche Exportindustrie musste sich radikal
umstellen: Neue Produkte, neue Preise, neue Qualitäten, neue Sortimente und neuer Service für anspruchsvolle internationale Kunden. Dabei wuchs
der Export ostdeutscher Firmen ab Mitte der neunziger Jahre kräftig. Ihr Auslandsumsatz hat sich
seitdem mehr als verfünffacht. Und die Exportquote (=Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz) stieg von 12,8 % (1996) auf 33,5 % (2012.).
Damit rangiert die ostdeutsche Ausfuhrquote immer noch erheblich unter dem westdeutschen
Durchschnitt von 46,4 %. (wenngleich diese Zahlen
verzerrt sind, da Zulieferleistungen ostdeutscher
KMU in den Umsatzzahlen westdeutscher Endproduzenten verbucht werden).
Regional konzentrieren sich die ostdeutschen Ausfuhren auf die EU-Mitgliedsländer mit knapp 54 %
am gesamten Exportvolumen, aber auch die USA
(8,4 %), die VR China (7,7%), die Russische Förderation (4,0 %) und Japan (1,5 %) sind bedeutende Absatzmärkte.
Auch 25 Jahre nach der Wende besteht das überkommene Nord-Süd- Gefälle bei den Ausfuhren
weiter So beträgt die Exportquote in MecklenburgVorpommern 28,8%;,in Brandenburg 28,5% und in
Sachsen-Anhalt 26,5%, in Thüringen dagegen
38
30,2 % und in Sachsen als ostdeutschem Exportchampion sogar 35,7 % (2012).
Erhebliche Wachstumspotenziale im Auslandsgeschäft werden prognostiziert in den Bereichen
Infrastruktur (Verkehrs-, Energie- und Umwelttechnik);
Landmaschinentechnik/Maschinen und Anlagen/Elektrotechnik/IuK-Technologien/Medizin und
Pharma sowie bei Luxusgüte n (PKW/
/Markenartikel für aufstrebende Mittelschichten in
asiastischen und lateinamerikanischen Schwellenländern.
Der Ausbau vorhandener Potenziale („Made in
Germany“) ist unter Globalisierungsdruck aussichtsreich, aber nicht einfach:
Die Gründe: Ostdeutsche Unternehmen sind ‚latecomer’ im internationalen Wettbewerb. Sie sind
stark an deutschen Verbrauchern orientiert (was
allerdings bei Weltmarktkrisen ein Vorteil sein
kann). Ihre kleinen und mittleren Betriebe haben es
sehr viel schwerer, internationale Märkte zu erobern
als Weltkonzerne des Westens wie etwa Siemens,
der seit über 100 Jahren in mehr als 100 Länder
exportiert.
Zu Strategien für ostdeutsche KMU : Internationalisierung ernst nehmen).
Autor: G. Braun
Außenhandel Ostdeutschlands 2008-2011
Ausfuhren (Euro)
Einfuhren (Euro)
(2008 innen - 2011 außen)
TH
ST
77
65
78
90
TH
BE
Mio
Mio
Mio
Mio
€
€
€
€
BB
ST
62
52
64
76
MV
SN
Autor: C. Schürmann
SN
BE
Mio €
Mio €
Mio €
Mio €
BB
MV
Quelle: Stat. Bundesamt, 2012
Industriestandorte im internationalen Vergleich
Exportindizes 2013 nach Bundesländern
Exporte pro Einwohner (Euro)
Exportquote (in Prozent)
HB
HH
HH
HB
SL
BW
BW
SL
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BY
BY
RP
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NW
SN
NI
NW
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SN
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SH
SH
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BB
TH
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BB
MV
BE
BE
MV
0
20
40
60
80
0
5.000 10.000 15.000 20.000 25.000 30.000
Jährliches Wachstum der Exporte
2002-2013 (in Prozent)
BB
ST
MV
TH
SN
HH
HB
RP
HE
BW
SH
NI
BY
SL
NW
Autor: C. Schürmann
Quelle: Stat. Landesamt Baden-Württemberg, 2013
BE
0
5
10
15
39
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Neues schaffen – Ostdeutsche Industrie im technologischen Wettbewerb
Nach Prognosen ist die ostdeutsche Industrie in wichtigen Zukunftsfeldern wie Gesundheits- und
Umweltökonomie, Erneuerbare Energien, IuK-Wirtschaft, optische Industrie und Nanotechnologie
langfristig aussichtsreich aufgestellt.
„Prognosen sind schwierig. Das gilt insbesondere,
wenn sie die Zukunft betreffen“, so Winston
Churchill. Wie sehr diese Aussage zutrifft, zeigt
sich nahezu täglich bei Wachstums- und Konjunkturprognosen. Kaum sind Vorhersagen der sogenannten Wirtschaftsexperten und -institute über die
Entwicklung des Sozialprodukts, der Arbeitslosenquote und Inflationsrate veröffentlicht, sind sie oft
bereits Makulatur. Globaler Wettbewerb, demographischer Wandel, Modetrends, Änderungen der
Konsumentenbedürfnisse, technischer Fortschritt
und Innovationen überlagern sich in einem Ausmaß, so dass Wirtschaftsprognosen bisweilen
„Kaffeesatzleserei“ gleichen (müssen).
Dennoch scheint es regelmäßige Wellen der Wirtschaftsentwicklung zu geben, langfristige Megatrends und Zukunftsfelder, die überdurchschnittliche Wachstumstreiber sein könnten. Nicht mehr,
aber auch nicht weniger.
Seit der Industriellen Revolution wurden sechs Kondratieffzyklen identifiziert, beginnend mit den Basisinnovationen der Frühmechanisierung (Dampfmaschine und mechanischer Webstuhl) 1. Zyklus
(1780–1830), und vorläufig endend an der Schwelle vom 5. zum 6. Kondratieff, d.h. dem Übergang
von der Informationswirtschaft (1970-2010) zur
Gesundheits- und Umweltökonomie (ab 2010).
Der prognostische Wert von Kondratieffs Untersuchungen wird dennoch – zu Recht – bestritten.
Offenbar handelt es sich mehr um eine historische
Darstellung von Wachstumsphasen als eine verlässliche Prognose. Dennoch ist die Theorie der
langen Wellen nicht ohne Wert, steckt sie doch
aussichtsreiche Zukunftsfelder ab.
Kondratieffzyklen: Der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratieff entwickelte 1926 die
Theorie der langen Wellen der Konjunktur. Sie dauern
jeweils 40–60 Jahre und werden ausgelöst durch
technologische Neuerungen, etwa vom Pferdefuhrwerk zur Eisenbahn oder vom Telegraphen zum Internet. Diese Neuerungen (= Basisinnovationen) lösen
massenhafte Investitionen in die neue Technik aus,
und damit einen lang anhaltenden Wirtschaftsaufschwung. Überkapazitäten verringern die Investitionen
und leiten den Abschwung ein. Basisinnovationen
treten stets dann auf, wenn ein Mangel oder Bedarf
entstanden ist, der durch herkömmliche Technologien
nicht mehr gedeckt werden kann.
Da bekanntlich die Zukunft unbekannt ist, ist nicht
eindeutig, welche spezifischen Zukunftsfelder in
welchem Umfang für die ostdeutschen Länder als
Wachstumstreiber von Bedeutung sein werden.
Neben der EU in ihren Forschungsprogrammen und
die Bundesregierung in ihrer High-Tech-Strategie
40
haben die Länder Thüringen, Brandenburg und
Sachsen Wachstumsfelder identifiziert, die als
Orientierung für ihre Förderpolitik dienen sollen. Als
Kandidaten werden, auch unter Rückgriff auf
Kondratieff) genannt:
Anwendungsorientierte
Technologien
Querschnittstechnologien
• Life sciences und Medizintechnik
• Energie- u. Umwelttechnik
• Biotechnologie
•
•
•
•
Mikro- u. Nanotechnologie
IuK-Technologien
Optik / Optoelektronik
Mess-, Steuer- und Regeltechnik (MSR)
Um Wunschdenken und Beliebigkeiten bei der
Ermittlung dieser Zukunftsfelder in Ostdeutschland
zu vermeiden, wurden als Auswahlkriterien folgende Merkmale zugrunde gelegt, von denen ein
Standort mindestens über eines verfügen sollte:





mehrere Unternehmen im jeweiligen Feld,
Zuwachsraten von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen,
Existenz regionaler F&E - Einrichtungen in den
jeweiligen Forschungsfeldern,
überdurchschnittlich hoher Anteil an F&EAufwendungen und an hochqualifizierten Fachund Führungskräften,
überdurchschnittliche Patentaktivitäten.
Sie bilden häufig Entwicklungskerne und Netzwerke, die Kosten senken (etwa bei gemeinsamen
Forschungs- und Bildungsaktivitäten und Kooperationen, etwa bei Messebesuchen) und öffentliche
Ausschreibungen erleichtern.
Obwohl die Basisinnovationen in den jeweiligen
Zukunftsfeldern spezifische wirtschaftliche und
kulturellen Voraussetzungen wie Konsequenzen
haben, werden „begleitende“ Entwicklungsfelder,
etwa Humankapital- und Fachkräftesicherung,
Finanz- und Consultingwirtschaft, Edutainment
sowie Kultur- und Kreativwirtschaft, bislang nur in
Einzelfällen thematisiert, etwa im Regionalmarketing Berlins und Thüringens.
Natürlich sind auch Produkt- und Verfahrensinnovationen in wichtigen traditionellen Branchen (z.B.
Fahrzeug- und Verkehrstechnik, chemische und
elektrotechnischen Industrie, Maschinenbau, Logistik, maritime Industrie) Wachstumstreiber für
Wertschöpfung und Beschäftigung.
Autor: G. Braun
Industriestandorte im internationalen Vergleich
41
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Systemköpfe: Ein Blick in die Zukunft
Nachhaltige Wettbewerbsvorteile haben (ost-)deutsche Industriefirmen, die einfache Fertigungen mit
niedrigen Wertschöpfungsstufen ins Ausland verlagern und sich auf wertschöpfungsintensive
Dienstleistungen und Produktionsverfahren am Standort Deutschland spezialisieren.
Kaum ein anderer Standort hat der Wirtschaftsund Finanzkrise so gut getrotzt wie der Standort D.
Das ist kein Zufall: Die starke deutsche Exportindustrie hat sich gut auf den Weltmärkten positioniert und profitiert von den hierzulande günstigen
Rahmenbedingungen. Die Firmen organisieren
effizient und erfolgreich globale Wertschöpfungsketten und sind zugleich ihrem deutschen Heimatstandort weitgehend treu geblieben.
Wenn auch alle Unternehmen gleich sind, so sind
doch einige Unternehmen gleicher als andere.
Firmen, die sich in Deutschland West und Ost jeweils auf wissens- und wertschöpfungsintensive
Unternehmensfunktionen fokussieren, sind erfolgreicher als jene Firmen, die dies nicht tun, so eine
Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Die Champions konzentrieren sich an den
angestammten deutschen Standorten auf ihre
Kernkompetenzen. Sie spezialisieren sich auf jene
Firmenbereiche, in denen sie den Wettbewerbern
überlegen sind. Es handelt sich, so der BDI, um
„Systemkopf’’-Unternehmen (wobei für den Begriff
Systemkopf der Triebwagen eines ICE-Zuges Pate
stand). Den Vorsprung verschaffen sie sich durch
eine wirkungsvolle Strategie unternehmensinterner
Spezialisierung: Einfache Fertigungen mit niedriger
Wertschöpfungsstufe werden ins Ausland verlagert,
während anspruchsvollere, wertschöpfungsintensive Aufgaben in Deutschland bleiben. Meist handelt
es sich dabei um produktionsnahe Dienstleistungen: Forschung- und Entwicklung, Design, Marketing, Fertigungsplanung, Vertriebssteuerung, Controlling sowie die Entwicklung der Firmenstrategie,
wobei inzwischen auch Teile dieser Serviceleistungen zunehmend internationalisiert und ins Ausland
verlagert werden.
Gemeinsam ist den Systemkopfunternehmen:

Systemkopfunternehmen sind keine Rarität:
Knapp 20% der größeren Firmen in Deutschland zählen zu diesen Champions. Bei einem
Mindestumsatz von 50 Mio. Euro setzen sie
überdurchschnittlich hoch qualifiziertes Personal
ein – von der Erforschung neuer Produkte und
Fertigungsverfahren bis zur Vertriebsgestaltung.

Innovationen: Rund 82% der Systemkopffirmen
sind mit Neuerungen am Markt. Zum Vergleich:
Unternehmen, die nicht die Systemkopfstrategie
fahren, können nur Anteile von etwas mehr als
50% vorweisen.

Differenzierungsstrategie: Systemkopfunternehmen verdienen jeden vierten Euro mit Produkten
oder Dienstleistungen, die nur sie im Programm
42
haben. Bei vergleichbaren Firmen liegt dieser
Anteil bei nur 18 %.

Internationalisierung: Zwei Drittel der Systemköpfe sind im Ausland aktiv, wo sie ihre Produkte vertreiben oder Niederlassungen haben.
Sie erzielen 27% ihres Umsatzes im Ausland
(andere Firmen: 23%), stellen dort einen größeren Teil ihrer Produktion her und betreiben
mehr Forschung im Ausland.

Netzwerke: Ungeachtet ihrer starken Auslandspräsenz arbeiten 22% der Systemköpfe eng mit
Zulieferern, Dienstleistern und Kunden in
Deutschland zusammen (andere Unternehmen
15%).

Erfolg: Systemkopfunternehmen sind überdurchschnittlich erfolgreich. Die auf wertschöpfungsintensive Tätigkeiten bauenden Firmen erzielen überdurchschnittliche Umsatz-, Beschäftigungs- und Renditezahlen.
In zwei Dritteln der Systemkopffirmen läuft der
größte Teil des produktionsnahen Unternehmensprozesses noch immer in Deutschland ab. Durch
Konzentration auf wissensintensive und innovative
Wertschöpfungsstufen im Heimatland wird ein
betriebsinternes System internationaler Arbeitsteilung aufgebaut, das eine, zumindest zeitweilige,
Monopolstellung begründen kann. Die Folge: Geringerer Wettbewerbsdruck aus Niedriglohnländern
und Spielräume, Preiserhöhungen am Markt durchzusetzen.
In Ostdeutschland sind Systemkopfunternehmen
bislang die Ausnahme. Auf einen knappen Nenner
gebracht: Ostdeutsche Firmen sind meist zu klein,
zu stark in traditionellen Produktsegmenten aktiv,
unterkapitalisiert und zu wenig international tätig
(ohne dass dies ihr ‚Verschulden’ ist).
Eine Wirtschaftspolitik, die Systemköpfe mit ihren
globalen Wertschöpfungsketten in Ostdeutschland
fördert, lässt sich etwa so umreißen:
1. F&E - Potenziale von Klein- und Mittelunternehmen fördern und ausbauen.
2. Wertschöpfungsintensive KMU - Netzwerke
unterstützen.
3. Aufbau globaler Wertschöpfungsketten fördern.
4. Spezialisierung der Firmen auf wissensbasierte
und innovative Wertschöpfungsstufen fördern.
5. Flexibilisierung produktionsnaher Dienstleistungsprozesse fördern.
Autor: G. Braun
Industriestandorte im internationalen Vergleich
43
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Teil 3: Die Neuen Bundesländer – Vielfalt in der Einheit
Nach der Wende haben die Neuen Bundesländer vielfältige Wirtschaftsprofile entwickelt mit Ansätzen eigenständiger Entwicklungskonzepte: Regionalstruktur, Bevölkerungsentwicklung, Bildungsstand, Innovationstätigkeit, strukturprägende Industriebranchen, Internationalisierungsgrad, Attraktivität.
Vergleiche von Unternehmen, Standorten und Ländern werden häufig mit dem Argument kritisiert, sie
verglichen „Äpfel mit Birnen“. Daher seien derartige
Vergleiche irreführend, bisweilen sogar sinnlos.
Diese Kritik ist nur teilweise berechtigt, und zwar
immer dann, wenn Unvergleichbares direkt miteinander in Beziehung gesetzt wird, etwa die Bevölkerungsgröße Sachsens (4,1 Mio.) mit der Mecklenburg-Vorpommerns (1,6 Mio.) Anfang 2012.
Wählt man hingegen eine dritte – übergeordnete –
Größe, so können Vergleiche sehr aufschlussreich
sein. So kann man Äpfel mit Birnen beispielsweise
nach dem Fruchtsaft- oder Kaloriengehalt (als
dritte Größe) pro 100 Gramm vergleichen.
Entsprechend können Länder beispielsweise bei
der Abbrecherquote von Hauptschülern verglichen
werden, bei der Arbeitsproduktivität pro Arbeitnehmer oder bei der Zeitdauer von der Beantragung
bis zur Bewilligung einer Unternehmensgründung
(Anhang A.9) vergleichen ausgewählte Regionalindikatoren).
In der öffentlichen Diskussion über die Zukunft
‚Ost’ werden die neuen Länder oft als einheitliches
Gebiet betrachtet. Tatsächlich sind sie durch eine
gemeinsame historische Epoche – 40 Jahre DDR –
und durch vergleichbare Transformationsprozesse
seit der Wende miteinander verbunden. Ansonsten
unterscheiden sich die ostdeutschen Länder im
hohen Maße: Kulturell, sozial, wirtschaftlich und im
Hinblick auf ihre industriellen Entwicklungen. Mehr
noch: Diese Unterschiede sind in den vergangenen
Jahren eher gewachsen als geschrumpft. Wachsende Vielfalt ist eine Chance. Sie erlaubt jedem
Bundesland, seine spezifischen Stärken zu nutzen,
um vorhandene Wachstums- und Wertschöpfungspotenziale auszuschöpfen. Hieraus folgt
gleichermaßen, dass eine gemeinsame Förderpolitik zwar für alle Länder einen Handlungsrahmen
schaffen kann, diese jedoch ihre spezifischen Länder- und Regionalprogramme erarbeiten und umsetzen müssen.
44
Um nicht die Standortbestimmung in Europa aus
den Augen zu verlieren, erscheint eine Einordnung
der Neuen Bundesländer in die Regionen Europas
angebracht. Ein Vergleich des Pro-KopfEinkommens der NBL erlaubt Hinweise auf die
Wirtschaftskraft der Neuen Bundesländer.
Danach rangieren die ostdeutschen Länder und
Städte – wenngleich mit erkennbaren Unterschieden und wenigen Ausnahmen – im unteren Drittel
sämtlicher EU-Regionen (wiewohl das Einkommen
pro Kopf nur näherungsweise etwas über die Lebensqualität oder gar das Entwicklungspotenzial
einer Region aussagt). Dabei haben sich die ostdeutschen Länder, die direkt nach der Wende noch
mit am Ende der EU-Einkommensskala rangierten,
durchaus verbessert, weil (i) ihre Wachstumsraten
überdurchschnittlich waren und (ii) nach Erweiterung der Europäischen Union seither Regionen aus
Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und den baltischen Staaten noch hinter ostdeutschen Regionen
liegen. Einige interessante Vergleiche (nach: Freistaat Thüringen 2012):
Bevölkerungsentwicklung: Auch bei der demografischen Entwicklung existieren erhebliche Unterschiede zwischen und innerhalb der Neuen Bundesländer. Nach Prognosen wird die Bevölkerung
in städtisch geprägten Kreisen und Regionen bis
2030 in etwa gleich bleiben oder sogar leicht
wachsen, während die ländliche Bevölkerung weiter
zurückgehen wird. Das Land Brandenburg wird mit
einem Einwohnerrückgang von nur 8 % vom
Wachstum der Metropolregion Berlin profitieren,
Sachsen mit einem Bevölkerungsschwund von 12
% von der Entwicklung des Dreiecks LeipzigDresden-Halle, während für Thüringen (-16%),
Sachsen-Anhalt (-18 %) und MecklenburgVorpommern (-20%) überdurchschnittliche Einwohnerverluste – mit entsprechenden Folgen für
die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung und das
‚Humankapital’ - prognostiziert werden.
Profile der Neuen Bundesländer
4500
bbb
Einwohner (in 1,000)
4000
Kennzahlen
Neue Bundesländer
2012
Kennzahlen
NBL 2011
Erwerbsquote (%)
81
12
80
10
3500
79
3000
2500
78
2000
77
bbbb
Arbeitslosenquote (%)
8
6
1500
4
76
1000
2
75
500
0
74
BE
BB
MV
ST
SN
TH
0
BE
BB
MV
ST
SN
TH
BE
BB
MV
ST
SN
TH
Quelle: BMWi, 2013 Autor: C. Schürmann
45
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Regionalstruktur: Ostdeutschland ist räumlich sehr
unterschiedlich verdichtet. Insgesamt existiert ein
Süd-Nord-Gefälle. So kommen in Berlin 3.731
Einwohner auf den Quadratkilometer, in Sachsen
220, gefolgt von Thüringen mit 135 und SachsenAnhalt mit 111 Einwohnern, während in Brandenburg 83 und Mecklenburg-Vorpommern nur etwa
69 Menschen auf einem Quadratkilometer leben
(2012). Die Folge: 74% der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns leben in ländlichen Kreisen
(nach BBSR-Klassifikation), in Sachsen sind es nur
14%. Thüringen und Sachsen-Anhalt liegen etwa
dazwischen.
Bildungsstandort Ost: Deutliche Unterschiede zwischen den ostdeutschen Ländern existieren bei Ländervergleichen von
Schülerleistungen (etwa IGLU / ThCM: Abkürzung für Thüringer Clustermanagement
TIMSS / PISA:). So finden sich sächsische und
thüringische Schüler in der Spitzengruppe wieder
(abwechselnd mit Bayern und BadenWürttemberg), Mecklenburg-Vorpommern und
Sachsen-Anhalt nehmen eine mittlere Position
unter allen deutschen Bundesländern ein, während
Brandenburg mit am Ende rangiert. Ostdeutschland insgesamt ist Bildungsland.. gemessen etwa
an den Staatsausgaben je Schüler, und den Wissenschaftsausgaben je Einwohner, Bei der sogenannten Studienberechtigtenquote liegt Brandenburg mit 46,6% (2011) im Durchschnitt der deutschen Flächenländer , die übrigen ostdeutschen
Länder rangieren im hinteren Drittel mit Thüringen
43,7 %, Sachsen 40,7 %, MecklenburgVorpommern 38,3 % und Schlusslicht SachsenAnhalt 36, 8 %. (Bundesdeutscher Durchschnitt
51,5 %).Falls es gelingt, die Abwanderung zu
stoppen und die Neuen Bundesländer für qualifizierte in- und ausländische Zuwanderer attraktiv zu
machen, könnte Ostdeutschland auf ein qualifiziertes Fach- und Führungskräftepotenzial zurückgreifen, das im Wettbewerb der Länder und Regionen
von entscheidender Bedeutung sein kann.
Innovationen: Erhebliche Differenzierungen zeigen
sich auch bei Produkt- und Verfahrensinnovationen, den mittel- bis langfristig bedeutendsten
Treibern wirtschaftlichen Wachstums und technischen Fortschritts. So unterscheidet sich die Innovationsleistung zwischen den Ländern deutlich.
Sächsische Unternehmen erzielen über 30% ihres
Umsatzes mit Produktneuheiten, Brandenburgische
Betriebe lediglich 9%. Thüringer Unternehmen
kommen auf einen Innovationsanteil von etwa 18%
ihres Umsatzes. Damit übertrifft Sachsen als einziges ostdeutsches Land sogar den Bundesdurchschnitt von 28%. Auch bei Patentanmeldungen
liegt Sachsen mit 25 Anmeldungen pro 100.000
Einwohner zusammen mit Thüringen an der Spitze
der Neuen Bundesländer (2011). Brandenburg
(14), Sachsen-Anhalt (13) und MecklenburgVorpommern (10) folgen mit deutlichem Abstand.
46
Doch selbst Sachsen und Thüringen erreichen
damit nur knapp die Hälfte des Bundesdurchschnitts (57). Die prägnanten Abstände sind relativ
leicht zu erklären: Die staatlichen Ausgaben für
Forschung und Entwicklung in Ostdeutschland
erreichen den Bundesdurchschnitt von 0,9% des
Bruttoinlandsprodukts, bei erheblichen Unterschieden zwischen den Ländern Ost, Sachsen und
Sachsen-Anhalt 1,5%, Thüringen 1%. Jedoch
investiert die Privatwirtschaft vergleichsweise wenig
in Forschung und Entwicklung. So liegen die Innovationsausgaben ostdeutscher Unternehmen als
Anteil am Umsatz unter dem Bundesdurchschnitt
von 4,3%. Allerdings rangieren, wie zu erwarten,
die sächsischen Betriebe mit 5,2% über dem deutschen Durchschnitt, Sachsen-Anhalt (4,2%), Thüringen (4%), Mecklenburg-Vorpommern (1,7%)
sowie Brandenburg (1,4%) erheblich darunter. Als
Gründe für die vergleichsweise niedrigen Innovationsaufwendungen werden genannt:(i) Die Dominanz von KMU,(ii) die geringe Zahl von Konzernzentralen (mit entsprechenden Forschungsabteilungen),(iii) die Produktion von weniger forschungsintensiver Erzeugnissen (Nahrungs- und
Genussmittel / Handwerk) und (iv) die Tätigkeit als
‚verlängerte Werkbänke’.
Bruttoinlandsprodukt: Trotz eigenständiger Wirtschaftsprofile unterscheidet sich die Wirtschaftsleistung der ostdeutschen Flächenländer, gemessen am BIP pro Kopf, nur gering. Sie variiert mehr
als 20 Jahre nach der Wende um weniger als 6%
und reicht von 23.400 Euro des Spitzenreiters
Sachsen über Brandenburg (23.179 Euro), Sachsen-Anhalt (22.933 Euro) bis zu den Schlusslichtern Mecklenburg-Vorpommern (22.620 Euro) und
Thüringen (22.241 Euro, jeweils für 2012). Ausnahme ist die Metropolregion Berlin mit 29.455
Euro.
Wirtschaftsstruktur: Hinter diesen Leistungsziffern
verbergen sich jedoch sehr unterschiedliche Sektor- und Branchenstrukturen. So ist der Agrarsektor
mit einem Anteil von 3% an der gesamten Bruttowertschöpfung in Mecklenburg-Vorpommern und
2% in Sachsen-Anhalt doppelt so groß wie in Thüringen und Sachsen mit jeweils nur 1%. Umgekehrt
beträgt der Anteil des verarbeitenden Gewerbes in
Mecklenburg-Vorpommern nur 10% an der Wertschöpfung. Beim Spitzenreiter Thüringen sind es
22%. Auch die Unternehmensgrößen im industriellen Sektor unterscheiden sich erheblich. Relativ
große Firmen existieren in Sachsen-Anhalt, wo auf
kleine und mittlere Unternehmen (KMU) mit weniger
als 500 Mitarbeitern nur 62% der gesamten Umsätze im verarbeitenden Gewerbe entfallen. Wesentlich kleinere Betriebsstrukturen haben Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Dort erwirtschaften die KMU 80 bzw. 82% sämtlicher Industrieumsätze. Wie kleinteilig die Unternehmensstrukturen in den Neuen Bundesländern sind, zeigt der
Vergleich mit dem Bundesdurchschnitt, wo KMU
lediglich 46% der Industrieumsätze erzielen.
Profile der Neuen Bundesländer
Die größere Hälfte von 54% entfällt auf Großunternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Nicht nur
die Unternehmensgrößen, auch die Branchenschwerpunkte in der Industrie sind, je nach neuem
Bundesland, sehr unterschiedlich. In MecklenburgVorpommern, ist die Nahrungs- und Futtermittelindustrie traditionell von großer Bedeutung (Anteil am
Umsatz des verarbeitenden Gewerbes 2011: 31%),
aber auch in Sachsen-Anhalt (19%) und in Brandenburg (16%). Regionaler Schwerpunkt der Chemie- und Pharmabranche ist Sachsen-Anhalt
(19%). Mit Abstrichen besitzt auch Sachsen Stärken in Pharma und Brandenburg in der Chemie.
Der Kraftfahrzeugbau, die Metallerzeugung und
auch der Maschinenbau sind bedeutende Schwerpunkte in Thüringen (35%) und in Sachsen (46%).
47
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Die beiden Länder sind gleichwohl führend in den
Branchen der Elektronik und Optik. Die Metallerzeugung und -bearbeitung ist zudem in SachsenAnhalt (10%) und Brandenburg (9%) beheimatet,
die Gummi- und Kunststofferzeugung in Thüringen
(10%). In Mecklenburg-Vorpommern ist, nach
Sachsen, der Maschinenbau (11%, insbesondere
die Werftindustrie) präsent; kämpft aber seit Jahren
mit Strukturproblemen (vom Schiffbau zur OffShore-Industrie).
Internationalisierung: Die spezifische Branchenstruktur der jeweiligen Länder hat unmittelbare
Konsequenzen für deren Integration in die Weltwirtschaft. So liegt die Exportquote (Anteil der Ausfuhren am Landes-BIP in %) des Schlusslichts Sachsen-Anhalt bei 26,5 % (2012). Ostdeutscher Spitzenreiter ist Sachsen (35,7 %), gefolgt von Thüringen (30,2%), Mecklenburg-Vorpommern (28,8%)
und Brandenburg (28,5 %). Die relativ niedrigen
Ausfuhrwerte für Mecklenburg-Vorpommern haben
im Wesentlichen zwei Ursachen: (i) Die dominierende Nahrungsmittelindustrie produziert für inländische Märkte und (ii) die Schiffbau- und Offshoreexporte schwanken, je nach Abnahme, von Jahr
zu Jahr extrem. Insgesamt reicht die Exportquote
der Ostländer an den Bundesdurchschnitt von 44,9
% nicht heran (bei einem Spitzenwert von BadenWürttemberg mit 51,2 %).. Ein weiterer Indikator
für die internationale Attraktivität von Standorten
sind die Direktinvestitionen des Auslands. Auch sie
variieren nach Angaben von Germany Trade &
Investment erheblich: Spitzenreiter ist hier Brandenburg mit 8,1 Mrd. Euro (2010), gefolgt von
Mecklenburg-Vorpommern mit 5,8 Mrd., Sachsen
5,1 Mrd., Sachsen-Anhalt 4,8 Mrd. Euro. Schlusslicht ist Thüringen mit lediglich 1,8 Mrd. Euro. Angesichts wachsenden Fach- und Fachkräftemangels ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte
der Anteil ausländischer Studierender an den
Hochschulabsolventen wesentlich. Thüringen und
Mecklenburg-Vorpommern sind hier Schlusslichter
(mit jeweils 4,5%). Die anderen Ostländer kommen
auf Werte zwischen 8 und 9%, was knapp unter
dem Bundesdurchschnitt liegt.
Attraktivität: Neben ‚harten’ Fakten ist für das künftige Entwicklungspotenzial eines Bundeslandes
seine wahrgenommene Attraktivität für die Bevölkerung von erheblicher Bedeutung. Spitzenreiter ist
hier mit Abstand Mecklenburg-Vorpommern. Auf
die Frage: „Wenn Sie in ein anderes Bundesland
umziehen müssten, welches würden Sie wählen“
erzielte M-V 3,2% Punkte pro Mio. Einwohner;
Thüringen 1,3; Sachsen und Brandenburg 0,7 und
die rote Laterne hat mit 0,4% Sachsen-Anhalt.
Bestätigt wird dieses Umfrageergebnis durch
Fremdenverkehrszahlen (obwohl zwischen Urlaub
machen und Arbeiten zwischen Standorten erhebliche Unterschiede bestehen können). MecklenburgVorpommern erzielt etwa 17 Gästeübernachtungen
je 1.000 Einwohner (2012), Sachsen-Anhalt nur 3.
Die übrigen Länder rangieren mit vier bis fünf
Übernachtungen in etwa auf der Höhe des Bundesdurchschnitts von 4,8 Übernachtungen.
Ein knappes Fazit:



25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung
bestehen immer noch erhebliche Unterschiede in
Wirtschaftskraft und Wachstumspotenzial zwischen West- und Ostdeutschland.
In den Neuen Ländern haben sich die Wirtschaftsprofile und Entwicklungsperspektiven erheblich ausdifferenziert. Dabei zeigt sich ein,
historisch überkommenes, Nord-Süd-Gefälle
bei Bevölkerung-, Bildungs- und Industrieentwicklung.
Die zunehmende Vielfalt zwischen und innerhalb
der Länder offeriert der Wirtschaftspolitik spezifische Interventionsbereiche, etwa nach dem
Motto: „Die Stärken stärken und die Schwächen
schwächen“.
Im Folgenden werden die industriellen Profile der
ostdeutschen Bundesländer einzeln vorgestellt.
Anteil aus gew ählter Branchen am Ums atz des verarbeiteten Gew erbes 2011 (%)
Brandenburg
MecklenburgV orpommern
Sachs enAnhalt
Sachs en
Thüringen
Nahrungs -/ Futtermittel
16
31
19
10
11
Chemie
9
8
19
5
4
Pharma
1
1
4
1
1
Gummi / Kuns ts toffe
6
3
6
3
10
Metallerzeugung/-bearbeitung
9
3
10
5
3
Metallerzeugnis s e
7
5
7
8
12
Mas chinenbau
3
11
6
12
9
Kraftfahrzeutbau
5
5
2
26
14
Quelle: Stat. B undesamt, 2013
A uto r: C. Schürmann
48
Profile der Neuen Bundesländer
Wirtschaftliche Dynamnik 2011: Gewerbean- und -abmeldungen
50000
40000
30000
20000
10000
0
-10000
-20000
-30000
-40000
Berlin
Anmeldungen
Brandenburg
Abmeldungen
Meckl.-Vorp.
Bilanz
Sachsen-Anhalt
Sachen
Thüringen
Quelle: BMWi, 2012 Autor: C. Schürmann
49
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Ausgewählte regionale Indikatoren für Ostdeutschland 2012
Indikator
Berlin
Fläche (km2)
Einwohner (in 1.000)
1)
2 1)
Meckl.Vorp.
SachsenAnhalt
Sachsen
Thüringen
NBL ohne
Berlin
892
29.481
23.186
20.448
18.419
16.172
107.707
3.326
2.453
1.607
2.277
4.054
2.182
12.573
19,5
12,8
18,1
32,2
17,4
100,0
83
69
111
220
135
117
Anteil der Länder in %
Bevölkerungsdichte (EW/km )
Brandenburg
3.731
2)
Bruttoinlandsprodukt 2012 , preisbereinigt, verkettet (Veränderung gegenüber
Vorjahr in %)
1,2
0,5
1,9
0,5
-0,3
-0,3
0,3
103,6
57,8
36,9
52,8
96,6
49,3
293,3
BIP/Kopf (in jeweiligen Preisen) in Euro
29.455
23.179
22.620
22.933
23.400
22.241
22.972
BIP/Erwerbstätigen (in jeweiligen Preisen)
in Euro
58.892
53.805
50.598
52.613
48.946
47.472
50.420
0,1
-3,4
0,7
1,0
-3,0
-1,5
-1,7
(in jeweiligen Preisen) in Mrd. Euro
92,7
51,7
33,0
47,2
86,4
44,0
262,3
- Land- /Forstwirtschaft, Fischerei
0,0
1,2
1,3
1,2
1,1
0,8
5,7
12,7
10,9
4,7
12,1
21,0
12,0
60,7
9,6
7,0
3,5
9,3
16,7
10,4
46,7
3,4
3,4
2,0
3,3
6,0
3,1
17,8
76,5
36,1
25,0
30,6
58,3
28,1
178,1
BIP in jeweiligen Preisen in Mrd. Euro
2
BWS im Verarbeitenden Gewerbe 2012 )
preisbereinigt, verkettet (Veränderung
gegenüber Vorjahr in %)
Bruttowertschöpfung 20122)
- Produzierendes Gewerbe o. Baugewerbe
* darunter Verarbeitendes Gewerbe
- Baugewerbe
- Dienstleistungsbereiche
Erwerbsquote 20123)
Erwerbstätige 2012 am Arbeitsort in Tsd.2)
Arbeitslose
4)5)
76,1
80,3
78,7
79,8
79,9
80,2
79,0
1.759
1.074
729
1.004
1.974
1.037
5.818
212.757
128.596
90.489
126.346
188.579
90.937
837.704
Arbeitslosenquote4)5)
- Berichtsmonat
11,8
9,6
10,7
10,7
8,9
7,8
9,9
- Vorjahresmonat
12,3
10,0
11,2
11,2
9,4
8,2
10,3
17.246
11.784
9.502
10.966
18.439
14.691
82.628
15,5
12,5
14,4
15,2
12,0
10,5
13,3
4)5)
1.218.800
772.900
531.900
755.000
1.464.400
760.200
5.503.400
unversorgte Bewerber für Berufsausbildungsstellen 4)5)
7.860
4.728
2.711
3.940
6.423
3.088
28.750
Gemeldete Arbeitsstellen
4)5)
Unterbeschäftigtenquote (ohne Kurzarbeit)
Sozialversicherungspfl. Beschäftigte
unbesetzte Berufsausbildungsstellen
4)5)
4.750
4.590
4.299
4.310
6.746
4.908
29.603
48.072
18.260
11.330
13.378
32.364
14.037
137.441
dar.: Neugründungen 2012
44.086
14.321
9.207
11.172
26.822
11.445
117.053
Gewerbeabmeldungen 2012
36.600
18.893
11.610
15.321
32.611
15.861
130.896
2.070
9.067
8.200
9.158
14.769
10.227
53.490
1.707
7.643
4.076
8.322
11.014
6.409
39.170
Gewerbeanmeldungen 2012
6)
Förderprogramme ERP- / EKH – Kredite
7)
Zusagebetrag (in Mio. Euro)
Regionalförderung
8)
(gewerbliche Wirtschaft)
- Zusagebetrag (in Mio. Euro)
1) Bevölkerungsfortschreibung zum 31.12.2011 auf der Grundlage des Zensus 2011
2) Statistisches Landesamt Baden-Württemberg; Arbeitskreis "VGR der Länder"; Berechnungsstand: August 2012 / Februar 2013 (WZ 2008)
3) Stat. Bundesamt, Mikrozensuserhebung 2012, Anteil der Erwerbspersonen an der Wohnbevölkerung jew. im Alter von 15-65 Jahren. Neue
Länder einschl. Berlin .
4) Bundesagentur für Arbeit, Stand Juli 2013 (Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte: Hochrechnung Mai 2013; Ausbildungsmarkt 2012/13:
Juli 2013)
5) Neue Bundesländer einschließl. Berlin. Arbeitslosenquote bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen.
6) Statistisches Bundesamt, Neue Länder einschl. Berlin
7) BMWi, Stand 31.12.2012, ERP- und EKH-Zusagen seit 1990 (Zusagebeträge netto nach Abzug von Verzichten, Kürzungen, Storni), ab
2004 Angaben für Gesamt-Berlin
Neue Länder einschl. Berlin. Zur Information: ERP-Kredite Neue Länder, einschl. EKH ab 1997: rd. 317.000 Zusagen, Kreditvolumen rd. 39
Mrd. €
8) Neue Länder einschl. Berlin. Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Zeitraum Januar 1991 bis Dezember 2012 einschl. EFREKofinanzierung (Berlin: Gesamtstadt)
50
Profile der Neuen Bundesländer
Während im Vergleich der sechs ostdeutschen
Bundesländer in der obigen Abbildung Berlin führend ist in der Exportquote, beim BIP, beim FuEPersonal je Einwohner sowie auch beim Schuldenstand je Einwohner, sind Sachsen und Thüringen
führend bei der Anzahl von Patentanmeldungen je
100.000 Einwohnern. Thüringen und SachsenAnhalt sind zudem führend bei den staatlichen
Hochschulausgaben je Studierenden, gefolgt von
Mecklenburg-Vorpommern.
Sachsen besitzt trotz relativ hoher Exportquote ein
geringeres signifikantes BIP je Einwohner als Berlin,
besitzt dafür aber den geringsten Schuldenstand
aller ostdeutschen Bundesländer. Brandenburg
besitzt in Relation zum geringen BIP und zur noch
geringeren Exportquote eine relativ hohe Anzahl an
Patentanmeldungen, weist jedoch einen relativ
hohen Schuldenstand auf.
Autor: G. Braun
51
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Berlin: Hauptstadt mit kreativer Gründerszene
„Berlin, Berlin, du bist so wunderbar!“ Nach langwieriger Hauptstadtdebatte ist das flächenmäßig
kleinste ostdeutsche Bundesland Repräsentant hochkarätiger Industrie, Politik und Kultur geworden.
Attraktiv für kommende Generationen mit ambitionierten Vorstellungen für die Zukunft.
3,5 Millionen Menschen leben und
wirken in Berlin auf bescheidenen 892
2
km . Fernab vom alltäglichen Regierungsgeschehen mit seiner royalen
Geschichte prägen deutsche- und
internationale Filmprominenz jährlich
zur Berlinale das Stadtbild, ebenso wie der anhaltende Bauboom von Firmenrepräsentanzen. Als
weltoffene Metropole bietet Berlin sowohl der Wissenschaft und Industrie als auch der Kultur hochmoderne Infrastrukturen und eine synergetische
Standortpolitik von der die Nachbarn aus Brandenburg ebenso profitieren. Rückblickend hat Berlins
Industrie eine turbulente Geschichte hinter sich.
Vom Beginn der Gründerzeit Mitte des 19. Jh. entwickelte sich Berlin zum Zentrum des Deutschen
Maschinenbaus. Erste Konzernzentralen (z.B. Siemens, Deutsche Bank, AEG) entstanden in der
späteren Hauptstadt und führten zum Anstieg der
Beschäftigten- und Einwohnerzahlen. Geschwächt
durch die Bombardierung der Industrieanlagen und
der darauffolgenden Teilung verlagerten bis 1950
insgesamt 320 Industrieunternehmen ihren Hauptsitz in den westlichen Teil Deutschlands. Die Isolation Ostberlins führte zu einem Verlust der industriellen Wettbewerbsfähigkeit. Der massive Rückgang
bei den Beschäftigungszahlen war auch auf die
sinkende Attraktivität der östlichen Stadtteile zurückzuführen. 1989 arbeiteten 258.000 Menschen
im produzierenden Gewerbe. Zwei Jahre später
52
waren es lediglich noch
157.000. Maschinenbau
und Elektrotechnik waren
durch die DDRAdministration die präferierten Industriezweige im Ostteil Berlins. Ein Großteil der Erwerbstätigen war allerdings in diversen
politischen Institutionen tätig. Die Konzentration der
DDR-Politik führte auch zu überregionalen staatlichen Dienstleistungen wie z.B. im Hochschulwesen, in Forschungseinrichtungen, oder Ministerien
und Kombinaten, die in Berlin ansässig waren.
Die Wende kam, und mit ihr die Herausforderung,
eine repräsentative Hauptstadt zu gestalten. Berlin
gilt heute nicht nur als Hot Spot der Politik. Wie
kein anderes ostdeutsches Bundesland beheimatet
Berlin eine Vielzahl an internationalen ansässigen
Konzernen. Das Bundesland hat es geschafft, sich
als Standort der Wissensökonomie zu etablieren
und zeitgleich mit einer Vielzahl an neu geschaffenen Zukunftsregionen den Transfer des gewonnenen Knowhows zu nutzen. Gründerzentren wurden
geschaffen, Technologie- und Industrieparks gebaut. Wissenschaft und Forschung an existierenden Standorten durch neue Projektvorhaben weiterentwickelt. Als Messestadt bekannt, finden hier
ganzjährig sämtliche industriellen Interessengruppen die passende Plattform.
Profile der Neuen Bundesländer
Abseits der Touristenpfade hat sich in der Bundeshauptstadt eine internationale etablierte Gründerszene (Start-Up) entwickeln können. Ob Musik,
Film, Design, Medien oder industrielle Dienstleistungen, das Spektrum an neuen Geschäftsideen,
die in Unternehmensgründungen übergehen, hat
bereits auf globaler Ebene Akzeptanz gefunden.
Weit über die Landesgrenzen hinaus zieht es die
Menschen nach Berlin. Besonders kreative Jungunternehmer bietet Berlin ein ideales Umfeld mit moderner Infrastruktur und dynamischen Netzwerken.
stadt dagegen angespannt. Kritisch wird es, wenn
bis zum Jahr 2020 per Gesetz keine neuen Schulden mehr gemacht werden dürfen. Der Spielraum
für Investitionen wird dadurch enger und könnte
bald zum Standortnachteil werden. Wo Licht ist, da
ist auch Schatten, und so entwickelt sich nicht
jedes Großprojekt zum erhofften Prestigeträger. Die
Aufgabe für die nächsten Jahre ist daher eindeutig:
Sexy bleiben, aber nicht um jeden Preis.
Autoren: T. Güra
Berlin, „Wo aus Wissen Arbeit wird“ strotzt durch
Topplatzierungen bei Investoren und verzeichnet
stetig steigende Auslandsinvestitionen. Der permanenten angespannten Haushaltslage kommt dies
zugute. Die Finanzlage ist für eine Bundeshaupt-
53
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Brandenburg: Metropolnah mit dezentralen Wachstumskernen
Bedenkt man die zentrale Rolle der ehemaligen preußischen Provinz, so muss sich Brandenburg mit
seiner Wirtschaft in Ostdeutschland keineswegs verstecken. Die Symbiose mit Berlin demonstriert
die deutsche Hauptstadtregion und bildet eine bedeutende wirtschaftliche Säule Ostdeutschlands.
2
Mit 29.481km ist Brandenburg das
größte unter den Neuen Bundesländern. Es gilt als das wasserreichste
Bundesland und liegt in der Nähe zu
bedeutenden Schifffahrtsstraßen.
Durch seine geografische Lage ist es
Schnittstelle zu den meisten ostdeutschen Nachbarn.
Besonders markant ist die Nähe zur Hauptstadt. Es
erscheint, als ob das „kleine“ Berlin erdrückt wird.
Diese Feststellung zeigt sich jedoch nur auf der
Landkarte. Die tiefe Verflechtung der beiden Länder ist
nicht nur Alleinstellungsmerkmal einer Region von der
Größe Dänemarks, sondern auch ein Symbol für einen
gemeinsamen, äußerst erfolgreichen Entwicklungsprozess.
Die drei Bezirke Potsdam, Frankfurt (Oder) und
Cottbus hatten zwar einen Anteil von 18,8% an der
gesamten DDR-Warenproduktion, dies aber nur
aufgrund nennenswerter Anteile in den Bereichen
Metallurgie, Chemie, Energie und Brennstoffindustrie.
Die Schwedter Raffinerie war mit 33% Anteil an der
kompletten Chemiewarenproduktion der wichtigste
Standort von petrochemischen und carbonchemischen
Erzeugnissen in der DDR. Das Autarkiebestreben der
Administration hinterließ im Bezirk Cottbus (mit 42%
Anteil eine tragende Säule der Energieversorgung)
indessen tiefe Spuren in der Landschaft. Hinzu kam,
dass die DDR der größte Energieverschwender in
Europa war. Für die Stahlindustrie zählten das
Qualitäts- und Edelstahlkombinat Brandenburg (QEK)
und das Bandstahlkombinat Eisenhüttenstadt (BKE) zu
den wesentlichen Produzenten schwarzmetallurgischer
Produkte. Im Zuge der Neuordnung folgte Brandenburg 1990 dem Trend anderer Neuer Bundesländer: Es
nutze das vorhandene Potenzial seiner lokalen
Wirtschaft trotz der Folgen der Transformation und der
Abwanderung ansässiger Industrie.
Die Veränderung der brandenburgischen Standortmuster zeigt erwartungsgemäß eine Anordnung wissensintensiver Wirtschaftszweige um den Berliner Raum.
Potsdam, Brandenburg und Ludwigsfelde sind nur
einige Beispiel dafür, dass die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Berlin in den letzten 20 Jahren genutzt
wurde. Andererseits konnten die Industriestandorte
Schwedt, Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt und
Cottbus sich aus der DDR-Tradition heraus weiter
profilieren und nutzten dabei die Nähe zu den neu
entstandenen Euroregionen im nahen Grenzgebiet zu
Polen und Tschechien. Den Wahlspruch des einstigen
DDR-Bezirks Cottbus als „Energieland“ hat sich
Brandenburg zum neuen Leitspruch für seine Energiepolitik gemacht. In der Lausitz wird heute mit modernster Fördertechnik gearbeitet. Daneben haben
sich drei landesweite Planungsgemeinschaften
54
gebildet, die den Ausbau
regenerativer Energieformen und die Entwicklung innovativer Umwelttechnologien forcieren
und dabei eine nationale
Vorreiterstellung einnehmen wollen. Führend ist dabei
innerhalb der Neuen Länder die brandenburgische
Stromproduktion durch Windkraft. Bis 2020 soll zudem
der Ausbau der Umweltwirtschaft gefördert werden.
Das Potenzial zur Schaffung neuer Arbeitsplätze in
diesem wachsenden Markt wurde im gesamten
ostdeutschen Raum erkannt. Die 620 zugehörigen
brandenburgischen Unternehmen tragen mit Ihren
21.800 Mitarbeitern 8,3% zum gesamten BIP des
Landes bei. Eine Verdopplung dieser Werte ist das
Ziel, welches durch Kooperationen in F&E sowie durch
höhere Investitionen in den nächsten Jahren erreicht
werden soll. Für Unternehmen werden jedoch weiche
Standortfaktoren zunehmend relevanter. Auch hier
konnte das Bundesland seine Attraktivität verbessern.
Der Ausbau der Kindertagesplätze zeigt Wirkung. Mit
einer Betreuungsquote von 53,4% liegt Brandenburg
im nationalen Vergleich auf Platz drei und damit weit
über dem Bundesdurchschnitt von 27,6%.
In den letzten Jahren gelang Brandenburg ein Seriensieg im Dynamikranking unter allen Bundesländern.
Dreimal in Folge wurde es vom Institut der Deutschen
Wirtschaft auf die Pole-Position bewertet. Somit
trotzte es den von der globalen Wirtschaftskrise
geprägten Jahren und konnte seinen Aufwärtstrend
fortsetzen. Dies wurde durch eine gezielte und
konsequente Ausrichtung der Wirtschaftsförderung
erreicht. In Brandenburg haben sich herausragende
Kompetenzen gebildet. Neben dem führenden
europäischen Zentrum für Turbinentechnologie
entwickelte sich ein Cluster für Verkehr, Mobilität und
Logistik welches mit der Luftfahrttechnik eine starke
Säule bildet und durch die Ansiedlung internationaler
Großkonzerne wie Rolls-Royce Präsenz zeigt.
In den Städten Fürstenwalde und Eisenhüttenstadt
sind zudem zwei der „Big 500“ (d.h. die 500 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands) ansässig. Die
Probleme einer alternden Gesellschaft sind auch in
Brandenburg präsent. Auf der einen Seite stehen die
metropolnahen Regionen besonders bei der Wohnungswahl hoch im Kurs. Entferntere Gebiete stehen
dagegen vor großen Herausforderungen bei Bildung,
medizinischer Versorgung und Kultur.
Autor: T. Güra
Profile der Neuen Bundesländer
55
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Mecklenburg-Vorpommern: Agrarwelten, Tourismus und Gesundheit
Meck-Pomm zählt zu den strukturschwächsten Regionen: Agrarisch strukturiert, dünn besiedelt,
niedriger Industriebesatz, Bevölkerungsrückgang und saisonal hohe Arbeitslosigkeit. Dominierende
Industriebranchen sind Nahrungsmittelindustrie und maritime Wirtschaft. Potenzial haben vor allem
Tourismus, Gesundheitswirtschaft, Logistik und Erneuerbare Energien.
Meck-Pomm, so das liebevollironisch gemeinte Kürzel, rangiert
bei wichtigen Kennziffern mit am
Ende der Neuen Bundesländer.
Das Land an der Küste hat mit
einem Pro-Kopf- Einkommen von
22.620 Euro im Jahre 2012 das zweitniedrigste
Einkommen aller Bundesländer (vor Thüringen mit
22.241 Euro). Es verzeichnet die höchste Arbeitslosenquote (10,7% im August 2013), die geringste
Industriedichte (28 Industriebeschäftigte je tausend
Einwohner bei einem Bundesdurchschnitt von 62)
und die niedrigsten Patentanmeldungen. Diese
Situation ist keineswegs neu: Auch die DDRWirtschafts-planer konnten den Industrieanteil der
drei Nordbezirke (Schwerin, Rostock, Neubrandenburg) nur geringfügig von 6,5 (1950) auf 7,6%
(1988) steigern, bei fortgesetzter Abwanderung
qualifizierter Fachkräfte aus dem ländlichen Raum.
Zwei Entwicklungen sind jedoch unverkennbar: (i)
Seit der deutschen Einigung rückt das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern in das Zentrum mehrerer Wachstumspole: Hamburg / Berlin /
Öresund–Kopenhagen–Malmö/Stettin. Ein Großraum mit knapp 10 Mio. Verbrauchern. (ii) Bei
konsequenter Nutzung seiner naturräumlichen Potenziale (Strände/Seen/Gutshöfe/Backsteingotik)
kann das Land an der Ostseeküste mit qualitativ
hochwertigem Erholungs- und Kulturtourismus,
Bionahrungsmitteln, Gesundheitswirtschaft und
erneuerbaren Energien Megatrends zukünftiger
Gesellschaften (mit-)gestalten.
Auf der Negativseite der Einigungsbilanz stehen
Abwanderung, Alterung und eine saisonal hohe
Arbeitslosigkeit. Mit einem prognostizierten Bevölkerungsschwund von 1,8 Mio. (2001) auf 1,4 Mio.
Einwohner (2030) läuft das Land Gefahr, sein bedeutendes Innovationspotenzial zu verlieren. Bereits
gegenwärtig zeichnet sich ein wachsender Fachkräftemangel im Tourismus und Gesundheitswirtschaft ab. Die Probleme der Unternehmensnachfolge bleiben so ungelöst. Die industriellen Strukturschwächen bei den dominierenden Altindustrien
(Ernährungswirtschaft, Werftindustrie) konnten nur
56
teilweise durch Umstrukturierungen und
Innovationen behoben
werden. In der Nahrungsmittelbranche
durch Bioprodukte und Neuansiedlungen (Pfanni /
Nestle), im Werftensektor durch Windkraftanlagen,
Flusskreuzfahrtschiffe und Off-Shore-Systeme.
Analog gilt: Zukunftsfelder der Biotechnologie, von
Life Sciences, der Medizin- und Umwelttechnik,
deren (inter-)nationale Netzwerke bislang relativ
schwach entwickelt sind.
Auf der Habenseite der Einigungsbilanz stehen ein
historisch beispielloser Anstieg von Einkommen
und Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit und
eine hochmoderne Infrastruktur (Verkehrswege,
Krankenhäuser, Schulen, Hochschulen, Kommunikationssysteme). Der Tourismus boomt. Dem Land
an der Ostsee gelingt durch Entwicklung seines
unschätzbaren naturräumlichen Potenzials der
Sprung zum Ferienland Nr. 1 in Deutschland. Die
Tourismusintensität (= Übernachtungen je 1 Mio.
Einwohner) lag 2012 bei 17,3, gefolgt von Schleswig-Holstein mit 8,6 und Berlin mit 7,5 (Bundesdurchschnitt: 4,8). Die hochproduktive Landwirtschaft auf großen Flächen (Anteil an der Wertschöpfung des Landes: 3,5%, Bundesdurchschnitt
1,0%) zählt zu den wettbewerbsfähigsten Agrarregionen Europas mit überdurchschnittlicher Zahl von
Öko-Betrieben. IuK, Medizin- und Umwelttechnik,
Biotechnologie und Logistik werden erschlossen.
Eine Erfolgsgeschichte ist das Wachstum des unternehmerischen Mittelstands. Die Zahl der Selbständigen steigt von 35.300 (1991) auf 68.200 in
2012. Die Hochschulen expandieren und avancieren zu Motoren regionaler Entwicklung (13.260
Studierende 1991; 40.471 in 2012/2013). Unter
Nutzung der naturräumlichen Potenziale setzt das
Land auch weiterhin auf Zukunftsfelder wie Erneuerbare Energien (Windkraft, Solar, Bioenergien),
Ernährung, Gesundheit, IuK, Maschinenbau, Elektrotechnik sowie Mobilität.
Autor: G. Braun
Profile der Neuen Bundesländer
57
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Sachsen: Dialekt macht erfolgreich!
Bereits Goethe hatte erkannt: „Sachsen, Sachsen! Ey! Ey! Das ist starker Tobak!“ Zum industriellen Innovationstreiber mutiert, sind hier die meisten ostdeutschen Weltmarktführer beheimatet. Das Produktportfolio ist äußerst vielfältig, und in manchen Nischenmärkten zum Primus avanciert.
Die Geschichte des Freistaates ist
eng mit der Monarchie verbunden.
Sächsische Kurfürsten, Herzöge
und Grafen galten jeher als einflussreiche Adlige Europas. Landschaftlich geprägt vom Erzgebirge
mit seinem geologischen Reichtum und der grünen
Oberlausitz, gelang es den Sachsen ihre Geschichte wirtschaftlich und kulturell erfolgreich zu gestalten. Als Symbol von Moderne und technischer
Finesse repräsentiert das weltbekannte königliche
Meißner Porzellan auch die internationale Anerkennung sächsischer Handwerkskunst. „Glück Auf!“
Steht nicht nur für den traditionellen Gruß der
Bergarbeiter, sondern auch für eine tiefgreifende
Tradition der Drechsel- und Schnitzkunst, die weltweit gerade zur Weihnachtszeit präsent ist. Sogar
Filmgeschichte schrieb ein Sachse mit Büchern,
die den Wilden Westen nach Deutschland holten –
Karl Friedrich May aus Radebeul und seine Heldenfigur Winnetou. Ein Kassenschlager in Westdeutschland und politisches Problem in der DDR.
Rohstoffe, Wasserstraßen und die strategisch
wichtige Lage zu Polen, Tschechien und Mitteldeutschland waren Treiber für den Ausbau der
industriellen Ballungszentren (Dresden, Leipzig,
Chemnitz, Zwickau) in der sowjetischen Besatzungszone.
Die sächsische Wirtschaft galt als tragende Säule
der Planwirtschaft. 1989 entfielen 30% der gesamten Industrieproduktion der DDR auf die drei Bezirke Leipzig, Dresden, Chemnitz. Für viele Märkte
innerhalb der Mauern galt Sachsen als wichtigster
Produktlieferant. Feinmechanische Uhren, KfzTeile und Zubehör sowie Textil- und Nähmaschinen
und Drucktechnik trugen sächsische Labels. Die
Transformation nach der Wiedervereinigung glich
daher einem Mammutprojekt. Die Bergwerke im
Lausitzer und Mitteldeutschen Revier wurden zu
großen Teilen durch tiefgreifende Sanierungsmaßnahmen neu strukturiert. Gleiches galt für die
sächsische Chemie- und Kunststoffindustrie wie
dem Stahlbau, der Pharmazeutischen Industrie und
dem Werkzeugmaschinenbau. Durch die Treuhandanstalt wurden in Sachsen die meisten Unternehmen privatisiert oder vollständig reprivatisiert.
Nicht nur Adel verpflichtet, sondern auch Tradition.
Nach diesem Credo hat sich die sächsische Industrie in den letzten 20 Jahren tiefgreifend verändert. Es entstanden Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Cluster für neue Technologien und
Zukunftsmärkte. Die starke industrielle Basis des
58
Landes geriet allerdings
keineswegs in den Hintergrund. Dabei konnte
die Region Dresden,
Leipzig, Chemnitz weiter
an die erfolgreiche Historie anknüpfen.
Die Struktur der Sächsischen Wirtschaft ist differenzierter geworden. Die ansässigen Unternehmen
lassen sich in die Technologiebereichen Life Science, Maschinenbau, Mobilität, Mikroelektronik und
Umwelt kategorisieren. Ob Erneuerbare Energien
oder Gesundheitswirtschaft, die Vielfalt an branchenübergreifenden Unternehmen ist im ostdeutschen Raum führend. Silicon Saxony, ein Zusammenschluss von 290 Unternehmen und Forschungseinrichtungen, ist in Europa das größte
Cluster der Halbleiterbranche, weltweit sogar an
fünfter Position. Global Player wie Volkswagen,
BMW und Porsche, GLOBALFOUNDRIES, Infineon,
DHL und Bombardier Transportation sprechen für
die Standortattraktivität des Freistaates.
Im Dynamikranking aller deutschen Bundesländer
konnte der Freistaat 2012 den zweiten Platz belegen. Mit Blick auf das Bestandsranking wurde es
seit der ersten Auflage das erste ostdeutsche Bundesland unter den Top Ten. Eine herausragende
Stellung erarbeiteten sich Dresden und Leipzig. Sie
bilden mit neun weiteren Städten des Dreiländerecks Sachsen / Sachsen-Anhalt / Thüringen die
Metropolregion Mitteldeutschland. Auf europäischer
Ebene konnten sich die beiden sächsischen Städte
zu führenden wirtschaftlichen Metropolen entwickeln.
Auf der Überholspur angelangt, zeigt sich Ostdeutschland mit weltmarktführenden Unternehmen.
Auch hier hat Sachsen eine Garantenstellung, besonders in den traditionellen Märkten. Es existieren
29 Spitzenunternehmen, die nach 1989 gegründet
wurden. Im Durchschnitt kommen auf eine Million
Einwohner 1,8 sächsische Jungunternehmen, die in
ihrem Geschäftsfeld Weltmarktführer sind (In den
alten Bundesländern sind es im Vergleich 1,4 Unternehmen).
Dennoch ist auch Sachsen mit den Folgen einer
alternden Gesellschaft konfrontiert. Es gilt auch in
Hinblick auf die personenintensiven Industrien diese
Herausforderungen in den nächsten Jahren erfolgreich zu gestalten.
Autor: T. Güra
Profile der Neuen Bundesländer
59
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Sachsen-Anhalt: Das ostdeutsche Chemieland
Sachsen-Anhalt ist bekannt für seine UNESCO-Weltkulturerbestätten, wie das Bauhaus oder das
Lutherhaus. Auch die Industrie hat eine lange Tradition. Die Ursprünge des verarbeitenden Gewerbes reichen weit zurück. Daneben siedeln sich immer mehr Betriebe aus innovativen Branchen an.
Sachsen-Anhalt ist das drittgrößte
neue Bundesland. Auch bei der
Einwohnerzahl und Bevölkerungsdichte liegt es mit 2,313 Mio. bzw.
113 Einwohner/km² genau in der
Mitte der fünf Neuen.
Das Land wurde durch den wirtschaftlichen Umbruch der Wende schwer getroffen. Die beiden
DDR-Bezirke Magdeburg und Halle, in die das nur
kurz existierende Land (1947–1952) aufgeteilt wurde, hatten unterschiedliche wirtschaftliche Schwerpunkte.
Der Bezirk Magdeburg war aufgrund des nährstoffreichen Bodens durch großflächige Landwirtschaft
in der Börde und Altmark geprägt. Magdeburg
selbst wurde nach sowjetischem Vorbild zur
Schwermaschinenstadt ausgebaut. Hier entstanden
mit dem Schwermaschinenbaukombinat Ernst
Thälmann, dem VEB Schwermaschinenbau Karl
Liebknecht und dem VEB Schwermaschinenbau
Georgi Dimitroff die größten Monoindustriestrukturen der DDR.
Der Bezirk Halle war und ist der wichtigste Chemiestandort im Lande. Die Chemiefabriken in Leuna
(Leunawerke), in Schkopau (Buna-Werke) und
Bitterfeld-Wolfen haben eine lange Tradition, die
teilweise bis in das 19. Jahrhundert reicht. Bei der
Wahl für den Bau der Chemiewerke spielten die
auch zur DDR-Zeit wichtigen Braukohlevorkommen
in der Region eine große Rolle. Darüber hinaus war
das Kupfererz im Mansfelder Land und um
Sangerhausen ein wichtiger Rohstoff.
Mit der Wende erwiesen sich die Produktionsstandorte als nicht mehr wettbewerbsfähig. Die
mangelnde Konkurrenzfähigkeit und der schlagartige Wegfall alter Absatzmärkte in Mittel- und Osteuropa führten zum Niedergang ganzer Industrien.
An den Folgen hat Sachsen-Anhalt noch immer zu
leiden. Mehrere zehntausend Beschäftigte verloren
ihre Arbeit. Die Anzahl der Erwerbstätigen sank von
1991 bis 2012 um ca. 300.000 auf etwa 1 Mio. Die
Arbeitslosenquote stieg steil an und erreichte zwischen 2003 bis 2005 den damaligen deutschen
Spitzenwert von fast 21%.
Den traurigen Rekord hält das Land in der Mitte
Deutschlands bei der Abwanderung: Die einstige
Schwerindustrieregion der DDR hat seit 1989 rund
20% ihrer Einwohner verloren – fast 600.000 Menschen. In keinem anderen ostdeutschen Bundesland, und auch in keiner größeren europäischen
60
Region, war der Schwund
größer. Es wird geschätzt, dass SachsenAnhalt 2023 voraussichtlich erstmals die 2 Mio.
Einwohnergrenze unterschreiten wird. Neben der
allgemeinen Abwanderung sind auch die geburtenschwache Jahrgänge nach der Wende und die
überproportionale Abwanderung junger Frauen
dafür verantwortlich.
Mit enormen Investitionen wurden die Standorte der
chemischen Industrie in Sachsen-Anhalt nach der
Wende modernisiert. In Leuna ließen sich Unternehmen wie die BASF, Total, Linde und ThyssenKrupp nieder. In den kommenden Jahren soll hier
durch Investitionen von Bund und Land ein modernes Bioraffinerie-Forschungszentrum entstehen.
Neben der Chemie ist das Ernährungsgewerbe eine
wichtige Stütze, das auf der landeseigenen Agrarwirtschaft basiert. Mehr als 20.000 Beschäftigte
arbeiten in der Nahrungs- und Genussmittelherstellung, meist in kleinen und mittleren Unternehmen. Weitere traditionsreiche Wirtschaftszweige
sind der vor allem um Magdeburg konzentrierte
Maschinen- und Anlagenbau. Von wachsender
Bedeutung ist die Automobilzulieferbranche, die
mittlerweile etwa 10.000 Erwerbstätige beschäftigt.
Ein weiterer Schwerpunkt Sachsen-Anhalts ist die
Solarindustrie. In Thalheim (Bitterfeld-Wolfen)
befindet sich das sogenannte „Solar Valley“, in
dem mehrere Unternehmen der Solarbranche Produktions- und Lagereinrichtungen betreiben. Zeitweise waren hier über 3.000 Mitarbeiter beschäftigt. Aufgrund der stärker werdenden Konkurrenz
aus Asien meldete das größte ansässige Unternehmen Q-Cells 2012 Insolvenz an und wurde von
einem koreanischen Konzern übernommen. Neben
den traditionellen Branchen haben sich gleichermaßen der Dienstleistungssektor und neue Industrien der Biotechnologie, Informations- und Kommunikationstechnologien und Medien angesiedelt.
Die wirtschaftliche Schwerpunktregion des Landes
liegt zwischen Halle und dem in Sachsen liegenden
Leipzig, wobei die ansässigen Unternehmen von
der guten Erreichbarkeit durch die Autobahnen 9,
14, und 38, sowie durch die Nähe zum Flughafen
Leipzig-Halle profitieren. Auch entlang der Autobahn 2 mit der Anbindung nach Berlin und Hannover befindet sich nordwestlich von Magdeburg ein
weiterer regionaler Schwerpunkt.
Autor: K. Voß
Profile der Neuen Bundesländer
61
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Thüringen: Alte Kultur und moderner Mittelstand
Thüringen – das Land in der Mitte - gilt mit seiner Kultur, Wirtschaft und Wissenschaft seit alters her
als ‚Herz Deutschlands’. Forschergeist, unternehmerische Initiative und mittelständische Unternehmensstruktur in bedeutenden Wachstumsfeldern prägen das Land.
Unter Kennern und Liebhabern gilt
Thüringen als Herz Deutschlands,
als Herz seiner Kultur, Kunst, Wissenschaft und auch Wirtschaft.
Die Weimarer Klassik (Goethe,
Schiller), die Universität Jena als
Zentrum der Deutschen Philosophie (Fichte, Schelling, Hegel), die Jenaer Romantik (Novalis, Brentano, Schlegel), das Silberne Zeitalter Weimars
(Liszt), die Erste Allgemeine Deutsche Bildungsanstalt (Fröbel), das Bauhaus (Gropius) sind Meilensteine deutscher Kultur. Die Naturwissenschaftler
Schott, Abbe und Zeiss begründeten den Weltruf
der optischen Industrie Thüringens.
Tatsächlich hat die Landespolitik Bildung, Wissenschaft und Forschung Priorität eingeräumt. Thüringen investierte in 2010 pro Schüler 8.600 Euro, pro
Berufsschüler 3.400 Euro und je Studierenden
8.080 Euro. Das ist bundesweit einmalig. Das
Schulsystem produziert die wenigsten Schulabbrecher aller Neuen Bundesländer. Thüringer Schüler
schneiden bei Bildungsrankings stets in der deutschen Spitzengruppe ab (z.B. bei OECD-PISA:Tests), zusammen mit Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg.
Wirtschaftlich hatte Thüringen von allen ostdeutschen Ländern nach der Wende die besten Startbedingungen. Die thüringische Industrie war weniger rückständig als in Mecklenburg-Vorpommern,
sie konzentrierte sich nicht, wie in Sachsen-Anhalt,
auf nur eine Branche (Sachsen-Anhalt: Chemieindustrie), und sie besaß eine breitere Branchenvielfalt als Sachsen. In der DDR waren die Bezirke
Erfurt, Gera und Suhl wichtige Standorte des Fahrzeugbaus (Simson in Suhl / Wartburg in Eisenach);
der Feinmechanik (Quarzuhren in Ruhla / Büromaschinen in Sommerda), der Computerindustrie
(VEB Kombinat Mikroelektronik Erfurt), der Chemie
(Jenapharm) und optische Industrie (Schott, Carl
Zeiss, Jenoptik in Jena, Kombinat ‚Technisches
Glas‘ in Ilmenau).
Trotz des Verlustes von 41,6% aller Arbeitsplätze in
den neunziger Nachwendejahren gelang es einigen
Standorten, an ihre Tradition anzuknüpfen und sich
zu einer bedeutenden Forschungs- und Technologieregion Europas zu entwickeln. So konnte Jena
einen Teil seiner weltberühmten optischen Industrie
retten (Schott, Carl Zeiss, Jenoptik), Eisenach sein
Automobilcluster (Opel) und Erfurt/Eisenach und
Jena die Mikroelektronik (um besonders prägnante
Beispiele zu nennen). Daneben orientiert sich die
Wirtschaft des Freistaates auf Wachstumsfelder
mit Zukunft wie Solartechnik, Informations- und
62
Kommunikationstechnologien, Life Sciences,
Energie- und Umwelttechnik.
Strukturprägend sind in
Thüringen traditionell mittelständische Unternehmen. Die Betriebsdichte ist überraschend hoch. So
liegt die Thüringer Industrie mit 39 Betrieben je
100.000 Einwohner deutschlandweit auf dem zweiten Platz, noch vor Bayern (31), und nur knapp
hinter Baden-Württemberg (41). Dabei sind über
zwei Drittel der Thüringer Beschäftigten in technologieorientierten Unternehmen tätig, unterstützt von
einem Netz universitärer und außeruniversitärer
Forschungseinrichtungen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern. Bei der Anzahl der Patentanmeldungen
(pro 100.000) hält Thüringen seit Jahren zusammen mit Sachsen einen Spitzenplatz unter den
ostdeutschen Ländern – jeweils 25 Anmeldungen in
2011.
Die gesamtwirtschaftlichen Indikatoren sprechen
für sich: Thüringen hatte nach der Wende mit die
höchsten Wachstumsraten des BIP, die Arbeitslosenquote ist mit 8,2% (Juli 2012) traditionell die
niedrigste in Ostdeutschland.
Die Thüringer Wirtschaft ist auch, obschon von
kleinen und mittleren Unternehmen geprägt, vergleichsweise stark internationalisiert. So ist die
Exportquote mit 30,2% (2012) die zweithöchste im
Osten – nach Sachsen mit 35,7% (zum Vergleich:
Durchschnitt Westdeutschland: 46,5%).
Hinter den Durchschnittswerten verbergen sich
jedoch große regionale Unterschiede. Wachstumspole entwickelten sich vor allem um die „Thüringer
Städtereihe“ Jena, Weimar, Erfurt und Eisenach
entlang der Autobahn A4, die als Region der Innovation und Stabilität gilt (Anhang A.7 ). Das vom
industriellen Strukturwandel geprägte Ostthüringen
zählt hingegen zusammen mit dem Norden des
Landes zu den strukturschwachen Wirtschaftsräumen Thüringens.
Die zumindest in Teilen günstige Wirtschaftsentwicklung hat vor allem zwei Gründe: eine vielfältige, moderne Wirtschaftsstruktur und die geografische Nähe zu Westdeutschland.
Mit dem Trendatlas 2020 liegt seit 2011 eine Zukunftsstrategie vor, die als Ideengeber und maßgebliche Orientierungshilfe die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes begleiten soll.
Autor: G. Braun
Profile der Neuen Bundesländer
63
Teil 4: Spezifische Industriebranchen in Ostdeutschland - Branchenschwerpunkte im Überblick
Seit der Wende vollzieht sich ein langfristiger Strukturwandel in der ostdeutschen Wirtschaft. Die
Branchenstrukturanalyse zeigt, welche Industrien die Basis der ostdeutschen Industrie darstellen und
dass forschungsintensive, innovative Branchen zunehmend wichtiger werden.
Die Wiedervereinigung bedeutete für die ostdeutsche Wirtschaft einen Neuanfang. Mit veralteten
Produktionsanlagen und wenig konkurrenzfähigen
Produkten gestaltete sich der Start in die Marktwirtschaft für den Osten entsprechend schwer.
Nachwirkungen bestehen teilweise bis heute.
Die Entwicklung seit der Wiedervereinigung verlief
in Wellen, wenngleich nach Firmen, Branchen und
Regionen, sehr unterschiedlich.
Direkt nach der Wende wurde zunächst durch
staatliche Transferleistungen ein enormer Bauboom
angestoßen und finanziert, dessen Ziel im Wesentlichen die Modernisierung der maroden Infrastruktur
war. Parallel dazu konnte sich die Verbrauchsgüterindustrie frühzeitig stabilisieren, allen voran die
Nahrungs- und Genussmittelbranche. Als markante
Beispiele seien stellvertretend Brauereien wie Radeberger, Lübzer, Köstritzer oder Hasseröder genannt, aber auch Halloren Schokolade, Halberstädter Würstchen sowie Rotkäppchen Sekt sind
gefragte Marken. Sie verfügten über ein gut entwickeltes Lieferantennetzwerk, einen überregionalen
Kundenstamm und über eine qualifizierte Belegschaft mit langjährigem Produktwissen.
In der Folgezeit errichteten westdeutsche Automobilkonzerne wie Opel, VW und BMW ganz neue
moderne Produktionsstätten. Die Werften an der
Ostseeküste konnten teilweise gerettet werden.
Häufig handelte es sich um hochsubventionierte
Großinvestitionen, die wichtige Arbeitsplätze und
Standorte retteten.
Andere Branchen der Investitions- und Grundstoffindustrie hatten es wesentlich schwerer, wie etwa
die chemische Industrie mit den Standorten Leuna
und Buna. Hier hat es erheblich länger gedauert,
Investoren zu finden.
Gegen Ende der neunziger Jahre konnten innovative Zukunftsbranchen, wie etwa die IuKWirtschaft, Medizintechnik und Biotechnologie an
64
den traditionellen Industriestandorten aufgebaut
werden. Diese Industrien zeichnen sich durch
wissensbasierte, forschungsintensive Arbeitsplätze
aus, häufig im Umfeld staatlicher Forschungsinstitute und Universitäten. Ihre Anteile an der Beschäftigung sind allerdings noch gering und ihre
Zukunft teilweise ungewiss.
Eine Bilanz der Entwicklung nach mehr als zwanzig
Jahren kommt etwa zu folgenden Ergebnissen
(Branchenportfolioanalyse):
Die forschungsintensiven, innovativen Branchen
zeigen im Trend der letzten Jahre ein überdurchschnittliches Wachstum und sind damit Aufsteiger
der gewerblichen Wirtschaft. Darüber hinaus gehört
auch die Versorgung mit Energie und Wasser zu
den Wachstumstreibern.
Die Basis der ostdeutschen Industrie bilden mit
einer überdurchschnittlichen Beschäftigungsrelevanz die Nahrungs- und Genussmittelherstellung,
die Elektrotechnik und die Metallerzeugung/bearbeitung, wobei letztere den größten Beschäftigtenanteil der gewerblichen Wirtschaft stellt (bei
Nichtberücksichtigung der Bauwirtschaft).
Die Produktion von chemischen Erzeugnissen/Mineralölindustrie gehört mit einem hohen
Beschäftigungsanteil und einem überdurchschnittlichen Beschäftigungszuwachs in den Jahren 20082012 (>1,1%) zu den Stars. Die größte Zunahme
konnte allerdings der Maschinenbau mit 5,3%
(2008-2012) verzeichnen, der sich in den letzten
Jahren positiv in den Neuen Ländern entwickelt hat.
Die Hersteller von Holz-, Glas- und Keramikwaren
sowie von Möbeln zählen zu den Verlierern, bei
denen die Beschäftigung unterhalb des Durchschnitts der Gesamtbeschäftigung liegt und die
zudem in den vergangenen Jahren schrumpfte.
Den größten Beschäftigungsabbau verzeichnete
die Bekleidungsindustrie mit 11% (2008-2012).
Branchenschwerpunkte im Überblick
Auch ostdeutsche Textil- und Bekleidungsunternehmen haben Produktionen nach Mittel/Osteuropa und Asien verlegt. Leichte Zuwächse
zeigten der Bergbau, das Druckgewerbe und die
Herstellung von Verbrauchsgütern, wobei diese
unter dem Durchschnitt von 1,1% (2008-2012)
liegen.
Im folgenden Kapitel wird auf einige dieser Industrien näher eingegangen. Zu Beginn werden traditionelle Industriezweige beleuchtet (Chemie, Automobilindustrie, Maschinenbau), gefolgt von neuen
Branchen (Nanotechnologien, Erneuerbare Energien, Solarindustrie, Gesundheitswirtschaft, Biotechnologie) und produktionsnahen Dienstleistungsbranchen (Verkehr und Logistik, IKT).
Autor: K. Voß
65
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Die Chemie stimmt?!
Die größten Produktionsstätten der chemischen Industrie in Ostdeutschland befinden sich nach wie
vor im Mitteldeutschen Chemiedreieck. Die Branche hat sich nach der Wende spät erholt und verzeichnet nun von Jahr zu Jahr wachsende Umsätze mit einer Exportquote um die 50%.
Innerhalb der Industrie nimmt die Chemiebranche
eine bedeutende Stellung ein. Zusammen mit dem
Maschinenbau und der Automobilindustrie bildet sie
eine tragende Säule der deutschen Gesamtwirtschaft. Ihr großes volkswirtschaftliches Gewicht ist
auf die Bereitstellung von Basischemikalien sowie
deren Veredelung für fast alle anderen Industriezweige zurückzuführen. Zu den Produkten gehören
sowohl einfache chemische Verbindungen wie
Schwefelsäure oder Ammoniak als auch komplexe
Stoffe wie pharmazeutische Wirkstoffe oder Pflanzenschutzmittel. Die Herstellung von Kraft- und
Schmierstoffen und vielen anderen technischen
Produkten ist ohne industriell hergestellte Chemikalien nicht möglich.
Die Chemieindustrie gehörte auch in der ehemaligen DDR mit einem Anteil von fast 20% an der
gesamten Industrieproduktion zu den bedeutendsten Branchen. In den Chemiekombinaten waren
1989 fast 180.000 Arbeitnehmer beschäftigt.
Wichtigste Region war das Mitteldeutsche Chemiedreieck Bitterfeld-Wolfen / Halle / Leipzig, deren
Entstehungsgeschichte bis ins 19. Jahrhundert
zurückreicht.
Aufgrund günstiger Standortfaktoren, wie Braunkohlevorkommen und Kalisalzlagerstätten, guten
Verkehrsanbindungen (Bahn, Schifffahrt) und niedrigen Bodenpreisen, bauten einige Chemiekonzerne
bereits Ende des 19. Jahrhunderts erste Produktionsstätten im Gebiet um Halle, Leipzig und Dessau. Ab 1910 wurden hier durch die Agfa (Aktiengesellschaft für Anilinfabrikation) auch Schwarzweißfilme hergestellt. Aufgrund der strategisch
günstigen Lage in Mitteldeutschland – weit weg von
allen Landesgrenzen – wurde ein Werk in Leuna für
kriegswichtige Güter eröffnet, das 1928 mit ca.
29.000 Beschäftigten das größte Werk seiner Art in
Europa war. Um eine Unabhängigkeit der Wirtschaft im nationalsozialistischen Deutschen Reich
vom Import von Naturkautschuk zu erreichen, erfolgte im April 1936 die Grundsteinlegung des
weltweit ersten Synthesekautschukwerkes unter
dem Namen Buna-Werke GmbH Schkopau. Nach
dem Zweiten Weltkrieg gingen diese Anlagen in
das DDR-Staatsvermögen über.
1989 wurden vor allem Standard- und Massenprodukte im Bereich der Schwerindustrie mit völlig
veralteten Produktionsanlagen und -prozessen
hergestellt; in Bitterfeld stammte ungefähr ein Drittel der Anlagen aus Vorkriegsjahren und war damit
älter als 50 Jahre. Aufgrund des schlechten Zustandes war etwa ein Drittel der Mitarbeiter mit
Reparatur- und Instandhaltung (internationaler
Vergleichswert: 10%) beschäftigt. Die alten Anlagen verfügten nicht über entsprechende Umweltschutzeinrichtungen. Darüber hinaus wurden Gruben des Braunkohletagebaus ohne Abdichtung
gegen das Grundwasser mit Produktionsrückständen gefüllt. Dies führte zu massiven Verschmutzungen der Böden, der Flüsse, dem Grundwasser
sowie der Luft. Aufgrund des Schwefelgehaltes der
Braunkohle wurden große Mengen Schwefeldioxid
bei der Verbrennung frei. Der dadurch entstehende
Saure Regen war die Hauptursache für das Waldsterben. Nach der Wiedervereinigung gingen die
Kombinate in die Verwaltung der Treuhandanstalt
über, die für die Privatisierung aber auch für Umweltsanierungskonzepte verantwortlich war. Es
wurde ein ökologisches Phasenschema für die
Sanierung der Großchemie entwickelt, zu denen
umfangreiche Umweltschutzinvestitionen, Sanierungsmaßnahmen und Stilllegungen gehörten. So
wurden etwa 80% der Produktionsanlagen bis 1998
in Bitterfeld-Wolfen stillgelegt, sowie Klär- und
Abluftanlagen installiert. Außerdem wurden umfangreiche Einkapselungen und Bodenaustausche
vorgenommen. Die Emissionen der chemischen
Industrie in Ostdeutschland konnten vor allem
durch die Abschaltung von Produktionsanlagen um
etwa 80% bis 1993 verringert werden. Die Werte
lagen 1996 bei weniger als 10% bezogen auf
1989.
Pipelines: Von zentraler Bedeutung für die Chemie- und Mineralölindustrie sowie die Energieversorgung ist die Bereitstellung von Erdöl und Erdgas. Deutschland verfügt nur über sehr geringe Vorkommen, so dass fast die gesamte benötigte
Menge importiert werden muss. Ein Teil der Erdöllieferungen erfolgt durch Pipelines. Die wichtigste von ihnen ist die
Pipeline „Druschba“ („Freundschaft“), deren Bau der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe im Dezember 1958 in Prag
beschloss. Sie wurde am 18. Dezember 1963 eröffnet. Zunächst verband sie Almetjewsk in Tatarstan mit Schwedt an
der Oder (über die sog. Nordtrasse) und weitere Abnehmerländer wie die ehem. CSSR und Ungarn (Südtrasse). Die
Nordtrasse führt über Weißrussland und Polen nach Deutschland. Später wurde die Leitung weiter nach Osten bis zu den
westsibirischen Erdölquellen in der Oblast Tjumen verlängert und erreichte damit eine Länge von über fünftausend Kilometern. Mit dieser Länge und der Förderkapazität von geschätzten 2,5 Mio. Barrel pro Tag ist sie eine der größten der
Welt. Jeden Tag erreichen durch diese Pipeline 500.000 Barrel Deutschland, die etwa 20% des täglichen Gesamtbedarfs
an Rohöl entsprechen. Die „Druschba“ gilt indes als veraltet und anfällig. Mehrfach versickerte Öl durch Lecks und verseuchte großflächig Boden und Gewässer entlang der Trasse. Die Hauptnutzer sind die PCK Raffinerie in Schwedt und
die Total-Raffinerie Mitteldeutschland in Leuna.
66
Branchenschwerpunkte im Überblick
67
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Die ökonomische Sanierung war mit großem Aufwand verbunden. Der Verkauf der Kombinate als
Ganzes gelang der Treuhandanstalt nicht, da
enorme Investitionen für die Modernisierung nötig
waren und es kaum konkurrenzfähige Produkte
gab. Daher wurde das Konzept der Chemieparks
zur Schaffung einer unternehmensgerechten Infrastruktur entwickelt. Den Produzenten wurde so eine
Konzentration auf ihr Kerngeschäft ermöglicht.
Heutzutage wird dieses Konzept in ganz Deutschland angewendet.
Im Vergleich zu anderen Industriebranchen waren
die Erfolge der Umstrukturierung in der chemischen
Industrie erst nach längerer Zeit erkennbar, so dass
der Beschäftigungsabbau bis 1999 anhielt. Von
den 180.000 Beschäftigten 1989 blieben nur etwa
31.000 Arbeitsplätze im Jahr 1999 erhalten. Erst
ab dem Jahr 2000 stiegen die Beschäftigungszahlen wieder an, auf fast 55.000 im Jahr 2011. Aufgrund der demographischen Entwicklungen in Ostdeutschland muss sich die Branche nun auf einen
Fachkräftemangel einstellen. Die chemische Industrie setzt dabei auf umfassenden Bildungsaktivitäten entlang der gesamten Bildungskette.
Außerdem investiert sie deutlich mehr in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten als andere Branchen
– auch in Ostdeutschland.
Der Branchenumsatz wuchs seit der Wende kontinuierlich an und betrug 2011 mehr als 22 Mrd.
Euro. Etwa die Hälfte der Waren wird ins Ausland
verkauft - in EU-Staaten wie Polen, Italien und
Frankreich aber auch in die USA, wo die ostdeutsche Wirtschaft ein gutes Zehntel ihrer Chemieausfuhren absetzt.
Die Produktpalette ist weit gefächert – Arzneimittel
haben mit 36% das größte Gewicht. Etwa ein Drittel der Umsätze entfällt auf chemische Grundstoffe. Weitere Erzeugnisse sind Körperpflegemittel,
Chemiefasern, Lacke und Farben. Der größte Umsatz in den Neuen Ländern wird nach wie vor in
Sachsen-Anhalt im Chemiedreieck mit mehr als
einem Drittel gemacht, gefolgt von Unternehmen in
Berlin mit 29%. Die übrigen ostdeutschen Länder
erbringen zusammen so viel Umsatz wie SachsenAnhalt allein. Insgesamt beträgt der Anteil der
Neuen Bundesländer am Gesamtumsatz der chemischen Industrie mittlerweile 12% (2011). 1999
betrug der Anteil 7%, bis 2005 stieg er auf 9,7%.
Umsätze der chemischen Industrie
Ostdeutschlands:
Anteil nach Ländern (%)
MV
Thüringen 5%
7%
BB
9%
SachsenAnhalt
35%
Sachsen
15%
Berlin
29%
Quelle: VCI, 2012
Autor: K.Voß, C. Schürmann
Erzeugnisse der Chemischen Industrie
in Ostdeutschland (%)
36%
38%
1%
2%
5%
18%
Chemische Grundstoffe
Autor: K. Voß
Lacke und Farben
Körperpflege, Waschmittel
Sonstige chem. Erzeignisse
Chemiefasern
Pharmazeutika
68
Quelle:
Stat. Bundesamt (2013)
Autoren:
C. Schürmann, K. Voß
Branchenschwerpunkte im Überblick
Beschäftigtenentwicklung in der ostdeutschen Chemieindustrie
(1999-2011)
18000
16000
Quelle: Stat. Bundesamt und VCI, 2012
Autor: C. Schürmann
14000
12000
10000
8000
6000
4000
2000
0
Berlin
Brandenburg
MV
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Thüringen
69
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Automobilindustrie: Vom Zweitakter zum Elektroauto
Nach jahrzehntelanger Isolation vom Weltmarkt sind die Folgen der Planwirtschaft nicht mehr zu
sehen. Frei nach dem Motto „Auferstanden aus Ruinen“ rollen aus den ostdeutschen Werkshallen
hochmoderne Fabrikate für den Weltmarkt – heute auch mit E-Antrieb und Karbonkarosserie.
Die Wirtschaftsgeschichte der gesamten Bundesrepublik Deutschland ist eng mit dem Fahrzeugbau
verwoben. Wichtige Meilensteine der heutigen mobilisierten Welt wurden durch deutsches IngenieurKnowhow erreicht. Das Potenzial für die erfolgreiche Entwicklung des Kraftfahrzeugbaus in den
Neuen Bundesländern kann bis in die Vorkriegszeit
zurückverfolgt werden.
Die Automobilindustrie war zu Beginn der fünfziger
Jahre stark geprägt von Notproduktion und Produktionsbefehlen in der Sowjetischen Besatzungszone. Dies wird bei einem Vergleich der Stückzahlen deutlich. 1949 produzierten die Unternehmen
IFA (Industrieverband Fahrzeugbau) und Quandt
(später Bayerische Motorenwerke in Eisenach)
9.455 Fahrzeuge, wohingegen parallel 155.000
Fahrzeuge aus den westdeutschen Werken rollten.
Bis in die siebziger Jahre entstanden nach planwirtschaftlichen Vorgaben gerade im sächsischthüringischen Raum Zentren des Motorenbaus, des
Vertriebs sowie der Forschung und Entwicklung.
Der Anfang vom Ende kam schnell und für manche
unerwartet: Nach der Wende standen die ostdeutschen Autobauer mit vollen Lagern nicht konkurrenzfähiger Fahrzeuge da und wurden mit einem
ruinösen Absatzschwund konfrontiert. Am 25. Juli
1990 verließ der letzte Trabant 602 das Werk in
Zwickau. In Eisenach endete die Ära Wartburg am
13. April 1991. Demgemäß hieß es: „Ade Trabant
und Wartburg, hallo VW und Co!“.
Während der Transformationsprozesse nach der
Wiedervereinigung wurden die 12 Kombinate der
DDR-Automobilindustrie im Direktorat Fahrzeugbau
der THA zusammengeführt. Bei der Umstrukturierung der Produkte und Manufakturen ergaben sich
jedoch folgende Problemfelder:





Defizite bei Marketing, Vertrieb, Controlling und
Logistik,
strikte Trennung von Produktion und Distribution,
nicht weltmarktfähige Produktpalette,
Produktion entgegen dem Wettbewerb (zu hohe
Fertigungstiefe anstatt Reduktion),
Kombinatsstrukturen galten bei den neuen Eigentümern als überfällig.
Entgegen den Erwartungen hat sich die Automobilindustrie der Neuen Bundesländer schnell erholt
und bereits zehn Jahre nach der Wiedervereinigung
wurde an den Standorten Eisenach (Opel), Leipzig
(BMW), Chemnitz und Zwickau / Mosel (Volkswa70
gen) und Ludwigsfelde (Mercedes-Benz) für den
Weltmarkt produziert.
Diese Erfolge waren nur möglich durch eine hohe
Motivation und exzellente technische und akademische Ausbildung der ostdeutschen Arbeitskräfte.
Entwickelt sich nun die ostdeutsche Automobilindustrie zur verlängerten Werkbank westdeutscher
Konzerne oder ist sie technologisch (schon)
selbstständig?
Mit Beginn des neuen Jahrtausends erlebte die
Branche einen Investitionsboom. Die Expansion
westdeutscher Autobauer geht mit hoch komplexen
Standortvernetzungen einher. Ein Geflecht aus
Montage- und Fertigungslinien sowie Zulieferbetrieben zieht sich durch das gesamte ostdeutsche
Bundesgebiet. Die wirtschaftlich und politisch geförderte Expansion nach Ostdeutschland zeigt
Wirkung. Premiumhersteller und Zulieferer errichteten in den vergangenen 13 Jahren fünf neue
Werks- und Produktionsstätten besonders im
Raum Leipzig –Dresden-Eisenach. Es werden heute zunehmend Modelle der Oberklasse (Cayenne,
Panamera, Phaeton, Touareg) gefertigt, die Produktion innovative Elektromobile lief kürzlich an
(z.B. BMW i3).
Autos zu produzieren ist jedoch auch mit einer
Vielzahl an Vor- und Nachleistungen verbunden,
die von Metallerzeugnissen, Kraftwagenteile,
Kunststoffen bis hin zur Elektronik reichen. Die
neuen Produktionsstätten begünstigten somit, dass
sich ein florierender Zulieferergürtel im gesamten
südlichen Gebiet der Neuen Bundesländer entwickeln konnte. Die Standortverteilung der Zuliefererindustrie lässt zudem erkennen, dass vor Jahren
eher automobilferne Regionen mitunter deutlich
ihren Abstand verringern konnten. So sind Automobile “Made in Mecklenburg Vorpommern“, wo
traditionell eher Fahrzeuge zur See gebaut werden,
keine Illusion mehr. Die Oberaigner Automotive
GmbH aus Österreich fertigt seit 2011 am Standort
Rostock-Laage Spezialfahrzeuge und Komponenten für die heimischen Fahrzeugbauer und internationale Kunden.
Eindeutiger Magnet ist jedoch nach wie vor Sachsen mit über 650 Zuliefererunternehmen. Die für
die Automobilindustrie typische inputseitige Verflechtung bedeutet für Ostdeutschland zudem eine
Großzahl neu geschaffener Arbeitsplätze.
Die Anknüpfung an historische Erfolge im ostdeutschen Automobilbau gilt es weiterhin auszubauen
und zu stärken. Beides wird mit enger Zusammenarbeit aller Beteiligten unternommen.
Branchenschwerpunkte im Überblick
71
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Eine Disaggregation nach Produktgruppen macht
deutlich, dass es immer noch die traditionell geprägten Handwerke sind, in denen die ostdeutschen Unternehmen ihre Erfahrung und ihr Wissen
ausspielen und einen wichtigen Beitrag zum „Made
in Germany“ leisten. Aber auch hier zeigt sich die
Kleinteiligkeit der Zulieferbetriebe bei denen es sich
meistens um kleine und mittelständische Unternehmen handelt. Das Automotive Cluster Ostdeutschland (ACOD), die länderübergreifende Initiative der in den Neuen Bundesländern aktiven Automobilhersteller, Zulieferer, Dienstleister und Forschungseinrichtungen, dient der nachhaltigen Positionierung einer der wirtschaftlich wichtigsten Branche Ostdeutschlands.
Den Ostdeutschen Automobilbau als Marke für
Hightech Produkte zu etablieren ist durch solche
regionalen Netzwerke und Dachorganisationen
möglich. Es wurde begonnen, einzelne Kompetenzen zu identifizieren und in Clustern zu vereinen
(Technik und Support).
Technik
•
•
•
•
•
Support
Aluminium
Elektrik / Elektronik
Interieur
Leichtbau / Exterieur
Powertrain
Kompetenzen zu bündeln bedeutet aber auch,
neue Knowhowträger auszubilden bzw. zu binden.
Ein weiterer Schritt ist bei solch einem einmaligen
Zusammenschluss auch die gemeinsame Organisation des Fach- und Führungskräftenachwuchses.
Die Abwanderung hervorragend ausgebildeter Menschen kann nur gestoppt werden, wenn sowohl
Arbeitgeber als auch Infrastruktur weiterhin attraktiv
bleiben. Dieses Vorhaben erfordert nicht nur Investitionen sondern auch die Besinnung auf die bereits
erreichten Erfolge.
Frei nach dem Motto „zusammen sind wir stark“
wird es das anvisierte Ziel des ACOD sein, Handwerksbetriebe und Großkonzerne miteinander an
einen Tisch zu vereinen. In einer globalisierten Welt
ist für den ostdeutschen Automobilbau eine internationale Ausrichtung überlebenswichtig. Besonders die ostdeutsche Zulieferindustrie an die Anforderungen des internationalen Marktes (Marketing,
Vertriebsnetz, Forschung und Entwicklung, etc.)
anzupassen, steht im Fokus der Förderpolitik,
damit mehr Unternehmen von der Erweiterung
globaler Absatzmärkte profitieren können. Daraus
resultiert letztendlich eine neu durchdachte Investitions- und Standortpolitik.
Am Ende kann bilanziert werden, dass die westdeutsche Fahrzeugindustrie zu einem nicht unbeträchtlichen Schub der ostdeutschen Branche beigetragen hat. Zu monieren wäre jedoch, dass nur
ein einziges Unternehmen des DDR-Fahrzeugbaus
verblieben ist(und dies auch nur in einem Unternehmensverbund), nämlich die Multicar Spezialfahrzeugbau GmbH in Waltershausen.
• Logistik
• Prozessabwicklung
• Märkte /
Kooperationen
• Energieeffiziente
Produktion
Autor: T. Güra
Beschäftigungsentwicklung im Automobilsektor Ostdeutschlands
(1999-2011)
70.000
Quelle: Stat. Bundesamt, 2013
Autor: C. Schürmann
60.000
50.000
40.000
30.000
20.000
10.000
0
1999
2000
2001
Fahrzeuge/Motoren
72
2002
2003
2004
Karosserie
2005
2006
2007
Teilefertigung
2008
2009
2010
2011
Automobilsektor (insg.)
Branchenschwerpunkte im Überblick
73
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Nanotechnologie: Eine Branche unter der Lupe
Ostdeutschland verfügt über rund ein Viertel aller bundesdeutschen Organisationen mit Aktivitäten in
der Nanotechnologie. Merkmale der ostdeutschen Nanolandschaft sind wettbewerbsfähige Clusterstrukturen in Berlin und Dresden sowie ein deutlicher Mangel an Großunternehmen.
Unter dem Begriff Nanotechnologie werden unterschiedliche technologische Verfahren der Strukturierung und -analyse von Materialien in einem Größenbereich von typischerweise einem bis ein-9
hundert Nanometern (1 Nanometer = 10 m) zusammengefasst. Aus ingenieur- und naturwissenschaftlicher Perspektive erwächst dieser Dimension
insofern eine besondere Bedeutung, als sie der
Festlegung wesentlicher funktionaler Eigenschaften
von Materie (z.B. Härte, Leitfähigkeit) dient. Gezielte Manipulationen auf der molekularen Ebene
ermöglichen der Nanotechnologie damit die Erzeugung von Innovationen in verschiedensten Feldern,
was die enorme betriebs- und volkswirtschaftliche
Bedeutung dieser Querschnittstechnologie begründet.
Auf dem Gebiet der Nanotechnologieforschung ist
Ostdeutschland sehr gut aufgestellt: Etwa 40% der
deutschen außeruniversitären Großforschungseinrichtungen auf diesem Gebiet haben hier ihren
Standort. Daneben sind weitere 120 Professuren
und Hochschulinstitute in den neuen Bundesländern in der Nanotechnologie aktiv.
Ein näherer Blick auf die räumliche Verteilung der
Akteure zeigt, dass sich diese insbesondere in
Berlin und der Region Dresden ballen, was auf eine
erfolgreiche kommerzielle Umsetzung der Nanotechnologie an diesen Standorten schließen lässt.
Historisch haben sich dabei regionale Spezialisierungen herausgebildet: Der Großraum Dresden
lässt einen klaren Schwerpunkt im Bereich der
Nanomaterialien im Bereich der Oberflächen- und
Schichttechnologien erkennen. Darüber hinaus
existieren beschäftigungsintensive Aktivitäten im
Bereich der Nanoelektronik. Berlin dagegen weist
besondere Schwerpunkte im Bereich der Nanobiotechnologie, der Nanooptik und der Messtechnik
auf.
Von den in Deutschland insgesamt 2251 in der
Nanotechnologie tätigen Organisationen, darunter
Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Unternehmen, Technologietransfereinrichtungen und Geschäftsstellen von Netzwerken, sind 542 (24,1%) in Ostdeutschland aktiv.
Mehr als die Hälfte von ihnen sind Unternehmen
mit insgesamt ca. 21.000 Beschäftigten und etwa
22 Mrd. Euro Umsatz. Mit 27,5% sind kleine und
mittlere Unternehmen, denen ähnlich wie in anderen Technologiefeldern ein beträchtliches Innovationspotenzial zugesprochen wird, im Vergleich
leicht überrepräsentiert. Dagegen existieren in Ostdeutschland insgesamt nur 67 Großunternehmen,
die neueste Ergebnisse aus der nanotechnologischen Grundlagenforschung im großen Maßstab in
den Markt überführen bzw. kapitalintensive Forschungsvorhaben realisieren können. Dieses strukturelle Defizit liegt in der spezifischen Geschichte
Ostdeutschlands begründet und erstreckt sich auf
alle Branchen.
Während fehlende Finanzierungsmöglichkeiten für
Start-Ups, fragmentierte Wertschöpfungsketten
sowie geringe F&E-Aktivitäten im industriellen
Maßstab zweifelsohne wichtige Wachstumshemmnisse darstellen, werden der ostdeutschen Nanotechnologie nicht zuletzt aufgrund der differenzierten öffentlichen Forschungslandschaft und des gut
ausgebildeten Humankapitals insgesamt doch
hohe Entwicklungspotenziale für die Zukunft beigemessen.
Autor: S. Henn
Anzahl Einrichtungen der Nanotechnologie nach Bundesländern und Spezialisierungen (Quelle: nano-map.de, 02/2013)
Spezialisierungen
(je Einrichtung mehrere
Spezialisierungen möglich)
MV
SN
ST
BB
BE
TH
Summe Neue
Bundesländer
Summe
Dtl.
Anteil an
Akteuren in
D
Anteil an
Akteuren
in NBL
Begleitforschung
1
7
1
1
6
5
21
155
14%
2%
Nanoanalytik
8
45
6
5
21
19
104
460
23%
11%
Nanobeschichtungen
8
67
14
8
27
24
148
638
23%
16%
Nanobiotechnologie
13
28
13
11
27
15
107
432
25%
12%
Nanoelektronik
0
30
6
6
11
9
62
265
23%
7%
Nanomaterialien
16
68
25
16
42
41
208
990
21%
22%
Nanooptik
1
18
8
6
22
16
71
284
25%
8%
Nanostrukturierung
0
31
3
6
15
18
73
369
20%
8%
Nanosysteme/-sensoren
6
35
4
7
13
26
91
396
23%
10%
44
929
246
18%
4235
Querschnittsthemen
0
24
4
1
11
4
Summe
53
353
84
67
195
177
74
5%
100%
Branchenschwerpunkte im Überblick
75
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Maschinenbau: Erfolgsfaktor mit aussichtsreicher Tradition
Der Maschinenbau ist einer der wichtigsten deutschen Industriezweige. Das galt auch für die DDR,
die in den 1980er Jahren zu den zehn größten Maschinenbauproduzenten der Welt gehörte. Die
Zukunft liegt im Export, doch dazu braucht der Osten mehr Vernetzung und Kooperationen.
Dieser klassische Zweig des verarbeitenden Gewerbes hat eine lange Tradition und ist heute mit
ca. 970.000 Beschäftigten und einem Umsatz von
rund 207 Mrd. Euro (2012) eine der wichtigsten
Branchen in Deutschland. Der ostdeutsche Maschinenbau ist Teil dieser Tradition. Bereits während der industriellen Revolution gehörten Sachsen,
Thüringen, Berlin und das heutige Sachsen-Anhalt
zu den deutschen Maschinenbauzentren. In Sachsen wurden die ersten Textilmaschinen konstruiert.
Die Werkzeugmaschinenindustrie hat hier ihren
Ursprung. Viele westdeutsche Maschinenbauhersteller hatten vor dem Zweiten Weltkrieg ihren Unternehmenssitz in Sachsen oder Thüringen.
Zu Zeiten des Kalten Krieges war der Maschinenbau mit einem Anteil von fast 20% der Industriebeschäftigten ein wichtiger Industriezweig der DDR.
Ende der 1980er Jahre gehörte die DDR zu den
zehn größten Maschinenproduzenten der Welt und
war unter den RGW-Staaten führend in F&E und in
der Produktion von Werkzeugmaschinen, Textilmaschinen, Druckmaschinen, Maschinen für den
Bergbau sowie der Feinmechanik und Fördertechnik. Die führende Rolle im Ostblock zeigte sich
auch in der Abhängigkeit der ehemaligen Sowjetunion von der DDR im Bereich der Maschinenlieferungen, die rund 50% ihres Druckmaschinenbedarfs sowie mehr als 40% der Landmaschinen aus
der DDR bezog. Das Ausbildungssystem für Arbeiter, Techniker und Ingenieure war führend, mit
hohem Anteil an weiblichen Beschäftigten.
Wie im gesamten produzierenden Gewerbe blieben
auch im Maschinenbau fehlende Investitionen nicht
ohne Auswirkungen. Das Ostberliner Institut für
angewandte Wirtschaftsforschung ging 1989 davon
aus, dass der Rückstand der DDR in der Steuerungstechnik im Werkzeugmaschinenbau zwei Gerätegenerationen gegenüber den Marktführern aus
Westdeutschland betrug. Der Investitionsbedarf im
Bereich des Maschinenbaus wurde nach der Wende auf mehr als 80 Mrd. Euro geschätzt.
Nach der Wende wurden die alten Kombinatsstrukturen zerschlagen, Kapazitäten und Beschäftigungszahlen drastisch reduziert. Von rund 560.000
Personen 1989 blieben nur etwa 65.000 bis 2001
übrig. Die Zahl der Beschäftigten stieg erst ab
2007 wieder an und lag 2012 bei etwa 77.000. Der
Umsatz des ostdeutschen Maschinenbaus lag kurz
nach der Wende bei 8,6 Mrd. Euro und sank auf
ein Rekordtief von 7,6 Mrd. Euro 1996. 2012 wurde
ein Umsatz von 17 Mrd. Euro erzielt, was einem
76
Anteil am Gesamtumsatz des deutschen Maschinenbaus von 8% entspricht.
Neben dem starken West-Ost-Gefälle gibt es auch
große regionale Unterschiede in Ostdeutschland
selbst. Anknüpfend an die Tradition vor dem Zweiten Weltkrieg wächst die Branche vor allem in Mitteldeutschland. In Sachsen hat sich die Branche
gut entwickelt. Mit über 3% am gesamtdeutschen
Umsatz steht der Freistaat an siebter Stelle beim
Umsatzvergleich aller Bundesländer und an erster
Stelle im ostdeutschen Vergleich. Hier wird fast die
Hälfte des gesamten Branchenumsatzes der ostdeutschen Bundesländer erwirtschaftet. Laut Wirtschaftsförderung Sachsen beschäftigt die Branche
im Land mehr als 33.000 Personen in rund 230
Firmen und erwirtschaftet ca. ein Fünftel der gesamten sächsischen Industrieproduktion. Von hoher Bedeutung für die regionale Wirtschaft ist der
Maschinenbau aber auch in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern, obwohl der Umsatz der Branche an der Küste nur 1,4 Mrd. Euro beträgt. In
Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen rangiert die Branche dagegen nach Anzahl der Unternehmen hinter anderen Wirtschaftszweigen.
Kleine und mittlere Betriebe prägen das ostdeutsche verarbeitende Gewerbe, so auch den Maschinenbau. Die Mehrheit der Unternehmen in den
Neuen Bundesländern beschäftigt weniger als zehn
Mitarbeiter. Größere Standorte sind meist ausgelagerte Werkstätten westdeutscher Konzerne. Viele
Unternehmen sind im ländlichen Raum angesiedelt
und haben sich auf Nischen spezialisiert. Es werden Maschinen nach Kundenwunsch passgenau in
kleiner Stückzahl gefertigt. Vor allem beim Export
stoßen die ostdeutschen Betriebe aufgrund ihrer
geringen Größe an Grenzen.
Mehr Kooperationen und Vernetzungen der ostdeutschen Maschinenbauer sind für einen Erfolg
auf dem Weltmarkt erforderlich. Neben der Kleinteiligkeit der Betriebsstrukturen ist auch der fehlende Fach- und Führungskräftenachwuchs ein Problem für die ostdeutschen Maschinenbauunternehmen. Im gesamtdeutschen Vergleich ist der Anteil
an Facharbeitern im Osten besonders hoch.
Dadurch wird der Mangel an Nachwuchsfachkräften
hier starke Auswirkungen haben. Auch bei den
Ingenieuren sieht es zurzeit nicht besser aus. Obwohl die Neuen Bundesländer über gute Hochschulen verfügen, wandern zu viele Studenten in
den Westen ab, abgesehen von wenigen regionalen Zentren wie Jena oder Chemnitz.
Autor: K. Voß
Branchenschwerpunkte im Überblick
Umsatzentwicklung in den Alten und Neuen Bundesländern (2008=100)
(mit Angabe der Umsätze in Mrd. Euro)
110
17,3
105
16,1
16,1
100
95
206,3
198,8
206,3
90
Alte Bundesländer
13,9
Neue Bundesländer
85
13,2
172,4
80
75
157,6
70
2008
2009
2010
2011
2012
Umsatz nach Bundesland 2011 (Mio. Euro)
BB: 703
MV: 1.400
Berlin: 2.005
Sachsen: 6.991
Sachsen-Anhalt:
2.205
Thüringen: 2.767
Quelle:
Stat. Bundesamt 2012
Autor: C. Schürmann
77
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Erneuerbare Energien: Sonne, Wind und Wolken über Ostdeutschland
Mit dem entschlossenen Ausstieg aus der Atomkraft wurden die Neuen Bundesländer zum
Vorreiter einer Energierevolution. Regenerative Energien (Windkraft, Solar und Bioenergie)
werden massiv gefördert. Sie sind wichtige Wachstumsfelder für Wertschöpfung, Beschäftigung und Innovation.
Zur Wende war die DDR größter Braunkohlenproduzent der Welt. Unter der SED-Losung der „Störfreimachung“ näherte man sich der Energieautarkie, war aber immer noch von Steinkohle- und
Erdölimporten aus der Sowjetunion abhängig. Ein
Kernenergieprogramm, das die Abhängigkeit von
Braunkohle beseitigen sollte, wurde euphorisch
begonnen, kam aber nicht wie geplant voran. Die
Braunkohlenproduktion stieg von 85 Mio. t (1945)
auf 301 Mio. t (1989). Parallel dazu stiegen die
Umweltemissionen, so dass die Regionen um Halle
/ Leipzig und Cottbus zu den größten „Dreckschleudern“ Mitteleuropas wurden.
Klimawandel und die drohende Erschöpfung konventioneller Energieressourcen (Erdöl, Erdgas,
Kohle) leiteten in Deutschland die sogenannte
Energiewende ein, einen Paradigmenwechsel der
nach dem Reaktorunfall von Fukushima einen weiteren Schub erhielt.
Paradigmenwechsel:
Das Umdenken in der Energiepolitik beruht auf vielen
Faktoren:
 Beschlüsse zum Atomausstieg
 Diskussion über Waldsterben und Erderwärmung
(Treibhauseffekt) durch wachsenden CO2-Ausstoß.
 Trendanalysen zum ‚oil peak’: die weltweite Erdölproduktion schien ihren historischen Höhepunkt
überschritten zu haben.
 Sicherheitspolitische Diskussion über Erdölabhängigkeit von arabischen Staaten und von Russland.
 Erkennbarer Wertewandel in Teilen der Bevölkerung
in Richtung auf Bewahrung der Schöpfung.
Seither steht die Förderung Erneuerbare Energien
(EE) auf der Agenda. Ostdeutschland sollte bei
diesem anspruchsvollen Politikprojekt als ‚first
mover’ an der Spitze stehen. Der Ausbau des Zukunftsfeldes „Erneuerbare Energien“ rückte ab
Mitte der neunziger Jahre ins Zentrum einer technologisch anspruchsvollen und ökonomisch wie
ökologisch orientierten Förderstrategie.
Zu den erneuerbaren Energieträgern zählen: solare
Strahlung, Erdwärme, nachwachsende Rohstoffe,
Wasserkraft und Windenergie. Die Basis für die
erneuerbaren Energien bilden folgende drei Energiequellen: Kernfusion der Sonne, Gezeitenkraft
aufgrund der Planentenbewegung und Geothermie
des Erdkerns, wobei die mit Abstand ergiebigste
Form die Sonnenenergie ist. Unter Rückgriff auf
vorhandene Entwicklungspotenziale, Fachkräfte
und Forschungskapazitäten wurde eine Art Leap
frogging in Gang gesetzt, nicht zuletzt beschleunigt
durch (inter-)nationale Investoren in diversen Seg78
menten der erneuerbaren Energien. Tatsächlich
wurden seither im Zukunftsfeld Erneuerbare Energien beachtliche Beschäftigungs-, Innovationsund Wertschöpfungspotenziale generiert:




Bereits 2012 wurde aus dem Betrieb von EEAnlagen in Deutschland ein Umsatz von 14,4
Mrd. Euro erzielt. Zukunftsforscher sprechen
bereits von einer Megabranche.
Mehr als die Hälfte der Umsätze geht in den
Export und angesichts der immer noch relativ
niedrigen Exportquoten in Ostdeutschland
(<35%) stellen die Erneuerbaren Energien für
die Neuen Bundesländer vielversprechende
Handlungsoptionen für Internationalisierungsund Clusterstrategien dar.
Im Jahre 2012 arbeiteten insgesamt 377.800
Beschäftigte in Erneuerbaren Energien entlang
der Wertschöpfungskette, davon 26% in Ostdeutschland; ein Beschäftigungsanstieg von
~138% seit 2004.
Spitzenreiter ist die Bioenergiebranche mit
128.900 Beschäftigten, gefolgt von Windkraft
(117.900) und Solarenergie (100.500). Auf die
drei Branchen entfallen mehr als 90% der meist
hochwertigen Arbeitsplätze.
Die Kapazitäts- und Arbeitsplatzentwicklung der EE
wird getrieben von erwarteten Gewinnen und Exportzuwächsen. So hat sich der Export von Produkten regenerativer Energiezweige aus Ostdeutschland seit 2001 erheblich gesteigert. Langfristig strebt die regenerative Energie einen Exportanteil von 70% an, der gegenwärtig bereits bei
Windanlagen- und Maschinenbau üblich ist. Nicht
zuletzt ist diese Entwicklung auch steigenden (inter-)nationalen Direktinvestitionen zu verdanken.
Die Entwicklung in den verschiedenen Sparten der
Erneuerbaren Energien verläuft nach Bundesländern und Branchen durchaus unterschiedlich. So
befindet sich die Solarenergie inzwischen im Abschwung (s. Solarindustrie: Geht im Osten die Sonne unter?).
Mit deutlichem Abstand die höchste Beschäftigung
im EE-Segment weist Bayern im Jahre 2012 mit
fast 69.000 Personen auf, gefolgt von NRW, Niedersachsen und Baden-Württemberg mit Beschäftigungszahlen zwischen 43-54 Tsd. Bereits auf den
Rängen 5 und 7 folgen mit Sachsen-Anhalt und
Brandenburg (24 und 21 Tsd. Beschäftige) zwei
ostdeutsche Bundesländer.
Branchenschwerpunkte im Überblick
Erneuerbare Energie: Entwicklung Bruttobeschäftigung 2004-2012
Beschäftigte absolut 2012
(Deutschland, 2004 = 100)
(Veränderung 2004-2012)
800
13.290 (+12.100)
700
600
500
400
100.500 (+74.400)
300
9.400 (+6.000)
200
128.900 (+72.100)
117.900 (+54.000)
100
7.200 (+2.100)
0
2004
2005
2006
2007
2008
2009
2010
2011
Windenergie
Biomasse
Solarenergie
Wasserkraft
Geothermie
F&E
2012
Quelle: BMU, 2012;
DLR/DIW/ZSW/GWS/Prognos, 2013
Autor: C. Schürmann
79
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Damit hängt in Deutschland etwa jeder hundertste
Arbeitsplatz von den regenerativen Energietechnologien ab. Bedeutsam ist dabei, dass vier ostdeutsche Länder (Sachsen-Anhalt, Brandenburg,
Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen) an der
Spitze rangieren, wenn man den Anteil der EEBeschäftigten an allen Länderbeschäftigten betrachtet. So ist in Sachsen-Anhalt jeder vierzigste
Arbeitsplatz direkt oder indirekt der EE-Branche
zuzurechnen. Insgesamt summiert sich der Anteil
der Beschäftigten im EE-Bereich an der gesamten
Beschäftigtenzahl in Ostdeutschland auf 1,8% (in
Westdeutschland nur 1,2%). Diese Zahlen unterstreichen die Vorreiterrolle Ostdeutschlands bei der
Energiewende und deren bedeutende Arbeitsmarkteffekte.
In vier Bundesländern liegt der Anteil Erneuerbarer
Energien am Stromverbrauch des jeweiligen Landes bereits bei über 50 %. An der Spitze marschiert Schleswig-Holstein mit 72,% (2012), gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils 71
% und
Sachsen-Anhalt mit 57 % - bei einem Bundesdurchschnitt von 23 %.Die großen Windkraftstandorte nähern sich bereits dem Ziel, ihren Strombedarf vollständig aus umweltfreundlichen Quellen zu
decken.
Insgesamt sind die Bundesländer mit der höchsten
relativen Bedeutung der EE-Beschäftigung in
Norddeutschland zu finden. Dies zeigt zugleich
eine besondere Problematik bei Transport und
Verteilung: Erneuerbare Energien wie Windkraft und
Biomasse werden dort erzeugt, wo sie weniger
gebraucht werden, und sie werden dort gebraucht,
wo sie weniger erzeugt werden.
Die Bedeutung der Windenergiebranche für den
Arbeitsmarkt ist in den Küstenbundesländern und
den Hansestädten besonders hoch. Im Osten zählt
allerdings Sachsen-Anhalt zu den Ländern mit den
höchsten Werten. Die höchsten Beschäftigungsanteile für die Solarbranche sind in den ostdeutschen
Bundesländern Sachsen-Anhalt, Brandenburg und
Thüringen zu finden. Sachsen zählt zwar nicht zur
Gruppe mit den höchsten Werten, liegt jedoch auf
Rang 4. aller Bundesländer. Die Beschäftigung für
Herstellung und Betrieb von Anlagen zur Nutzung
von Biomasse ist in ostdeutschen Ländern überdurchschnittlich, ausgenommen die südlichen
Länder.
Im Jahre 2012 lag der Anteil regenerativer Energien
am Endenergieverbrauch in Deutschland bei 12,6%
(zum Vergleich: 2002 lag dieser Anteil erst bei
4,5%). Ein Gutachten des Sachverständigenrats für
Umweltfragen kam 2010 zu dem Ergebnis, dass
Deutschland im Jahr 2050 vollständig aus erneuerbaren Energien versorgt werden kann. Dabei liegt
die Bundesrepublik unter den Topinvestoren in
Erneuerbare Energien weltweit an sechster Stelle.
Resümierend lässt sich festzustellen, dass die
Bedeutung des Ausbaus erneuerbarer Energien für
den Arbeitsmarkt in Ostdeutschland besonders
hoch ist. Der Beschäftigtenanteil der Erneuerbaren
Energien in Ostdeutschland von 25% an der Gesamtbeschäftigung in der Branche der erneuerbare
Energien liegt in Deutschland deutlich über dem
Anteil an Arbeitnehmern insgesamt. Analoges gilt
für den Anteil des ostdeutschen EE-BIP am deutschen Bruttoinlandsprodukt. Ein bedeutender Teil
der Segmente bietet High-Tech-Arbeitsplätze mit
überdurchschnittlichem Forschungs- und Entwicklungsanteil. Da die Neuen Länder hinsichtlich der
Netzwerk- und Clusterbildung entlang der Wertschöpfungskette gegenwärtig aussichtsreich aufgestellt sind, bieten zumindest Teile der Branche
die Chance, sich zum Jobmotor und bedeutenden
Wirtschaftsfaktor in Ostdeutschland zu entwickeln.
Unter Berücksichtigung geplanter neuer Zweige und
Standorte in den einzelnen Wertschöpfungssegmenten wird sich vermutlich die energetische Profilierung Ostdeutschlands gegenüber Westdeutschland verstärken.
Fakt ist jedenfalls, dass die Prognosen und Szenarien der vergangenen Jahre die Potenziale der erneuerbaren Energien systematisch unterschätzt
haben. So wurden etwa in der 1994 vorgelegten
‚Primes’-Studie der EU die für 2020 prognostizierten Kapazitäten bereits 2008 deutlich überschritten.
Autor: G. Braun
Umsätze EE-Anlagenbetrieb 2012
(Mrd. Euro)
Geothermie Wasserkraft
0,38
0,78
Wind 1,43
Solar; 1,47
Bioenergie
10,3
Autor: C. Schürmann
Quelle: Agentur f. Erneuerbare Energien, 2013
EE-Beschäftigte 2012
Geothermie; 13.290
Wasserkraft; 7.200
Solar; 100.600
F&E; 9.400
Wind; 117.900
Biomasse; 128.900
Anteil reg. Energien am Endenergieverbrauch 2011:
Biomasseanlagen:
8,4%
Windenergie:
2,0%
Photovoltaik:
0,8 %
Wasserkraft:
0,7 %
Solarthermie / Geothermie: 0,5 %
Quelle: Agentur f. Erneuerbare Energien (2013).
80
Branchenschwerpunkte im Überblick
81
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Solarindustrie: Geht im Osten die Sonne unter?
Bis 2009 galten (ost-)deutsche Solarfirmen als Weltmarktführer. Überkapazitäten und ein enormer
Preisrutsch haben trotz staatlicher Förderung den Niedergang der Branche ausgelöst. F&E, neue
Produkte, Verfahren, Märkte und internationale Zusammenarbeit bieten Zukunftsperspektiven.
Noch vor wenigen Jahren stand die Solarbranche in
Ostdeutschland für Aufschwung, Arbeitsplätze und
eine bessere Zukunft. Das scheint sich grundlegend zu ändern. Einstige Vorzeigefirmen wie QCells oder Solon mussten Konkurs anmelden.
Weltkonzerne wie Bosch und Siemens sind inzwischen aus dem Geschäft mit der Sonnenenergie
ausgestiegen. Wenn nicht alles täuscht, stehen
weitere deutsche Hersteller vor dem Aus, auch und
gerade in Ostdeutschland.
Begonnen hatte der Aufstieg der deutschen Solarindustrie im Jahr 2000 mit der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Es regelt,
dass Strom aus erneuerbaren Energien von den
Netzbetreibern zu Mindestpreisen abgenommen
werden muss. Ziel: Klimaschutz und Ausstieg aus
nicht-erneuerbaren Energieträgern (Öl, Gas, Kohle).
Solarstrom wurde fortan mit großzügigen Einspeisevergütungen gefördert. Unternehmer, die den
Boom der Sonnenenergie voraussahen, investierten
massiv in Werke zur Produktion von Solarzellen und
-modulen. So stieg die (Netto-)Investitionssumme
von 74 Mio. Euro im Jahre 2000 auf 12.190 Mio.
Euro im Jahre 2012. Entsprechend stieg die Zahl
der Beschäftigten von 3.068 (2000) auf 125.020
(2011). Davon entfielen insgesamt 85.170 Beschäftigte auf West- und 39.850 Beschäftigte auf
Ostdeutschland, etwa ein Verhältnis von 2:1. 92%
der Arbeitsplätze (115.018) entstanden dabei
durch den Bau neuer Anlagen, der Rest aus Betrieb
und Wartung.
Die ostdeutschen Standorte hatten innerhalb der
deutschen Solarwirtschaft eine überproportionale
Bedeutung. Während auf Ostdeutschland nur
18,4% aller Erwerbstätigen in Deutschland entfielen, liegen in der Photovoltaikbranche 32,7%
(2011) aller Solararbeitsplätze in Ostdeutschland.
Bei den industriellen Herstellern ist das Gewicht
Ostdeutschlands mit 57,1% noch deutlicher, und
auch der ostdeutsche Anteil bei den Zulieferern und
beim Handwerk lag mit 24,2% bzw. 23,9% über
dem gesamtwirtschaftlichen Referenzwert.
Beschäftigungspolitisch ist dabei besonders bedeutsam, dass in ehemals strukturschwachen
Standorten mit hoher Arbeitslosigkeit investiert
wurde, in denen bislang arbeitslose Fachkräfte
mobilisiert werden konnten. Damit schien sich in
den Neuen Bundesländer die Solarindustrie neben
dem Fahrzeug- und Maschinenbau, der Chemieund Kunststoffindustrie, der Optik und der Mikroelektronik zu einem der innovativsten Industriebranchen zu entwickeln.
82
In den meisten Fällen befinden sich die Konzernsitze sowie die F&E-Abteilungen der führenden Solarfirmen in vier Solarclustern in Berlin / Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Diese Situation ist für Ostdeutschland einzigartig.
Europaweit verfügte die Region über die höchste
Dichte an Solarzellenfirmen. Noch 2006 wurden ca.
80% der gesamtdeutschen und 20% der weltweiten
Solarzellenproduktion hier erwirtschaftet. Das Spitzencluster „Solarvalley Mitteldeutschland“ hat sich
zum Ziel gesetzt, sämtliche Photovoltaikpartner
entlang der Wertschöpfungskette vom Zulieferer bis
zur Einspeisung zu bündeln, um mit konventionellen Energieerzeugern konkurrieren zu können.
Allerdings: Zum Ende des Jahrzehnts ging der
„Goldrausch“ in der Solarwirtschaft zu Ende. Der
Boom ebbte ab, denn das EEG–Gesetz bescherte
nicht nur den Firmen in (Ost-)Deutschland glänzende Geschäfte, sondern auch Herstellern aus
Asien, Südeuropa und den USA. So entstanden in
China mit großzügiger staatlicher Förderung enorme Fertigungskapazitäten. Chinesische Hersteller
wie Suntech und Yingli überfluteten den Weltmarkt
für Solarerzeugnisse mit Modulen zu Billigpreisen.
Die Folge: Enormer Preisrutsch und Überkapazitäten auf dem Weltmarkt. Weltweit stand im März
2013 die Hälfte der Solarfabriken leer. Inzwischen
ist selbst die chinesische Vorzeigefirma Suntech
pleite.
In Deutschland sank die Zahl der Beschäftigten in
der Solarbranche von 125.020 (2011) auf
100.5001 (2012).“Sonnenfinsternis“ titelte die
Süddeutsche Zeitung. Der US-Konzern First Solar
in Frankfurt/Oder schloss sein Werk. Kurz: Die
Solarbranche mutierte vom Hoffnungsträger zur
Krisenbranche. So erlebt Deutschland gegenwärtig
ein folgenschweres Kuriosum: Niedergang der
Solarwirtschaft trotz Rekordförderung. Experten
rechnen für 2013 mit einer Einspeisevergütung bei
Solarstrom von rund zehn Milliarden Euro – ein
neuer Rekord.
Ganz am Ende ist die Branche aber dennoch nicht.
Sollten die Preise konkurrierender, nichterneuerbarer Energieträger wie Öl, Gas und Kohle wie prognostiziert steigen, wird Solarenergie auch ohne
Förderung konkurrenzfähig werden. Forschung und
Entwicklung innovativer Produkte (Plexiglasmodule)
und neuer Anwendungen (Elektromobilität) könnte
ein Weg aus der Krise weisen.
Branchenschwerpunkte im Überblick
Trotz akuter Probleme scheinen manche ostdeutschen Solarfirmen mit ihrem grünen Geschäftsmodell für ausländische Investoren interessant, wenn
sie sich auf forschungsintensive High-TechLösungen spezialisieren.
Allerdings ist umstritten, ob ausländische Aufkäufer
am Produktions- und Beschäftigungsstandort
Deutschland interessiert sind. Nicht auszuschließen
ist gegenwärtig, dass sie deutsches Know-how,
Technologie, aber auch Vertriebswege und starke
Markennamen kaufen, nicht hingegen Arbeitsplätze. In dieser Situation flüchtet man sich in eine Art
Galgenhumor: „Es gibt nur ein Rezept gegen den
Tod“ sagt Frank Asbeck, Chef von Solarworld (die
Mitte 2013 um das Überleben kämpft): „Weiteratmen“.
Autor: G. Braun
83
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik: Genesung des Patienten
Das Gesundheitswesen hat sich verändert. Ostdeutschland hat diese Trends frühzeitig erkannt und
damit begonnen, einen neuen Markt führend mitzugestalten. Dabei kommen längst vergessene Relikte des DDR-Gesundheitswesens zum Einsatz und verschaffen Regionen mitunter einen Wettbewerbsvorteil.
Bereits die deutschen Kaiser kurierten sich an der
Ostseeküste und begründeten das Kur-und Bäderwesen auf Rügen, Usedom und dem Fischland
Darß-Zingst. Nach wie vor sind dies bis heute stark
nachgefragte Regionen bei konventionellen Therapien und Rehabilitationen.
Hochleistungsmedizin, Prävention und E-Health
sind nur einige Schlagwörter, mit denen diese
Branche heute assoziiert wird. Die Bürde staatlicher
Regulierung ist zunehmend differenzierter und von
Reformprozessen getrieben. Ostdeutschland war
nach der Wiedervereinigung geprägt vom Staatseigentum Gesundheit und den Spuren, die die sozialistische Planwirtschaft auch dort hinterlassen hat.
Das Gesundheitssystem der DDR bestand jedoch,
wenn man es einmal vom ideologischen Überbau
befreit, nicht nur aus antiquierten Elementen der
Mangelwirtschaft. Einige stehen heute mit anderen
Termini im Fokus der politischen Diskussionen:
Interdisziplinarität, Medizinische Versorgungszentren (MVZ), Disease-Managementprogramme
(DMP) und betriebliches Gesundheitsmanagement.
Auch die Transformation des Gesundheitssystems
der DDR galt es nach der Wiedervereinigung voranzutreiben (Artikel 33 des Einigungsvertrages).
Im letzten Jahr der DDR waren im Gesundheitswesen 412.000 Menschen beschäftigt. Die Polikliniken („Juwel der DDR“) hatten vorerst Bestandsschutz, verloren aber bei den Leistungserbringern
zunehmend an Attraktivität. Der massenhafte
Übergang der angestellten Poliklinikärzte in freie
Niederlassungen musste von einer kurzfristig installierten Selbstverwaltung nach dem Vorbild
Westdeutschlands koordiniert werden.
Das Gesundheitswesen, bestehend aus den traditionellen Kernbereichen ambulante und stationäre
Versorgung, hat sich in den vergangenen 23 Jahren
aufgrund ständig wechselnder politischer Rahmenbedingungen im Hinblick auf Effizienzsteigerungen
und Kostensenkungen verändert. Gesundheit und
Medizin unterliegen heute modernen Managementprozessen und werden von einer Vielzahl neu entstandener industrieller Dienstleister erbracht. Es hat
sich ein Wandel vollzogen vom traditionellen Gesundheitswesen hin zu einer Gesundheitswirtschaft.
Allgemein werden der Gesundheitsbranche 36
Wirtschaftszweige zugeordnet. Im Dezember 2005
wurde von Experten auf der 1. Nationalen Branchenkonferenz in Rostock-Warnemünde eine allgemein anerkannte Definition erarbeitet:
„Gesundheitswirtschaft umfasst die Erstellung und
Vermarktung von Gütern und Dienstleistungen, die
84
der Bewahrung und Wiederherstellung von Gesundheit dienen."
Die Fachkreise sind sich einig darüber, dass die
Gesundheitswirtschaft zu den bedeutendsten Zukunftsfeldern der deutschen Wirtschaft zählt.
Es wird in den nächsten 10 Jahren ein steigendes
Wertschöpfungspotenzial prognostiziert und auch
auf regionaler Ebene wird sich die Bedeutung fokussieren. In den Neuen Bundesländern wird dieser
Trend als Chance verstanden. Berlin hat den Anspruch „Health Capital“ zu werden und Mecklenburg-Vorpommern hat die Vision vom „Gesundheitsland Nr. 1 in Deutschland“. Es entstehen in
allen Neuen Bundesländern zahlreiche Leuchtturmprojekte und Netzwerkstrukturen, um das vorhandene Knowhow zu bündeln.
Speziell der zweite Gesundheitsmarkt bietet privatwirtschaftliche Wachstumspotenziale. 2010 wurden
insgesamt 287,3 Mrd. Euro für Gesundheit ausgegeben, was einem Anteil von 11,6% am BIP entspricht. Die chemische Industrie (speziell die
Pharmahersteller) als Lieferant elementarer Therapieprodukte, die Biotechnologie (als farbenfroher
Innovationstreiber bei komplexen Behandlungsformen), Fahrzeugindustrie (RTW, Krankentransporter
–Dialysefahrten) sind nur einige Beispiele für die
enge Verflechtung traditioneller deutscher Industriezweige mit medizinnahen Leistungen. Die Innovationskraft Ostdeutschlands zeigt hier einmal
mehr, dass es sich lohnt state of the art zu bleiben. Hochmoderne Apparaturen aus Rostock,
Berlin oder Jena stehen hier für moderne medizintechnische Produkte.
Branchenschwerpunkte im Überblick
85
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Eine wichtige Vorleistungs- und Zulieferindustrie ist
die Medizintechnik. Sie gilt als besonders innovativ
und wachstumsstark. Medizinprodukte umfassen
eine große Bandbreite von medizintechnischen
Produkten und Verfahren. Beispiele sind Implantate
und Prothesen, Geräte für Diagnostik und Sterilisation sowie Verbandmittel, Hilfsmittel oder OPMaterial. Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Gesundheit gibt es mehr als 1,6 Mio. verschiedene Medizinprodukte. Der Gesamtumsatz
der produzierenden Medizintechnikunternehmen lag
2012 bei 22,2 Mrd. Euro in Deutschland - das
entspricht einer Steigerung von 4% gegenüber dem
Vorjahr (2011 betrug die Steigerung 6,9%).
Der Auslandsumsatz deutscher Unternehmen
wächst stärker als der im Inland, was vor allem auf
die Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen zurückzuführen ist. Die Exportquote
liegt zwischen 60 und 65%. Im internationalen
Vergleich liegt Deutschland mit einem Welthandelsanteil von 14,6% an zweiter Stelle hinter den
USA (USA 30,9%, Japan 5,5%). Auch bei den
Patenten liegen die deutschen Unternehmen auf
Platz 2 hinter den USA. Etwa ein Drittel des Umsatzes wird mit Produkten erzielt, die höchstens
drei Jahre auf dem Markt sind. Es werden also
hohe Ansprüche an die Unternehmen in Bezug auf
die Neuheit der Produkte gestellt. Rund 9% des
Umsatzes investieren die Unternehmen der Branche in Forschung und Entwicklung.
Der Medizintechnik-Branche wird ebenfalls weiteres
Wachstum vorhergesagt. Das liegt vor allem am
medizinisch-technischen Fortschritt und der demographischen Entwicklung. Allerdings stellte die
Branche in den vergangenen Jahren weniger als
2% der Arbeitsplätze und des Umsatzes des verarbeitenden Gewerbes.
Die Medizintechnik ist größtenteils durch klein- und
mittelständische Betriebe gekennzeichnet. Schwerpunkte der Branche befinden sich in den südwestlichen Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg
und Hessen. In diesen Ländern sind vergleichsweise große Unternehmen angesiedelt, die etwa zwei
Drittel des Umsatzes der Branche generieren. In
den Neuen Bundesländern sind vor allem Anbieter
von speziellen Produkten mit eher regionaler Ausrichtung angesiedelt. Wichtige Standortkonzentrationen der Medizintechnik finden sich in Berlin/Brandenburg und Thüringen. Für den weiteren
Ausbau der Branche in Ostdeutschland ist eine
enge Vernetzung mit den bestehenden Clustern der
Gesundheitswirtschaft eine dringende Voraussetzung.
Insgesamt waren Ende 2011 nach Angaben der
Bundesagentur für Arbeit 178.556 Beschäftigte in
Deutschland im Bereich der Medizintechnik tätig.
Dabei lag der Anteil der ostdeutschen Länder inkl.
Berlin bei 17%, was 31.097 Arbeitnehmern entspricht (Westdeutschland: 147.459).
Mit 26 und 23% der ostdeutschen Beschäftigung
sind Berlin bzw. Sachsen führend unter den Neuen
Bundesländern, gefolgt von Thüringen (18%) und
Brandenburg (15%). Weniger bedeutend mit jeweils
9% Anteil an der Beschäftigung sind MecklenburgVorpommern und Sachsen-Anhalt.
Autoren: T. Güra, K. Voß
Beschäftigte in der Medizintechnik (2008-2011)
9000
Herstellung von (zahn-)medizinischen Apparaten und Materialien
Quelle: BfA, 2013
Autor: C. Schürmann
8000
7000
6000
5000
4000
3000
2000
1000
0
Berlin
86
Brandenburg
MV
Sachsen
Sachsen-Anhalt
Thüringen
Branchenschwerpunkte im Überblick
87
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Biotechnologie: Ein farbenfroher Wachstumsmarkt
Als junge Technologie ist die Biotechnologie forschungsintensiv mit langfristig interessanten wirtschaftlichen Perspektiven. In den letzten Jahren konnten sich die ostdeutschen Bioregionen gut entwickeln, wobei weiteres Wachstum im Bereich der industriellen Biotechnologie zu erwarten ist.
Die Biotechnologie gilt als eine der wachstumsstärksten Zukunftsbranchen weltweit. Sie steht
somit auch im Fokus der ostdeutschen Wirtschaft.
Anwendungen der Biotechnologie reichen von der
Medizin und Pharmazie über Ernährung und Lebensmittelherstellung bis hin zur chemischen Industrie und der Verfahrenstechnik. Es handelt sich
um eine Querschnittsdisziplin, die die Erkenntnisse
aus Chemie, Biologie und Ingenieurswissenschaften für neue Anwendungen kombiniert.
Die unterschiedlichen Bereiche werden heutzutage
nach ihrer Anwendung in rote, grüne, weiße sowie
graue, braune und gelbe Biotechnologie unterteilt.
In der DDR markierten die ersten Staatsaufträge
zur Gentechnik den Beginn der molekularen Biotechnologie, wobei sie erst 1983 mit der Erwähnung in den Wirtschaftsplänen der DDR als Schlüsseltechnologie erkannt wurde. Das Ziel war es, den
wahrgenommenen internationalen Rückstand aufzuholen. Insgesamt konnte die DDR in der molekularen Biotechnologie aber nur wenige Fortschritte
erzielen, was vor allem an dem Fehlen von geeigneten Geräten und Materialien lag.
Gegenwärtig ist die wirtschaftliche Bedeutung der
Biotechnologie noch gering. 2011 gab es in
Deutschland 552 „reine“, vor allem kleine und
mittlere, Biotechnologieunternehmen und weitere
126 biotechnologisch tätige Unternehmen, davon
157 bzw. 22 in Ostdeutschland. Gegenüber dem
Jahr 2005 (480 reine Biotechnologieunternehmen
und 59 weitere biotechnologisch tätige Unternehmen, Ostdeutschland 143 bzw. 8) bedeutet dies
eine Steigerung von mehr als 25% bundesweit und
etwa 20% für Ostdeutschland. Von den insgesamt
16.300 Beschäftigten der reinen Biotechnologieunternehmen waren 2011 rund 22% (3.550) in den
Neuen Ländern angestellt. Drei Jahre zuvor lag die
Zahl bei bundesweit 14.450, davon 3.290 in den
Neuen Ländern. Damit stieg die Zahl der Beschäftigten von 2008 bis 2011 um etwa 13% bundesweit
bzw. 8% im Osten.
Das Zentrum der ostdeutschen Biotechnologie
bildet die Metropolregion Berlin/Brandenburg mit
Fokus auf die rote Biotechnologie, gefolgt von
Sachsen mit Schwerpunkt auf regenerativer Medizin. Aber auch in den anderen ostdeutschen Bundesländern gibt es ausgewiesene Biotechnologiecluster. Die Karte zeigt die Standorte der reinen
Biotechnologieunternehmen. Es gibt eine Großzahl
anderer Unternehmen, die sich, neben klassischen
Herstellungsverfahren, immer mehr auch biotech-
88
nologischer Methoden (z.B. Pharmaunternehmen)
bedient. Die Schwerpunkte der einzelnen Regionen
liegen in verschiedenen Bereichen:








Diagnostik: Berlin-Brandenburg, Thüringen,
Sachsen,
Tissue Engineering (künstliche Herstellung biologischer Gewebe) und regenerative Medizin:
Berlin/Brandenburg, Sachsen,
Pharmaentwicklung: Berlin/Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt,
Pflanzenbiotechnologie: Sachsen-Anhalt, Berlin
/ Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,
Industrielle Biotechnologie: Berlin/Brandenburg,
Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern,
Biochips: Thüringen, Berlin/Brandenburg,
Sachsen,
blaue Biotechnologie: MecklenburgVorpommern,
Bioinstrumente / Biophotonik: Thüringen.
Bislang nimmt im gesamtdeutschen Vergleich Ostdeutschland bis auf Berlin/Brandenburg noch eine
eher untergeordnete Position gegenüber den Bioregionen in Bayern, Baden-Württemberg, NordrheinWestfalen und Hessen ein. Auch im internationalen
Vergleich ist Ostdeutschland nur in wenigen Bereichen konkurrenzfähig.
Ein Wettbewerbsnachteil Ostdeutschlands ist die
geringe Verfügbarkeit von Wagnis- und Beteiligungskapital, wodurch die Finanzierung der unternehmerischen Entwicklung sowie Expansionsbestrebungen der Unternehmen erschwert werden.
Außerdem wächst die europäische und internationale Konkurrenz, auch durch die boomenden asiatischen Länder wie Indien und China.
Insgesamt aber konnten sich die ostdeutschen
Bioregionen in den vergangenen Jahren gut entwickeln. Sie haben vor allem in den bisher nicht so
stark besetzten Feldern (insbesondere in der weißen Biotechnologie) gute Chancen auf weiteres
Wachstum und damit auf die Schaffung hochqualifizierter Arbeitsplätze. Teilgebiete der weißen Biotechnologie sind unter anderem die Nutzung umweltfreundlicher Verfahren und nachwachsender
Rohstoffe als Energieträger.
Autor: K. Voß
Branchenschwerpunkte im Überblick
89
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Verkehr und Logistik: Gateways und Hubs
Der Flughafen Leipzig / Halle sowie die Seehäfen Rostock und Saßnitz sind die „Tore zur Welt“ Ostdeutschlands in der Logistikwirtschaft. Transportketten im Osten bauen auf exzellente, Maßstab
setzende Güterverkehrszentren auf; KEPs hadern mit der geringen Bevölkerungsdichte.
Verkehr und Logistik haben eine doppelte Funktion:
Zum einen besitzen sie eine dienende Funktion für
die Volkswirtschaft, um Rohstoffe und Vorprodukte
anzuliefern bzw. Fertigprodukte zu versenden. Zum
anderen repräsentieren sie einen eigenen Wirtschaftszweig mit signifikanten Arbeitsplatzpotenzialen. Arbeitsplätze entstehen in den Hubs (Häfen,
Flughäfen, Güterverkehrszentren), bei Speditionen,
KEPs sowie in verwandten Branchen (Tankstellen,
Kfz-Betriebe etc.).
Als Exportnation ist Deutschland auf funktionierende Hubs angewiesen, insbesondere auf Seehäfen
und Flughäfen. Der Containerumschlag in Seehäfen wird dominiert vom Hamburger Hafen und den
Bremischen Häfen, gefolgt von Lübeck, Cuxhaven
und Kiel. Wilhelmshaven spielte diesbezüglich in
der Vergangenheit eine untergeordnete Rolle, durch
den neuen Tiefwasserhafen (JadeWeserPort) wird
sich seine Rolle im Containerumschlag in absehbarer Zeit allerdings verbessern. Seehäfen in
Mecklenburg-Vorpommern haben keinen signifikanten Container-, dafür Massen- und Stückgutumschlag. Rostock und Saßnitz sind zudem wichtige Fährdrehscheiben für die Verkehre nach Skandinavien und in die Baltischen Staaten.
Güterumschlag ausgewählter Häfen 2011 (in ME) (Stat.
Bundesamt, 2013; eigene Berechnung)
Hafen
Stückgut
(t)
74898995
Container
(TEU)
9035091
Fahrzeuge
Hamburg
Massengut
(t)
39470972
Wilhelms.
Bremen
24367775
9278817
20218
59502690
0
5924539
0
9404
Rostock
9823906
8260977
594
876014
Lübeck
886657
16777879
141900
1023092
Kiel
906787
3394955
31636
437676
Wismar
1957698
1316228
0
0
Saßnitz
488252
2497748
287
209354
Lubmin
51937
54359
0
0
Wolgast
387596
23478
0
0
37
Flughäfen mit höherem Luftfrachtaufkommen finden sich ebenfalls fast ausschließlich in den westlichen Bundesländern, mit Frankfurt/M, Köln/Bonn
und München als Hauptumschlagspunkte. Der
Güterumschlag in Frankfurt/M ist dabei doppelt so
hoch wie der Umschlag an den drei nachfolgenden
Flughäfen zusammen. Nach der Verlagerung des
internationalen DHL-Hubs von Brüssel zum Flughafen Leipzig/Halle im Jahre 2008 nahm dieser
allerdings einen rasanten Aufschwung im Luft-
90
frachtaufkommen. Seit 2012 nimmt er nun mit
mehr als 780.000 Tonnen die zweite Position in
Deutschland hinter Frankfurt/M ein. Die ostdeutschen Flughäfen in Dresden und Rostock, aber
auch die Berliner Flughäfen, spielen bislang noch
keine Rolle im Luftfrachtverkehr.
Für einen funktionierenden Logistikstandort sind
allerdings nicht nur diese internationalen Gateways
von entscheidender Bedeutung, sondern gleichermaßen Güterverkehrszentren (GVZ:) in der Nähe
der Ballungszentren.
Die GVZ verteilen sich über ganz Deutschland, mit
räumlichen Schwerpunkten entlang von Wasserstraßen (Rhein, Donau, Mittellandkanal) und in den
Großräumen Rhein-Ruhr und Berlin; um Berlin
haben sich die Standorte Großbeeren (Berlin-Süd),
Grünheide-Spreeau und Wustermark (Berlin-West)
sowie Frankfurt/Oder etabliert. Darüber hinaus gibt
es in Ostdeutschland zahlenmäßig nur wenige GVZ
(Seehafen Rostock, Dresden, Glauchau, Flughafen
Leipzig, Magdeburg und Erfurt). Allerdings schneiden diese in dem 2012er-Ranking der Deutschen
GVZ-Gesellschaft (DGG) deutschlandweit qualitativ
sehr gut ab: Nach den Spitzenreitern Bremen und
Nürnberg landet Großbeeren (Berlin-Süd) auf Patz
3, gefolgt von Leipzig und Glauchau auf den Plätzen 4 und 5, Wustermark (Berlin-West) wurde 7.,
Erfurt belegte den 8. und Dresden den 10. Platz.
Insgesamt konnten sich neun ostdeutsche GVZ
unter den deutschen Top 20 platzieren. Da mit
Ausnahme des GVZ Dresden alle ostdeutschen
GVZs ihre Platzierung seit dem Ranking 2008 halten bzw. verbessern konnten, setzen sie hinsichtlich ihrer Infrastrukturausstattung und Dienstleistungen Maßstäbe in Deutschland.
Güterverkehrszentren (GVZ):
Hierunter versteht man Logistikzentren, in denen Güter
zwischen unterschiedlichen Verkehrsträgern umgeladen,
für Ladungen zusammengestellt, neu kommissioniert
und für Transportfahrten vorbereitet werden. Der Güterumschlag erfolgt in den meisten Zentren zwischen Straße und Schiene, manche Zentren haben darüber hinaus
auch direkte Flughafen- oder Wasserstraßenanbindungen. Neben den eigentlichen Umschlagseinrichtungen
bieten GVZ i.d.R. auch weitergehende Dienstleistungen
an wie z.B. Reparaturdienste, Übernachtungsmöglichkeiten, oder Zoll- und Güterabfertigungsleistungen. GVZ
werden von einem Betreiber betrieben, wobei manche in
öffentlicher Hand, manche in privater und manche in
öffentlich-privater Trägerschaft sind.
Branchenschwerpunkte im Überblick
91
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Rang
2012
1
1
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
GVZ
Bremen
Nürnberg
Berlin-Süd
Leipzig
Glauchau
Emsland
Berlin-West
Erfurt
Coevorden
Dresden
City GVZ Berlin
Berlin-Ost
Kassel
Emscher
Trier
Augsburg
Göttingen
Rheine
ETTC Frankfurt/O.
Wolfsburg
Punkte
273
273
270
243
237
227
215
207
201
199
196
194
188
187
165
164
161
153
145
131
Rang
2008
1
2
3
4
17
6
8
30
--5
--20
12
9
10
31
25
--22
23
Rang
2004
1
6
3
5
15
12
4
25
--11
--14
20
9
8
33
29
--22
18
Während Güterverkehrszentren Umschlagsstandorte darstellen, die ihre Dienste diskriminierungsfrei
allen Firmen der Logistikbranche anbieten, haben
Kurier-, Express- und Paketdienstleister (sogenannte KEP-Dienstleister) eigene Infrastrukturen
aufgebaut zur Kommissionierung, Verteilung und
Zustellung von Paketen und Warensendungen.
In Deutschland haben sich sieben führende Unternehmen etabliert (DHL/Post, DPD, FedEx, GLS,
Hermes, TNT, und UPS), wobei DHL/Post, FedEx,
TNT und UPS als globale Dienstleister fungieren.
Neben diesen gibt es zudem eine Reihe regional
und lokal operierender KEP-Dienstleister.
Um ihren Kunden eine möglichst reibungslose
Warenzustellung zu ermöglichen, verfolgen die KEP
unterschiedliche Strategien. Einige haben ein dezidiert hierarchisches System von internationalen
Hubs, nationalen und regionalen Hubs und kleinteiligen Zustellbasen errichtet (z.B. DPD, UPS), wäh-
rend andere zwar ein dichtes Netz an Zustellbasen
aber mit nur geringer Ausdifferenzierung betreiben
(z.B. Hermes), während wieder andere ein System
von nur wenigen Standorten bevorzugen (FedEx).
Hinsichtlich der räumlichen Verteilung von KEPStandorten gilt, dass sich die Hubs und Zustellbasen in Ostdeutschland auf die Räume Berlin, Dresden, Leipzig, Magdeburg und Rostock konzentrieren. KEP-Standorte in ländlichen Regionen Ostdeutschlands sind, im Gegensatz zu Westdeutschland, aufgrund der geringen Bevölkerungs- und
Firmendichte (=fehlende Nachfrage), Mangelware.
Autor: C. Schürmann
Entwicklung Speditionswesen in Ostdeutschland:
Eine Umfrage der Zeitschrift trans aktuell unter ostdeutschen Speditionsunternehmen über die Entwicklung der
Speditionsbranche in den Neuen Ländern 20 Jahre nach
der Deutschen Vereinigung ergab insgesamt ein positives Fazit. Die Deutsche Einheit hat den Betrieben in der
ehemaligen DDR wirtschaftliches Wachstum und selbstbestimmte Entfaltungsmöglichkeiten ermöglicht. Die
befragten Unternehmen waren sich einig, dass eine
solch rapide Entwicklung ohne die Wiedervereinigung
nicht möglich gewesen wäre. Allerdings sei die Branche
durch eine Zunahme von Vorschriften und Gesetzen
auch komplizierter, und durch zunehmende Konkurrenz
aus dem In- und Ausland auch schnelllebiger geworden.
Einfache Transporte von A nach B seien nicht mehr
gewünscht, sondern die Firmen müssten heutzutage
übergreifende Logistik-Dienstleistungen anbieten, um im
Markt bestehen zu können. Einige ostdeutsche Firmen
haben dazu verstärkte Zusammenarbeit mit westdeutschen Partnern angestrebt, andere haben selber kreative
Lösungen und Angebote entwickelt – wozu ihnen oftmals
das zu DDR-Zeiten entwickelte Improvisationstalent zum
Vorteil gereichte.
(eurotransport.de, 15. März 2011,
www.eurotransport.de)
Luftfrachtumschlag an ausgewählten
dt. Flughäfen (in Tonnen, 20062012)
Beschäftigte in Logistikbranche
(2012)
200000
2000000
Quelle: Stat. Bundesamt, 2013;
eigene Berechnungen
Autor: C. Schürmann
Quelle: Logistics made
in Germany, 2013
Autor: C. Schürmann
180000
160000
140000
1500000
120000
100000
1000000
80000
60000
500000
40000
20000
0
0
Frankfurt/M Leipzig/Halle Köln/Bonn
92
München
BE/BB
MV
SN
ST
TH
Branchenschwerpunkte im Überblick
93
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Aufbruch ins digitale Zeitalter – IKT als Schlüsseltechnologie
Die IKT-Branche ist einer der größten Branchen und Innovationstreiber (E-Commerce und EBusiness, E-Energy, E-Health, E-Learning und E–Mobility). Bedeutende Standorte mit europäischem Rang in Ostdeutschland sind vor allem Berlin/Brandenburg und Silicon Saxony um Dresden.
Kaum eine andere Branche wird im 21. Jahrhundert
die Lebens- und Arbeitsbedingungen stärker verändern als die Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT). Die IKT bildet die technologische Basis der Wissensgesellschaft. Als Querschnittstechnologie ermöglichen Internet und Digitaltechnik Neuerungen in anderen Industriebranchen, im Servicesektor (E-Commerce, EBusiness), in der öffentlichen Verwaltung (EGovernment), im Energiesektor (E-Energy, Smart
Grids) und im Gesundheits-, Bildungs- und Verkehrswesen (E-Health / E-Learning / E-Mobility).
Zu den größten Marktsegmenten in Deutschland
zählen IKT-Hardware und –Systeme, Software, ITServices und TK-Dienste. IKT-Investitionen initiieren in den Anwenderbranchen Produkt- und Prozessinnovationen und steigern somit Produktivität,
Wachstum und Beschäftigung.
Das Potenzial der IKT für wissensbasierte Arbeitsplätze, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zeigt
sich an folgenden Zahlen:





Die IKT-Branche zählt mit 895.000 Beschäftigten und 152 Milliarden Euro Umsatz (2012) zur
zweitgrößten Industriebranche in Deutschland.
Sie hat damit die Automobil- und Elektroindustrie überholt, und liegt knapp hinterm dem
Maschinenbau. In den IKT-Anwenderbranchen
sind rund 650.000 weitere Spezialisten tätig.
Das IKT-Technologiefeld wird von hochinnovativen Klein- und Mittelunternehmen dominiert.
Von den rund 75.000 IKT-Unternehmen (2010)
hatten über 65.000 weniger als 5 Mitarbeiter.
Die IKT-Branche ist stark internationalisiert, ca.
50% der Umsätze werden im Ausland erzielt.
Deutschlands Stärken liegen traditionell bei ITAnwendungen in den führenden Industriezweigen Maschinenbau, Fahrzeugbau, elektronische
Geräte und Medizin- und Umwelttechnik.
Mit jährlich über 5.000 IKT-Patentanmeldungen
zählt Deutschland hinter den USA und Japan zu
den weltweit wichtigsten Forschungs- und Innovationsstandorten, gefolgt von Südkorea,
UK, Schweden, Finnland sowie China / Taiwan.
Obwohl der IKT-Sektor ein relativ junger Wirtschaftszweig ist, sind die Firmen auf bestimmte
Regionen und Cluster konzentriert. In Westdeutschland sind die Regionen um Stuttgart, München, Frankfurt/Main und Düsseldorf führend. Als
ostdeutsche Standorte mit besonderem IKTPotenzial gelten Berlin/Brandenburg und Dresden
(Silicon Saxony). Berlin/Brandenburg ist einer der
94
bedeutendsten Medien-, Kommunikations- und ITStandorte in Deutschland. Seine Attraktivität für
„kreative Köpfe“ und die breit aufgestellte Forschungslandschaft (u.a. IuK-Gruppe des Fraunhofer-Instituts) dürften in wissensintensiven IKTMarktsegmenten weitere Wachstumsperspektiven
eröffnen.
Silicon Saxony e.V. bildet mit mittlerweile 300 Mitgliedsfirmen und mehr als 20.000 Mitarbeitern das
größte Unternehmensnetzwerk der Mikroelektronikindustrie in Europa (DDR-Vorläufer 1957: VEB
Spurenmetalle Freiberg – Siliziumblöcke und Wafer
/ 1961: Arbeitsstelle für Molekulartechnik – integrierte Schaltkreise), ist aber im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise unter erheblichen Druck
geraten. Neben international führenden Firmen
haben sich auch zahlreiche mittelständische, innovative Unternehmen in der Region niedergelassen,
begünstigt durch eine leistungsfähige Forschungslandschaft (u.a. TU Dresden und Freiberg, acht
Fraunhofer-Institute, Max-Planck-Institut (Halle),
Helmholtz-Zentrum (Dresden-Rossendorf)..
Zu den führenden Unternehmen zählen Infineon
Technologies (Dresden), Compound Materials
(Freiberg), Siltronic (Freiberg) , Advanced Mask
Technology Center – AMTC (Dresden, Joint Venture
von GLOBALFOUNDRIES mit Toppan Photomasks
– USA), GLOBALFOUNDRIES (Dresden), Solarwatt
(Dresden) Intel Mobile Communications Technology (Dresden), AMEC (Chemnitz).
Die Geschäftsfelder reichen von Speicherchipherstellern über Waferproduzenten und –verarbeiter bis
hin breitgefächereten IKT-Zuliefer- und Anwenderindustrien.
Um die Branche national und international wettbewerbsfähiger zu machen, wird eine Ausrichtung der
IKT-Förderung auf Bereiche wie Verkehr, Energie
und Gesundheit angestrebt. Aufholbedarf scheint
deutschlandweit im Bereich E-Government und ECommerce zu bestehen, ebenso die Überbrückung
des „digitalen Grabens“ zwischen Wirtschaft und
Verwaltung.
Als größte Wachstumsbremsen gelten neben der
internationalen Konkurrenz auch aus (asiatischen)
Schwellenländern der wachsende Fachkräftemangel (2013 43.000 offene Stellen für IT-Experten
nach Angaben des Branchenverbands BITKOM,
und unzureichender Zugang zu Kredit und Venture
Capital.
Autor: G. Braun
Branchenschwerpunkte im Überblick
95
Teil 5: Industriepolitik für Ostdeutschland - Perspektiven und Entwicklungspotenziale
„Es gibt nichts Praktischeres als eine gute Theorie“, so der deutsche Soziologie Sir Ralf Dahrendorf.
Diese Erkenntnis ist in den Naturwissenschaften unumstritten, in der Wirtschaftspolitik hingegen
werden oft Maßnahmenbündel ohne theoretischen Unterbau entworfen.
In der praktischen Wirtschaftspolitik ist es immer
wieder erstaunlich, in welchem Ausmaß Pläne
aufgestellt, Maßnahmenbündel entworfen, Machbarkeitsstudien angefertigt werden – von der
Durchführung von Investitionsprogrammen ganz zu
schweigen - ohne dass theoretische, genauer
gesagt: entwicklungstheoretische Erkenntnisse
explizit berücksichtigt werden.
Tatsächlich versetzt eine bloße Beschreibung der
ostdeutschen Wirtschaftsentwicklung die Politik
nicht in die Lage, diese Entwicklung zielgerichtet zu
beeinflussen. Möglich ist dies nur auf der Basis
einer „guten“ Theorie. Einen bewährten theoretischen Ansatz bietet das „Diamantmodell“ des
amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers Michael Porter.
struktur, Industriekapital und Arbeitskräfte. Während erstere natürlich gegeben sind, müssen Infrastruktur, Industriekapital und qualifizierte Humanressourcen mit hohen Investitions-, Bildungs- und
Forschungsaufwendungen produziert werden. Derart produziertes Kapital löst in innovationsgetriebenen Wirtschaften wie der Ostdeutschen die natürlichen Standortfaktoren als Motoren ökonomischer
Entwicklung ab. Je besser die Qualität, die Verfügbarkeit und Spezialisierung des Infrastruktur-, Human- und Industriekapitals ist, desto höher werden
Produktivität, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit
sein.
Porters Ausgangsfrage ist einfach: Wie entsteht die
internationale Wettbewerbsfähigkeit einer Region,
in unserem Falle Ostdeutschlands, und wie kann
man sie verbessern?
Eine Region gilt dann als wettbewerbsfähig (ability
to compete), wenn sie auf lange Sicht mehr Güter
und Dienstleistungen exportiert als importiert (ability to sell) und wenn sie mehr Kapital und Arbeitskräfte anzieht als an konkurrierende Regionen zu
verlieren (ability to attract).
In Anlehnung an Porters Diamanten mit seinen vier
Facetten sollten vier Wachstums- und Wettbewerbsfaktoren in möglichst hohem Maße erfüllt
sein, damit sich die industrielle Zukunft eines Landes, einer Region und einer Branche erfolgreich
entfalten kann:
1. hohe Qualität der Produktionsfaktoren (Faktorbedingungen),
2. unternehmerische Kompetenzen und Strategien
(Firmenstrategie und Wettbewerb),
3. innovatives und kooperatives Verhalten (Verwandte – unterstützende Branchen) sowie
4. Orientierung auf Wachstumsfelder und Exportfähigkeit (Nachfragebedingungen).
Erstens verfügt jede Region über spezifische Produktionsfaktoren: natürliche Ressourcen, Infra96
Zweitens müssen die ostdeutschen Unternehmer
über eine nachhaltige Firmenstrategie, Führungsqualitäten und unternehmerische Kompetenzen
verfügen. Hierzu zählen etwa Wagemut, Risikobereitschaft, Planungsvermögen und Innovationskompetenz.
Drittens ist die Einbettung der ostdeutschen Betriebe in regionale Netzwerke verwandter Firmen /
Branchen, Forschungs- und Bildungseinrichtungen
sowie Fördereinrichtungen strategisches Element
internationaler Konkurrenzfähigkeit.
Perspektiven und Entwicklungspotentiale
Viertens entscheidet über internationale Wettbewerbsfähigkeit die regionale Existenz qualitätsbewusster Verbraucher und Abnehmer, deren hohe
Ansprüche an Produkt und Dienstleistungen die
ostdeutschen Hersteller zu immer neuen Innovationen zwingen. Je anspruchsvoller die regionale
Nachfrage bei Qualität, Design, Lieferbedingungen,
Umwelt-, Gesundheits- und Servicestandards ist,
desto erfolgreicher werden die ostdeutschen Firmen auch auf internationalen Märkten agieren können. Die Region wird so zum Test für den Weltmarkt.
Das „Diamantenmodell“ besagt, dass es nicht nur
auf einen Faktor ankommt, sondern dass möglichst alle vier Facetten des Diamanten gut „geschliffen“ sein sollten, um im internationalen Wettbewerb erfolgreich sein zu können. Bemerkenswert
ist, dass dieses Modell einen hohen Wert auf Kompetenzen und Professionalität der Unternehmer und
auf innovative und kreative Netzwerke und Milieus
einer Region legt, ‚weiche’ Faktoren, die – verglichen etwa mit Infrastrukturprogrammen - nicht im
Mittelpunkt einer Förder- bzw. Industriepolitik stehen.
Die skizzierten vier Faktoren beeinflussen und verändern sich wechselseitig. Anspruchsvolle Konsumenten erhöhen die Konkurrenz, was zur Entwicklung spezifischer Firmenstrategien führt, zur Mobilisierung produktiver Kompetenzen von Netzwerken
und Clustern.
Bei allen vier Faktoren lassen sich für die ostdeutsche Industrie (wenn diese Verallgemeinerung zulässig ist) spezifische Wettbewerbsvorteile und
Wettbewerbsnachteile ermitteln nach dem Motto:
„Die Stärken stärken, und die Schwächen schwächen“, jeweils orientiert an den vier Ecken des
Diamanten:
Hieraus folgt für eine innovationsorientierte Wirtschaftspolitik:
1. Ziel muss sein, in der internationalen Hierarchie
der Regionen für Ostdeutschland eine Spitzenposition im Wettbewerb der spezifischen Branchen, Märkten, Produkte und Dienstleistungen
zu erringen bzw. zu halten.
2. Notwendige Bedingung zur Erlangung internationalen Konkurrenzfähigkeit ist die Erarbeitung
besonderer, schwer nachzuahmender Wettbewerbsvorteile (komparativer Wettbewerbsfähigkeit):



Entwicklung spezialisierter und mittelfristig
nicht imitierbarer Faktorbedingungen, die
durch Anwendung von Wissen, Forschung,
Bildung und Entwicklung produziert werden.
Firmenstrategien, die auf unternehmerischer
Kompetenz und internationaler Qualifikation
der Fach- und Führungskräfte beruhen.
Fähigkeit und Bereitschaft zur regionalen
und internationalen Zusammenarbeit gründen.

Entwicklung einer anspruchsvollen regionalen Nachfrage, die Verbraucheraufklärung,
Produktwissen und ästhetische Kompetenz
fordert.
Folgt man dem Modell von Porter, dann muss
Industriepolitik breit angelegt sein. Sie darf sich
nicht auf Schaffung innovationsfreundlicher Rahmenbedingungen wie wenig Bürokratie, niedrigen
Steuern oder einer leistungsfähigen Infrastruktur
begrenzen. Auf diesen Feldern bestehen im Übrigen recht gute Standortbedingungen in den neuen
Bundesländern (vgl. Teil II – Standortbedingungen).
Im Mittelpunkt müssen vor allem Antworten auf die
besonderen Strukturschwächen der ostdeutschen
Industrie gegeben werden: Die aus der Kleinteiligkeit der Industriestruktur resultierenden Probleme
bei Zugang zu Kredit und Personal, bei der Eroberung von Märkten, der Entwicklung neuer Produkte
und Verfahren sowie einer erfolgreichen Integration
in die arbeitsteilige und vernetzte Weltwirtschaft.
Zusätzlich zu einer breit angelegten branchen- und
technologieübergreifenden Förderung kleiner und
mittlerer Unternehmen ist dabei ein vielfältiges, z.T.
unübersichtliches Instrumentarium (die sogenannte
‚Förderkulisse’: Mittelstandsförderung, Innovationsförderung, Solidarpakt II, EU-Strukturfonds) entwickelt worden. Ziel ist u.a. der Aufbau eines unternehmerischen Kapitalstocks durch Investitionszuschüsse und Kredite, die Stärkung der Innovationskraft und der Qualifikationen der Arbeitnehmer.
Wenn man so will, eine Orientierung an den Faktorbedingungen von Porters Diamantmodell.
Um konkreter auf die Problemlagen speziell kleiner
und mittlerer Unternehmen in strukturschwachen
Regionen einzugehen, wird es insbesondere um die
Förderung von Vernetzungen und Kooperationen
gehen müssen (Komponente: Unterstützende
Branchen im Diamanten). Dieser Vorschlag folgt
der Erkenntnis, dass nicht die „Kleinheit“ eines
Unternehmens, sondern seine „Einsamkeit“ entscheidender Wettbewerbsnachteil ist. Der Markt
verlangt häufig komplette Lösungen und Angebote,
die ein kleines Unternehmen nicht allein abdecken
kann. Kooperationen auf der Produktionsebene
(Produktionszellen), Kooperationen mit technologischen Spezialisten und wissenschaftlichen Einrichtungen (innovative Netzwerke), Nutzung von spezifischen Kompetenzen und Technologien und branchenübergreifenden Ideen vor Ort (Cluster) sowie
Kooperationen im Marketing und im Zulieferbereich
(Vertriebskooperationen) stehen hier im Fokus.
Diese Elemente schließen ausdrücklich auch die
Vernetzung von Leistungen entlang der sog. Wertschöpfungsketten ein. Hierauf sollte die Förderpolitik künftig noch stärkeres Gewicht legen.
Schaffung von Netzwerken und innovativen
Milieus, die auf Sozialkompetenz, Vertrauen,
97
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Neben der Förderung und Unterstützung überbetrieblicher Zusammenarbeit kommt es insbesondere auch auf die Qualität des Managements und der
Führungskräfte zur Bewältigung der strategischen
Herausforderungen an (Porters „Firmenstrategie
und Wettbewerb). Hier geht es um unternehmerische Antworten auf die schnellen technologischen
Entwicklungen und Verschiebungen der Wachstumsmärkte in aufstrebende Industrie- und
Schwellenländern.
Kleine Unternehmen können damit schnell überfordert sein. Strategische Leistungen setzen daher die
Bündelung der Fähigkeiten und des Wissens von
Unternehmen, Wissenschaften und staatlicher
Institutionen voraus. Wirtschaftspolitik verschiebt
sich hier von der Förderung ‚harter’ Wettbewerbsfaktoren zu ‚weichen’ Faktoren – der Entwicklung
unternehmerischer Kompetenzen, von Existenzgründungen und der Lösung des unternehmerischen Nachfolgeproblems.
Ein Atlas der Industrialisierung Ostdeutschlands
ohne ein Kapitel zur praktischen Politik wäre ein
Atlas der „halbierten Vernunft“. Einerseits. Anderseits ist die Frage, ob und wie die Industrialisierung
der Neuen Bundesländer politisch vorangebracht
werden kann, durchaus umstritten. Da bekanntlich
der schöpferische Mensch Bodenschätze, Arbeitskraft und Technologie mobilisiert (und nicht umgekehrt), liegt das Schwergewicht der folgenden
Beiträge auf den Potenzialen von schöpferischen
98
Menschen (Humanressourcen), von Unternehmern,
Fach- und Führungskräften bis zu Wissenschaftlern
und Forschern sowie ihren innovativen Netzwerken.
Dies mag eine radikal einseitige Sicht sein, aber
sie deutet an, wo die Potenziale Ostdeutschlands
liegen.
Diese und weitere Aspekte werden in den folgenden Kapiteln konkret beschrieben. Sie reichen von
der wichtigen Rolle der Innovation über die Förderung von Selbständigkeit als Impulsgeber für innovationsgetriebene Volkswirtschaften bis hin zu
Weltoffenheit und der nicht ganz neuen Erkenntnis,
dass nicht mehr „Kapital“ und „Arbeit“ so sehr den
Erfolg hochentwickelter Gesellschaften bestimmen,
sondern „Kreativität“.
Abschließend bleibt die tröstliche Erkenntnis:
Aufstieg und Fall von Regionen sind kein Schicksal
– wie Erfolgsgeschichten von Südkorea und Kalifornien bis zu Räumen in Württemberg, Bayern,
Thüringen und Sachsen demonstrieren.
Durch unternehmerische Initiative, qualifiziertes
Fachpersonal und eine weitsichtige Wirtschaftspolitik ist es Regionen immer wieder gelungen, im
internationalen Wettbewerb mitzuhalten.
Dies gilt auch – und gerade – für Ostdeutschland.
Autoren: G. Braun, T. Güra
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
99
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Wachstumstreiber Innovation: Forschen für die Zukunft
Eines der zentralen Probleme der ostdeutschen Wirtschaft ist der geringe Anteil forschungsintensiver
Großunternehmen. KMU scheuen häufig F&E-Risiken; ihnen fehlt meist auch Zugang zum notwenigen Kapital. Daher liegt der Schwerpunkt der F&E-Aktivitäten bei öffentlich finanzierten Einrichtungen.
Forschung, Entwicklung und Innovation bilden die
Grundlage für zukünftiges Wachstum. Sie sind
Motoren für den Wohlstand einer Volkswirtschaft.
Auch zu DDR-Zeiten war man sich der zentralen
Bedeutung von Forschung und Entwicklung (F&E)
für den wirtschaftlichen Fortschritt bewusst. Nicht
zuletzt galten sie als wichtige Faktoren im Wettkampf der Systeme. Neu entwickelte Technologien
wurden von den Wissenschaftseinrichtungen der
DDR an die entsprechenden Betriebe weitergegeben, wo diese in den Produktionsablauf eingebunden werden mussten. Da die Betriebe bei der Entwicklung nicht beteiligt wurden, war die F&E kaum
auf deren Bedürfnisse und Betriebsprozesse abgestimmt. Dieses Koordinationsproblem wurde in den
1980er Jahren erkannt und sollte durch Stärkung
des beidseitigen Austausches zwischen Wissenschaft und Industrie gelöst werden. Allerdings wurden aufgrund fehlender Anreize für die Beteiligten
keine entscheidenden Verbesserungen erzielt.
1989 waren 86.000 Beschäftigte in der industriellen
Forschung und Entwicklung in der DDR tätig (etwa
30% in außeruniversitären Einrichtungen, 10% an
Hochschulen). Beim Vergleich mit Westdeutschland zeigt sich, dass das Verhältnis von F&EBeschäftigten zur Gesamtzahl aller Beschäftigten
annähernd gleich, aber die Ausrüstung in der DDR
sehr viel schlechter war. Seit den 1980er Jahren
musste sich die Industrieforschung den größer
werdenden chronischen Mängeln an Ersatzteilen
und Ausrüstungsgütern widmen. Weiterhin gehörten
die Nachentwicklung und Imitation von Produkten
aus dem westlichen Ausland zu den Forschungsund Entwicklungsaufgaben in der DDR. Eine Studie
zum ostdeutschen Innovationssystem kommt sogar
zu dem Schluss, dass es in der DDR keine Innovationen und damit auch kein Innovationssystem im
heutigen Sinne gab. So musste nach der Wende
ein gänzlich neues marktwirtschaftlich funktionierendes Innovationssystem eingeführt werden.
2011 betrugen die gesamten F&E-Ausgaben in
Deutschland etwa 74,6 Mrd. Euro – das entspricht
ca. 2,9% des BIP. Die räumliche Verteilung der
Ausgaben ist allerdings sehr unterschiedlich. Der
Schwerpunkt der F&E-Kapazitäten von Unternehmen befindet in den südwestdeutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern und Hessen.
100
Hier sind die forschungsintensivsten Branchen
besonders stark vertreten (vor allem Kraftfahrzeugbau, Elektrotechnik, Maschinenbau). Bedeutende
Forschungszentren sind in der Region Stuttgart,
gefolgt von Oberbayern (hier insbesondere München) sowie den Ballungsräumen Rhein-Main und
Rhein-Neckar. Der große Vorsprung in F&E ist der
Vielzahl der hier ansässigen Stammsitze und
Deutschlandniederlassungen intensiv forschender
Unternehmen geschuldet.
In Ostdeutschland sind die forschungsintensiven
Branchen immer noch unterrepräsentiert. Ein zentrales Problem ist das Fehlen von Großunternehmen. Kleine und mittelständische Unternehmen
scheuen häufig die F&E-Risiken und haben nicht
die Möglichkeit zur Risikostreuung wie Großunternehmen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der
schwierige Zugang zum Kapitalmarkt aufgrund
fehlender Sicherheiten, so dass die Finanzierung
von F&E-Projekten scheitert. Der Beitrag der Subventionen zur industriellen Forschung und Entwicklung in den Neuen Ländern ist daher bemerkenswert hoch. Kurz nach der Wende wurde die forschende Tätigkeit von 80 bis 90% der ostdeutschen Unternehmen gefördert.
Der Schwerpunkt von F&E liegt in Ostdeutschland
bei öffentlich finanzierten Einrichtungen, wie Hochschulen und außeruniversitären Forschungsinstituten: etwa 60% der Ausgaben werden durch den
Staat getätigt (alte Bundesländer: ca. 30%). Auch
der Anteil außeruniversitärer Forschungseinrichtungen ist in den Neuen Bundesländern sehr viel höher
als in den Alten. Von den insgesamt 273 Einrichtungen der großen staatlichen Forschungsorganisationen befinden sich 104 in den Neuen Ländern:




Max-Planck-Gesellschaft: 25 von 89,
Fraunhofer Gesellschaft: 33 von 85,
Leibniz-Institute: 42 von 83,
Helmholtz-Gemeinschaft: 4 von 16.
Diese Konzentration der Forschungseinrichtungen
kennzeichnet eine hohe staatliche Förderung in den
Neuen Ländern.
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
101
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Deutschland ist einer der forschungs- und patentintensivsten Standorte weltweit. Dies zeigt die vergleichsweise hohe Anzahl an Patentanmeldungen,
der Indikator des F&E-Outputs (Anhang A.3).
Förderung im Osten aufgelegt. Ein Rückgang von
F&E sollte verhindert werden. Zuerst dominierte die
Personalförderung sowie die Auftrags- und Gründungsförderung. Später folgten die Projektförderung und die Förderung von Netzwerken. Der Beitrag staatlicher Subventionen zur industriellen F&E
in den Neuen Ländern ist bemerkenswert hoch.
Ohne die Förderung wäre das derzeitige F&ENiveau in den Neuen Ländern nicht zu halten. Teilweise zeigte sich in der Vergangenheit, dass die
langjährige Förderung in den Neuen Ländern offenbar zu einer gewissen Abhängigkeit von den zur
Verfügung gestellten Mitteln und zu einer niedrigen
Innovationseffizienz (Verhältnis von Innovationserträgen zu Innovationsaufwendungen) geführt hat.
Der gesamtdeutsche Durchschnitt liegt bei 57 Patentanmeldungen je 100.000 Einwohner (für 2012).
Allerdings ist der Beitrag der Neuen Länder eher
gering und liegt mit nur 20 Patenten je 100.000
Einwohnern weit unter dem Durchschnitt (Westdeutsche Bundesländer 66 Patentanmeldungen je
100.000 Einwohner). Mecklenburg-Vorpommern
(11), Brandenburg (12) und Sachsen-Anhalt (11)
zeigen mit Abstand die niedrigsten Werte. Die
Kennziffern wie F&E-Aufwendungen, F&EPersonalintensität und Patentanmeldungen zeigen
die Unterschiede zwischen Ost und West auf.
Autoren: T. Güra, K. Voß
Zur Verbesserung des ostdeutschen Forschungspotentials haben Bund und Länder frühzeitig nach
der Wiedervereinigung Programme zur F&E-
Patentanmeldungen führender Industrieländer (Zahl je 1 Mio Einwohner)
500
450
Quelle: EPAPAT, WOPATENT, OECD, Fraunhofer-Instituts f. System- u. Innovationsforschung
Autor: C. Schürmann
400
350
300
250
200
150
100
50
0
1991 92
102
93
94
95
96
97
98
99
00
01
02
03
04
05
06
07
Finnland
Frankreich
Italien
Schweden
UK
Kanada
USA
Japan
EU
Deutschland
08 2009
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
103
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Mitarbeiter in den Mittelpunkt: Strategien gegen den Fach- und Führungskräftemangel
Das Erwerbspotenzial wird vor allem in Ostdeutschland erheblich schrumpfen und älter werden.
Fachkräfte in MINT-, Gesundheits- und Pflegeberufen werden bereits gegenwärtig dringend gesucht. Ein Konzept zur Vergrößerung der Erwerbsbevölkerung und zu seiner Höherqualifizierung wird
in diesem Abschnitt entwickelt.
Nach der Transformation in eine wettbewerbsfähige
Marktwirtschaft sieht sich der Standort Ost vor zwei
neuen Herausforderungen gestellt: Dem Übergang
zur Wissensgesellschaft und dem demografischen
Wandel.
Gegenwärtig wandeln sich die weltweit führenden
Technologie- und Industrieregionen, und damit
auch der Osten Deutschlands, zu Wissensgesellschaften. Die Produktion, Akkumulation und Verteilung von Wissen werden zum Motor wirtschaftlicher
Entwicklung und gesellschaftlichen Fortschritts.
Fach- und Führungskräfte sichern Innovationsfähigkeit und Wachstum der deutschen Volkswirtschaft. Forscher, Unternehmer und Manager
schaffen Neues und generieren industrielle Arbeitsplätze auch für geringer qualifizierte Erwerbstätige.
Für die Versorgung der Bevölkerung, etwa im Gesundheits- und Bildungswesen, sind sie unverzichtbar. Kurz: Die Mitarbeiter einer Firma sind ihr
wertvollstes Kapital. Die rentabelste Investition ist
langfristig die Investition in die Köpfe.
Bildungsökonomische Studien kommen zu dem
Ergebnis, dass die Verbesserung des Humankapitals (d.h. menschlichen Wissens) bis zu 60% zum
gesamtwirtschaftlichen Wachstum beiträgt.
Demografischer Wandel bedeutet für Ostdeutschland: Das Erwerbstätigenpotenzial wird merklich
kleiner und älter werden. Nach Prognosen der Bundesregierung wird die Zahl der Erwerbspersonen in
den Neuen Bundesländern bis zum Jahr 2025 um
etwa 20% sinken.
Bevölkerungsrückgang und Wandel zur Wissensgesellschaft bedeuten in der Konsequenz: Der Standort Ostdeutschland benötigt mehr und besser qualifizierte „Manpower“.
Die skizzierten Entwicklungen treffen Ost-, und mit
zeitlichem Abstand auch Westdeutschland, nach
Regionen, Branchen und Betrieben, nach
Stadt/Land, Nord/Süd, Sektoren und Qualifikationen durchaus sehr unterschiedlich:


Die ländlichen Regionen haben stärker unter
Bevölkerungsschwund und Abnahme des Erwerbstätigenpotenzials zu leiden als städtische
Räume.
Der Norden (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt) stärker als der Süden (Thüringen,
Sachsen) und die Mitte (Berlin, Brandenburg).
104

Die Landwirtschaft, Handwerks- und Industriebetriebe stärker als Banken, Versicherungen
und der Staat.
Akuter Fachkräftemangel herrscht gegenwärtig in
sogenannten MINT-Berufen (Mathematiker, Informatiker, Naturwissenschaftler, Techniker), bei
Ingenieuren, in Gesundheits- und Pflegeberufen,
bei Landärzten und Krankenschwestern. Informatiker und Ingenieure werden nahezu verzweifelt gesucht, etwa in der Medizin-, Energie- und Umwelttechnik. Im September 2013 fehlten dem deutschen Arbeitsmarkt knapp 130.000 ‚MINTler’ (so
der MINT-Herbstreport 2013).
Wie der demografische Wandel bei den Unternehmen ankommt, zeigen Befragungen des Instituts
der Deutschen Wirtschaft Anfang 2013: Fast zwei
Drittel der Betriebe gehen davon aus, dass sie
aufgrund des Fachkräftemangels künftig höhere
Kosten für interne Weiterbildung haben werden.
Fast jeder fünfte Betrieb glaubt sogar, aufgrund
von Personalengpässen künftig Aufträge ablehnen
zu müssen.
Obwohl sich der Fachkräftemangel seit Jahrzehnten abzeichnet, sind in Deutschland erst in jüngerer
Zeit Gegenstrategien entwickelt worden. Die Bundesregierung etwa definiert fünf Pfade zur Sicherung der Fachkräftebasis:
1. Aktivierung von Fachkräften und Beschäftigungssicherung,
2. Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
3. Bildungschancen für alle von Anfang an (lebenslanges Lernen),
4. Über- und innerbetriebliche Qualifizierung: Ausund Weiterbildung sowie
5. Erleichterung der Zuwanderung und Integration
ausländischer Fach- und Führungskräfte.
Dabei sei es, so die Bundesregierung, zunächst die
originäre Aufgabe der Unternehmen und Sozialpartner, dafür zu sorgen, dass der Fachkräftenachwuchs gesichert wird. Aktuell versuchen die
verschiedenen Konzepte zur Fachkräftesicherung
eine Art Quadratur des Kreises: Die Vergrößerung
der Erwerbstätigenzahl (quantitative Komponente)
will man gleichzeitig mit ihrer Verbesserung (qualitative Komponente) kombinieren.
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
Fachkräftemangel (Arbeits los e je 100 gemeldete offene Stellen)
Akademiker
Meister/Techniker
Luft- und Raumfahrttechnik
47
Fachkrankenpflege
27
Informatik
56
Sanitär, Heizung, Klimatech.
59
Elektrotechnik
56
Automatis ierungs technik
76
Fachärzte Innere Medizin
59
Sprachtherapie
76
V er- und Ents orgung
64
Elektrotechnik
80
Mas chinenbau, Betriebs tech.
66
Phy s iotherapie
Automatis ierungs technik
76
Öffentliche V erwaltung
102
Kraftfahrzeugtechnik
78
Aufs icht Elektrotechnik
104
Öffentliche V erwaltung
88
Aufs icht Medizin, Orthopädie
105
Tech. Qualitäts s icherung
96
Kons truktion u. Gerätebau
109
Kältetechnik
32
Altenpflege
33
Bauelektrik
40
Mechatronik
41
Ein Fachkräfteengpass liegt dann vor, wenn die gemeldeten
Arbeitslosen rein rechnerisch die gemeldeten Stellen nicht besetzen
können. Da in der Regel nur etwa jede zweite offene Stelle bei der
Bundesagentur für Arbeit gemeldet wird, geht man bereits dann von
einem Engpass aus, wenn es je 100 gemeldeter offener Stellen weniger
als 200 Arbeitslose gibt.
Triebfahrzeugführer Bahn
45
Hörgeräteakus tik
47
Elektris che Betriebs technik
49
Sanitär, Heizung, Klimatech.
49
Automatis ierungs technik
57
Straßen-, Tunnelwärter
58
94
Beru flich Qu alifizierte
Quelle: Institut d. dt. Wirtschaft, Köln (2013)
Autor: C. Schürmann
105
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Ob und inwieweit diese Maßnahmen greifen und so
den Schwund der Erwerbstätigen aufhalten können,
ist umstritten.
Die substantielle Erhöhung der Zahl weiblicher und
teilweise auch männlicher Erwerbstätiger setzt eine
bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Kinderbetreuungseinrichtungen / Homeoffice / Telearbeit) voraus. Bei Umschulungsmaßnahmen Arbeitsloser hat sich ein Drehtüreffekt eingestellt
(„aus der Arbeitslosigkeit in die Arbeitslosigkeit“),
die Erhöhung der Lebensarbeitszeit ist nicht in
jedem Falle zumutbar (im Jahre 2012 ging jeder
Zweite in Frührente – mit 374.134 Erwerbstätigen
ein hoher Wert). Aktuell gibt es bedeutende Zuwanderungen hochqualifizierter Arbeitskräfte aus
den südeuropäischen Krisenländern. Allerdings
kehrten nach neuesten Zahlen spanische Uniabsolventen bereits nach einem Jahr Aufenthalt
Deutschland wieder den Rücken.
Die Qualifikationen von Fach- und Führungskräften
(=qualitative Politik) können langfristig durch eine
Bildungs- und Weiterbildungspolitik verbessert
werden, die abzielt auf:







Erhöhung der Übergangsraten zu weiterführenden Schulen und Hochschulen, insbesondere
aus bildungsfernen und Migranten-Familien.
Verringerung der Abbrecherquoten in Schulen,
Hochschulen und in der Berufsausbildung (gegenwärtig bis zu 20%).
Verbesserte Zusammenarbeit von Schule,
Hochschule und Wirtschaft durch Übergangsmanagement.
Orientierungen und Inhalten aus guten Gründen
relativ stabil. Sie reagieren auf neue Herausforderungen mit einem time-lag. Es sei daran erinnert,
dass etwa die Ausbildung eines Ingenieurs oder
Facharztes vom Kindergarten bis zum UniAbschluss etwa 25 Jahre dauert. Die Ökonomisierung des Bildungswesens ist problematisch und
umstritten, widerspricht sie doch deutschen Bildungsidealen. Auf der anderen Seite ist das bestehende deutsche duale System der Berufsausbildung international führend, da es nahezu ideal
Theorie (Berufsschule) und Praxis (Arbeitsplatz)
miteinander kombiniert.
Kurz- bis mittelfristig erfolgversprechender erscheinen Initiativen gegen drohende Qualifikationsmängel von Fach- und Führungskräften auf betrieblicher Ebene, etwa (Befragungsergebnisse der
Hans-Böckler-Stiftung 2012):




Stärkere Berufs- und Arbeitsmarktorientierung
des Bildungssystems (siehe etwa den Bolognaprozess an Hochschulen), etwa durch die Einführung dualer Studiengänge an Akademien,
Fachhochschulen und Universitäten.

Kompetenzverbesserung von Schülern, Lehrern
und Studenten im internationalen Vergleich. Der
Standort Deutschland schneidet trotz Fortschritten bei den diversen PISA:-Vergleichstests
der OECD-Länder nur durchschnittlich ab.


Flächendeckende Umsetzung von Konzepten
der Weiterbildung / des lebenslangen Lernens.
Kultur der Weiterbildung: für alle Mitarbeiter.
Eine Schlüsselrolle wird dabei die Aus- und Weiterbildung von Führungskräften einnehmen, etwa
durch Auf- und Ausbau von Führungskraft- und
Managementstudiengängen, die sich an internationalen Standards messen wie: Entwicklung
von
Unternehmerkompetenzen, Internationalität und
Vielfalt unter den Mitarbeitern (sogenanntes Diversity Management).
Wenn überhaupt so sind im Bildungswesen flächendeckend nur langfristig Verbesserungen zu
erzielen. Bildungssysteme sind bei Lernkulturen,
106


Einführung eines demografisch orientierten
Personalmanagements bei Rekrutierung, Weiterbildung, Betriebsbindung (Demografieverträge bestehen etwa in der Chemie- und Metallindustrie sowie bei der Deutschen Post).
Orientierung von Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und Qualifizierungsmaßnahmen an Lebensphasen der Fachkräfte.
Verstärkung innerbetrieblicher Weiterbildung und
Personalentwicklung (Human Ressource- und
Wissensmanagement).
Erhöhung der Attraktivität der Arbeitsplätze
durch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie
und Beruf etwa betriebliche Kindergärten und
Betreuung.
Verbesserung des betrieblichen Gesundheitsmanagements.
Einstellung nicht passgenauer Bewerber und
deren interne Qualifizierung.
Verstärkte Anwerbung qualifizierter Frauen.
Betrieblicher Aufbau von Ausbildungsprogrammen im dualen System.
Einführung interkultureller Managementkonzepte.
Dass eine angemessene Leistungsvergütung, Aufstiegsmöglichkeiten und ein attraktiver Arbeitsplatz
wesentlich zur betrieblichen Bindung und damit zur
Lösung des Fachkräfteproblems beiträgt, , kann
dabei nicht genug betont werden. Ebenso ist die
Attraktivität des Standorts und seiner ‚weichen’
Faktoren (Bildungs-, Gesundheits- und Freizeiteinrichtungen) sowie seines Milieus in Rechnung zu
stellen. Durch Engagement der ansässigen Unternehmen für Kunst, Kultur und Kommunikation am
Standort tragen sie gleichzeitig zur Attraktivität des
Standorts und damit indirekt zu ihrer eigenen bei.
Autor: G. Braun
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
Auswirkungen des demografischen Wandels
% der Unternehmen fürchten ...
... höhere Kosten und Zeitaufwandfür
interne Qualifizierung
64
... erschwerte Rekrutierung von
Fachkräften
37
... höhere Kosten für Rekrutierung von
Fach- und Führungskräften
36
... eingeschränkte
Wachstumsmöglichkeiten wegen
Personalengpässe
34
... erschwerte Rekrutierung von
Auszubildenden
23
... Aufträge können wegen Personalengpässen gar nicht angenommen oder nur
teilweise angearbeitet werden
18
Maßnahmen zur Steigerung der Zahl
der Erwerbstätigen:

Aktivierung und Beschäftigungssicherung Älterer, etwa: Heraufsetzung des Renten- und
Pensionseintrittsalters (67 Jahre und mehr).

‚Rückholung’ von Rentnern und Pensionären in
den Arbeitsmarkt.

Aktivierung und Integration von Arbeitslosen:
Senkung der Arbeitslosenzahlen durch Umschulung und Weiterqualifizierung.

Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf,
etwa durch Erleichterung des Übergangs von
Teilzeit- zur Vollzeitarbeit bei Frauen.

Integration und qualifizierte Zuwanderung, etwa
durch eine weltoffene „Willkommenskultur“, die
den Zuzug qualifizierter ausländischer Fachund Führungskräfte erleichtert.
Quelle: Institut derdeutschenWirtschaft, 2013
Autor: C. Schürmann
107
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Entrepreneurship – Impulsgeber innovationsgetriebener Volkswirtschaften
Unternehmensgründungen – sei es aus Not oder aus Streben nach Selbständigkeit – leisten in Ostdeutschland wichtige Beiträge zur Modernisierung und Verbreiterung der Produktionsstruktur, zu Innovationen, regionaler Beschäftigung und zum Aufbau des unternehmerischen Mittelstands.
Grundsätzlich gib es bei Unternehmens- oder Existenzgründungen zwei unterschiedliche Motivationslagen: Gründungen aus Not (weil man arbeitslos
ist, keine berufliche Alternativen hat) und Gründungen als Chance (Selbstverwirklichung, Streben
nach Autonomie und Einkommen). 2011 waren in
Deutschland 28% Notgründer und 72% Chancengründer. Beide Motive spielten bei Existenzgründungen in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung eine wichtige Rolle. Mit dem Systemwechsel
zur Marktwirtschaft gab es einen Gründerboom
jener dynamischen Persönlichkeiten, die die Chance zum selbständigen Unternehmertum (engl. Entrepreneurship) ergriffen – aber auch unfreiwilligen
Gründungen aus Not von Arbeitslosen, deren Kombinatsbetriebe zusammengebrochen waren oder
aufgelöst wurden.
Unternehmensgründer sind wichtige Impulsgeber
für Neuerungen, wirtschaftliches Wachstum, Einkommen und Strukturwandel. In einer innovationsgetriebenen Volkswirtschaft wie der deutschen
leisten Neugründungen einen Beitrag zur Schaffung
wissensbasierter Arbeitsplätze auch in Zukunftsfeldern, etwa der Medizin- und Umwelttechnik, bei
erneuerbaren Energien und im IKT-Sektor. Neue
Unternehmen forcieren den unternehmerischen
Wettbewerb und befördern damit das Produktivitätswachstum. Eine ausgeprägte Gründungsdynamik trägt zum strukturellen Wandel und zur gesamtwirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit bei,
nicht zuletzt auch zur Entwicklung der mittelständischen Wirtschaft.
Analytisch lässt sich das Gründungsgeschehen
durch Persönlichkeitsfaktoren (Angebotsseite) und
durch regionale Wirtschaftsfaktoren (Nachfrageseite) erklären.
Einige Zahlen zum Gründerland Deutschland 2012:



346.400 Existenzgründungen gegenüber
370.500 Liquidationen. Daraus ergibt sich ein
negativer Gründungssaldo von 24.100. Es wurden weniger neue Unternehmen gegründet als
im selben Zeitraum geschlossen. Die Gründe:
Die hohe Fachkräftenachfrage in der deutschen
Wirtschaft und weniger Existenzgründungen aus
der Arbeitslosigkeit.
Positiver verlief 2012 die Gründerszene in Ostdeutschland, wo 137.441 Gewerbeanmeldungen 130.896 Gewerbeabmeldungen gegenüberstanden, d.h. der Unternehmensbestand ist
um 6.545 gewachsen.
Die regionalen Unterschiede sind in den Neuen
Bundesländern erheblich. Lediglich in Berlin gab
108
es einen Zuwachs von etwa 11.500 Firmen, in
Brandenburg (-650), MecklenburgVorpommern (-280), Sachsen (-247) hielten
sich An- und Abmeldungen in etwa die Waage,
während Thüringen (-1.824) und SachsenAnhalt (-1.934) beträchtliche Verringerungen
des Unternehmensbestands zu verzeichnen
hatten.











Die Selbstständigenquote in Deutschland lag
bei 11%.
Männer sind deutlich öfter selbständig als Frauen (13,3% zu 7,5%)
Ein knappes Drittel aller Existenzgründungen
(29,5%) erfolgte durch Frauen. Zum Vergleich:
Der Anteil von Frauen an allen Erwerbstätigen
lag bei 46,1%. Bei Frauen ist also noch Gründungspotenzial vorhanden.
5 von 10 Gründern haben als höchste Bildungsqualifikation eine Lehre / Berufsfachschule abgeschlossen. 16.7% verfügen über einen
Universitätsabschluss (Gesamtbevölkerung: 9,6
%).
Unternehmerische Selbständigkeit bietet vielen
Menschen ohne Ausbildung eine Perspektive.
Ihr Anteil unter allen Gründern: 16,3%.
Der Anteil von Ausländern unter den Existenzgründern liegt mit 121.728 Gründungen bei
44,8% aller Gründungen in Deutschland, davon
28.704 polnische, 22.121 rumänische und
20.108 bulgarische Gründer (2012).
Die weitaus meisten Neugründungen erfolgten
ohne Mitarbeiter (79,7%).
Bei 7 von 10 Gründungen wird ausschließlich
auf eigene Finanzreserven zurückgegriffen.
59,1% aller Gründungen erfolgen im Dienstleistungssektor, nur 4,9 % im verarbeitenden Gewerbe. Der Grund: Geringerer Kapitalbedarf bei
Dienstleistungen.
Etwa 18% der Gründer kommen mit einer Produkt- bzw. Serviceneuheit auf den Markt. Diese
Neuerungen stärken die regionale, bisweilen
sogar die nationale Innovationskraft.
Durch Gründungen sind 2012 rund 383.000
neue Vollzeitstellen entstanden.
Wahr ist aber auch: „Es gibt in Deutschland
127.000 Selbständige, deren Einkommen nicht für
den Lebensunterhalt reicht. Sie müssen zugleich
Leistungen aus der Grundsicherung, also Hartz IV,
beziehen“ (Heinrich Alt, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit“, zit. in SZ vom 9.11.2012, S. 27).
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
109
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Gesellschaftlichen Auftrieb hat die Förderung von
Entrepreneurship in jüngerer Zeit durch die wachsende Bedeutung von Unternehmertum jenseits
des Marktes erhalten, etwa soziales Unternehmertum (Social Entrepreneurship) in der Altenpflege;
kulturelles Unternehmertum (Cultural Entrepreneurship), der Künstler als Unternehmer und ökologisches Unternehmertum (Eco-Entrepreneurship),
wie bei Greenpeace und Robin Wood. Nicht zuletzt
haben die Herausforderungen einer globalisierten
Arbeitswelt zur Forderung und Förderung eines
‚Unternehmertums innerhalb von Unternehmen’
(Intrapreneurship) geführt. Das Ziel: Die selbständige und selbstverantwortliche Entwicklung und
Umsetzung von Neuerungen und unternehmerischer
Ideen durch die Mitarbeiter.
Unternehmensgründungen sind primär abhängig
von Merkmalen des lokalen und regionalen Umfeldes (nicht des nationalen). Dreierlei ist in diesem
Zusammenhang bedeutsam:


Zwischen West- und Ostdeutschland existieren
trotz mancher Aufholprozesse weiterhin erhebliche Unterschiede im Gründungsgeschehen. Im
Osten stieg die Zahl der Gründungen nach der
Wiedervereinigung stark an und trug ihren Teil
zum wirtschaftlichen Boom der Nachwendezeit
bei. Ende 1990 war ein Teil dieses Booms bereits abgeebbt. Seither liegen die Gründungsaktivitäten in Ostdeutschland in einigen Jahren
signifikant unter denen in Westdeutschland. Der
Grund: Unterschiede im regionalen Umfeld
(niedrige Kaufkraft, mangelnde Netzwerke).
Auf Länderebene bilden die fünf neuen Bundesländer (ohne Berlin) zusammen mit dem
Saarland die Schlusslichter. Berlin liegt als
metropolitane Region neben Hamburg deutlich
vor allen anderen Ländern. Die Zahlen belegen,
dass es im Zeitraum 1999–2011 einen sehr
homogenen Osten gab, dessen Gründungsquoten sich nur geringfügig unterscheiden. Im
Westen sind die Disparitäten zwischen den
Bundesländern insgesamt größer. Daraus
könnte man schließen, dass aus Sicht der
Gründer zwei Standorte Deutschland (West und
Ost) existieren, bei denen die wirtschaftlichen
Bedingungen erheblich differieren (s. Ein
Standort D oder Zwei? Deutschland der zwei
Produktivitäten).

Im internationalen Vergleich rangiert Deutschland 2012 unter den weltweit 23 innovationsgetriebenen Volkswirtschaften beim Gründungsgeschehen an viertletzter Stelle. Spitzenreiter sind
hier die USA, Singapur und Östereich. Schlusslichter nach Deutschland sind Slowenien, Italien
und Japan. Dennoch handelt es sich bei diesem niedrigen Rang um einen beachtlichen Erfolg, denn im Vergleich zu 2008 (erstes Jahr der
Wirtschafts- und Finanzkrise) ist dies eine Steigerung von der vorletzten Position.
110
Beim Gründerland Deutschland zeigen sich signifikante Unterschiede in der Bewertung der physischen Infrastruktur, der Effektivität öffentlicher
Förderprogramme und der Wertschätzung neuer
Produkte auf der einen Seite – die von Experten
allesamt sehr positiv eingeschätzt werden - und
der schulischen und außerschulischen Gründungsausbildung anderseits, die schlechte Werte erhalten. Im internationalen Vergleich besteht in der
Unternehmerbildung ein erheblicher Nachholbedarf,
da hier kein anderes Land schlechtere Bewertungen erhält. Darüber hinaus scheint das in Deutschland vorherrschende Werte- und Normensystem
(Sicherheitsmaximierung, Risikovermeidung) in
etwa das Gegenteil dessen zu sein, was unternehmerische Selbständigkeit ausmacht. Kurz: Eine
flächendeckende Kultur der Selbständigkeit ist
noch zu entwickeln.
Der notwendige Aufbau einer dynamischen, mittelständischen Unternehmerschicht in Ostdeutschland
hat bereits kurz nach der Wende dazu geführt,
dass entsprechende Fördereinrichtungen und programme aufgelegt worden sind. Ihre Zielgruppen, Konzepte, Instrumente und Erfolge variieren
erheblich. Sie reichen vom Aufbau von über 150
Innovations-, Technologie- und Gründerzentren
über Venture Capital-, Schul- und Universitätsprogramme bis zu spezifischen Projekten oder Beratungsprogrammen für Gründerinnen, Jungunternehmer und Migranten. Neuere Ansätze konzentrieren sich auf die Unternehmensnachfolge, da bei
jenen Unternehmern, die im Osten nach der Wende
gegründet haben, ein Generationswechsel ansteht.
Autor: G. Braun
Berliner Geschichten
„Der Tiefflug führt zunächst durch die Montagehalle von
Airbus. Dann ein Schwenk hoch über die Tunnelbaustelle
am Brenner. Oliver Knittel führt mit einem Video vor, was
die mit einer Kamera ausgerüstete Drohne alles kann. Ein
Spaß für jeden Hobbypiloten sei das, sagt der Geschäftsführer der Berliner Firma service-drone.de GmbH.
Für Knittel und seinen Partner Volker Rosenblatt freilich
sind die unbemannten Flugkörper ein knallhartes Geschäft. Im März 2011 gründeten sie ihr Unternehmen, das
ihre selbstentwickelten fliegenden Kamerasysteme Industriedienstleistern, Werbefirmen, Ingenieurbüros oder
Film- und Fernsehproduzenten anbietet. Der Erfolg sei
überwältigend freut sich Knittel. Mit seiner inzwischen auf
20 junge Leute angewachsenen Mannschaft hat er schon
im Gründungsjahr und damit quasi aus dem Stand die
Millionen-Euro-Grenze übersprungen. ››In diesem Jahr
werden wir den Umsatz verdoppeln“ sagt der Firmenchef
stolz. „Damit sind wir Branchenführer in Europa“. Es sind
solche Berliner Firmengeschichten, die dafür sorgen,
dass aus der Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger zugleich die Hauptstadt der Firmengründer machte. Nirgendwo sonst machen sich so viele Menschen selbständig und gründen ihr eigenes Unternehmen wie in Berlin.
Die Stadt wurde zur Hochburg der Internet-Start-ups“
erklärt Sylvius Bardt vom IT- Branchenverband Bitkom. ››
Mehr noch: Berlin ist das Start-up-Zentrum Europas“.“
Steffen Uhlmann, Süddeutsche Zeitung vom 9.11.12
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
111
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Internationalisierung ernst nehmen
Die Internationalisierung ostdeutscher Industriefirmen, gemessen an Exporten und Produktionsstätten im Ausland, ist laufend gewachsen, jedoch gibt es immer noch Rückstände im Vergleich zu
westdeutschen Unternehmen. Eine mögliche Exportstrategie für ostdeutsche KMU wird skizziert.
Ein Blick auf die Ausfuhrstatistik zeigt, dass neben
Fahrzeugen insbesondere Maschinen, elektrotechnische Geräte und chemische Erzeugnisse deutsche Exportschlager sind. Diese Branchen sind in
erster Linie mittelständisch organisiert. Ihre kleinen
und mittleren Firmen haben in den vergangenen
Jahrzehnten das Ausfuhrgeschäft mit viel Elan
erfolgreich vorangetrieben. Einige unter ihnen sind
inzwischen mit ihren Erzeugnissen sogar als Weltmarktführer (Hidden Champions) unterwegs. Erleichtert wird diese Entwicklung durch das gegenwärtige System der Weltwirtschaft mit seinen vier
Freiheiten:


Kodifiziert sind diese Freiheiten in den Prinzipien
der Welthandelsorganisation (WTO), wiewohl sich
nicht alle Mitgliedsländer an sie halten.
Deutschland zählt unbestritten zu den weltoffensten
Gesellschaften. Und es hat unbestritten von dieser
Weltoffenheit mit am meisten profitiert. Obwohl
international nur eine Mittelmacht, ist der Standort
Deutschland



führende Exportnation nach VR China und den
USA,
bedeutendes Empfängerland internationaler
Investitionen,
attraktiver Standort für ausländische Firmen und
Arbeitsmigranten,
112
wichtiger Teil der internationalen Informationsgesellschaft.
Was für den internationalen Akteur Deutschland
gilt, gilt jedoch nicht gleichermaßen für alle seine
Regionen und Unternehmen. Wie nicht anders zu
erwarten, sind die ostdeutschen Länder noch nicht
so weit in das System internationaler Arbeitsteilung
integriert wie die westdeutschen Bundesländer. So
liegt die Exportquote der ostdeutschen Industrie, je
nach Branche und Sortiment, 10–20% unter der
westdeutschen Quote. Dafür gibt es gute Gründe:

Die Logik internationaler Arbeitsteilung ist relativ
einfach: Wenn, wie in einem Unternehmen oder
einer Region, die Nationen jeweils das produzieren,
was sie am besten, d.h. am kostengünstigsten und
qualitativ anspruchsvollsten können und erzielte
Warenüberschüsse mit ihren Handelspartnern austauschen, wird am Ende der „ Wohlstand aller
Nationen“ (so der Ökonom A. Smith bereits im 18.
Jahrhundert) größer sein als bei dem Versuch, alles
selbst herzustellen (Autarkie). Neumodisch ausgedrückt: Die Staaten und ihre Weltmarktfirmen konzentrieren sich auf ihre ‚Kernkompetenzen’.
geschätzter Partner im weltweiten Kultur- und
Wissenschaftsaustausch, und


Ostdeutschland ist international „newcomer“,
war es doch bis vor etwa 25 Jahren Teil des
Planwirtschaftsystems der sozialistischen ‚Bruderländer’ und daher nur sehr begrenzt Teil der
‚kapitalistischen’ Weltwirtschaft. Als die ostdeutschen Unternehmen nach der Wiedervereinigung in die internationale Wettbewerbsordnung integriert wurden, waren die Weltmärkte
praktisch unter den führenden Exportnationen
aufgeteilt. Zur Eroberung von Weltmarktanteilen
werden wettbewerbsfähige Produkte, hinreichende Finanzmittel, kulturelle Erfahrungen und
internationales Knowhow benötigt. Nahezu alles
musste in der ostdeutschen Industrie erst aufgebaut werden.
Die Wirtschaftstruktur Ostdeutschlands ist von
KMU geprägt. Für diese ist die Eroberung von
Weltmärkten aufgrund beschränkter Mittel besonders schwierig. Großunternehmen mit hinreichenden Ressourcen und einer aggressiven
Exportstrategie sind am Standort Ost eher die
Ausnahme. Bei ostdeutschen Filialen (‚Werkbank’-Betriebe) sitzen die Zentralen mit ihren
Auslandsabteilungen im Westen, so dass eigenständige Exportinitiativen ostdeutscher
Tochterfirmen kaum möglich sind.
Bedeutende Branchen der ostdeutschen Industrie bedienen erfolgreich regionale deutsche
Märkte, etwa der Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Textilien und Möbel; denn die Kosten
eines Auslandsengagements könnten in diesen
Märkten die erwarteten Erträge übersteigen.
Dennoch spricht nichts dagegen, dass auch der
industrielle Mittelstand Ost seine Position auf den
Weltmärkten ausbaut und von den Freiheiten der
Weltwirtschaft profitiert.
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
Exporte 2012 der TOP20 führenden Industrienationen (Mrd US$)
90
80
Exporte (Mrd US$
70
1500
60
50
1000
40
30
500
20
Exporte per Kopf (Mio US$)
2000
Quelle: Stiftung Weltbevölkerung 2012
Autor: C. Schürmann
10
0
0
113
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Dennoch spricht vieles dafür, dass der industrielle
Mittelstand Ost sein Auslandsengagement weiter
ausbauen kann. Tatsächlich existieren in den Neuen Bundesländern noch erhebliche Potenziale zur
Steigerung des Exportgeschäfts. Unternehmensbefragungen zeigen, dass zahlreiche Firmen über
exportfähige Produkte verfügen, aber noch nicht
den Schritt in Auslandsmärkte gewagt haben. Gerade kleinere Unternehmen unterschätzen oft ihre
Marktchancen im Ausland, wo „Made in Germany“
(im 19. Jahrhundert von England zur Diskriminierung deutscher Erzeugnisse eingeführt) einen exzellenten Ruf genießt.
Mit einem anhaltenden Verzicht auf Auslandsgeschäfte würden viele Firmen Ost ihre Gewinn- und
Wachstumschancen beschränken. Und in manchen
Fällen sichert nur ein internationales Engagement
das Überleben des heimischen Betriebes.
Dabei verläuft die Internationalisierung von Unternehmen etwa nach folgenden Phasen:









Marktanalysen: Auslandsmarktforschung ist eine
conditio sine qua non. Feststellung einer Marktund Wettbewerbssituation sowie regelmäßige
Marktbeobachtung dienen dazu, das Marktpotential einzuschätzen und attraktive Märkte von
weniger attraktiven zu trennen. Grundsätzlich
gilt dabei: „Es sollte in dem Wald gejagt werden, in dem auch Wild ist.“
114
Internationalisierung als Chefsache: Wichtige
Voraussetzung für ein erfolgreiches Auslandsgeschäft ist die Verankerung des internationalen
Engagements in der Unternehmensstrategie.
Eine Exportabteilung als ‚Anhängsel’ an den Inlandsvertrieb führt ein Schattendasein und kann
nicht das Potential von Auslandsmärkten ausschöpfen.
Gründung eigener Produktionsstätten im Ausland (Direktinvestitionen),
Klare Ziele für das Auslandsgeschäft: Insbe-
Interkulturelle Kompetenz des Personals: Interkulturelle Ausbildung und Einbindung von Mitarbeitern, die für den Auslandseinsatz vorgesehen
sind, sind unverzichtbare Bedingungen einer erfolgreichen Internationalisierungsstrategie, etwa
durch Einsatz von Fachkräften mit Migrationshintergrund.
Aufbau gemeinsamer Produktionsstätten mit
ausländischen Partnern (joint-ventures),
(Re-)Exporte aus deutschen Betrieben im Ausland nach Deutschland.
Investitionsbedarf: Die Kostenseite eines Auslandsengagements wird häufig unterschätzt – in
der Hoffnung, man könne sich „in den Markt
schleichen“. Meist fallen erhebliche Investitionskosten an, so dass sich Kooperationen mit
anderen KMU, Huckepackstrategien mit Großunternehmen oder Joint Ventures mit ausländischen Firmen anbieten.
Gründung eigener Vertriebsnetze und Handelsorganisationen im Ausland,
sondere zu Beginn eines Auslandsengagements
wird der Export eher eklektisch betrieben. Ein
ausländischer Kunde hat von den Produkten erfahren und bittet um ein Angebot. Hieraus entwickelt sich eine Geschäftsbeziehung, die weitere Kunden im Zielland nachzieht – und schon
wird das ‚Zufallsland’ für die ostdeutsche Firmen zum Kernmarkt.


Exporte in europäische Nachbarländer,
Ausfuhren nach Übersee. Verkauf über ausländische Importagenten und –kontore,
Analyse der Produktakzeptanz: Ein typischer
Fehler ist, nicht zu prüfen, ob das Produkt auf
dem ausländischen Markt abgesetzt werden
kann. Der Rückschluss vom eigenen Markt auf
den Auslandsmarkt führt häufig zu Fehleinschätzungen. Dies beginnt bei kulturell anderen
Assoziationen. So ruft der Werbespruch „Nicht
sauber, sondern rein“ deutscher Waschmittelhersteller bei manchen ausländischen Verbrauchern Heiterkeit hervor.
Produktion für den deutschen Binnenmarkt,
Für Erfolge im Auslandsgeschäft gibt es vielerlei
Gründe, vor allem der weltweit gute Ruf deutscher
Industrieerzeugnisse (Made in Germany). Bewährt
hat sich für mittelständische Unternehmen etwa
folgende Exportstrategie:


Exportrisiken im Mittelstand: Überdurchschnittliche
Gewinne im Auslandsgeschäft bedeuten auch
überdurchschnittliche Risiken. Erfolge können auch
zu Abhängigkeiten führen.



Sie sind umso größer, je kleiner das Unternehmen, und je höher der im Ausland erzielte Gewinn oder Umsatz ist. Risikominimierung durch
Diversifizierung der Märkte ist hier angezeigt.
Zu wenig beeinflussbaren Risiken der Weltwirtschaft kommen noch Länderrisiken, politische
Instabilitäten oder nationale Konjunktureinbrüche. Solide Informationen und Absicherungen
sind daher wichtig.
Eine systematische Strategie mit hinreichendem
Ressourceneinsatz vorrangig in Nachbarländern
(mit Marktnähe, niedrigeren Transportkosten
und sprachlich-kultureller Nähe) ist daher einem
spontanen Engagement auf exotischen Märkten
in exotischen Ländern vorzuziehen.
Dessen ungeachtet gibt es hoffnungsvolle Perspektiven. Nicht nur, dass der internationale Handel, Kultur- und Wissenschaftsaustausch laufend
gestiegen sind, inzwischen investiert auch die Ostindustrie verstärkt im Ausland.
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
Auslandsinvestitionen ostdeutscher Unternehmen:
„Die ostdeutschen Industrieunternehmen investieren verstärkt im Ausland. Beinahe jeder vierte Betrieb (24%) steckt laut
Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) Geld in Produktionsstätten jenseits der deutschen
Grenzen. Das sind vier Prozentpunkte mehr als im Vorjahr.
Für DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben ist das aber viel zu wenig. „Es sind nach wie vor nicht einmal halb so viele
Unternehmen wie im Westen“. In den alten Ländern liege diese Quote bei 49%. Die Ostindustriebetriebe hätten zudem die
Wachstumsregionen China sowie Nord- und Südamerika seltener als Zielregion im Blick als die Westfirmen. Während der
Osten China nur zu 28% als potenzielles Investitionsland ausgemacht habe, seien das im Westen 47%. Gar nur 16% der
Ostindustriebetriebe hätten Südamerika im Blick. Im Westen seien es 26%. Die Werte zu Nordamerika:23% im Osten vs. 34%
im Westen.
Stattdessen spielten für den Osten die traditionellen Staaten der Europäischen Union eine deutliche größere Rolle.
Als wichtigen Grund für die unterdurchschnittliche Investitionstätigkeit im Ausland nannte Jutta Günther aus dem Vorstand
des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) die Firmengröße. Die allermeisten Ostunternehmen seien kleine und mittlere. „Sie sind naturgemäß nicht so prädestiniert für Investitionen im Ausland, übrigens auch nicht für Exporte“ sagte die Ökonomin. Hinzukommt, dass die meisten Ostindustriebetriebe als Zulieferer tätig seien und zumeist Westunternehmen beliefern
würden.“
Quelle: Ulrich Milde: Ostindustrie investiert verstärk im Ausland, in: Leipziger Volkszeitung vom 15.4.2013 (gekürzt).
Fazit also: Der Aufholprozess Ostdeutschlands in
Sachen Internationalisierung ist eingeleitet (Stichworte: Exportförderprogramme für KMU; Anreizprogramme für Auslandsinvestoren; Willkommenskultur für ausländische Fachkräfte). Allerdings
ist es ein mühsamer Prozess. Ostdeutschland
konkurriert dabei weltweit mit zahlreichen Regionen. Internationalisierung ist eine zentrale Aufgabe
der Wirtschafts- und Kulturpolitik, sie ist jedoch
nicht in allen Fällen ein Allheilmittel. So steht in der
gegenwärtigen Wirtschafts- und Bankenkrise Ostdeutschland relativ gut da, weil es nicht so stark in
die Weltwirtschaft integriert ist. Und: Internationalisierung beginnt im Kopf, bei der Erziehung in Familie und Schule.
Autor: G. Braun
115
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Endogenes Wachstum – Netzwerke und Cluster fördern
Ostdeutschland verfügt über zahlreiche Cluster sowohl im High-Tech-Bereich als auch in traditionellen Industrien. Ihre Förderung beruht auf verschiedenen länderspezifischen, bundeslandübergreifenden und bundesweiten Maßnahmen.
Cluster nehmen seit der vielbeachteten Arbeit des
US-Managementwissenschaftlers Michael Porter
(1990) einen wichtigen Stellenwert in der Regionalpolitik und raumwissenschaftlichen Untersuchungen ein. Während sich der Begriff des Clusters
ursprünglich auf international wettbewerbsfähige,
eng miteinander verflochtene Branchen eines Landes bezog (industrielle Cluster), wird er dabei heute
vor allem auf unterschiedliche Formen räumlich
konzentrierter, miteinander vernetzter Unternehmen
bezogen (regionale Cluster). Regionale Cluster trifft
man weltweit in unterschiedlichen Feldern (z.B.
Branchen, Technologien) und auf verschiedenen
Maßstabsebenen an. Das nachhaltige Interesse an
ihnen rührt vor allem aus ihrer Bedeutung für die
endogene regionalwirtschaftliche Entwicklung: In
zahlreichen wissenschaftlichen Analysen konnte
nachgewiesen werden, dass sich Cluster positiv
auf die Entwicklung von Regionen auswirken, da
sie Unternehmensgründungen stimulieren, zu einer
erhöhten unternehmerischen Produktivität anregen
und zur verstärkten Innovationstätigkeit der Unternehmen vor Ort beitragen.
Als Prototyp eines sehr erfolgreichen regionalen
Clusters wird gemeinhin das Silicon Valley, eine
Konzentration international erfolgreicher HighTech-Unternehmen in Kalifornien, angesehen.
Zwar ist heute weitgehend unstrittig, dass sich
derartige Erfolgsgeschichten aufgrund ihrer Wechselwirkung mit lokalen Spezifika andernorts nicht
ohne weiteres replizieren lassen. Gleichwohl wird
es für sinnvoll erachtet, die Wahrscheinlichkeit für
die Ausbildung funktionierender Cluster durch verschiedene regionalpolitische Maßnahmen gezielt zu
erhöhen. Letztere betreffen typischerweise sowohl
eine Aufwertung der infrastrukturellen Gegebenheiten (z.B. Forschungsinfrastruktur, Inkubatoreinrichtungen) als auch das lokale Angebot an unterstützenden Dienstleistungen (z.B. Gründungsberatung,
Beratung zu Förderangeboten) sowie die Förderung
der Zusammenarbeit von Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen mit dem Ziel der Netzwerkbildung und der Schaffung eines Clusterbewusstseins.
In Ostdeutschland besitzen regionalpolitische Maßnahmen, die auf dem Clusteransatz basieren, ein
hohes Potenzial, zumal die wirtschaftlichen Aktivitäten in den Neuen Bundesländern klare, historisch
gewachsene regionale Schwerpunkte erkennen
lassen: Eine besonders hohe Dichte an Unternehmensballungen ist im Großraum Berlin gegeben;
hier konzentrieren sich Unternehmen u.a. in den
Bereichen Medienwirtschaft, Maschinenbau und
Biotechnologie. Auch im südlichen Mitteldeutsch116
land (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen)
existieren zahlreiche Unternehmenskonzentrationen, u.a. in der chemischen Industrie, in der Mikro- und Nanoelektronik, in der Bahntechnik, in der
Medizintechnik und im Automobilbau. Weite Teile
Mecklenburg-Vorpommerns, des nördlichen Sachsen-Anhalts sowie Brandenburgs weisen dagegen
nur eine sehr geringe Zahl an Unternehmensballungen auf. Insgesamt schwankt die Zahl räumlicher
Unternehmenskonzentrationen je nach Fragestellung der Untersuchung sowie in Abhängigkeit von
der jeweils gewählten Definition und Abgrenzung
von Clustern nicht unerheblich: eine Studie aus
dem Jahr 2006 beispielsweise identifiziert insgesamt 42 Cluster vergleichbare ökonomische Entwicklungskerne, während eine andere Untersuchung lediglich in 24 Fällen Clusterstrukturen vermutet. Eine weitere Analyse geht von 25 Clustern
und damit von einer vergleichbaren Anzahl aus,
obwohl sie ihren Fokus ausschließlich auf sogenannte Zukunftsfelder (z.B. Nanotechnologie, Logistik, Luftfahrttechnologien) legt.
Die Förderung der beschriebenen regionalen Strukturen ist bislang auf mehreren Ebenen erfolgt:
Einerseits wirkt der Bund über verschiedene Maßnahmen implizit, d.h. im Rahmen primär auf technologiebezogene Netzwerke abstellender Programme (z.B. im Rahmen des Bioregio- oder des
Bioprofilewettbewerbs), andererseits explizit, also
im Rahmen von Maßnahmen mit einem spezifischen lokalen / regionalen Fokus (so z.B. im Rahmen des Förderprogramms Netzwerkaufbau Ost)
auf die Clusterstrukturen ein. Stellvertretend für
zahlreiche weitere Bundesinitiativen sei hier nur auf
den 2007 ins Leben gerufenen Spitzenclusterwettbewerb des BMBF verwiesen, der eine Förderung
von Clustern über einen Zeitraum von fünf Jahren
mit bis zu 40 Mio. Euro jährlich vorsieht. Mit Hilfe
dieser Maßnahme soll es Clustern ermöglicht werden, ein herausragendes Kompetenzprofil mit hoher Innovationsfähigkeit zu entwickeln und zu sichern. Des Weiteren sollen die internationale Netzwerkbildung und Kooperation sowie die Ansiedlung
ausländischer Unternehmen gefördert und innovative Kooperationsformen zwischen Wissenschaft
und Wirtschaft entwickelt und erprobt werden. Von
den insgesamt 15 Gewinnern des Wettbewerbs
befinden sich drei in Ostdeutschland (BioEconomy
Cluster, SolarValley Mitteldeutschland, Cool Silicon).
Neben den erwähnten Bundesmaßnahmen existieren in den Neuen Bundesländern auch diverse
clusterbezogene Landespolitiken (s. Anhang A.7 ).
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
117
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
In Sachsen-Anhalt wurden und werden aufbauend
auf einer von der VDI Technologiezentrum GmbH
und der Technopolis GmbH durchgeführten Clusterpotenzialanalyse aus dem Jahre 2008 Cluster
und Netzwerke u. a. in den folgenden Bereichen
gefördert : Automotive, Chemie/Kunststoffe, Polymerentwicklung und Kunststofftechnik, Biotechnologie, Ernährungswirtschaft, Sondermaschinen und
Anlagenbau, erneuerbare Energien, IKT, Kreislaufund Ressourcenwirtschaft. Ziel der Förderung ist
es, strukturprägende Cluster und Wertschöpfungsketten als Motoren regionaler Innovationssysteme
zu entwickeln und zu unterstützen.
Zentrale Ansatzpunkte der Clusterpolitik in Thüringen sind die Anschubförderung von Geschäftsstellen einzelner Cluster und Netzwerke sowie die
Einrichtung eines landesweiten Clustermanagements (ThCM). Ziel des ThCM ist es, aufbauend
auf den Empfehlungen der Unternehmensberatung
Roland Berger Strategy Consultants bestehende
Cluster zu stärken und neue zu initiieren, die Innovationskraft und das Knowhow der relevanten Akteure zu steigern, Kooperationen anzuregen und
ggf. zu begleiten und die internationale Vernetzung
zu unterstützen. Als relevante Wachstumsfelder
wurden dabei die Bereiche Optik/Optoelektronik,
Life Sciences, umweltfreundliche Energien, GreenTech, Maschinenbau, Kunststoffe und Keramik,
Automobil, Mikro- und Nanotechnik, Mess-/ Steuer-/Regeltechnik, Service-Robotik sowie Ernährung
und Logistik identifiziert.
Die Länder Berlin und Brandenburg fördern im
Rahmen der im Jahr 2011 formulierten „Gemeinsamen Innovationsstrategie“ den zielgerichteten
Auf- und Ausbau von Clustern. Die Maßnahme
betrifft die Bereiche Energietechnik, Gesundheitswirtschaft, IKT, Medien und Kreativwirtschaft, Optik
sowie Verkehr, Mobilität und Logistik. Als zentrale
Aufgabenbereiche der koordinierenden Institutionen
werden die Entwicklung und Schärfung eines Innovationsprofils, die Forcierung des Wissens- und
Technologietransfers, die Förderung der internationalen Vernetzung sowie die Schaffung eines
koordinierten Marketings angesehen.
In Mecklenburg-Vorpommern wiederum werden
unternehmensbezogene und regionale Netzwerke
mit dem Ziel gefördert, gemeinsame Initiativen zur
Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Einrichtungen und regionalen Akteuren
zu entwickeln, Informationsnetzwerke zwischen
Unternehmen aufzubauen, den Zugang zum
Knowhow anderer Unternehmen zu erleichtern sowie die Wettbewerbsfähigkeit, vor allem kleiner und
mittlerer Unternehmen zu verbessern. Wirtschaftsbezogene Netzwerke existieren u.a. in den Bereichen Automobilzulieferindustrie, Bio- und Medizintechnik, Ernährungsindustrie, Gesundheitswirtschaft, IKT, Luft- und Raumfahrtzulieferindustrie
sowie Tourismus.
118
Einzig in Sachsen existieren laut der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und
vom Bundesministerium für Bildung und Forschung
betriebenen gemeinsamen OnlineClusterinformationsplattform
(http://www.clusterplattform.de) derzeit keine clusterpolitischen Landesmaßnahmen.
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich
die ostdeutsche Clusterförderung nicht ausschließlich auf staatliche Programme stützt, sondern
durchaus auch auf der Eigeninitiative privatwirtschaftlicher Akteure vor Ort beruht. Als Beispiel für
eine derartige Bottom-Up-Förderung kann die
Clusterinitiative Mitteldeutschland, ein Verein aus
strukturbestimmenden Unternehmen, Kammern
und Städten, genannt werden, die den Aufbau
selbsttragender, international wettbewerbsfähiger
Cluster in den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt
und Thüringen zum Ziel hat.
Wenngleich die Clusterförderung in Ostdeutschland
zweifellos erste Erfolge zeitigt, erreicht der Unternehmensbestand vielerorts noch nicht die für die
Ausbildung eines funktionierenden Clusters erforderliche kritische Masse (s. Biotechnologie: Ein
farbenfroher Wachstumsmarkt). Auch in bereits
existierenden Netzwerken besteht vielfach noch
Handlungsbedarf in Hinblick auf den Transfer von
Ergebnissen aus der Forschung in die wirtschaftliche Praxis sowie bei der Berücksichtigung und
Integration von regionsexternem Wissen. Um diese
Defizite abzubauen, bedarf es eines verstärkten
Ausbaus von Gründungsinitiativen, insbesondere
an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
sowie einer weiteren Intensivierung von Kooperations- und Netzwerkaktivitäten, auch mit überregionalen Partnern. Schließlich ist aus zwei Gründen in
der Zukunft ein stärker koordiniertes Vorgehen
zwischen den Ländern erforderlich:
Erstens erstrecken sich die funktionalen Bereiche
einzelner Cluster vielfach über die Landesgrenzen.
Zweitens erschweren unterschiedliche wirtschaftspolitische Ausrichtungen und Schwerpunktsetzungen vielfach ein grenzüberschreitendes Handeln.
Die genannten Punkte lassen erahnen, dass Clusterförderung auch für die Zukunft ein dynamisches
Politikfeld Ostdeutschlands bleiben wird.
Autor: S. Henn
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
119
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Toleranz, Talente und Technologie – wo Ostdeutschlands Zukunft liegt
Die essentielle Voraussetzung für Zukunftstechnologien und Weltmarktfähigkeit sind die heutigen
Einsteins und Michelangelos von Morgen! Ohne kreative Köpfe kann keine Nation zum Überholen
beschleunigen. Ostdeutschland konkurriert um die Gunst der Talente aus aller Welt.
„Der schöpferische Geist mobilisiert Kapital, Arbeit,
Rohstoffe – und nicht umgekehrt“, so der Wirtschaftswissenschaftler Jochen Röpke vor 40 Jahren. Im Zuge der Globalisierung bahnt sich ein
fundamentaler Wechsel auf den Märkten der Welt
an. Nicht mehr nur der weltweite Wettbewerb um
Waren und Kapital, sondern auch die Konkurrenz
um „kreative Köpfe“ beherrschen die Marketingstrategien – auch in ostdeutschen Führungsetagen. Abgesehen vom Spätmarxismus, nach
dessen Politischer Ökonomie die materiellen Produktionsverhältnisse den geistigen Überbau determinieren, ist die Erkenntnis, dass wirtschaftliche
Entwicklung „im Kopf“ beginnt, dass sie von der
Initiative, Tatkraft und Kompetenz von Menschen
abhängt, weitgehend unbestritten. Die wissenschaftliche Begründung dieser Erkenntnis hat in
jüngerer Zeit, nach großen Vorreitern wie Immanuel
Kant, Max Weber und Joseph Schumpeter, der
US-amerikanische Ökonom Richard Florida erbracht. Seine These: Die hochentwickelten Industrienationen Nordamerikas, Europas und Südostasiens befinden sich im Übergang zu Wissensgesellschaften. Sie erwirtschaften ihren Wohlstand immer
weniger aus Bodenschätzen, einfacher Arbeitskraft
und industriellen Massenprodukten, sondern aus
unternehmerischer Initiative, technologischem
Knowhow, Hochleistungsforschung und intellektuellen Fähigkeiten. Nicht mehr „Kapital“ und „Arbeit“
bestimmen die wirtschaftliche Entwicklung hochentwickelter Gesellschaften, sondern „Kreativität“.
Sie ist die entscheidende Triebkraft von Innovation
und Wachstum. Dabei ist Kreativität keine Fähigkeit, über die nur Genies, Nobelpreisträger und
Künstler verfügen. Sie stellt ein Potenzial dar, das
alle Menschen besitzen – sicherlich manche mehr
und andere weniger – und in ihre berufliche Tätigkeit einbringen können. Der schöpferische Umgang
mit Neuem und Fremden setzt eine offene Gesellschaft voraus, in der sich gleichermaßen Toleranz,
Talente und Technologie (in dieser Reihenfolge!)
entfalten. Jedes dieser drei „Ts“ ist notwendig,
doch keines für sich genommen hinreichend, um
Neuerungen zu generieren und wirtschaftliches
Wachstum sozialen und kulturellen Fortschritt in
Gang zu setzen.
Zweierlei ist in diesem Zusammenhang wichtig:

Die zeitliche und konzeptionelle Reihenfolge bei
der Umsetzung der drei Ts in eine zukunftsorientierte Standortpolitik ist entscheidend. Eine
weltoffene, tolerante Atmosphäre zieht die Talente dieser Welt an – und Ihre schöpferische
Tätigkeit generiert technologische Neuerungen –
im weitesten Sinne des Wortes.
120

Die sogenannten „weichen“ Standortfaktoren
Toleranz, Vielfalt, kulturelle Erlebniswelten sind
im Kampf um die besten Köpfe in Wahrheit
entscheidende „harte“ Faktoren, nach dem
Motto Friedrich des Großen: „Hier kann jeder
nach seiner Facon selig werden!“
Die Argumentationskette verläuft etwa folgendermaßen:
Toleranz. Zwar ziehen kreative Talente bei der Wahl
ihres Wohn- und Arbeitsorts wirtschaftliche Kriterien in Betracht, etwa Einkommens- und Aufstiegsperspektiven, Arbeitsplatzgestaltung, Wohnund Freizeitsituation. Jedoch gerade bei begehrten
hochmobilen ‚high potentials’ mit beruflichen Alternativen spielen neben hochwertigen Einkaufs-,
Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen weiche
Standortfaktoren wie z.B. eine tolerante Atmosphäre, die kulturelle Offenheit gegenüber Neuem und
Andersartigem in einer Gegend eine ausschlaggebende Rolle (s. Berlin: Hauptstadt mit kreativer
Gründerszene). Ist ein Standort kulturell attraktiv
und weltoffen, zieht er Menschen unterschiedlicher
ethnischer Herkunft, Glaubens- und Lebensformen
an. Der Standort wird für schöpferische Unternehmer, Wissenschaftler, Künstler und Kulturschaffende attraktiv, was ihn wiederum für weitere kreative
Talente lebenswert macht. Gegensätze ziehen sich
hier nicht nur sprichwörtlich an, sondern machen
zudem erfinderisch. Die Folge: Die kreative Klasse
bewegt sich weg von traditionellen Industriestandorten (Kohle und Stahl, Maschinenbau und Elektrotechnik) und hin zu „Creative Centers“ (Florida) der
Wissens- und Informationsgesellschaft. In ihren
kreativen Milieus generieren die Netzwerker, Forscher und Existenzgründer der Medizin- und Umwelttechnik sowie der Kulturwirtschaft (um nur einige Zukunftsfelder zu nennen) neue Ideen, Produkte
und Verfahren.
Kennzeichen für ein tolerantes gesellschaftliches
Klima sind, nach Florida, der Anteil von Ausländern
(Melting-Pot-Index), die Vielfalt der Religionen, der
Anteil von Künstlern (Bohemian-Index), die Diversität der Lebensformen (Gay-Index). Eine hohe Vielfalt der Menschen begünstigt die Generierung und
Verknüpfung neuen Wissens, und ist damit Katalysator weiterer Kreativität.
Talente: Die kreative Klasse (Klasse der Talente)
zeichnet sich durch zwei Kriterien aus:
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
121
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
1.
2.
Sie ist extrem heterogen und wird sehr unterschiedlich abgegrenzt, bestehend aus einem
hochkreativen Kern von Wissenschaftlern,
Forschern, Ärzten, Künstlern, Kulturschaffenden sowie von Erwerbspersonen mit kreativen
Berufen aus dem Management, dem Bildungs- und Gesundheitswesen, der Bankenund Versicherungswirtschaft. Ihre Mitglieder
unterscheiden sich von der traditionellen Arbeiter- und Angestelltenklasse, von einfachen
Dienstleistern und Beschäftigten in Industrie
und Landwirtschaft. Mit Hilfe eines Talentindexes wird versucht, die Größe der kreativen
Klasse empirisch zu ermitteln. Der Gesamtanteil der kreativen Talente an allen Erwerbstätigen ist in den USA seit 1900 von 10 auf
30% gewachsen. Ähnliche Größenordnungen
wurden für Belgien, die Niederlande und
Finnland ermittelt. Deutschland hat, verglichen mit anderen hochentwickelten Ländern,
keine besonders große kreative Klasse. Nach
Untersuchungen des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung liegt ihr Anteil bei
etwa 18% (2005) der Erwerbstätigen.
Wie nicht anders zu erwarten, ist die kreative
Klasse regional sehr ungleich verteilt. In Berlin
und Hamburg beträgt ihr Anteil an den Erwerbstätigen fast 19%. Berlin profitiert traditionell von einer aktiven Kulturszene, einem Zustrom von Intellektuellen und hat eine lange
Tradition der Zuwanderung. Am Ende der
Skala von Kreativen rangieren die Länder Thüringen, Sachsen-Anhalt und MecklenburgVorpommern mit etwas mehr als 13% (u.a.
bedingt durch Abwanderung und einem extrem niedrigem Anteil ausländischer Kreativer).
Spitzenreiter ist das Land Hessen mit 21%
wegen der großen Bedeutung des Finanzsektors und der unternehmensbezogenen Dienstleistungen in der Rhein-Main-Region. Die Beschäftigten dieser Sektoren zählen nahezu alle
zur kreativen Klasse. Bemerkenswert ist dabei, dass die kreative Klasse Sachsens inzwischen mit Niedersachsen und dem Saarland
zwei westdeutsche Länder überholt hat.
Mindestens ebenso bedeutend ist die weltweite
Konzentration von creative cities. In den USA sind
dies u.a. Seattle, San Francisco, gefolgt von Atlanta, Los Angeles und Washington. In Europa
rangieren Städte wie Barcelona, Zürich, Wien,
Istanbul, Mailand, London und Amsterdam vorn; in
Deutschland Berlin, Hamburg, München, Düsseldorf; unter den ostdeutschen Städten Dresden,
Leipzig, Jena, Potsdam und Erfurt.
Technologie: Talente wiederum konstruieren, forschen und entwickeln technische Neuerungen.
Wobei unter Technologie allgemein Verfahren der
Naturbeherrschung und Verbesserung der Lebenssituation verstanden werden. Keineswegs eindeutig
ist jedoch der von Florida behauptete Zusammen122
hang zwischen der regionalen Konzentration einer
kreativen Klasse und der Regionalentwicklung,
etwa dem Wachstum von Innovationen, Wertschöpfung, Einkommen und Beschäftigung. Nimmt
man den Technologieindex: liegen in Deutschland
die technologiestarken Länder Baden-Württemberg
(188 Index-Punkte) und Bayern (157 Punkte) an
der Spitze, während Mecklenburg-Vorpommern (33
Punkte) und Sachsen-Anhalt (30 Punkte) die
Schlusslichter bilden. Auffällig ist dabei, dass alle
Länder, die sich durch viele Patentanmeldungen
auszeichnen, auch überdurchschnittlich viele Mittel
für Forschung und Entwicklung ausgeben.
Bildungs- und wirtschaftspolitisch interessant sind
Abweichungen zwischen der Größe der kreativen
Klasse und der technologischen Entwicklung der
jeweiligen Länder. So hat etwa Berlin bei den Kreativen einen Spitzenplatz, kann dies aber nicht entsprechend in die Wirtschaftsentwicklung der Metropole einbringen (was an der Zusammensetzung der
kreativen Klasse und dem unterentwickelten Industriepotenzial der Hauptstadt liegen mag). Umgekehrt rangiert die Thüringer kreative Klasse lediglich auf dem 14. Platz unter allen Ländern, liegt
aber mit dem 11. Platz bei der Technologieentwicklung bereits vor Schleswig-Holstein und dem
Saarland. In Thüringen konzentrieren sich Wirtschaftsstruktur und Förderpolitik auf technische
Innovationen und Zukunftsfelder.
Unbestritten ist allerdings, dass ein, wenn auch
lockerer, Zusammenhang zwischen regionaler
Konzentration der kreativen Klasse und der Entwicklung einer Region besteht. Dies gilt insbesondere, wenn Entwicklung nicht auf (Hoch-) Technologiewachstum reduziert wird, sondern auch soziale
und kulturelle Verbesserung von Lebensqualität
einschließt.
Ergänzt man die bisherige Momentaufnahme
(=Niveauindex) durch eine Trendanalyse
(=Trendindex), ergeben sich insbesondere für die
ostdeutschen Länder überraschende Ergebnisse:


Für Gesamtdeutschland hat seit 2000 die Größe der kreativen Klasse zugenommen (Indexwert 100 (2000) auf 114 (2005) (neuere Zahlen
liegen nicht vor). Die Zahl der Patente ist gestiegen und auch der Anteil erwerbstätiger
Künstler und Kulturschaffender ist gewachsen.
Insgesamt scheint sich Deutschland weiter in
Richtung auf eine kreative Ökonomie zu entwickeln. In allen Ländern hat der Trend zur Wissensgesellschaft zugenommen, wenngleich mit
unterschiedlichen Wachstumsraten.
Teilt man die Bundesländer in vier Entwicklungskategorien der kreativen Wirtschaft, so
zählen Hamburg, Berlin, Bayern und BadenWürttemberg zu den Spitzenreitern. Hier liegen
sowohl der Niveauindex als auch der Trendindex
über dem gesamtdeutschen Durchschnitt.
Perspektiven und Entwicklungspotenziale
Mit Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und
Sachsen haben sich als Nachzügler auch drei
ostdeutsche Länder, wenngleich von einem
niedrigeren Niveau aus, überdurchschnittlich
entwickelt. Hessen ist von einem relativ hohen
Niveau aus abgestiegen; die Sorgenkinder sind
als „Zurückbleiber“ (unterdurchschnittliches Niveau und unterdurchschnittliche Entwicklung)
ost- und westdeutsche Länder, darunter Brandenburg und Sachsen-Anhalt, aber auch Saarland, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und mit
Nordrhein-Westfalen das größte Bundesland.
Bei Fortsetzung der bisherigen Entwicklungspolitik
wird es vor allem den ostdeutschen Nachzüglern
(Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen) gelingen aufzuschließen.
Talente und Technologie. Damit werden die
Entwicklung einer Zivilgesellschaft, Kultur und
Kommunikation, Internationalität und Weltoffenheit zu Produktionsfaktoren wirtschaftlichen
Wachstums.


Die Gesellschaftsanalyse von der ‚kreativen Klasse’
ist keineswegs unumstritten. Einigkeit scheint im
Folgenden zu bestehen:
1. Die sogenannten „weichen“ Standortfaktoren
sind im weltweiten Wettbewerb um kreative
Köpfe in Wahrheit die „harten“ Faktoren: Toleranz, Weltoffenheit, Akzeptanz des Neuen,
Fremden und Andersartigen spielen auch für die
wirtschaftliche Entwicklung in einer Region eine
ausschlaggebende Rolle.
2. Der schöpferische Umgang mit Neuem und
Fremden setzt eine kreative Gesellschaft voraus, in der sich gleichermaßen Toleranz, Talente und Technologie (wie bereits angeführt, in
dieser Reihenfolge!) entfalten. Jedes dieser drei
Ts ist notwendig, doch keines für sich genommen hinreichend, um Innovationen zu generieren und wirtschaftliches Wachstum zu forcieren.
3. Mit seinen drei Ts bringt Florida ‚weiche’, ideelle
Faktoren in die regionale Standorttheorie ein,
die überwiegend von „harten“ materiellen Faktoren (Nähe zu Autobahnen, Flugplätzen,
Shopping-Zentren) dominiert wird.
4. Und er entwickelt ein neues Standortparadigma:
Nicht die Menschen werden von bestehenden
Arbeitsplätzen in bestimmte Regionen gelockt,
sondern umgekehrt ziehen die Unternehmen mit
ihren Arbeitsplätzen den Menschen hinterher.
Die Jobs folgen der kreativen Klasse (daher
z.B. die Attraktivität von Universitätsstädten und
‚Science Cities’ für Firmenniederlassungen).


Aufgabe einer weltoffenen und zukunftsorientierten Politik wäre es demnach, Rahmenbedingungen zu schaffen, in der sich möglichst viele
kreative Köpfe für ihr eigenes und für das Wohl
der Gesellschaft einbringen können. Dazu zählen in einer globalisierten Welt auch und gerade
Ausländer.
Zukunftsfähig zu sein, heißt, mit weniger materiellen Rohstoffen und mehr kreativen Köpfen
die Lebensqualität künftiger Generationen zu sichern. Bildung und Gebildete stellen gegenwärtig und vermehrt in Zukunft das wichtigste Kapital der hochentwickelten Gesellschaften. Lebenslanges und interkulturelles Lernen in einer
Wissensgesellschaft wird zum Leitbild der
Standortpolitik.
Damit erleben Städte mit ihren urbanen Milieus
eine Renaissance („Stadtluft macht frei“). Wie
man ländliche Räume für die kreative Klasse
attraktiv macht ist, von Ausnahmen abgesehen,
bislang eine unbewältigte Herausforderung. Sie
wird gegenwärtig unter dem Begriff „ländliche
Raumpioniere“ thematisiert.
Viele dieser Ideen sind bereits seit Jahren in der
Alltagsrealität angekommen. Sie werden in Unternehmen „Diversity management“ (Management der ethnisch-religiösen Vielfalt) betrieben
und Abteilungen für Talentpolitik eingerichtet.
Eine Toleranz- und Talentpolitik ist sehr viel anspruchsvoller und langwieriger als die herkömmliche Technologieförderung oder der Bau von Autobahnen: Demokratische Toleranz, Weltoffenheit
und Wertewandel können durch Politik von oben
(top-down) kaum verordnet werden. Sie müssen
von unten wachsen – oder auch nicht. Durch dieses endogene Wachsen ist die Wirkung dafür aber
auch umso nachhaltiger.
Am Ende bleibt die triviale Erkenntnis: Entwicklung,
wie immer man sie im Einzelnen auch definieren
mag, ist stets Entwicklung von Menschen durch
Menschen.
Autor: G. Braun
Umrisse einer zukunftsorientierten Standortpolitik
Falls die Analyse von Florida mehr ist als eine akademische Spielerei – und vieles spricht dafür –
ergeben sich aus ihr eine Reihe weitreichender
Konsequenzen für die Standortpolitik auch in den
Neuen Bundesländern:

Die gegenwärtige Förderpolitik mit ihre zeitlichen wie sachlichen Prioritäten (Technologie,
Talente, Toleranz) ist vom Kopf auf die Füße zu
stellen: Die Reihenfolge muss lauten: Toleranz,
123
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Glossar, Quellenverzeichnis und
Anhänge
Glossar
ABL: Abkürzung für Alte Bundesländer.
Arbeitsproduktivität: Hierunter versteht man den Quotienten aus mengenmäßiger Leistung und mengenmäßigem
Arbeitseinsatz. In dieser Studie dargestellt als Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen.
Aufbau Ost: Darunter wird in Deutschland ein politisches
Programm (Zielvorgabe) bezeichnet, in den neuen Bundesländern ein sich selbst tragendes Wirtschaftswachstum zu erreichen, so die Transferabhängigkeit vom Westen zu reduzieren, die Arbeitslosigkeit zu reduzieren und
so schlussendlich die Lebensbedingungen in Ostdeutschland denen in Westdeutschland anzugleichen.
B-Anteil, B-Rang: Unter B-Anteil wird im Kapitel Erneuerbare Energien der Anteil der regionalen Bruttobeschäftigung in den Erneuerbaren Energien im Verhältnis zur
Anzahl der Arbeitsnehmer im Bundesland verstanden. Der
B-Anteil gibt somit die Bedeutung der Erneuerbaren
Energien für den Arbeitsmarkt im jeweiligen Bundesland
an (zum Vergleich siehe auch R-Anteil, R-Rang).
BB: Abkürzung für das Bundesland Brandenburg entsprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
BE: Abkürzung für das Bundesland Berlin entsprechend
der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
BIP: Abkürzung für Bruttoinlandsprodukt. Dieses gibt den
Gesamtwert aller innerhalb eines Jahres produzierten
Güter, Waren und Dienstleistungen an, die dem Endverbrauch dienen. Es dient als Maß für die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit. Die Veränderungsrate des realen BIP
dient als Messgröße für das Wirtschaftswachstum. Neben
der absoluten Höhe wird das BIP oft auch als BIP je
Einwohner (BIP/Ew) oder BIP je Erwerbstätigen angegeben. Bei internationalen Vergleichen wird das BIP auch in
Kaufkraftstandards angegeben.
BRICS: Die BRICS-Staaten sind eine Vereinigung von
aufstrebenden Volkswirtschaften. Die Abkürzung steht für
die Anfangsbuchstaben der fünf Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.
Brain drain: Englisch für Abwanderung von Fachkräften.
Gegenteil: Brain gain (Zuwanderung von Fachkräften).
Branchenportfolioanalyse: s. Portfolioanalyse.
BW: Abkürzung für das Bundesland Baden-Württemberg
entsprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für
Deutschland.
BWS: Abkürzung für Bruttowertschöpfung. Diese berechnet sich aus dem Gesamtwert der in Produktionsprozessen erzeugten Waren und Dienstleistungen abzüglich des
Wertes der Vorleistungen.
BY: Abkürzung für das Bundesland Bayern entsprechend
der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
Chemiepark: Ein Chemiepark ist ein abgegrenztes Industriegelände, auf dem mehrere unabhängige Unternehmen
der chemischen und pharmazeutischen Industrie tätig
sind. Die Standortunternehmen sind untereinander durch
gemeinsame Wertschöpfungsketten verflochten, und
teilen sich die standortbezogenen Infrastrukturen und
angebotenen Dienstleistungen. Letztere werden i.d.R.
durch eine öffentliche oder private Betreibergesellschaft
des Chemieparks erbracht. Mittlerweile wurde dieses
Konzept auch auf andere Branchen übertragen und man
spricht daher allgemein von Industrieparks.
Cluster: Englisch für Traube, Bündel, Schwarm oder
Haufen. In der Wirtschaft wird unter diesem Begriff die
räumliche Ballung von mehreren Betrieben mit ähnlichen
Merkmalen (Branchen, Werkstoffe etc.) verstanden, die
sich gegenseitig ergänzen und in Netzwerkstrukturen
integriert sind.
CRM: Abkürzung aus der Informationstechnologie, welche
Software bzw. Applikationen zum Content Rights Management (=digitale Rechteverwaltung) bzw. zum Customer-Relationship-Management
(=Kundendokumentationen) beinhalten.
DAX: Abkürzung für Deutscher Aktienindex. Im DAX sind
die Werte der 30 größten Aktiengesellschaften aus den
unterschiedlichsten Branchen gelistet, während der MDAX
50 Werte vor allem mittelgroßer dt. Unternehmen der
klassischen Branchen umfasst. Im TecDAX sind 30 Technologiewerte und im SDAX 50 kleinere Unternehmen
zusammengefasst. Damit repräsentieren die vier Aktienindizes 160 Unternehmen der unterschiedlichsten Branchen – von Kreditanstalten über Bauunternehmen bis hin
zu Automobilherstellern. Einige wenige Unternehmen mit
Sitz im Ausland sind ebenfalls an der Deutschen Börse
gelistet.
Deindustrialisierung: Die Deindustrialisierung kennzeichnet
eine Phase des Übergangs von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft, in welcher es zu einer Abnahme der
Beschäftigung im Industriebereich und zur Zunahme von
Beschäftigung im Dienstleistungssektor kommt.
DGG: Abkürzung für Deutsche GVZ-Gesellschaft (siehe
GVZ).
Edutainment: Zusammengesetzes Kunstwort aus den
englischen Begriffen „Education“ und „Entertainment“
124
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
EE-BIP: Gesamtwert aller innerhalb eines Jahres in der
Branche der Erneuerbaren Energien hergestellten Güter,
Waren und Dienstleistungen (vgl. hierzu auch BIP).
Employee-buy-out (EBO): s. Management-buy-out.
Endprodukt: Hierunter versteht man Güter und auch
Dienstleistungen, die an einen Konsumenten verkauft /
geliefert und somit in der Wertschöpfungskette nicht
weiter verarbeitet werden.
Entrepreneurship: Englisch Für Unternehmertum.
Neben den reinen Umschlagseinrichtungen offerieren
moderne GVZ auch weitergehende, logistikbezogene
Dienstleistungen, wie z.B. Übernachtungsangebote,
Fahrzeugreinigung, Zollabwicklung etc.
Halbware / Halbfabrikate: Hierunter bezeichnet man in der
Produktionswirtschaft teilweise fertig erzeugte Vorprodukte, die entweder zur späteren Weiterverarbeitung bzw.
Fertigstellung auf Lager gelegt, oder aber andere Unternehmen zur Weiterverarbeitung geliefert werden.
HB: Abkürzung für das Bundesland Bremen entsprechend
Erneuerbare Energien (EE): Als erneuerbare regenerative
der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
oder alternative Energien werden Energieträger bezeichnet, die praktisch unerschöpflich zur Verfügung stehen.
Damit grenzen sie sich von fossilen Energien ab, die nicht
regenerierbar sind. Erneuerbare Energien gelten neben
höherer Energieeffizienz als wichtigste Säule einer nachhaltigen Energiepolitik.
HE: Abkürzung für das Bundesland Hessen entsprechend
ERP: englische Abkürzung aus der Informationstechnologie für Enterprise-Resource-Planning (= Einsatzplanung
gaben der Länder zur Finanzierung ihrer Hochschuleinrichtungen.
der in einem Unternehmen vorhandenen Ressourcen).
Erreichbarkeitsindikatoren: Erreichbarkeit lässt sich einfach als Distanz oder Reisezeit ausdrücken. Komplexere
Indikatoren sind Konstrukte aus zwei Faktoren: den Aktivitäten oder Gelegenheiten, die potenziell am Zielort zu
erreichen sind, sowie dem Aufwand, der nötig ist, diese
zu erreichen (Schürmann et al., 2000). Folgende komplexe Indikatoren werden benutzt, um Erreichbarkeit zu
messen:

Tägliche Erreichbarkeit: Gemessen wird hier die
Summe aller Gelegenheiten, die innerhalb einer bestimmten Zeitspanne (z.B. 5 Stunden) mit dem gewählten Verkehrsmittel zu erreichen sind (Törnqvist,
1970).

Potenzialerreichbarkeit: Basierend auf der Annahme,
dass die Attraktivität möglicher Ziele mit deren Größe
steigt, aber mit wachsendem Reiseaufwand sinkt,
wird das Potenzial als Summe aller über den Reiseaufwand gewichteten Ziele berechnet (Hansen, 1959;
Keeble et al., 1982; 1988).
Erwerbslose: s. Erwerbspersonen.
Erwerbspersonen: Erwerbspersonen sind alle Personen
einer Volkswirtschaft, die einer Erwerbstätigkeit nachgehen (Erwerbstätige) oder eine suchen (Erwerbslose). Die
Erwerbsquote berechnet sich daraus als der Anteil der
Erwerbspersonen an der Wohnbevölkerung einer Volkswirtschaft.
Erwerbsquote: s. Erwerbspersonen.
Erwerbstätige: s. Erwerbspersonen.
Exportquote: Anteil des Auslandsumsatzes am Gesamtumsatz in Prozent.
F&E: Abkürzung für Forschung und Entwicklung (auch:
FuE). Entsprechend meint F&E-Personal die Anzahl der
Beschäftigten in Forschung und Entwicklung.
Gateway: Engl. Für Ausfahrt, Torweg, Toreinfahrt. Bezeichnet in der Logistikwirtschaft wichtige Knotenpunkte,
beispielsweise intermodale Terminals, Fährhäfen oder
Grenzübergänge.
GVZ: Abkürzung für Güterverkehrszentrum. Darunter
versteht man Logistikzentren zur Umladung von Gütern
zwischen verschiedenen Verkehrsträgern, zur Zusammenstellung von Ladungen und zur Transportvorbereitung.
der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
HH: Abkürzung für das Bundesland Bremen entsprechend
der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
HS-Ausgaben: Abkürzung für Hochschulausgaben. Aus-
Hub: Englisch für Nabe; bezeichnet eine Hauptumschlagbasis in der Logistikwirtschaft.
Hub-and-spoke: Verteilersystem in welchem zur besseren
Auslastung von Fahrzeugen Sendungen an einer zentralen
Verteilerstelle gesammelt und dann weitertransportiert
werden.
IaaS: englischesprachige Abkürzung aus der Informationstechnik für Infrastructure as a service. Darunter versteht man im Gegensatz zum Kauf die Anmietung von
Rechnerinfrastrukturen (hardware) bei Bedarf.
IGLU: Deutsche Abkürzung für Internationale GrundschulLese-Untersuchung.
Industrialisierung: allgemein bezeichnet man darunter die
Ausbreitung der Industrie, meist einhergehend mit der
Ausbreitung arbeitsteiliger Wirtschaften. Dabei entsteht
die Industrie oft aus gewerblichen Tätigkeiten, und es
kommt zur Aufgliederung in spezialisierte Produktionsschritte, oft auch einhergehend mit einer Mechanisierung
der Arbeit. In Mitteleuropa fand die Industrialisierung
schon im 18. Jahrhundert statt; in anderen Erdteilen ist
sie noch heute zu Gange.
IuK: Abkürzung für Informations- und Kommunikationstechnologie.
JadeWeserPort: Name des neuen Tiefwasserhafens mit
Containerterminal in Wilhelmshaven, der am 21. September 2012 offiziell in Betrieb genommen wurde. Er ist der
einzige Tiefwasserhafen Deutschlands.
KEP: Abkürzung für Kurier-Express-Paket-Dienst. In
Deutschland wird der Markt der KEP-Dienste von folgenden sieben Anbietern beherrscht: DHL, DPD, FedEx,
GLS, Hermes, TNT und UPS. Daneben gibt es regional
operierende kleinere Anbieter, sowie die großen Speditionen, die teilweise ebenfalls KEP-Dienstleistungen anbieten (letztere i.d.R. aber nur für gewerbliche Kunden,
weniger für Privatkunden).
KMU: Abkürzung für kleine und mittlere Unternehmen.
Kombinat: Unter Kombinat verstand man in der DDR und
anderen sozialistischen Ländern eine konzernartige, d.h.
horizontal und vertikal integrierte Gruppe von Volkseigenen Betrieben (VEB) mit ähnlichen Produktionsprofil und
Produktionsverflechtungen.
125
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Konvergenz: Aus dem Lateinischen convergere (für „sich
OECD. Diese untersucht, inwieweit Schülerinnen und
hinneigen“, „zueinander neigen“). In der Wirtschafts- und
Regionalpolitik versteht man darunter die Angleichung
wirtschaftlicher und sozialer Verhältnisse in allen Teilregionen eines Staates.
Schüler gegen Ende ihrer Pflichtschulzeit die Kenntnisse
und Fähigkeiten für eine volle Teilhabe an der Wissensgesellschaft erworben haben.
Leap frogging: Aus dem Englischen. Überspringen von
Branchen zu identifizieren anhand der Entwicklung der
Beschäftigung innerhalb eines Zeitraumes (y-Achse),
sowie der Beschäftigungsanteile der Branchen am Zielzeitpunkt (x-Achse). Zusätzlich kann die absolute Anzahl
der Beschäftigten durch die Kreisgröße im Diagramm
dargestellt werden. Die Einteilung in Aufsteiger, Stars,
Verlierer und Basis erfolgt anhand von Quadranten, die
durch Linien der beiden Durchschnitte gebildet werden.
Damit wird die aktuelle Bedeutung einer Branche für den
Arbeitsmarkt, sowie deren Entwicklung, abgebildet.
Entwicklungsphasen, sich sprunghaft entwickeln
Management-buy-outs (MBO): Hierunter versteht man
eine Unternehmensübernahme, bei dem das Management die Kapitalmehrheit von den bisherigen Eigentümern
erwirbt. Übernimmt die Belegschaft die Kapitalmehrheit,
spricht man hingegen von Employee-buy-out.
MDAX: s. CRM: Abkürzung aus der Informationstechnologie, welche Software bzw. Applikationen zum Content
Rights Management (=digitale Rechteverwaltung) bzw.
zum Customer-Relationship-Management
Portfolioanalyse: Methodik, um starke und schwache
Ranking Standortqualität: Das Ranking basiert auf einem
DAX.
Gesamtindex, der sich aus 58 Einzelindikatoren zusammensetzt, u.a. aus den Bereichen Arbeitsbeziehungen,
Humankapitalausstattung, Infrastruktur und Innovationen.
ME: Millionen Einheiten
R-Anteil, R-Rang: Im Kapitel Erneuerbare Energien wird
(=Kundendokumentationen) beinhalten.
MTU: Die Motoren- und Turbinen-Union Friedrichshafen
GmbH ist eine deutsche Maschinenbaufirma mit Hauptsitz in Friedrichshafen am Bodensee. Sie zählt zu den
weltweit führenden Herstellern von Großdieselmotoren
und kompletten Antriebssystemen.
MV: Abkürzung für das Bundesland MecklenburgVorpommern entsprechend der Liste der ISO-3166-2
Kodierung für Deutschland.
Nanotechnologie (auch Nanotechnik): altgriechisch von
nános, Zwerg. Darunter werden neue Technologien und
Produkte in der Cluster- und Oberflächenphysik, Oberflächenchemie, sowie in der Halbleiterphysik und neuerdings
auch im Maschinenbau und der Lebensmitteltechnik
verstanden. Gemeinsam ist den Techniken, dass sie sich
mit Materialien und Strukturen in der Größenordnung von
Einzelatomen bis 100 Nanometern (nm) beschäftigen.
NBL: Abkürzung für Neue Bundesländer
NI: Abkürzung für das Bundesland Niedersachsen ent-
unter R-Anteil der Anteil der regionalen Bruttobeschäftigung der Erneuerbaren Energien an der entsprechenden
Bruttobeschäftigung in ganz Deutschland verstanden. Der
R-Rang gibt dann den rangplatz innerhalb der Bundesländer in Bezug auf den R-Anteil an.
Raumordnungsregionen: Darunter versteht man in
Deutschland großräumig, funktional abgegrenzte Raumeinheiten für die Raumordnungsberichtserstattung des
Bundes, wobei die funktionale Abgrenzung im Wesentlichen auf Pendlerverflechtungen beruht. Insofern repräsentiert eine Raumordnungsregion eine Kernstadt samt
Umland.
Reindustrialisierung: Die Reindustrialisierung ist der dritte
Schritt einer Industrieentwicklung, und bezeichnet das
Bemühen verantwortlicher Politiker und Stellen, wieder
neue Industrien in alten Industriegebieten anzusiedeln, die
zuvor von Deindustrialisierungsprozessen betroffen waren.
RGW-Staaten: Darunter verstand man die Staaten des
Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe. Dieser Rat entstand
Bestimmung der regionalen Gründungsneigung, welcher
seit 1998 jährlich vom Institut für Mittelstandsforschung
Bonn (IfM Bonn) berechnet wird. Darin ein gehen Existenz- und Betriebsgründungen, Übernahmen sowie Zuzüge von Gewerbetreibenden.
1949 unter sowjetischer Führung als Gegenpol zum Marshallplan der USA zum Wiederaufbau Westeuropas. Bulgarien, die CSSR, Polen, Rumänien, die Sowjetunion und
Ungarn zählten zu den Gründungsmitgliedern, später
folgten Albanien, die DDR (1950), die Mongolei (1962),
Kuba (1972) und Vietnam (1978). Der Rat versuchte
mittels Arbeitsteilung und Abstimmung die Wirtschaftskraft aller beteiligten Staaten verbessern (SÖI – Sozialistische ökonomische Integration). Abgerechnet wurde der
Handel in Transferrubel.
NW: Abkürzung für das Bundesland Nordrhein-Westfalen
RP: Abkürzung für das Bundesland Rheinland-Pfalz ent-
entsprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für
Deutschland.
sprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für
Deutschland.
OECD: Englisch für Organisation for Economic Cooperation and Development (dt. Organisation für wirt-
RTW: Abkürzung für Rettungswagen.
sprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für
Deutschland.
NUI-Index (auch NUI-Ranking): Index (bzw. Ranking) zu
Neuen Unternehmerischen Initiativen in Deutschland zur
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung).
SaaS: englische Abkürzung aus der Informationstechnik
für Software as a service. Darunter versteht man, dass
PaaS: englischsprachige Abkürzung aus der Informationstechnologie für Platform as a service. Darunter ver-
Software nicht als Produkt gekauft sondern als Dienstleistung von einem Kunden gemietet wird. Die Software
läuft dann auf den Servern des IT-Dienstleister.
steht man eine Dienstleistung zur Bereitstellung einer
Computer-Plattform in der Cloud für Entwickler von Webanwendungen.
SCM: englische Abkürzung aus der Informationstechnik
für Software-Configuration-Management, d.h. zur Soft-
PISA: Englische Abkürzung für Programme for International Student Assessment (dt. Internationales Programm
ware-Versionsverwaltung.
zur Mitverfolgung des von Schülern Erreichten). Darunter
versteht man die internationale Schulleistungsstudie der
Deutsche Demokratische Republik, DDR)
126
SBZ – Sowjetische Besatzungszone (bis 1949, danach
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
SDAX: s. CRM: Abkürzung aus der Informationstechnologie, welche Software bzw. Applikationen zum Content
Rights Management (=digitale Rechteverwaltung) bzw.
zum Customer-Relationship-Management
(=Kundendokumentationen) beinhalten.
DAX.
Selbständigenquote: Anteil der Selbständigen an allen
TEN-T – Trans-European Transport Networks: Die transeuropäischen Verkehrsnetze sind Teil der von der Europäischen Union definierten und geförderten Infrastrukturnetze von strategischer Bedeutung für das Zusammenwachsen der Regionen in der EU, die neben Verkehrsnetzen
auch Kommunikations-, Informations-, Ortungs-, Navigationseinrichtungen sowie Pipelines umfassen (Lemke et
al., 2001).
Erwerbstätigen einer Volkswirtschaft (in %).
TEU: Abkürzung für Twenty-Foot Equivalent Unit, und
SH: Abkürzung für das Bundesland Schleswig-Holstein
bezeichnet den Standardcontainer im internationalen
Containertransport. Er wird oft als Größe zur Beschreibung der Ladekapazität von Containerschiffen verwendet.
Ein TEU entspricht einem 20-Fuß-ISO Container.
entsprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für
Deutschland.
SL: Abkürzung für das Bundesland Saarland entsprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
SN: Abkürzung für das Bundesland Sachsen entsprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
Spillover-Effekte: wörtlich Übertragungseffekt (vom englischen to spill – verschütten, überlaufen). In der Regionalforschung versteht man darunter, dass positive (oder
negative) Wirtschaftsprozesse vom Kern eines Agglomerationsraumes bzw. einer Stadt auf die Umlandregionen
ausstrahlen, und dort ebenfalls positive (oder negative)
Prozesse in Gang setzen.
TH: Abkürzung für das Bundesland Thüringen entsprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für Deutschland.
THA – Treuhandanstalt (kurz: Treuhand): Gegen Ende der
DDR gegründete bundeseigene Anstalt mit der Aufgabe,
die Volkseigenen Betriebe der DDR nach den Grundsätzen der Marktwirtschaft zu privatisieren (ganz oder in
Teilen an Investoren zu verkaufen) oder stillzulegen.
ThCM: Abkürzung für Thüringer Clustermanagement
TIMSS: Englische Abkürzung für Trends in International
Mathematics and Science Study. Diese vergleichende
sprechend der Liste der ISO-3166-2 Kodierung für
Deutschland.
Studie erfasst das mathematische und naturwissenschaftliche Grundverständnis von Schülerinnen und Schülern am Ende der 4. Jahrgangsstufe in einem vierjährigen
Rhythmus.
Staatseigentum Gesundheit: Strukturen des Gesundheits-
UBS: Union Bank of Switzerland. Die UBS AG ist eine
wesen in der ehemaligen DDR waren:

Ambulante Versorgung:

Ambulanzen

Betriebsgesundheitswesen:

Dispensairbetreuung:

Jugendgesundheitspflege

Pionierarbeit in der Diabetesforschung und das
erste Krebsregister als besonderes Erbe
Schweizer Großbank mit Hauptsitzen in Zürich und Basel,
die zu den weltweit größten Vermögensverwaltern gehört.
ST: Abkürzung für das Bundesland Sachsen-Anhalt ent-
VDE – Verkehrsprojekte Deutsche Einheit: Ein Bündel von
17 bedeutenden Verkehrsprojekten zur besseren Vernetzung der alten und neuen Bundesländer, die auf Grundlage des sog. Beschleunigungsgesetzes vorrangig umgesetzt wurden.
VEB – Volkseigene Betrieb(e): Rechtsform der IndustrieStart-Up: Junges, gerade gegründetes Unternehmen;
innovative Unternehmen in der Gründungsphase (oftmals
in der IT-Branche), i.d.R. mit hohen (externen) Finanzierungsbedarf in der Starphase
SWOT-Analyse: Englische Abkürzung für StärkenSchwächen-Chancen-Risiken-Analyse. Sie dient der
Positionsbestimmung sowie der Strategieentwicklung von
Unternehmen, Organisationen oder Regionen.
Talentindex: Index zur Stärken-Schwächen-Analyse einer
Region im Hinblick auf seine Talente, definiert als der
Anteil von Personen mit Hochschulabschluss an der
Bevölkerung plus den Anteil von Erwerbstätigen in kreativen Berufen an allen Erwerbstätigen.
TecDAX: s. CRM: Abkürzung aus der Informationstechnologie, welche Software bzw. Applikationen zum Content
Rights Management (=digitale Rechteverwaltung) bzw.
zum Customer-Relationship-Management
(=Kundendokumentationen) beinhalten.
DAX.
Technologieindex: Index zur Stärken-Schwächen-Analyse
einer Region im Hinblick auf seine Technologieführerschaft, definiert als Zahl der Patente und Hochtechnologiepatente je 100.000 Einwohnern plus den Anteil der
Ausgaben für F&E einer Region am regionalen BIP.
und Dienstleistungsbetriebe in der DDR, gegründet nach
sowjetischem Vorbild, als Ergebnis der Enteignung und
Verstaatlichung von Privatunternehmen.
Venture Capital: Englisch für Risiko- oder Wagniskapital.
Meist durch Beteiligungsgesellschaften den Unternehmen
gegeben in Form von vollhaftendem Eigenkapital.
Vorprodukt: Hierunter bezeichnet man in der Produktion
fertiggestellte Produkte und Teilkomponenten, die als
Komponente in Endprodukten benötigt werden.
Wanderungssaldo (auch Wanderungsbilanz): Das Wanderungssaldo bezeichnet die Differenz zwischen Zu- und
Abwanderung in einem festgelegten Zeitraum in einer
bestimmten Region (Nation, Bundesland, Regierungsbezirk Kreis oder Kommune).
Weiche Standortfaktoren: Standortfaktoren bestimmen die
Attraktivität eines Standortes für Unternehmen verschiedener Branchen, wobei verschiedene Branchen unterschiedliche Ansprüche an einen Standort stellen. Räumliche Unterschiede in den Ausprägungen dieser Faktoren
führen zu einer räumlichen Differenzierung von Standortqualitäten, welche wiederum zu einer räumlichen differenzierten Standortwahl von Unternehmen führt. Aufgrund
der Ubiquität von harten Standortfaktoren (Infrastruktur,
Arbeitskräfteangebot, Ressourcenverfügbarkeit, Steuern,
127
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Legislative, Nähe zu Absatzmärkten) spielen in den
jüngsten Jahren zunehmen weiche Standortfaktoren eine
entscheidende Rolle für Standortentscheidungen von
Unternehmen. Letztere beinhalten Faktoren wie das Bildungs- und Kulturangebot, Freizeitangebote, Umweltqualität, soziales Umfeld etc., mithin Faktoren, die bei
der Anwerbung hochqualifizierter Arbeitnehmer immer
wichtiger werden.
128
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
Daten- und Literaturverzeichnis
Die verwendeten Daten- und Literaturquellen werden im
Folgenden zunächst nach Kapiteln und innerhalb der
Kapitel alphabetisch geordnet.
Die Industrie als Motor wirtschaftlicher Entwicklung
Abelshauser, W. (2012): Über alle Krisen hinweg – das deutsche
Modell beweist seine Stärke. Interview in: RegioPol eins + zwei,
Hannover, S. 43-49.
Ambrosius, G.; Plumpe, W.; Petzina, ‚D. (Hrsg.) (1996): Moderne
Wirtschafsgeschichte. Eine Einführung für Historiker und Ökonomen. München.
Busse, C. (2012): Die große Versuchung. In: Süddeutsche Zeitung vom 8.11.2012.
Erhard, L. (2000): Wohlstand für Alle. Düsseldorf.
Paqué, K.-H. (2009): Die Bilanz. Eine wirtschaftliche Analyse der
Deutschen Einheit. München.
Ritter, G. A. (2006): Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaats. München.
Staatliche Zentralverwaltung für Statistik (Hrsg.): Jahrbuch der
DDR. Lfd. Jahrgänge, insbes. 1990. Berlin.
Steiner, A. (2004): Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte
der DDR. München.
v. Prollius, M. (2006): Deutsche Wirtschaftsgeschichte nach
1945. Göttingen.
Weber, H. (1999): Geschichte der DDR. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe. München
Wolle, St. (1998): Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971-1989. Bonn.
History Matters – Industrielle Traditionen setzen sich fort
Eucken, W.(1952): Grundsätze der Wirtschaftspolitik. Tübingen.
Abelshauser, W. (1983): Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Frankfurt a. Main.
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Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
Anhänge
Anhang
Anhang
Anhang
Anhang
Anhang
Anhang
Anhang
Anhang
A.1.
A.2.
A.3.
A.4.
A.5.
A.6.
A.7.
A.8.
Übersicht über die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit
An der Deutschen Börse notierte Unternehmen mit Sitz in Deutschland
Hochtechnologiepatente nach europäischen Metropolregionen
„Hidden Champions“ in Ostdeutschland
Kernindikatoren in Deutschland: Ost-West-Vergleich
Wanderungsströme zwischen Ost- und Westdeutschland
Die Thüringer Wachstumsfelder
TTT-Index der Wirtschaftsregionen
139
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Anhang A.1 Übersicht über die Verkehrsprojekte Deutsche Einheit
Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die Ausgaben des Bundes für die 17 VDE Projekte bis Ende 2011.
V e rke h rs V orh abe n
träge r
L änge ( km) :
Ge s amt
( Ne u bau )
Ge s amti nv
e s ti ti on
( M i o E UR)
Au s gabe n
bi s E nde
2011 ( M i o
E UR)
Ggf. noc h
zu
i nv e s ti e re n
( M i o E UR)
% re al i s i e rt
Bahn
V DE 1, Lübeck/Hagenow LandStrals und
195 (0)
861
581
280
Bahn
V DE 2, Hamburg-Büchen-Berlin
274 (0)
2680
2677
3
99,9
Bahn
V DE 3, Uelzen-Stendal
107 (0)
318
318
0
100,0
Bahn
V DE 4, Hannover-Berlin
250 (161)
2678
2678
0
100,0
Bahn
V DE 5, Helms tedt-Magdeburg-Berlin
183 (0)
1245
1245
0
100,0
Bahn
V DE 6, Eichenberg-Halle
160 (0)
271
271
0
100,0
Bahn
V DE 7, Bebra-Erfurt
97 (0)
913
913
0
100,0
Bahn
V DE 8, Nürnberg-Erfurt
185 (104)
5280
2204
3076
41,7
Bahn
V DE 8, Erfurt-Halle/Leipzig
121 (118)
2742
1882
1860
68,6
Bahn
V DE 8, Berlin-Halle/Leipzig
188 (23)
1663
1653
10
99,4
Bahn
V DE 9, Leipzig-Dres den
110 (9)
1451
997
454
68,7
Straße
V DE 10, Lübeck-Stettin (A20)
310 (310)
1900
1880
20
98,9
Straße
V DE 11, Hannover-Berlin (A2), Berliner
Süd-/Os tring (A10)
307 (0)
2350
2200
150
93,6
Straße
V DE 12, Nürnberg-Berlin (A9)
359 (0)
2900
2705
195
93,3
Straße
V DE 13, Göttingen-Halle (A38),
W es tumfahrung Halle (A143)
193 (193)
1815
1570
245
86,5
Straße
V DE 14, Halle-Magdeburg (A14)
83 (83)
650
645
5
99,2
417 (63)
5000
3275
1725
65,5
198 (198)
2660
2645
15
99,4
227 (6)
2037
1526
511
74,9
Straße
Straße
W as s er
140
V DE 15, Kas s el-Eis enach (A44),
Eis enach-Görlitz (A4)
V DE 16, Schweinfurt-Erfurt (A71),
Lichtenfels -Suhl (A73)
V DE 17, Hannover-Magdeburg-Berlin
67,5
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
Anhang A.2 An der Deutschen Börse notierte Unternehmen (Sitz in BRD)
141
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Anhang A.3 Hochtechnologiepatente nach europäischen Metropolregionen
Folgende Tabelle zeigt ein Ranking ausgewählter europäischer Metropolregionen hinsichtlich der Anzahl von
Patentanmeldungen von Hochtechnologiepatenten (Quelle: Eurostat, 2013). Aufgrund mangelnder Daten erhebt dieses Ranking keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da eine Reihe von europäischen Ländern fehlt (z.B.
Finnland, Norwegen und Schweden, sowie einige osteuropäisch Länder). Ostdeutsche Metropolregionen sind
farblich hervorgehoben. Im Anschluss an die Tabelle werden die aktuellen Zahlen für ausgewählte Metropolregionen nochmals grafisch verglichen.
Rang
2009
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
142
Metropolregion
Land
Paris
München
Berlin
Stuttgart
Nürnberg
Frankfurt am Main
Bruxelles / Brussel
Düsseldorf
Madrid
København
Köln
Heidelberg
Toulouse
Hamburg
Regensburg
Mannheim
Hannover
Karlsruhe
Antwerpen
Freiburg im Breisgau
Aachen
Dresden
Barcelona
Lyon
Bremen
Bielefeld
Gent
Montpellier
Dublin
Braunschweig
Bordeaux
Augsburg
Ulm
Århus
Erfurt
Strasbourg
Mainz
Hildesheim
Reutlingen
Leipzig
Paderborn
Pforzheim
Koblenz
Liège
Lille-Dunkerque-V.
Cork
Würzburg
Ingolstadt
Münster
Sevilla
Göttingen
Heilbronn
Odense
Nantes
Bilbao
Kiel
Kassel
Athina
Aalborg
FR
DE
DE
DE
DE
DE
BE
DE
ES
DK
DE
DE
FR
DE
DE
DE
DE
DE
BE
DE
DE
DE
ES
FR
DE
DE
BE
FR
IE
DE
FR
DE
DE
DK
DE
FR
DE
DE
DE
DE
DE
DE
DE
BE
FR
IE
DE
DE
DE
ES
DE
DE
DK
FR
ES
DE
DE
GR
DK
2000
881,1
879,8
266,3
373,6
191,6
238,1
117,5
197,4
39,3
201,8
86,4
68,2
70,9
93,2
89,6
34,7
67,5
49,0
50,5
38,1
136,4
99,2
51,0
46,0
19,6
59,4
28,9
16,0
33,7
29,2
7,5
41,8
33,6
28,7
13,9
38,7
21,1
43,7
21,6
7,7
29,7
15,4
2,8
8,0
15,8
7,4
15,6
17,7
9,8
0,5
12,9
22,3
3,3
10,6
3,5
25,1
5,1
7,4
20,3
2001
889,7
880,5
228,6
303,5
253,7
202,7
139,5
190,3
51,5
184,3
107,6
122,3
86,7
76,9
80,6
66,9
77,7
55,3
58,0
37,9
157,0
100,5
34,1
45,5
21,4
57,6
32,1
17,6
53,6
53,4
11,7
33,4
50,2
26,1
9,1
31,6
21,4
38,1
24,5
6,5
15,5
14,1
4,9
4,8
17,1
13,8
17,6
19,7
19,5
2,2
20,4
18,5
5,5
17,4
3,0
19,0
3,0
10,5
18,2
2002
832,1
716,7
241,5
312,4
217,5
201,6
150,4
180,9
44,1
176,2
87,5
135,6
85,3
103,0
80,4
63,1
85,7
72,9
103,9
42,5
193,5
77,3
42,9
45,2
13,6
32,0
37,0
13,8
41,3
35,4
7,7
33,7
48,6
28,5
13,6
29,3
42,7
33,3
16,0
14,1
20,1
15,5
2,8
6,2
14,9
12,9
25,2
13,6
11,6
5,0
17,7
12,6
4,6
11,8
5,2
22,4
4,5
13,7
19,5
2003
846,5
633,7
229,0
274,6
159,3
176,3
119,8
158,5
40,4
212,4
78,4
129,4
79,8
120,9
87,7
50,4
102,7
63,2
48,5
42,3
200,1
45,5
48,7
34,3
31,3
30,5
39,0
17,0
23,6
41,4
5,9
28,5
37,0
13,6
18,7
23,4
22,0
28,3
12,0
10,8
20,6
15,3
3,3
7,3
15,4
15,9
23,9
8,9
7,8
2,8
16,6
20,6
4,8
16,0
3,0
13,8
3,0
15,2
23,3
2004
854,5
525,9
216,4
313,3
172,0
216,1
149,4
162,3
63,8
207,1
91,4
109,1
99,6
105,6
104,6
73,6
100,0
91,1
69,9
38,0
185,8
47,2
40,7
25,3
34,8
30,3
41,8
22,8
38,1
28,3
17,0
25,7
22,1
14,9
18,3
23,8
25,0
29,7
28,0
7,1
21,0
19,9
1,0
6,1
16,4
9,5
20,3
19,7
4,4
1,2
18,6
43,7
2,2
18,5
4,9
20,1
4,7
12,2
23,0
2005
748,6
526,1
238,3
267,5
167,1
179,0
151,6
142,7
84,4
183,0
87,9
67,4
135,8
110,0
97,7
71,5
80,9
62,5
68,7
43,4
163,6
64,5
40,4
31,4
27,8
23,4
49,0
25,1
31,5
22,8
8,9
28,9
31,3
20,7
19,2
18,6
27,8
25,1
21,2
5,7
12,5
14,7
2,1
4,8
13,9
12,7
6,2
15,5
7,7
3,8
11,0
40,7
4,9
23,0
1,3
14,0
1,0
11,9
17,2
2006
774,3
566,9
235,2
246,0
215,8
174,5
142,5
137,0
76,1
169,4
59,0
81,7
144,4
112,2
84,9
60,5
48,6
63,8
59,2
43,1
49,7
56,3
49,6
29,8
33,4
30,0
33,9
13,0
41,8
16,9
22,1
11,9
35,7
15,7
10,2
31,8
13,4
19,4
17,3
7,4
18,1
15,0
3,1
4,0
17,4
7,5
12,5
7,2
5,0
7,5
8,1
20,1
4,1
16,1
8,7
4,8
3,8
12,5
19,2
2007
767,2
554,0
258,5
242,3
207,6
192,2
158,5
147,8
96,6
155,9
84,9
57,3
132,0
128,4
110,0
59,9
63,4
52,5
52,4
49,5
38,5
52,2
54,8
38,8
24,9
21,4
43,1
10,2
37,6
15,2
24,5
32,0
40,6
28,0
4,6
26,8
18,3
20,3
15,2
16,4
18,4
11,2
1,5
12,9
18,9
12,0
12,5
14,5
4,5
5,0
8,7
14,0
4,3
15,8
5,9
8,5
2,4
9,3
21,6
2008
764,4
434,6
225,0
241,7
166,7
154,9
132,6
147,9
106,3
164,2
93,0
100,0
133,3
137,5
98,6
42,2
82,7
33,6
50,9
60,1
54,4
54,0
58,4
39,5
33,5
24,0
32,5
13,3
43,4
25,2
24,3
20,0
23,6
20,5
16,2
26,7
24,9
16,0
14,3
20,8
24,9
13,6
4,5
8,9
21,7
18,0
14,0
7,5
10,7
5,3
18,4
15,7
5,6
18,9
10,1
10,1
1,9
11,9
13,1
2009
677,6
318,0
198,3
176,9
169,6
142,2
125,5
120,9
111,4
109,8
90,7
89,8
83,2
76,4
49,6
48,3
48,2
44,8
42,0
37,3
37,2
37,0
36,7
31,4
28,1
25,8
25,0
22,9
21,6
21,4
21,2
21,0
20,2
18,6
18,0
17,9
16,9
15,5
15,2
15,2
13,1
13,0
12,9
12,4
12,3
12,0
11,5
9,9
9,7
9,6
9,5
9,5
7,3
7,2
7,1
7,1
5,6
5,4
5,1
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
n.a.
Charleroi
Oldenburg (Oldenburg)
Halle an der Saale
Chemnitz
Saarbrücken
Coruña (A)
Tallinn
Lübeck
Pamplona/Iruña
Praha
Siegen
Donostia-San S.
Valencia
Wolfsburg
Sofia
Bremerhaven
Thessaloniki
Osnabrück
Palma de Mallorca
Oviedo - Gijón
Rostock
Brno
Málaga - Marbella
Zaragoza
Plzen
Valladolid
Córdoba
Granada
Magdeburg
Murcia - Cartagena
Santander
Schwerin
Vigo
Plovdiv
Varna
Ostrava
Cottbus
Las Palmas
Alicante/Alacant/Elx
Santa Cruz de Ten.
Cádiz - Algeciras
FR
DE
DE
DE
DE
ES
EE
DE
ES
CZ
DE
ES
ES
DE
BG
DE
GR
DE
ES
ES
DE
CZ
ES
ES
CZ
ES
ES
ES
DE
ES
ES
DE
ES
BG
BG
CZ
DE
ES
ES
ES
ES
2,1
6,3
6,4
8,3
7,3
1,0
1,2
0,5
2,0
3,8
7,2
2,2
3,5
14,7
6,2
8,0
2,0
0,7
3,7
4,0
5,1
3,1
10,2
4,6
1,4
2,3
1,0
9,2
0,6
1,3
4,3
16,4
6,8
1,6
1,0
6,5
3,0
1,3 :
0,7
8,0
1,9
0,2
5,9
0,2
4,6
3,4
1,3
5,8
3,0
2,8
2,5
1,2
0,9
1,0
5,2
4,0
10,5
0,9
11,4
1,2
1,2
4,2
2,3
5,1
4,6
0,5
8,0
9,6
1,0
3,2
3,3
6,3
1,0
5,7
15,1
2,5
9,8
3,2
6,3
7,4
2,0
5,2
1,7
1,0
18,3
8,2
0,8
1,3
1,7
6,0
0,8
4,6
5,5
2,7
7,7
2,0
2,0
2,9
3,0
7,6
1,5
2,3
10,1
6,9
2,2
4,8
1,2
4,4
1,3
2,5
1,8
0,5
11,7
2,7
2,0
2,9
4,2
0,8
0,6
1,0
1,2
3,3
1,0
1,6
4,2
2,3
1,3
4,0
1,3
0,1
0,8
0,4
2,0
2,1
0,2
0,4
0,8
0,5
1,1
2,3
0,3
0,5
7,2
1,5
0,3
0,9
1,5
0,3
0,3
0,5
2,8
0,7
0,6
0,3
1,0
0,9
2,4
2,2
1,0
3,8
0,6
1,0
1,0
1,0
1,0
0,5
1,8
8,4
7,0
4,6
6,1
2,2
3,1
1,6
1,3
8,7
2,3
3,0
8,9
5,0
4,1
1,8
1,9
8,7
1,0
0,3
1,3
3,5
9,6
8,1
7,0
3,0
7,8
8,6
2,0
6,7
4,8
5,5
5,9
4,3
6,7
0,5
7,4
0,3
1,0
2,1
2,4
4,0
11,6
1,0
1,7
3,0
1,5
0,3
2,5
1,2
0,9
5,1
5,2
12,4
13,8
1,0
11,0
5,9
5,6
7,5
1,5
1,0
11,9
4,6
1,5
1,0
2,3
5,2
1,3
2,7
3,9
4,8
:
2,3
0,6
0,7
1,0
1,6
2,0
3,5
4,3
4,0
6,1
7,1
13,6
4,0
15,6
4,2
9,1
7,1
3,0
4,9
10,2
5,0
2,6
0,8
0,3
2,9
7,0
2,7
6,3
2,1
1,3
0,3
0,3
6,2
1,5
4,5
1,0
0,5
1,0
2,7
0,4
1,0
8,5
0,3
0,8
0,3
1,7
0,1
2,5
4,5
4,5
4,5
4,4
4,3
4,0
3,7
3,7
3,6
3,4
3,3
2,5
2,5
2,5
2,0
2,0
2,0
1,8
1,5
1,5
1,4
1,4
1,3
1,2
1,1
1,0
1,0
1,0
0,7
0,5
0,5
0,3
0,3
1,0
3,7
1,0
Anzahl Hochtechnologiepatente ausgewählter europäischer und ostdeutscher
Metropolregionen in 2009
Paris
München
Berlin
Stuttgart
Nürnberg
Frankfurt/M
Brüssel
Düsseldorf
Madrid
Kopenhagen
Dresden
Erfurt
Leipzig
Halle/Saale
Chemnitz
Rostock
Magdeburg
Schwerin
0,0
100,0
200,0
300,0
400,0
500,0
600,0
700,0
143
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Anhang A.4 „Hidden Champions“ in Ostdeutschland
Folgende Tabelle zeigt eine Übersicht über kleine und mittlere (Familien-)Unternehmen in Ostdeutschland, die
aufgrund ihrer hochspezialisierten Produkte zwar zu Weltmarktführern aufgestiegen sind, dennoch wenig im
Fokus der öffentlichen Wahrnehmung stehen (Quelle: Weissman, 2013).
Unternehmen
Ort
Branche
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
Berlin
IT- und Datenverarbeitung
Sonstige Geräteherstellung
Medizintechnik
Sonstige Geräteherstellung
Sonstige Geräteherstellung
Elektroindustrie
Konsumgüterherstellung
Elektroindustrie
Elektroindustrie
Energie- und Wasserversorgung
Papierindustrie
Sonstige Geräteherstellung
Maschinen- und Anlagenbau
Chem. Industrie, Pharma, Kosmetik
Chem. Industrie, Pharma, Kosmetik
IT- und Datenverarbeitung
Musikindustrie
Sonstige Geräteherstellung
Maschinen- und Anlagenbau
Sonstige Geräteherstellung
Teltow
Hennigsdorf
Neuruppin
Finsterwalde
Wittstock/Dosse
Potsdam
Elektroindustrie
Chem. Industrie, Pharma, Kosmetik
Entsorgungsindustrie
Maschinen- und Anlagenbau
Holzindustrie
Software
Neustadt-Glewe
Torgelow
Wismar
Grabow
Schwerin
Waren (Müritz)
Metallverarbeitung
Metallverarbeitung
Holzindustrie
Nahrung / Genuss / Tabak
Medizintechnik
Metallverarbeitung
Chemnitz
Freiberg
Freiberg
Dresden
Pirna
Freiberg
Dresden
Leipzig
Dresden
Chemnitz
Leipzig
Gonsdorf
Dresden
Schneeberg
Mittweida
Chemnitz
Dresden
Bad Düben
Hohenstein-Ernstthal
Halsbrücke
Freiberg
Meißen
Chemnitz
Dresden
Lichtenstein
Neukirch/Lausitz
Leipzig
Dresden
Plauen
Maschinen- und Anlagenbau
Metallverarbeitung
Maschinen- und Anlagenbau
Chem. Industrie, Pharma, Kosmetik
Automobilzulieferer, Fahrzeugbau
Sonstige Geräteherstellung
Chem. Industrie, Pharma, Kosmetik
Maschinen- und Anlagenbau
Sonstige Geräteherstellung
Maschinen- und Anlagenbau
Maschinen- und Anlagenbau
Elektroindustrie
Elektroindustrie
Metallverarbeitung
Sonstige Geräteherstellung
Maschinen- und Anlagenbau
Elektroindustrie
Maschinen- und Anlagenbau
Maschinen- und Anlagenbau
Metallverarbeitung
Elektroindustrie
Konsumgüterherstellung
Maschinen- und Anlagenbau
Maschinen- und Anlagenbau
Maschinen- und Anlagenbau
Maschinen- und Anlagenbau
Chem. Industrie, Pharma, Kosmetik
Maschinen- und Anlagenbau
Maschinen- und Anlagenbau
Berlin
Ableton AG
AVM Computersysteme Vertriebs GmbH
Berlin Heart GmbH
Berliner Seilfabrik GmbH & Co.
BORSIG GmbH
Burmester Audiosysteme GmbH
C. Bechstein Pianofortefabrik AG
ELBAU Elektronik Bauelemente GmbH
Georg Neumann GmbH
Heliocentris Energy Solutions AG
Herlitz PBS AG
Knick Elektronische Messgeräte
KORSCH AG
Kryolan GmbH
LLA Instruments GmbH
MAGIX AG
Native Instruments GmbH
SOLARC Innovative Solarprodukte
Solon SE
Wall AG
Brandenburg
Aktiv Sensor GmbH
BRAHMS Aktiengesellschaft
ESE GmbH
Kjellberg Finsterwalde Plasma&Maschinen
Kronoflooring GmbH
Vis-Ó-pix GmbH
Mecklenburg-Vorpommern
Dockweiler AG
Eisengießerei Torgelow GmbH
GERMAN PELLETS
Grabower Süsswaren GmbH
human med AG
Mecklenburger Metallguss GmbH
Sachsen
3D-Micromac AG
ACTech GmbH
BÜHLER BARTH GmbH
ELASKON Sachsen GmbH & Co. KG
FEP Fahrzeugelektrik Pirna GmbH
Freiberger Compound Materials GmbH
GlaxoSmithKline Biologicals GmbH
Goldschmidt Thermit GmbH
HEINE Resistors GmbH
KIESELSTEIN GmbH
KRANUNION GmbH & Co. KG
KSG Leiterplatten GmbH
KSW Microtec AG
Metallbau-Müller GmbH
MPT Präzisionsteile GmbH
NILES-SIMMONS-HEGENSCHEIDT GmbH
Novaled AG
Profiroll Technologies GmbH
Roth & Rau AG
SAXONIA EuroCoin GmbH
SolarWorld AG
Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen
StarragHeckert GmbH
THEEGARTEN-PACTEC GmbH & Co. KG
Thielert Aircraft Engines GmbH
TRUMPF Sachsen GmbH
VERBIO Vereinigte BioEnergie AG
VON ARDENNE Anlagentechnik GmbH
WEMA VOGTLAND Technology GmbH
144
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
Sachsen-Anhalt
DOPPSTADT CALBE GmbH
ORWO Net AG
Q-Cells SE
Schuberth Holding GmbH
Calbe (Saale)
Bitterfeld-Wolfen
Bitterfeld-Wolfen
Magdeburg
Maschinen- und Anlagenbau
Verlags- und Druckgewerbe
Elektroindustrie
Textilindustrie
Lobeda
Zeulenroda-Triebes
Jena
Neustadt an der Orla
Roßleben
Kölleda
Jena
Kahla
Gräfenroda
Eisenach
Silbitz
Sondershausen
Medizintechnik
Medizintechnik
Medizintechnik
Automobilzulieferer, Fahrzeugbau
Kunststoffverarbeitung
Software
Elektroindustrie
Glas- und Keramikgewerbe
Kunststoffverarbeitung
Automobilzulieferer, Fahrzeugbau
Maschinen- und Anlagenbau
Elektroindustrie
Thüringen
Asclepion Laser Technologies GmbH
Bauerfeind AG
CyBio AG
Docter Optics GmbH
FOLIEtec Kunststoffwerk AG
Funkwerk AG
GÖPEL electronic GmbH
KAHLA/Thüringen Porzellan GmbH
KHW Kunststoff- & Holzverarbeitungswerk
MITEC Automotive AG
Silbitz Guss GmbH
Thermik Gerätebau GmbH
145
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Anhang A.5 Kernindikatoren in Deutschland: Ost-West-Vergleich
Folgende tabellarische Aufstellung von Kernindikatoren für die ostdeutschen Bundesländer sind am Durchschnitt der westdeutschen Bundesländer standardisiert dargestellt. Werte unter 100 bedeuten demnach, dass
der ostdeutsche Durchschnitt unter dem westdeutschen liegt (hellblau eingefärbte Zellen), und umgekehrt (grün
eingefärbte Zellen).
Westdeutschland =100
Indikator
1991
1995
2000
2005
2012
Einwohner
25
23
23
22
21
Bruttoinlandsprodukt (BIP) je Einwohner1
33
59
60
66
67
Haushaltsnettoeinkommen
54
79
80
79
772
49
74
77
78
77
1
Arbeitskosten: Entgelt je Arbeitnehmer
1
Produktivität: Reales BIP je Erwerbstätigen
42
65
69
78
76
Lohnstückkosten,
119
114
112
100
101
Investitionen je Einwohner
66
149
110
77
833
Ausrüstungsinvestitionen je Einwohner
62
106
97
64
873
Bauinvestitionen je Einwohner
70
176
122
98
803
Kapitalstock je Einwohner
38
50
64
71
734
Kapitalstock je Beschäftigten
40
56
73
82
834
259
195
204
179
250
290
147
165
151
153
1
Sektoralstruktur
Land- und Forstwirtschaft
Bergbau und Versorgung
Verarbeitendes Gewerbe
47
46
63
74
76
Baugewerbe
222
311
195
153
158
Handel und Verkehr
101
89
99
99
87
Finanz- und Unternehmensdienste
51
73
80
85
81
Öffentliche und private Dienste
171
145
137
133
136
52
40
56
63
71
49
5
42
,
42
6
35
437
Patente je Einwohner
23
27
27
26
282
Wissenschaftsausgaben je Einwohner1,8
82
101
103
1046
1837
Erwerbsbeteiligung1
96
92
88
87
88
Selbstständigenquote1
50
72
84
96
107
Arbeitslosenquote1
207
180
239
202
189
Ausgaben der BA je Erwerbsperson
282
257
281
159
88
Durchschnittsrente (Männer)
56
90
104
97
96
Durchschnittsrente (Frauen)
94
130
135
134
135
271
143
87
97
892
122
144
92
99
942
Ausgaben der Länder je Einwohner10
120
145
140
136
117
Schulden der Länder je Einwohner10
0
74
107
116
93
Exportquote1
FuE-Personalintensität
1
1
Untemehmensgründungen9
Untemehmensschließungen
9
Hinweise:
1
Ohne Berlin; 22011; 32010; 42008; 51999; 62004; 72009; 8 Nettoausgaben minus unmittelbare Einnahmen der Länder u.
Gemeinden, ab 2008 aufgrund geänderter Erfassungssystematik kein Vergleich mit Vorjahresdaten möglich; 9 ab 2005: Ostdeutschland einschl. Berlin; 10 ohne Stadtstaaten
Ursprungsdaten: Arbeitskreis Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, BA, BMF, Creditreform, Deutsche Rentenversicherung, DIW, DPMA, ifo, SOEP, StBA
Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (2013)
146
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
Anhang A.6 Wanderungsströme zwischen Ost- und Westdeutschland
Folgende Tabelle zeigt die Wanderungsströme zwischen Ost- und Westdeutschland im Zeitraum 1991 bis 2007
auf, getrennt nach Alter und Geschlecht. Es zeigt sich, dass durchaus auch viele Menschen von West- nach
Ostdeutschland gewandert sind (vornehmlich Männer), dass aber eine größere Zahl den Weg vom Osten in den
Westen gesucht hat (vornehmlich Frauen), so dass im Saldo Ostdeutschland erhebliche Wanderungsverluste
hinnehmen musste.
Alter
unter 18
18 – 25
25 – 30
30 – 50
50 – 65
65 < …
Summe
Ost- nach Westdeutschland
männlich
244.834
337.286
222.073
286.731
75.430
29.450
1.195.804
weiblich
245.545
438.438
180.683
304.914
77.863
56.369
1.303.812
West- nach Ostdeutschland
männlich
131.010
179.313
148.524
204.973
67.765
32.450
764.035
weiblich
124.559
177.109
107.246
167.771
52.065
55.999
684.749
Saldo (Ostverlust)
männlich
113.824
157.973
73.549
81.758
7.665
-3.000
431.769
weiblich
120.986
261.329
73.437
137.143
25.798
370
619.063
Datenquelle: Stat. Bundesamt, 2009
147
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Anhang A.7 Die Thüringer Wachstumsfelder
Folgende Tabelle stellt die Thüringer Wachstumsfelder nach Branchen und Regionen übersichtlich dar. Es zeigt
sich nach Branchen eine recht breite Diversifizierung, räumlich jedoch konzentrieren sie sich im Wesentlichen
auf den Korridor Eisenach-Erfurt-Jena.
Branche
Unternehmen Beschäftigte
Beschäftigten
je Firma
Umsatz Umsatz je
(Mrd.
Firma (Mio
Euro)
Euro)
Exportquote
(%)
Region
Optik und Optoelektronik
167
8100
48,5
2,0
12,0
50,0
Jena / Erfurt / Ilmenau
Maschinenbau
680
21700
31,9
2,3
3,4
37,7
Weimar / Schmalkalden / Erfurt
Logistik
500
36000
72,0
2,1
4,2
Automobil
500
50000
100,0
7,7
15,4
32,3
Eisenach
Ernährungsgewerbe
400
18500
46,3
2,6
6,5
14,7
Ohrdruft / Kahla / Suhl
Kunststoffe, Keramik
590
25900
43,9
31,0
52,5
35,0
Jena / Blankenhain /
Rudolstadt
Mikro- und Nanotechnik
320
22200
69,4
3,6
11,3
35,0
Erfurt / Eisenach
MSR
450
17400
38,7
2,1
4,7
45,6
Ilmenau / Jena / Mühlhausen
Kreativwirtschaft
3000
12000
4,0
1,6
0,5
Life Sciences /
Biotech / Medizintechnik
370
13800
37,3
2,3
6,2
52,9
Jena / Ilmenau / Erfurt
Umweltfreundliche
Energien
230
11400
49,6
1,8
7,8
33,0
Erfurt / Ilmenau / Jena
/ Arnstadt
Green Tech
430
10800
25,1
1,0
2,3
25,0
148
Erfurt / Ilmenau /Gotha
Erfurt / Weimar / Jena
Glossar, Quellenverzeichnis und Anhänge
Anhang A.8 TTT-Index der Wirtschaftsregionen
Rang
Land
Anteil Hochqualifizierter
Hochkreative
Kreative Klasse
Talent-Index
Anteil F&E am BIP
Patente je 100.000 EW
Hochtechnologiepatente je 100.000
EW
Technologieindex
Ausländeranteil
Bohemiens
Rechtsextreme Wähler
Toleranzindex
TTT-Indexregionen
Die Einzelkomponenten des vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung generierten TTT-Index der
Wirtschaftsregionen für 2005 können der folgenden Übersichtstabelle entnommen werden.
1
Baden-Württemberg
14,9
12,6
17,6
105
3,9
112,0
32,8
188
11,9
1,3
2,2
107
133
2
Bayern
14,2
11,4
17,8
100
2,9
88,3
31,3
157
9,5
1,7
2,3
103
120
3
Hessen
17,6
12,2
21,0
116
2,6
53,8
16,0
100
11,4
1,6
2,0
113
110
4
Berlin-Brandenburg
19,6
9,2
17,0
104
2,9
25,7
8,8
73
9,0
3,5
1,7
149
109
5
Schleswig-Holstein/Hamburg
14,8
9,9
24,3
110
2,1
31,4
9,4
67
7,5
2,6
1,0
136
104
6
Niedersachsen
13,5
11,1
19,2
100
2,0
39,1
14,5
80
7,8
1,6
1,2
111
97
7
Nordrhein-Westfalen
13,4
11,0
18,9
99
1,8
41,7
9,4
69
10,7
1,4
1,1
120
96
8
Rheinland-Pfalz
13,0
10,8
17,7
95
1,8
45,5
9,8
72
7,7
1,3
2,4
87
85
9
Sachsen
14,5
11,1
14,2
93
2,2
28,7
9,4
66
2,8
1,1
1,8
74
78
10
Saarland
10,5
10,4
15,7
85
1,1
25,2
3,9
38
8,3
0,9
2,8
91
71
11
Sachsen-Anhalt
10,6
9,1
13,5
77
1,1
12,2
3,6
30
1,9
0,8
5,3
64
57
12
Thüringen
12,8
9,8
13,3
84
1,8
28,3
6,2
54
2,1
0,8
4,4
25
54
13
Mecklenburg-Vorpommern
11,7
8,1
13,2
76
1,4
11,5
3,7
33
2,3
1,0
3,5
44
51
Quelle: Berlin-Institut f. Bevölkerung u. Entwicklung, 2007, 24.
149
Atlas der Industrialisierung der Neuen Bundesländer
Autoren
Braun, Gerald, Prof. Dr. rer. pol. Dipl-Volkswirt, em., Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr,
Hamburg. Lehrstuhl für Wirtschafts- und Gründungspädagogik und Gründer des Hanseatic Institute for Entrepreneurship and Regional Development (HIE-RO) an der Universität Rostock. Hauptarbeitsgebiete: Humankapital / Entrepreneurship und regionale Wirtschaftsentwicklung im Ostseeraum; Zukunftsfelder wirtschaftlicher
Entwicklung in Transformationsregionen.
Güra, Tobias, nach dem Studium der Theoretischen Medizin und Betriebswirtschaftslehre mit dem Fokus Gesundheitsindustrie wurde Herr Güra 2011 als Medizinökonom an der Rheinischen Fachhochschule Köln graduiert. Von 2011-2012 arbeitete er bei der BioCon Valley GmbH in Rostock im internationalen Projektmanagement. Seit 2012 ist er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hanseatic Institute for Entrepreneurship and Regional
Development an der Universität Rostock. 2013 wechselte Herr Güra an das Leibniz - Institut für Plasmaforschung und Technologie e.V. in Greifswald wo er an der Implementierung neuer marktfähiger plasmamedizinischer Produkte mitwirkt. Arbeitsschwerpunkte: Medizinische Versorgungsforschung, Krankenhausmarketing und
Dienstleistungsmanagement, Regionalforschung in den Neuen Bundesländern, Projektmanagement
Henn, Sebastian, Dr., 1997-2001 Studium der Fächer Geographie, Volks- und Betriebswirtschaftslehre an den
Universitäten Heidelberg und Mannheim(Abschluss: Dipl.-Geogr); 2006 Promotion an der Universität HalleWittenberg; 2001-2011 Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgruppe Wirtschaftsgeographie, Institut für Geowissenschaften und Geographie, Universität Halle-Wittenberg; 2010–2011 Vertretungsprofessor für Kulturgeographie an der Universität Erlangen-Nürnberg; 2011–2012 Post-Doctoral Fellow am Department of Political Science, University of Toronto; seit 2012 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Länderkunde.
Lang, Thilo, Dr., Studium der Raum- und Umweltplanung an der TU Kaiserslautern und Stadtplanung an der
TU Hamburg-Harburg, Promotion in der Humangeographie an der Universität Potsdam und an der Durham
University (UK). Er arbeitet seit 2009 am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig, zuvor war er Projektmanager in der ZukunftsAgentur Brandenburg GmbH, Potsdam, 2002-2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, Erkner. Seit 2011 Koordinator des Forschungsschwerpunkts Raumproduktion im Verhältnis von Polarisierung und Peripherisierung und Abteilungsleiter Regionale
Geographie Europas. Arbeitsschwerpunkte: Dr. Lang forscht zu den Themenfeldern Urban Governance, Regionalentwicklung und regionaler Wandel, Metropolisierung und Soziale Ökonomie, vor allem im Kontext demographischer und wirtschaftlicher Krisen in Deutschland, Mittel- und Osteuropa.
Schürmann, Carsten, Dr.-Ing., Inhaber des Büro für Raumforschung, Raumplanung und Geoinformation
(RRG), Oldenburg i.H., sowie Geschäftsführer und Direktor des Geschäftsbereich Planung von TCP International, Stuttgart. Arbeitsschwerpunkte: Wechselwirkung zwischen Verkehr und Regionalentwicklung, Räumliche
Wirkungen von Verkehrsinfrastrukturen, Verkehrs-, Stadt- und Regionalplanung, Geodatenbanken, GIS Analysen, Kartographie.
Voß, Karsten, Dr., nach einer Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Herr Voß Chemie an der Universität
Rostock und der University of Georgia, USA. Nach seinem Abschluss als Diplom-Chemiker mit der Schwerpunktrichtung Physikalische Chemie promovierte er. Außerdem studierte Herr Voß Betriebswirtschaftslehre an
der Hochschule Wismar. Zurzeit ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Rostock tätig.
Warszycki, Pawel, nach dem Masterstudium der Betriebswirtschaftslehre lehrte Herr Warszycki an der Universität Rostock. Er ist ausgewiesener Experte für Regionalentwicklung und Entrepreneurship im Umfeld namhafter
EU-Projekte. 2010 wurde Herr Warszycki zum geschäftsführenden Direktor des HIE-RO berufen. Parallel dazu
erfolgt die Promotion an der Justus von Liebig Universität Gießen.
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