Die Entwicklung der Kapitalmarktzinsen seit Anfang der neunziger
Transcription
Die Entwicklung der Kapitalmarktzinsen seit Anfang der neunziger
Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Die Entwicklung der Kapitalmarktzinsen seit Anfang der neunziger Jahre Die deutschen Kapitalmarktzinsen waren seit Beginn der neunziger Jahre einem Wechselspiel von fundamentalen Einflüssen und ausgeprägter Eigendynamik der Finanzmärkte ausgesetzt. Dadurch kam es sowohl zu nachhaltigen Veränderungen im Zinstrend als auch zu kräftigen Renditenschwankungen. Trotz des Anstiegs im Vorfeld der Vereinigung 1990 und im Sog der Turbulenzen an den internationalen Anleihemärkten 1994 waren die Kapitalmarktzinsen im bisherigen Verlauf der neunziger Jahre insgesamt betrachtet eher niedrig. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß die deutsche Geldpolitik aufkeimenden Inflationsgefahren frühzeitig begegnete und damit Vertrauensverluste vermeiden konnte. Allerdings haben die kräftigen Zinsausschläge auch vor Augen geführt, daß internationale Einflüsse auf die Kapitalmarktzinsen konsequente durch eine Stabilitätsorientierung zwar gedämpft, aber nicht völlig vermieden werden können. Im vorliegenden Aufsatz wird die Entwicklung der Kapitalmarktzinsen seit Anfang 1990 nachgezeichnet und analysiert. Ansatzpunkte zur Beurteilung der Zinsentwicklung Den Zinsen kommt im marktwirtschaftlichen Prozeß eine Schlüsselrolle zu. Als Preise für die intertemporale Überlassung von Kaufkraft sind sie zentrale Einflußgrößen für vielfältige 17 Bedeutung der Kapitalmarktzinsen Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Spar- und Investitionsentscheidungen in der lösen dadurch realwirtschaftliche Anpas- Volkswirtschaft. Je nach Dispositionszeitraum sungsvorgänge aus. sind dabei entweder die kurzfristigen oder die langfristigen Zinsen relevant. Die kurz- Nominale Kapitalmarktsätze sind gedanklich fristigen Zinssätze sind wesentlich durch die als Summe verschiedener Komponenten auf- Geldmarktkonditionen bestimmt und unter- zufassen, nämlich der erwarteten realen Ver- liegen damit einem vergleichsweise starken, zinsung, der erwarteten Inflationsrate sowie 1) unmittelbaren Einfluß der Geldpolitik. Dem- verschiedener Risikoprämien, etwa für Kredit- gegenüber hängen die langfristigen Zinsen oder Liquiditätsrisiken. Diese einzelnen Zins- zumindest auf mittlere Sicht hauptsächlich bestandteile sind nicht getrennt beobachtbar. von gesamtwirtschaftlichen Fundamentalgrö- Daher ist es erforderlich, mittels geeigneter ßen ab, die nur mittelbar von der Geldpolitik Verfahren einzelne Faktoren zu isolieren, um beeinflußbar sind. Diese am Kapitalmarkt ge- so auf die Bestimmungsgründe der Zinsent- bildeten Zinsen sind für die Finanzierung der wicklung schließen zu können. Der Renditen- deutschen Wirtschaft ebenso wie für die pri- vergleich zwischen Anleihen, die sich lediglich vate Ersparnisbildung im internationalen Ver- in einem Ausstattungmerkmal unterscheiden gleich von besonders großer Bedeutung. So – etwa im Hinblick auf den Emittenten, die hatten Ende 1995 etwa drei Viertel aller aus- Währung oder die Laufzeit – läßt Aussagen stehenden Bankkredite an den Privatsektor über Größenordnung und Änderung dieser eine Laufzeit von vier Jahren und darüber, Komponenten zu. Analyse der Zinsentwicklung … wobei für einen Großteil hiervon langfristig feste Zinsen vereinbart waren. So erlauben Zinsdifferenzen zwischen Papieren in unterschiedlicher Währung – bei inter- Nominale und reale Kapitalmarktzinsen Die Entwicklung der Kapitalmarktzinsen wird nationaler Kapitalmobilität – Rückschlüsse zumeist anhand nominaler Renditen beur- auf Währungsrisiken oder erwartete Wech- teilt, die aus den Kursen langlaufender fest- selkursveränderungen und die dahinter ste- verzinslicher Wertpapiere errechnet werden. henden Unterschiede in der wirtschaftlichen Wesentlich für Sparer und Investoren sind Entwicklung der betrachteten Länder. Der Zu- jedoch nicht nur die nominalen Sätze, son- sammenhang zwischen kurz- und langfristi- dern mindestens ebenso die für die Laufzeit gen Zinsen läßt sich über die Annahme her- eines Kreditvertrages erwarteten realen Er- stellen, daß durch Arbitragevorgänge der Er- träge beziehungsweise Finanzierungskosten. trag aus einem langfristigen Kapitalmarkt- Allerdings können auch die nominalen Zins- engagement dem erwarteten Ertrag aus sätze vorübergehend das reale Wirtschafts- revolvierenden kurzfristigen Anlagen ent- geschehen beeinflussen. Angesichts der be- spricht. Aus den Zinsniveaus bei unterschied- stehenden Preisrigiditäten in vielen Bereichen der Wirtschaft führen insbesondere sehr rasche Nominalzinsbewegungen zeitweilige Verzerrungen der relativen Preise herbei und 18 1 Vgl. hierzu: Deutsche Bundesbank, Reaktionen der Geldmarkt- und kurzfristigen Bankzinsen auf Änderungen der Notenbanksätze, Monatsbericht, Oktober 1996, S. 33 – 48. … durch Renditenvergleiche Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Kapitalmarktzins und Inflationsrate % p.a. % p.a. + 10 + 10 Kapitalmarktzins 1) + 8 + 8 + 6 + 6 + 4 + 4 + 2 + 2 Inflationsrate 2) 0 0 – 2 – 2 1980 81 82 83 84 85 86 87 88 89 90 91 92 93 94 95 1996 1 Umlaufsrendite inländischer Rentenwerte. — 2 Preisindex für die Lebenshaltung aller privaten Haushalte in Westdeutschland; Veränderung gegen Vorjahr in %. Deutsche Bundesbank lichen Laufzeiten kann so prinzipiell auf die für die langfristigen Finanzierungskosten der Erwartungen über die künftigen kurzfristigen deutschen Unternehmen, die sich Kreditmit- Zinsen geschlossen werden. tel kaum direkt am Anleihemarkt, sondern weit überwiegend bei Banken beschaffen. Nominale Zinsen Ab Herbst 1989 stieg die Umlaufsrendite inländischer Rentenwerte vor dem Hintergrund Messung der nominalen Kapitalmarktzinsen Ein Maß für die allgemeine Zinssituation am der wirtschaftlichen Unwägbarkeiten im Ge- Kapitalmarkt ist die Umlaufsrendite inländi- folge des Falls der Mauer um mehr als zwei scher Rentenwerte, die als gewichtete Ren- Prozentpunkte auf 9 1⁄ 4 % bis zum September dite aller umlaufenden tarifbesteuerten Inha- 1990 an. Danach gaben die Kapitalmarktsätze berschuldverschreibungen mit einer Restlauf- trotz zeitweilig anziehender Inflationsraten zeit von mehr als drei Jahren ermittelt wird. und starken Wirtschaftswachstums in der Ten- Sie zeigt die durchschnittlichen nominalen Fi- denz dann wieder etwas nach. Während sich nanzierungskosten, die bei einer direkten In- der Preisauftrieb von 2,7 % im Jahre 1990 auf anspruchnahme des Rentenmarktes entste- 4,0 % im Jahre 1992 beschleunigte, wuchs hen. Angesichts des relativ engen Gleichlaufs das mit den Bankzinsen für langlaufende Dar- deutschland 1990 und 1991 um 5,7 % bezie- lehen ist sie zugleich ein geeigneter Indikator hungsweise 5 %; dennoch gingen die Kapital- reale Bruttoinlandsprodukt in West- 19 Verbessertes heimisches Zinsumfeld … Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 marktzinsen auf etwa 8 3 ⁄ 4 % Ende 1991 zu- Investoren pro Monat durchschnittlich für rück. Offenbar schwanden die zunächst sehr 19 Mrd DM (netto) inländische Anleihen.2) In ausgeprägten Unsicherheiten über die aus der Folge kam es dann zu einer Verkaufs- dem Vereinigungsprozeß resultierenden Bela- welle, die in Netto-Verkäufen von 19 1⁄ 2 Mrd stungen in dieser Phase allmählich. Nach Mitte DM allein im März 1994 gipfelte. Mit dem 1992 erhielt der Renditenrückgang dann durch Abklingen der Inflationsängste im Ausland, verbesserte Stabilitätsperspektiven nachhaltige die 1994 zum schubartigen Renditenanstieg Impulse. Der Preisanstieg verlangsamte sich beigetragen hatten, schwenkte der deutsche kontinuierlich auf nur noch 1,7 % im Durch- Kapitalmarktzins wieder stärker auf den von schnitt des Jahres 1995, in den ersten zehn heimischen Faktoren vorgezeichneten Pfad Monaten von 1996 betrug er (auf ein Jahr ein. Bis Ende 1995 fiel die Umlaufsrendite auf hochgerechnet) 1,5 %. Gleichzeitig ließ die den bereits zwei Jahre zuvor erreichten Stand wirtschaftliche Dynamik nach dem Auslaufen zurück; nach einem zeitweiligen Zinsanstieg des „Vereinigungsbooms“ spürbar nach. zu Beginn dieses Jahres bewegten sich die Renditen durchgängig auf niedrigem Niveau. … von wechselnden internationalen Einflüssen überlagert Ab Anfang 1992 löste sich die Renditenent- Mitte November 1996 betrug die Umlaufs- wicklung mehr und mehr von diesem durch rendite 5 1⁄ 4 %. heimische Einflüsse vorgezeichneten Trend, und der typischerweise enge Gleichlauf zwischen Der trendmäßige Rückgang der nominalen Inflationsrate und Kapitalmarktzins ging zeit- Kapitalmarktzinsen in der ersten Hälfte der weise völlig verloren. Zunächst geriet der deut- neunziger Jahre war insbesondere durch die sche Kapitalmarkt in den Sog des internationa- verbesserten Stabilitätsperspektiven unter- len Zinsrückgangs, der durch anhaltende Zins- mauert und insofern von den Wirtschafts- senkungserwartungen sowie eine reichliche akteuren kalkulierbar. Zu Unsicherheiten und Liquiditätsausstattung genährt Störeinflüssen kam es allerdings durch die wurde und insbesondere 1993 hausseartige erheblichen Abweichungen der Rendite von Züge annahm. Bis Ende 1993 fiel die Um- diesem Trend. Die zeitweise als äußerst nied- im Ausland 1 laufsrendite auf 5 ⁄ 2 % und erreichte damals rig eingeschätzten Kapitalmarktzinsen und einen historischen Tiefstand. Im Februar 1994 das damit verbundene große Risiko zukünfti- löste der Umschwung in den Erwartungen ger Kursverluste bei Rentenmarktengage- der Marktteilnehmer nach der Anhebung der ments verursachten – zeitweilig noch unter- Notenbankzinsen in den USA eine starke stützt durch Sonderfaktoren wie Steuer- Gegenbewegung aus, und bis Ende 1994 rechtsänderungen – einen unverhältnismäßig 1 stiegen die Kapitalmarktzinsen auf 7 ⁄ 2 % an. starken Rückgang der Geldkapitalbildung. Der starke internationale Einfluß spiegelt sich deutlich in den Auslandsdispositionen am heimischen Anleihemarkt wider. Von September 1992 bis Januar 1994 erwarben ausländische 20 2 Dieser statistisch ausgewiesene Auslandserwerb ist allerdings insofern überzeichnet, als dahinter auch Rückflüsse inländischer Sparmittel stehen, die im Zusammenhang mit der Einführung des steuerlichen Zinsabschlags ins Ausland verlagert wurden. Zeitweilig Störeinflüsse auf die monetäre Entwicklung … Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Dies führte zu einem entsprechenden Über- Nominale Kapitalmarktzinsen und Cash Flow der Unternehmen *) schießen der Geldmenge M3 im Frühjahr 1994 und 1996. Akzentuiert wurden diese Probleme durch starke kurzfristige Schwan- % kungen der Kapitalmarktrendite, die Ausdruck gestiegener Unsicherheit waren.3) Umlaufsrendite inländischer Rentenwerte 10 9 … aber geringe realwirtschaftliche Auswirkungen Die Auswirkungen der im Jahre 1994 überschießenden nominalen Zinsen auf die realwirtschaftliche Aktivität wurden durch eine gleichzeitig verbesserte Liquiditätssituation 8 7 6 der Unternehmen gedämpft. Der Verteuerung der langfristigen Fremdmittelbeschaf- Cash Flow 1) in % des Umsatzes 5 fung im Jahre 1994 standen höhere Mittelzuflüsse der Unternehmen aus ihrer laufenden Tätigkeit gegenüber, so daß die Betriebe weniger auf die Aufnahme von Krediten angewiesen waren. In den Jahren 1992 und 1993 ging dagegen der Cash Flow im Ver- 1981 85 90 1995 * Unternehmen im Produzierenden Gewerbe, Handel und Verkehr lt. Unternehmensbilanzstatistik der Deutschen Bundesbank. — 1 Eigenerwirtschaftete Mittel, insbes. Jahresüberschuß zuzüglich Abschreibungen sowie Veränderungen der Rückstellungen. Deutsche Bundesbank hältnis zu den Umsatzerlösen kräftig zurück, während sich zugleich die langfristige Fremd- zuschätzen. Vielfach wird vereinfachend un- mittelbeschaffung beträchtlich verbilligte. Im terstellt, daß die bisherige Inflationsentwick- Ergebnis ist es somit in den letzten Jahren lung einen wesentlichen Einfluß auf die Er- nicht zu einer wachstumsdämpfend wirken- wartungen hat. Die Nominalzinsen werden in den „Zangenbewegung“ durch steigende diesem Fall mit einfachen oder gewichteten Zinsen und insgesamt rückläufigen Cash Flow Durchschnitten vergangener Inflationsraten gekommen. deflationiert, um eine Approximation für den erwarteten Realzins (einschließlich Risikoprämien) zu erhalten. Im längerfristigen Mittel Reale Zinsen ist die Art der Bereinigung von Nominalzinsen von untergeordneter Bedeutung. Recht Konzeptionelle Probleme der Realzinsmessung Der für Spar- und Investitionsentscheidungen schwierig ist es dagegen, die Realzinsent- besonders wichtige, über die Kreditlaufzeit wicklung in kürzeren Zeitabschnitten abzu- erwartete reale Zins ist nicht direkt beobacht- schätzen. Insbesondere in Phasen mit ausge- bar. Zur Realzinsbestimmung müssen Nomi- sprochen niedrigen oder hohen Inflationsra- nalzinsen um den erwarteten Kaufkraftver- ten, oder wenn sich eine grundlegende Neu- lust bereinigt werden. Damit ergibt sich das Problem, die – ebenfalls nicht unmittelbar beobachtbaren – Inflationserwartungen ab- 3 Vgl. hierzu: Deutsche Bundesbank, Finanzmarktvolatilität und ihre Auswirkungen auf die Geldpolitik, Monatsbericht, April 1996, S. 53 – 70. 21 Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Im dritten Quartal 1996 lagen die realen Realzinsen in den G7-Ländern *) Kapitalmarktzinsen etwa auf dem gleichen Niveau wie in den achtziger Jahren. Die Beur- % p. a. Land Deutschland USA Frankreich Italien Kanada Japan Großbritannien Deutschland USA Frankreich Italien Kanada Japan Großbritannien Drittes 1970 bis 1980 bis 1990 bis Quartal 1979 1989 1996 1996 1) Statische Erwartungen 3,2 4,8 4,5 0,4 5,0 3,6 1,0 5,0 6,0 – 2,3 3,4 6,9 1,1 5,2 6,4 – 1,6 4,2 3,4 – 1,1 4,0 4,8 Autoregressive Erwartungen 3,4 4,6 4,4 0,9 4,5 3,4 1,3 4,3 5,8 – 1,3 2,7 6,8 1,5 4,8 5,9 – 1,7 4,0 3,2 – 0,5 3,6 4,2 4,9 3,8 4,6 5,5 6,3 3,1 5,7 4,6 4,0 4,6 4,2 6,0 3,3 4,9 * Berechnet aus den Renditen von langlaufenden Staatsanleihen und den Preisniveauveränderungen auf Konsumentenebene. Die beiden Verfahren unterscheiden sich hinsichtlich der Gewichte, mit denen vergangene Inflationsraten in die Erwartungsbildung eingehen. Statische Erwartungen basieren auf der aktuellen Inflationsrate, die hier berechneten autoregressiven Erwartungen auf dem gleitenden Durchschnitt der Inflationsraten der letzten beiden Jahre. Die Ergebnisse differieren folglich um so mehr, je größer die kurzfristige Inflationsdynamik ist. — 1 Japan: 2. Quartal 1996. teilung des „aktuellen“ Realzinses wird dabei sowohl durch die gegenwärtig ungewöhnlich niedrigen Inflationsraten als auch den näherrückenden Starttermin der dritten Stufe der Europäischen Währungsunion erschwert. In den neunziger Jahren kam es in Deutschland zu einer Ersparnislücke und damit zu einer Verknappung von Kapital; im Durch- … aber andere Triebkräfte in den neunziger Jahren … schnitt der Jahre 1990 bis 1995 ging – analog zur Passivierung der Leistungsbilanz – das Netto-Auslandsvermögen jährlich um 0,4 % des Bruttoinlandsprodukts zurück. Ausschlaggebend für diese Ersparnislücke war der sprunghafte Anstieg der öffentlichen Verschuldung im Gefolge der Wiedervereini- Deutsche Bundesbank gung. Die marktmäßige Nettokreditauf- ausrichtung der Geldpolitik abzeichnet bezie- nahme der öffentlichen Hand (einschl. Treu- hungsweise stattgefunden hat, läßt die Be- handanstalt) lag von 1990 bis 1994 durch- trachtung der Inflationshistorie alleine kaum schnittlich bei gut 4 1⁄ 2 % und 1995 bei knapp verläßliche Rückschlüsse auf Erwartungen zu, 3 % des Bruttoinlandsprodukts, während der die solche Regimewechsel berücksichtigen. Staatshaushalt Ende der achtziger Jahre nur wenig Kreditmittel benötigte. Nach den Kon- Wenig veränderte Realzinsen … In der langfristigen Perspektive läßt sich für solidierungsanstrengungen Deutschland konstatieren, daß sich die realen Jahre gingen damit von der öffentlichen Ver- (langfristigen) schuldung – wie schon in den Siebzigern – Kapitalmarktzinsen in den 1 neunziger Jahren mit etwa 4 ⁄ 2 % in der glei- der achtziger Tendenzen zu steigenden Realzinsen aus. chen Größenordnung wie in der Dekade davor bewegen, aber um gut einen Prozent- Im Verlauf der achtziger Jahre ging in West- punkt höher sind als in den siebziger Jahren. deutschland – wie auch in anderen Industrie- Im internationalen Vergleich befinden sich die ländern 4) – eine wieder verbesserte Sachkapi- deutschen Realzinsen eher im unteren Be- talrendite (ermittelt als Bruttoeinkommen der reich des Spektrums. Unabhängig vom be- Unternehmen abzüglich kalkulatorischem trachteten Maß läßt sich auch festhalten, daß die Schwankungen des Realzinses in den neuziger Jahren wieder zugenommen haben. 22 4 Vgl. hierzu u. a. Group of Ten, Saving, Investment and Real Interest Rates, Rom 1995. … als in der Dekade davor Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Unternehmerlohn, bezogen auf das Netto- Kapitalmarktzinsen ausgewählter Industrieländer *) anlagevermögen zu Wiederbeschaffungspreisen) mit dem trendmäßigen Anstieg der Realzinsen einher. Die Sachkapitalrendite stieg in diesem Zeitraum – ausgehend von % 15 Italien 14 einem ungewöhnlich niedrigen Niveau – um etwa sechs Prozentpunkte an. Die lang an- 13 haltende Aktienhausse in den achtziger Jah- 12 ren stützt die These, daß es verbesserte Er- 11 tragserwartungen der Unternehmen waren, 10 die eine höhere Realverzinsung von Finanz- Spanien Frankreich 9 titeln ermöglichten. Aus wachstumspoliti8 schem Blickwinkel ist die Konstellation in den achtziger und den neunziger Jahren damit 7 unterschiedlich zu bewerten. Während stei- 6 gende Realzinsen infolge verbesserter Sach- 5 Niederlande Deutschland USA kapitalrentabilität Ausdruck eines langfristig 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 günstigeren Investitionsklimas und folglich * Rendite von Staatsanleihen mit etwa zehnjähriger Restlaufzeit. zunehmender Nachfrage nach Krediten für Deutsche Bundesbank reale Investitionen sind – und damit als Indiz für eine Stärkung der Wachstumskräfte gel- ses Risiko hat mit dem starken Anstieg der ten können –, trifft für die Verdrängung pri- disponiblen Anlagemittel in den Händen häu- vater Investitionen durch steigende Realzin- fig kurzfristig agierender institutioneller Ak- sen aufgrund höherer öffentlicher Verschul- teure dung das Gegenteil zu. schaftspolitische Unsicherheiten können in zugenommen. Insbesondere wirt- einem solchen Umfeld einen raschen Anstieg Wieder ausgeprägtere Schwankungen der Realzinsen Dämpfend auf den realen Kapitalmarktzins der im Kapitalmarktzins enthaltenen Risiko- wirkten die umfangreichen langfristigen Mit- prämien nach sich ziehen. telzuflüsse aus dem Ausland in den Jahren 1992 und 1993. Die kräftigen Schwankungen des Realzinses und insbesondere der An- Zinsentwicklung im internationalen stieg im Jahre 1994 zeigen allerdings die Zusammenhang Kehrseite der Globalisierung der Finanzmärkte. Erweiterten Zugriffsmöglichkeiten Um die heimische Zinsentwicklung in eine auf die weltweiten Ersparnisse steht in einer internationale Perspektive rücken zu können, Welt hochgradig vernetzter Kapitalmärkte ist es erforderlich, die Renditen von Papieren das Risiko gegenüber, kurzfristig massive gegenüberzustellen, die über die betrachte- Kapitalzu- oder -abflüsse und empfindliche ten Länder hinweg relativ homogen sind. Zu Zinsbewegungen hinnehmen zu müssen. Die- diesem Zweck wird in aller Regel auf Staats- 23 Kapitalmarktzinsen im internationalen Vergleich Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Übertragung der Renditenschwankungen vom US-Rentenmarkt *) + 0,8 + 0,7 Monatsdurchschnitte in Prozent 95%-Konfidenzintervall traditionell etwa gleichauf mit den deutschen Kapitalmarktzinsen liegen, bewegen sich seit einiger Zeit auch die französischen Renditen auf einem dem deutschen Markt vergleichbaren Niveau. Während sich die deutschen + 0,6 und die französischen Renditen im Verlauf + 0,5 der neunziger Jahre somit weitestgehend an- + 0,4 geglichen haben, weisen Italien und Spanien + 0,3 – trotz zeitweise beträchtlicher Annäherung – weiterhin + 0,2 höhere Kapitalmarktzinsen als Deutschland auf. Zwar ist der Renditenab- + 0,1 stand gegenüber Spanien und Italien allein 0 seit Mitte dieses Jahres um drei Viertel Pro- – 0,1 zentpunkte beziehungsweise einen ganzen – 0,2 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 Prozentpunkt geschrumpft, doch beträgt er * Vortägliche Renditenbewegungen am USAnleihemarkt, die auf den deutschen Rentenmarkt übertragen werden; ermittelt als Koeffizient der verzögerten US-Renditenänderung in einer Schätzgleichung für die deutsche 10-Jahres-Rendite (über einen gleitenden 130-Tage-Zeitraum). Mitte November noch mehr als anderthalb Prozentpunkte beziehungsweise fast zwei Prozentpunkte. Deutsche Bundesbank Sowohl der weltweite Zinsrückgang als auch anleihen mit etwa zehnjähriger Laufzeit zu- die Annäherung der Renditen wurden An- rückgegriffen, die länderübergreifend sehr fang 1994 vorübergehend unterbrochen. Die ähnliche Ausstattungsmerkmale aufweisen Kapitalmarktzinsen stiegen an den internatio- und grundsätzlich diejenigen Papiere mit dem nalen Rentenmärkten innerhalb eines Jahres geringsten Ausfallrisiko sind. Im folgenden stark an, und das Renditenspektrum fächerte werden neben der US-Rendite, die für den sich wieder deutlich auf. Im Frühjahr 1995 weltweit größten Anleihemarkt steht, die setzten die internationalen Renditen dann zu Kapitalmarktzinsen ausgewählter EU-Länder einer erneuten Talfahrt an; gegenwärtig lie- betrachtet. gen sie in den meisten Ländern auf einem im … aber zwischenzeitlich kräftige Rückschläge historischen Vergleich ausgesprochen niedriRenditenannäherung bei rückläufigem Zinsniveau … An den Kapitalmärkten dieser Länder sind die gen Niveau. Renditen seit Beginn der neunziger Jahre im Trend deutlich zurückgegangen; gleichzeitig Weitgehend unabhängig vom Zusammen- kam es zu einer Verengung des Renditenspek- hang zwischen den Kapitalmarktzinsniveaus trums. Die Zinsdifferenz gegenüber den Ver- hat sich in den achtziger und neunziger Jah- einigten Staaten hielt sich – mit wechselndem ren die Übertragung von kurzfristigen Rendi- Vorzeichen – zumeist innerhalb einer Band- tenschwankungen zwischen den Märkten breite von weniger als einem Prozentpunkt. verstärkt. Insbesondere von den Vereinigten Neben den niederländischen Renditen, die Staaten gehen typischerweise starke Impulse 24 Internationale Übertragung von Zinsimpulsen Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 auf die Zinsbewegungen am deutschen Rentenmarkt aus. Dieser zum Beispiel mit Hilfe Internationaler Zusammenhang monatlicher Renditenänderungen *) von Korrelationsanalysen meßbare Zinszusammenhang ist bereits seit Anfang der achtziger Jahre insgesamt recht straff, unterliegt aber phasenabhängigen Schwankungen. So war er beispielsweise während der Turbulenzen im Europäischen Währungssystem (EWS) Land Deutschland USA kursentwicklung zunahmen und zu hohen und variablen Risikoprämien für einzelne Währungen führten. In solchen Phasen den Wechselkursunsicherheiten in den Hintergrund. Nach der EWS-Krise stieg der prozentuale Anteil der Renditenänderungen auf dem deutschen Rentenmarkt, der durch Be- 0,35 1,00 Niederlande Italien Spanien 0,49 – 0,23 0,19 0,32 0,22 0,36 … … 0,20 0,06 0,06 0,14 April 1979 bis August 1992 Deutschland USA rücken die erwarteten Erträge aus Kursveränderungen an den Kapitalmärkten gegenüber Frankreich Mai 1973 bis März 1979 in den Jahren 1992 und 1993 weniger eng, als Unsicherheiten über die weitere Wechsel- USA 0,51 1,00 0,48 0,38 0,53 0,54 September 1992 bis August 1996 Deutschland USA 0,55 1,00 0,70 0,28 0,69 0,35 0,43 0,12 0,51 0,26 * Korrelationskoeffizienten der prozentualen monatlichen Renditenänderungen für die jeweiligen Länderpaare. Berechnet auf Grundlage von Monatsdurchschnitten der Umlaufsrendite öffentlicher Anleihen mit ungefähr zehnjähriger Restlaufzeit. Deutsche Bundesbank wegungen der US-Rendite vom Vortage erklärt werden kann, wieder stark – auf zeit- die dahinter stehende konsequente stabilitäts- weilig 60 % – an. Dieser enge kurzfristige politische Ausrichtung einer wachsenden Zahl Verbund mit den Vereinigten Staaten blieb von Notenbanken. Das Niveau der Inflations- bis in die jüngste Zeit erhalten. raten der hier betrachteten Länder ist im historischen Vergleich ausgesprochen niedrig, Gegenüber den hier betrachteten europäischen und die Inflationsdifferenzen haben sich im Ländern hat die Korrelation der monatlichen Laufe der neunziger Jahre deutlich verringert. (prozentualen) Renditenveränderungen auch Die Inflationsunterschiede zwischen den ein- über die EWS-Krise und die anschließende zelnen Ländern schlagen sich allerdings nur Bandbreitenerweiterung hinweg im Trend zu- unvollständig in den Renditendifferenzen nie- genommen. Offenbar hängt die Eindämmung der. In einer längerfristigen Durchschnittsbe- von Währungsunsicherheiten weniger von for- trachtung stimmen die Veränderungen der In- malen Arrangements ab als vielmehr von flations- und Renditendifferentiale zwar grob glaubwürdigen und mit festen Wechselkursen überein; allerdings wird dieser Zusammen- kompatiblen Stabilitätspolitiken. hang vor allem in der kurzen Frist häufig von Wechselkursänderungserwartungen Internationale Stabilitätserfolge … überla- Der Rückgang der nominalen Renditen auf gert, die nicht im Einklang mit der erwarteten breiter Front ist ein Indiz für die internationa- Entwicklung der Kaufkraftverhältnisse stehen len Erfolge bei der Inflationsbekämpfung und 25 Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Internationale Renditen- und Inflationsdifferenzen gegenüber Deutschland *) optimierung im globalen Maßstab bringt zumeist mit sich, daß Dispositionen nicht auf die Märkte in einem Land beschränkt bleiben. Hinzu kommt, daß die Messung des individuellen Anlageerfolgs relativ zur Entwicklung Prozentpunkte Land Renditendifferenz Inflationsdifferenz 1980-89 1980-89 1990-96 1990-96 des Gesamtmarktes ein gleichgerichtetes Verhalten der Akteure begünstigt. Folglich kann die Neueinschätzung schon eines wichtigen USA 3,0 – 0,4 2,5 0,5 Marktes parallele Renditenbewegungen in Frankreich 4,7 0,9 4,2 – 0,5 anderen Ländern auslösen. Die Hausse an Niederlande 0,5 – 0,1 – 0,1 – 0,3 Italien 7,2 4,6 7,8 2,2 men, die zu einer ausgeprägten Eigendyna- Spanien 6,8 4,0 6,9 2,3 mik der Märkte führen können, wie das den inländischen Anleihemärkten im Jahre 1993 ist ebenso Ausdruck dieser Mechanis- * Renditendifferenz: ausländische minus deutsche Umlaufsrendite öffentlicher Anleihen mit ungefähr zehnjähriger Restlaufzeit. – Inflationsdifferenz: ausländische minus deutsche Veränderungsrate des Konsumentenpreisindex gegenüber Vorjahr. – Monatswerte; 1996: einschließlich Oktober. plötzliche Umschlagen der Zinserwartungen Anfang 1994, das eine entsprechend scharfe Korrekturbewegung nach sich zog. Bei der Interpretation internationaler Kapital- Deutsche Bundesbank marktzinsdifferenzen ist zu beachten, daß und so einer tendenziellen Angleichung der sich die Renditen von dem durch ökonomi- Realzinsen entgegenwirken. sche Fundamentalfaktoren vorgezeichneten Trend zeitweise deutlich lösen können, bei- … von zeitweiligen Turbulenzen überlagert Die Turbulenzen an den Anleihemärkten im spielsweise aufgrund politischer Faktoren. Da- Jahre 1994 kamen aus heutiger Sicht vor die- her ist die starke Annäherung der Renditen- sem Hintergrund überraschend, da der in niveaus der meisten EU-Länder in der letzten allen beobachtende Zeit nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit starke Renditenanstieg nicht mit einer Trend- einer bereits erfolgten makroökonomischen wende in der tatsächlichen Inflationsentwick- Konvergenz. Schon die Erwartung, daß ein lung einherging. Die außergewöhnliche Ge- Land an der dritten Stufe der Europäischen schwindigkeit und Intensität, mit der sich der Währungsunion teilnehmen wird, bewirkt von den USA ausgehende, durch wachsende eine Angleichung der Renditenniveaus. Eine Inflationsängste genährte Renditenanstieg auf solche „politische“ Zinskonvergenz würde die anderen Staaten übertrug, deutet unter nach Beginn der Währungsunion eine – zu- anderem auch auf veränderte Verhaltenswei- nächst möglicherweise noch fehlende – fun- sen der Akteure an den internationalen damentale Konvergenz erzwingen. Dies wäre Finanzmärkten hin. Eine wichtige Rolle spielt aber eine schwere Hypothek für die Glaub- dabei die zunehmende Präsenz weltweit würdigkeit einer gemeinsamen europäischen agierender institutioneller Anleger. Portfolio- Geldpolitik. Um die davon ausgehende in- 26 Industrieländern zu Zinskonvergenz auf dem Weg zur EWU Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 tegrationspolitische Gefahr bereits im Vorfeld Renditenstruktur in den neunziger Jahren *) möglichst gering zu halten, ist auf die strikte Einhaltung aller im Maastricht-Vertrag festgelegten Konvergenzkriterien zu drängen. % p.a. 9,5 August 1992 Renditenstruktur 9,0 8,5 Ermittlung und Darstellung der Renditenstruktur Die Renditenstruktur gibt die Renditenkonstel- 8,0 lation am Kapitalmarkt in Abhängigkeit von der (Rest-) Laufzeit der Anleihen wieder. Eine geläufige Darstellungsform ist die Renditen- Januar 1990 7,5 7,0 strukturkurve, die aus der begrenzten Zahl der verfügbaren Anleiherenditen durch Schätzung einer stetigen Funktion ermittelt wird. Um 6,5 Februar 1994 6,0 eine möglichst große Homogenität der in die Ermittlung der Kurve einbezogenen Papiere zu gewährleisten, wird dabei ausschließlich auf 5,5 5,0 börsennotierte Bundeswertpapiere zurückgegriffen. 4,5 4,0 Entwicklung der Renditenstruktur Die Renditenstruktur am deutschen Kapital- Oktober 1996 3,5 markt hat seit Ende der achtziger Jahre fast einen vollständigen Zyklus durchlaufen. Aus- 3,0 gehend von einer leichten Inversion führten zu Beginn der laufenden Dekade die wirtschaftspolitischen Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung zu steigenden langfristigen Zinsen und damit zu 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Restlaufzeit in Jahren * Regressionswerte für börsennotierte Bundeswertpapiere. Deutsche Bundesbank einem flachen Kurvenverlauf. Infolge anzie- riet, liegen die langfristigen Zinsen wieder hender kurzfristiger Zinsen kam es – ab An- deutlich oberhalb der kurzfristigen Sätze. fang 1991 – zu einer immer ausgeprägteren Seitdem hat sich der Zinsabstand zwischen Inversion der Renditenstrukturkurve. Ab Sep- dem kurzen und dem langen Ende des Mark- tember 1992, als die Bundesbank mit der tes auf niedrigem Niveau kontinuierlich aus- Lockerung ihrer Zinspolitik begann, bildeten geweitet; seit Anfang 1996 ist der Renditen- sich die kurz- und langfristigen Kapitalmarkt- abstand zwischen zehn- und einjährigen zinsen zunächst im Gleichschritt zurück. Seit Bundesanleihen mit ununterbrochen rund Februar 1994, als der deutsche Kapitalmarkt 300 Basispunkten ungewöhnlich groß. in den Sog des weltweiten Zinsauftriebs ge- 27 Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Ansätze zur Erklärung der Inversion … Die Inversion der Renditenstrukturkurve An- Wirtschaftswachstum und aufgrund der da- fang der neunziger Jahre spiegelt die Wirkun- mit zusammenhängenden Gefahren für die gen der in steigenden Geldmarktsätzen zum Preisstabilität auf längere Sicht ein Gegen- Ausdruck kommenden entschlossenen Stabi- steuern der Notenbank und steigende kurz- litätspolitik der Bundesbank wider. Diesen fristige Zinsen erwarteten. Insbesondere der Schluß legt zum Beispiel die Erwartungshypo- seit Herbst 1995 zu beobachtende Verlauf these der Zinsstruktur nahe, wonach die Stei- der Renditenstrukturkurve ist jedoch im gung der Zinsstrukturkurve sowohl als Indika- historischen Vergleich ungewöhnlich steil und tor für die erwarteten kurzfristigen Zinsen als nicht allein mit diesen Argumentationsmu- auch für die künftige Veränderung der Infla- stern zu erklären. 5) tionsraten interpretiert werden kann. So gesehen weist die ausgeprägt inverse Zinsstruk- Die Laufzeiten der längerfristigen Anleihen tur im ersten Halbjahr 1992 auf die Erwar- reichen bis weit über die Jahrtausendwende tung sinkender Inflationsraten und – auf- und damit bis hinter den Zeitpunkt des ge- grund des daraus resultierenden geldpoliti- planten Beginns der dritten Stufe der Euro- schen Lockerungsspielraums – auf künftig päischen Währungsunion (EWU). Die Rendi- rückläufige kurzfristige Zinsen hin. Offenbar ten dieser Papiere beinhalten folglich Erwar- ist es der Bundesbank gelungen, durch ihre tungen über das Zinsniveau innerhalb der Politik die mit den Unwägbarkeiten der deut- Währungsunion. Der seit längerem zu beob- schen Einigung verbundenen Inflationsrisiken achtende, ausgeprägt steile Verlauf der Rendi- frühzeitig einzudämmen und das Vertrauen tenstrukturkurve kann insofern mit Unsicher- der Anleger in die längerfristige Stabilität der heit oder Skepsis gegenüber den Zins- und D-Mark zu erhalten. Inflationsverhältnissen in der Europäischen Währungsunion … und der „Normalisierung“ der Renditenstruktur zusammenhängen. Diese Im Zuge der ab September 1992 einsetzen- gründen sich zum einen auf die Sorge, insbe- den Senkung der Notenbankzinsen bildete sondere die fiskalpolitischen Konvergenzkri- sich bis Ende 1993 allmählich wieder eine terien könnten nachgiebig ausgelegt werden. leicht ansteigende Renditenstrukturkurve her- In diesem Zusammenhang werden auch die aus. Ein solcher Kurvenverlauf kann als Nor- Versuche einer „kreativen Buchhaltung“ bei malfall angesehen werden, da Anleger für der Ermittlung der Daten für die Finanzpoli- den mit einer langfristigen Anlage verbunde- tik, die der Beurteilung fiskalischer Konver- nen Liquiditätsverzicht eine mit der Bindungs- genz zugrundegelegt werden, zunehmend dauer zunehmende Kompensation (Liquidi- kritisch beobachtet. Zum andern könnten Be- tätsprämie) verlangen. Insofern kann ein fürchtungen bestehen, daß die Europäische höheres Zinsniveau am „langen Ende“ nicht unbedingt mit der Erwartung steigender Inflationsraten gleichgesetzt werden. Hinzu kam in der Phase ab Anfang 1994 vermutlich, daß die Marktakteure wieder ein kräftigeres 28 5 Vgl. zur erwartungstheoretischen Interpretation der Zinsstruktur und einer empirischen Überprüfung des Informationsgehalts der Renditenstruktur für die künftige Inflationsentwicklung den Anhang zu diesem Aufsatz. „EWU-Prämie“ im langfristigen Zins plausibel … Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Zentralbank (EZB) eine weniger stabilitätsori- Geldpolitische Implikationen entierte Politik als die Bundesbank verfolgt. Die Zinsentwicklung im bisherigen Verlauf der … aber nicht eindeutig nachweisbar Für die Existenz einer „EWU-Prämie“ im neunziger Jahre hat die Möglichkeiten und deutschen Kapitalmarktzins gibt es zwar kei- Grenzen einer systematischen Beeinflussung nen eindeutigen Beleg, aber eine Reihe von der Kapitalmarktzinsen durch die Bundes- Indizien. So besteht der ungewöhnlich große bank deutlich gezeigt. In der längerfristigen Renditenabstand von rund 300 Basispunkten Perspektive zeichnete die konsequente Sta- zwischen zehn- und einjährigen Papieren bilitätsorientierung der Geldpolitik nach den nunmehr schon seit einem dreiviertel Jahr inflationären Spannungen im Zusammen- und damit ungefähr doppelt so lange wie in hang mit der deutschen Vereinigung die vergleichbaren früheren Perioden. Ein Ansatz Rückkehr zur Preisstabilität vor und ebnete zur Quantifizierung einer solchen Prämie be- auf diese Weise den Weg für den trendmä- steht darin, im Rahmen ökonometrischer ßigen Rückgang der nominalen Kapitalmarkt- Modelle über einen langfristigen Zeitraum die zinsen. Gegen Störeinflüsse, die zeitweilig Determinanten des Kapitalmarktzinses zu aus dem engen internationalen Verbund der schätzen und aus Abweichungen zwischen Renditenbewegungen resultieren – wie etwa den geschätzten und den beobachteten Ren- Anfang 1994 –, kann die heimische Geld- diten auf besondere Einflüsse zu schließen. politik dagegen kaum etwas ausrichten. Ihre Allerdings lassen derartige Untersuchungen Handlungsmöglichkeiten beschränken sich in bislang keine eindeutige Interpretation zu, solchen Phasen im wesentlichen darauf, zumal die Schätzunsicherheiten so groß sind, durch klare Vorgaben die Märkte zu stabili- daß keine verläßlichen Angaben über eine sieren und dadurch das Ausmaß der Zinsbe- solche Risikoprämie getroffen werden kön- wegungen möglichst auf das fundamental nen. Die Modellierung des Zinsgefälles auf gerechtfertigte Maß zu begrenzen. Möglichkeiten zur Beeinflussung der nominalen … dem Kapitalmarkt auf der Grundlage der Erwartungstheorie zeigt schließlich, daß zwar Längerfristig kann die Geldpolitik nur die mo- das tatsächliche Zinsgefälle gegenwärtig un- netär bedingten Komponenten des Kapital- terschätzt wird, doch ist dies für Perioden marktzinses – die Prämien für den erwarteten einer steilen Renditenstrukturkurve nicht un- Kaufkraftverlust und für Inflationsunsicher- gewöhnlich. 6) Auch wenn manches für die heit – systematisch beeinflussen. Dagegen ist Existenz einer „EWU-Prämie“ spricht, ist es es nicht nur wenig aussichtsreich, mit geld- aus diesen Gründen nicht möglich, sie genau politischen Mitteln eine nachhaltige Senkung zu quantifizieren. des realen Kapitalmarktzinses anzustreben; wegen der Verunsicherung der Anleger über 6 Siehe zu diesem Ansatz: Deutsche Bundesbank, Reaktionen der Geldmarkt- und kurzfristigen Bankzinsen auf Änderungen der Notenbanksätze, Monatsbericht, Oktober 1996, S. 45 – 46. 29 … und der realen Kapitalmarktzinsen Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 wollen, das Risiko gravierender Fehlallokatio- Kapitalmarktzins und Wertpapierpensionssatz *) nen von Kapital in sich. % p.a. Die kräftigen Zinsbewegungen am Kapitalmarkt und die damit verbundenen Zins- 9 unsicherheiten haben die geldmengenorientierte Strategie der Bundesbank vor neue 8 Zinsbewegungen am Kapitalmarkt und die Rolle der Geldmenge Herausforderungen gestellt. Einerseits haben 7 6 die zinsinduzierten starken Schwankungen in Umlaufsrendite inländischer Rentenwerte der Geldkapitalbildung die höhere kurzfristige Volatilität der Geldmenge M3 wesentlich mitverursacht, somit den Bezug zu zins- 5 politischen Maßnahmen zeitweise gelöst und Wertpapierpensionssatz 4 3 insofern eine stärkere Betonung des mittel% p.a. fristigen Charakters der Geldmengenstrategie erforderlich gemacht. Andererseits unter- nachrichtlich: 15 Volatilität am Rentenmarkt 1) streicht die wachsende Sensitivität der Finanzmärkte die Bedeutung einer transparen- 10 5 ten Notenbankpolitik. Aus diesem Blickwinkel kommt der Geldmenge M3 weiterhin die Funktion einer Kommunikationsvariablen zu, 0 die den zentralen Ansatzpunkt für die Erläuterung der Geldpolitik und die Beurteilung 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 der Stabilitätsperspektiven bildet. Ein solcher * Grau unterlegt sind Phasen, in denen Wertpapierpensionsgeschäfte überwiegend bzw. ausschließlich als Mengentender durchgeführt wurden. — 1 Auf Jahresrate hochgerechnete Standardabweichung der relativen täglichen Änderungen der Umlaufsrendite innerhalb eines Monats. Fixpunkt ist besser als eine Vielzahl nebenein- Deutsche Bundesbank anderstehender Indikatoren geeignet, die geldpolitischen Absichten den Marktteilnehmern zu verdeutlichen und deren Erwartungen zu stabilisieren. die Stabilisierungsorientierung der Notenbank ist am Ende sogar mit einer größeren Geldpolitischer Handlungsbedarf ergibt sich Risikoprämie und damit höheren Kapital- aus Bewegungen der Kapitalmarktzinsen marktzinsen zu rechnen. Das alleinige Ab- grundsätzlich nur dann, wenn diese auf eine zielen auf niedrigere Realzinsen vernachläs- nachhaltig veränderte Einschätzung der Infla- sigt im übrigen deren Funktion als Knapp- tionsperspektiven durch die Marktteilnehmer heitsindikator auf dem Kapitalmarkt. Daher schließen lassen. In solchen Fällen kommt es birgt der Versuch, den Realzins mit geldpoliti- darauf an, geldpolitische Entschlossenheit zu schen oder administrativen Mitteln senken zu demonstrieren und die Inflationserwartungen auf einem stabilitätsgerechten Niveau zu ver- 30 Kapitalmarktzinsen und geldpolitische Maßnahmen Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 ankern. Die Auswahl der geldpolitischen In- die Bundesbank ihre wöchentlichen Wertpa- strumente beeinflußt die Kapitalmarktent- pierpensionsgeschäfte bevorzugt als Men- wicklung vor allem in Phasen wachsender gentender durch. Diese Form der Zentral- Unsicherheit über den weiteren Zinstrend. In bankgeldbereitstellung erleichtert es, dem diesen Zeiträumen – wie etwa um die Jahres- Markt durch klare Zinsvorgaben „Führung zu wende 1993/94, während des Renditenan- geben“ und unerwünschte Zinsbewegungen stiegs 1994 oder seit Frühjahr 1996 – führte am Geld- und Kapitalmarkt zu vermeiden. Anhang Renditendifferenzen und Veränderung der Inflationsraten 7) Die verschiedenen Verläufe der Renditenstruktur Empirische Untersuchungen der Bundesbank mit lassen unter bestimmten Annahmen Rückschlüsse Monatsbeobachtungen für den Zeitraum von Sep- auf die Inflationserwartungen der Finanzmarktteil- tember 1972 bis Februar 1996 haben ergeben, nehmer zu. Die theoretische Grundlage bildet eine daß die Zinsstruktur beziehungsweise das Zinsge- spezielle Interpretation der Erwartungshypothese. fälle, gemessen als die Differenz zwischen Zinssät- Diese besteht darin, zunächst die Nominalzinsen zen für unterschiedliche Zeithorizonte, tatsächlich gemäß der Fisher-Hypothese in den ex ante Real- Informationen über die zukünftige Veränderung zins und die erwartete Inflationsrate zu zerlegen. von Inflationsraten enthält. Dies gilt allerdings nicht auf kürzere, sondern auf längere Sicht. So z = rt + Et [π ] j t j t kann das Segment der Zinsstrukturkurve im Bereich der Restlaufzeiten von vier bis acht Jahren wobei z tj den j-jährigen Nominalzins, rt den Real- teilweise bis zu 50 % der gesamten Variation der zins und Et [π ] die erwartete Inflationsrate über zukünftigen Inflationsrate erklären. Demgegen- j Jahre bezeichnet. Werden nun rationale Erwar- über ist der Informationsgehalt der Zinsstruktur tungen und Konstanz des Realzinses im Zeitablauf über kürzere Fristen eher gering beziehungsweise unterstellt, gibt die Steigung der Zinsstrukturkurve über sehr kurze Zeiträume nicht nachweisbar. Auskunft über die von den Kapitalmarktteilneh- Ausgewählte Schätzergebnisse sind in der Tabelle 8) auf Seite 32 wiedergegeben. Dabei werden ver- j t mern erwartete Veränderung der Inflationsrate. Im einzelnen muß dabei gelten, daß die Differenz zwischen den Nominalzinsen zweier unterschiedlich weit in die Zukunft reichender Anlagen, z tj und z kt (wobei j > k), der erwarteten Veränderung der Inflationsrate über diese Zeithorizonte entspricht. 7 Siehe hierzu: S.T. Schich, Alternative specifications of the German term structure and its information content regarding inflation, Discussion paper 8/96, Economic Research Group of the Deutsche Bundesbank, Frankfurt am Main, Oktober 1996 (deutsche Version erscheint in Kürze). 8 Die Renditenstrukturkurve, wie sie von der Bundesbank geschätzt wird, stellt im Hinblick auf diese Interpretation eine hinreichend gute Approximation der Zinsstrukturkurve dar. Siehe: S.T. Schich, a.a.O. 31 Deutsche Bundesbank Monatsbericht November 1996 Regression der Inflationsratenveränderung auf Zinsdifferentiale ( ) Schätzgleichung: π jt – π kt = α j, k + β j, k z jt – z kt + u j,t k, wobei π jt – π kt die Differenz der realisierten (Jahres-) Inflationsraten über die nächsten j bzw. k Jahre, α j, k eine Konstante, β j, k der Parameter der Steigung der Zinsstrukturkurve, z jt – z kt die Zinsdifferenz zwischen einem j-jährigen und einem k-jährigen (Jahres-) Zinssatz und u j,t k ein Störterm mit den üblichen Eigenschaften ist. Zinsgefälle zwischen j und k Jahren 1) Parameter j = 2, k=1 j = 3, k=2 j = 4, k=3 j = 5, k=1 j = 5, k=2 j = 5, k=3 j = 5, k=4 j = 6, k=3 j = 8, k=2 j = 10, k=1 β j, k 0,33 (0,24) [0,18] 0,96 (0,32) [0,03] 1,84 (0,24) [0,00] 1,00 (0,16) [0,07] 1,59 (0,12) [0,00] 2,05 (0,21) [0,00] 2,21 (0,27) [0,00] 1,92 (0,18) [0,00] 1,35 (0,17) [0,02] 0,79 (0,13) [0,07] 0,04 0,19 0,44 0,31 0,47 0,58 0,52 0,53 0,42 0,37 R2 1 KQ Schätzungen für den Schätzzeitraum von September 1972 bis Februar 1996. Standardfelder des Schätzkoeffizienten in runden Klammern; empiri- sche Wahrscheinlichkeit der Ablehnung der Nullhypothese β j, k = 0 in eckigen Klammern, berechnet mit Hilfe der Bootstrapping Technik. Deutsche Bundesbank schiedene Zinsdifferenzen berücksichtigt, um so der deutschen Zinsstruktur je nach betrachtetem deutlich zu machen, wie der Informationsgehalt Laufzeitsegment variiert. 32