Tom Roßner

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Tom Roßner
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Das Weisse Haus
Tom Roßner
Wenn vom „Weißen Haus“ die Rede ist, können inzwischen drei verschiedene gemeint
sein: Das in Washington, das in Moskau –
und das in Övelgönne. Gemeinsam ist allen
dreien, dass es gar nicht so einfach ist, hineinzukommen. Das „Weiße Haus“ an der Elbe, 2002 von Tim Mälzer und Christian Senkel gegründet, ist so erfolgreich, dass sich
die Inhaber ein ausgefeiltes Reservierungssystem ausdenken mussten, um sämtliche
Anfragen fair berücksichtigen zu können.
Und hat man dann endlich einen Tisch im
„Weißen Haus“ ergattert, stellt man plötzlich fest, dass hier alles etwas anders abläuft
als in anderen Restaurants.
Vienna
Sven Bunge
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das weisse haus
Neumühlen 50
22763 Hamburg
Telefon: 040 - 3909016
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag
12.00 – 15.00 Uhr
Montag bis Samstag
ab 18.00 Uhr.
Samstagmittagüberraschungsmenü
12.00– 15.00 Uhr
www.das-weisse-haus.de
Wohlfühlen mit Kontrollverlust
Um einen Abend im „Weißen Haus“ zu erleben, schaffen Sie
sich am besten rechtzeitig zum Ersten des nächsten Monats
ein Telefon mit automatischer Wahlwiederholung an. Dann
wählen Sie 040-3909016 und geben Sie den Hörer fortan
nicht mehr aus der Hand.
Diese „Gebrauchsanweisung“ ist nötig, denn: Am Monatsanfang gerät die Telefonleitung im „Weißen Haus“, das jeweils in den ersten vier, fünf Tagen eines
Monats die Tischreservierungen für den folgenden annimmt, ins Glühen. Die
„Kombination aus hoher Nachfrage und geringer Sitzplatzkapazität“, wie Restaurantchef und Mitinhaber Christian Senkel sein „hochbürokratisches Reservierungsannahmesystem“ mit entwaffnendem Lächeln entschuldigt, lässt schon
mal rund 500 Anrufe und E-Mails pro Tag eingehen.
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„Und um alle gleich fair zu behandeln, sind wir – vormals
Sie haben reserviert? Glückwunsch! Aber verderben Sie
leidenschaftliche Gastronomen – zu spießigen Finanzbe-
sich die Wartezeit bis zum Besuch des „Weißen Hauses“ nun
amten geworden“, gesteht Christian Senkel. Doch das sollte
nicht mit der Frage nach der passenden Garderobe. Um
Sie nicht schrecken!
den Abend wirklich genießen zu können, benötigen Sie
nämlich keinen teuren Fummel, sondern lediglich die rich-
»Irgendwann klappt es bestimmt!«
tige innere Einstellung. „Bei uns geht’s um Vertrauen“, sagt
Christian Senkel. „Die Gäste müssen in der Lage sein, das
Zepter abzugeben, mit Kontrollverlust klarzukommen“.
Erstens lohnt sich die Mühe wirklich, zweitens kommt jeder mal dran, und drittens ist das ausgeklügelte Buchungsverfahren das einzig Spießige in diesem Kleinod der Koch-
»Die mentale Vorbereitung«
kunst. Wenn’s diesen Monat nicht klappt, versuchen Sie es
also weiter – aber hüten Sie sich davor, am Telefon zu be-
Heißt: Hier wird gegessen, was auf den Tisch kommt. Selbst­
haupten, ein alter Schulfreund von Senkels Kompagnon zu
verständlich ist der Gast König – doch was nutzt ein Adels-
sein, um sich auf die Reservierungsliste zu schummeln. Das
titel, wenn der Koch ein Revoluzzer ist?
haben schon ganz andere vergeblich vor Ihnen versucht.
Setzen Sie sich, freuen Sie sich, genießen Sie die Atmosphä-
Und so viele Schulfreunde kann keiner haben, der in den
re: Das Knarren der alten Holzdielen. Bei Regen das Prasseln
70er Jahren in Pinneberg Lesen und Schreiben gelernt hat –
auf dem Dach des Wintergartens. Das Stimmengewirr. Das
auch Tim Mälzer nicht.
Rattern der knallroten Kaffeemühle. An den weißgetünchten Wänden farbenfrohe Tupfer abstrakter Kunst, auf den
weiß gedeckten Tischen Kunstwerke aus der Meisterküche.
Beobachten Sie die Kellner – vielleicht haben Sie Glück und
sehen, wie der Hobbyzauberer unter ihnen den Gästen die
Zigaretten stibitzt? Ganz sicher jedoch werden Sie einen
Blick auf die Teller der Nachbarn erhaschen. Das steigert
die Vorfreude.
»Reden statt Lesen«
Warten Sie nicht auf die Speisekarte. Christian Senkel wird
Sie in ein Gespräch verwickeln, statt ein Schriftstück auf
den Tisch zu legen. Denken Sie daran: Sie sind zum Essen
hergekommen, nicht zum Lesen. Der gewiefte Conferencier wird Sie fragen, ob Ihnen nach drei oder vier Gängen ist,
Sie Vegetarier sind, Fisch oder bestimmte Gemüse nicht
mögen, roten oder weißen Wein bevorzugen, und ob das
Mineralwasser blubbern soll. Wenn alles geklärt ist, kann
das Abenteuer beginnen: Im Weißen Haus gibt’s ausschließlich Überraschungsmenüs.
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Menü das weisse haus
* Gratiniertes Lachs-Carpaccio mit Spargel
und Sesam
* L insen-Curry-Suppe mit gerösteten Mandel­
blättchen
aispoulardenbrust mit Scampi gefüllt,
*M
Kichererbsen-Polenta und geschmorte
Vanilletomaten
* New York Lemon Cheesecake
Apropos Rechnung: Montags gibt’s hier gar keine. „Zahlen,
was das Herz gibt“ heißt es dann: Jeder Gast legt auf den
Tisch, was ihm das Essen wert scheint. Das Risiko ist gering,
wenn man einen wie Roßner in der Küche hat. In der Regel
sind die Gäste so begeistert, dass sie ordentlich etwas springen lassen.
»Zahlen Sie, was Sie wollen!«
Erst ein einziges Mal, erinnert sich Christian Senkel, ist es
vorgekommen, dass einer unverschämte fünf Euro hinterließ. „Ein Hanseat wie aus dem Bilderbuch, mit goldenen
Machen Sie sich derweil keine Sorgen über die drohende
Als der dann sein eigenes Restaurant eröffnete, war mit
Manschetten. Der fand das wohl witzig“, grinst Senkel.
Rechnung: Hier zahlt man beileibe kein Vermögen. „Wir
Tom Roßner wiederum schnell jemand gefunden, der ins
Doch zuletzt und damit besser gelacht haben hinterher sei-
sind nicht abgehoben, nicht überteuert“, sagt Christian
Team passt und den Vergleich mit dem „spiritus rector“
ne Leute: Tim Mälzer gab dem so knausrigen wie ver-
Senkel. „Wir sehen uns nicht als Starkoch-Restaurant“. Was
nicht scheuen muss. Meisterschule und renommierte Meis-
dutzten Gast zum Abschied noch galant einen aus – und
indes klassisches hanseatisches Understatement ist. Schließ-
terküchen in München, Frankfurt und Hamburg hat Roß-
das war dann wirklich witzig.
lich hat mit Tim Mälzer einer der populärsten deutschen
ner im Lebenslauf stehen – gepaart mit der Lust auf Experi-
Köche das Restaurant 2002 mitgegründet, die Philosophie
mente und ungewöhnliche Kombinationen ist er genau der
Solche Geschichten erzählt Christian Senkel gern, wenn Sie
des Ladens entscheidend geprägt und zwei Jahre lang selbst
richtige, um jeden Tag aufs Neue die dem Weißen Haus so
ihn in ein Gespräch verwickeln, während Sie auf das Essen
den Kochlöffel geschwungen, bevor er ihn an Patrick Geb-
typischen, jungen, frechen Variationen bürgerlicher Küche
warten. Und wenn der erste Gang dann vor Ihnen duftet,
hardt weitergab.
auf die Teller zu zaubern. Oder, wie Senkel die „Mission“ des
brauchen Sie keine weitere Gebrauchsanweisung mehr. Es
„Weißen Hauses“ beschreibt: „Wir paaren Bodenständigkeit
ist soweit, das Essen kommt – und damit etwas Unbe-
mit flapsiger Nettigkeit und einem Augenzwinkern. In der
schreibliches...
Küche wie im Service“.
Jens Breder
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Gratiniertes Lachs-Carpaccio
mit Spargel und Sesam
Zutaten für 4 Personen
g frisches Wildlachsfilet
* 400
Salz, Pfeffer aus der Mühle
* 200 g grüner Spargel
* 2 Limetten
* 2 Orangen
* 2 Eigelb
* 250 g flüssige Butter
* 2 EL Sesamsamen
*
1 | Den rohen Lachs mit einem scharfen Messer dünn aufschneiden und flach auf 4 Teller verteilen. Mit Salz und
Pfeffer würzen.
2 | Den Spargel in gesalzenem und gesäuertem Wasser
knackig blanchieren und in Eiswasser abschrecken. Dann
schräg in ca. 1 cm lange Stücke schneiden. Die Stücke locker auf dem Lachs verteilen.
3 | Limetten und Orangen heiß abwaschen und die Schale
fein abreiben. Den Saft von beiden auspressen. Den Saft
und die 2 Eigelb über dem Wasserbad mit einem Schneebesen so lange aufschlagen, bis die Masse dicklich ist und
„Stand“ hat. Die flüssige Butter zuerst tropfenweise, dann
Linsen-Curry-Suppe mit
gerösteten ­Mandelblättchen
mit einer kleinen Schöpfkelle in kleinen Portionen einrühren. Mit Salz, Pfeffer, dem Schalenabrieb und eventuell
Zutaten für 4 Personen
etwas Zucker abschmecken. Zum Schluss etwas Sesam drüberstreuen. Großzügig auf dem Lachs verteilen und unter
den heißen Grill stellen, bis die Oberfläche goldgelb ist.
1 | Die Gemüsezwiebel fein würfeln und in Öl anschwitzen. Den Knoblauch fein hacken und dazugeben, Zimt,
*
*
*
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*
*
*
*
1 große Gemüsezwiebel
etwas Öl
1 Knoblauchzehe, fein gehackt
je 1 Msp. Zimt, Currypulver, Kreuzkümmel
250 ml Geflügelfond
300 g Pizzatomaten, gewürfelt
200 g Tellerlinsen
250 g Kokosmilch (Dose)
5 Limettenblätter
50 g geröstete Mandelblättchen
Curry und Kreuzkümmel ebenfalls kurz mitschwitzen.
Mit dem Geflügelfond ablöschen. Die Tomaten und die
restlichen Zutaten zufügen und 30–40 Minuten sanft köcheln lassen. Darauf achten, dass die Linsen nicht zu stark
zerkochen.
2 | Zum Schluss die Suppe noch mal mit Salz und Curry
abschmecken. Mit den gerösteten Mandelblättchen garnieren und servieren.
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Maispoulardenbrust mit Scampi gefüllt,
­Kichererbsen-Polenta und geschmorte
­Vanilletomaten
New York Lemon Cheesecake
Zutaten für 4 Personen
Zutaten für 4 Personen
Für den Cheesecake
g Vollkornkekse (Hobbits)
* 250
125 g Butter ,
*. . flüssig
Packungen Frischkäse á 250 g
*. . 3(Zimmertemperatur)
g Puderzucker
* 110
TL abgeriebene Zitronenschale
* 23 Eier
20 Kirschtomaten
* ca.
Zucchini
* 2400
Wasser
* 2 EL ml
* 200 gHimbeeressig
Zucker
* 2 EL Koriandersaat
* 2 Vanilleschoten
* 1 Limette, in Scheiben
* 4 Maispoulardenbrüste
* Salz, Pfeffer
* 8 Riesengarnelen, geschält, roh
*
(Seawater, nicht Freshwater!)
*
Für das Topping
g Butter
* 45
g Puderzucker
* 110
1 Ei, leicht aufgeschlagen
* 1 TL abgeriebene Zitronenschale
* 2 TL Zitronensaft
* Öl zum Braten
*
Für die Kichererbsen-Polenta
ml Wasser
* 200
* Salz
g Kichererbsenmehl
* 50
50 g Mascarpone
1 | Die Kekse im Mixer zu feinen Bröseln mahlen. Die flüssige Butter dazugeben und gut vermischen. Die Mischung
in eine Kuchenform (22 cm Ø) pressen. Die Form zum Erkalten 30 Minuten in den Kühlschrank stellen.
*
2 | Den Ofen auf 180 °C vorheizein. Den Frischkäse mit
1 | Die Kirschtomaten in sprudelndem Wasser kurz blan-
4 | In der Zwischenzeit 200 ml leicht gesalzenes Wasser
­Zucker und Zitronenschale mit einem Mixer glatt rühren.
chieren und in Eiswasser abschrecken. Die Haut abziehen.
zum Kochen bringen. Das Kichererbsenmehl langsam ein-
Nach und nach die Eier dazugeben. Die Masse in die Form
Die Zucchini in ca. 10 cm lange Stücke und dann in 1 /2 cm
rühren, 10 Minuten auf kleinster Stufe quellen lassen.
streichen und ca. 1 Stunde im Ofen backen. Sie ist fertig,
dicke Streifen schneiden. Ebenfalls kurz blanchieren und
Dann den Mascarpone einrühren, mit Salz abschmecken.
sobald sie leicht goldgelb ist. Den Kuchen im geöffneten
abtropfen lassen.
Die Konsistenz sollte cremig und nicht zu kompakt sein.
Rohr in der Form auskühlen lassen, damit die Oberfläche
Eventuell mit Kichererbsenmehl oder Wasser nachjustieren.
keine Risse bekommt.
den ausgekratzten Vanilleschoten sowie den Limetten-
5 | Die Polenta auf warmen tiefen Tellern anrichten, die
3 | Für das Topping alle Zutaten in einer Metallschüssel
scheiben aufkochen, lauwarm abkühlen lassen und die
Maispoularde aus dem Rohr nehmen und schräg in 2 Hälf-
vermischen und über einem Wasserbad so lange rühren,
­gehäuteten Kirschtomaten dazugeben. Kaltstellen und
ten schneiden. Die Zucchini kurz in der Pfanne mit etwas
bis die Masse dickflüssig wird. Abkühlen lassen. Auf dem
24 Stunden ziehen lassen.
Butter warm schwenken, mit Salz und Pfeffer abschme-
Kuchen verteilen und den Kuchen noch mal mindestens ­
1
2 | Das Wasser mit Essig, Zucker, Koriander, dem Mark und
cken. Auf einem Teller kurz im Ofen warm halten. Die
3 | In die Maispoulardenbrust der Länge nach eine Tasche
Kirschtomaten aus dem Sud nehmen und ebenfalls in der
schneiden, leicht salzen und pfeffern und je 2 Riesengar-
noch heißen Pfanne mit etwas Sud warm schwenken.
nelen hinein drücken. Die Brüste außen von allen Seiten
mit Salz und Pfeffer würzen und in heißem Öl in einer Ei-
6 | Die Maispoulardenbrüste versetzt gegeneinander auf
senpfanne anbraten, in den auf 120 °C vorgeheizten Ofen
der Polenta anrichten. Die Zucchinistreifen drüberlegen.
schieben und fertig garen.
Mit den warmen Kirschtomaten dekorieren.
TOM ROSSNER
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