Das Wohnungsbauerbe der 1950er bis 1970er

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Das Wohnungsbauerbe der 1950er bis 1970er
Wüstenrot Stiftung (Hrsg.)
Das Wohnungsbauerbe der
1950er bis 1970er Jahre
Perspektiven und Handlungsoptionen
für Wohnquartiere
Christina Simon-Philipp
Karin Hopfner
Wüstenrot Stiftung
Hohenzollernstraße 45
71630 Ludwigsburg
Tel. +49 71 41 16 75 65 00
Fax +49 71 41 16 75 65 15
[email protected]
www.wuestenrot-stiftung.de
Ein Forschungsprojekt der Wüstenrot Stiftung
Autorinnen:
Karin Hopfner und Christina Simon-Philipp
Hochschule für Technik Stuttgart, Fakultät Architektur und Gestaltung
Die Abbildungen erscheinen mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber.
Wo diese nicht ermittelt werden konnten, werden berechtigte Ansprüche
im Rahmen des Üblichen abgegolten.
Zeichnungen und Grafiken: Karin Hopfner
Gestaltung: Sophie Bleifuß, Berlin
Satz: Uta-Beate Mutz, Leipzig
Herstellung: HillerMedien, Berlin
Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Berlin
© 2013 Wüstenrot Stiftung, Ludwigsburg
Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved.
Printed in Germany
ISBN 978-3-933249-83-8
Inhalt
Das bauliche Erbe der 1950er bis 1970er Jahre
Perspektiven und Handlungsoptionen 11
1
Einführung
1.1
1.2
1.3
1.4
Untersuchungsgegenstand 14
Ziele 16
Forschungsfragen 17
Methode und Vorgehensweise
8
12
18
2
Ausgangslage und Rahmenbedingungen
2.1
2.1.1
2.1.2
2.1.2.1
2.1.2.2
2.1.2.3
2.1.2.4
2.1.3
2.2
2.2.1
2.2.2
2.3
2.3.1
2.3.2
2.3.3
2.4
2.5
2.5.1
2.5.2
2.5.3
2.6
Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre 22
Entstehungszeit, Leitbilder und Gebäudetypen 22
Besonderheiten und Veränderungsprozesse 27
Lage 27
Sozialstruktur 27
Eigentumsverhältnisse 28
Leerstand 28
Die Wohnquartiere heute: Stärken und Schwächen 28
Wohnungsnachfrage 30
Quantitative Nachfrage 30
Qualitative Nachfrage 31
Wohnungsangebot 34
Wohnungsmarkt 34
Anbieterstruktur, Eigentümer- und Unternehmensformen 36
Wohnungsproduktion, -sanierungen und Mietpreisentwicklung 39
Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte 41
Förder- und Steuerungsinstrumente 43
Besonderes Städtebaurecht, Stadterneuerung und Städtebauförderung
Wohnraumförderung 46
Weitere Instrumente 47
Zwischenfazit 51
3
Interviews
3.1
3.2
3.3
Auswertung der Interviews mit Kommunen 56
Auswertung der Interviews mit der Wohnungswirtschaft
Zwischenfazit 70
4
Fallstudien
4.1
4.1.1
4.1.2
4.1.3
4.1.4
4.1.5
Software 74
Hannover Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten 76
Offenburg Stadtteil- und Familienzentren und Rahmenplanung Albersbösch 84
Potsdam Arbeitskreis StadtSpuren 94
Neumünster Integrative Quartiersentwicklung 102
Mannheim Quartiersmanagement, Kooperationsvereinbarung, Siedlungsmonitoring
20
43
54
61
72
114
Inhalt
5
4.2
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.2.4
4.2.5
Hardware 128
Köln Buchheimer Weg 130
Hamburg Altenhagener Weg 144
Bremerhaven Schillerstraße 154
Spenge Wohnquartier Mühlenweg 164
Arnstadt Gemeinsam statt einsam. Generationswohnen in Arnstadt-Ost
5
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse
182
6
Handlungsoptionen
6.1
6.1.1
6.1.1.1
6.1.1.2
6.1.1.3
6.1.1.4
6.1.1.5
6.1.1.6
6.1.1.7
6.1.2
6.1.2.1
6.1.2.2
6.1.2.3
6.1.2.4
6.1.2.5
6.1.2.6
6.1.2.7
6.1.3
6.1.4
6.1.4.1
6.1.4.2
6.1.4.3
6.1.4.4
6.1.4.5
6.1.4.6
6.1.4.7
6.1.4.8
6.2
6.2.1
6.2.1.1
6.2.1.2
6.2.2
6.2.2.1
6.2.2.2
Akteure und Strategien (Software) 190
Kommunales Handeln 190
Rolle der Kommune 190
(Kleinräumige) Analysen und Monitoring 191
Planungen und Konzepte 194
Verwaltungsstrukturen und -organisation 197
Kommunale Beratungsangebote 199
Kommunale Wohnungsunternehmen 200
Weitere Handlungsoptionen der Kommune 201
Wohnungswirtschaftliches Handeln 202
Rolle und Philosophie der Unternehmen 202
Investitionen in die Bestände 203
Dienstleistungen und soziales Engagement 207
Belegungsmanagement 211
Mietpreise 211
Kooperationen zwischen Wohnungsunternehmen 213
Weitere Strategien und Handlungsoptionen der Wohnungswirtschaft
Bewohner / bewohnergetragene Initiativen 216
Kooperative Strategien der Akteure 219
Kooperationen auf gesamtstädtischer Ebene 219
Kooperationen auf der Quartiersebene 221
Quartiersentwicklungskonzepte / quartiersbezogene Konzepte 225
Beteiligung der Bewohner 226
Quartiersmanagement und Kümmerer 228
Sozialstruktur 230
Finanzierungsmöglichkeiten 233
Sonstige Handlungsoptionen in Kooperation der Akteure 235
Städte- und hochbauliche Maßnahmen (Hardware) 236
Städtebau 236
Bebauungsstruktur 236
Freiraum und Wohnumfeld 241
Gebäude 244
Gebäudebestand 244
Wohnraum 246
6
Inhaltsverzeichnis
186
215
172
6.2.2.3
6.2.3
6.2.3.1
6.2.3.2
6.2.4
6.2.4.1
6.2.4.2
6.2.5
6.2.6
6.3
6.4
Neue Wohnformen 247
Daseinsvorsorge 249
Soziale Infrastruktur 249
Nahversorgung 252
Verkehr und Erschließung 254
Anbindung und Mobilität 254
Ruhender Verkehr und Verkehrsflächen 255
Technische Infrastruktur 256
Baukultur und Gestaltungsqualität 258
Gestaltung der übergeordneten Rahmenbedingungen
Zwischenfazit 267
7
Szenario einer Quartiersentwicklung
8
Fazit und Ausblick
9
Anhang
9.1
9.2
9.3
9.4
9.5
9.6
Literatur 292
Websites 298
Abkürzungsverzeichnis
Interviewleitfäden 308
Checkliste 307
Bildnachweis 314
Autoren 316
Dank 317
261
276
284
292
302
Inhalt
7
Das bauliche Erbe der 1950er bis
1970er Jahre – ein Forschungsfeld
der Wüstenrot Stiftung
In den 1950er bis 1970er Jahren entstand in Deutschland ein großer Teil des heutigen
Wohnungsbestandes. Viele Wohnquartiere aus dieser Zeit können als Spiegelbild einer
ausgeprägten Zuversicht in die weitere Entwicklung der gesellschaftlichen, sozialen und
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet werden. Wirtschaftlicher Aufschwung
und technischer Fortschritt wurden damals als Motoren und Säulen der zukünftigen Entwicklung betrachtet und neue oder wieder aufgebaute Quartiere waren als bauliches Fundament für den wachsenden Wohlstand und die moderne Überwindung historischer
sozialer Ungleichheit vorgesehen. Der moderne Städtebau sollte die Erweiterung bislang
eingeschränkter Lebenschancen unterstützen und die neu geschaffenen Wohnquartiere
orientierten sich an dem in der Nachkriegszeit fest verankerten Wunsch nach einem Aufbruch in eine in vielen Belangen bessere Zukunft.
Vor allem die in dieser Zeit geplanten großen Siedlungen lassen das Selbstverständnis
einer Gesellschaft erkennen, deren administrative und fachliche Institutionen sich bei der
Anlage neuer Stadtteile und Quartiere mit großer Selbstverständlichkeit nicht nur technischer Möglichkeiten und ingenieurwissenschaftlicher Fähigkeiten bedienen, sondern auch
auf soziale Erkenntnisse und darauf beruhende Instrumente zurückgreifen. Der Wohnungsbau auf der Grundlage eines modernen Städtebaus sollte dadurch zu einer tragenden
Säule beim Aufbau einer modernen, aufgeschlossenen und sozialen Gesellschaft werden.
Heute ist diese Zeit des Aufbruchs vorbei und viele Gebäude und Quartiere aus der
Nachkriegszeit erfordern eine Neuorientierung. Im Mittelpunkt des in der vorliegenden
Publikation dokumentierten Forschungsprojektes stehen Quartiere und Stadtteile, die
überwiegend im Geschosswohnungsbau errichtet wurden. Sie sind ein signifikanter Teil
des baulichen Erbes dieser Zeit. Unberücksichtigt bleiben dabei die Großsiedlungen in
Ost- und Westdeutschland, die mit mehreren tausend Wohnungen ohne gewachsene siedlungsstrukturelle Anbindung auf der grünen Wiese entstanden. Auch reine Ein- und Zweifamilienhausgebiete aus diesen Jahrzehnten werden nicht untersucht – ihre zukünftige
Entwicklung war Gegenstand eines anderen Forschungsprojektes der Wüstenrot Stiftung.*
Der Fokus richtet sich auf kleinere Quartiere, die im städtischen Kontext oder als Erweiterung direkt an den Stadträndern entstanden. Häufig erhielten diese Gebiete nach ihrem
Erstbezug nur noch wenig fachliche und öffentliche Aufmerksamkeit. Aber warum auch?
Sie wurden selten zu sozialen Brennpunkten, ihre Entwicklung verlief in der Regel stabil,
sie sind als Quartiere zu klein, um eine überregionale Aufmerksamkeit zu erhalten und es
fehlt ihnen das Potenzial, um zu Szenevierteln mit überproportionalem Zuzug neuer
Bevölkerungsgruppen oder zu Zielen spekulativer Investitionstätigkeit zu werden.
Überwiegend gehören die Gebäude, mal mehr oder mal weniger räumlich konzentriert,
einigen wenigen Wohnungsunternehmen oder Genossenschaften. Zersplittertes Privateigentum kann auch auftreten, ist insgesamt jedoch seltener. In vielen Quartieren sind Teile
des Bestandes im Rahmen der sozialen Wohnungsbauförderung entstanden, weshalb sie
in der Regel bis heute eine wichtige Aufgabe für die Versorgung einkommensschwächerer
Bevölkerungsgruppen mit kostengünstigem Wohnraum übernehmen, auch wenn sich
durch das Auslaufen vieler Bindungen die Rahmenbedingungen verändern.
Die Unauffälligkeit dieser Quartiere und ihr damit verbundenes Schattendasein – bezogen auf die kommunalen Entwicklungsperspektiven oder lokalen Investitionsschwerpunkte – kann sich allerdings in Zukunft zunehmend auch negativ auswirken.
8
Das bauliche Erbe
Wüstenrot Stiftung (Hg.): Die Zukunft von Einfamilienhausgebieten aus den 1950er bis 1970er Jahren –
Handlungsempfehlungen für eine nachhaltige Nutzung.
Ludwigsburg 2012.
*
Zum einen, weil es schwierig ist, die fachliche und öffentliche Aufmerksamkeit für ein
zwar bereits vorhandenes und noch weiter wachsendes, im Vergleich zu anderen kommunalen Aufgaben jedoch nicht vorrangiges Handlungserfordernis zu wecken. Zum anderen,
weil ein nur langsam ansteigender Problemdruck lediglich schwache Impulse auf die
Bereitschaft zur Bildung von breiten lokalen Bündnissen mit gemeinsamen Strategien ausstrahlt. Präventive Handlungskonzepte, die bereits ansetzen, bevor der Handlungsbedarf
zwingend wird, gehören bisher zu den seltenen Ausnahmen.
Präventive Strategien sollten in vielen dieser Quartiere zur Anwendung kommen, weil
die Probleme zwar meistens noch langsam wachsen, aber dafür auf mehreren Ebenen
zugleich entstehen und ihre Auswirkungen sich gegenseitig verstärken. Die Ursachen für
die daraus resultierenden Handlungserfordernisse lassen sich überwiegend auf die Rahmenbedingungen zur Entstehungszeit der Gebäude und Quartiere zurückführen:
– Viele Wohnungen und Gebäude müssen an die veränderten heutigen Bedürfnisse und
Standards angepasst werden, wenn sie weiterhin attraktiv bleiben sollen. Dies gilt für die
Wohnungsgrundrisse und die Wohnungsgrößen, schließt fehlende Balkone oder unzulänglich gestaltete Eingangsbereiche ein und reicht bis zur Barrierefreiheit, die in vielen
Wohnungen ebenso fehlt wie bei deren Erschließung und bei den Gebäudezugängen. Die
Barrierefreiheit wird als Kriterium angesichts einer alternden Bevölkerung immer wichtiger, betrifft aber auch die Eignung und Attraktivität von Wohnungen, Gebäuden und
Quartieren für Familien mit Kindern.
– Gebäude, die zwischenzeitlich nicht modernisiert wurden, müssen grundlegend energetisch optimiert werden, damit sie ihren wichtigen Anteil zur Erreichung der aktuellen
Klimaschutzziele beitragen können.
– Die Qualitäten des Wohnumfeldes sind häufig ebenfalls verbesserungsbedürftig. Dies
beginnt bei der Gestaltung und der Ausstattung der öffentlichen und privaten Freiräume
und betrifft eine barrierefreie Erreichbarkeit von Einrichtungen und Angeboten ebenso
wie die Anpassung der vorhandenen Infrastruktur an die Bedürfnisse älterer Menschen
und an die von Familien mit Kindern und Jugendlichen.
– Die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung, die in vielen Quartieren durch eine
langjährige, stabile Bewohnerschaft gezeichnet ist, muss für neue Perspektiven ihrer weiteren Entwicklung (behutsam) ergänzt werden. In erster Linie geht es darum, den Zuzug
von jüngeren Bevölkerungsgruppen zu fördern und dadurch die Generationenmischung
zu erweitern, ohne dabei das bisherige Identitätsprofil dieser Quartiere zu verlieren.
Die Verbindung zwischen der qualitativen Aufwertung von Gebäuden, Wohnungen
und Wohnumfeld einerseits und einer größeren baulichen und sozialen Differenzierung
bei gezielter Bewahrung gewachsener Strukturen andererseits stellt wohl die größte Herausforderung dar. Ziel muss sein, durch vielschichtige Verbesserungen von Wohnungen und
Gebäuden die Attraktivität des Standortes auch für andere Bevölkerungsgruppen zu steigern, ohne dabei die Bedürfnisse der ansässigen Bewohner zu übergehen oder deren finanzielle Möglichkeiten zu überfordern.
Diese Aufgabe ist in prosperierenden Regionen und bei angespannten Wohnungsmärkten schwer zu lösen. Hier gehören die Quartiere, die in dieser Untersuchung im Mittelpunkt stehen, in der Regel zu den wenigen verbliebenen Möglichkeiten, um preiswert und
zugleich relativ zentral wohnen zu können, und dies in einem normalerweise intakten
Das bauliche Erbe
9
Umfeld. In dieser Situation ist der Anspruch besonders ambitioniert, durch eine Modernisierung der Wohnungen und Gebäude das Quartier attraktiv für den Zuzug neuer Bewohner zu gestalten und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass trotz Aufwertung auch
einkommensschwächere und ältere, langjährige Bewohner wohnen bleiben können. Am
ehesten kann diese Zielsetzung durch integrierte Handlungskonzepte und durch eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Kooperation aller Beteiligten erreicht werden.
Der mit solch komplexen Strategien verbundene Aufwand lohnt sich bei vielen dieser
Quartiere, weil sie große Qualitäten und ausreichende, endogene Entwicklungschancen
aufweisen. Auf sie kann bei der Gestaltung der zukünftigen Perspektiven unserer Städte
nicht verzichtet werden. Eine vorrangig an erkennbar wachsenden Defiziten und Problemen orientierte Bewertung und Einschätzung verkennt außerdem, dass diese Quartiere
ein wichtiger Teil des baukulturellen Erbes ihrer Entstehungszeit sind. Sie symbolisieren
auf verschiedenen Ebenen den Versuch einer baulichen und gestalterischen Umsetzung
von städtebaulichen Strukturen, die in ihren Funktionen erweitert wurden. Sowohl die
Erfolge als auch die Misserfolge, die mit diesen Ansätzen verbunden sind, haben die fachliche und politische Diskussion über die Ziele und die Instrumente einer strategischen
Stadtentwicklung bis heute maßgeblich beeinflusst.
Mit den Erkenntnissen aus diesem Forschungsprojekt leistet die Wüstenrot Stiftung
einen Beitrag dazu, die Bedeutung und das Potenzial von präventiven Strategien im fachlichen Diskurs über den Umgang mit dem Gebäudebestand aus den 1950er bis 1970er Jahren weiter zu verankern. Dabei geht es nicht nur um die verschiedenen Aufgaben und problembezogenen Handlungsoptionen im Umgang mit dem Geschosswohnungsbau dieser
Zeit, sondern auch um die Chancen und Perspektiven, die sich mit diesen Gebäuden für
die Zukunft verbinden lassen. Wir sind auf diesen Wohnungsbestand in funktionierenden,
lebendigen und attraktiven Quartieren nicht nur aufgrund seiner quantitativen Bedeutung
angewiesen; für eine nachhaltige Entwicklung unserer Städte entsprechend den sozialen,
ökologischen und ökonomischen Kriterien sind alle drei Ebenen gleichermaßen unverzichtbar: die Wohnungen, die Gebäude und die Quartiere.
Die Wüstenrot Stiftung dankt allen sehr herzlich, die an dieser Untersuchung mitgewirkt haben. Dieser Dank gilt vor allem den beiden Autorinnen und Wissenschaftlerinnen
Karin Hopfner und Prof. Dr. Christina Simon-Philipp von der Hochschule für Technik
Stuttgart. Sie haben in einer sehr guten und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der
Wüstenrot Stiftung eine ebenso kompetente wie umfassende Bearbeitung der Fragestellung übernommen und zugleich auch zahlreiche Anregungen und Optionen für eine
Umsetzung wichtiger Aufgaben in praxisorientierten Handlungsoptionen gegeben.
Ebenso herzlich dankt die Wüstenrot Stiftung den Teilnehmern an einem projektinternen Expertenworkshop und den zahlreichen Gesprächspartnern vor Ort in den Untersuchungsgebieten und Fallbeispielen. Eine der Thesen für einen angemessenen Umgang mit
dem Potenzial des untersuchten Gebäudebestandes lautet, dass erfolgversprechende
Handlungsoptionen ein konstruktives Zusammenwirken von Praxis und Wissenschaft
erfordern. Zu solchen Ansätzen sollen die Untersuchung und die Veröffentlichung der
darin gewonnenen Ergebnisse möglichst viele Anstöße geben.
Dr. Stefan Krämer, Ressortleiter Wissenschaft und Forschung, Wüstenrot Stiftung
10
Das bauliche Erbe
Perspektiven und Handlungsoptionen
Das Forschungsprojekt der
Wüstenrot Stiftung untersuchte
Perspektiven und Handlungsoptionen
für die zukünftige Entwicklung von
Wohnquartieren aus den 1950er
bis 1970er Jahren. Die aufgezeigten
Möglichkeiten wurden aus wissenschaftlichen Analysen, Gesprächen
mit Vertretern aus der Praxis in
Kommunen und Wohnungsunternehmen sowie ausgewählten Fallstudien gewonnen.
Als Anstoß für den fachlichen Austausch und einen weiteren Diskurs
werden die zentralen Ansatzpunkte,
Erkenntnisse und Anregungen in zehn
Kernaussagen zusammengefasst.
ýDie Wohnquartiere aus den 1950er bis 1970er Jahren haben eine zentrale Bedeutung für
die Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit einem attraktiven, differenzierten und
wählbaren Wohnungsangebot.
ýDie allgemeine Differenzierung der Wohnungsmärkte in Deutschland zeichnet sich
auch für Wohnquartiere aus der Nachkriegszeit ab. In prosperierenden Regionen und weiter wachsenden Agglomerationen sind diese Wohnquartiere für ein qualitätsvolles und
zugleich preisgünstiges Wohnen in städtischer oder stadtnaher Lage unverzichtbar. In
Regionen mit entspannten Wohnungsmärkten steht die Stabilisierung der Quartiere im
Vordergrund und in Regionen, die vom demografischen und wirtschaftsstrukturellen
Wandel besonders betroffen sind, sind auch Rückbaumaßnahmen wichtiger Gegenstand
des Maßnahmenportfolios.
ýViele Gebäude und Wohnungen müssen energetisch optimiert und gezielt modernisiert
werden, um sie für die Zukunft attraktiv zu halten und an eine veränderte Nachfrage anzupassen. Häufig ist dafür eine Aufwertung des Wohnumfeldes (Ausstattung, Gestaltung)
notwendig.
ýIn der aktuellen Situation gehören präventive Strategien zu den Schlüsselfaktoren für
die Zukunft dieser Quartiere. Im Übergang von langjähriger Stabilität zu wachsenden
Problemlagen schaffen präventive Strategien neue Perspektiven für die weitere Entwicklung.
ýEine nachhaltige Entwicklung ist an vielen Standorten von der Erarbeitung und vom
Einsatz integrierter Konzepte abhängig, die als ressort- und fachübergreifende Ansätze
vielschichtigen Anforderungen entsprechen.
ýZu den Voraussetzungen für die erfolgreiche Umsetzung partnerschaftlich orientierter
Quartierslösungen gehören vielfältige Kooperationsformen zwischen öffentlicher Hand
(Kommune), privaten Eigentümern (Unternehmen, Einzelpersonen) und Bewohnern
(Beteiligungsverfahren).
ýDie Parallelität und Komplexität der Aufgaben („Hardware“ und „Software“), die oft
differenzierten Interessenslagen der Beteiligten, die spezifischen Ausgangssituationen sowie die unterschiedlichen Standort- und Qualitätsmerkmale der Quartiere, Gebäude und
Wohnungen erfordern flexible und maßgeschneiderte Konzepte und Umsetzungsstrategien.
ýFür die Erarbeitung und Umsetzung geeigneter Handlungsoptionen bieten sich nur solche
Verfahren an, deren expliziter Prozesscharakter einen adäquaten Umgang mit der Komplexität und der Vielfalt der Aufgaben ermöglicht.
ýErfolgversprechende Lösungen für eine nachhaltige Entwicklung der Quartiere nach
gestalterischen, ökologischen, ökonomischen und sozialen Kriterien lassen sich am besten
in einem interdisziplinären Zusammenwirken von Praxis und Wissenschaft finden.
ýEin entscheidender Faktor für die gemeinsame Bewältigung der Herausforderungen, die
mit einer nachhaltigen Entwicklung dieser Quartiere für alle Beteiligten verbunden sind,
ist eine neue Kultur partnerschaftlicher Kooperation.
Karin Hopfner, Stefan Krämer, Christina Simon-Philipp
Perspektiven und Handlungsoptionen
11
1
Einführung
1.1 Untersuchungsgegenstand
1.2 Ziele
1.3 Forschungsfragen
1.4 Methode und Vorgehensweise
In diesem Forschungsprojekt geht es um die kleinen,
zusammenhängend geplanten Wohngebiete der 1950er bis
1970er Jahre, die – meist unscheinbar – im Stadtgrundriss
liegen. Sie sind überwiegend durch Mietwohnungen
und Geschosswohnungsbau geprägt und im Vergleich zu
den typischen Großwohnsiedlungen dieser Zeit bisher
weitgehend unproblematisch. Es kann jedoch, vor allem
in entspannten Wohnungsmärkten und vor dem Hintergrund
der sich verändernden Rahmenbedingungen (Energie etc.)
von langfristig zunehmenden Problemen ausgegangen
werden. Für die Wohnungsversorgung spielen die Quartiere
eine sehr wichtige Rolle, sodass eine Auseinandersetzung
mit ihrer Zukunftssicherung von großer Bedeutung ist.
Ihre Weiterentwicklung ist in planerischer, wirtschaftlicher,
sozialer und politischer Hinsicht eine komplexe Aufgabe,
für die in dieser Untersuchung Handlungsoptionen
aufgezeigt werden sollen.
12
1 Einführung
13
1.1 Untersuchungsgegenstand
Gegenstand des Forschungsprojektes sind Geschosswohnungsbauquartiere, die in den
1950er bis 1970er Jahren entstanden sind. Im Fokus stehen nicht die typischen Großwohnsiedlungen mit ihren spezifischen, vielfach untersuchten Problemlagen, sondern die zahlreichen „unauffälligen“ Quartiere in Ost- und Westdeutschland – das Wohnungsbauerbe
aus den drei Nachkriegsjahrzehnten. Es geht um die kleinen, zusammenhängend geplanten Wohngebiete, die meist keinen Eigennamen haben und eher unscheinbar im Stadtgrundriss liegen. Im Rahmen der geförderten Stadterneuerung werden bundesweit seit
Jahren mit erheblichen Finanzmitteln viele größere Siedlungen der Nachkriegsjahrzehnte
stabilisiert und aufgewertet, um die im Laufe der Zeit entstandenen Probleme zu entschärfen. Da aber nicht alle Wohngebiete in die Städtebauförderung aufgenommen werden können, fokussiert das Forschungsprojekt diejenigen Quartiere, bei denen eine Förderung aus
verschiedenen Gründen nicht zu erwarten ist, die aber dennoch einer intensiveren
Beschäftigung und Auseinandersetzung bedürfen.
Der Schwerpunkt liegt auf Wohnquartieren im preiswerten bzw. mittleren Mietwohnungssegment, bei denen langfristig von zunehmenden Problemen hinsichtlich der Nachfrage (gerechtigkeit) ausgegangen werden kann. Gemessen an heutigen Standards weisen
die Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre Defizite auf. Daher besteht die Gefahr, dass
sie in entspannten Wohnungsmärkten an Akzeptanz und Bedeutung als Wohnstandorte
verlieren. Umso wichtiger ist somit die Frage nach präventiven Handlungsmöglichkeiten
und Strategien, die geeignet sind, um die Quartiere langfristig bedarfsgerecht weiterzuentwickeln.
Untersuchungsgegenstand
14
1 Einführung
Viele Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre befinden sich derzeit in einer für die
weitere Entwicklung entscheidenden Phase. Die Gebäude und das Wohnumfeld weisen
zunehmend Mängel auf, die Zahl der Erstbezieher nimmt immer weiter ab, neue Bewohnergruppen ziehen nach und der Generationenwechsel schreitet voran. Gleichzeitig fallen
immer mehr Wohnungen aus den jahrzehntelangen Sozialbindungen. Parallel dazu verändern sich die globalen Rahmenbedingungen rasant (Wirtschaftskrise, Klimawandel, Energiepolitik, gesetzliche Bestimmungen, Wohnungspolitik, gesellschaftlicher Wandel etc.),
die sich kleinräumig in nicht zu unterschätzendem Ausmaß auch auf die „wenig robusten“
Nachkriegsquartiere auswirken können. Die gravierenden demografischen, sozialen und
wirtschaftlichen Veränderungen haben die Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung
in den letzten Jahren stark gewandelt. Nicht mehr nur in Ostdeutschland, sondern mit
einigen Ausnahmen fast bundesweit wird der Stadtumbau zu einem bestimmenden Thema
der Stadtentwicklung. Das Projekt befasst sich mit den Quartieren der 1950er bis 1970er
Jahre, die sich in einem Umbruch befinden und die wenig robust gegenüber den vielschichtigen, sich aktuell verschärfenden Herausforderungen sind. Eine fehlende Auseinandersetzung mit den Quartieren kann zu einer Abwärtsspirale führen.
Da eine weitere Reduzierung von Fördermitteln (v. a. Städtebauförderung) nicht ausgeschlossen ist, stellt sich die Frage nach den Handlungsoptionen von Kommunen, Wohnungseigentümern und Bewohnern in diesen Quartieren. Sinkende Förderungen und
finanzielle Spielräume werden die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen und der
Wohnungseigentümer weiter einschränken. Zusammenfassend geht es im Projekt um
kleine Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre, die weitgehend ohne den Einsatz von
Fördermitteln zukunftsfähig weiterentwickelt werden sollen. Es geht um „Quartiere mit
zu erwartendem Handlungsbedarf“ und Quartiere mit Entwicklungschancen, verbunden
mit der Perspektive, dass die Angebote für eine differenzierte Wohnraumversorgung
unverzichtbar sind. Der Fokus dieser Untersuchung resultiert nicht nur aus dem Handlungsbedarf, sondern auch aus dem Potenzial dieser Siedlungen, das es zu nutzen gilt. Die
Nachkriegswohnungsbestände sind gerade aus sozialpolitischer Sicht besonders wichtig
für die Wohnraumversorgung. Die Weiterentwicklung dieser Bestände ist von zentraler
Bedeutung für die Stadtentwicklung.
1.1 Untersuchungsgegenstand
15
1.2 Ziele
Die Entwicklung der Bestandsquartiere der 1950er bis 1970er Jahre ist in planerischer,
wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht eine komplexe Aufgabe. Ziel des Forschungsprojektes ist es, Zukunftsperspektiven für die kleinen Nachkriegsquartiere zu diskutieren sowie Strategien für deren Entwicklung aufzuzeigen. Es soll ein differenzierter
Blick auf das Wohnungsbauerbe der 1950er bis 1970er Jahre geworfen werden. Es wird
beleuchtet, welche Potenziale diese Quartiere haben und über welche Handlungsoptionen
die verschiedenen Akteure verfügen.
Da es bisher nur begrenzt Erfahrungen und wenige erfolgreich realisierte Quartiersentwicklungen außerhalb der Städtebauförderung gibt, wird als Ergebnis eine Sammlung an
Handlungsoptionen für den Umgang mit den Nachkriegsquartieren zusammengestellt (im
Sinne einer Synopse). Strategien und (noch nicht erprobte) Ideen zur Zukunftssicherung
der Quartiere, auch ohne die Mittel der Städtebauförderung, werden entwickelt und aufgezeigt. Dabei geht es insbesondere um (den Aufbau von) Kooperationen zwischen Wohnungswirtschaft und Kommune sowie um die Erstellung strategischer Konzepte und
deren Auswirkungen auf das Quartier und die Bewohnerstruktur. Es wird die Frage
behandelt, wie sich die Wohnquartiere unter schrumpfenden, stagnierenden oder wachsenden Wohnungsmarktbedingungen langfristig weiterentwickeln können und wie eine
Abwärtsspirale vermieden werden kann. Realistische „Zukunftsbilder“ für die Quartiere
unter sich verändernden Rahmenbedingungen werden entworfen. Als Ergebnis werden
Handlungsfelder identifiziert und Empfehlungen für die verschiedenen Akteure formuliert – insbesondere für Kommunen bzw. die öffentliche Hand, aber auch für die Wohnungswirtschaft und die Bewohner.
Um der Komplexität des Themas „Nachkriegsquartier-Entwicklung“ gerecht zu werden,
reicht die Bandbreite der Handlungsoptionen von der Gestaltung übergeordneter Rahmenbedingungen über die Ebene der Gesamtstadt bis hin zum Quartier mit den einzelnen
Gebäuden und Bewohnern. Neben Maßnahmen, die sich mit dem Handeln der Stadtumbauakteure und mit Strategien („Software“) beschäftigen, wird aufgezeigt, wie sich die
Nachkriegsquartiere auch baulich-räumlich („Hardware“) weiterentwickeln können. Die
im Projekt erarbeiteten Handlungsoptionen sind als ein Beitrag zur Auseinandersetzung
mit dem Thema zu verstehen. Sie sollen ein möglichst breites Spektrum aufzeigen. Es gibt
zahlreiche Teilaspekte, deren Vertiefung noch aussteht.
16
1 Einführung
1.3 Forschungsfragen
Auf Grundlage der Literaturauswertung und des Forschungsstandes wurden zu Beginn
des Projektes zentrale Forschungsfragen zur künftigen Entwicklung der (kleinen) Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre formuliert, die im weiteren Verlauf der Untersuchung
weiter ausdifferenziert wurden. Im Rahmen des Forschungsprojektes sollen folgende Leitfragen beantwortet werden:
ýWelches
sind die wichtigsten aktuellen und künftigen Problemstellungen, aber auch
Potenziale in den kleinen Wohnquartieren der 1950er bis 1970er Jahre? Wie können die
Bestände angesichts der veränderten Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden
(ökonomisch, energetisch, sozial, städtebaulich, gestalterisch und funktional)? Wie können die Wohnungseigentümer mit ihren Investitionsentscheidungen stärker zu den Zielen
der Stadt- bzw. Quartiersentwicklung beitragen? Und wie können den Eigentümern mehr
Möglichkeiten zur Mitwirkung eröffnet werden (z. B. im Rahmen eines kooperativen Konzeptes)?
ýWelche, v. a. auch präventiven Erneuerungsstrategien gibt es für diesen Wohnungsbestand? Wie werden die Notwendigkeit und auch die Möglichkeit von präventivem Handeln in diesen bisher „unauffälligen“ Quartieren von den Kommunen und den Wohnungsunternehmen eingeschätzt? Sind sie bereit, diese Verantwortung zu übernehmen, und
wenn, unter welchen Voraussetzungen?
ýWie wird das Thema des Generationen- bzw. Mieterwechsels wahrgenommen? Welches
sind die „neuen“ Nachfragegruppen, die in diese Quartiere ziehen? Welche Probleme können sich daraus ergeben? Welche Steuerungsmöglichkeiten gibt es unter dem Aspekt einer
Differenzierung?
ýWie beobachten Kommunen die Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt und kleinräumig in den Nachkriegsquartieren? Welcher Handlungsbedarf besteht seitens der öffentlichen Hand und welche Möglichkeiten haben Kommunen, Entwicklungen in den Nachkriegsquartieren zu beeinflussen und dabei alle relevanten Akteure einzubinden? Wie
können Quartiersansätze auch ohne Förderkulisse bzw. mit einem geringen personellen
und finanziellen Aufwand auf- bzw. ausgebaut werden? Welche Hindernisse für eine
Kooperation von Kommunen und Wohnungseigentümern gibt es?
ýWie treffen Wohnungseigentümer die Entscheidungen hinsichtlich der weiteren Entwicklung ihrer Bestände?
ýWie arbeiten die kommunalen Verwaltungen und die Wohnungseigentümer zusammen?
Welche Kooperationsformen wären denkbar? Wie können alle relevanten Akteure für die
Quartiersentwicklung aktiviert und vernetzt werden?
ýWelche Rahmenbedingungen müssten geschaffen bzw. geändert werden, um die Weiterentwicklung der Bestände (auch ohne Besonderes Städtebaurecht) voranzutreiben (Strukturen, Förderungen, Mietrecht, KfW-Förderungen, Kooperationen)?
ýWelche Zukunftsperspektiven haben die Quartiere und wie können sie konkurrenzfähig
in den Wohnungsmarkt integriert werden? Ist dies bei allen Quartieren sinnvoll? Gibt es
ein differenziertes Spektrum an Entwicklungsmöglichkeiten, das hierzu benannt werden
kann?
1.3 Forschungsfragen
17
1.4 Methode und Vorgehensweise
Das Projekt hatte ab Januar 2012 eine Laufzeit von einem Jahr. Zu Beginn wurde der Stand
der Forschung und Diskussion hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten von Wohnquartieren der 1950er bis 1970er Jahre untersucht sowie Literatur und Studien zum Themenkomplex ausgewertet. Dabei zeigte sich, dass der Fokus der Betrachtung bisher stark
auf dem geförderten Stadtumbau von größeren Wohnsiedlungen lag. Zu den verschiedenen
Themen Quartiersentwicklung, -management, Gebäudeanpassung (Architektur, Gebäudetechnik /-konstruktion, Bauphysik), Energie und sozialräumliche Ansätze gibt es umfassendes Material, das aber meist keinen direkten Bezug zum Betrachtungszeitraum (1950er
bis 1970er Jahre) oder zur Ebene des Wohnquartiers herstellt.
Um die Einschätzungen und Handlungslogiken der beiden Hauptakteure zu erfassen,
wurden bundesweit in 14 Städten 20 leitfadengestützte Interviews mit ausgewählten Vertretern von Kommunalverwaltungen und Wohnungsunternehmen geführt (Arnstadt,
Bamberg, Braunschweig, Bremerhaven, Chemnitz, Essen, Halle / Saale, Jena, Kirchheim
unter Teck, Ludwigshafen, Mannheim, Offenburg, Pforzheim, Stuttgart). Bei den zahlreichen Interview-Anfragen an Wohnungsunternehmen fiel teilweise eine geringe Gesprächsbereitschaft auf. Positive Reaktionen kamen in erster Linie von kommunalen oder kommunal-nahen Unternehmen. Die Anfragen wurden jeweils an die Geschäftsführung des
Unternehmens gestellt. Die Gesprächspartner waren neben den Geschäftsführern in manchen Fällen Fachbereichsleiter (Vermietung, Portfoliomanagement, etc.) oder Pressesprecher. Ergänzend zu den Interviews wurden die Websites der Unternehmen sowie Broschüren, Geschäftsberichte und Pressematerial gesichtet. Ebenso wurde versucht, in der Kommune, in der das Unternehmen ansässig ist bzw. die größten Bestände hat, mit Vertretern
aus der Verwaltung (Stadtplanung, Stadtentwicklung) ein Expertengespräch zu führen.
Dies war aber nicht in allen Kommunen möglich.
In einem weiteren Schritt wurden zehn Fallstudien vertieft betrachtet. An Hand von
realisierten Projekten mit unterschiedlichen Problemstellungen wurden Maßnahmen und
deren Erfolgsfaktoren untersucht. Neben Beispielen mit baulich-räumlichen Schwerpunkten wurden in gleicher Zahl Projekte mit nicht-investiven Ansätzen (Umsetzungsstrukturen, Dienstleistungen, wohnungswirtschaftliches Agieren, etc.) herangezogen. Der Schwerpunkt lag auf Projekten, die – mit einer Ausnahme – außerhalb der Städtebauförderung
realisiert wurden.
In einem Expertenworkshop im November 2012 wurden die in den Interviews gewonnenen Erkenntnisse und die ersten Vorschläge für Handlungsoptionen diskutiert. An dem
Workshop nahmen rund 20 Experten aus verschiedenen Fachrichtungen teil. In dieser
interdisziplinären Runde wurden die Zukunftsperspektiven von Quartieren der Nachkriegsjahrzehnte aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet sowie weitere bisher nicht
bedachte Fragen und Probleme diskutiert. Das Feedback und die Anregungen der Experten sind in die Handlungsempfehlungen eingeflossen. Auf der Grundlage dieser Projektbausteine wurden die Handlungsfelder und -optionen strukturiert und vertieft ausgearbeitet. Im Rahmen eines Szenarios wurden in der fiktiven Stadt „Wohnhausen“ die aufgezeigten Handlungsoptionen auf der Ebene der Gesamtstadt und in dem Quartier „Luft
und Sonne“ beispielhaft angewendet. Im Resümee des Forschungsprojektes wird auch ein
Ausblick auf die künftige Entwicklung der kleinen Wohnquartiere der 1950er bis 1970er
Jahre gegeben.
18
1 Einführung
Auswertung Literatur etc.
Konkretisierung der Fragestellungen + Thesen
Interviews
mit Kommunen
Interviews mit
Wohnungsunternehmen
Fallstudienuntersuchungen
Expertenworkshop
Handlungsoptionen
Szenario „Wohnhausen“
Fazit – Ausblick
Aufbau Forschungsprojekt
1.4 Methode und Vorgehensweise
19
2
Ausgangslage und Rahmenbedingungen
2.1 Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre
2.2 Wohnungsnachfrage
2.3 Wohnungsangebot
2.4 Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte
2.5 Förder- und Steuerungsinstrumente
2.6 Zwischenfazit
20
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
Im Folgenden werden die Charakteristika und Entwicklungen der Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre
in ihren wesentlichen Zügen beschrieben. Ziel ist es,
die Bestände in den Kontext ihrer Entstehungsgeschichte
einzuordnen und die baukulturellen Besonderheiten
bewusstzumachen. Die aktuelle Situation in den Quartieren
wird beschrieben und die Herausforderungen zusammengestellt. Anschließend werden die Nachfrage- und
Angebotssituation auf dem Wohnungsmarkt, die Veränderungen der Wohnungspolitik sowie die bisherigen Förderund Steuerungsinstrumente als die wesentlichen Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung erläutert.
21
2.1 Wohnquartiere der
1950er bis 1970er Jahre
2.1.1
Entstehungszeit, Leitbilder und Gebäudetypen
In den meisten Kommunen sind in den 1950er bis 1970er Jahren viele Wohnquartiere auf
Grundlage eines zusammenhängenden Bebauungskonzeptes in kurzer Zeit entstanden.
Die 1950er Jahre waren von den enormen Bemühungen geprägt, die zum Teil völlig zerstörten Städte nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufzubauen und die große Wohnungsnot zu lindern. Unter schwierigen, von Mangel geprägten Bedingungen wurden die Städte
auf der Grundlage unterschiedlicher Bebauungskonzepte wieder aufgebaut. Die dichten
Blockrandstrukturen der Jahrhundertwende dienten nicht mehr als Vorbild, da ihnen
Wohn- und Lebensqualität abgesprochen wurde. Die meisten Neuplanungen folgten dem
Leitbild der „gegliederten und aufgelockerten“ Stadt mit lockeren, eher kleinteiligen
Bebauungen. Vielerorts entstanden schlichte, meist drei- bis fünfgeschossige Zeilensiedlungen in Innenstadtnähe und vereinzelt Hochhäuser. 1
Die gegliederte und aufgelockerte Stadt
Die gegliederte und aufgelockerte Stadt –
neuer Stadtteil Zuffenhausen Rot in Stuttgart, 1957
Impressionen – schlichter Zeilenbau
aus den 1950er Jahren
ECA-Siedlung Stuttgart-Feuerbach
22
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
In den 1960er und 1970er Jahren kam die Forderung nach mehr Dichte und einer optimalen Verkehrsanbindung auf. Basierend auf dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ und
„Die autogerechte Stadt“ in Kombination mit neuen baukonstruktiven Möglichkeiten und
einer ausgeprägten Technikgläubigkeit entstanden immer größere Siedlungsplanungen.
An den Rändern vieler Städte wurden in kurzer Bauzeit Trabantenstädte mit großmaßstäblichen Gebäuden (v. a. in Ostdeutschland Plattenbauten) errichtet. Neben den Großwohnsiedlungen bzw. dem Massenwohnungsbau an der Peripherie entstanden – meist auf
Restflächen – aber auch kleinere Wohnquartiere in verdichteter Bauweise.2
Urbanität durch Dichte?
oben: Esslingen Zollberg
rechts: Schwieberdingen In der Aue
1 Vgl. Göderitz / Rainer / Hoffmann, 1957
2 Vgl. Müller-Raemisch, 1990;
Hopfner / Simon-Philipp / Wolf, 2012
2.1 Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre
23
links oben: Stuttgart Laihle
links unten: Stuttgart Asemwald
rechts oben: Hochwertiger Innenraum in einer
Eigentumwohnungsanlage aus den späten
1960er Jahren (Stuttgart Heumaden Hochholz)
rechts Mitte: Typischer Wohnungsgrundriss
(Zwei- und Dreizimmerwohnung)
rechts unten: Stuttgart Lauchhau
Die Gebäudetypologie ist von meist drei- bis viergeschossigen Zeilenbauten und ersten
Hochhäusern in den 1950er Jahren geprägt. Später wurden massivere, oft industriell
errichtete Wohnblöcke und Hochhäuser gebaut – angeordnet in großen, raumbildenden
Strukturen. Das Erscheinungsbild der Gebäude ist von der zunehmenden Standardisierung, Normierung und Industrialisierung bzw. Rationalisierung des Bauens geprägt. Die
Architektur, Konzeption und Dimensionierung der Gebäude folgten oft den vorgegebenen
Richtlinien des Sozialen Wohnungsbaus, die zu einem homogenen Wohnungsgemenge
führten. Insgesamt ist der Wohnungsbau der Nachkriegsjahrzehnte wesentlich von der
Wohnungsbaugesetzgebung, der Finanzierungsart, den baulichen Richtlinien und Normen, von der Struktur der Bauwirtschaft und der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft
geprägt.3 In der Regel handelt es sich um reine Wohngebiete mit gleichartigen Gebäuden
und Wohnungen. Wohnungsnahe Einrichtungen der Daseinsvorsorge wurden meist nur
in den größeren Siedlungsplanungen realisiert. Schon früh wuchs aber auch die Kritik an
dem massiven, dichten Städtebau und den „Wohnmaschinen“. Als Reaktion darauf entwickelten einige Architekten experimentelle Wohnformen und besondere Gebäudetypen
mit hoher Qualität und Innovationskraft (z. B. Hügelhäuser, Terrassenhäuser).4
24
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
oben: Stadtbildprägende Bebauung
aus den 1970er Jahren
links: Waiblingen-Neustadt, Terrassenhaus
rechts: Stuttgart Tapachstraße, halber Wohnhügel mit davorliegender Teppichbebauung
links unten: Durchgrünung
rechts unten: Göppingen Engenlauch,
1970er Jahre
Der Wohnungsbau der 1950er bis 1970er Jahre ist immer im Kontext seiner Entstehungszeit und der damaligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu sehen. Diese
Bedingungen haben sich mittlerweile grundlegend geändert. Der Wandel von der Industriezur Wissensgesellschaft, die Öffnung der Ländergrenzen sowie tiefgreifende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen schafften neue Voraussetzungen und führten zu
veränderten Lebens- und Wohnformen.5
3 Vgl. Hafner, 1994, S. 12–13
4 Vgl. Meyer-Bohe, 1970
5 Vgl. Hopfner / Simon-Philipp / Wolf, 2012
2.1 Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre
25
Wohnungen und Grundrisse
Die Wohnung der Nachkriegsjahrzehnte war auf die Zielgruppe der Familie ausgerichtet
und für die damaligen Verhältnisse familiengerecht konzipiert. Mit einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 48 qm Anfang der 1950er Jahre waren die Wohnungen sehr
klein und boten Raum für das Nötigste. Nach der Verabschiedung des 2. Wohnungsbaugesetzes 1956 stieg die Durchschnittsgröße Anfang der 1960er Jahre auf 70 qm an und
auch die Qualität der Wohnungen verbesserte sich. Die meisten Wohnhäuser entstanden
als Zwei- oder Dreispänner mit wenig attraktiven Treppenhäusern. Die Wohnungsgrundrisse waren mit dem etwas größeren Wohnzimmer, kleinen Wohnküchen, Bädern und
Kinderzimmern meist ähnlich gestaltet. Balkone gab es in den 1950er Jahren oft nicht –
erst später entstanden zunehmend private Außenräumen. Zahlreiche dieser Wohnungen
haben durchaus zukunftsfähige Grundrisse; insbesondere die kleinen Wohnungen mit
ihren geringen Mieten können heute für einkommensschwächere Haushalte interessant
sein.6
Entstehungsjahrzehnte
Die Wohngebiete der 1950er, 1960er und 1970er Jahre unterscheiden sich in einigen, für
die Entwicklungsperspektive wichtigen Aspekten voneinander. Im Folgenden werden die
wesentlichen Charakteristika – auch aus heutiger Sicht – der verschiedenen Entstehungsjahrzehnte zusammenfassend dargestellt.
Eigenschaften von Quartieren und Gebäuden der 1950er Jahre (im Geschosswohnungsbau, im städtischen Kontext)
– städtebauliche Prinzipien der gegliederten, aufgelockerten Stadt als Gegenentwurf zur dichten,
von Missständen geprägten Gründerzeitstadt
– meist drei- bis fünfgeschossige Zeilen, erste Hochhäuser als städtebauliche Dominanten
– knapp bemessene Grundrisse und einfache Ausstattungsqualitäten
– einfache Materialqualität und Bauweisen, Schlichtwohnungsbau (wiederaufbereiteter Trümmerschutt),
zu geringe Dimensionierung der Bauteile, schlechter Schallschutz
– großzügige Freiräume, Parkierungsprobleme
– keine Fassung der Straßenräume durch die Zeilengebäude
– meist in guten, integrierten Lagen im Siedlungsgefüge
– häufig Finanzierung im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus (Wohnungsstandards gemäß Förderrichtlinien)
– geringe Bebauungsdichte
– monofunktionale, reine Wohngebiete, „Siedlungscharakter“
– gleichförmiges Wohnungsgemenge (überwiegend Familienwohnungen)
– heute nur noch wenige Erstbezieher in den Beständen (Wohnungen meist nicht barrierefrei)
– Standardwohnung mit zwei oder drei Zimmern plus Bad mit WC, kleine Küche, oft kein Balkon, 45 – 60 qm Wohnfläche
– kleinteiliger als die wesentlich großvolumigeren Gebäudestrukturen der 1960er und 1970er Jahre
Eigenschaften von Quartieren und Gebäuden der 1960er und 1970er Jahre
– meist größere Wohnflächen als in den 1950er Jahren (steigende Anforderungen an das Wohnen)
– großmaßstäbliche, massivere Strukturen (zunehmend Hochhäuser, gruppierte Wohnblöcke, komplexe Raumstrukturen)
– oft bessere Bausubstanz als in den 1950er Jahren, ab den 1970er Jahren auch verbesserter Wärmeschutz,
allerdings oft Beton-Fertigteilbauweisen und Flachdachkonstruktionen mit bald auftretenden Baumängeln
– große Freiflächen
– zunehmende Bedeutung des Automobils (oft überdimensionierte Straßenräume)
– vermehrt Wohnungen mit Balkonen
– Hochhäuser mit Aufzügen
– noch viele Erstbezieher in den Quartieren, aktuell Eintreten des Generationenwechsels
– stärkere Ausdifferenzierung des Wohnungsgemenges
26
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
2.1.2 Besonderheiten und Veränderungsprozesse
2.1.2.1 Lage
Der immobilienwirtschaftliche Grundsatz „Lage, Lage, Lage“ ist für die Quartiere der
1950er bis 1970er Jahre in der aktuellen Umbruchsituation von besonderer Relevanz. Viele
Gebiete der unmittelbaren Nachkriegszeit befinden sich in guten, innenstadtnahen Lagen
und sind heute in die Stadtstruktur eingewachsen. Es entstanden aber auch Siedlungen in
nicht-integrierten Lagen, die seither unter diesen Nachteilen leiden (z. B. Waldstädte).
Weitere lagebedingte Beeinträchtigungen entstehen beispielsweise durch stark befahrene
Straßen oder störende Nutzungen im direkten Umfeld (z. B. Gewerbe). Problematische,
unattraktive Lagen können die Entwicklungsperspektiven von Gebieten erheblich beeinträchtigen. Angesichts des „Primats“ der Lage kann davon ausgegangen werden, dass in
entspannten Wohnungsmärkten schlechte Lagen – zusätzlich verschärft durch Defizite in
Städtebau und Bausubstanz – zuerst von Problemen und Vermietungsschwierigkeiten betroffen sein werden. Die Nachfrage könnte sich von den unattraktiven Lagen in die besseren Standorte verlagern. „In Märkten mit stabiler Nachfrage zeigt sich eine hohe Abhängigkeit von der kleinräumigen Lage. Hierbei können auch Bestände der 50er und 60er Jahre
aufgrund ihrer innenstadtnahen Lage im Vorteil sein.“ 7 In Konkurrenz zu den Beständen
der 1960er und 1970er Jahre könnten daher Quartiere der 1950er in zentraleren Lagen
Vorteile haben.
Integrierte Lage, ECA Siedlung,
Stuttgart Feuerbach (1952 – 1953)
Stadtrandlage,
Stuttgart Lauchhau (1968 – 1972)
Lage am Rand eines Stadtteils, Tapachstraße,
Stuttgart Zuffenhausen (1969 – 1971)
2.1.2.2 Sozialstruktur
6 Vgl. Gerlach / vdw, 2005, S. 22 – 23
7 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), 2010 a, S. 94
8 Vgl. Kirchhoff / Jacobs, 1990, S. 17
9 Bauforum Rheinland-Pfalz, 2004, S. 4
Die Wohngebäude wurden meist für mittlere Einkommensschichten als Zielgruppe errichtet. Bei den im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus errichteten Gebäuden stiegen im
Laufe der Jahre die Fehlbelegungsabgaben und oft wurden die Einkommensgrenzen für
die Bezugsberechtigung stark herabgesetzt, sodass Erwerbstätige und Familien aus den
Quartieren abwanderten. Die ursprüngliche Bewohnerstruktur – meist Familien – war in
der Regel sehr homogen. So haben sich im Laufe der Jahre gewachsene, funktionierende
Nachbarschaften entwickelt.8 Wenn die Erstmieter in den Quartieren abnehmen und die
Fluktuation zunimmt, können Schwierigkeiten entstehen. „Sogar in technisch bereits
nachgebesserten Gebäuden und Wohnanlagen hat ein sozialer Wandel von ehemals stabilen, eher familienorientierten Stammmietern hin zu einer rasch fluktuierenden ‚Kurzmieterschaft‘ der unteren Einkommensschichten eingesetzt.“ 9
Gleichermaßen können aber auch Probleme durch die Kohorteneffekte einer stabilen
(alternden) Bevölkerung entstehen, wenn keine Fluktuation stattfindet: Überalterung,
Infrastruktrumangel, oder -wechsel, nachlassende Kaufkraft, Imageprobleme, fehlendes
Milieu für Familien, etc. Es gibt nur wenige verlässliche Erkenntnisse über die Wohnungs2.1 Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre
27
nachfrage in den Quartieren der 1950er bis 1970er Jahre. In einer Studie über Konzepte
zur Anpassung des Wohnungsbestandes der 1950er und 1960er Jahre der ARGE Kirchhoff / Jacobs werden beispielsweise folgende Nachfragegruppen unterschieden: Gruppen
jedes Alters mit geringem Einkommen, Empfänger von Transferleistungen, kleine Haushalte, hochmobile Haushalte, Einsteiger, Wochenendpendler, Migranten – in guten Lagen
zahlungskräftige Singles und Paare. 10 Auf sich entspannenden Wohnungsmärkten können sinkende Mieten zu einem Zuzug von einkommensschwachen Haushalten führen.
2.1.2.3 Eigentumsverhältnisse
Die Quartiere sind einst auf Grundlage einer Gesamtplanung entstanden. Die Errichtung
erfolgte entweder durch ein einzelnes oder mehrere Unternehmen. Meist waren lokale
Wohnungsunternehmen beteiligt. Vorwiegend entstanden Mietwohnungen, aber auch
Gebäude mit Eigentumswohnungen, die direkt nach der Fertigstellung verkauft wurden.
Diese Form des Eigentums (Wohnungseigentümergemeinschaft WEG) war durch das
Wohnungseigentumsgesetz aus dem Jahr 1951 erstmals möglich. Im Laufe der Jahre haben
sich in vielen Quartieren die Eigentumsverhältnisse erheblich verändert. Mancherorts
haben Unternehmen ihre Bestände an Investoren oder an andere Unternehmen veräußert
(z. B. Abstoßen von Streubesitz), zum Teil wurden ganze Wohngebäude oder nur einzelne
Wohnungen privatisiert. Eigentümer mit meist unterschiedlichen Zielsetzungen, Handlungslogiken und finanziellen Möglichkeiten treffen in den Quartieren aufeinander. Dies
verursacht erhebliche Probleme, die Quartiere als Gesamtheit weiterzuentwickeln.
2.1.2.4 Leerstand
Bei stagnierender oder schrumpfender Bevölkerung geraten die Wohnquartiere einer Stadt
immer stärker in Konkurrenz zueinander. Dadurch setzt ein Prozess zunehmender Differenzierung von Angebot und Nachfrage ein. Umfassende Untersuchungen zu den genauen
Gründen von mangelnder Nachfrage und daraus folgendem Leerstand in den Nachkriegsquartieren gibt es kaum. In der Studie „Investitionsprozesse im Wohnungsbestand der
70er und 80er Jahre“ des BMVBS, in der die Bestandstypen Großwohnsiedlung und kleinere Wohnsiedlungen unterschieden werden, werden die Bedingungen für Leerstand
genauer untersucht und für die kleinen Quartiere folgende Gründe auf Grundlage von
Befragungen identifiziert: „Bei der Betrachtung der Gründe für Leerstand lassen sich nur
geringe Ausprägungen erkennen. Leerstand im Zuge von Abriss oder Modernisierungen
spielt kaum eine Rolle, ebenso die Belastung durch Emissionen. Wichtiger sind hingegen
eine ungünstige Erreichbarkeit der Wohnungsbestände, ein geringer Modernisierungsgrad der Wohnungen, nicht marktgerechte Wohnungsgrößen oder -grundrisse sowie das
Wohnumfeld und Nachbarschaftsprobleme. Im Vergleich zu der Situation in Großwohnsiedlungen spielt die Marktsituation eine untergeordnete Rolle, zumal die Hälfte der
Befragten dies als unbedeutend erachtet.“ 11 Das heißt, Großwohnsiedlungen sind unmittelbarer von nachlassender Nachfrage betroffen, aber bei weiteren Rückgängen werden die
Leerstände auch vor kleineren Quartiere nicht Halt machen. Leerstände sind mit gravierenden Folgen für die Funktionsfähigkeit der Wohnungsmärkte, die Investitionsbereitschaft und die Stadtentwicklung verbunden.
2.1.3
Die Wohnquartiere heute: Stärken und Schwächen
Die Wohnquartiere waren zu ihrer Entstehungszeit Zeichen des Aufbruchs und eines
modernen Wohnens (zu Beginn häufig vor allem Mangelbeseitigung, s. o.). Mittlerweile ist
diese Beurteilung in der breiten Öffentlichkeit in das Gegenteil umgeschlagen. Während
die Generation der Erstbezieher, die zum Teil noch heute dort wohnt, eng mit dem Quartier verbunden ist, mangelt es vielen Außenstehenden oder Nachziehenden an Wertschätzung für diese Bestände. Die Gründe sind ebenso vielfältig wie komplex. Die Kernprobleme der Nachkriegsquartiere liegen in der nicht mehr als zeitgemäß empfundenen
Wohnqualität, den baulichen und gestalterischen Mängeln, in der einseitigen Belegung
28
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
Impressionen – Leerstände
„Lach doch mal wieder“ – Graffitikommentar im
Eingangsbereich eines normierten Wohnblockes
und sozialen Verschiebungen sowie an dem oft schlechten Image. Die einst unter ganz
anderen Rahmenbedingungen (v. a. schnelle Linderung der Wohnungsnot, s. o.) entstandenen Gebäude entsprechen nicht mehr den heutigen Anforderungen an das Wohnen. Die
Bausubstanz ist häufig erneuerungsbedürftig; die Außenwände weisen schlechte Wärmeund Schallschutzeigenschaften auf, die Wohnungen werden zum Teil noch über Einzelfeuerstätten oder veraltete Heizsysteme beheizt. Die Bebauungen sind von gestaltungsarmen
Erscheinungsbildern, großmaßstäblichen Gebäuden sowie wenig nutzbaren Freiflächen
geprägt und somit für viele Menschen nicht (mehr) als Wohnstandort attraktiv. Bei zahlreichen, heute noch vermieteten Wohnungen in den kleinen Quartieren kann in entspannten
Wohnungsmärkten in Zukunft die Gefahr von Leerständen steigen. 12 „Leerstand, hohe
Fluktuation, Mietrückstände, Beschwerden, fehlende Zuzugswünsche, unausgewogene
Alters- und Bevölkerungsstruktur, abgewohnte Bausubstanz, hohe Unterhaltskosten, fehlende Gemeinschaftsaktivitäten, unansehnliche Außenanlagen, Vandalismus (aufgebrochene Briefkästen, Wandschmierereien), ungeordnete Müllbeseitigung, wildes Parken“ 13
können Indikatoren für eine beginnende Erosion und ein schlechtes Quartiersimage sein.
Wohnquartiere durchlaufen verschiedene Nutzungszyklen, die gerade bei homogenen
und innerhalb kurzer Bauzeit entstandenen Gebieten stark ausgeprägt sind (Planung und
Realisierung > Erstbezug Neubau > Wachstum und Erweiterung > Alterung und Stagnation > Abnutzung und Ausdünnung > Verwertung ODER Modernisierung, Erneuerung
und Neubezug). Kritisch sind die Phasen der Ausdünnung eines Quartiers am Ende eines
Nutzungszyklus und der darauf folgende Zeitraum, in dem sich entscheidet, was mit dem
Quartier künftig geschieht – in dieser Phase befinden sich die Quartiere der 1950er bis
1970er Jahre. Dieser entscheidende Zeitpunkt im Quartierszyklus erhöht den Handlungsdruck sowohl für Kommunen als auch für Wohnungsunternehmen.14
Neben den genannten Schwierigkeiten haben gerade die kleinen Wohnquartiere der Nachkriegsjahrzehnte aber auch viele Vorteile und Potenziale. Große Qualitäten entstehen
durch die kurzen Wege, die oft vorhandene Nähe zur Innenstadt oder zu den Stadtteilzentren und deren Angeboten sowie durch die Freiraumpotenziale, die sich aus den großzügigen Grünflächen ergeben. Die Quartiere sind heute oft stark durchgrünt. Die Bewohner der „ersten Stunde“ fühlen sich in ihren Quartieren verwurzelt. Die durchschnittlichen Mieten in den Nachkriegsgebieten sind vergleichsweise günstig. Eine Bewohnerbefragung im Rahmen einer Studie des BMVBS über Wohnungsbestände der 1970er
und 1980er Jahre hat ergeben, dass die Wohnzufriedenheit in diesen Beständen vergleichsweise hoch ist – vor allem wegen des günstigen Preis-Leistungs-Verhältnisses und der
guten Nachbarschaftsbeziehungen. Die Wohnungsbaubestände der Nachkriegsjahrzehnte
üben aufgrund ihrer großen Menge und der bezahlbaren Mieten eine wichtige, stabilisierende Wirkung auf den Wohnungsmarkt aus.15 Darüber hinaus besteht, durch die Anpassung der Quartiere an heutige Anforderungen, das Potenzial, die Erschließung von Neubauquartieren zu vermeiden und somit die Flächeninanspruchnahme zu reduzieren. In
weiterer Folge können Kosten für die Errichtung von neuer Infrastruktur gespart sowie
ein Überangebot von Wohnungen bzw. Neubau trotz Leerstand im Bestand vermieden
werden. Wenn die richtigen Weichen gestellt werden, kann die hohe Wohnzufriedenheit
erhalten und die Quartiere auch für neue Nutzergruppen attraktiv gestaltet werden.
10 ARGE Kirchhoff / Jacobs, 2005, S. 44
11 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), 2010a, S. 57–58
12 Vgl. InWIS Forschung und Beratung GmbH,
2003, S. 12
13 Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, 2012, S. 20
14 Vgl. Bizer / Ewen / Knieling / Stieß, 2010;
vgl. Stieß / Deffner / Birzle-Harder, 2009, S. 6
15 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2010a, S. 75, 95
2.1 Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre
29
2.2 Wohnungsnachfrage
Die Megatrends in Form veränderter Bevölkerungs- und Haushaltszahlen und einer zunehmenden Alterung der Gesellschaft haben seit den 1950er Jahren die quantitative und qualitative Nachfrage nach Wohnraum verändert und werden dies auch weiterhin tun. Im
Folgenden wird die Nachfrageseite genauer beleuchtet, um aufzuzeigen, mit welchen
aktuellen und künftigen Bedürfnissen die Nachkriegsquartiere konfrontiert sind.
2.2.1
Quantitative Nachfrage
Die Bevölkerungszahl und die Zahl der Haushalte wirken sich unmittelbar auf die Wohnsituation und den Wohnungsmarkt aus. Zwischen 2003 und 2011 nahm die Bevölkerung
in Deutschland kontinuierlich ab. Ende des Jahres 2011 stieg nach Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes die Einwohnerzahl im Vergleich zum Vorjahr um 92.000 Personen
(+ 0,1 Prozent) auf mehr als 81,8 Mio an. Dabei handelt es sich um die erste, wenn auch
nur geringe Bevölkerungszunahme seit 2003. Hauptgrund dafür war die deutlich gestiegene Zuwanderung im Jahr 2011. 16
Nach den starken Bevölkerungsverlusten in Ostdeutschland ist auch in Westdeutschland mit einer abnehmenden Bevölkerung zu rechnen. Die Bevölkerungsentwicklung verläuft regional – und auch kleinräumig – sehr unterschiedlich und wird vor allem in Großstädten und prosperierenden Regionen weiterhin positiv ausfallen, während für ländliche
und strukturschwache Regionen erhebliche Verluste zu erwarten sind. Die Bevölkerungsabnahme wirkt sich zunächst nur mittelbar auf die Wohnungsnachfrage aus, da die Zahl
der Haushalte wegen der kontinuierlichen Verkleinerung noch leicht positiv verläuft.
Künftig wird jedoch auch von einer Abnahme der Haushalte in Deutschland ausgegangen
(v. a. in Ostdeutschland).
Das Statistische Bundesamt hat in der 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung (2009) anhand von zwei Varianten beschrieben, wie sich die Bevölkerung bis 2060
entwickelt (Annahmen: annähernd konstante Geburtenhäufigkeit, Anstieg der LebensBevölkerungsvorausberechnung
1950 bis 2060
30
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
Bevölkerungsentwicklung (in Mill.)
1871 bis 1939: Reichsgebiet – Bevölkerung zur Jahresmitte
1950 bis 2000: Früheres Bundesgebiet einschl. Berlin-West, neue Länder einschl. Berlin-Ost – Bevölkerung zum Jahresende
Seit 2001: Früheres Bundesgebiet ohne Berlin-West, neue Länder einschl. Berlin – Bevölkerung zum Jahresende
Bevölkerung nach Familienstand 2010 (in 1.000)
Stichtag: 31. 12.
oben: Bevölkerungsentwicklung
in Ost- und Westdeutschland seit 1871
darunter: Bevölkerung nach Familienstand
2010
erwartung um etwa acht (Männer) beziehungsweise sieben Jahre (Frauen), Wanderungssaldos von 100.000 oder 200.000 Personen im Jahr). Da die Zahl der Todesfälle die Zahl
der Geborenen weiterhin übersteigt, kann das rasant wachsende Geburtendefizit nicht von
der Nettozuwanderung kompensiert werden. Bei der Fortsetzung der aktuellen demografischen Entwicklung wird die Einwohnerzahl von circa 82 Mio. am Ende des Jahres 2008
auf etwa 65 Mio. (Untergrenze der „mittleren“ Bevölkerung) beziehungsweise 70 Mio.
(Obergrenze der „mittleren“ Bevölkerung) im Jahr 2060 abnehmen. 17
2.2.2 Qualitative Nachfrage
16 Vgl. Website Statistisches Bundesamt:
www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/
Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Bevoelkerungsstand.html (Zugriff am 8. 11. 2012)
17 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2009, S. 5
18 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2012 b, S. 50
Die vielschichtigen Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und der gesellschaftliche
Wandel mit einer Vielfalt an neuen Lebensmodellen haben maßgeblichen Einfluss auf die
Art und Größe des nachgefragten Wohnraums sowie auf die Nachfrage nach bestimmten
Wohnformen und Wohnungstypen. Im Laufe des 20. Jahrhunderts führte der gesellschaftliche und ökonomische Wandel zu einer starken Pluralisierung und Individualisierung der
Haushalts- und Familienformen. Anstelle der traditionellen Kleinfamilien (Eltern mit
zwei Kindern) treten unterschiedlich ausdifferenzierte Haushaltstypen (Alleinerziehende,
Patchworkfamilien, Singles, etc.), die je nach Lebenslage spezifische Bedürfnisse an den
Wohnraum und das Wohnumfeld stellen. Große Haushalte werden künftig weiter abnehmen, während gerade die Zahl der Einpersonenhaushalte wachsen wird (Zunahme von
Einpersonenhaushalten zwischen 2001 und 2010 von 37 auf 40 Prozent). Nicht nur die
zunehmende Zahl älterer Menschen, die sich nicht mehr auf die traditionellen Familienstrukturen verlassen können und mit sinkenden Renten („Altersarmut“) konfrontiert sind,
werden auf günstigen, gut angebundenen Wohnraum angewiesen sein. Der Altenquotient,
der das Verhältnis älterer Menschen zu Erwerbsfähigen darstellt, ist in den letzten Jahren
kontinuierlich gestiegen. Während im Jahr 2000 auf 100 Personen im Alter von 20 bis
unter 65 Jahren ca. 26,8 Personen kamen, die 65 Jahre oder älter waren, waren es 2010
bereits 33,8 Personen. 18
2.2 Wohnungsnachfrage
31
Privathaushalte nach Haushaltsgröße (in %)
Frauen und Männer nach Lebensformen 2011 (27- bis 59-Jährige, in %)
|1 In Einpersonen- und Mehrpersonenhaushalten
|2 In nichtehelichen (gemischtgeschlechtlichen) und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
oben: Privathaushalte nach Haushaltsgröße
darunter: Frauen und Männer nach Lebensformen
2011
Der demografische Wandel zeigt sich in vielen
Quartieren und Stadtteilzentren – Halle-Neustadt, Esslingen am Neckar, Stuttgart Freiberg/
Mönchfeld
Zu den wichtigsten Entscheidungsgrundlagen für die Wohnstandortwahl zählen neben
der Lage und der finanziellen Machbarkeit die Ausstattung und Qualität der Wohnung
und des Umfeldes. Tendenziell werden seit einigen Jahren urbane Wohnformen mit einer
einfacheren Alltagsorganisation und mit einer hohen Dichte an Einrichtungen für Arbeit,
Freizeit, Bildung und Kultur bevorzugt. Die unsichere bzw. negative Einkommensentwicklung wird insgesamt die Nachfrage nach preiswertem Wohnraum ansteigen lassen.
Hier bieten sich insbesondere (auch) in den Bestandsquartieren der Nachkriegsjahrzehnte
Potenziale.
Die meisten Studien und Untersuchungen zu Wohnwünschen und Wohnstandortentscheidungen fragen nicht danach, welche städtebaulichen Quartierstypen oder Baualtersklassen bevorzugt werden. Es gibt kaum fundierte Erkenntnisse darüber, wie die Entscheidung in ein Geschosswohnungsbauquartier der 1950er bis 1970er Jahre zu ziehen, zustande
kommt. Jedoch können einige Annahmen getroffen werden. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Nachfrageorientiertes Nutzungszyklusmanagement“ wurden beispielhaft die
Wohnstandortentscheidungen in je einem Untersuchungsgebiet der 1960er Jahre in Kiel
und Göttingen mit folgenden Ergebnissen analysiert: „Neben beruflichen Gründen spielen
bei der Umzugsentscheidung vor allem persönliche Gründe, häufig verknüpft mit wohnungsbezogenen Gründen, eine zentrale Rolle. Wohnumfeldbezogene Gründe beeinflussen die Suchrichtung und die Wahl des neuen Wohnstandorts, sind aber nur in seltenen
Fällen der Auslöser einer Umzugsentscheidung.“ 19 Bei einer genaueren Betrachtung der
Motive zeigte sich, dass eine gut erschlossene und verkehrsgünstige Lage und auch die
32
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
Ausstattung mit sozialer Infrastruktur von Bedeutung sind. Die Senkung der Wohn- und
Mobilitätskosten, das günstige Preis-Leistungsverhältnis und die rasche und unkomplizierte Verfügbarkeit der Wohnungen für Menschen, die kurzfristig umziehen, spielen eine
wichtige Rolle. Kleinere Wohnungen werden v. a. von Singles und Paaren in unterschiedlichen Lebensphasen nachgefragt; großzügig geschnittene Wohnungen im Geschosswohnungsbau sind für jüngere Familien interessant. Die großen, idealerweise auch nutzbaren
Grünflächen können die Wohnstandortentwicklung positiv beeinflussen. Interessant
war das Ergebnis, dass trotz des hohen Alters der bauliche Zustand und die Ausstattung
der Gebäude der 1950er bis 1970er Jahre – vor allem im Vergleich zur Vorkriegs- und
Zwischenkriegszeit – eher positiv bewertet wurden. Zunehmender Investitionsstau kann
zu einem Wegzug von Bewohnern aus einem Quartier führen – vor allem dann, wenn sich
auch das soziale Umfeld problematisch entwickelt.20 Aus dieser Bewohnerbefragung in
zwei Gebieten wurde folgendes Fazit gezogen, das durchaus auch auf die Breite der Bestände zutreffen kann: „Die Wohnqualität in den Quartieren entsteht überwiegend durch kurze Wege, Grünstruktur und Aufenthaltsqualität sowie der Nähe zur Innenstadt und deren
städtische Angebote.“21
Viele verschiedene Untersuchungen und Modelle versuchen, die komplexen Zusammenhänge zwischen sozialer Stellung, Lebensstil, Wohnstandort und -bedürfnis zu erfassen
(Lebensstilgruppen, Sinusmilieus, etc.). Beispielsweise werden in der vom GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) beauftragten Studie
„Wohntrends 2020“ sechs unterschiedliche Wohnkonzepte identifiziert: konventionellsituiertes Wohnkonzept, kommunikativ-dynamisches Wohnkonzept, häuslich-familiäres
Wohnkonzept, anspruchsvolles Wohnkonzept, solide-bescheidenes Wohnkonzept, einfachfunktionales Wohnkonzept. Für Mehrfamilienhäuser der Nachkriegsjahrzehnte kommt
vor allem das „solide-bescheidene Wohnkonzept“ in Frage. Allerdings nimmt diese Gruppe
altersbedingt ab und nachrückende Generationen sind anspruchsvoller.22 Durch Aufwertungsstrategien besteht jedoch Veränderungspotenzial.
Die Wohnung gilt sowohl als Wirtschaftsgut, das für den Eigentümer eine hohe Rendite
erzielen soll, als auch als Sozialgut, mit dem das Grundbedürfnis nach sicherem und
gesundem Wohnen befriedigt werden soll. In den letzten Jahren hat zudem der Stellenwert
des Wohnens stark zugenommen und die Wohnung wird für viele Menschen auch zunehmend zu einem „Konsumgut“ und „Statusobjekt“. Diese Bedeutung und Entwicklung des
„Guts Wohnung“ wirken sich auch auf die Quartiere der 1950er bis 1970er Jahre aus.
Nachkriegsbestände entsprechen oftmals nicht
mehr heutigen Wohnvorstellungen.
19 Bizer / Ewen / Knieling / Stieß, 2010, S. 153
20 Vgl. ebenda, S. 153
21 Stieß / Deffner / Birzle-Harder, 2009, S. 32
22 Vgl. Bundesverband deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen e. V. (GdW), 2008, S. 44
2.2 Wohnungsnachfrage
33
2.3 Wohnungsangebot
2.3.1
Wohnungsmarkt
Der Wohnungsmarkt, auf dem das Gut „Wohnen“ angeboten wird, wird von einer Vielzahl
komplexer Rahmenbedingungen bestimmt. Neben der Bevölkerungsentwicklung beeinflussen die Marktmechanismen, die wirtschaftliche Entwicklung und politische Maßnahmen den Wohnungsmarkt maßgeblich. Während Schrumpfungsregionen von einem
Überangebot an Wohnungen bzw. einem Mietermarkt geprägt sind, fehlt es in Wachstumsregionen weiterhin an ausreichendem und bezahlbarem Wohnraum. Der Wohnungsmarkt in Deutschland ist sowohl regional, aber auch innerhalb der Städte stark ausdifferenziert – während es in einer Stadt Leerstände in bestimmten Beständen gibt, herrscht
Wohnungsmangel in anderen Segmenten. Auf kleinräumiger Ebene führt eine abnehmende
Wohnungsnachfrage zu Verschiebungen und Konkurrenzsituationen zwischen den einzelnen Stadtteilen oder Quartieren. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage wirkt sich in
unterschiedlicher Weise auf die Investitionsstrategien und Aktivitäten der Wohnungseigentümer aus. Eine nachlassende Wohnungsnachfrage stellt Kommunen und Wohnungsunternehmen nach vielen Jahren des Wachstums vor neue Fragen und Aufgaben.
Der deutsche Wohnungsmarkt zeichnet sich durch einen sehr großen und gut funktionierenden Mietwohnungsbestand aus.23 In Deutschland gab es im Jahr 2010 rund
39,4 Mio. Wohnungen in ca. 18,1 Mio. Wohngebäuden. Über 27 Prozent aller Wohnungen
liegen in Mehrfamilienhäusern aus der Baualtersklasse 1949 bis 1978. Wenn nur die Mietwohnungen betrachtet werden, dann stammen über 50 Prozent der Wohnungen aus den
Jahren zwischen 1949 und 1978. Die Eigentümerquote lag im Jahr 2010 im Bundesdurchschnitt bei 45,7 Prozent (Anteil der von Eigentümern bewohnten Wohnungen). Von den
über 39,4 Mio. Wohnungen standen 2010 rund 3,3 Mio. leer (Leerstandsquote rund
8,4 Prozent). 27 Prozent dieses Leerstandes liegt in Mehrfamilienhäusern aus den Jahren
1949 bis 1978.24
Eine Besonderheit auf dem deutschen Mietwohnungsmarkt ist die Integration von
geförderten Wohnungen („Sozialwohnungen“) in den Gesamtmarkt, die zum Großteil aus
den Nachkriegsjahrzehnten stammen. Im Zeitraum von 1950 bis 1964 waren durchschnittlich 51 Prozent aller Wohnungen Sozialwohnungen – in der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden mangels privaten Kapitals fast nur geförderte Wohnungen.25 Da
viele dieser Wohnungen das Ende ihrer Darlehenslaufzeiten entweder bereits erreicht
haben oder bald erlangen werden, wird der Bestand an gebundenen Wohnungen weiter
Bewohnte Wohnungen nach Baujahr
des Gebäudes /der Wohnung
34
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
bis 1918
1919 – 1948
1949 – 1978
1979 – 1986
1987 – 1990
1991 – 2000
2001 – 2004
2005 – 2008
2009 und später
Zusammen
und Gebäudetypen
links: Wohnungsbestand differenziert nach Einund Zweifamilienhäusern, Mehrfamilienhäusern
und Baualtersklasse 1949 – 1978
rechts: Wohnungsleerstand 2010 und 2006
EZH
2.965
2.712
7.495
1.943
537
1.610
663
512
106
18.543
MFH
2.863
2.457
10.698
2.155
556
1.525
291
252
51
20.848
Insgesamt
5.828
5.169
18.193
4.098
1.093
3.135
954
764
157
39.391
abnehmen und die öffentliche Hand verstärkt den Zugriff auf preiswerten Wohnraum verlieren. Von einem Auslaufen der Bindungen können ganze Quartiere der Nachkriegsjahrzehnte betroffen sein. Der Bestand an Wohnungen mit Mietpreis- und / oder Belegungsbindungen ist von 2,47 Mio. Wohnungen im Jahr 2002 auf rund 1,66 Mio. Einheiten im
Jahr 2010 zurückgegangen. Jährlich fallen bundesweit rund 100.000 Sozialwohnungen
weg.26 Je nach Unternehmensform ist zu erwarten, dass die Wohnungsmieten preislich an
den ortsüblichen Wohnungsmarkt angepasst werden.27 Eine aktuelle Studie stellt fest,
dass derzeit ein erheblicher Mangel an sozialem Mietwohnraum in Deutschland herrscht
(ca. vier Mio. Wohnungen).28
Filtering-Theorie
23 Vgl. Bundesverband deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen e. V. (GdW), 2011 c, S. 23
24 Vgl. Statistisches Bundesamt, 2012 a,
S. 6, 13, 30, 43 – 44
25 Vgl. ARGE Kirchhoff / Jacobs, 2005, S. 35
26 Vgl. Pestel Institut, 2012, S. 12
27 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2010a, S. 55
28 Vgl. Pestel Institut, 2012, S. 15
29 Vgl. Kühne-Büning, Lidwina: Interdependenz
wohnungswirtschaftlicher Teilmärkte – theoretische
Ansätze zur Erklärung prozessualer Ablaufen.
In: Kühne-Büning / Nordalm / Steveling, 2005,
S. 177 – 184;
vgl. Ratcliff / Lowry, 1960, S. 362 – 370
Um Beziehungen zwischen den Wohnungsteilmärkten zu beschreiben, gibt es verschiedene Ansätze. Die Entwicklung der Wohnungsbestände der 1950er bis 1970er Jahre kann
z. B. mit der sog. Filtering-Theorie (nach Ratcliff und Lowry) erklärt werden. Dieser Theorie liegt die Annahme zugrunde, dass beim Markteinritt hochwertige Wohnungen im
Laufe der Zeit auf ein niedrigeres Qualitäts- und Preisniveau absinken, wenn Instandhaltungen und Modernisierungen ausbleiben. Da somit die Wohnungen nicht mehr den
Anforderungen der bisherigen Nutzer bzw. einkommensstarker Nachfrager entsprechen
und sich diese dem Neubaumarkt zuwenden, führt die abnehmende Nachfrage zu sinkenden Preisen. Durch die geringeren Preise werden die Wohnungen für einkommensschwächere Gruppen attraktiv. Mit dem Wechsel einer Wohnung in eine andere Qualitätsstufe
ändert sich auch die Nutzergruppe. Dieser Prozess dauert so lange an, bis die Wohnung
nicht mehr für ihren eigentlichen Zweck geeignet ist bzw. vermietet werden kann. Abbruch
oder Investitionen sind dann notwendig.29 Diese Entscheidung steht aktuell in vielen
Quartieren der 1950er bis 1970er Jahre an.
2.3 Wohnungsangebot
35
2.3.2 Anbieterstruktur, Eigentümer- und Unternehmensformen
Die Anbieterstruktur auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist sehr kleinteilig und heterogen. Auffallend ist der hohe Anteil an privaten Kleinvermietern, auf die rund 61 Prozent
des Mietwohnungsbestandes entfallen und die von einem geringen Professionalisierungsgrad geprägt sind. Professionelle Anbieter hingegen bewirtschaften nur rund 39 Prozent
der Mietwohnungen. Die Anbieterstruktur ist regional sehr unterschiedlich. Während es
in den ländlichen Regionen eher weniger Mietwohnungen gibt, spielen in Städten Wohnungen von professionellen Anbietern eine bedeutende Rolle.30
Die Wohnungswirtschaft wird aktuell von den Megatrends „demografischer Wandel“
und „Klimawandel“ bestimmt. Während Unternehmen mit größeren Beständen über mehr
Kapital und Handlungsmöglichkeiten verfügen, fehlt es gerade kleineren und mittleren
Wohnungsunternehmen oft an finanziellen Möglichkeiten, die Bestände in absehbarer
Zeit zukunftsgerecht zu entwickeln.31
Eine große Veränderung der Anbieterstruktur trat im Jahr 1990 ein, als das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz (WGG) durch das Steuerreformgesetz aufgehoben wurde. Viele
(ehemals gemeinnützige) Unternehmen, deren Hauptaufgabe die Wohnraumversorgung
großer Teile der Bevölkerung war, mussten ihre Rolle neu definieren.32 In den Wohnquartieren der 1950er bis 1970er Jahre sind verschiedene Formen von Wohnungseigentümern
anzutreffen, die von unterschiedlichen Zielsetzungen und Bewirtschaftungsstrategien
geprägt sind – grundlegend können unterschieden werden:33
– kommunale Wohnungsunternehmen
– freie, privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen
– Genossenschaften
– industrieverbundene Wohnungsunternehmen
– internationale Investoren („Opportunity Fonds“, „Private-Equity-Gesellschaften“)
– privat vermietende Personen / Kleinanbieter
– selbstnutzende Eigentümer
– Stiftungen (als Sonderform).
Bei den Rechtsformen ist zwischen privaten, kommunalen und genossenschaftlichen zu
unterscheiden. Gerade kommunale Unternehmen und Genossenschaften sind der sozialen
Wohnraumversorgung verpflichtet und haben neben der volkswirtschaftlichen auch die
soziale Aufgabe, die Bevölkerung mit ausreichendem und angemessenem Wohnraum zu
versorgen. Im Folgenden werden die verschiedenen Eigentümerformen kurz charakterisiert.
Kommunale Wohnungsunternehmen /
Wohnungsunternehmen mit kommunaler Mehrheitsbeteiligung
Um ein kommunales Wohnungsunternehmen handelt es sich, wenn eine Stadt oder
Gemeinde oder ein Gemeindeverband mindestens 50 Prozent der Anteile besitzt. Die
Unternehmen wurden meist gegründet, um die Wohnungsversorgung breiter Schichten
der Bevölkerung zu gewährleisten. Mit Hilfe eigener Wohnungsunternehmen hat die
öffentliche Hand die Möglichkeit, wohnungspolitische Zielsetzungen umzusetzen, da sie
als Gesellschafterin entsprechenden Einfluss hat. Oft versorgen kommunale Unternehmen Nachfragegruppen, die auf dem freien Wohnungsmarkt Zugangsschwierigkeiten
haben. Die Unternehmen verfolgen daher nicht rein marktwirtschaftlich orientierte
Erneuerungsstrategien und Unternehmensziele.34 Zur Lösung von Finanzproblemen wurden mancherorts in der Vergangenheit große kommunale Wohnungsunternehmen verkauft (z. B. Dresden). Dadurch haben Kommunen wichtige Einflussmöglichkeiten auf den
Wohnungsmarkt verloren und die Wohnungen wurden dem freien Spiel der Marktkräfte
ausgesetzt.35
36
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
Freie, privatwirtschaftliche Wohnungsunternehmen
Der Unternehmenszweck von freien Wohnungsunternehmen umfasst alle wohnungswirtschaftlichen Leistungen und unterliegt keinen gesetzlichen Beschränkungen. In der Regel
verfolgen privatwirtschaftliche Unternehmen das Ziel, den Gewinn zu maximieren und
Werte zu generieren. Neben der Verwaltung von Mietwohnungen verfolgen freie Wohnungsunternehmen oft weitere Tätigkeiten wie die Verwaltung fremder Wohnungen, die
Errichtung von Wohnungen als Bauträger, etc. Bei der Modernisierung stehen die Ausschöpfung der Mieterhöhungspotenziale bzw. die Refinanzierung der Ausgaben und die
ökonomische Nachhaltigkeit an zentraler Stelle. Eine Studie des BMVBS über Investitionsprozesse im Wohnungsbestand hat beispielsweise ergeben, dass die Informationslage hinsichtlich Bestandsinvestitionen bei privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen als
nicht gut zu bewerten ist.36
Genossenschaften
Nach §1 Genossenschaftsgesetz (GenG) sind Genossenschaften „Gesellschaften von nicht
geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern […]“. Die auf dem Gedanken der Selbsthilfe entstandenen Genossenschaften müssen sich zwar wie auch privatwirtschaftliche Unternehmen am
Markt behaupten, aber ihr Hauptziel liegt nicht darin, Maximalgewinne zu erwirtschaften,
sondern die Mitglieder als Eigentümer der Genossenschaft zu fördern. Genossenschaften
zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf den Prinzipien des freiwilligen Zusammenschlusses, auf demokratischen Entscheidungsstrukturen und einer gerechten Verteilung der
wirtschaftlichen Ergebnisse beruhen. Durch ihre Grundsätze haben Genossenschaften
eine große Bedeutung für die Wohnungsversorgung und bieten viel Sicherheit, da die
Bewohner sowohl Mieter als auch Eigentümer sind. In sich entspannenden Wohnungsmärkten gelangen Genossenschaften in eine stärkere Konkurrenzsituation mit anderen
Anbietern auf dem Wohnungsmarkt. Bei Investitionsentscheidungen steht nicht der maximale Gewinn, sondern die Wohnzufriedenheit der Mieter im Vordergrund.37
Industrieverbundene Wohnungsunternehmen
30 Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR), 2011, S. 120
31 Vgl. Leutner / Famira / Reimann, 2005, S. 1
32 Vgl. Lohse, 2006, S. 2
33 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2007a, S. 18 ff;
vgl. Institut Wohnen und Umwelt, 2003, S. 34
34 Vgl. Institut Wohnen und Umwelt, 2003, S. 34
35 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
(BBR), 2007;
vgl. Steinert, 2007;
vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2011 d
36 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2007a, S. 21
37 Vgl. Röber, Manfred; Sinning, Heidi: Nachfrageorientierte Bestandsentwicklung in der Wohnungswirtschaft. In: Röber / Sinning, 2010, S. 11–12;
vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2006;
vgl. Institut Wohnen und Umwelt, 2003, S. 35
38 Vgl. Institut Wohnen und Umwelt, 2003, S. 35;
vgl. Galonska, Jürgen; Kühne-Büning, Lidwina:
Wohnungsunternehmen. In: Kühne-Büning / Nordalm /
Steveling, 2005, S. 123–124
39 Vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und
Raumforschung (BBSR), 2011, S. 122–123, 125–126;
vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
(BBR), 2007
Industrieverbundene Unternehmen sind vor allem aus dem Werkswohnungsbau hervorgegangen und in den letzten Jahren weitgehend vom Wohnungsmarkt verschwunden.
Unternehmen besitzen Wohnungen, die sie verwalten, bewirtschaften und an Werksangehörige vermieten. Ziel dieser Unternehmen war es einst, den Mitarbeitern eines Betriebs
angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen, um die Bindung an den Arbeitgeber
zu stärken. Diese Zielsetzung wird heute vielfach nicht mehr verfolgt; die Bestände werden
zunehmend von den Industrieunternehmen veräußert.38
Internationale Investoren
Das Auftreten großer, weltweit agierender Finanzinvestoren hat in den letzten Jahren den
deutschen Wohnungsmarkt erheblich verändert (z. B. große Verkäufe kommunaler Wohnungsbestände). Die Internationalisierung auf dem Wohnungsmarkt hat zu Unsicherheiten für die Bewohner geführt. Diese Unternehmen für die Ziele der Stadtentwicklung zu
gewinnen, gilt als besonders schwierig, da sie meist nicht lokal verankert sind und andere
Interessen verfolgen. Die Gewinnmaximierung oder ein schneller Weiterverkauf sind vorrangige Unternehmensziele 39 (siehe Exkurs, S. 38).
Private Kleinanbieter
Die meisten Mietwohnungen werden von privaten Kleinanbietern angeboten. Dies ist charakteristisch für den deutschen Wohnungsmarkt und lässt sich mit den über viele Jahre
gewährten Steuervorteilen erklären, aufgrund derer einkommensstärkere Haushalte in
Mietwohnungen investierten. Von professionellen Anbietern unterscheidet sich diese
2.3 Wohnungsangebot
37
Anbietergruppe durch einen ungünstigen Informationsstand hinsichtlich Bestandsinvestitionen und ihr Verhalten am Markt (z. B. werden Mieterhöhungsspielräume nicht ausgeschöpft). Neben einigen professionellen Vermietern bzw. Eigentümern, die die Verwaltung
professionellen Dienstleistern übergeben haben, zählen auch viele „Amateurvermieter“ zu
dieser Gruppe.40
Selbstnutzende Eigentümer
Wohnungseigentümer, die ihre Wohnungen selber nutzen, verfolgen in der Regel andere
Interessen als Eigentümer von Mietwohnungen. Ihre Ziele liegen vor allem in der Erhöhung des Wohnkomforts, der persönlichen Aneignung sowie der Erhaltung des Immobilienwerts. Bei Selbstnutzern kann beispielsweise von einer größeren Bereitschaft für
energetische Modernisierungen ausgegangen werden, da sie direkt von den Energieeinsparungen profitieren. Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG, 1951 eingeführt) regelt in
Mehrfamilienhäusern das Eigentum an den einzelnen Wohnungen (Sondereigentum) und
dem Gemeinschaftseigentum. In Wohnungseigentümergemeinschaften kann es sehr
schwierig sein, einen Konsens über Sanierungen- bzw. Modernisierungen herzustellen
und die Maßnahmen zu finanzieren. Die Reform des Wohnungseigentumsgesetzes im
Jahr 2007 brachte zwar für Wohnungseigentümergemeinschaften einige Erleichterungen
bei der Willensbildung, insbesondere eine neue Beschlusskompetenz für Modernisierungsmaßnahmen, aber dennoch herrscht in diesen Beständen weiterhin ein sehr hoher
Investitionsstau. Viele Eigentümer in den Beständen der 1950er und 1970er Jahre sind
zudem in einem Alter, in dem sie nicht mehr für Investitionen bereit bzw. in der finanziellen Lage sind. Mehrfamilienhäuser mit Eigentumswohnungen werden aus stadtentwicklungspolitischer Sicht zunehmend als Schwierigkeit wahrgenommen, da dringend notwendige Investitionen in den Bestand ausbleiben bzw. lange hinausgezögert werden. Ein aktuelles Forschungsprojekt des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)
im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) befasst sich seit Mai 2012 mit
diesen komplexen Fragestellungen (Titel: Investitionsprozesse bei Wohnungseigentümergemeinschaften mit besonderer Berücksichtigung energetischer und altersgerechter Sanierungen).41
Weitere Unterscheidungsmöglichkeiten von Eigentümern
Weiterführend kann zwischen wert- bzw. bestandserhaltenden Wohnungseigentümern
(z. B. Genossenschaften, kommunale Wohnungsunternehmen, Kleineigentümer, „Familienunternehmen“) und so genannten Cash-Flow-Optimierern (z. B. Aktiengesellschaften,
Immobilienfonds) unterschieden werden.42 Darüber hinaus können Eigentümer nach
dem Umfang des Eigentums bzw. der Größe des Bestandes, der Bewirtschaftungsstrategie
(kurzfristig vs. langfristig orientierte Verwertung) und der lokalen Bindung (örtlich verwurzelte vs. ortsfremde Eigentümer) differenziert werden.43
Exkurs: Verkauf von Wohnungsbeständen
Seit Ende der 1990er Jahre haben kapitalstarke internationale Opportunity Fonds und
Private-Equity-Gesellschaften große Wohnungsbestände oder ganze Wohnungsunternehmen erworben (Stichwort „Globalisierung der Wohnungs- und Immobilienmärkte“). So
wurden beispielsweise zwischen 1999 und 2006 in Deutschland über 150 Transaktionen
mit insgesamt 1,28 Mio. Wohnungen durchgeführt. Die Verkäufe konzentrierten sich
dabei auf Bestände der 1950er bis 1960er Jahre sowie auf entspannte Wohnungsmärkte
und Ballungsräume. Rund 57 Prozent der verkauften Wohnungen kamen von der öffentlichen Hand.44 Dieser massenhafte Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände wirkt sich
gravierend auf die Stadtentwicklung, die soziale Wohnraumversorgung sowie Steuerungsmöglichkeiten der öffentlichen Hand aus. Eine Studie des Bundesamtes für Bauwesen und
Raumordnung, die sich mit den Gefahren der großen Wohnungstransaktionen beschäftigt, stellt Folgendes fest: „Die Kommunen stehen, was die Auswirkungen der Verkäufe für
38
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
ihr Handeln in den Bereichen Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik angeht, vor Herausforderungen und Risiken, weil die vielfach langjährige Zusammenarbeit mit örtlichen
Wohnungsunternehmen durch deren Verkauf unterbrochen wird bzw. eine Fortsetzung
unsicher ist. Es ist damit zu rechnen, dass sich die privaten Finanzinvestoren an quartiersbezogenen Maßnahmen nur selektiv beteiligen. Im Bereich der sozialen Wohnungsversorgung macht sich nach dem Verkauf eines kommunalen oder sonstigen traditionellen Wohnungsunternehmens an einen privaten Investor der Verlust eines wichtigen Kooperationspartners für die Kommunen meist spürbar bemerkbar.“ 45
Anbieterstruktur auf dem deutschen
Wohnungsmarkt (2006)
WOHNU NG SBE STA ND IN DE UT SCH L A N D
100 %
39.617 WE
Professionelle Anbieter
9.150 WE
23 %
Private Kleinanbieter
14.507 WE
37 %
Privatwirtschaftliche
Eigentümer
10 %
4.059 WE
Ein- und Zweifamilienhäuser
Kommunale Wohnungsunternehmen
5%
2.120 WE
Mehrfamilienhäuser
5.421 WE
9.086 WE
14 %
23 %
Selbstnutzer
15.960 WE
40 %
Ein- und Zweifamilienhäuser
32 %
12.812 WE
Mehrfamilienhäuser
3.148 WE
8%
Sonstige öffentliche
Wohnungsunternehmen
1%
206 WE
Genossenschaften
2.079 WE
5%
Eigentümer mit Verwaltung durch prof.
gewerbl. WU
1%
453 WE
Übrige Anbieter (Kirchen,
sonstige WU, etc.)
1%
233 WE
40 Vgl. Kofner, 2004, S. 27;
vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
(BBR), 2006 b
41 Vgl. Website: www.bbsr.bund.de/nn_1288758/
BBSR/DE/FP/Weitere/KfWProgramme/
InvestitionsprozesseWEG/01_Start.html
(Zugriff am 20. 12. 2012)
42 Vgl. Website: www.stadtumbauwest.de/konzept/
PW_Albstadt_Bericht_Teil1.htm (Zugriff am 22. 12. 2012)
43 Vgl. Bundesverband deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen e. V. (GdW), 2010, S. 124
44 Vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
(BBR), 2007, S. 1–2;
vgl. Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
(BBSR), 2011, S. 120
45 Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
(BBR), 2007, S. 1–2
46 Vgl. Bundesverband deutscher Wohnungsund Immobilienunternehmen e. V. (GdW), 2011 c,
S. 8, 29–30
47 Vgl. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung,
2012, S. 5–9
48 Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e. V. (GdW), 2011 c, S. 52
Anmerkungen:
Wohneinheiten (WE) in 1000 zum Stand 30. Juni 2006,
Anteile der Wohneinheiten am gesamten Wohnungsbestand in %,
Wohnungsunternehmen (WU)
Quelle:
BMVBS und BBR (Hrsg.): Veränderung der Anbieterstruktur im
deutschen Wohnungsmarkt und wohnungspolitische Implikationen.
Forschungen, H. 124, S. 26. Bonn 2007.
2.3.3 Wohnungsproduktion, -sanierungen und Mietpreisentwicklung
Seit Jahren ist der Wohnungsneubau in Deutschland rückläufig, die Investitionen der
Wohnungsunternehmen verschieben sich zu Maßnahmen im Bestand. Beispielsweise flossen im Jahr 2010 drei Viertel der Investitionen der GdW-Unternehmen in Form von
Modernisierungen, Instandsetzungen und -haltungen in den Bestand.46 Da die amtliche
Statistik keine Umbau-, Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen erfasst, wurde
vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer Studie berechnet, dass
im Jahr 2011 bei einem gesamten Wohnungsbauvolumen von 166,5 Mrd. Euro ca. 125,4
Mrd. Euro auf Bauleistungen im Bestand entfielen (davon ca. 38,4 Mrd. Euro für energetische Sanierungen).47
Hinsichtlich der Entwicklung der Mieten und der Bestandserneuerung stellt der GdW
Folgendes fest: „Im Zeitraum zwischen 2000 und Mitte 2011 sind die Mieten aber weit
weniger gestiegen (+14 Prozent) als die allgemeinen Lebenshaltungskosten (+20 Prozent).
[…] Die hinter dem allgemeinen Preisauftrieb zurückbleibenden Mieten setzen die Investitionsfähigkeit der Wohnungswirtschaft zunehmend unter Druck.“ 48 Daraus ergibt sich
die Gefahr, dass Modernisierungen aufgeschoben werden bzw. ausbleiben, woraus sich
wiederum eine Gefährdung von Arbeitsplätzen im Handwerk und Baugewerbe ergibt.
2.3 Wohnungsangebot
39
Zudem wird der zu erwartende starke Anstieg der Energiepreise viele Mieter in unsanierten Beständen an den Rand der Zahlungsfähigkeit bringen. Ausbleibende Investitionen
können die Entwicklung von Quartieren erheblich beeinträchtigen. Aus den sich weiter verschärfenden Anforderungen an den Klimaschutz und die Energieeffizienz sowie aus gesetzlichen Auflagen ergeben sich große Herausforderungen für die Wohnungswirtschaft.
Mietpreise und Ausgaben für das Wohnen
Die Kaltmieten sind stark von regionalen Gegebenheiten abhängig (z. B. Bevölkerungsentwicklung, Einkommenswachstum, Entwicklung des Immobilienbestandes, städtische
Wohnungspolitik). Im Jahr 2010 fielen durchschnittlich 34 Prozent der privaten Konsumausgaben der Haushalte für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung an – im Vergleich dazu waren es im Jahr 2004 noch ca. 32,4 Prozent. Die Mietbelastungsquote
(d. h. Anteil am Haushaltsnettoeinkommen, der für die Bruttokaltmiete aufgebracht werden muss) in Wohnungen der Baujahre 1949 bis 1978 beträgt 23,1 Prozent (im Vergleich:
Baujahr 1979 –1990: 22,8 Prozent; ab Baujahr 1999: 22,4 Prozent). Die durchschnittliche
Bruttokaltmiete bewohnter Wohnungen lag im Jahr 2012 in Deutschland bei 6,37 Euro.
Zwischen 2005 und 2012 sind die Kosten für Wohnung, Wasser, Strom, Gas etc. um
13,5 Prozent gestiegen (Veränderung der Verbraucherpreise insgesamt in Deutschland:
10,7 Prozent). Im Vergleich zu späteren Baujahrzehnten fallen die durchschnittlichen Mieten in den Beständen der Nachkriegsjahrzehnte etwas geringer aus. Die Bruttokaltmiete
liegt bei Mietwohnungen aus den Baujahren 1949 bis 1978 bei durchschnittlich 6,39 Euro
(im Vergleich: 1991 und später errichtet: 6,88 Euro).49 Bei Neuvermietungen steigen die
Mieten in angespannten Wohnungsmärkten zum Teil sehr stark an.
unten: Wohnungsmieten der Hauptmieter in Deutschland (1991–2009)
rechts: Private Konsumausgaben in Prozent (2010),
Ergebnisse der Laufenden Witschaftsrechnungen (LWR)
40
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
2.4 Wohnungspolitik der letzten
Jahrzehnte
49 Vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis) /
Wissenszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB),
2011, S. 211;
vgl. Statistisches Bundesamt, 2012 b, S. 155 – 157, 173
50 Holtmann / Schäfer, 1996, S. 32 – 33
51 Vgl. Egner u. a. / Schader-Stiftung, 2004;
vgl. Hafner, 1994, S. 11 –13
Um sich ein Bild von der Bedeutung des Wohnungsbestandes der 1950er bis 1970er Jahre
zu machen, ist es notwendig einen Blick auf die staatliche Wohnungspolitik seit den 1950er
Jahren zu werfen. Die Wohnungsbaupolitik der Nachkriegsjahrzehnte gilt rückblickend
als Erfolgsgeschichte. Sie ist auch ein Bestandteil der Sozial-, Familien- und Vermögenspolitik und verantwortlich für die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau. „Die Versorgung aller Haushalte mit bezahlbarem Wohnraum ist ein Grundprinzip des deutschen
Sozialstaates. Durch staatliche Hilfen können einkommensschwächere Haushalte unterstützt werden, da insbesondere bei diesen die Gefahr der Unterversorgung besteht. Ein
Ausgleich zwischen staatlichen Interventionen und den Prozessen des freien Wohnungsmarktes kennzeichnet dabei die deutsche Wohnungspolitik.“ 50
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte aufgrund der Zerstörung und des Flüchtlingszustroms ein Mangel von rund sechs Mio. Wohnungen – gleichzeitig fehlte es auch an
Kapital für die Erstellung von Wohnraum. Der Wohnungsbau wurde zur nationalen Aufgabe erklärt und ein Fördersystem des Sozialen Wohnungsbaus entwickelt. Im Ersten
Wohnungsbaugesetz im Jahr 1950 wurde der öffentlich geförderte Wohnungsbau (Sozialer
Wohnungsbau) als vordringliche Aufgabe des Bundes, der Länder und der Gemeinden
festgeschrieben – § 1 Erstes Wohnungsbaugesetz: „Bund, Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände haben den Wohnungsbau unter besonderer Bevorzugung des Baues von Wohnungen, die nach Größe, Ausstattung und Miete (Lasten) für die breiten Schichten des
Volkes bestimmt und geeignet sind (sozialer Wohnungsbau), als vordringliche Aufgabe zu
fördern mit dem Ziel, dass innerhalb von 6 Jahren möglichst 1,8 Millionen Wohnungen
dieser Art geschaffen werden.“ Auf Grundlage dieses Gesetzes konnte durch die Vergabe
von unverzinsten Baudarlehen aus Mitteln des Bundes und der Länder mit 30- bis 35-jährigen Tilgungsfristen der Wohnungsbau stark belebt werden und eine Zeit hoher Wohnungsbauproduktion folgte. Als Gegenleistung durfte der Eigentümer die Wohnungen nur
an bestimmte Einkommensgruppen zu einer festgesetzten Miete (Kostenmiete) vergeben.
In den 1950er Jahren ist der Großteil der Wohnungen im Rahmen des Sozialen Wohnungsbaus entstanden. In quantitativer Hinsicht sind die Nachkriegsjahrzehnte Spitzenreiter, qualitativ offenbarten sich jedoch schon bald erste Probleme.51
Im Jahr 1956 trat das Zweite Wohnungsbaugesetz in Kraft. Der Fokus rückte stärker auf
die Eigentumsförderung und die Versorgung von einkommensschwachen Haushalten mit
Mietwohnungen. Im Kern orientierte sich das Gesetz an der „Wohnraumversorgung für
breite Schichten der Bevölkerung“ – dies blieb bis 2002 trotz einiger Veränderungen und
Novellierungen unverändert. Im Zuge des Zweiten Wohnungsbaugesetzes begann der
öffentlich geförderte Wohnungsbau langsam an Bedeutung zu verlieren – die Wohnungswirtschaft wurde nach und nach in einen weitgehend freien Markt überführt. Dies führte
zu immer größeren Mietbelastungen der Haushalte bzw. zu steigenden Mieten.
Als Reaktion darauf wurde 1965 ein Wohngeld eingeführt, das vom Einkommen, der
Haushaltgröße und der Miethöhe abhängig ist. 1971 wurde das Kündigungsschutzgesetz
verabschiedet, das einen Kompromiss zwischen den wirtschaftlichen Interessen der Vermieter und der sozialen Sicherung der Mieter anstrebt. Im gleichen Jahr trat das
Städtebauförderungsgesetz in Kraft, das die planungs- und baurechtlichen Kompetenzen
der Kommunen ausweitete und durch die besondere Förderung aus Bundes- und Landesmitteln ein bis heute wichtiges Instrument ist, um Städte zu erhalten und weiterzuent2.4 Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte
41
wickeln (siehe auch Kap. 2.5). Mitte der 1980er Jahre fand ein Wendepunkt in der Wohnungspolitik statt, indem sich der Bund weitgehend aus der Förderung des Sozialen Wohnungsbaus zurückzog. Die Fördermittel wurden kontinuierlich reduziert. Im Jahr 1990
wurde im Rahmen eines Steuerreformgesetzes die Wohnungsgemeinnützigkeit aufgehoben. Unter dem Eindruck der sehr hohen Baufertigstellungszahlen Mitte der 1990er Jahre
und aufgrund der sich verschlechternden finanzpolitischen Rahmenbedingungen zogen
sich der Bund und die Länder immer weiter aus der Wohnungsbauförderung zurück.
Dadurch haben sich die Rahmenbedingungen für Investitionen in den Bau und die Sanierung von Wohnungen verschlechtert.52
Im Jahr 2001 wurde mit dem Wohnraumförderungsgesetz (WoFG, Inkrafttreten
01. 01. 2002) das System des Sozialen Wohnungsbaus zur sozialen Wohnraumförderung
weiterentwickelt, was einen Paradigmenwechsel darstellte. Als Zielgruppe wurden nicht
mehr die „breiten Schichten der Bevölkerung“ definiert, sondern solche „Haushalte, die
sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind.“ 53 Da Ende der 1990er Jahre der Wohnungsmarkt als weitgehend
ausgeglichen galt, wurde neben der Schaffung von neuem Wohnraum, auf dem bisher der
Schwerpunkt lag, nun auch die qualitative Anpassung der bestehenden Wohnungen an
zeitgemäße Anforderung weiter gestärkt. Eine Verschiebung der Schwerpunkte von der
Neubauförderung zur Bestandspolitik fand statt.54
Auswirkungen auf die Wohnsituation und die Wohnungsbestände hatte auch das
„Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“. Auf Grundlage dieses
Gesetzes erhalten seit 2005 nur Nicht-Transfermittelempfänger Wohngeld, Transfermittelempfänger erhalten die Kosten der Unterkunft (KdU) von der Leistungsstelle. Die Kommunen legen dabei die angemessenen Kosten für die Unterkunft je nach Rahmenbedingungen fest.55
Ein Wendepunkt im Bereich der nationalen Wohnungsbaupolitik stellte die Föderalismusreform I (2006) dar. Der Bund zog sich aus der Wohnraumförderung zurück. Die
Zuständigkeit für die soziale Wohnraumförderung liegt seither bei den Ländern. Anstelle
der Bundesfinanzhilfen erhalten die Bundesländer seither Kompensationsmittel. Dabei
hadelt es sich um zweckgebundene Mittel, die für Investitionen in die Wohnraumförderung eingesetzt werden sollen. Die Ausgestaltung durch die Länder ist dabei jedoch sehr
unterschiedlich, und nicht immer werden die Mittel zweckgebunden für den Wohnungsbau eingesetzt. Bis zum Jahr 2013 werden jährlich 518,2 Mio. Euro zur Verfügung gestellt
(siehe auch Kap. 2.5).56
Zusammenfassend ist die Wohnungspolitik seit den 1950er Jahren von einem Rückzug des
Staates aus der Förderung und Steuerung geprägt. Folgen sind u. a. die starke Privatisierung der Wohnungsbestände und die Öffnung des Marktes für ausländische Investoren.
„Symptomatisch für den Bedeutungsverlust der Wohnungspolitik ist, dass die Bau- und
Wohnungsministerien in den Ländern – wie auch auf der Bundesebene – weitgehend verschwunden sind. Stattdessen sind die Bauressorts in den meisten Bundesländern zu bloßen Abteilungen in größeren Ministerien degradiert worden.“ 57 In den letzten Jahren
setzt die Politik immer mehr darauf, dass sich der Wohnungsmarkt über den Markt regelt
und nur noch benachteiligte Gruppen mit Wohnraum durch entsprechende Förderung
versorgt werden müssen. Im Wesentlichen war die Wohnungspolitik in den letzten Jahrzehnten von einer Umstrukturierung von der Objektförderung zur Subjektförderung
(Wohngeld), von einer Reduzierung der Förderungen, einer Verlagerung der Zuständigkeiten vom Bund auf die Länder und vom Neubau auf den Bestand geprägt. Diese Veränderungen wirken sich auch direkt auf die Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre aus.
Für Wohnquartiere, die langfristig keine Selbstläufer sein werden, stellt sich die Frage, ob
bzw. wie stark die öffentliche Hand eingreifen soll. Damit hängt auch eng die Frage nach
der Versorgung von einkommensschwächeren Haushalten mit Wohnraum zusammen
sowie nach Eingriffen in die Marktprozesse und die sozialräumliche Struktur der Stadt.58
42
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
2.5 Förder- und Steuerungsinstrumente
Ohne finanzielle Hilfen können die Kommunen die Anpassung ihrer baulichen Strukturen an die veränderten Anforderungen meistens nicht bewältigen. Die staatlichen (Bund,
Land) und europäischen Förderungen geben wichtige Impulse und sind für die Steuerung
der Stadterneuerung und des Stadtumbaus von großer Bedeutung. Im Folgenden werden
verschiedene Förder- und Steuerungsinstrumente in einem Überblick dargestellt, die in
unterschiedlicher Weise die Entwicklung von Quartieren beeinflussen können.
2.5.1
52 Vgl. Egner u. a. / Schader-Stiftung, 2004
53 Gesetz über die soziale Wohnraumförderung
(WoFG), § 1 (2)
54 Vgl. Egner u. a. / Schader-Stiftung, 2004;
vgl. Eichhorn, Angelika: Zieladäquanz wohnungspolitischer Instrumente der öffentlichen Hand.
In: Jenkis, 2001, S. 159–183;
vgl. RegioKontext GmbH / Plan und Praxis GbR,
2011, S. 4
55 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung (BMVBS), 2009 c
56 Vgl. RegioKontext GmbH / Plan und Praxis GbR,
2011, S. 3
57 Eichener, 2012, S. 8
58 Vgl. Häußermann, 2006
59 Vgl. Dieterich / Farenholtz, 1972
60 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung (BMVBS), 2011 a
61 Vgl. Website: http://www.staedtebaufoerderung.
info/cln_033/nn_1087344/StBauF/DE/UeberDie
StBF/UeberDieStBF_ _node.html?_ _nnn=true
(Zugriff am 23. 11. 2012)
62 VV Städtebauförderung, 2012, Präambel, S. 2
63 Ebenda, S. 2
Besonderes Städtebaurecht, Stadterneuerung und
Städtebauförderung
Die wichtigsten Instrumente zur Förderung der Stadterneuerung sind das Besondere
Städtebaurecht und die Städtebauförderung von Bund und Ländern. Grundlage der Stadterneuerungsprogramme war das Städtebauförderungsgesetz – das Gesetz über städtebauliche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnahmen von 1971 (StBauFG).59 Seit 1986 ist es
mit dem Bundesbaugesetz zum Baugesetzbuch vereinigt. Da die bisherige Bereitstellung
eines planerischen Ordnungsrahmens nicht mehr ausreichte, um die städtebaulichen
Probleme in den Städten zu lösen, wurden neue Steuerungs- und Finanzierungsmöglichkeiten eingeführt. Im Unterschied zum Allgemeinen Städtebaurecht ist das Besondere
Städtebaurecht ein räumlich und sachlich begrenztes Sonderrecht. Ein wesentlicher Teil
der steuernden und bodenrechtlichen sowie der förderrechtlichen Bestimmungen gehören
zum Besonderen Städtebaurecht (§ 136 ff BauGB).60
Nach der gesetzlichen Definition bedeutet Stadterneuerung die Behebung – oder
zumindest entscheidende Minderung – städtebaulicher und funktionaler Missstände und
Entwicklungsdefizite in abgegrenzten innerörtlichen Gebieten im Rahmen von Verfahren,
die von den Gemeinden zügig durchzuführen sind (§ 136 Abs. 1 BauGB). Das Gebiet soll
im Rahmen eines mehrjährigen Sanierungsprozesses von flächenhaften Missständen
befreit werden. Grundlagen und Regelungen für die Durchführung der Städtebauförderung finden sich im Grundgesetz (Artikel 104 b), dem Baugesetzbuch und den Verwaltungsvereinbarungen (V V) Städtebauförderung, die zwischen Bund und Ländern jedes
Jahr abgeschlossen werden, sowie die Förderrichtlinien der Länder. 61
Ziel der Städtebauförderung ist es, städtebauliche und funktionale Missstände sowie
Entwicklungsdefizite durch städtebauliche Erneuerungsmaßnahmen zu beheben, nachhaltige Strukturen herzustellen und Städte als Wohn- und Wirtschaftsstandorte zu stärken. „Bund und Länder messen der Städtebauförderung große wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Bedeutung bei. Sie sehen in ihr eine wichtige struktur-, innen- und kommunalpolitische Aufgabe und im Sinne eines Leitprogramms ein zentrales Instrument der nachhaltigen Stadtentwicklung.“ 62 Die Städtebauförderung berücksichtigt neben städtebaulichen und gestalterischen Maßnahmen auch soziale, ökologische und wirtschaftliche
Aspekte. „Die Stadtquartiere sollen unter Berücksichtigung des Klimaschutzes und der
Klimaänderungen an die Bedürfnisse der Bürger und Bürgerinnen angepasst werden, insbesondere der Familien bzw. der Haushalte mit Kindern und älteren Menschen.“ 63 Die
Stadterneuerungsprogramme werden jährlich ausgeschrieben. Die Mittel der Städtebauförderung können für investive und investitionsvorbereitende Maßnahmen eingesetzt
werden.
2.5 Förder- und Steuerungsinstrumente
43
Der Bund übernimmt die Finanzierung der förderfähigen Kosten zu einem Drittel – die
restlichen zwei Drittel müssen von den Ländern und Kommunen aufgebracht werden.64
Im Jahr 2012 stellte der Bund Finanzhilfen in Höhe von 455 Mio. Euro für folgende Programme bereit: 65
Sanierung und Entwicklung Ost
16,1 Mio.
Euro
Sanierung und Entwicklung West
16,1 Mio.
Euro
Stadtumbau Ost
82,1 Mio. Euro
Stadtumbau West
71,0 Mio. Euro
Städtebaulicher Denkmalschutz Ost
62,7 Mio. Euro
Städtebaulicher Denkmalschutz
29,4 Mio. Euro
Soziale Stadt – Investitionen im Quartier
40,0 Mio. Euro
Aktive Stadt- und Ortsteilzentren
93,2 Mio. Euro
Kleinere Städte und Gemeinden
44,4 Mio. Euro
GESAMT
455 Mio. Euro
Quelle: VV Städtebauförderung, 2012, S. 4
Neben der Stärkung der Innenstädte und Ortszentren, auch unter Berücksichtigung des
Denkmalschutzes, konzentriert sich die Städtebauförderung heute auf die Herstellung
nachhaltiger städtebaulicher Strukturen in Gebieten mit erheblichen städtebaulichen
Funktionsverlusten und auf städtebauliche Maßnahmen zur Aufwertung und Stabilisierung benachteiligter Quartiere. In den letzten vier Jahrzehnten wurde ein enormes Spektrum an Projekten und Maßnahmen umgesetzt und so ein großer Beitrag zur Erhaltung
und Weiterentwicklung der Städte und Gemeinden geleistet. Die Städtebauförderung hat
auch eine nicht zu unterschätzende ökonomische Bedeutung. Durch die öffentlichen Mittel werden private Investitionen angestoßen.66
Entwicklung der Bundesfinanzhilfen
für die Städtebauförderung von 1971 bis 2011
44
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
Soziale Stadt
Neben der klassischen Stadtsanierung rückte mit dem Beginn (1999) des Bund-LänderProgramms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – Soziale Stadt“ die Erneuerung von benachteiligten Quartieren mit komplexen Problemlagen immer mehr in den
Fokus. Ziel des Programms ist es, die Lebensbedingungen in benachteiligten Stadtteilen
durch einen integrierten Quartiersansatz umfassend zu verbessern. Vorreiter des Programms war die ressortübergreifende Länderinitiative „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ in Nordrhein-Westfalen 1993/1994. Das Programm Soziale Stadt „markiert
den Übergang von der rein investiven Städtebaupolitik zu einer integrativen Stadtpolitik.“ 67
In § 171e BauGB heißt es in Absatz 2 zunächst generell, dass Maßnahmen der Sozialen
Stadt „zur Stabilisierung und Aufwertung“ von Gebieten dienen sollen, die durch „soziale
Missstände“ benachteiligt sind und für die ein „besonderer Entwicklungsbedarf“ festgestellt wird. „Soziale Missstände” beziehen sich dabei auf die „Zusammensetzung und wirtschaftliche […] Situation“ der Gebietsbevölkerung, also auf Schwierigkeiten im Bereich
des nachbarschaftlichen Zusammenlebens sowie sozioökonomische Probleme. „Besonderer Entwicklungsbedarf” ist unter anderem durch die Notwendigkeit „einer aufeinander
abgestimmten Bündelung von investiven und sonstigen Maßnahmen“ in innerstädtischen,
innenstadtnahen oder verdichteten Wohn- und gemischt genutzten Gebieten gekennzeichnet.68 Im Jahr 2004 wurden im Rahmen des Europarechtsanpassungsgesetzes und der
damit verbundenen Novellierung des BauGB Vorschriften über Maßnahmen der Sozialen
Stadt in das Besondere Städtebaurecht eingefügt.
Entwicklung des Bundesanteils am Programm
Soziale Stadt – Investitionen im Quartier
1999 bis 2012 (2006 – 2010 gab es eine Sonderförderung für Modellvorhaben)
(in Mio. €)
64 Vgl. Website: http://www.staedtebaufoerderung.
info/cln_033/nn_1147082/StBauF/DE/SozialeStadt/
Programm/GrundlagenFinanzierung/grundlagen_
inhalt.html (Zugriff am 23. 11. 2012)
65 VV Städtebauförderung, 2012, S. 4
66 Vgl. Simon-Philipp / Gross / Ganter, 2011
67 Simon-Philipp, Christina: Stadterneuerung und
Städtebauförderung. In: Bott / Jessen / Pesch, 2010,
S. 342
68 Vgl. Website: http://www.staedtebaufoerderung.
info/cln_033/nn_1147082/StBauF/DE/SozialeStadt/
Programm/GrundlagenFinanzierung/grundlagen_
inhalt.html (Zugriff am 23. 11. 2012)
69 Vgl. Website: http://www.staedtebaufoerderung.
info/cln_033/nn_1169060/StBauF/DE/SozialeStadt/
Programm/programm_node.html?_nnn=true
(Zugriff am 23. 11. 2012)
70 Vgl. Friesecke / vhw Dienstleistung GmbH, 2010,
S. 110– 111
71 Vgl. Website: http://www.staedtebaufoerderung.
info/cln_033/nn_1146984/StBauF/DE/SozialeStadt/
Programm/Handlungsfelder/Instrumentell-strategisch/
instrumentell-strategisch_node.html?_nnn=true
(Zugriff am 23. 11. 2012)
Seit Programmstart 1999 hat der Bund bis 2011 insgesamt 603 Gebiete in 374 Kommunen
unterstützt. Neben Gründerzeitquartieren und innerstädtischen (Rand-)Gebieten wurden
viele große Siedlungsplanungen der 1950er bis 1970er Jahre als Soziale Stadt-Gebiete ausgewiesen. Im Jahr 2012 wurde das Programm Soziale Stadt – Investitionen im Quartier
weiterentwickelt und dabei die Erhöhung der Wohnqualität und Nutzungsvielfalt, die Verbesserung der Generationengerechtigkeit der Quartiere sowie die Integration aller Bevölkerungsgruppen als Schwerpunkte gesetzt.69 Der Bund stellte im Jahr 2012 rund 40 Mio.
Euro Bundesmittel für das Programm bereit. Aufgrund der angespannten Haushaltssituation sind viele Kommunen nicht mehr in der Lage, die geforderten Eigenanteile bei der
Finanzierung aufzubringen. In diesem Zusammenhang gibt es Überlegungen, inwieweit
die private Finanzierung des kommunalen Eigenanteils zulässig und möglich ist.70
Als Grundlage für die Projekte sind integrierte Entwicklungs- bzw. Handlungskonzepte
gefordert, die dazu dienen, den Dialog zwischen Verwaltungsressorts, Quartiersbevölkerung und lokalen Akteuren zu fördern und Vertrauensbildung und Planungssicherheit zu
schaffen. Die Einrichtung eines Quartiersmanagements zielt darauf ab, horizontal und
vertikal vernetzte Kooperations- und Managementstruktur auf Verwaltungs- und Quartiersebene aufzubauen sowie alle relevanten Akteure einzubeziehen.71 Da die Projekte nur
zeitlich befristet finanziert sind, stehen die Kommunen vor der Frage, wie die Übergangsphase nach Auslaufen der Förderungen gestaltet werden, die angestoßenen Maßnahmen
2.5 Förder- und Steuerungsinstrumente
45
erhalten und tragfähige Strukturen der Quartiersentwicklung eingerichtet werden können
(Verstetigung). Mit dieser Fragestellung beschäftigt sich auch eine aktuelle Studie des
BMVBS („Sicherung tragfähiger Strukturen für die Quartiersentwicklung im Programm
Soziale Stadt“), die an Hand von Fallstudien-Untersuchungen feststellte, dass die Gestaltung der Verstetigung bislang eher selten als ein klar strukturierter Prozess abläuft und
der Ausstieg aus der Förderung nicht von Beginn an mit geplant wird.72
Stadtumbau Ost und West
Im Jahr 2001 wurde das Programm Stadtumbau Ost gestartet. Ziel war es, die Wohnungsleerstände in Ostdeutschland durch den Rückbau von Wohnungen zu vermindern, einen
Beitrag zur Stabilisierung der Wohnungsmärkte zu leisten und die Städte als Wohn- und
Wirtschaftsstandorte aufzuwerten. Das Programm Stadtumbau West, das erstmals im Jahr
2004 aufgelegt wurde, reagiert auf die zunehmenden städtebaulichen Probleme durch den
wirtschaftlichen und demografischen Wandel in Westdeutschland.73
Für die Weiterentwicklung der Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre sind – unabhängig von ihrer Größe – insbesondere die Programme Soziale Stadt, Stadtumbau Ost und
Stadtumbau West von Bedeutung.
2.5.2 Wohnraumförderung
Wie in Kapitel 2.4 beschrieben wurde die Zuständigkeit für die Gesetzgebung zur sozialen
Wohnraumförderung im September 2006 vom Bund auf die Länder übertragen.74 Die
Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein haben das Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) durch Landesgesetze ersetzt, während in den anderen Ländern das Wohnraumförderungsgesetz weiterhin gültig bleibt. Weitere Länder haben die Verabschiedung entsprechender Gesetze
vorbereitet. Bremen hat sich darauf beschränkt, die Regelung der Wohnungsbindung
durch ein Landesgesetz zu ersetzen.75 Die Förderprogramme der Länder unterscheiden
sich voneinander und fordern je nach Bundesland unterschiedliche Voraussetzungen von
den Bauherren. Die einzelnen Bundesländer legen jedes Jahr Fördertöpfe mit finanzieller
Unterstützung des Bundes auf.
Soziale Stadt-Gebiete
(Stuttgart Zuffenhausen Rot, Freiberg)
Systematik wohnungspolitischer
Instrumente in der Bundesrepublik
(nach GEWOS)
46
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
Der Bund legt mit seinem Gesetz über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsgesetz WoFG) lediglich die Rahmenbedingungen fest. In § 6 des Wohnraumförderungsgesetzes werden die allgemeinen Fördergrundsätze genannt.
Wie hoch die Förderung im Einzelnen ausfallen soll, ist allein Aufgabe der Länder. Je
nach der regionalen Wohnungsmarktsituation und Bedarfslage können die Länder mit
ihren Programmen die Schwerpunkte der Förderung bestimmen. Die Förderung erfolgt
durch Bereitstellung von Darlehen zu Vorzugsbedingungen und von direkten Zuschüssen,
durch die Übernahme von Bürgschaften, Garantien und sonstigen Gewährleistungen
sowie durch die Bereitstellung von verbilligtem Bauland.76 Bei einer Betrachtung der Programme der Länder zeigt sich, dass bei Bestandsmaßnahmen vor allem die Investitionen
für die energetische Sanierung und die altersgerechte Anpassung der Wohnungen unterstützt werden.
Die Verlagerung der Verantwortung für die Wohnraumförderung im Zuge der Föderalismusreform (2006) hat sich nachteilig auf den Wohnungsbau ausgewirkt. „Die Bundesländer haben ihre Wohnraumförderung zwischen 2002 und 2010 um 79 % von 2,5 Mrd.
EUR auf 0,5 Mrd. EUR reduziert. Die Gesamtförderung ist aber wegen der Kompensationszahlungen des Bundes ‚nur‘ um 63 % zurückgegangen.“ 77
Im Zusammenspiel mit anderen Förderinstrumenten, wie KfW-Förderung und Städtebauförderung, übernimmt die soziale Wohnraumförderung eine spezifische soziale sowie
regionale Bedeutung und kann eine wichtige Steuerungsfunktion entfalten, indem Mittel
gezielt auf die Zielgruppen gemäß WoFG gelenkt werden. Die Wohnraumförderung der
Länder unterstützt die bedarfsgerechte Wohnraumversorgung einkommensschwacher
Haushalte. Im Sinne einer Wirkungsoptimierung wird in vielen Ländern die soziale
Wohnraumförderung auf die Gebietskulissen der Städtebauförderung bezogen. Die
Wohnraumförderung erfüllt sowohl qualitativ als auch quantitativ eine wichtige Funktion
auf den Wohnungsmärkten zu Gunsten einer angemessenen Versorgung der Zielgruppenhaushalte.78
2.5.3 Weitere Instrumente
Programme der Europäischen Union
72 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung (BMVBS), 2012 c
73 Vgl. Website: http://www.staedtebaufoerderung.
info/cln_030/nn_486964/SharedDocs/Publikationen/
StBauF/ZukunftStaedtebaufoerderung,templateId=
raw,property=publicationFile.pdf/ZukunftStaedte
baufoerderung.pdf (Zugriff am 3. 1. 2013)
74 Vgl. RegioKontext GmbH / Plan und Praxis GbR,
2011, S. 3
75 Vgl. Website: http://www.das-energieportal.de/
finanzierung/laender/foerderungen-in-den-einzelnenbundeslaendern/ (Zugriff am 3. 1. 2013)
76 Vgl. Website: http://www.bmvbs.de/DE/BauenUnd
Wohnen/Wohnraumfoerderung/SozialeWohnraum
foerderung/soziale-wohnraumfoerderung_node
(Zugriff am 12.12.2012)
77 Eichener, 2012, S. 8
78 Vgl. RegioKontext GmbH / Plan und Praxis GbR,
2011, S. 16
79 Vgl. Websites: http://europa.eu/pol/reg/index_
de.htm (Zugriff am 23. 11. 2012);
http://www.europa-foerdert-kultur.info/bereich.php?
&nav1=politik06 (Zugriff am 23. 11. 2012);
http://www.kowi.de/desktopdefault.aspx/tabid-398/
1224_read-1011 / (Zugriff am 23. 11. 2012)
80 Verordnung (EG), 2006
81 Vgl. Website: http://www.eu-info.de/foerder
programme/strukturfonds/JASPERS-JEREMIEJESSICA / (Zugriff am 3. 1. 2013)
Auch auf europäischer Ebene gibt es Instrumente zur Steuerung der Stadtentwicklung. Die
Europäische Union verfolgt u. a. im Rahmen ihrer Regionalpolitik das Ziel, die soziale und
wirtschaftliche Entwicklung im Gemeinschaftsgebiet zu verbessern. Beispielsweise sollen
benachteiligte Stadtteile revitalisiert werden. Im Jahr 2002 wurde die europäische Strukturförderung eingeführt. Sie zielt darauf ab, die wirtschaftliche und soziale Situation in
Städten und Regionen Europas zu verbessern und die verschiedenen nationalen Bestrebungen der Stadterneuerung zu ergänzen. Für die Strukturförderung und die Regionalpolitik gibt es als Finanzinstrumente die drei Strukturfonds: der Europäische Fonds für
regionale Entwicklung (EFRE), der Europäische Sozialfonds (ESF) und der Kohäsionsfonds. Für den Zeitraum 2007 bis 2013 stellten die Strukturfonds ca. ein Drittel des
Gemeinschaftshaushalts (rund 347 Mrd. Euro) bereit.79
Grundlage für die Förderung des Stadtumbaus bildet insbesondere Artikel 8 zur „nachhaltigen Stadtentwicklung“ der Verordnung (EG) Nr. 1080/2006. Laut diesem Artikel
unterstützt „der EFRE im Fall von Maßnahmen zur nachhaltigen Stadtentwicklung […]
gegebenenfalls die Förderung der Entwicklung partizipativer, integrierter und nachhaltiger Strategien, mit denen der starken Konzentration von wirtschaftlichen, ökologischen
und sozialen Problemen in den städtischen Gebieten begegnet werden soll.“80
Neben den EU-Strukturfonds gibt es weitere regionalpolitische Instrumente, die Projekte der Stadtentwicklung fördern (z. B. Initiative JESSICA (Joint European Support for
Sustainable Investments in City Areas), die Europäische Investitionsbank (EIB) und die
Entwicklungsbank des Europarates fördern Investitionen in städtischen Gebieten). „Das
Programm JESSICA […] bietet Unterstützung bei den Themen Stadtentwicklung, Stadterneuerung und sozialem Wohnungsbau.“ 81
2.5 Förder- und Steuerungsinstrumente
47
Programme der KfW-Bankengruppe
Die nach dem Zweiten Weltkrieg gegründete Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)
erfüllt heute vielfältige Aufgaben: Förderung von Mittelstand und Existenzgründern,
Gewährung von Investitionskrediten an kleine und mittlere Unternehmen, Finanzierung
von Infrastrukturvorhaben und Wohnungsbau, Finanzierung von Energiespartechniken
und kommunaler Infrastruktur. Die KfW-Bankengruppe bietet für den Bereich Bauen,
Wohnen und Energieeinsparung verschiedene Förderprogramme zur Finanzierung von
Investitionen an (z. B. energetische Sanierung KfW-40 dgl.). Antragsberechtigt sind beinahe alle Stadtumbauakteure (z. B. kommunale Gebietskörperschaften, Zweckverbände,
Private). Eine große Bedeutung für die Aufwertung von Wohnquartieren hat das Programm „Energieeffizient Sanieren“. Das Programm fördert alle energetischen Maßnahmen,
die zum KfW-Effizienzhaus-Standard führen. Das Anfang 2012 aufgelegte Programm
„Energetische Stadtsanierung – Zuschüsse für integrierte Quartierskonzepte und Sanierungsmanager“ unterstützt die Erstellung von Quartierskonzepten und den Einsatz von
Sanierungsmanagern.82 Die Förderung erfolgt meist über zinsverbilligte Kredite.
Landesprogramme zur Stadterneuerung
In den Ländern gibt es weitere Strategien und Programme, um die Stadterneuerung und
den Stadtumbau in den Kommunen sowie landesspezifische Interessen voranzutreiben.
Die Programme stellen meist eine Ergänzung der Bund-Länder-Programme oder der EUProgramme dar.83 In einigen Ländern gibt es auch eigene Landesprogramme der Städtebauförderung, die allein aus Landesmitteln gespeist werden (z. B. in Baden-Württemberg).
Ihr Finanzvolumen ist sehr unterschiedlich.84
Kommunale Förderprogramme
Förderprogramme auf kommunaler Ebene gibt es nur in sehr begrenztem Umfang. Dabei
handelt es sich meist um Programme, die als öffentlich-private Finanzierung von Kommune und Eigentümern zur Förderung kleinerer privaten Maßnahmen aufgelegt werden
(z. B. Fassadenprogrammen, Hofgestaltungen). Ziel dieser Programme ist es, die private
Investitionstätigkeit in der Stadt anzuregen und so zur Verbesserung des Erscheinungsbildes beizutragen. Die meisten Städte haben keine finanziellen Spielräume, um eigene Förderprogramme (in größerem Umfang) aufzulegen.
Energieeinsparverordnung (EnEV)
Die Energieeinsparverordnung ist ein wichtiger Baustein der Energie- und Klimaschutzpolitik der Bundesregierung. Die Energieeinsparverordnung (EnEV) schreibt Bauherren
bautechnische Standardanforderungen zum Energieverbrauch des Gebäudes oder Bauprojektes vor. Seit dem 1. Oktober 2009 gilt bundesweit die neue, verschärfte EnEV 2009. Die
EnEV stellt in erster Linie Anforderungen an den Primärenergiebedarf. Hierbei wird der
bauliche Wärmeschutz der Gebäudehülle ebenso berücksichtigt wie die Energieeffizienz
der eingesetzten Anlagentechnik (Heizung, Lüftung, Kühlung, Beleuchtung). Bei Änderungen im Bestand sind – je nach Umfang der Maßnahmen – entweder die geforderten
Wärmedurchgangskoeffizienten einzuhalten (Bauteilverfahren) oder die Höchstwerte des
Jahres-Primärenergiebedarfs des ganzen Gebäudes nachzuweisen (Bilanzverfahren). Sie
dürfen um bis zu 40 Prozent über den Grenzwerten für Neubauten liegen. Die steigenden
Anforderungen der EnEV wirken sich in besonderem Maße auch auf die Quartiere der
1950er bis 1970er Jahre aus. Da die Bestände zumeist in einem energetisch mangelhaften
Zustand sind, sind hohe Investitionen notwendig, um die Gebäude auf den geforderten
Standard zu bringen.
Mietrecht
Am 15. August 2012 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Mietrechtes vorgelegt.85 Ziel des Gesetzes ist es, das bestehende Mietrecht besser an die
48
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
„Zukunftsaufgaben im Wohnungsmarkt“ anzupassen.86 Ziel ist es u. a., energetische Modernisierungen im vermieteten Wohnungsbestand zu erleichtern. Der Gesetzentwurf sieht
vor, bei einer energetischen Modernisierung für einen Zeitraum von drei Monaten keine
Mietminderung mehr zuzulassen. Voraussetzung ist die Bewohnbarkeit der Wohnung.87
Desweitern ist vorgesehen, Contracting-Kosten für die Energiebereitstellung und Energielieferung als Betriebskosten auf die Mieter umlegen zu können. Bei einem Mietverzug sollen die Möglichkeiten der fristlosen Kündigung erleichtert werden. Kritiker sehen in dem
Gesetzentwurf eine Gefahr für das „sozial gerechte Wohnen“ 88 und der Verdrängung von
einkommensschwachen Mietern.
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
Das BGB trifft umfangreiche Regelungen zum Mietvertragsrecht (§ 535 bis § 580a BGB). In
§ 559 BGB beispielsweise wird die Mieterhöhung bei Modernisierungen geregelt. Hat der
Vermieter Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt, die die Wohnverhältnisse und den
Gebrauchswert der Wohnung nachhaltig verbessern und zu Energieeinsparungen führen,
so kann die Jahresmiete um bis zu elf Prozent der für die Wohneinheit aufgewendeten
Kosten erhöht werden.
Sonstige Steuerungsinstrumente der Innenentwicklung
und Quartiersaufwertung
82 Vgl. Website: http://www.kfw.de/kfw/de/Inlands
foerderung/Programmuebersicht/Energetische_
Stadtsanierung/index.jsp (Zugriff am 23. 11. 2012)
83 Vgl. Friesecke u. a. / vhw Dienstleistung GmbH,
2010, S. 113 – 114
84 In Baden-Württemberg wurden aus dem Kommunalen Investitionsfonds 2012 124 Millionen Landesund 37,5 Millionen Bundesfinanzhilfen für die städtebauliche Erneuerung bereitgestellt;
vgl. Website: http://www.mfw.baden-wuerttemberg.
de/fm7/1106/Ausschreibung%20St%E4dtebauf%
F6rderung%20%202013.pdf (Zugriff am 3. 1. 2013)
85 Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 17/10485
86 Vgl. ebenda, S. 1
87 Vgl. Website: http://www.bundestag.de/dokumente/
textarchiv/2012/40679234_kw39_sp_mietrecht/
index.html (Zugriff am 4. 1. 2013)
88 Ebenda
89 Vgl. Spiecker, 2008, S. 144 – 154
90 Vgl. Website: http://www.urban-improvementdistricts.de/files/File/Friesecke_fub_6_07.pdf
(Zugriff am 4. 1. 2013)
91 An der Hafen City Universität Hamburg gibt es
ein Forschungsfeld, das sich mit Urban Improvement
Districts auseinandersetzt (verantwortlich Prof.
Thomas Krüger, Prof. Martin Wikel, Dipl.-Ing. Stefan
Kreutz);
vgl. Website: http://www.urban-improvement-districts.
de/?q=Startseite (Zugriff am 4. 1. 2013)
92 Vgl. Wesite: http://www.bbsr.bund.de/nn_542164/
BBSR/DE/Veroeffentlichungen/BMVBS/Sonder
veroeffentlichungen/2011/LeifadenESG.html
(Zugriff am 4. 1. 2013);
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS), 2011 b, Leitfaden Eigentümerstandortgemeinschaften (PDF Download)
Im Zuge der Novelle des Baugesetzbuches 2007 wurden auch im Allgemeinen Städtebaurecht neue Impulse und Instrumente für die Innenentwicklung gesetzt.89 Neben dem
beschleunigten Verfahren für Bebauungspläne der Innenentwicklung (§ 13a BauGB) und
weiteren Instrumenten zur Stärkung der Innenentwicklung (z. B. § 9 Abs. 2a BauGB) wurden Instrumente zur Aufwertung und Stabilisierung von Bestandsgebieten aufgenommen,
die die private Selbstorganisation in den Mittelpunkt stellen (§ 171f BauGB – Private Initiativen zur Stadtentwicklung, Landesrecht): Business Improvement Districts (BID), Housing
Improvement Districts (HID) und Eigentümerstandortgemeinschaften. Anders als bei den
hoheitlich initiierten Programmen und Gebieten der Stadterneuerung und Städtebauförderung handelt es sich um private Initiativen der Stadtentwicklung zur Aufwertung und
Stabilisierung von Quartieren unterschiedlichen Typs. Nach § 171f BauGB können Gebiete
abgegrenzt werden, in denen die privat getragenen Maßnahmen umgesetzt werden.90
Während BID und HID als rechtlich abgesicherte Instrumente zur Erhebung der Beiträge (Abgaben) eine landesgesetzliche Grundlage erfordern, beruhen Eigentümerstandortgemeinschaften auf rein freiwilligen, gebietsbezogenen Zusammenschlüssen. Die Maßnahmen müssen sich an den Zielen der Stadtentwicklung orientieren. Die Gebietstypen
und Gebietsgrößen sind frei definierbar. Das Modell der Business Improvement Districts
wurde in den 1970er Jahren in Nordamerika entwickelt.91
Eigentümerstandortgemeinschaften
Private Einzeleigentümer können sich zu freiwilligen Eigentümerstandortgemeinschaften
(ESG) zusammenschließen. Zur Gründung von Eigentümerstandortgemeinschaften hat
das BMVBS im Oktober 2011 einen Leitfaden herausgegeben.92 Ziel der Standortgemeinschaften in Wohnquartieren ist es, durch ein gemeinsames, koordiniertes Vorgehen die
Gebäude und das Wohnumfeld aufzuwerten. Hierbei können verschiedene Handlungsfelder unterschieden werden: Modernisierung und Umbau von Gebäuden, Immobilienbewirtschaftung, Mobilisierung neuer Investoren, Aufwertung des Wohnumfeldes, Nutzung
von Brachen, Image und Öffentlichkeitarbeit.93 „ESG sind besonders Erfolg versprechend,
wenn sie auf persönliches Engagement der Eigentümer aufbauen und an vorhandene Initiativen anknüpfen.“ 94
93 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2011 b, S. 8 – 9
94 Vgl. Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung (BMVBS), 2011 b, S. 16
Housing Improvement Districts (HID) entstehen auf private Initiative in Wohn-
quartieren, die Gebiete müssen aber von der Kommune rechtlich festgelegt werden. Die
2.5 Förder- und Steuerungsinstrumente
49
Eigentümer führen selbstverantwortlich und selbst finanziert Maßnahmen zur Aufwertung des Quartiers durch. Die Gemeinde legt ein abgegrenztes Gebiet fest, in dem von
allen Eigentümern verbindliche Abgaben erhoben werden. Als Handlungsfelder eines HID
sind denkbar: Gebäude und Wohnumfeld, öffentlicher Raum, Verkehr, lokale Ökonomie,
soziale Dienste, Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation.95 Die Implementierung von
HID ist nicht unumstritten und frei von Konflikten. Die Hauptakteure, Eigentümer und
Mieter, können beispielsweise sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Als problematisch wird die Gefahr der „Privatisierung öffentlicher Aufgaben“ gesehen. Kreutz, Krüger
empfehlen, HID nur in Ergänzung zu den Programmgebieten der Städtebauförderung
auszuweisen.
Denkmalschutzförderungen
In den Bundesländern gibt es jeweils eigene Denkmalförderprogramme, die Zuschüsse für
den erhöhten Erhaltungsaufwand von Denkmalen bereitstellen. In den 1950er bis 1970er
Jahren sind auch herausragende Projekte entstanden, die Kriterien des Denkmalschutzes
erfüllen.96 In Baden-Württemberg wird beispielsweise der „denkmalbedingte Mehraufwand“ mit bis zu 50 Prozent der Kosten gefördert.97 Der Fördersatz ist bei Privateigentümern höher als bei allen anderen Eigentümern. Die Aufnahme in die Programme erfolgt
nach landeseinheitlichen Kriterien sowie nach der Dringlichkeit der Maßnahme und den
Denkmaleigenschaften des Gebäudes. Eine finanzielle Unterstützung für die Erneuerung
von Denkmalen kann darüber hinaus bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, bei
sonstigen Stiftungen (z. B. Landesstiftung Baden-Württemberg, Denkmalstiftungen) oder
beim Bundesverwaltungsamt beantragt werden. Für Denkmaleigentümer gibt es steuerliche Erleichterungen (nach §§ 7i, 10f und 11b EStG), die sogar höher sein können als die
Förderungen aus den Denkmalförderprogrammen. Die steuerlichen Erleichterungen beziehen sich nicht nur auf die denkmalbedingten Mehrausgaben, sondern auf die Gesamtausgaben der Erhaltungsmaßnahmen.
Wettbewerbe und Auszeichnungsverfahren
Neben der Förderung sind Wettbewerbe und Auszeichnungsverfahren (Bauherrenpreis,
Gestaltungspreis) geeignete Instrumente, um die Entwicklung der Quartiere positiv voranzutreiben. Die Wettbewerbe können sich dabei auf die „Hardware“ und auf die „Software“
beziehen. Die Kommunikation von „Best-Practice-Beispielen“ kann zur Nachahmung
anregen und Erfahrungen unter den Akteuren kommunizieren. Neben Landeswettbewerben sind insbesondere Bundeswettbewerbe von großer Bedeutung. Als Auslober treten in
erster Linie die Länderministerien, die Architektenkammern, Verbände oder Stiftungen
auf (z. B. „Preis Soziale Stadt“ 98 oder „Gestaltungspreis der Wüstenrot Stiftung“ 99).
95 Vgl. Website: http://www.urban-improvementdistricts.de/files/File/Friesecke_fub_6_07.pdf, S. 3
(Zugriff am 4. 1. 2013)
96 Vgl. Meyder, Simone: Verdichtete Siedlungen
als Kulturdenkmale. In: Hopfner / Simon-Philipp / Wolf,
2012, S. 12–13
97 Vgl. Website: http://www.denkmalpflege-bw.de/
geschichte-auftrag-struktur/wegweiser-im-umgang-mitdem-denkmal/welche-finanziellen-hilfen-gibt-es.html
(Zugriff am 3. 1. 2013)
98 Zum „Preis Soziale Stadt“ vgl. Website:
http://web.gdw.de/service/wettbewerbe/preis-sozialestadt (Zugriff am 3. 1. 2013)
99 Der „Gestaltungspreis der Wüstenrot Stiftung“
wird alle zwei Jahre zu wechselnden Themen ausgelobt. Der Gestaltungspreis 2012 fokussierte das
baukulturelle Erbe der Nachkriegsjahrzehnte,
vgl. Website: http://www.wuestenrot-stiftung.de/index.
php?&u1=2&u2=1&u3=1 (Zugriff am 3. 1. 2013)
50
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
2.6 Zwischenfazit
Mindmap der Rahmenfaktoren
Die einst nach den Planungsmaximen der aufgelockerten, gegliederten, autogerechten
Stadt und unter dem Leitbild „Urbanität durch Dichte“ entstandenen Quartiere der 1950er
bis 1970er Jahre stehen heute den Planungsgrundsätzen der nachhaltigen Stadtentwicklung gegenüber, die die dichte, kompakte, nutzungsgemischte, energieeffiziente Stadt propagiert. Daher stellt sich die Frage, wie sich das Wohnungsbauerbe, das nach ganz anderen
Ideen und vor dem Hintergrund der damaligen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen entstanden ist, in dieses Leitbild einpassen lässt. Die künftige Nutzung und Entwicklung der Quartiere der 1950er bis 1970er Jahre erfordert eine intensive Auseinandersetzung mit ihren Mängeln und Potenzialen.
Die Wohnquartiere der Nachkriegsjahrzehnte leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur
Wohnraumversorgung und haben auch einen baukulturellen Wert. Allerdings weisen die
erneuerungsbedürftigen Bestände – oft vielfältige – Defizite auf, sodass Maßnahmen im
demografische und soziale Entwicklung
auslaufende Belegungsbindungen
Anstieg der Kosten des Wohnens
schwindende Leistungsfähigkeit
der öffentlichen Hand
veränderte Wohnvorstellungen
wichtigste
Rahmenfaktoren
ökologische Veränderungen
Klimaschutz, Energieeinsparung, CO2-Reduzierung
gewandelte Planungsprinzipen und
Ziele der Stadtentwicklung
abnehmende Förderung der öffentlichen Hand
veränderte Wohnungsbaupolitik
Zusammenfassung der Defizite und Nachteile der Quartiere
Hochbaulich
Baumängel, veraltete Gebäudetechnik, mangelhafter Wohnungsstandard, unzeitgemäße
Grundrisse, geringe Geschosshöhen, Instandhaltungsstau, hoher Sanierungsbedarf,
drohender Wertverfall
Städtebaulich
monotone, spannungsarme Bebauungsstrukturen, fehlende Gestaltungsqualität und
Raumbildung, hohe Bebauungsdichten (v. a. in den 1970er Jahren), unzureichende interne
Wegeverbindungen, reine Wohnnutzung (keine Nutzungsmischung)
Freiraum
unattraktives Wohnumfeld, mangelhafte Planung und Pflege, Entstehung von Angsträumen
durch Gebäudeanordnung und Freiraumgestaltung, überdimensionierte Verkehrsflächen,
unzureichende Unterbringung des ruhenden Verkehrs
Lagedefizite
wenn nicht-integriert und schlecht angebunden
Infrastruktur
Versorgungsdefizite, weiteres Wegbrechen der Einrichtungen
Bewohner
einseitige Bewohnerstruktur, soziale Konflikte v. a. durch Generationenwechsel
Image
schlechter Ruf der Quartiere in der Öffentlichkeit und bei Wohnungssuchenden
Akteure und Eigentümer
unterschiedliche Ziele, kein Konsens, wenig finanzielle Mittel, kaum koordinierte
Zusammenarbeit, zersplittere Eigentumsverhältnisse
2.6 Zwischenfazit
51
Stadtbild eines Quartiers aus den 1950er bis 1970er Jahren
52
2 Ausgangslage und Rahmenbedingungen
investiven und nicht-investiven Bereich notwendig sind. Bauliche Mängel gibt es in der
Bausubstanz, dem Erhaltungszustand, der Gebäudetechnik, dem Wohnungsstandard und
den Grundrissen. Städtebauliche Defizite liegen in der Siedlungsstruktur, die oft eine
mangelhafte Raumbildung aufweist, in der Gestaltungsqualität und im Stadtbild, im
Wohnumfeld sowie bei der Unterbringung des ruhenden Verkehrs. Quartiere mit Lagedefiziten (z. B. periphere Lagen, schlechte Erreichbarkeit, nicht eingebunden in das weitere
Siedlungswachstum) weisen oft Versorgungsdefizite auf. Im schlimmsten Fall droht ein
(weiteres) Wegbrechen der Versorgungseinrichtungen und der sozialen Infrastruktur. Eine
einseitige Bewohnerstruktur ist charakteristisch für viele Quartiere, es gibt bisweilen Konflikte, die vor allem im Rahmen des Generationenwechsels entstehen können. Manche
Quartiere leiden unter einem schlechten Image und sind der Konkurrenz zu anderen
Quartieren ausgesetzt.
In den großen Siedlungsplanungen der 1950er bis 1970er Jahre sind schon bald nach der
Fertigstellung erste Probleme entstanden, während die kleinen Quartiere weitgehend
unauffällig blieben. Seit der Entstehung haben sich die Rahmenbedingungen, die das
Wohnen und den Wohnungsbau beeinflussen, gravierend verändert. Aufgrund zunehmender Probleme in den Innenstädten wurde Anfang der 1970er Jahre die Städtebauförderung entwickelt, die im Laufe der Jahre auch immer mehr die Wohnquartiere der Nachkriegszeit fokussierte. Daneben gibt es zahlreiche weitere Möglichkeiten, die Weiterentwicklung in den Quartieren zu fördern und zu steuern – diese Instrumente sind angesichts
der komplexen Problemstellungen auch dringend nötig.
Zusammenfassung der Stärken, Chancen und Perspektiven
der kleinen Wohnquartiere
– integrierte Lagen, eingewachsen in die Siedlungsstruktur
– große Freiflächen mit alten Baumbeständen, durchgrünte Wohnstandorte
– gute Belichtung der Wohnungen
– meist überschaubare Einheiten
– oft hohe Wohnzufriedenheit
– intakte Nachbarschaften unter den Erstbeziehern
– Grundrisse mit vielen kleineren Zimmern attraktiv für junge Familien
– oft gutes „Umbaupotenzial“ der Gebäude und Bebauungsstruktur
– vergleichsweise günstige Mieten
2.6 Zwischenfazit
53
3
Interviews
3.1 Auswertung der Interviews mit Kommunen
3.2 Auswertung der Interviews mit der Wohnungswirtschaft
3.3 Zwischenfazit
Ein wichtiger Baustein der Untersuchung waren leitfadengestützte Interviews mit Experten aus der Immobilienwirtschaft und kommunalen Vertretern. Neben der Literaturauswertung und den Fallstudien geben die Interviews
Aufschluss darüber, welche Bestände tendenziell mit
welchen Problemen konfrontiert sind, welche Faktoren
die Weiterentwicklung der kleinen Wohnquartiere
der 1950er bis 1970er Jahre beeinflussen und welche
Strategien bisher verfolgt werden. Die Interviews wurden
in 14 Städten zwischen März und November 2012 geführt.
Es fanden zwölf Interviews mit Experten aus der Wohnungswirtschaft und acht Interviews mit Vertretern von Baudezernaten und Planungsämtern statt. In der Regel erfolgte
Kommunen, in denen Interviews geführt wurden
dies im persönlichen Gespräch. Die Interviews geben keine
repräsentativen und als solche belastbaren Aussagen
wieder, sondern sie spiegeln ein Stimmungsbild, das im
Folgenden zusammenfassend dargestellt wird.
100 Website: http://www.wegweiser-kommune.de/
datenprognosen/berichte/Berichte.action?redirect=
false (Zugriff am 3. 1. 2013)
101 Website: https://www.regionalstatistik.de/
genesis/online/logon (Zugriff am 3. 1. 2013)
54
3 Interviews
Kommune
Land
Kreis
Bevölkerung
Bevölkerungs- BBSR
Raumtyp
2009 bis
ROB
2030
(31. 12. 2011) 101 entwicklung
Anzahl
Wohngebäude
(31. 12. 2011) 101
(Prognose
Bertelsmann) 100
Anteil
MFH
// Anteil
WE in
MFH 101
Interview
Kommune
(KO)
und / oder
Wohnungsunternehmen
(WU)
Arnstadt
Thüringen
Ilm-Kreis
24.922
– 11,4 %
teilweise
städtisch,
peripher
4.127
36 %
// 77 %
KO, WU
Bamberg
Bayern
Bamberg
70.084
– 3,1 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
12.400
36 %
// 73 %
WU
Braunschweig
Niedersachsen
Braunschweig,
Stadt
250.556
– 5,2 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
39.595
34 %
// 77 %
WU
Bremerhaven Bremen
Bremerhaven,
Stadt
112.982
– 3,2 %
überwiegend
städtisch,
zentral
21.320
28 %
// 73 %
KO, WU
Chemnitz
Sachsen
Chemnitz,
Stadt
243.173
– 10,6 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
30.878
44 %
// 86 %
KO, WU
Halle/Saale
SachsenAnhalt
Halle/Saale,
Stadt
233.705
– 13,1 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
28.329
46 %
// 88 %
KO
Essen
NordrheinWestfalen
Essen,
Stadt
573.468
– 5,7 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
87.034
47 %
// 81 %
KO
Jena
Thüringen
Jena,
Stadt
105.463
– 2,8 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
14.180
35 %
// 80 %
WU
Kirchheim
unter Teck
BadenWürttemberg
Esslingen
40.134
– 0,1 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
8.457
8%
// 53 %
KO
Ludwigshafen
RheinlandPfalz
Ludwigshafen
am Rhein,
kreisfreie Stadt
165.560
– 0,8 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
27.296
27 %
// 70 %
WU
Mannheim
BadenWürttemberg
Mannheim
314.931
+ 2,5 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
40.345
41 %
// 81 %
KO, WU
Offenburg
BadenWürttemberg
Ortenaukreis
59.283
+ 0,1 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
11.433
24 %
// 60 %
KO, WU
Pforzheim
BadenWürttemberg
Pforzheim
120.709
+ 2,0 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
17.751
33 %
// 74 %
WU
Saarbrücken Saarland
Regionalverband
Saarbrücken
176.135
– 9,4 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
35.819
29 %
// 66 %
KO
Stuttgart
Stuttgart
613.392
+ 2,8 %
überwiegend
städtisch,
sehr zentral
73.554
51 %
// 84 %
WU
BadenWürttemberg
55
3.1 Auswertung der Interviews
mit Kommunen
In den Interviews mit kommunalen Vertretern ging es um einen differenzierten Blick aus
Sicht der Kommunen auf die Wohnungsbaubestände der 1950er bis 1970er Jahre. Die
Interviews lieferten Erkenntnisse darüber, wie die Kommunen mit diesen Beständen
umgehen und wie ihre Entwicklungschancen eingeschätzt werden. Interessant war dabei
die Frage, ob ausreichende Informationen über die Situation in diesen Quartieren vorhanden sind und welche Möglichkeiten die Kommunen sehen, die Entwicklungen in diesen
Beständen mit vertretbarem Aufwand und im Interesse der Ziele der Stadtentwicklung zu
steuern. In den Interviews wurden folgende Themenkomplexe angesprochen: Kommune
und Wohnungsmarkt, Kommune und Wohnungswirtschaft, Stadt- und Quartiersentwicklung sowie kommunale Strategien im Umgang mit den Beständen. Interviews wurden
in folgenden Städten geführt: Arnstadt, Bremerhaven, Chemnitz, Halle / Saale, Kirchheim
unter Teck, Mannheim, Offenburg und Saarbrücken.
In den Interviews wird deutlich, dass die Kommunen die Veränderungen in den Wohnquartieren der Nachkriegsjahrzehnte mit unterschiedlicher Aufmerksamkeit und Intensität
verfolgen. Präventives Handeln wird zwar als sehr sinnvoll eingestuft, die Praktikabilität
im kommunalen Verwaltungsalltag aber angesichts der wenigen Ressourcen in der Verwaltung und des Problemdrucks in anderen Bereichen als nicht umsetzbar eingeschätzt.
Angesichts knapper personeller und finanzieller Ressourcen konzentrieren sich die Kommunen auf die Lösung der drängendsten Probleme, meist in den Innenstädten oder den
Großsiedlungen.
Analysen und Konzepte
Die befragten Städte führen kleinräumige Analysen zur Bewohnerentwicklung in unterschiedlichem Umfang durch. Oft fehlen genaue Informationen über die Entwicklung in
den Quartieren, beispielsweise den Sanierungsstand. Die Städte, die ein Monitoring –
meist allerdings auf gesamtstädtischer Ebene – betreiben, betrachten es als ein sehr wertvolles und wichtiges Instrument. Einige Städte lassen sich von Hochschulen oder Forschungsinstituten wissenschaftlich beraten oder geben empirische Untersuchungen oder
Befragungen, beispielsweise zur Wohnzufriedenheit in Auftrag.
In drei Kommunen lag kein Stadtentwicklungskonzept vor. In den Städten, in denen
kein Stadtentwicklungskonzept oder sonstige Konzepte zur weiteren Entwicklung vorgelegen hat, war der Mangel an wichtigen Grundlageninformationen und an Argumentationsgrundlagen, wie sich die Kommune im Bereich Wohnen langfristig entwickeln könnte,
erkennbar. Die Erstellung von integrierten, abgestimmten Entwicklungskonzepten wird
durchgehend als sinnvoll und erstrebenswert eingestuft. Die Bearbeitung ist zwar sehr
aufwändig, stößt aber oft wichtige Kommunikationsprozesse an. Es wird kritisch angemerkt, dass Konzepte nicht immer umsetzungsorientiert sind und oberflächlich bleiben,
wenn die Maßnahmen nicht mit einem Budget belegt werden und begleitende Kommunikationsprozesse fehlen.
In den Städten liegen manchmal verschiedene teilräumliche oder themenbezogene Konzepte vor. Oft werden sie jedoch nicht miteinander verknüpft und es fehlt an Mitteln für
die Umsetzung. Im Ergebnis zeigt sich, dass es wichtig ist, räumliche Handlungsschwerpunkte zu bilden und die verschiedenen Fachkonzepte zu einem Gesamtkonzept zu verknüpfen. Einige Kommunen weisen darauf hin, dass die Wohnungsunternehmen sich
56
3 Interviews
In einigen Städten sind Gründerzeitgebäude
stark von Leerstand betroffen.
oben: Unsaniertes Gründerzeitgebäude
in der Innenstadt von Bremerhaven
unten: Verfallene Gründerzeitgebäude im
Leipziger Osten
intensiv in die Diskussion einbringen und ihre Interessen vertreten. Die integrierte, ämterund ressortübergreifende Vorgehensweise ist insbesondere in den großen Kommunen mit
ihrer kleinteilig organisierten Verwaltungsstruktur ein wichtiger Lernprozess. Ein Monitoring wird oftmals nur dann in die Wege geleitet, wenn es die übergeordnete Ebene
(Land) oder der Fördergeber verlangen.
Wohnungsmarkt und Wohnraumversorgung
Den Wohnquartieren der 1950er bis 1970er Jahre wird eine große Bedeutung für die
Wohnraumversorgung von einkommensschwächeren Haushalten zugesprochen. Die Mieten liegen in diesen Quartieren meist unter dem ortsüblichen Durchschnitt. Die Bedeutung und die Nachfrage nach den Nachkriegsbeständen steigen in der Regel, je angespannter der Wohnungsmarkt ist. Es wird jedoch eine starke kleinräumige Differenzierung
beobachtet (je nach Lage, Image etc.). Insbesondere in den Kommunen in den neuen
Bundesländern lässt sich feststellen, dass die unsanierten Gründerzeitquartiere größere
Probleme bzw. Leerstände aufweisen als die Quartiere der 1950er bis 1970er Jahre.
Die Städte nehmen mit ihren kommunalen Wohnungsunternehmen bei Bedarf durchaus großen Einfluss auf den Wohnungsmarkt. Je nach Wohnungsmarktlage in den Kommunen wird von einem Mangel an familiengerechten und günstigen Wohnungen sowie an
hochwertigen Angeboten für einkommensstärkere Nachfragegruppen berichtet. Der gehobene Bedarf lässt sich, so die weit überwiegende Meinung, nur durch Neubau decken.
In den Kommunen, die ihren Wohnungsmarkt kontinuierlich beobachten und einen
Wohnungsmarktbericht erstellen, können konkrete Aussagen zur Bestandssituation
getroffen werden. Die Kommunen, deren Bevölkerung in den letzten Jahren stark abgenommen hat, haben – gemeinsam mit den großen Wohnungsmarktakteuren - erfolgreich
an der Bereinigung des Wohnungsmarktes gearbeitet. Probleme bereiten vor allem Wohnungen von privaten Kleinanbietern und von Wohnungseigentümergemeinschaften, die
nicht handlungsfähig oder handlungsbereit sind.
Probleme in den Beständen
oben: Leerstand in Halle-Neustadt
unten: Leerstände treten meist zuerst
in den Hochhäusern in schlechten Lagen auf
(Chemnitz)
Das negative Image der Nachkriegswohnquartiere wird als ein wesentliches Entwicklungshemmnis benannt. Während das Image rasch (weiter) sinken kann, ist eine Imageverbesserung ein sehr aufwändiger und schwieriger Prozess. Die Wohnungen, die seit ihrer Entstehung nicht saniert wurden und meistens in einem schlechten Zustand sind, weisen oft
problematische Bewohnerstrukturen auf. Komplizierte Eigentümerstrukturen in den
Quartieren können eine zügige Durchführung von Maßnahmen erheblich erschweren.
Leerstände treten meist zunächst in den großen Strukturen, das heißt vor allem in den
Hochhäusern der 1970er Jahre und in den Plattenbauten, auf.
In den Kommunen mit ausreichender Wohnungsnachfrage wird der Generationenwechsel in den Quartieren nicht als Problem empfunden. Die Kommunen erachten es als
sinnvoll, die Quartiere für Familien attraktiv zu machen. Es herrscht Konsens darüber,
dass in erster Linie die Lage der Gebäude ausschlaggebend für den Vermietungserfolg ist.
In attraktiven Lagen lassen sich auch Gebäude in schlechtem Zustand noch gut vermieten.
Leerstände lassen sich durch Mietnachlässe vermeiden. Das Problem möglicher Verdrängungen durch modernisierungsbedingte Mietsteigerungen beunruhigt die Kommunen
wenig. Oft wird darauf hingewiesen, dass der modernisierte Wohnraum bezahlbar sein
muss. Das Verantwortungsgefühl und die Sensibilität der Wohnungsunternehmen werden
als hoch eingestuft. In ausgedünnten Stadtstrukturen wird die verkehrliche Anbindung
der Quartiere und die leitungsgebundene Infrastruktur immer mehr zum Problem.
Kommunales Handeln
Die befragten Kommunen haben bisher kaum Aktivitäten und Maßnahmen in Gebieten
durchgeführt, die nicht Gegenstand der geförderten Stadterneuerung sind. Zum Teil
beginnen die Städte aber derzeit, die Quartiere verstärkt in den Fokus zu nehmen. Eine
3.1 Auswertung der Interviews mit Kommunen
57
ämterübergreifende Zusammenarbeit wird als sehr wichtig eingeschätzt, auf „Grenzen des
Einmischens“ wird aber auch hingewiesen. Zudem sind die sektoralen, wenig querschnittsorientierten Verwaltungsstrukturen für eine ganzheitliche Vorgehensweise in den
Quartieren eher ungeeignet. Die Städte agieren problemorientiert und projektbezogen.
Die Kommunen sehen ihre Rolle eher darin, Projekte anzustoßen und Prozesse zu moderieren als in der Möglichkeit, sich flächendeckend um die Wohnquartiere der Nachkriegsjahrzehnte zu kümmern. Die Erarbeitung und Umsetzung von Quartierskonzepten ist
unter den gegebenen Rahmenbedingungen finanziell und personell nicht machbar. Wenn
ein – meist kommunales – Wohnungsunternehmen sehr aktiv ist, sieht die Kommune
weniger Notwendigkeit, sich zu engagieren. In einigen Städten übernimmt die Gemeinwesenarbeit in den Quartieren eine wichtige Aufgabe und ist für die Beteiligungsprozesse
zuständig.
Entwicklungspotenziale der Quartiere
Die Kommunen sehen – v. a. im Vergleich zu den Großwohnsiedlungen – bei den kleineren Quartieren durchaus langfristige Potenziale – vor allem dann, wenn sie an die heutigen Anforderungen angepasst werden und die vergleichsweise günstigen Mieten erhalten
bleiben. Dafür wird es als wichtig eingeschätzt, möglichst früh Grundsatzentscheidungen
über die richtigen Strategien in den Quartieren zu treffen. Begünstigend für eine positive
Entwicklung sind die Lage, das Image sowie die Mietpreise. Die Chance, Nachfrager nach
Neubau oder hochwertigem Wohnraum in diese Quartiere zu lenken, wird als gering eingeschätzt. Nachverdichtung wird als sehr aufwändig und nur in sehr guten Lagen und in
angespannten Wohnungsmärkten als sinnvoll angesehen und hat es in den Nachkriegsquartieren bisher kaum gegeben.
Öffentlicher Raum / Freiraum
Die Qualität und der Zustand der Freiräume werden als sehr wichtig für die Wertigkeit
und die Entwicklungschancen der Quartiere angesehen. In Bewohnerbefragungen zeigt
sich immer wieder, dass das Erscheinungsbild und die Nutzbarkeit des Wohnumfeldes von
großer Bedeutung sind. Defizite im Freiraum, Verwahrlosung oder Störungen, beispielsweise durch den ruhenden Verkehr, werden als starke Beeinträchtigung wahrgenommen.
Der öffentliche Raum ist daher ein zentrales Handlungsfeld für die Kommunen.
Nachverdichtung in Siedlungen aus
den 1960er Jahren durch Reihenhäuser
oder vorgesetzte Kopfbauten
oben: Kassel
unten: Stuttgart
58
3 Interviews
Bewohner und Beteiligung
Bewohnergetragene Initiativen gibt es in den Quartieren bisher nur sehr selten. Wenn es
derartige Initiativen gibt, dann sind die Städte durchaus im Rahmen des Möglichen zu
Unterstützungen bereit. Bei einem raschen und sehr weitreichenden Wechsel der Bewohner wird durchaus die Gefahr der Entfremdung gesehen.
Quartiersmanagement
Das Quartier wird als sinnvolle, oft aber auch als schwer zu definierende und abzugrenzende Ebene für Maßnahmen angesehen. Kommunen sehen in der Einrichtung von Quartiersmanagement (Stadtteilkoordination) auch außerhalb von Fördergebieten eine sinnvolle Strategie für sozialräumliche Verbesserungen – allerdings kann dies in der Regel
nicht finanziert werden. Mit Quartiersmanagement wurden durchweg gute Erfahrungen
gemacht. Es kann die Entwicklung von Quartieren positiv beeinflussen, seine langfristige
Finanzierung stellt aber vielfach ein Problem dar.
Soziale Infrastruktur und Nahversorgung
Die Erhaltung der sozialen Infrastruktur und der Nahversorgung in den Quartieren sehen
die Kommunen als ein zentrales Problem, v. a. auch angesichts des demografischen Wandels und der Zunahme mobilitätseingeschränkter Bevölkerungsgruppen. Die soziale Infrastruktur wird als sehr wichtig eingeschätzt, um die Zielgruppe der Familien zu erreichen.
Daher herrscht Konsens darüber, dass die Infrastruktur ein nicht zu unterschätzendes
Steuerungsinstrument ist und dass ihr Wegbrechen rasch zu einem Attraktivitätsverlust
von Quartieren führen kann. Die soziale Infrastruktur und die Nahversorgung sind
wichtige Standortfaktoren.
Altengerechter Wohnraum
Die Städte berichten von der großen Herausforderung, ausreichend angemessenen Wohnraum für die zunehmende Zahl älterer Menschen anzubieten. Der Großteil des Wohnungsbestandes der 1950er bis 1970er Jahre ist – ohne Umbaumaßnahmen – nicht für das
Leben der älteren Menschen geeignet. Die Städte können den Bedarf an altengerechtem
Wohnraum allerdings meist nur grob abschätzen, da genaue Analysen fehlen. Es gibt
auch die Einschätzung, dass Bedarfsanalysen nicht notwendig sind, da dies ein markt-
Unattraktives Wohnumfeld – vernachlässigte
Freiflächen und Beeinträchtigung durch den
ruhenden Verkehr
3.1 Auswertung der Interviews mit Kommunen
59
gesteuerter Prozess sei: wenn Investoren den Bedarf sehen, reagieren sie mit entsprechenden Angeboten. Da die meisten älteren Menschen in der gewohnten Umgebung bleiben
wollen, wird die Integration von bedarfsgerechten Angeboten in die Quartiere, beispielsweise durch ergänzende Neubauten, für sinnvoll erachtet.
Kooperationen
Die Kommunikation mit der Wohnungswirtschaft ist sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Abgesehen von den kommunalen Unternehmen gibt es nur vereinzelt eine kontinuierliche,
institutionalisierte Zusammenarbeit. Kooperationen und ein intensiver Austausch entstehen nur sporadisch und projektbezogen. Eine engere Zusammenarbeit wird durchaus als
sinnvoll erachtet, aber das Engagement und die Initiative scheinen sich doch weitgehend
in Grenzen zu halten. In Kommunen, in denen es eine enge Zusammenarbeit mit Wohnungsunternehmen gibt, ist diese Beziehung über Jahre entstanden und hat sich sehr gut
bewährt.
Der Umgang mit den Wohnungsunternehmen wird vielfach als komplex und schwierig
beschrieben – insbesondere wenn es darum geht, die Unternehmen für die Ziele der Stadtentwicklung zu gewinnen. Einige Städte berichten von einer „verzerrten“, zu positiven
Wahrnehmung der Entwicklungsoptionen durch die Wohnungsunternehmen. Die Belange
einer sozialräumlich ausgewogenen Stadtentwicklung seien einigen Entscheidungsträgern
nicht ausreichend bewusst. Die Investitionsentscheidungen der Wohnungsunternehmen
können von den Kommunen nicht immer nachvollzogen werden und ihre wirtschaftliche
Sinnhaftigkeit auf lange Sicht wird mancherorts angezweifelt. So wird mehrfach beklagt,
dass die Eigentümer zu stark in die Randlagen investieren und dass Einflussmöglichkeiten
auf die Entscheidungen der Unternehmen fehlen. Einige Kommunen berichten, dass die
Wohnungsunternehmen an den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit angekommen sind und
Kooperationen mit finanzieller Beteiligung der Unternehmen sich daher schwierig gestalten.
Förderungen
Die Fördergelder – v. a. der Städtebauförderung – werden als wichtigstes und effizientestes
Steuerungsinstrument für die Quartiersentwicklung und für die Aktivierung der Wohnungsunternehmen gesehen. Ohne die fördernden Rahmenbedingungen sind viele Projekte nicht bzw. kaum umsetzbar. Insbesondere Rückbau ist ohne Förderung nicht möglich. Aus den Stadtumbaugebieten lassen sich daher nur vereinzelt Projekte oder Maßnahmen auf die nicht geförderten Quartiere übertragen. Modellprojekte werden dahingehend
kritisiert, dass sie zwar gute Ergebnisse liefern, aber meist nicht auf den Regelfall anwendbar sind. Fehlende Förderungen können aber auch – in einem gewissen Rahmen – durch
eigene kreative Strategien ersetzt werden, so die Einschätzung der Kommunen. Ohne Förderung wäre die Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft in manchen Bereichen
nicht so intensiv erfolgt. Eigene kommunale Förderprogramme werden aufgrund der
Haushaltslage weitgehend ausgeschlossen.
60
3 Interviews
3.2 Auswertung der Interviews
mit der Wohnungswirtschaft
Die Wohnungsunternehmen, die zu einem Interview bereit waren, sind mehrheitlich kommunale oder kommunal-nahe Unternehmen, die auch einen Versorgungsauftrag für
bezahlbaren Wohnraum für breite Schichten der Bevölkerung erfüllen. Interviewt wurden: Nibelungen Wohnbau Braunschweig, Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft (SWSG), Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Arnstadt WBG, Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft GBG, Mittelbadische Wohnungsbaugenossenschaft GEMIBAU
(Offenburg), Arlinger Baugenossenschaft Pforzheim, Allbau AG (Essen), Joseph-Stiftung
(Bamberg), GAG Ludwigshafen am Rhein, Jenawohnen GmbH, Stäwog Bremerhaven,
Grundstücks- und Gebäudewirtschafts-Gesellschaft mbH (GGG) Chemnitz. Die Gesprächspartner waren Vorstände und Geschäftsführer, Prokuristen, Bereichsleiter oder
Pressesprecher. Ergänzend zu den Interviews wurden auch Geschäftsberichte, die WebAuftritte und sonstige Materialien der Unternehmen ausgewertet. Sehr viele Anfragen,
auch bei privatwirtschaftlichen Unternehmen, wurden gestartet. Viele Unternehmen
waren jedoch nicht zu einem Gespräch bereit.
In den Interviews wurden die Entwicklungslinien und Handlungsmöglichkeiten sowie
die Entscheidungsprozesse der Eigentümer beleuchtet. Dabei ging es um die Themenkomplexe „Unternehmen und Wohnungsmarkt“, „Bestände und Strategien“, „Sanierungen und
bauliche Veränderungen“, „Infrastruktur und Daseinsvorsorge“, „Bewohner und Zielgruppen“, „Wohnraum, Wohnumfeld und städtebauliche Umbaumaßnahmen“.
Unternehmen, Bestände und Rahmenbedingungen
Viele Unternehmen sind intensiv damit
beschäftigt, den Instandhaltungsstau in ihren
Beständen zu reduzieren.
Alle interviewten Wohnungsunternehmen verfügen über große Bestände aus den drei
Nachkriegsjahrzehnten. Diese Wohnungen sind sehr oft im Rahmen des Sozialen Woh-
3.2 Auswertung der Interviews mit der Wohnungswirtschaft
61
nungsbaus entstanden, die Bindungen laufen zunehmend aus und eine vergleichsweise
hohe Fluktuation lässt sich häufig feststellen. In den neuen Bundesländern wird eine zweite
Leerstandswelle erwartet.
Neubauprojekte werden von den meisten Unternehmen nur in geringem Umfang
realisiert. Meist handelt es sich dabei um Projekte mit besonderen Wohnformen oder
sehr hochwertigen Wohnungen. Mehrfach wurde erwähnt, dass – auch in entspannten
Märkten – attraktive, höherwertige Mietwohnungen fehlen, und dass es wichtig für den
Wirtschaftsstandort ist, diese Nachfrage zu befriedigen. Diese Nachfrage lässt laut Einschätzung der Experten nicht in den Wohnungsbestand der 1950er bis 1970er Jahre
lenken.
Die Unternehmen konzentrieren sich auf die Entwicklung ihres Bestandes, da viele
Gebäude einen Instandhaltungsstau aufweisen. Von einigen Unternehmen wurde durchaus selbstkritisch angemerkt, dass eventuell zu lang mit Investitionen gewartet wurde. Die
Wohnungsbestände der 1950er bis 1970er Jahre werden als sehr wichtig für die Wohnraumversorgung in der jeweiligen Kommune eingeschätzt. In diesem Zusammenhang
wird die große Bedeutung der Unternehmen als kommunale Töchter für den lokalen
Wohnungsmarkt und für die Wohnraumversorgung von Haushalten mit Zugangsschwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt betont.
Probleme, aber auch Chancen der Bestände
Die Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre, die unter ganz anderen Rahmenbedingungen und Wohnanforderungen entstanden sind, stellen die Wohnungsunternehmen
heute in vielen Bereichen vor schwer lösbare Fragen. In baulicher Hinsicht sind es vor
allem baukonstruktive und energetische Defizite sowie die mangelnde Eignung für das
Wohnen im Alter. Darüber hinaus leiden die Quartiere oft unter ihrem schlechten Außenimage, während die Bewohner ihren Wohnstandort durchaus wertschätzen. In wirtschaftlicher Hinsicht sind es vor allem die hohen Kosten, die für Aufwertungen der Gebäude
anfallen.
Insgesamt fällt die Bewertung der Grundrisse der Nachkriegsjahrzehnte eher gut aus.
Kleine Wohnungen mit vielen Zimmern sind heute erstaunlich beliebt und werden insbesondere von jungen Menschen in der Familiengründungsphase nachgefragt, die günstigen
Wohnraum suchen. Die Grundrisse der 1950er und 1960er Jahre haben Potenziale für VerHochhaus der 1970er Jahre – Potenziale für altengerechtes Wohnen durch Umbaumaßnahmen in
Gebäuden, die mit einem Aufzug ausgestattet sind
62
3 Interviews
änderungen. Dreizimmerwohnungen mit ca. 60-70 qm können beispielsweise mit einem
vertretbaren Aufwand in großzügigere Zweizimmerwohnungen umgebaut werden. Veränderungen der Wohnungsgrundrisse, die sehr stark in die Substanz eingreifen, werden aus
Kostengründen nur selten durchgeführt.
Als problematisch werden Gebäude eingestuft, die seit ihrer Entstehung nicht saniert
oder modernisiert wurden (Substandard). Die mit Aufzügen ausgestatteten Gebäude der
1970er Jahre eignen sich gut für das altengerechte Wohnen, stoßen aber aufgrund ihres
Erscheinungsbildes oft auf Ablehnung. Die kleinteiligeren Bebauungen der 1950er und
frühen 1960er Jahre sind bei den Mietern meist beliebter als die großvolumigen Strukturen der 1970er Jahre. Entscheidendes Kriterium für die Nachfrage ist jedoch in erster Linie
die Lage.
Investitionsentscheidungen
Die Wohnungsunternehmen analysieren und wägen genau ab, in welchem Umfang in die
jeweiligen Gebäude und Quartiere investiert werden soll. Dabei setzen sie sich auch intensiv mit den Risiken der Vermietbarkeit auseinander. Niedrige Mieten schränken den
Handlungsspielraum der Unternehmen stark ein. Die kommunalen Unternehmen konzentrieren sich auf die Bereitstellung von kostengünstigem Wohnraum, da von einer steigenden Nachfrage danach ausgegangen wird. Bei der Refinanzierung der Investitionen
muss dies berücksichtigt werden.
Größere Unternehmen vertrauen in der Regel auf ein umfangreiches Portfolio-Management und auf Standortanalysen. In kleineren Unternehmen kennen die Entscheidungsträger ihre Bestände oft so gut, dass sie die Investitionsentscheidungen auf der Grundlage
ihrer persönlichen Kenntnisse treffen. Es gibt auch Unternehmen, die bewusst auf den
Einsatz von EDV-basierten Portfolio-Analysen verzichten, weil sie die Ebene des Quartiers
und weiche Standortfaktoren nicht ausreichend abbilden würden. Andere Unternehmen
berichten, dass in das Portfolio-Management nicht nur rein auf das Gebäude bezogene
Faktoren einfließen, sondern versucht wird, auch das Wohnumfeld, das Quartier und
weiche Faktoren zu erfassen. Hierzu werden z. B. Daten der Stadt in das Portfolio-Management integriert. In den Interviews wurde deutlich, dass die Unternehmen zunehmend die
Ebene des Quartiers in ihre Investitionsentscheidungen einbeziehen.
Strategien für den Umgang mit diesen Beständen
Aufgrund der Vielfalt des Bestandes und der unterschiedlichen Ausgangslagen vor Ort
gibt es in der Wohnungswirtschaft keinen Konsens über die „richtigen Strategien“ im
Umgang mit den kleinen Wohnquartieren der 1950er bis 1970er Jahre. Es herrscht jedoch
Einigkeit, dass die kleinen Wohnquartiere, die keine „Selbstläufer“ sind, mit einem verstärkten Engagement vor Ort nachfragegerecht weiterentwickelt werden können. Die Aufgaben in den kleinen Quartieren sind anders gelagert als in den Großwohnsiedlungen,
daher können Strategien und Maßnahmen nur begrenzt übertragen werden. Ein Großteil
der Unternehmen hält es für erfolgsversprechend, in den Quartieren nach Möglichkeit
verschiedene Gebäudestandards und Wohnformen anzubieten. Dabei werden grundsätzlich drei Standards unterschieden: nur Instandsetzung, umfangreiche Modernisierung
(komplexe Sanierung) und Neubau. Investiert ein Unternehmen an einem Standort, ist
häufig zu beobachten, dass andere Wohnungsunternehmen ihre Bestände ebenfalls aufwerten. Einige Wohnungsunternehmen berichten, dass in den letzten Jahren verstärkt
Bestände verkauft wurden, bei denen von einer schlechten Perspektive auszugehen war.
Dabei handelt es sich oft um Gebäude in Streubesitz, schlechten Lagen oder in mangelhaftem Zustand.
Die befragten Unternehmen verfolgen unterschiedliche Strategien bei Baumaßnahmen.
Nach Möglichkeit wird im bewohnten Zustand saniert oder modernisiert, um die anfallenden Kosten, beispielsweise für Umzüge und Mietausfälle gering zu halten. Die Unternehmen haben gute Erfahrungen damit gemacht, eine größtmögliche Transparenz herzu3.2 Auswertung der Interviews mit der Wohnungswirtschaft
63
stellen und die Mieter umfassend über die geplanten Maßnahmen und die Mieterhöhungen zu informieren. Das Freiziehen von Wohnungen kann langwierig und die Umsetzung
von Mietern aufwändig sein und zu großen finanziellen Einbußen führen. In vielen Fällen
ziehen die Mieter nach der Sanierung nicht in die alte Wohnung zurück.
Die Aussagen hinsichtlich Abbruch und Neubau gehen bei den befragten Experten weit
auseinander. Einige Unternehmen sind davon überzeugt, dass Abriss und Neubau auf
lange Sicht die wirtschaftlichere und sinnvollere Strategie ist, wenn die Bausubstanz sehr
schlecht ist. Durch Neubau können nachfragegerechte Wohnungen mit heutigem Standard geschaffen und zudem die städtebaulichen Strukturen verbessert werden. Dieser
„radikale“ Bestandsersatz ist aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht in größerem
Umfang umsetzbar. Die Neubaumieten sind in der Regel (deutlich) höher als im (modernisierten) Bestand. Die Ausdifferenzierung des homogenen Wohnungsangebotes kann zur
Stabilisierung von Nachbarschaften und zur Aufwertung von Quartieren beitragen.
Monostrukturierte Quartiere mit kleinen (Substandard-)Wohnungen gelten aufgrund der
meist einseitigen Sozialstruktur als problematisch. Eine hohe gestalterische Qualität ist
oftmals kein explizites Ziel. Wirtschaftliche und soziale Aspekte stehen in der Regel im
Vordergrund und ökologische Aspekte gewinnen an Bedeutung.
Modernisierungen und Umlage der Kosten
Die meisten Investitionen fließen in die energetische Ertüchtigung, den Anbau von Balkonen und die Beseitigung von Barrieren in den Häusern und im Wohnumfeld. Ohne die
Inanspruchnahme von KfW-Förderungen wäre die Erneuerung des Bestandes in vielen
Fällen nicht möglich. Viele Wohnungsunternehmen haben die Erfahrung gemacht, dass
das Thema „Energie“ vielen Mietern nicht wichtig ist und beispielsweise so gut wie nie
nach den Energieausweisen gefragt wird. Die hohen, ständig verschärften Auflagen der
EnEV werden von den Unternehmen vielfach kritisiert, da sie kaum wirtschaftlich realisierbar sind, ohne die Mieten in die Höhe zu treiben. Warmmietenneutral energetisch zu
modernisieren, ist kaum möglich.
Die gesetzlich mögliche Umlage von elf Prozent der Modernisierungskosten auf die
jährliche Miete wird von den Unternehmen meist nicht ausgeschöpft, weil die Mieter die
höheren Kosten nicht tragen können. Bei Modernisierungsentscheidungen beziehen die
meisten Unternehmen die finanzielle Belastbarkeit der Mieter mit ein. Mieterhöhungen
werden unter einer starken Berücksichtigung sozialer Aspekte durchgeführt. Größere Verdrängungseffekte infolge von modernisierungsbedingten Mietsteigerungen sind nicht
bekannt. In Beständen mit besonders einkommensschwachen Mietern kommt es durchaus zu Entscheidungen, auf umfassende Modernisierungen zu verzichten. Mieterhöhungen (im gesetzlich zulässigen Rahmen) bringen eine Veränderung der Mieterstruktur mit
sich, können aber auch dazu beitragen, die einseitigen Konzentrationen von problematischen Mietern in Quartieren aufzubrechen. Es wird darauf hingewiesen, dass die elf Prozent-Umlage nur in hochpreisigen Wohnungsmärkten wie München, Stuttgart oder Hamburg realisierbar ist.
Kooperationen
Kooperationen auf Quartiersebene – außerhalb der geförderten Stadterneuerung – sind
selten. In manchen Städten haben sich Wohnungsunternehmen in unterschiedlichen Formen zusammengeschlossen, um Themen und Projekte zu besprechen oder gegenüber der
Stadt mit einer „Stimme“ aufzutreten (z. B. in Form von Arbeitskreisen). Kooperationen
werden als schwierig beurteilt, wenn die Größe der Unternehmen sehr unterschiedlich ist.
Die kleinen Wohnungsunternehmen und die privaten Kleinanbieter sind aufgrund ihrer
Ressourcen nur begrenzt handlungsfähig. Es bestehen zwar Kontakte zwischen den Unternehmen, aber es ist keineswegs Praxis, auf der Quartiersebene gemeinsam Maßnahmen
voranzubringen. Für manche Unternehmen ist dies nur schwer vorstellbar, da die Vorteile
einer konzertierten Vorgehensweise nicht gesehen werden.
64
3 Interviews
Barrierefreie Erschließung – Nachrüstung
im Bestand
Üppige Freiräume in den Wohnquartieren – sie
sind mit erheblichem Pflegeaufwand und -kosten
verbunden
Freiräume und Wohnumfeld
Balkone – ein wichtiges Vermietungskriterium
unten: Der Bedarf einer altengerechten
Anpassung ist offensichtlich
Die Qualität und der Pflegezustand der Freiräume tragen erheblich zur Wohnzufriedenheit bei und werden daher von allen Unternehmen als sehr wichtig eingestuft. Die üppigen
Freiflächen sind zwar eine große Qualität der Siedlungen, bringen aber Probleme hinsichtlich der Pflege, der Nutzung und der Sicherheit mit sich. Die Unterbringung des ruhenden
Verkehrs in den Quartieren ist oft sehr schwierig. Die Unternehmen haben die Erfahrung
gemacht, dass die Neuordnung der Freiflächen auch zu Konflikten führen kann (z. B. neue
Kommunikationsräume oder Flächen für Jugendliche). Die Erfahrungen mit Mietergärten
gehen weit auseinander. Mietergärten sind in der Regel keine Selbstläufer und erfordern
ein starkes Engagement der Wohnungsunternehmen. Das Interesse der Mieter ist nicht
immer vorhanden und lässt sich nicht langfristig abschätzen. Mietergärten können aber
auch zu einer Senkung der Betriebskosten führen, da die Freiflächen nicht mehr vom
Unternehmen gepflegt werden müssen.
In größeren Unternehmen werden zunehmend Stellen geschaffen, die sich intensiv um
die großen Freiräume kümmern (Grünflächenmanagement, dgl.). In den meisten Interviews wird betont, wie wichtig der saubere Zustand des öffentlichen Raums für die Stabilität eines Quartiers ist. Eine beginnende Unordnung im öffentlichen Raum kann als
Anfang für viele Probleme und ein Abdriften von Quartieren gesehen werden. Ohne
Förderungen werden nur wenige Spielräume für die Aufwertung des Wohnumfeldes gesehen. Investiert die Kommune in den öffentlichen Raum, wirkt dies vielfach als Impuls für
private Investitionen in den Gebäudebestand oder die Freiräume.
Vermietungskriterien
Die Lage ist das wichtigste Kriterium für den Vermietungserfolg. Weitere wichtige Merkmale sind ein Balkon, die Größe und der Zustand des Badezimmers und die Heizungsart.
Auch der Zuschnitt der Wohnung und das Image des Quartiers sind von Bedeutung. Das
Verhältnis zwischen Preis, Leistung und Lage ist entscheidend für die Vermietbarkeit. Für
Wohnungen in Gebäuden mit mehr als vier Geschossen lassen sich ohne Aufzug oft nicht
mehr ohne Probleme Mieter finden. Mit Hilfe von Preisnachlässen können Wohnungen
trotz erheblicher Mängel vermietet werden.
Altengerechter Wohnraum
Die Anpassungsmöglichkeiten der Bestände beschäftigen alle Befragten, da sehr viele
ältere Menschen in den Quartieren wohnen und die Nachfrage nach altengerechtem
Wohnraum steigt. Ein Konsens herrscht darüber, dass sich die Wohnungsbestände der
3.2 Auswertung der Interviews mit der Wohnungswirtschaft
65
1950er bis 1970er Jahre, insbesondere aufgrund der Barrieren, nur wenig für das Wohnen
im Alter eignen. Die Unternehmen verfolgen die Strategie, insbesondere in den Gebäuden
mit Aufzügen altengerechte Wohnangebote zu schaffen. Der Einbau von Aufzügen ist sehr
aufwändig und teuer und wird daher nur selten praktiziert. Einige Wohnungsunternehmen versuchen in den Bestandsgebäuden altengerechte Wohnungen zu schaffen, andere
bauen in den Quartieren neue, barrierefreie Gebäude (Ersatzneubau oder Nachverdichtung). So besteht die Möglichkeit, dass die älteren Bewohner aus ihren alten, großen Wohnungen in kleinere, neue Wohnungen umziehen und der Aufwand für die Miete gleich
bleibt.
Sozialmanagement und wohnungsbegleitende Dienstleistungen
Vor allem die größeren Unternehmen berichten, dass in den letzten Jahren ein Sozialmanagement mit qualifiziertem Personal aufgebaut wurde, um die Vermietung zu organisieren und die Bewohner besser zu betreuen. Der Aufwand für die Betreuung der Mieter
ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Wenn ein Mieterwechsel einsetzt und zu
den Erstbeziehern neue Bewohner hinzukommen, lassen sich durchaus Spannungen und
Konflikte feststellen. Daher gibt es Unternehmen mit Beschwerdemanagement oder Mietschuldenberatungen, um soziale Härtefälle abzufedern und Mietrückstände zu vermeiden.
Immer wieder wurde auf die Bedeutung der Belegungspolitik und die Steuerung der
Zusammensetzung der Nachbarschaften hingewiesen. Der enge gesetzliche Rahmen, der
durch die Kosten der Unterkunft (KdU) gesetzt ist, kann zu problematischen Konzentrationen von Transfergeldbeziehern in den Beständen führen.
Die Wohnungsunternehmen werden immer stärker im Bereich wohnungsbegleitender
Dienstleistungen tätig. Viele befragte Unternehmen haben bereits Kontakte und Kooperationen mit Anbietern von sozialen Dienstleistungen aufgebaut oder planen dies, um die
Dienstleistungen für die Bewohner einfacher verfügbar zu machen. Die Angebote werden
bisher jedoch nur zögerlich angenommen, da es eine hohe Hemmschwelle gibt; jedoch
wird schon bald von einer zwangsläufig steigenden Nachfrage ausgegangen. Die Unternehmen entwickeln sich von reinen Wohnungsanbietern zu Dienstleistern im Bereich Wohnen und Leben. Sehr oft werden verschiedene Dienstleistungen über die Wohnungsunternehmen vermittelt, Gemeinschaftsräume oder Gästezimmer angeboten. Mehrere Unternehmen berichten von positiven Erfahrungen, wenn eine verstärkte Präsenz in den
Quartieren gezeigt wird. Beispielsweise können Hausmeister eine sehr wichtige Rolle in
den Quartieren übernehmen. Concierges werden immer beliebter und haben sich bisher
immer bewährt.
Umgang mit den Mietern
Viele Unternehmen führen Mieterbefragungen durch und lassen die Ergebnisse in das
unternehmerische Handeln einfließen. Nur in sehr wenigen Unternehmen gibt es einen
Mieterbeirat. Dort, wo er vorhanden ist, wird er als sehr nützlicher Vermittler zwischen
Mieter und Vermieter eingestuft. Die meisten Unternehmen sehen keine Notwendigkeit,
einen Mieterbeirat einzuführen, auch weil es schwierig ist, langfristig engagierte Mieter
für diese Aufgaben zu finden. In einigen Interviews wird darauf hingewiesen, wie wichtig
es ist, die Mieter „ins Boot“ zu holen, um langfristig funktionierende Strukturen sicherzustellen. Je entspannter der Wohnungsmarkt ist, umso mehr müssen sich die Wohnungsunternehmen um die Belange ihrer Mieter kümmern, (besondere) Angebote schaffen und
ihre Kundenfreundlichkeit verbessern (Mietermarkt).
Soziale Infrastruktur und Nahversorgung
Immer wieder wird berichtet, dass bei den Nachfragern das Bewusstsein für eine gute,
wohnortnahe Infrastrukturversorgung in den letzten Jahren gewachsen ist. Die Ausstattung mit Einrichtungen des täglichen Bedarfs wird durchgängig als wichtig eingestuft,
ebenso wie die verkehrliche Anbindung. Vor allem die Nahversorgung ist für ältere und
66
3 Interviews
Wohnortnahe Versorgung im Erdgeschoss
der Wohnungsbestände
mobilitätseingeschränkte Menschen von großer Bedeutung. Die Wichtigkeit von Treffpunkten und Kommunikationsorten für ältere Menschen wird erkannt. Daher werden
zunehmend solche Einrichtungen realisiert (z. B. Mieterbegegnungsstätten). Die meisten
befragten Unternehmen können sich durchaus vorstellen, sich an der Einrichtung oder
Aufrechterhaltung von Infrastrukturen in den Quartieren zu beteiligen, beispielsweise
durch die Überlassung von Räumlichkeiten. Einige Unternehmen haben bereits in die
Infrastruktur investiert, beispielsweise in Kindertagesstätten zur Stabilisierung ihrer
Quartiere. Es gibt größere kommunale Unternehmen, die sich verstärkt um die Errichtung
von sozialer Infrastruktur kümmern und damit neue Geschäftsfelder aufbauen.
Quartiersmanagement
Erfahrungen mit Quartiersmanagement wurden – fast ausschließlich – in Gebieten der
Sozialen Stadt gemacht. Quartiersmanagement wird als erfolgreiche Maßnahme zur Aufwertung von Quartieren beurteilt und die Unternehmen bringen sich gern ein. Allerdings
wird darauf hingewiesen, dass der Erfolg von Quartiersmanagement sehr stark von den
vor Ort tätigen Personen abhängt. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen Unternehmen vorhandene Quartiersmanagement-Einrichtungen beispielsweise durch die Überlassung von Räumlichkeiten. Der Begriff des Quartiersmanagements wird als sehr dehnbar kritisiert – im Grunde geht es darum, in den Beständen präsent zu sein und die
Bewohner zu betreuen (Stadtteilkoordination). Oft sind die Quartiere zu klein für ein fest
eingerichtetes Management. Als sehr problematisch wird der begrenzte Finanzierungszeitraum dieser Einrichtungen genannt. In der Regel sind es Projekte, die nach einigen
Jahren wieder aufgegeben werden und zu wenig Potenzial für eine Verstetigung haben.
Bewohner und Zielgruppen
Da noch viele Erstbewohner in den Beständen der Nachkriegsjahrzehnte leben, ist der
Altersdurchschnitt entsprechend hoch. Die Mieter möchten möglichst lang in ihren Wohnungen, in ihrem gewohnten Umfeld und den gewachsenen, intakten Nachbarschaften
bleiben. Sie sind oft stark in ihrem Quartier verwurzelt. Die Wohnungswirtschaft stellt
zunehmend Probleme fest, da die älteren Menschen ihren Alltag nicht mehr eigenständig
organisieren können. Viele Unternehmen beobachten die Entwicklung der Bewohnerstruktur sehr genau. Zum Teil werden die Ergebnisse der Stadt kommuniziert, um auf
potenzielle Problemlagen aufmerksam zu machen.
Planerisches Konzept – Wohnanlage „Neue Burg“
in Wolfsburg-Detmerode
3.2 Auswertung der Interviews mit der Wohnungswirtschaft
67
Genaue Zielgruppen lassen sich für die Bestände der 1950er bis 1970er Jahre nicht definieren. Für manche Interessenten sind die Quartiere eine „Durchgangsstation“ und die
Wohnstandortwahl ist ein Kompromiss oder hat pragmatische Gründe. Von sporadischen
Spannungen wirde berichtet, wenn durch den Generationenwechsel langjährige Nachbarschaftsbeziehungen auseinanderbrechen. Die Zielgruppen haben sich stark ausdifferenziert: während früher vorwiegend Familien in die Bestände zogen, so machen sie heute
nur noch einen geringen Teil der Nachfrage aus. In Hochschulstädten werden Studenten
als neue Zielgruppe für die Bestände genannt. Die Aktivierung von bestimmten Zielgruppen für die Bestände erfolgt in sehr unterschiedlichem Ausmaß. Manche Unternehmenmöchten mit besonderen, auch innovativen Angeboten ganz bestimmte Zielgruppen
ansprechen.
Für viele Menschen sind die Quartiere
nur „Durchgangsstationen“.
Quartiersebene
Das Verständnis für die Ebene des Quartiers beziehungsweise für die Sinnhaftigkeit von
Quartiersansätzen ist sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einige Unternehmen haben
erkannt, dass der Sozialraum eine sehr wichtige Rolle spielt und das Gebäude daher nie
isoliert betrachtet werden kann.
Bewertung des kommunalen Handelns
Erwartungsgemäß wünschen sich viele Wohnungsunternehmen, dass die Kommunen
stärker präventiv tätig werden. Allerdings wird dies als sehr unwahrscheinlich eingestuft.
Einige Unternehmen erwarten, dass die Stadt Maßnahmen – vor allem im öffentlichen
Raum – umsetzt. Andere Unternehmen haben keine Ansprüche (mehr) an die Stadt und
ziehen ihre eigene Sanierungsstrategie durch. Einige Unternehmen kritisieren, dass an den
Rändern der Stadt immer noch Wohnbauland ausgewiesen wird, ohne vorher die Potenziale zu prüfen, die sich im Bestand ergeben. Bei stagnierender oder abnehmender Bevölkerung kann eine offensive Baulandpolitik der Bestandsentwicklung schaden.
Die Wohnungsunternehmen sind an Analysen und Konzepten der Stadt interessiert
und ziehen diese als Grundlage für ihre Investitionsentscheidungen hinzu. Nur ein befragtes Unternehmen sieht keinen Sinn darin, auf der Quartiersebene enger mit der Stadt
zusammenzuarbeiten.
Stadtumbau der Wohnanlage „Neue Burg“
aus den 1970er Jahren, Wolfsburg-Detmerode
68
3 Interviews
In den Kommunen, die ein Stadtentwicklungskonzept haben, sehen die Wohnungsunternehmen die Entstehung des Konzeptes als wichtigen Prozess. Sie bewerten das Konzept
als eine wichtige Grundlage für das wirtschaftliche Handeln und die Investitionsentscheidungen. Hinsichtlich der Aufgabenverteilung zwischen Kommune und Wohnungsunternehmen wird darauf hingewiesen, dass die Wohnungsunternehmen die Quartiere und die
Bedürfnissen der Menschen besser kennen, als die Stadtverwaltung. Die Unternehmen
können schneller agieren und Maßnahmen umsetzen. Der politische Rückhalt für die Projekte der Unternehmen wird als wichtig eingestuft.
Förderungen
Es wird kritisiert, dass an den Rändern weiterhin
Bauland ausgewiesen wird, während im Bestand
der Leerstand zunimmt.
Die Unternehmen halten Förderungen für sehr wichtig, sehen sie aber nicht als „Allheilmittel“. Viele Unternehmen hinterfragen die Auflagen, die damit verbunden sind. Einige
berichten, dass auf Förderungen verzichtet wird, wenn damit Belegungsbindungen oder
sonstige Forderungen verbunden sind. Andere Unternehmen wiederum nehmen gerne
Förderungen – vor allem Wohnraumförderungen – in Anspruch, um in größerem Umfang
in die Modernisierung investieren zu können.
Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass größere Abrissmaßnahmen nur mit Förderung möglich sind. Die Wohnungswirtschaft wünscht sich konkrete Aussagen, wie sich
die Förderungen langfristig entwickeln werden, um Investitionssicherheit zu schaffen.
Einige Wohnungsunternehmen äußern Zweifel, ob die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen mit den aktuellen Gesetzen und Fördermöglichkeiten langfristig erhalten werden
kann. Auch die kommunalen Unternehmen zweifeln, ob sie den Versorgungsauftrag unter
den gegebenen Umständen langfristig erfüllen können. Die Kürzung der Städtebauförderungsmittel wird zum Teil heftig kritisiert. Es herrscht Konsens darüber, dass Stadterneuerung in größerem Umfang in den Quartieren ohne Förderung nicht möglich ist.
Wohnanlage „Neue Burg“ in
Wolfsburg-Detmerode – neue Dimension
durch Rückbau der Geschosse
3.2 Auswertung der Interviews mit der Wohnungswirtschaft
69
3.3 Zwischenfazit
Aufgrund der ganz anderen Rahmenbedingungen in wachsenden, stagnierenden oder entspannten Wohnungsmärkten sind die Handlungsmöglichkeiten der Kommunen und der
Wohnungsunternehmen sehr unterschiedlich. Es zeigt sich sehr deutlich, wie stark die
Quartiere auch von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer Stadt abhängen.
Bei den Wohnungsunternehmen gibt es keinen Konsens, wie mit den Beständen städtebaulich umgegangen werden soll und welches die richtige Strategie ist, um diese Strukturen weiterzuentwickeln. Es besteht sowohl bei den Kommunen als auch bei den Wohnungsunternehmen ein großes Interesse, solide Grundlagen für Entscheidungen zu schaffen. Ohne ein integriertes Entwicklungskonzept fehlt die Argumentationsgrundlage für
Entscheidungen. Viele Quartiere sind durch einen großen Investitionsstau und einen
hohen Altersdurchschnitt der Bewohner gekennzeichnet – der Generationenwechsel setzt
demnächst ein oder ist bereits im Gange. Die Aufgaben in den Quartieren der 1950er bis
1970er Jahren erscheinen so komplex, dass die einzelnen Akteure diese allein nicht
bewerkstelligen können. Kommunen und Wohnungsunternehmen sind sich einig, dass
eine flächendeckende Förderung nicht möglich ist und daher alternative Strategien und
Ideen erforderlich sind.
Angesichts der komplexen Handlungsfelder des Stadtumbaus – der Parallelität der Probleme in den Innenstädten und an den Rändern, in Kombination mit der Bevölkerungsentwicklung und den veränderten Wohnanforderungen – sind die Kommune und die
Unternehmen mit vielschichtigen Aufgaben konfrontiert. Es gibt ein großes Potenzial, die
Investitionen durch eine bessere Abstimmung zwischen öffentlicher Hand und Wohnungsunternehmen zu optimieren. Maßnahmen und Projekte aus großen Stadtumbaugebieten sind nur begrenzt auf die kleinen Quartiere – mit wenigen hundert oder unter hundert Wohneinheiten – übertragbar. Die Unternehmen gehen sehr unterschiedlich mit den
anstehenden Herausforderungen um. Neue Ideen und Ansätze sind nicht Gegenstand aller
Unternehmensstrategien.
Die Wohnungsunternehmen stellen nicht nur Wohnraum zur Verfügung, sondern werden immer mehr zu Dienstleistern rund um das Wohnen und Leben. Sie übernehmen
zum Teil Aufgaben der öffentlichen Hand. Dies tun sie auch aus eigenem Interesse, da sie
an stabilen und funktionierenden Strukturen in den Quartieren interessiert sind. Alle
Unternehmen haben ein großes Interesse an langfristigen Mietverhältnissen und an einer
geringen Fluktuation. Die Größe und Finanzkraft eines Unternehmens ist entscheidend
für die Bereitschaft, sich an sozialen Einrichtungen und wohnungsnahen Dienstleistungsangeboten finanziell und personell zu beteiligen.
Soziale Aspekte werden bei Modernisierungen in der Regel umfassend berücksichtigt.
Dies trifft insbesondere auf die Unternehmen zu, die ihren gesellschaftlichen Auftrag und
soziale Ziele als zentralen Bestandteil ihrer Unternehmensstrategie begreifen. In den
Interviews ist deutlich geworden, dass die Quartiersebene bisher oft eine untergeordnete
Rolle spielt – die Chance für win-win-Situationen wird nicht von allen Unternehmen
erkannt. Die Investitionslogiken der Unternehmen sind sehr unterschiedlich (Abstoßen,
Modernisieren, Bestandsersatz) und eine Abstimmung mit anderen Akteuren (auf dem
Wohnungsmarkt) findet, außerhalb der geförderten Stadterneuerung, nur vereinzelt statt.
Mieter werden nicht oder nur sehr wenig an den Entscheidungen für die Modernisierungsmaßnahmen beteiligt. Umfassende Grundrissveränderungen und der Einbau von Aufzügen
70
3 Interviews
sind sehr kostspielig. Das Thema „Energie“ ist den meisten Mietern (bisher) nicht wichtig.
Mit Ersatzneubau wurden bisher wenige Erfahrungen gemacht. Nach Einschätzung einiger Experten wird Abriss und Neubau immer relevanter. Viele Unternehmen sind sehr
vorsichtig bei Investitionsentscheidungen, da große Unsicherheiten in Bezug auf die weiteren wirtschaftlichen Entwicklungen bestehen.
In allen Interviews mit den kommunalen Vertretern und Vertretern der Wohnungswirtschaft wird darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dauerhaft bezahlbaren und dennoch attraktiven Wohnraum in integrierten Lagen zur Verfügung zu stellen. Es wird
davon ausgegangen, dass die Nachfrage nach günstigem Wohnraum – auch bei Familien –
steigen wird. Die Wohnungsbestände der 1950er bis 1970er Jahre bieten in dieser Hinsicht
sehr wichtige Potenziale.
3.3 Zwischenfazit
71
4
Fallstudien
4.1 Software
4.2 Hardware
Als Fallstudien werden zehn Projekte aus der Praxis genauer untersucht, die beispielhaft
Strategien aufzeigen, wie Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre weiterentwickelt
werden können. Grob können die Projekte in zwei Kategorien unterteilt werden: Einerseits
handelt es sich um Maßnahmen im Bereich der strategischen Vorgehens- oder Handlungsweise der verschiedenen Stadtumbauakteure (nicht-investiv, „Software“), andererseits um
baulich-räumliche Projekte (investiv, „Hardware“). Die ausgewählten Projekte zeigen
Lösungswege für unterschiedliche Problemstellungen in den Quartieren der 1950er bis
1970er Jahre auf. Mit Hilfe eines Untersuchungsrasters werden die Ausgangslage, die
Vorgehensweise, die Akteurskonstellationen und die Finanzierung beschrieben sowie die
Besonderheiten und die Übertragbarkeit herausgearbeitet. Die Projekte entstanden
weitestgehend ohne den Einsatz von Städtebauförderungsmitteln. Andere Förderungen, wie
Wohnungsbauförderung oder Landesprogramme, wurden bei einigen Projekten eingesetzt.
Software In Hannover werden die Tätigkeiten der Gesellschaft für Bauen und Wohnen
Hannover mbH (GBH) beleuchtet, die als kommunales Wohnungsunternehmen seit rund
zehn Jahren Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten betreibt. In Offenburg
werden seit den 1990er Jahren gute Erfahrungen mit Stadtteil- und Familienzentren
gemacht, um Bewohner an der Entwicklung ihres Wohnumfeldes zu beteiligen. Darüber
hinaus wurde für den Stadtteil Albersbösch (1960er Jahre) ein ambitioniertes Konzept mit
Rahmenplan für dessen Weiterentwicklung erarbeitet. Für Potsdam werden die Aktivitäten
des Arbeitskreises StadtSpuren erläutert, bei dem es sich um einen Zusammenschluss von
mehreren Wohnungsunternehmen handelt, die ihr Konkurrenzdenken überwunden haben
und sich gemeinsam für die Aufwertung von Wohnquartieren engagieren. In SchleswigHolstein bietet die Investitionsbank Schleswig-Holstein IB.SH seit 2010 die Förderberatung und Dienstleistung „Integrative Quartiersentwicklung (IB.IQ)“ an – dabei werden
Kommunen wohnungswirtschaftlich beraten und Wohnungsunternehmen bei der Quartiers72
4 Fallstudien
entwicklung durch Förderberatung unterstützt. Modellhaft wurde „IB.IQ“ in Neumünster
angewendet und für drei Quartiere Konzepte erstellt. An Hand des Beispiels Mannheim
wird dargestellt, wie sich eine Kommunalverwaltung für eine kleinräumigere Orientierung
umstrukturiert und die Kommune und das kommunale Wohnungsunternehmen gemeinsam
vorgehen, um auf der Ebene des Quartiers Aufwertungen voranzutreiben.
Hardware Das Projekt „Buchheimer Weg“ in Köln steht beispielhaft für die Strategie,
Wohnungsbestände, die nicht mehr mit vertretbarem Aufwand saniert werden können,
abzubrechen und an selber Stelle ähnliche Strukturen für die gleiche Zielgruppe zu
errichten. In Hamburg wird die Umgestaltung und Nachverdichtung des Wohnquartiers
„Altenhagener Weg“ aus den 1950er und 1960er Jahren als Beispiel für eine architektonisch sehr hochwertige Weiterentwicklung herangezogen. Die Modernisierung
„Schillerstraße“ in Bremerhaven zeigt, wie Zeilenstrukturen durch ein neues
Erschließungselement in Form eines Laubenganges, diverse Umbaumaßnahmen und
Grundriss-änderungen an heutige Wohnanforderungen angepasst werden können.
Das Projekt „Gemeinsam statt einsam“ in Arnstadt ist eines der seltenen Beispiele
für die Weiterentwicklung von Nachkriegsgebäuden durch ein bewohnergetragenes
Wohnprojekt (allerdings durch Städtebaufördermittel unterstützt).
In den kleinen Quartieren der 1950er bis 1970er Jahre sind bisher eher wenige
Maßnahmen realisiert worden – daher wurden für die beispielhafte Untersuchung
z. T. auch größere Quartiere herangezogen, in denen durchaus schon sehr gute
und erfolgreiche Projekte entstanden sind, die – bezogen auf verschiedene Fragestellungen – auf die kleinen Quartiere übertragen werden können. Ebenso hat sich
bei der Suche nach geeigneten Fallstudien gezeigt, dass bisher vor allem größere
Unternehmen und Kommunen innovative Ideen verfolgen.
73
4.1 Software
Für die Weiterentwicklung der Wohnquartiere der 1950er
bis 1970er Jahre sind nicht nur städte- und hochbauliche
Maßnahmen von Relevanz, sondern es liegen auch viele und
große Potenziale im Bereich der strategischen Vorgehensweise und der Kooperation der Akteure sowie in der
Gestaltung der Rahmenbedingungen auf übergeordneter
Ebene. Die folgenden fünf Fallstudien decken die Themen
Quartiersmanagement, Zusammenarbeit der Akteure,
Verwaltungsstrukturen, Konzepterstellung sowie Förderung
und Beratung bei der Quartiersentwicklung ab.
Rahmenplanung Albersbösch (Offenburg)
Oft schlechtes Quartiersimage versus
hohe Wohnzufriedenheit (Hannover)
74
4 Fallstudien
Aufwertung der Bestände durch kooperative
Strategien der Unternehmen (Potsdam)
Erprobung neuer Beratungsmodelle (Neumünster, links) und
Kooperation zwischen Stadt und Wohnungsunternehmen (Mannheim)
4.1 Software
75
4.1.1
Hannover
Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten
A) Basisdaten
Kommune
Hannover
Bundesland
Niedersachsen
Einwohner (31. 12. 2011) 102
525.875
Gemeindetyp
Stadt
Demografietyp (Bertelsmann)
urbanes Zentrum mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik (Typ 7)
Prognose
leicht wachsend, 2012 – 2025: + 2,3%
Anzahl Wohngebäude 103
65.821
Anteil WE in MFH 103
84 %
Projektzeitraum
seit rund 10 Jahren
Initiator/Träger
Landeshauptstadt Hannover (Idee)
Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover mbH (GBH) (Ausführung, Trägerschaft)
Kooperationspartner/
sonstige Beteiligte
– verschiedene Ämter der Stadt Hannover
– verschiedene Träger (z. B. Wohlfahrtsverbände, etc.)
– lokale Akteure in den Quartieren (Wohnungseigentümer, Bewohner, Bürgervereine, etc.)
Finanzierung
– Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover mbH (GBH)
– Landeshauptstadt Hannover
– Erschließung von finanziellen Förderquellen
Ausgangslage /Probleme
– auch in Quartieren außerhalb der Städtebauförderung Bedarf für Quartiersmanagement
– positive Erfahrungen mit Quartiersmanagement in geförderten Quartieren
Maßnahmen /Strategien
– Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten durch das kommunale Unternehmen GBH
(Eigenbeauftragung)
– Fokus auf sozialräumliche Entwicklung der Quartiere (u. a. Durchführung integrativer Stadtteilarbeit,
Erarbeitung konkreter Handlungsansätze, Unterstützung von Vernetzungsstrukturen,
Aufbau von Kooperationen, Realisierung von Projekten, Erschließung von Finanzmitteln außerhalb
der klassischen Förderung)
– keine baulichen bzw. investiven Maßnahmen
76
4 Fallstudien
B) Kontext / Rahmenbedingungen
oben: Hannover, Quartier Canarisweg
unten: Hannover, Quartier Vahrenheide
102 Website: https://www.destatis.de/cgi-bin/
gv2000_suche.pl (Zugriff am 12. 12. 2012)
103 Website: https://www.regionalstatistik.de/
genesis/online/logon (Zugriff am 8. 1. 2013)
104 Vgl. Region Hannover, 2012, S. 5
105 Vgl. Website: http://www.hannover.de/Leben-inder-Region-Hannover/Planen,-Bauen,-Wohnen/Stadt
erneuerung-Förderung/Sanierung-im-ProgrammSoziale-Stadt2 (Zugriff am 8. 1. 2013)
106 Landeshauptstadt Hannover, 2010, S. 6
107 Vgl. ebenda, S. 8
108 Vgl. Landeshauptstadt Hannover, 2011,
S. 19, 22, 39
Die während des Zweiten Weltkriegs fast völlig zerstörte Innenstadt von Hannover wurde
nach dem damals postulierten Leitbild der autogerechten Stadt neu aufgebaut. Heute zählt
die niedersächsische Landeshauptstadt über 525.000 Einwohner und gliedert sich in
13 Stadtbezirke und 51 Stadtteile. In der regionalen Bevölkerungsprognose (2012 – 2025)
wird davon ausgegangen, dass die Einwohnerzahl in der Region bis 2025 insgesamt stabil
bei 1,1 Mio. (– 0,1 Prozent) bleibt. Für die Landeshauptstadt wird ein Zuwachs um ca. 2,3 Prozent erwartet, im Umland ein Rückgang von etwa 2,1 Prozent. Kleinräumig wird die Entwicklung sehr unterschiedlich ausfallen, es wird sowohl in der Stadt als auch im Umland
einerseits wachsende und andererseits schrumpfende Gebiete geben.104
In den Nachkriegsjahrzehnten sind wie in vielen anderen Städten große, verdichtete
Wohnsiedlungen entstanden (z. B. Vahrenheide-Ost). Derzeit gibt es in Hannover drei
Sanierungsgebiete im Programm Soziale Stadt – in zwei Gebieten wurden die Maßnahmen bereits in den letzten Jahren abgeschlossen.105 Der Wohnungsmarkt in Hannover
wird als weitgehend entspannt eingeschätzt (Wohnungsbestand 1. 1. 2009: 289.494 Wohnungen, davon 20.329 mit Belegungsrechten). Eine Studie zur kleinräumigen Entwicklung
des Wohnungsmarktes kommt zu folgendem Ergebnis: „Einerseits verschwinden sehr preisgünstige Wohnungen aufgrund von Sanierungstätigkeiten vom Markt, andererseits nimmt
die Nachfrage gerade in diesem Preissegment ständig zu, sodass der feststellbare Verknappungstrend hier zukünftig anhalten wird.“ 106 Die Wohnungsleerstandsquote lag im Jahr
2009 bei 2,9 Prozent – im Jahr 2009 standen somit fast 6.000 Wohnungen länger als zwölf
Monate leer (2 Prozent aller Wohnungen als struktureller Leerstand). Die durchschnittliche Miete lag bei 5,92 Euro/qm. Bei bestimmten Mietwohnungssegmenten, wie kleine
oder große (preiswerte) Wohnungen, herrscht in Hannover tendenziell ein Mangel. Wie in
vielen anderen Kommunen nehmen die Steuerungsmöglichkeiten der Stadt Hannover u. a.
durch die auslaufenden Bindungen, die Finanznot oder die Reduzierung der Fördermittel
zunehmend ab.107
Im Rahmen des Stadtentwicklungskonzeptes „Hannover plus Zehn – Arbeiten für eine
junge und innovative Stadt“ (2005) wurden angesichts des demografischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandels die Herausforderungen für das nächste Jahrzehnt untersucht
und zehn sogenannte „Plus-Punkte“ als Zielsetzungen definiert. Im Hinblick auf die
Wohnquartiere der Nachkriegsjahrzehnte sind unter anderem der Punkt „Plus 1: Hannover
setzt auf bürgerschaftliches Engagement und lebendige Stadtteile“ sowie der Punkt „Plus 4:
Hannover schafft familienfreundliches Wohnen“ von Relevanz – bei Letzterem wird im
Konzept Quartiersmanagement als eine Maßnahme zur Umsetzung genannt.108
C) Projektbeschreibung und Akteure
Die Gesellschaft für Bauen und Wohnen Hannover mbH (GBH)
Die GBH ist das kommunale Wohnungsunternehmen der Landeshauptstadt Hannover.
Die GBH wurde 1927 als Instrument kommunaler Wohnungspolitik gegründet und ist seit
ihren Anfängen auch mit sozial orientierten Projekten beschäftigt. Mit einem Bestand von
rund 13.500 Wohnungen ist die GBH der größte Wohnungsanbieter in Hannover – über
die Hälfte ihrer Wohnungen stammt aus den 1950er und 1960er Jahren. Im Unternehmensleitbild sind beispielsweise die nachhaltige Wohnungsversorgung aller Bevölkerungs4.1 Software Hannover
77
Wohnquartier Hannover Canarisweg –
Stadtteilidentität
78
4 Fallstudien
gruppen, das gleichwertige Nebeneinander von wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Kompetenz, die Entwicklung bedarfsgerechter Serviceangebote sowie die Förderung des nachbarschaftlichen und integrativen Miteinanders vom Aufsichtsrat verankert worden.
In den letzten Jahren wurden bei der GBH neben der Erneuerung der Wohngebäude die
Nachbarschafts- und Quartiersentwicklung zu einem wichtigen Aufgabenfeld. Als kommunales Wohnungsunternehmen kooperiert die GBH dabei eng mit der Stadt.109 Die
GBH versteht sich „als Bestandserhalter, nicht als Immobilienhändler oder Finanzanlageform.“ 110
Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten
Vielfältige Angebote des Wohnungsunternehmens
im Quartier
Im Jahr 2002 hat der Rat der Stadt der Landeshauptstadt Hannover beschlossen, nach dem
Vorbild des Quartiersmanagements in Gebieten der Sozialen Stadt ein „Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten“ einzurichten. Allerdings konnte die Verwaltung aufgrund der Haushaltskonsolidierung keine zusätzlichen freiwilligen Tätigkeiten aufnehmen. Es dauerte zwei Jahre, bis geklärt war, in welcher Form und Anbindung ein derartiges Quartiersmanagement am sinnvollsten eingerichtet werden kann. Schließlich wurde
das kommunale Wohnungsunternehmen GBH gebeten, ein derartiges Quartiersmanagement in Form einer Eigenbeauftragung und in Abstimmung mit der Stadt durchzuführen.111 Im Rahmen dieser Eigenbeauftragung hat sich die GBH verpflichtet, konkrete
Handlungsansätze zu erarbeiten, örtliche Vernetzungsstrukturen zu unterstützen sowie
Projekte zu realisieren und dafür finanzielle Mittel außerhalb der klassischen Förderung
zu erschließen. Die Zusammenarbeit mit der Stadt erfolgt durch einen Koordinator aus
dem Bereich Stadterneuerung der Landeshauptstadt Hannover – das ergänzende städtische
Budget liegt allerdings im Bereich der Stadtentwicklung.
Unter Nichtprogrammgebieten werden in Hannover Quartiere verstanden, „die Indikatoren der Gebiete der Sozialen Stadt erfüllen, aber derzeit nicht Programmgebiete sind
und es teilweise auch in Zukunft nicht sein werden.“ 112
Beim Quartiersmanagement handelt es sich um ein sozialraumbezogenes Management
von Gebieten mit verschiedenen Problemlagen. Quartiersmanagement wird als „komplexer Prozess horizontaler Vernetzungen innerhalb der Quartiere und Verwaltungen
sowie der vertikalen Vernetzung von „Verwaltungs- und Alltagswelt vor Ort“ begriffen,
der im Gleichgewicht gehalten werden muss.113
Aktuell betreibt die GBH in fünf Gebieten Quartiersmanagement (Roderbruch, Mühlenberg, Linden-Süd, Vahrenheide, Stöcken). Stöcken ist allerdings seit 2008 Soziale StadtGebiet – dort wurde das bereits bestehende Quartiersmanagement weitergeführt. In zwei
Gebieten hat die GBH das Quartiersmanagement nach dem Auslaufen der Programmzeiträume übernommen. Neben einem Gründerzeitquartier, stammen die anderen Gebiete
aus den 1950er bis 1970er Jahren mit unterschiedlichen Bebauungsstrukturen. Unter
diesen Gebieten sind auch solche vertreten, in denen die GBH keine oder nur wenige
Bestände besitzt.
Vorgehensweise und Aufgaben des Quartiersmanagements
109 Vgl. Gesellschaft für Bauen und Wohnen
Hannover mbH (GBH), 2012;
Kulle, Robert: Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten. Praxisbeispiel Hannover (Vortrag
im Rahmen des Expertenworkshops am 12. 11. 2012)
110
111
112
113
Kulle, 2006, S. 25
Ebenda, S. 28
Ebenda, S. 25
Kulle, Robert: Quartiersmanagement. Sozialräumliche Arbeit für stabile Nachbarschaften. Folie 4.
(Präsentation gehalten am 22. 2. 2011);
Vgl. Website: http://www.gesundheit-nds.de/generatio
nendialog/PDF/nmks11_kulle.pdf (Zugriff am 8. 1. 2013)
Wichtig für die Einrichtung des Quartiersmanagements ist der politische Wille, der bis in
die Verwaltung hinein reicht. Die entscheidende Rolle bei der Umsetzung des Quartiersmanagements kommt der GBH zu. Grundsätzlich wird in den Quartieren folgendermaßen
vorgegangen: Auf Grundlage vorhandener oder zu erstellender Untersuchungen werden
möglichst zeitnah konkrete Handlungsansätze erarbeitet. Die wesentlichen Aufgaben
bestehen zunächst darin, örtliche Strukturen zu ermitteln und deren Vernetzung zu verbessern sowie aus dem Kontakt mit den Akteuren die genauen Bedarfe zu erfassen. Das
Vorgehen in den Quartieren wird mit der Politik und der Verwaltung abgestimmt.
Anschließend werden Projekte erarbeitet und es wird versucht, finanzielle Mittel für die
Umsetzung zu erschließen. Das zentrale Ziel der Quartiersmanager ist es, die verschiedenen lokalen Akteure miteinander zu vernetzen und so das vorhandene Potenzial für das
4.1 Software Hannover
79
jeweilige Quartier zu aktivieren. Oft bestehen in den Quartieren auch schon verschiedene
Ansätze und Einrichtungen (z. B. Bürgervereine, Stadtteilgespräche), die dann weiter
unterstützt und in den Aufbau des Quartiersmanagement einbezogen werden. Die GBH
hat schon Erfahrungen mit Projekten der Sozialen Stadt gemacht und nutzt diese gewonnenen Erkenntnisse für Quartiere außerhalb der Förderung. In den Quartieren werden
Büros mit einheitlichen Sprechstunden eingerichtet. Das Quartiersmanagement versucht
mit den Wohnungseigentümern im Quartier ins Gespräch zu kommen und diese zu Investitionen anzureizen. Von Anfang an stellt die GBH dabei klar, dass sie keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt oder sich Vermietungsvorteile schaffen will, sondern dass das Quartiersmanagement nur sozialräumlich arbeitet. Robert Kulle (zuständig bei der GBH für
das Quartiersmanagement) weist darauf hin, dass zuerst das Vertrauen der Bewohner und
der anderen Wohnungsbaugesellschaften gewonnen werden muss, wenn ein Wohnungsunternehmen die Trägerschaft von Quartiersmanagement übernimmt. Zur Aufwertung
der Quartiere werden gemeinsame Perspektiven und Maßnahmen entwickelt. Entscheidend dabei ist es, dass die Projekte so angelegt werden, dass sie realistisch und konkret
umsetzbar sind, auch ohne auf die Finanzierungsmöglichkeiten eines Programmgebietes
zurückgreifen zu können. Das Quartiersmanagement versucht den Wohnungsunternehmen aufzuzeigen, welcher Mehrwert im Quartiersmanagement steckt und welche vermietungsfördernden Effekte beispielsweise durch Zusatzangebote und eine positive Öffentlichkeitsarbeit kostenfrei entstehen können.114
Ein großer Vorteil bei der Zusammenarbeit mit anderen Wohnungseigentümern ist die
Tatsache, dass die GBH die wohnungswirtschaftlichen Belange und Sichtweisen nachvollziehen und so „auf Augenhöhe“ andere Eigentümer ansprechen kann. Als „wohnungswirtschaftlich denkendes“ Quartiersmanagement gelingt es oft einfacher, mit den anderen
Eigentümern ins Gespräch zu kommen und im Idealfall Investitionen und Aufwertungen
an den Gebäuden anzureizen.115
Angesichts der vielen verschiedenen Akteure und ihren Zielsetzungen, die in den Quartieren aufeinander prallen, übernimmt das Quartiersmanagement eine Vermittlerrolle.
„Das Quartiersmanagement der GBH versteht sowohl die städtische Sicht als auch die Sicht
der Investoren. Wir sprechen die Sprache der Verwaltung, die Sprache der Investoren und
die Sprache der freien Träger. Diese ‚interkulturelle‘ Kompetenz macht uns zu einem guten
Gesprächspartner für die verschiedenen Seiten. So können wir versuchen, die verschiedenen Sichten zusammenzubringen oder zumindest in den Schnittmengen effektiv zu arbeiten.“ 116
Da auch schon kleinere bauliche Maßnahmen in den Quartieren wichtige Impulse auslösen könnten, wird trotz aller finanziellen Restriktionen auch immer wieder versucht,
bauliche Projekte anzustoßen und in die Stadtverwaltung und die Bürgerschaft hineinzutragen. Auf diese Weise können Diskussionen sowohl bei den Bewohnern als auch in der
Stadtpolitik angestoßen werden. Das Quartiersmanagement bemüht sich, in den Quartieren zumindest „einen großen Wurf“ bzw. ein größeres Projekt umzusetzen, um auch langfristige Verbesserungen zu erreichen und sich nicht nur auf kleinteilige Sozialarbeit zu
beschränken. Die zentrale Frage ist stets, wie trotz des sehr geringen Budgets möglichst
viel bewegt werden kann. Zu den besonders wichtigen Aufgaben zählen niedrigschwellige
Bildungsangebote. So helfen beispielsweise Freiwillige bei der Hausaufgabenbetreuung
80
4 Fallstudien
Anlaufstelle im Quartier, Aktivitäten für Jugendliche und interkulturelle Angebote für Familien
Quartier Vahrenheide – bauliche Maßnahmen
zum Umbau und zur Erneuerung,
Ausdifferenzierung des Wohnungsangebotes
114 Vgl. Kulle, 2006, S. 27
115 Vgl. ebenda, S. 37
116 Ebenda, S. 39
4.1 Software Hannover
81
und die Angebote werden manchmal auch eigenverantwortlich fortgeführt.117 Angesichts
der sehr knapp bemessenen Finanzmittel ist das Quartiersmanagement zwangsläufig darauf angewiesen, dass sich Bewohner engagieren und bei der Arbeit einbringen. Es wird
eine Mischung von professionellen und informellen Angeboten und Strukturen angestrebt
und darauf abgezielt, möglichst viele Ehrenamtliche in die Arbeit einzubeziehen.
Maßnahmen und Ziele im Überblick:
– intensive Vernetzung der verschiedenen Akteure im Stadtteil
– Verbesserung des Images
– Sprachförderung und Elternbildung
– niedrigschwellige Bildungsangebote als grundsätzliche Aufgabe
– Aufwertung des Wohnumfeldes
– zahlreiche Projekte, die vor allem auf Kinder abzielen (z. B. Straßenfußballturniere,
Mitternachtssport)
– Befragung der Kinder nach den Wünschen für das Quartier > Versuch einer möglichst
schnellen Umsetzung für sichtbare Resultate
D) Finanzierung
In den Nichtprogrammgebieten in Hannover wird das Quartiersmanagement ohne Mittel
der Städtebauförderung durchgeführt. Die GBH stellt pro Gebiet einen Quartiersmanager
mit 20 Wochenstunden und ein Jahresbudget von 10.000 Euro bereit. Zusätzlich stellt die
Landeshauptstadt pro Gebiet ein Jahresbudget von 20.000 Euro zur Verfügung – davon
werden 10.000 Euro als Quartiersfonds durch die Bewohner vergeben. Im Vergleich zu
Soziale Stadt-Gebieten sind die Mittel sehr gering bemessen. Das Quartiersmanagement
versucht stets, sonstige finanzielle Fördermittel zu erschließen. Zur Finanzierung verschiedener Angebote und kleinerer Projekt unterhält die GBH z. B. Kontakte zu den Rotariern
oder anderen Spendengebern. Beispielsweise werden auch gemeinsame Veranstaltungen
organisiert, um „Geber“ und Empfänger in Kontakt zu bringen. Laut Aussagen von Herrn
Kulle ist eine langfristige Finanzierung der Einrichtung nur durch das stete Bemühen der
beteiligten Akteure gesichert.
E) Besonderheiten und Übertragbarkeit
Der Aufbau von Quartiersmanagement in Hannover in Nichtprogrammgebieten zeigt,
dass solche Einrichtungen auch außerhalb der klassischen Förderung möglich sind, wenn
an den entscheidenden Stellen ein entsprechendes Bewusstsein und ein Wille vorhanden
sind. Diese Fallstudie dokumentiert die großen Chancen und Einflussmöglichkeiten, die
Städte durch kommunale Wohnungsunternehmen haben. Die Strategien und Handlungsweise der Akteure in Hannover sind für die Fragestellung der Entwicklung von Nachkriegsquartieren außerhalb der Förderung hochinteressant.
Oft fehlt es den Akteuren vor Ort an der Vorstellung und Erkenntnis, wie wichtig ein
gemeinsames Vorgehen bzw. die Quartiersebene für die eigenen Ziele ist. Es zeigt sich in
Hannover, dass Bewusstseinsbildung und das Aufzeigen der win-win-Situation eine
wesentliche Grundlage darstellen, um die Akteure auf der Quartiersebene zu motivieren
und ihr Engagement zu wecken. Das kommunale Wohnungsunternehmen übernimmt das
„Management“ des Sozialraums in Quartieren, in denen sich Probleme verschärfen oder in
denen die Städtebauförderung das Ende ihrer Laufzeit erreicht hat. Die Tätigkeiten der
GBH bestätigen beispielhaft, dass Wohnungsunternehmen mit ihren Kompetenzen gut
geeignet sind, um in den Quartieren Eigentümer anzusprechen und Verbesserungen voranzutreiben. Durch das Engagement, den Aufbau von Kommunikationsstrukturen und
durch das Aufzeigen von Potenzialen wird auf freiwilliger Basis versucht, Investoren zu
Aktivitäten und Investitionen in ihren Beständen anzuregen – es ist ein gelungenes Beispiel für wohnungswirtschaftliches Quartiersmanagement. Schließlich ergeben sich zahlreiche Vorteile, wenn ein Wohnungsunternehmen Quartiersmanagement durchführt. Ein
82
4 Fallstudien
Wohnungsvermarktung – Infrastruktur- und
Betreuungsangebote im Quartier
Wohnungsunternehmen hat mehr Spielraum und kann schneller agieren, als eine kommunale Verwaltung mit ihren langen Entscheidungswegen. Das umfangreiche Engagement
der GBH ist sicherlich im Verhältnis zur Größe des Unternehmens zu sehen – kleinere
Wohnungsunternehmen haben nicht in diesem Ausmaß Spielraum, können aber dennoch
von den einzelnen Strategien und Projekten lernen.
Das Quartiersmanagement in Hannover zielt darauf ab, den Selbsthilfegedanken in den
Wohngebieten zu fördern, lokale Netzwerke aufzubauen oder zu stärken, Schwierigkeiten
und Bedarfe gemeinsam mit den Akteuren zu erfassen sowie Projekte zu entwickeln und
umzusetzen. Im Fokus stehen nicht die baulichen, sondern sozial (räumlich) orientierten
Maßnahmen. Die verschiedenen realisierten Projekte in Hannover belegen, dass es durch
ein entsprechendes Engagement der Quartiersmanager möglich ist, das in Quartieren vorhandene Potenzial zu aktivieren und mit möglichst geringen Mitteln große Effekte zu
erzielen – dies ist für die Fragestellung der kleinen Quartiere eine wichtige Erkenntnis.
Unter dem Druck der fehlenden Ressourcen wird genau überlegt, wer was am besten kann.
Die pragmatische, vielleicht auch manchmal etwas unkonventionelle Vorgehensweise bei
den Projekten hat einen großen Mehrwert für die Quartiere. Eine Besonderheit besteht
darin, dass die GBH Quartiersmanagement auch in Quartieren durchführt, in denen sie
selber gar keine Wohnungsbestände besitzt.
Bei dem untersuchten Beispiel zeigt sich, wie ein kommunales Wohnungsunternehmen
als verlässlicher Partner der Kommune wichtige Aufgaben übernehmen kann. Es bestätigt
sich in Hannover die große Bedeutung kommunaler Wohnungsunternehmen als Instrument für die Stadt- und Quartiersentwicklung. Vorbildlich ist in Hannover, dass darauf
geachtet wird, den Auftrag und die Vorgehensweise der GBH politisch abzusichern. Um
dies sicherzustellen, wird ein ständiger Kontakt zur Kommunalpolitik gepflegt. Die GBH
tritt auch als Ideengeberin auf und macht die zuständigen Stellen auf Projekte und neue
Ansätze aufmerksam.
Die Erfolgsfaktoren für die Vorgehensweise in Hannover sind vielfältig und liegen v. a.
in der intensiven Einbeziehung der wohnungswirtschaftlichen Sichtweise und der Entwicklung realistischer und umsetzbarer Projekte. Die Erfolgsfaktoren lassen sich wie folgt kurz
und prägnant zusammenfassen: „Ansprüche in den Menschen wecken (auch an sich selbst),
breit aufstellen, Bescheidenheit der Mitarbeiter, lokale Akteure für (Mit-)Arbeit gewinnen,
eigene Strukturen nutzen, wo es (noch) keine gibt, Verlässlichkeit und Ehrlichkeit, umfassend denken, auf Eigenvorteile setzen, Wirksamkeit versprechen und ermöglichen.“ 118
Ansprechpartner
Robert Kulle, GBH Bestandsentwicklung, Hannover
Quellen
Kulle, Robert: Praxisbeispiel Hannover. Quartiersmanagement in Nichtprogrammgebieten. In: Institut für
Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW),
Fachbereich Stadtentwicklung und Wohnungswesen (Hg.): Kommunen und Wohnungsunternehmen gemeinsam für das Quartier – das Beispiel Dortmund-Clarenberg. Dokumentation der Veranstaltung am
30. November 2006.
Kulle, Robert: Quartiersmanagement. Sozialräumliche Arbeit für stabile Nachbarschaften. Folie 4.
Präsentation gehalten am 22. 2. 2011. Online abrufbar: http://www.gesundheit-nds.de/generationendialog/
PDF/nmks11_kulle.pdf (Zugriff am 8. 1. 2013)
Präsentation und Input von Robert Kulle beim Expertenworkshop, am 12. 11. 2012 in Mannheim
Links
http://www.canarisweg.de/index.php?id=2 (Zugriff am 8. 1. 2013)
http://www.hannover.de/de/buerger/verwaltungen/dez_fb_lhh/dezernate_fachbereiche_LHH/fa_plane/
sta_wohn/index.html (Zugriff am 8. 1. 2013)
http://www.hannover.de/de/umwelt_bauen/bauen/stadtteilleitbi/leitbilder/index.html (Zugriff am 8. 1. 2013)
117 Vgl. Kulle, 2006, S. 33
118 E-Mail-Austausch mit Robert Kulle, 8. 11. 2012
http://www.hannover.de/de/buerger/entwicklung/stadtentwicklung/sta_ges/stew_pro/index.html
(Zugriff am 8. 1. 2013)
4.1 Software Hannover
83
4.1.2
Offenburg
Stadtteil- und Familienzentren und Rahmenplanung Albersbösch
A) Basisdaten
Kommune
Offenburg
Bundesland
Baden-Württemberg
Einwohner (31. 12. 2011) 119
59.283
Gemeindetyp
Große Kreisstadt
Demografietyp (Bertelsmann)
mittelgroße Kommune geringer Dynamik im Umland von Zentren und im ländlichen Raum (Typ 6)
Prognose
2008 – 2030: – 2,0 % (Prognose des Statistischen Landesamtes BW mit Wanderungen)
Anzahl Wohngebäude 120
11.433
Anteil WE in MFH 120
60 %
Projektzeitraum
seit 1990er Jahren Stadtteil- und Familienzentren
2010 – 2011 Rahmenplanung Albersbösch
Initiator/Träger
Evangelische und Katholische Kirche Albersbösch, GEMIBAU, Stadt Offenburg
Kooperationspartner/
sonstige Beteiligte
– GEMIBAU Mittelbadische Baugenossenschaft eG
– Planungsbüro Lehen drei
– Wohnungseigentümer und Bewohner des Stadtteils Albersbösch
Finanzierung
– Stadt Offenburg
– Förderprogramm „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ des Ministeriums für Umwelt,
Naturschutz und Verkehr
Ausgangslage /Probleme
– zunehmende Defizite im Stadtteil Albersbösch (1960er Jahre): Sanierungsstau,
fehlende Freiraumqualitäten, mangelnde Verknüpfung etc.
– Anfrage der GEMIBAU für Neubauprojekt
Maßnahmen /Strategien
– Schaffung von informeller Planungsgrundlage
– Ermittlung von Potenzialen für Innenentwicklung
Albersbösch – Stadtteilzentrum
84
4 Fallstudien
B) Kontext / Rahmenbedingungen
Die Große Kreisstadt Offenburg liegt im Westen von Baden-Württemberg zwischen Karlsruhe und Freiburg im Breisgau und bildet laut dem Landesentwicklungsplan ein Oberzentrum in der Region Südlicher Oberrhein. Das Stadtgebiet gliedert sich in elf Stadtteile,
die als einst eigenständige Gemeinden im Zuge der Gebietsreformen in den 1970er Jahren
nach Offenburg eingegliedert wurden. Die Siedlungsstruktur ist von der Kinzig und der
Bahntrasse, die in Nord–Süd-Richtung durch den Ort führen, geprägt. In wirtschaftlicher
Hinsicht profitiert Offenburg vom Sitz des Burda-Verlags sowie von weiteren größeren
Unternehmen und verzeichnet einen Pendlerüberschuss von ca. 15.000 (2011). Verkehrstechnisch ist Offenburg gut angebunden (A5 in ca. 5 km Entfernung) und hat einen ICEHalt sowie einen wichtigen Umsteigebahnhof. Offenburg verfügt über eine Hochschule
mit 3.800 Studenten. Das Statistische Landesamt Baden-Württemberg prognostiziert zwischen 2008 und 2030 eine Schrumpfung um ca. 2 Prozent. Offenburg hat einen Wohnungsbestand von 28.300 Wohneinheiten – über 40 Prozent der Wohnungen liegen in
Mehrfamilienhäusern.
Der im Rahmen der Fallstudienuntersuchung betrachtete Stadtteil Albersbösch wurde
überwiegend in den 1950er und 1960er Jahren errichtet und bot vor allem Flüchtlingen
ein neues Zuhause. Der Stadtteil ist durch verkehrliche Barrieren vom restlichen Siedlungsgebiet getrennt und durch die damit verbundenen Lärmemissionen beeinträchtigt
(Bahntrasse, Autobahnzubringer, Bundesstraße). Das Gebiet umfasst ca. 64 ha und ist von
viergeschossigen Zeilenbauten mit Satteldach, vereinzelten Wohnhochhäusern sowie Reihen- und kleinen Mehrfamilienhäusern an den Rändern geprägt. Zwischen den Gebäuden
befinden sich zum Teil sehr große Grünflächen. Im Jahr 2010 lebten ca. 3.370 Menschen
im Bearbeitungsgebiet (1965: ca. 5.000 Einwohner), 29 Prozent der Bewohner waren älter
als 65 Jahre. Das Quartier weist verschiedene Defizite auf: Sanierungsstau im Gebäudebestand, unzeitgemäße Wohnungsgrundrisse, fehlende Freiraumqualitäten und -angebote,
leerstehende Ladenlokale, etc. Die ersten aufgesiedelten Teile sind charakteristisch für den
Städtebau der unmittelbaren Nachkriegszeit, während die späteren Bereiche mit ihrem
großzügigen Erschließungssystem und unterschiedlichen Gebäudetypen dem Prinzip der
autogerechten und aufgelockerten Stadt folgen.
C) Projektbeschreibung und Akteure
Stadtteil- und Familienzentren als Besonderheit in Offenburg
119 Website: https://www.destatis.de/cgi-bin/
gv2000_suche.pl (Zugriff am 12. 12. 2012)
120 Website: https://www.regionalstatistik.de/
genesis/online/logon (Zugriff am 8. 1. 2013)
121 Vgl. Stadt Offenburg, 1996, S. 5
In Offenburg gibt es seit den 1990er Jahren auf der Ebene des Stadtteils besondere Einrichtungen – die so genannten Stadtteil- und Familienzentren in Trägerschaft der Stadt Offenburg, Fachbereich Bürgerservice und Soziales. Die Idee der „Stadtteil- und Familienzentren“
ist bereits im Jahr 1989 im Zuge des kommunalpolitischen Programms „Kinder- und
Familienfreundliches Offenburg“ entstanden. Die Konzeption der Offenburger Stadtteilund Familienzentren basiert auf dem Ziel einer generationenübergreifenden sozialen
Arbeit.121 Im September 1993 wurde dann im Stadtteil Uffhofen das erste Stadtteil- und
Familienzentrum eröffnet. Nachdem in diesem sozialen Brennpunkt die Realisierung
eines „Hauses der Begegnung“ für Jugendliche und Erwachsene aus finanziellen Gründen
gescheitert war, wurde alternativ die Kindertagesstätte zu einem multifunktionalen sozialen Dienstleistungszentrum ausgebaut. Angesichts der positiven Erfahrungen wurden wei4.1 Software Offenburg
85
tere derartige Zentren geschaffen – auch in Albersbösch. „Die in den unterschiedlichen
Handlungsfeldern Gemeinwesenarbeit, offene Kinder- und Jugendarbeit und Kindergarten / Kindertagesstätte zugrunde gelegte ganzheitliche und systematische Sichtweise und
der in den Handlungsfeldern praktizierte Stadtteilbezug ließ es naheliegend erscheinen,
diese Handlungsfelder kommunaler sozialer Dienstleistung nicht nur durch Kooperationen miteinander zu verknüpfen, sondern sie in einer für Offenburg neuen Qualität von
Ganzheitlichkeit, Sozialraum- und Lebensweltorientierung institutionell zusammen zu
fassen.“122 Die Zentren schaffen Kontakte zwischen den Bewohnern und den Institutionen
aus den Bereichen Wohnungsbau, Kultur, Planung, Stadtentwicklung und Soziales als
auch Institutionen und Vereinen, die im Stadtteil tätig sind. Bei diesen Zentren handelt es
sich um multifunktionale Orte der Begegnung für alle Menschen im Stadtteil. Sie vereinen
sozialpädagogische Kinder-, Jugend-, Erwachsenen- und Gemeinwesenarbeit und fördern
so bürgerschaftliches Engagement und nachbarschaftliche Kontakte. „Ziel für alle Stadtteil- und Familienzentren ist die Erhaltung, Förderung bzw. Entwicklung eines vielfältigen und attraktiven Gemeinschaftslebens möglichst aller Menschen im Stadtteil, das auf
Dialog und Solidarität gegründet ist und möglichst durch Eigeninitiative der BewohnerInnen getragen wird.“123 Die Zentren haben heute fünf wesentliche Aufgaben, die dem Ziel
der Selbstorganisation der Stadtteilbewohner dienen: 1. Aktivierung der Bewohner, 2. Vernetzung, 3. Integration, 4. Bildung, Erziehung und Betreuung, 5. Förderung der lokalen
Ökonomie.
Die Stadtteil- und Familienzentren versuchen bei den Bewohnern das Interesse für
Stadtteilentwicklung zu wecken. Sie verstehen sich als Motor für bürgerschaftliches Engagement im Stadtteil. Sie sind Schnittstelle zwischen Bewohnern und Verwaltung und zielen auf eine Selbstorganisation ab. Zur Aktivierung und Beteiligung der Bürger werden
verschiedene Methoden angewendet: Stadtteilkonferenzen, Zukunftswerkstätten, Befragungen, etc. Eine wichtige Funktion übernehmen die Stadtteilkonferenzen, die seit den
1990er Jahren die Stadt Offenburg (Fachbereich Bürgerservice und Soziales) zwei Mal
jährlich als ein Treffen von Organisationen, Initiativen und Gruppen aus dem jeweiligen
Stadtteil initiiert. Je nach Thema und Bedarf werden Vertreter von Behörden oder anderen
betroffenen Organisationen dazu geladen. Die Stadtteilkonferenzen entwickelten sich im
Laufe der Jahre zu festen Institutionen im Stadtteil und zeichnen sich durch eine hohe
Beteiligung aus.124
Die Arbeit der Stadtteil- und Familienzentren zielt darauf ab, sämtliche lokalen Akteure
zu effektiven Kooperationen zu vernetzen und Selbstorganisationskräfte zu mobilisieren.
Dafür sind sowohl feste Strukturen (Stadtteilkonferenz, Stadtteilteam) als auch projektgebundene Zusammenschlüsse (Bildung von Arbeitskreisen) notwendig. Die Offenburger
Stadtteil- und Familienzentren eröffnen den Bewohnern eine größtmögliche Beteiligung
bei der Gestaltung ihres Lebensumfeldes und leisten einen wichtigen Beitrag zur Integration aller gesellschaftlichen Gruppierungen. Die einzelnen Stadtteil- und Familienzentren
haben eine ähnliche Grundstruktur, reagieren aber unterschiedlich auf die jeweiligen sozialräumlichen Bedarfslagen vor Ort.125 Im Jahr 1995 wurde in Albersbösch ein Stadtteil- und Familienzentrum eröffnet, das bewusst an der Nahtstelle zwischen dem bestehenden Nachkriegsgebiet und einem Neubaugebiet (Kreuzschlag) positioniert wurde, um
das Zusammenwachsen der Gebiete zu fördern. Im Laufe der Zeit haben sich die Schwerpunkte und Herausforderungen in Albersbösch verändert – heute bestehen wichtige Aufgaben in der Integration, Weiterentwicklung der Stadtteilkultur und Bildung.126
Rahmenplanung Albersbösch
Im Laufe der Jahre wurden einige Sanierungsmaßnahmen in Albersbösch durchgeführt.
Dennoch besteht in manchen Bereichen des Stadtteils ein umfassender Neuordnungsbedarf. Die Stadt Offenburg stellte aus Anlass zweier Anfragen eine städtebauliche Rahmenplanung als Grundlage für eine Bebauungsplanänderung auf: Die beiden in Albersbösch
ansässigen Kirchen (evang. / kath.) hatten bei der Stadt nachgefragt, welche Entwicklungs86
4 Fallstudien
oben: Familienzentrum in der Offenburger
Innenstadt
rechts: Organisationsstruktur der Stadtteilund Familienzentren in Offenburg
122 Stadt Offenburg, 1996, S. 7
123 Ebenda, S. 9
124 Vgl. Becker, 2003, S. 163;
vgl. Stadt Offenburg, 2007, S. 6
125 Vgl. Stadt Offenburg, 2007, S. 7–8
126 Vgl. Website: http://www.sfz-offenburg.de/html/
albersboesch712.html (Zugriff am 27. 8. 2012);
vgl. Stadt Offenburg, 2007, S. 12–13
127 Stadt Offenburg, Beschlussvorlage, 2010, S. 4
128 Vgl. Stadt Offenburg, Beschlussvorlage, 2012;
vgl. Website: http://ratsinfo.offenburg.de/buergerinfo/
_frame.php?go=3 (Zugriff am 12. 12. 2012)
potenziale im Rahmen von Geländeverkäufen bestehen. Die ortsansässige Genossenschaft
GEMIBAU hatte eine Anfrage gestellt, auf einem ungenutzten städtischen Grundstück
und einem bisherigen Garagenhof eine Wohnbebauung zu errichten. Ziel der Stadt war es,
die geplanten Einzelmaßnahmen in ein Gesamtkonzept zu integrieren und kurzfristig
Baurecht zu schaffen. Infolge der Auflösung eines Kindergartens sollten weitere Flächen
einer neuen Nutzung zugeführt werden. In der Beschlussvorlage für den Gemeinderat ist
diesbezüglich Folgendes zu lesen: „Als Vorbereitung für die Bebauungsplanung sollen die
kurzfristigen, aber auch die mittel- und langfristigen Entwicklungspotenziale des Stadtteils ermittelt und die Perspektiven für dessen zukünftige Nutzung aufgezeigt werden. Das
soll durch die Erstellung eines Rahmenplans erfolgen, der die Grundlage für die Änderung des Bebauungsplanes darstellt. Dieser soll unter Beteiligung der Bürgerschaft und
Bürgervereins entstehen. […] Ein solcher Rahmenplan wurde bereits für die Nordweststadt von Offenburg erstellt und hat sich dort als Planungsinstrument und Diskussionsgrundlage für die Stadtteilentwicklung bewährt. Mit dem Rahmenplan kann eine erste
Grundlage geschaffen werden, um im Anschluss den Bebauungsplan zu ändern und
dadurch weitere Bebauungsplanmöglichkeiten im Gebiet zu schaffen.“ 127 Im Oktober
2010 hat der Gemeinderat der Stadt Offenburg beschlossen, für den östlichen Bereich des
Stadtteils Albersbösch einen Rahmenplan zu entwickeln. Dieser Plan sollte Nutzungsmöglichkeiten für die ungenutzten Grundstücke entwickeln und die Planungen der einzelnen
Beteiligten wie der GEMIBAU in ein städtebauliches Gesamtkonzept für die mittel- und
langfristige Weiterentwicklung des Stadtteils Albersbösch integrieren.
Die Erarbeitung des Rahmenplanes wurde durch das Förderprogramm „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ des Umweltministeriums Baden-Württemberg gefördert.
Die Bearbeitungsphase dauerte ca. zehn Monate. Mit der Erstellung des Rahmenplanes
wurde nach einem Auswahlverfahren das Stuttgarter Planungsbüro Lehen drei beauftragt.128
4.1 Software Offenburg
87
Die Hintergründe für die Erarbeitung des Rahmenplanes waren vielfältig: Neuordnungsbedarf im Wohnbau, Strukturwandel der Kirchengemeinde, Stärkung der Infrastruktur,
demografischer Wandel, Innenentwicklungs- und Nachverdichtungspotenzial, Zukunftssicherung des Stadtteils.129 Ziel war es, eine informelle, qualitätsvolle Planungsgrundlage
für die verschiedenen Projektumsetzungen zu schaffen und vorhandene Baulandreserven
zu aktivieren, um so den Stadtteil als attraktiven Wohnstandort zu sichern. Die Themen
„Innenentwicklung“, „demografischer Wandel“ sowie „Möglichkeiten der Bestandsentwicklung“ wurden dabei umfassend berücksichtigt.130 „Als informelles Planungsinstrument
dient der Rahmenplan den politischen Gremien und der Stadtverwaltung als Leitfaden für
die jeweils zu konkretisierenden Planungsaufgaben. Damit sind sowohl die Weiterentwicklung der verbindlichen Bauleitplanung in bedarfsgerechten Schritten, als auch die
Realisierung von Einzelmaßnahmen in ein Gesamtkonzept eingebunden, das auf breitem
politischen und gesellschaftlichen Konsens beruht.“ 131 Die Erstellung des Rahmenplanes
setzt sich aus fünf Bausteinen zusammen: Bestandsaufnahme, Bürgerbeteiligung, städtebaulicher Entwurf, Maßnahmenkatalog und Gliederung der Maßnahmen in Entwicklungsstufen.
Ablauf der Erarbeitung des Rahmenplanes:
– Anfrage der GEMIBAU als Auslöser für Überlegungen hinsichtlich der weiteren
Entwicklung des Stadtteils
– Gemeinderatsbeschluss
– Beauftragung eines externen Büros
– Bestandsaufnahme, Ortsbegehung > Begutachtung der städtebaulichen Situation
– Ergänzende Abstimmungsgespräche mit der GEMIBAU und den Kirchengemeinden
– Zusammenfassung der Ergebnisse als Grundlage
– Erarbeitung des Maßnahmenkatalogs und eines städtebaulichen Konzeptes / Entwurfs
– Gliederung der Maßnahmen in Entwicklungsstufen
– parallel dazu: Bürgerbeteiligung
Um die wichtige Unterstützung der Bürger für das Vorhaben zu gewinnen, wurden in der
Bearbeitungsphase zwei Beteiligungsveranstaltungen organisiert, die gut besucht waren
und deren Ergebnisse in die Planung einflossen. Die Moderation einer Veranstaltung
übernahm das in Albersbösch ansässige Stadtteil- und Familienzentrum. Die Ergebnisse
88
4 Fallstudien
Der ruhende Verkehr dominiert das Wohnumfeld.
unten: Albersbösch – üppige Freiflächen
in der aufgelockerten Bebauungsstruktur
der Bürgerveranstaltungen dienten der Überprüfung der Analyse und Planungen. Alle
Belange der Bürger wurden abgewogen und berechtigte Vorschläge in den Rahmenplan
eingearbeitet. Der Beteiligungsprozess sollte auch nach der Verabschiedung des Rahmenplanes weitergeführt werden. Durch die Beteiligung sollte Transparenz geschaffen, die
Arbeitsschritte und Schwerpunkte vermittelt, die Bewohnervorstellungen einbezogen und
die Akzeptanz des Rahmenplanes erhöht werden. Nach der zweiten Bürgerveranstaltung
hing der Rahmenplan drei Wochen lang im Stadtteil- und Familienzentrum aus und stand
auf der Website der Stadt zum Herunterladen bereit.
Der Rahmenplan
129 Vgl. Stadt Offenburg, Rahmenplan Albersbösch,
2011, S. 5
130 Vgl. ebenda, S. 5
131 Ebenda, S. 6
132 Ebenda, S. 34
133 Ebenda, S. 34
134 Ebenda, S. 49
Städtebauliches Ziel des Rahmenplanes war es, defizitäre Bereiche neu zu ordnen, den
Bestand zu ergänzen und dadurch neue Wohnangebote zu schaffen. „Der Rahmenplan
dient so allen Beteiligten als flexibler Fahrplan zur nachhaltigen Stadtentwicklung in
Albersbösch und ermöglicht der Stadt Offenburg eine wirtschaftliche und ausgewogene
Entwicklung.“ 132 Folgende vier Leitziele wurden verfolgt: „1. Erhalt der typischen Siedlungsstruktur und des durchgrünten Charakters, 2. Erweiterung der Wohnungsangebote
durch Erneuerung im Bestand, behutsame Nachverdichtung und qualitätsvolle Nutzung
der Baulandreserven, 3. Aufwertung der öffentlichen Räume und Verbesserung der Aufenthaltsqualitäten sowie Erweiterung der Aufenthaltsangebote für die alle Bewohnergruppen (insbesondere Kinder und Senioren), 4. Entwicklung vom autogerechten Straßennetz
zu einem bewohnerorientierten Erschließungssystem für gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer.“ 133
Auf der Grundlage der Bestandsanalyse, der definierten Leitziele und der Beteiligungsveranstaltungen wurde ein Maßnahmenkatalog bzw. „Projektspeicher“ entwickelt, der nach
fünf Themen (1. Bebauungsstruktur, 2. Erschließung, Verkehr und öffentlicher Raum,
3. Frei- und Grünraum, 4. öffentliche und private Infrastruktur, 5. Lärmschutz) systematisiert wurde und keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Die 35 entwickelten Maßnahmen wurden dann in Abhängigkeit von Handlungsbedarf, Umsetzungsmöglichkeit,
Wirtschaftlichkeit und Einbindung in die Gesamtplanung in drei zeitliche Stufen sowie
eine weitere Entwicklungsstufe mit wünschenswerten Maßnahmen aufgeteilt (Stufe 1: bis
zu fünf Jahre, Stufe 2: bis zu zehn Jahre, Stufe 3: ab zehn Jahre, Stufe 4: weitere Entwicklungspotenziale). „Damit ist eine thematisch und inhaltlich integrierte Entwicklung des
Stadtteils in Abstimmung von privaten Notwendigkeiten (Wohnungsverwaltungen,
Kirchengemeinden, Unternehmen und Privateigentümern) und öffentlichen Interessen
(Sicherheit, Investitionen, Förderprogramme) sichergestellt.“ 134 Die Umsetzung von
öffentlichen Aufgaben hängt von der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln bzw. von Entscheidungen des Gemeinderats ab; private Maßnahmen obliegen den Eigentümern.
In städtebaulicher Hinsicht sieht der Rahmenplan vor, die Bebauungsstruktur als
durchgrünter Stadtteil mit großen Grundstücken zu erhalten. Beispielsweise ist vorgesehen, einige bestehende Gebäude durch Neubauten zu ersetzen oder Restflächen nachzuverdichten, um neue Wohnangebote zu schaffen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen
betreffen vor allem freie Grundstücke und Nachverdichtungspotenziale. Die Rahmenplanung Albersbösch besteht aus einem Planwerk und einem Erläuterungsbericht. Die
Ausarbeitung wurde dem Gemeinderat zur Beschlussfassung vorgelegt und als städtebauliches Entwicklungskonzept gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB beschlossen. Im Februar 2012
wurde die Änderung des Bebauungsplanes Albersbösch vom Gebäuderat beschlossen, um
die Maßnahmen des städtebaulichen Rahmenplanes planungsrechtlich umzusetzen. Das
Projekt der GEMIBAU (48 Wohneinheiten und eine Praxis) wurde im Sommer 2012
begonnen. Im Frühjahr 2014 sollen die Wohnungen bezugsfertig sein. Für beinahe alle
Wohnungen gibt es Reservierungen, bis auf wenige Wohneinheiten (Penthäuser im Dachgeschoss). Alle umliegenden Bestandsgebäude wurden modernisiert. Der abgebrochene
Garagenhof wurde in reduzierter Form neu errichtet.
4.1 Software Offenburg
89
oben: Bestandsplan Albersbösch
rechts: Rahmenplan Albersbösch, Lehen drei
Architekten und Stadtplaner, Stuttgart
unten: Bürgerbeteiligung, Erarbeitung
Rahmenplan
90
4 Fallstudien
Wohnanlage am Stadtwald, GEMIBAU Offenburg
4.1 Software Offenburg
91
D) Finanzierung
Die Erarbeitung des Rahmenplanes kostete 42.000 Euro. Die Hälfte dieses Betrags wurde
im Rahmen des Förderprogramms „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ des
Ministeriums für Umweltschutz, Naturschutz und Verkehr Baden-Württemberg getragen.
E) Besonderheiten und Übertragbarkeit
Die Rahmenbedingungen bzw. Defizite im Stadtteil Albersbösch sind beispielhaft für den
Wohnungsbau der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Auch wenn es sich um ein relativ großes
Gebiet handelt, so scheinen die Problemstellungen und Strategien durchaus auch auf die
kleineren Quartiere übertragbar. Die strategische Vorgehensweise bei der Erstellung des
Rahmenplanes hat Vorbildcharakter und kann in vielen Punkten auch auf andere, kleinere Quartiere übertragen werden. Ein erster wichtiger Schritt besteht darin, dass bei der
Änderung des Baurechts keine Einzelfalllösung angestrebt wurde, sondern die Chance
erkannt und genutzt wurde, den ganzen Stadtteil zu betrachten und weiterzuentwickeln.
Als sehr zielführend kann die Zusammenarbeit der Gebäudeeigentümer und der Stadt bei
der Erstellung des Rahmenplanes bewertet werden. Die Ideen und Vorstellung der beiden
Akteure konnten so erfasst sowie aufeinander abgestimmt werden und schließlich noch
den „prüfenden Blicken“ der Bewohner unterzogen werden. Positiv ist der zweistufige
Beteiligungsprozess hervorzuheben, bei dem die Bürger ihre Anregungen und Stellungnahmen zunächst im Rahmen der Chancen- und Defizitanalyse sowie später zu den Maßnahmen des Rahmenplanvorentwurfs äußern konnten.
Derzeit gibt es noch keine Erfolgskontrolle, da die Umsetzung des Rahmenplanes gerade
erst begonnen hat. Es ist geplant, die Ergebnisse zu einem späteren Zeitpunkt zu evaluieren.
Die Baumaßnahmen der GEMIBAU werden von der Bevölkerung bisher sehr positiv aufgenommen. Die Planungen der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft, auf einem Spielplatz Reihenhäuser zu errichten, stießen auf Protest in der Bevölkerung. Bisher wurden
keine weiteren Entscheidungen gefällt, da das Projekt keine besondere Priorität für die
Stadtentwicklung hat.
Auch wenn der Rahmenplan keine zwingenden Vorgaben festlegt, so kann doch davon
ausgegangen werden, dass die Ziele zumindest in den Grundzügen von allen Beteiligten
verfolgt werden. Mit dem Rahmenplan wurde eine konkrete Perspektive für die zukunftsfähige Entwicklung des Stadtteils Albersbösch entworfen. Durch diese übergeordnete,
informelle Planung eröffnet sich die Chance, die künftige Entwicklung parzellenübergreifend zu steuern und aufeinander abzustimmen. Sehr sinnvoll erscheint es, die vorgeschlagenen Maßnahmen in mehrere Entwicklungsstufen aufzuteilen. So wird aufgezeigt,
wie sich der Stadtteil kurz-, mittel- und langfristig verändern kann. Künftige Entscheidungen der verschiedenen Akteure wurden jedoch nicht vorweggenommen. Ein nicht zu
unterschätzender Erfolgsfaktor bei der Erstellung war sicherlich auch der Zwang bzw. der
Erfolgsdruck, der durch die Aufnahme in das Förderprogramm entstanden ist, und auch
die finanzielle Förderung.
Eine große Schwäche liegt allerdings momentan darin, dass die Stadt nicht ausreichend
Mittel hat, um auch zeitnah Maßnahmen umzusetzen und das entstandene Engagement
aufrecht zu erhalten. Die Stadt plant, den städtebaulichen Rahmenplan als Grundlage für
die Beantragung von Fördermitteln zu nutzen, sofern es in den nächsten Jahren ein geeignetes Förderprogramm des Landes geben sollte. Damit bestätigt sich, dass ohne entsprechende Förderungen – trotz sinnvoller Konzepte – Maßnahmen nur schwer realisierbar
sind.
Nicht nur im Hinblick auf die Wohnquartiere der 1950er bis 1970er Jahre lohnt es sich,
einen Blick auf die Offenburger Stadtteil- und Familienzentren zu werden. Diese Einrichtungen, die mittlerweile fast 20 Jahre in Offenburg bestehen, sind zu fixen Orten der
Beteiligung und zu Kümmerern vor Ort geworden. Durch sie gelingt es, Bewohner zu aktivieren und für die Belange des Stadtteils zu sensibilisieren. Vorbildlich ist die Strategie, in
den Zentren Betreuungs-, Beratungs- und sonstige Dienstleistungsangebote zu vereinen.
92
4 Fallstudien
Durch die verschiedenen Angebote können die Identifikation der Bewohner mit ihrem
Stadtteil, Solidarität der Bewohner untereinander, Integration aller Bevölkerungsteile
sowie das öffentliche Engagement gestärkt werden. Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Probleme infolge des demografischen Wandels kann die Stadt Offenburg
heute auf funktionierende Strukturen zurückgreifen, um die Lebensqualität der Bewohner
kleinräumig zu sichern. Die Stadtteil- und Familienzentren haben sich zu unverzichtbaren
Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungseinrichtungen in Offenburg entwickelt. Gerade in
Albersbösch leistet das Stadtteil- und Familienzentrum einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Stadtteils, zur Förderung des Gemeinwesens und zur sozialen Stabilisierung.
Die regelmäßig durchgeführten Stadtteilkonferenzen sichern einen „direkten Draht“ zwischen der Verwaltung und den Akteuren vor Ort. Bei diesen Veranstaltungen wird aus
dem Alltag heraus über Schwierigkeiten und Belange des Stadtteils berichtet, die Verwaltung erhält direkten Einblick – dies stellt eine durchaus sinnvolle Alternative zur Auswertung von statistischen Daten oder zur Durchführung von Bewohnerbefragungen dar. Die
Kommunikation im Wohngebiet und die Eigeninitiative werden aktiviert und die wichtige
Vernetzung zwischen den Akteuren hergestellt. Die Arbeit bzw. Ziele der Stadtteil- und
Familienzentren können als präventiv eingestuft werden, da sie sich vor der Entstehung
von Problemen in den Quartieren um die Schaffung und Erhaltung von stabilen Verhältnissen und die Sicherung der Lebensqualität kümmern.
Quellen
Stadt Offenburg: Rahmenplan Albersbösch. Bearbeitung: Lehen drei Freie Architekten und Stadtplaner,
Matthias Schuster, 21. 10. 2011.
Stadt Offenburg, Fachbereich Bürgerservice und Soziales: Konzeption der Offenburger Stadtteil- und
Familienzentren. Stand 2007.
Becker, Martin: Lebensqualität im Stadtquartier. Evaluationsstudie über die Stadtteil- und Familienzentren
in Offenburg. Dissertation. 2003.
E-Mail-Austausch mit Dr. Fred Gresens, GEMIBAU Offenburg
Links
http://www.bo.de/layout/set/print/Lokales/Offenburg/Ja-zur-Vision-Albersboesch (Zugriff am 28. 8. 2012)
http://www.offenblatt.de/html/aktuell/aktuell_u.html?t=&&artikel=7964&cataktuell=3&m=4186
(Zugriff am 28. 8. 2012)
Konzeption der Stadtteil- und Familienzentren
in Offenburg
Website Ratsinformationssystem mit Beschlussvorlage: http://ratsinfo.offenburg.de/buergerinfo/vo0050.
php?__kvonr=1761&voselect=581 (Zugriff am 28. 8. 2012)
4.1 Software Offenburg
93
4.1.3
Potsdam
Arbeitskreis StadtSpuren
A) Basisdaten
Kommune
Potsdam
Bundesland
Brandenburg
Einwohner (31. 12. 2011) 135
158.902
Gemeindetyp
Kreisfreie Stadt
Demografietyp (Bertelsmann)
urbanes Zentrum mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik (Typ 7)
Prognose
Bevölkerung wachsend
angespannter Wohnungsmarkt
Anzahl Wohngebäude 136
18.531
Anteil WE in MFH 136
84 %
Projektzeitraum
1997 Gründung des Arbeitskreises – laufend
Initiator/Träger
Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 eG – pwg (koordinierende Funktion)
Kooperationspartner/
sonstige Beteiligte
– Mitglieder-Unternehmen: kommunale GEWOBA Wohnungsverwaltungsgesellschaft Potsdam mbH;
GWG Bauverein Babelsberg eG; Gewoba eG Babelsberg; Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft e.G.; Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 eG; Studentenwerk Potsdam;
Wohnungsbaugenossenschaft 1903 Potsdam eG; Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ Potsdam eG
– Koordination: Projektkommunikation Hagenau GmbH
– Stadt Potsdam
– Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr
Finanzierung
– ca. 60.000 – 70.000 Euro / Jahr
– getragen von den beteiligten Unternehmen (differenziert nach Anteilen der WE)
Ausgangslage /Probleme
– entstanden in Vorbereitung der Bundesgartenschau (BUGA) 2001 in Potsdam
mit dem Ziel: systematische Verbesserung des Stadtbildes an ausgesuchten Stellen
– kaum Zusammenarbeit zwischen den Wohnungsmarktakteuren
– zunehmende städtebauliche Defizite in den Stadtquartieren
Maßnahmen /Strategien
– Fortführung der Kooperation
– Gründung des Arbeitskreises StadtSpuren
– Überwindung der Konkurrenz durch Kommunikation und Kooperation
– konzertierte Vorgehensweise bei Entwicklung von Wohnquartieren
– Schwerpunkt: Senkung der Wohn(neben)kosten, hohe Qualität der Stadtgestaltung
– gemeinsame Stimme gegenüber Stadtverwaltung und sonstigen Einrichtungen
94
4 Fallstudien
B) Kontext / Rahmenbedingungen
Potsdam, Zentrum-Ost (oben) und Bebauung
„Am Stern“ (darunter) – sanierte Bestände und
aufgewertetes Wohnumfeld
Die Landeshauptstadt Potsdam entwickelte sich nach dem tiefgreifenden wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Wandel 1990 im Gegensatz zu vielen anderen Kommunen positiv.
Die Stadt profitiert insbesondere von ihrer Nähe zu Berlin und von gezielten Standortentscheidungen des Bundes und des Landes Brandenburg im Bereich Hochschule und Wissenschaft. Potsdam ist als Wohnstandort sehr beliebt. In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach Wohnungen entgegen dem allgemeinen Trend in Ostdeutschland spürbar angestiegen. Die Folgen sind steigende Mieten und eine Knappheit bei preisgünstigen
Wohnungen für schwächere Einkommensschichten.137 Seit dem Jahr 2007 liegt ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept als wichtiges Steuerungsinstrument vor.138
Bis Ende der 1990er Jahre verlor Potsdam an Bevölkerung. Seit 2000 steigt die Bevölkerungszahl (1998 – 2007: von 139.823 auf 150.833 bzw. 7,9 Prozent). Für Potsdam wird eine
weiter steigende Bevölkerung v. a. aus Wanderungsgewinnen, aber auch aus einer leicht
positiven Geburtenbilanz prognostiziert. Der Wohnungsbestand von rund 80.500 Wohnungen befindet sich zu 85 Prozent in Mehrfamilienhäusern. Die meisten Wohnungen
wurden zu DDR-Zeiten gebaut. Elf Prozent des Wohnungsbestandes wurden von 1949 bis
1970 und 36 Prozent der Wohnungen von 1971 bis 1990 (vor allem in Plattenbauweise)
errichtet. Der Potsdamer Wohnungsmarkt ist sehr angespannt; es gibt nur sehr vereinzelt
Leerstand, der sich vor allem auf die unsanierten Altbauten konzentriert. Die Versorgung
mit preisgünstigem Wohnraum erfolgt vor allem über Plattenbauwohnungen, die bei gleicher Ausstattung und gleichem Sanierungsstand die niedrigsten Mieten aufweisen. Steigende Wohnnebenkosten tragen ebenso wie die zunehmenden Nettokaltmieten zum
Anstieg der gesamten Wohnkosten bei.139 Angesichts der steigenden Kosten für das Wohnen wurde in der Stadtverordnetenversammlung im September 2011 beschlossen, ein
wohnungspolitisches Konzept erarbeiten zu lassen, in dem sich Experten mit der Frage der
Sicherung bezahlbaren Wohnraumraus auseinander setzen sollen.140 Der Bericht zum
wohnungspolitischen Konzept Potsdam 22 wurde Anfang 2013 vorgelegt.
C) Projektbeschreibung und Akteure
135 Website: https://www.destatis.de/cgi-bin/
gv2000_suche.pl (Zugriff am 12. 12. 2012)
136 Website: https://www.regionalstatistik.de/
genesis/online/logon (Zugriff am 10. 12. 2012)
137 Vgl. Stadt Potsdam / complan, 2007, S. 5–10
138 Vgl. Stadt Potsdam / complan, 2007
139 Vgl. Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik
GmbH (IfS), 2009, S. 30, 52–53
140 Vgl. Website: http://www.pnn.de/potsdam/
582942/ (Zugriff am 12. 12. 2012)
141 Vgl. Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik
GmbH (IfS), 2009, S. 198
In Potsdam gibt es bereits seit mehreren Jahren verschiedene Kooperations- und Kommunikationsstrukturen zwischen der Stadt und der Wohnungswirtschaft. Dabei werden
generelle Themen regelmäßig erörtert und es besteht eine Basis für konkrete, projektbezogene Abstimmungen. Beispielsweise werden jährlich Fach- und Bürgerforen zur Stadtentwicklung veranstaltet und es gibt einen Jour fixe der Spitze des Geschäftsbereichs Stadtentwicklung und Bauen mit den Wohnungsmarktakteuren. Wichtig ist auch die Bereitstellung von Daten für die Wohnungsmarktbeobachtung durch die Unternehmen des
Arbeitskreises StadtSpuren, der im Folgenden genauer dargestellt wird.141
Der Arbeitskreis StadtSpuren ist 1997 im Rahmen der Vorbereitungen zur Bundesgartenschau 2001 in Potsdam entstanden, als sich einige Wohnungsunternehmen das Ziel
setzten, eigene Beiträge zur BUGA zu leisten. Intensiv unterstützt – bzw. sogar gefordert –
wurde die Kooperation der Wohnungsunternehmen vom Ministerium für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr. Im Jahr 1996 gab es erste Gespräche zwischen den Wohnungsunternehmen, die vom Leiter des für die Wohnungsbauförderung zuständigen Referats im
Ministerium (Referat 32) moderiert wurden. Das Ministerium sah in der Kooperation der
4.1 Software Potsdam
95
Unternehmen eine wichtige Voraussetzung für die Vergabe von Fördermitteln. Bestehende
Fördermöglichkeiten wurden geprüft und auf Bestandsmaßnahmen angepasst. „Zum ersten Mal wurde die wohnungswirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen der Wohnungsbauförderung im Bestand gefördert.“142
Für die gemeinsamen Aktivitäten wurde ein Konzept mit dem Titel „Beiträge der Potsdamer Wohnungsunternehmen zur Bundesgartenschau 2001“ erarbeitet, das darauf abzielte, Wohnungsbestände an den Stadteingängen und in der Innenstadt bis zum Beginn
der Bundesgartenschau zu sanieren. Die „StadtSpuren“ haben sich in den letzten Jahren
zunehmend zum Sprachrohr und zur Interessenvertretung der großen Potsdamer Wohnungsunternehmen entwickelt.
Im Arbeitskreis StadtSpuren schlossen sich ein kommunales und fünf genossenschaftliche Wohnungsunternehmen zusammen. Die schon zuvor bestehende Zusammenarbeit
sollte intensiviert werden und eine neue Qualität erreichen. Bei dem Arbeitskreis handelt
es sich um ein freiwilliges Arbeitsgremium bzw. Kooperationsprojekt von Unternehmen
der sozialen Wohnungswirtschaft (Genossenschaften, kommunales Wohnungsunternehmen). Der Name StadtSpuren wird folgendermaßen begründet: „Mit ‚StadtSpuren‘ verband man vordergründig jene Spuren, die verschiedene Nationen in Potsdam hinterlassen
hatten. […] Spuren hinterlassen in einer toleranten, weltoffenen Stadt.“ 143 Der Arbeitskreis hat ein eigenes Logo, das bei allen Aktivitäten verwendet wird. Zahlreiche Hinweisschilder an Gebäuden markieren die gemeinsam realisierten Projekte.
Die Tätigkeiten des Arbeitskreises konzentrierten sich zunächst auf die Modernisierung
von Gebäuden, auf Neubauten als Bestandsergänzung sowie auf Neugestaltungen der
Außenanlagen. „Durch die Auswahl der einzelnen Wohnquartiere wollte der Arbeitskreis
verlorengegangene historische Merkmale und Spuren wieder sichtbar machen und mit den
Traditionen der Stadt in Verbindung bringen.“ 144 An 20 Standorten entstanden Projekte,
die auf unterschiedliche Weise in die Konzeption zu BUGA eingebunden wurden. Da die
96
4 Fallstudien
Potsdam, Schlaatz – sanierte Wohnhochhäuser
aus den 1970er Jahren
Potsdam West – Gartenseite sanierter Zeilenbau
mit Balkonen
Zusammenarbeit gut funktionierte und die Vorteile erkannt wurden, setzten die Unternehmen ihre Kooperation nach der BUGA fort und der Arbeitskreis steigerte sein Engagement vor allem im Bereich der Aufwertung von Wohnquartieren.
Aktuell zählt der Arbeitskreis folgende acht Mitgliedsunternehmen: kommunale
GEWOBA Wohnungsverwaltungsgesellschaft Potsdam mbH, die GWG Bauverein Babelsberg eG, die Gewoba eG Babelsberg, die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft e.G., die
Potsdamer Wohnungsgenossenschaft 1956 eG, das Studentenwerk Potsdam, die Wohnungsbaugenossenschaft 1903 Potsdam eG und die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“
Potsdam eG. Dabei handelt es sich um sehr unterschiedliche Unternehmen – einerseits
Genossenschaften mit fast hundertjähriger Geschichte oder auch vergleichsweise junge
Unternehmen. Die Unternehmen unterscheiden sich im Alter und der Unternehmensform
und vor allem auch in ihrer Größe. Das größte Unternehmen hat einen Bestand von über
18.000 Wohnungen – das kleinste Mitglied lediglich 310 Wohneinheiten. Für alle Unternehmenstypen entstehen Vorteile aus der Zusammenarbeit. Beispielsweise kann der zahlreich vorhandene Streubesitz der Unternehmen im Rahmen der Kooperation in einen
städtebaulichen Gesamtzusammenhang gebracht werden. Gerade die kleinen Wohnungsunternehmen profitieren von der Zusammenarbeit, indem sich ihre Handlungsfelder und
Einflussmöglichkeiten erheblich erweitern. Aber auch die großen Unternehmen haben
Vorteile. Die Positionen des Arbeitskreises hat gegenüber der Stadt ein besonderes Gewicht,
da sowohl die Interessen der großen als auch der kleinen Unternehmen repräsentiert sind.
Mit rund 40.000 Wohneinheiten, in denen rund 70.000 Menschen wohnen, verfügen die
Unternehmen des Arbeitskreises über 40 Prozent aller Mietwohnungen in der Stadt.145
Der Arbeitskreis zeichnet sich durch Phasen intensiver und weniger intensiver Zusammenarbeit aus. Voraussetzung für einen dauerhaften Erfolg des Arbeitskreises sind stabile
Strukturen und verlässliche Gesprächspartner, die den Wert des gemeinsamen Vorgehens
erkennen und pflegen.146
Philosophie und Ziele
142
143
144
145
146
Arbeitskreis StadtSpuren, 2001, S. 3
Ebenda, 2007, S. 3
Ebenda, 2001, S. 4
Vgl. ebenda, 2001, S. 30–31
Telefoninterview mit Carsten Hagenau,
Projektkommunikation Hagenau, 31. 1. 2013
147 Arbeitskreis StadtSpuren, 2001, S. 24
148 Ebenda, 2007, S. 2
Die Unternehmen haben das Konkurrenzdenken überwunden und sich auf eine Kooperation verständigt. Dem Zusammenschluss liegt der Gedanke zugrunde, dass die Ziele einer
nachhaltigen Stadt- bzw. Quartiersentwicklung nur durch Kooperationen und langfristig
tragfähige Investitionen erreicht werden können. Es wird über die Grenzen des eigenen
Unternehmens hinausgedacht. „Die Grundlage des Arbeitskreises StadtSpuren ist die
Zusammenarbeit, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen: Die positive Stadtentwicklung
Potsdams.“ 147
Der Arbeitskreis StadtSpuren verfolgt das Ziel, in koordinierter und abgestimmter Vorgehensweise die Wohnqualität auf lange Sicht zu verbessern. Kerngeschäfte der Unternehmen sind die soziale Wohnungswirtschaft, Sanierung und Neubau, das Engagement für
die Entwicklung der Stadt, Dienstleistungen und soziales Management. Ein besonderer
Schwerpunkt liegt auf Nachbarschaften und der Förderung eines funktionierenden
Zusammenlebens als Grundvoraussetzung für den sozialen Frieden in der Gesellschaft.
„Die Zusammenarbeit des Arbeitskreises mit anderen – gleich ob es sich um die Stadtverwaltung oder um Wirtschaftsunternehmen handelt – verläuft nicht konfliktfrei. Das kann
sie auch nicht: Zu sensibel ist das Thema Wohnen, zu viele Interessen treffen hier aufeinander. Aber auch in Konflikten macht der Ton die Musik: Die Wohnungsunternehmen
werden auch künftig für Kooperationen und Gespräche jeder Art zur Verfügung stehen.
Als Partner auf gleicher Augenhöhe. Nicht als Bittsteller, sondern als Vertreter legitimer
Interessen. Als Auftragnehmer der Bewohner dieser Stadt.“ 148 Die Unternehmen des
Arbeitskreises versuchen gemeinsam die Frage zu beantworten, welche Anforderungen
künftig an das Wohnen gestellt werden. Dafür werden Workshops oder Wettbewerbe veranstaltet oder die Zusammenarbeit mit Hochschulen und Fachleuten gesucht, um gemeinsam die Herausforderungen und Handlungsansätze zu diskutieren. Wichtige Entscheidungsgrundlagen sind ökologische Aspekte, Kostendeckung und soziale Angemessenheit.
4.1 Software Potsdam
97
Strategien und Maßnahmen in den Bestandsquartieren
Seit Beginn der Kooperation haben die Unternehmen insgesamt 1,6 Milliarden Euro in die
Modernisierung und den Neubau von Wohnungen sowie in die Entwicklung von Wohngebieten investiert.149 Die Modernisierung der Wohnungen erfolgt in enger Abstimmung
der jeweiligen Eigentümer vor Ort und in Kombination mit Maßnahmen im Wohnumfeld.
Auf diese Weise wurden in den letzten Jahren zahlreiche Wohnhöfe umgestaltet, Quartiere
aufgewertet oder die soziale Infrastruktur gestärkt. Die beteiligten Unternehmen verstehen sich nicht mehr nur als klassische Immobilienverwalter. Sie erweiterten ihre Aufgaben
und beziehen auch verstärkt das Wohnumfeld in die Erneuerung ein. Die Unternehmen
werden „mit ihrem Verständnis einer Siedlung als einer geschlossenen Einheit zum Standortentwickler. Hinzu kommt noch: Je mehr sich der Staat zurückzieht, desto mehr Verantwortung entsteht für die Wohnungsunternehmen auch im sozialen Bereich ihrer Wohnviertel.“ 150
Die Wohnungsunternehmen stimmen ihre Aktivitäten aufeinander ab und suchen die
Zusammenarbeit mit weiteren Partnern. Da die Verkehrsanbindung, Kultur, Bildung, die
sozialen Angebote und die Sauberkeit des öffentlichen Raums im Aufgabenbereich der
Kommune liegen, stimmt der Arbeitskreis sich eng mit der Stadt ab. Ebenso wird versucht,
mit Anbietern von Dienstleistungen, Handelseinrichtungen oder anderen Wohnungsmarktakteuren Kontakt und Kooperationen aufzubauen. Die Unternehmen fördern Nachbarschaften und soziale Netzwerke. Dafür arbeiten sie mit sozialen Trägern, Bürgerinitiativen und Schulen zusammen. Sie unterstützen Projekte, Vereine und Veranstaltungen,
Seniorentreffs, Sozialeinrichtungen und spezielle Dienstleistungsangebote.
Der Arbeitskreis denkt über das einzelne Gebäude hinaus und ist bestrebt, städtebauliche Einheiten als Ganzes zu erneuern. Die übergreifende Sichtweise auf die Wohnquartiere ist ein zentraler Bestandteil der Arbeit. „Wenn man wie die StadtSpuren diese Siedlungen als Einheit versteht, wird der Bedarf der gegenseitigen Abstimmung schnell deut98
4 Fallstudien
Attraktive Wohnlagen an der Potsdamer
Havelbucht
lich. Vor allem bei der Gestaltung des Wohnumfeldes, in dem kommunale Flächen und
Flächen der Wohnungswirtschaft aufeinandertreffen, durchkreuzten sich teilweise die
Pläne und behinderten die zügige Sanierung.“ 151 StadtSpuren versucht durch eine qualitativ hochwertige Gestaltung des Stadtbildes auch einen baukulturellen Beitrag zur Stadtentwicklung zu leisten. Ein aktuelles Thema ist die Anpassung der Wohnungen an den
demografischen Wandel. Bei Maßnahmen an den Gebäuden wird stets auch an technisch
innovativen Lösungen für die Energieversorgung gearbeitet. In Potsdam gibt es sehr viele
Wohnungsbestände aus den Nachkriegsjahrzehnten; etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt
dort. StadtSpuren konzentriert sich auf diese Wohnungen und legt einen besonderen Wert
auf die qualitative Entwicklung der Plattenbaugebiete. Der Arbeitskreis bezieht von
Anfang an die Mieter in seine Projekte mit ein, um so auch die Nachbarschaften zu verbessern. Beispielsweise werden die Bewohner bei der Umgestaltung von Freiräumen in
kleineren Wohnanlagen beteiligt. In manchen Projekten haben die Bewohner selber die
Grünflächen angelegt oder Kinder von nahen Kitas die Freiflächen bepflanzt.
Die Wohnungsunternehmen versuchen gemeinsam die steigenden Wohnkosten und
Betriebskosten sowie die Gebühren mit günstigeren Konditionen abzufangen. Beispielsweise haben sich alle Mitglieder gegenüber dem Energieversorger als Vertragspartner
zusammengeschlossen und so Vergünstigungen erreicht. Davon profitieren gerade auch
die kleineren Mitgliedsunternehmen und vor allem die Bewohner.152 Auch bei der Freiraumpflege wurde ein gemeinsames Konzept erarbeitet und ein Anbieter beauftragt, nach
vorgegebenen Standards und Pflegerhythmen die Flächen zu pflegen – dadurch konnten
Kosteneinsparungen sowie Qualitätssteigerungen erreicht werden.
Der Arbeitskreis StadtSpuren betreibt eine intensive Öffentlichkeitsarbeit. Regelmäßig
werden Informationen an die Presse weitergegeben und über Projekte informiert. Zwischen 1997 und 2007 sind mehr als 3.000 Artikel in Zeitungen erschienen, die sich mit der
Tätigkeit der Unternehmen von StadtSpuren beschäftigen. Es wird ein Jahrespressegespräch veranstaltet. Arbeitsergebnisse und Vorhaben werden in öffentlichen Präsentationen vorgestellt. Um in Kontakt mit den Bewohnern zu bleiben und Nachbarschaften
zu fördern, werden Feste in den Wohnquartieren organisiert.
Der Arbeitskreis StadtSpuren wird durch ein externes Büro für Kommunikation und
Projektentwicklung koordiniert. Anfang 2012 ist der alleinige Vorsitzende des Arbeitskreises durch eine dreiköpfige Führungsgruppe abgelöst worden. Durch diese neue
Gruppe sollten die unterschiedlichen Interessen und Aufgaben der kleinen und großen
Unternehmen besser abgebildet werden. „Die Arbeit von StadtSpuren ist in den letzten
Jahren thematisch immer vielfältiger geworden. Hier brauchen wir jetzt mehrere Spezialisten in der ersten Reihe.“ 153
Zusammenarbeit mit der Stadt
149 Vgl. Website: http://www.stadtspuren.com/profil.
html (Zugriff am 16. 1. 2013)
150 Arbeitskreis StadtSpuren, 2001, S. 24
151 Ebenda, S. 32
152 Vgl. StadtSpuren, o. J. (Flyer)
153 Arbeitskreis StadtSpuren: Pressemitteilung vom
19. 1. 2012
154 Vgl. Arbeitskreis StadtSpuren, 2001, S. 7, 32–33
155 Vgl. Arbeitskreis StadtSpuren, 2007, S. 8
Im Jahr 1999 fand ein erstes Arbeitstreffen mit dem damaligen Oberbürgermeister
(Matthias Platzeck) als neuer Weg der Abstimmung statt. Bei diesem sogenannten „Wohnungspolitischen Ratschlag“ vertreten die Unternehmen ihre Positionen im persönlichen
Gespräch mit dem Oberbürgermeister. Das Gremium tagt zweimal jährlich und bietet die
Möglichkeit des offenen Austauschs. Die Nähe der Unternehmen zu den Bewohnern und
deren Problemen kann auch die Stadt für ihre Arbeit nutzen.154
Da die Wohnungsunternehmen viele Millionen in die Aufwertung der Gebäude und
des Wohnumfeldes investieren und so einen großen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten,
treten sie selbstbewusst gegenüber der Stadt auf und fordern Mitsprache bei Planungen
und öffentlichen Investitionen.
Die Unternehmen überlegen gemeinsam, in welchen Quartieren Maßnahmen notwendig sind, und versuchen dann beispielsweise bei der Stadt die Erstellung eines MasterPlanes zu erwirken.155 Der Arbeitskreis unterbreitet der Stadt verschiedene Vorschläge,
die zum Teil auch in Konzepten und Planungen berücksichtigt werden. Auf Vorschlag des
Arbeitskreises findet z. B. jährlich ein Internationales Sommercamp statt, das die Stadtver4.1 Software Potsdam
99
waltung, die Wohnungsunternehmen und die FH Potsdam gemeinsam organisieren. Die
Unternehmen stellen Daten für die Wohnmarktbeobachtung zur Verfügung. Auf Betreiben des Arbeitskreises StadtSpuren wird derzeit ein Wohnungspolitisches Konzept von
der Stadt erarbeitet.
D) Finanzierung
Jährlich fallen Kosten in Höhe von rund 60.000 – 70.000 Euro an. Die Kosten werden
anteilig von den Unternehmen getragen und nach der Zahl der Wohneinheiten (Unternehmensgröße) bemessen.
E) Besonderheiten und Übertragbarkeit
Der Arbeitskreis StadtSpuren ist eines der seltenen Beispiele dafür, wie lokale Wohnungsunternehmen ihr eigenes Konkurrenzdenken überwinden und sich zusammenschließen,
um gemeinsam beim Thema „Wohnen“ Verbesserungen voranzubringen. Dies geschieht
sowohl auf gesamtstädtischer Ebene, als auch kleinräumig bei konkreten Projekten in den
Quartieren. Die Denkweise und Zielsetzung, die einst als Einheiten aufgesiedelten Gebiete
auch als Gesamtheit weiterzuentwickeln, sind vorbildlich und für die Fragestellung der
kleinen Quartiere von großer Bedeutung. Die Unternehmen im Arbeitskreis scheuen nicht
den kurzfristigen Mehraufwand, der sich aus der Abstimmung ergibt, sondern sehen die
Vorteile, die sich langfristig daraus ergeben. „Der Erfolg der vergangenen Jahre wurzelt
in der Bereitschaft der Unternehmen, ihre Verantwortung gegenüber den Bewohnern
Potsdams gemeinsam wahrzunehmen. An die Stelle der Konkurrenz setzen sie die Kooperation. Sie haben sich Gremien und Arbeitsformen geschaffen und eine gemeinsame Sprache gefunden. Das hat den Wettstreit untereinander nicht aufgehoben. Im Gegenteil: Die
Kooperation verbessert die Wirkungsmöglichkeiten der beteiligten Unternehmen und
begünstigt sie im Wettbewerb.“ 156
100
4 Fallstudien
Sanierte Wohnhochhäuser an der Havelbucht –
Wohnen mit Aussicht und besonderen
Lagequalitäten
Ein Erfolgsfaktor der Zusammenarbeit besteht sicherlich darin, dass es sich dabei nur um
Unternehmen der sozialen Wohnungswirtschaft handelt. Im Arbeitskreis sind keine rein
privatwirtschaftlich orientierten Unternehmen vertreten. Eine interessante Frage ist, ob
der Zusammenschluss auch funktionieren würde, wenn der Wohnungsmarkt schrumpfend wäre und somit die Unternehmen in einer stärkeren Konkurrenz um Mieter stehen
würden. Angesichts der drängenden Fragen und der Zukunft des Kooperationsprojektes
stellt der Arbeitskreis treffend fest: „Es bedarf der Zusammenarbeit zwischen der Kommune, den Wohnungsunternehmen und den Fördergebern. Es bedarf der Suche nach
neuen Wegen, neuen Kooperationsformen und sicher auch neuen Verantwortlichkeiten.
Die Wohnungsunternehmen werden ihren Aufgaben auch künftig gerecht werden und
andere an ihre Pflichten erinnern. Dies sind sie ihren Auftraggebern schuldig: den Bewohnern Potsdams.“ 157
Gerade die intensive Beschäftigung mit dem Thema „Wohnkosten“ erscheint sehr wichtig im Hinblick auf die Weiterentwicklung der Bestände. Das Zusammenwirken der Wohnungsunternehmen hat in den vergangenen Jahren viele vorbildliche und hochwertige
Projekte entstehen lassen. Tausende Wohnungen wurden modernisiert, Außenanlagen
umgestaltet und auf diese Weise ganze Quartiere aufgewertet. Es kann als sehr sinnvoll
eingestuft werden, dass viele Aufgaben gemeinsam angegangen werden. So konnte erheblich zur Weiterentwicklung des Potsdamer Wohnungsmarktes beigetragen werden. Interessant ist auch der Ansatz, sich durch den Zusammenschluss eine stärkere Rolle gegenüber
der Stadt und sonstigen Akteuren (z. B. Stadtwerke) zu verschaffen. Die StadtSpuren haben
sich in den letzten Jahren zunehmend zum Sprachrohr und zur Interessenvertretung von
kleinen wie großen Unternehmen sowie von Bewohnern entwickelt. Insbesondere der
Anspruch einer qualitätsvollen Stadtgestaltung bei den Aktivitäten des Arbeitskreises ist
hervorzuheben – die Unternehmen wollen Spuren im Stadtbild hinterlassen.
Ansprechpartner
Arbeitskreis StadtSpuren
c/o PROJEKTKOMMUNIKATION Hagenau GmbH, Carsten Hagenau, Potsdam
Website: http://www.stadtspuren.com
Quellen
Arbeitskreis StadtSpuren (Hg.): Gemeinsam für Potsdam. StadtSpuren – Arbeitskreis der Potsdamer
Wohnungswirtschaft. o. J. (Flyer).
Arbeitskreis StadtSpuren (Hg.): In die Zukunft gebaut. StadtSpuren – Beiträge der Potsdamer Wohnungswirtschaft zur Bundesgartenschau 2001. Potsdam 2001.
Arbeitskreis StadtSpuren (Hg.): In die Zukunft gebaut. 10 Jahre Arbeitskreis StadtSpuren. Potsdam 2007.
Stadt Potsdam (Auftraggeber) / complan (Auftragnehmer): Landeshauptstadt Potsdam. Integriertes
Stadtentwicklungskonzept. Potsdam 2007, S. 5 – 10.
Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik GmbH (IfS): Stadtentwicklungskonzept Wohnen für die
Landeshauptstadt Potsdam. Berlin 2009.
Telefonat mit Carsten Hagenau, am 31. 1. 2013
Links
http://www.stadtspuren.com / (Zugriff am 30. 11. 2012)
156 Arbeitskreis StadtSpuren, 2007, S. 22
157 Ebenda, S. 23
Website Stadt Potsdam: http://www.potsdam.de/cms/beitrag/10050104/996229 /
(Zugriff am 30. 11. 2012)
4.1 Software Potsdam
101
4.1.4
Neumünster
Integrative Quartiersentwicklung
A) Basisdaten
Kommune
Neumünster
Bundesland
Schleswig-Holstein
Einwohner (31. 12. 2011) 158
76.939
Gemeindetyp
Kreisfreie Stadt
Demografietyp (Bertelsmann)
alternde kleinere Kommune mit Anpassungsdruck (Typ 8)
Prognose
schrumpfend
2009 – 2025: – 8,2 % 159
Anzahl Wohngebäude 160
18.389
Anteil WE in MFH 160
59 %
Projektzeitraum
2010 – 2012 „Integrative Quartiersentwicklung (IB.IQ)“ der Investitionsbank Schleswig-Holstein (IB.SH)
2010 – 2012 Modellprojekt in Neumünster
Initiator/Träger
IB.SH (Investitionsbank Schleswig-Holstein)
Kooperationspartner/
sonstige Beteiligte
– Stadt Neumünster
– Wohnungseigentümer in den Bearbeitungsquartieren in Neumünster
Finanzierung
Modellprojekt der IB.SH und der Stadt Neumünster
Ausgangslage /Probleme
– fehlende Umsetzung vielerorts vorhandener Konzepte
– unzureichende Berücksichtigung der Quartiersebene bei Konzepten
– zunehmender Investitionsstau in vielen Wohnquartieren
– Quartiere mit wachsenden Schwierigkeiten (Leerstände, Sanierungsstau) außerhalb
der Städtebauförderung
Maßnahmen /Strategien
– vorausgegangen war die Neuausrichtung der Wohnraumförderung durch das Land
Schleswig-Holstein 2009
– Entwicklung der Förderberatung und Dienstleistung „Integrative Quartiersentwicklung“
durch die IB.SH
– modellhafte Anwendung der „Integrativen Quartiersentwicklung“ in Neumünster: Begleitung
und Beratung der Stadt, Bearbeitung von drei Quartieren, Eigentümergespräche, Erarbeitung
von Lösungsansätzen, Erstellung eines „Monitoring Wohnen“, Dokumentation
102
4 Fallstudien
B) Kontext / Rahmenbedingungen
Das Oberzentrum Neumünster liegt in zentraler Lage von Schleswig-Holstein und hat
rund 77.000 Einwohner. Seit 2012 gehört die Stadt zur Metropolregion Hamburg. Kiel ist
rund 30 km und Hamburg etwa 70 km entfernt. Die Einwohnerzahl nimmt seit einigen
Jahren ab; das Statistische Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein prognostiziert zwischen 2009 und 2025 einen Rückgang um ca. 8,2 Prozent.161
Neumünster ist stark von den Auswirkungen des wirtschaftlichen Strukturwandels und
dem Abbau von Arbeitsplätzen betroffen (z. B. Schließung eines Bundeswehr-Standortes,
Betriebsverlagerungen von Post und Bahn). Der Wohnungsmarkt hat sich seit Anfang der
2000er Jahre stark verändert: Anfang der 1990er Jahre lag der Fokus noch auf der Behebung von Versorgungsengpässen, seither nimmt die Wohnungsnachfrage ab.162 Neumünster hat einen vergleichsweise hohen Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern (ca.
40 Prozent). Wohngebiete mit Mehrfamilienhäusern konzentrieren sich in der Stadtmitte.
2006 wurde der Wohnungsleerstand auf rund 7 Prozent geschätzt. In einzelnen Quartieren am Rand der Innenstadt und in verdichteten Gebieten ist diese Quote allerdings deutlich höher. Das Wohnangebot in Neumünster ist in hohem Maße durch Wohnungen aus
den 1950er bis 1970er Jahren geprägt. Rund 57 Prozent der Wohnungen stammen aus diesen drei Jahrzehnten – 11 Prozent aus der Zeit vor 1948. Der Mietwohnungsanteil beträgt
62 Prozent (2006), die Hälfte dieser Wohnungen befindet sich in kleinteiligem Privateigentum.163
Im Jahr 2006 hat die Stadt Neumünster ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept verabschiedet, das die Stärkung der Wohn- und Lebensqualität zum Leitziel erklärt.164
Ergänzend wurde ein Wohnraumversorgungskonzept erarbeitet.165
IB.SH (Investitionsbank Schleswig-Holstein)
158 Website: https://www.destatis.de/cgi-bin/
gv2000_suche.pl (Zugriff am 12. 12. 2012)
159 Website: http://www.statistik-nord.de/uploads/
tx_standocuments/A_I_8_j11_S.pdf
(Zugriff am 14. 1. 2013)
160 Website: https://www.regionalstatistik.de/
Die IB.SH unterstützt das Land Schleswig-Holstein als zentrales Förderinstitut bei der
Erfüllung der wirtschafts- und strukturpolitischen Aufgaben. Die IB.SH berät bei allen
Förderfragen und vergibt Fördermittel für die Wirtschaft, den Wohnungs- und Städtebau,
Kommunen, Arbeitsmarkt- und Ausbildungsmaßnahmen, Umwelt- und Energieprojekte
sowie den Agrarbereich. Unterstützt werden öffentliche und private Investitionsvorhaben
in Schleswig-Holstein. Mehr als 520 Mitarbeiter betreuen über 60 Programme und Produkte. Die IB.SH ist eine eigenständige Anstalt des öffentlichen Rechts.166
genesis/online/logon
Schleswig-Holsteinisches Wohnraumförderungsgesetz (SHWoFG)
161 Vgl. Website: http://www.statistik-nord.de/
Das Schleswig-Holsteinische Wohnraumförderungsgesetz (SHWoFG, 2009) regelt die
soziale Wohnraumförderung und die Zweckbindung einschließlich des Sozialwohnungsbestandes in Schleswig-Holstein. Der Fokus liegt auf Haushalten, die sich am regulären
Wohnungsmarkt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können. „Weitere Ziele der
sozialen Wohnraumförderung sind die Erhaltung und Schaffung angemessener Wohnumfelder (Wohnumfeldförderung) und die Erhaltung und Schaffung stabiler Wohn- und
Nachbarschaftsverhältnisse, Bewohner- und Quartiersstrukturen (Quartiersförderung).
Die Wohnumfeld- und Quartiersförderung sollen im Zusammenhang mit gefördertem
oder zu förderndem Wohnraum stehen und müssen die Wohnverhältnisse der Zielgruppen verbessern.“ 167 Das SHWoFG sieht vor, dass Förderungen Wohnungsmarkt- und
uploads/tx_standocuments/A_I_8_j11_S.pdf
(Zugriff am 14. 1. 2013)
162 Vgl. GEWOS, 2006, S. 1
163 Vgl. ebenda, S. 33, 37, 47
164 Website: http://www.neumuenster.de/isek/cms/
index.php?article_id=1 (Zugriff am 14. 1. 2013)
165 Vgl. GEWOS, 2006
166 Vgl. Websites: http://www.ib-sh.de /
(Zugriff am 13.2.2013);
http://www.ib-sh.de/fileadmin/ibank/Gesetz_
und_Satzung/Investitionsbankgesetz.pdf
(Zugriff am 14. 1. 2013)
167 § 1, Nr. 3 SHWoFG
4.1 Software Neumünster
103
Quartiersentwicklungskonzepte zugrunde gelegt werden sollten. Gemäß § 7 SHWoFG
werden u. a. folgende Maßnahmen gefördert:
– „der Bau, der Erwerb und die Sanierung bzw. Modernisierung von Wohnraum
– investive und soziale Maßnahmen der Wohnumfeld- und Quartiersförderung, die zur
Erhaltung oder Schaffung sozial stabiler Quartiers- und Bewohnerstrukturen beitragen
– Konzepte, Pilot- und Modellprojekte zur Energieeinsparung bzw. Klimaschutz
– Konzepte und vorbereitende Untersuchungen zur Unterstützung der Ziele der sozialen
Wohnraumförderung“168
In den letzten Jahren ist die Wohnbauförderung in Schleswig-Holstein vom Land neu ausgerichtet worden. Die Soziale Wohnraumförderung des Landes Schleswig-Holstein
umfasst für die Jahre 2011 bis 2014 ein Programmvolumen von insgesamt 360 Mio. Euro
(davon für Mietwohnungsbau 240 Mio. Euro, für Eigentumsmaßnahmen 120 Mio. Euro).
Für die Städte Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster sowie Sylt wurden sogenannte
Kommunale Förderbudgets gebildet.169 Die Kommunen sollen dabei bei der Steuerung der
Wohnraumversorgung mehr Verantwortung übernehmen – sie werden dabei aktiv durch
die IB.SH unterstützt. Wohnraumfördermittel werden in Form von zinsgünstigen Darlehen gewährt. Der Unterschied zur gängigen Praxis liegt darin, dass nicht kurzfristig
Abstimmungen zur Aufnahme in die soziale Wohnraumförderung zwischen Kommune
und Antragsteller hergestellt werden müssen, sondern dass eine langfristige Planungsperspektive mit der Aufnahme in das kommunale Förderbudget gewährleistet werden
kann. Über die Aufnahme der Investitionsvorhaben in das kommunale Förderbudget entscheidet die Stadt.170
C) Projektbeschreibung
„Integrative Quartiersentwicklung“ der IB.SH
Die „Integrative Quartiersentwicklung“ (IQ) ist eine Förderberatung und Dienstleistung
der IB.SH, die sich an Kommunen und Wohnungsunternehmen richtet. Die IB.SH
„erbringt dabei im Rahmen ihrer Aufgaben der sozialen Wohnraumförderung eine wohnungswirtschaftliche Beratung für Kommunen und unterstützt Wohnungsunternehmen
bei der Quartiersentwicklung durch umfassende Förderberatung. Das übergeordnete Ziel
ist dabei eine nachhaltige Entwicklung von Wohnquartieren und entspricht somit dem
Auftrag der sozialen Wohnraumförderung.“ 171 Die Umsetzung erfolgt in einem koordinierten Projektablauf unter Einbindung bestehender Fördermittel und Dienstleistungen
der IB.SH. Das 2009 / 2010 erarbeitete Konzept „Integrative Quartiersentwicklung“ beruht
Akteure der integrativen Quartiersentwicklung
104
4 Fallstudien
auf der Feststellung, dass zwar in vielen Kommunen Stadtentwicklungs- und Wohnraumversorgungskonzepte sowie diverse Gutachten vorliegen, die aber in weiterer Folge nicht
umgesetzt und auf eine kleinräumigere Ebene heruntergebrochen werden.172 Das Angebot
reagiert auf die folgenden Hemmnisse bei Quartiersentwicklungen:
– fehlende personelle und finanzielle Ressourcen bei Kommunen und Wohnungsunternehmen
– schwieriger Zugang der Kommune zu Investoren
– belastetes Verhältnis zwischen Kommune und Investor
– bedingte Umsetzungsfähigkeit vorhandener Planungen und Konzepte
– Zurückschrecken der Akteure vor der Komplexität
– Möglichkeit einer win-win-Situation bei Maßnahmen nicht für alle Akteure
erkennbar 173
Die Motivation der IB.SH liegt dabei insbesondere in der Umsetzung des Förderauftrages
des Landes und der Unterstützung der Kommunen im Rahmen der kommunalen Förderbudgets. Darüber hinaus sollen Wohnungsunternehmen bei der Bestandsentwicklung
unterstützt, die Programmbelegung in der sozialen Wohnraumförderung frühzeitig koordiniert und der effiziente Fördermitteleinsatzes sicher gestellt werden. Wesentliche Bausteine der „Integrativen Quartiersentwicklung“ der IB.SH sind die Finanzierung, Förderung und Projektbegleitung von Quartiersentwicklungen.
Die Rolle der IB.SH bei der „Integrativen Quartiersentwicklung“
Die IB.SH zielt mit ihrer Dienstleistung und Beratung darauf ab, Städte und Wohnungsunternehmen aktiv dabei zu unterstützen, in Stadtquartieren „durch einen integrativen
Ansatz zielorientierte Maßnahmen unter Einbindung aller Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten vorzubereiten und möglichst umzusetzen.“ 174 Die IB.SH übernimmt dabei
mehrere Rollen: Partner für Kommunen und Wohnungsunternehmen, aktive Unterstützung der Kommune als Koordinator, Moderator von Interessenausgleichen sowie Ideengeber und Initiator von win-win-Situationen sowie „Gesamtprojektmanager“.175 Die
Tätigkeit der IB.SH ersetzt nicht die bisherigen Aufgaben von Verwaltungen, Sanierungsträgern oder Planern. Wichtig ist eine strikte Neutralität, um die häufig unterschiedlichen
Interessenlagen der Beteiligten zielgerichtet in einer lösungsoptimierten Strategie berücksichtigen zu können.176
Strategie und Vorgehensweise
168 § 7 SHWoFG
169 Vgl. Investitionsbank Schleswig-Holstein,
2012, S. 4
170 Vgl. Website: http://www.neumuenster.de/cms/
index.php?article_id=5097 (Zugriff am 15. 1. 2013)
171
172
173
174
175
176
177
178
179
Investitionsbank Schleswig-Holstein, 2012, S. 3
Vgl. Kühl, 2011, Folie 13
Vgl. ebenda, Folie 14
Investitionsbank Schleswig-Holstein, 2012, S. 13
Vgl. ebenda
Vgl. ebenda
Vgl. ebenda, S. 3
Vgl. ebenda
Vgl. ebenda, S. 12
Die IB.SH strebt einen gemeinsamen, koordinierten Prozess der Quartiersentwicklung an.
Der zentrale Ansatz besteht darin, die Wohnungseigentümer möglichst früh anzusprechen und zu aktivieren, da ohne die Investitionsbereitschaft in den Quartieren keine Konzepte umgesetzt werden. Durch die Arbeit der IB.SH soll die passive Haltung der Eigentümer aufgebrochen werden. Ein wichtiger Ansatz stellt die Einbindung der Fördermittel
dar, um wirtschaftliche Anreize für Maßnahmen zu setzen und somit den Gesamtprozess
zu unterstützen. Durch die frühzeitige Kommunikation mit den Eigentümern können
Bedarfs- und Interessenlagen in den Quartieren mit einem vergleichsweise geringen Aufwand erfasst werden, um darauf aufbauend investive und nicht-investive Maßnahmen zu
entwickeln und die Fördermittel an der richtigen Stelle einzusetzen.177 Da es angesichts
der Komplexität der Herausforderungen in den Quartieren nicht sinnvoll ist, alle Handlungsfelder gleichzeitig zu fokussieren, liegt die Konzentration zunächst auf den jeweils
vorherrschenden Problemen. Ein optimaler Einsatz der Ressourcen und eine effektive
Umsetzung werden dabei angestrebt.178 Die wirtschaftliche Machbarkeit von Maßnahmen
steht im Fokus. „Ausgehend vom wohnungswirtschaftlichen Kern werden Lösungen im
Rahmen bestehender Förderprogramme und gesetzlicher Regelungen gesucht. Sofern die
realen Problemlagen komplexer sind, werden Lösungsoptionen aus den anderen Bereichen
mit in die Überlegungen einbezogen.“ 179 Nach einem Abstimmungsprozess wird es mit
4.1 Software Neumünster
105
Integrative Quartiersentwicklung – Phasen
dem Auftraggeber eine vertragliche Regelung für die Quartiersentwicklung abgeschlossen.180
In der sogenannten Initialisierungsphase (zwölf bis 24 Monate), die in enger Abstimmung mit dem Auftraggeber erfolgt, werden zunächst vorhandene Konzepte und Analysen auf der Ebene der Gesamtstadt oder des Quartiers (z. B. Stadtentwicklungskonzepte,
Wohnungsmarktkonzept) ausgewertet. In Abstimmung zwischen der IB.SH und dem Auftraggeber werden die genauer zu untersuchenden Quartiere festgelegt. Der Schwerpunkt
der Arbeit der IB.SH liegt auf den Eigentümer- und Investorengesprächen, um die unterschiedlichen Motivlagen in den Quartieren zu erfassen. Auf Basis dieser Erkenntnisse
werden die vorhandenen Analysen hinsichtlich der Problemlagen und der Handlungsoptionen in den Quartieren ergänzt. Anschließend werden die wirtschaftlich machbaren,
investiven und nicht-investiven Maßnahmen identifiziert. Wichtige Schritte liegen in der
Moderation von Interessensausgleichen sowie in der Koordination des Projektablaufs.
Zentral ist auch die Beratung zu Förder- und Finanzierungsthemen.181 Als Ergebnis der
Initialisierungsphase sollten erste wohnungswirtschaftliche Handlungsansätze bzw. soziale
Maßnahmen für die betrachteten Quartiere vorliegen. Es sind die wichtigen Handlungsfelder für das Quartier identifiziert und der weitere Prozessablauf ist skizziert, insbesondere sind notwendige städtische Planungsbedarfe beschrieben und die Einbindung der
wesentlichen Akteure aufgezeigt.182 So gewinnt das Thema energetische Stadtsanierung
vor dem Hintergrund des KfW-Förderprogramms und der ergänzenden Landesförderung
in Schleswig-Holstein zunehmend an Bedeutung.
Auf die Initialisierungsphase folgt die sogenannte Umsetzungsphase, deren Dauer von
der Art der Maßnahme abhängt. Die Umsetzungsphase sollte auf Grundlage eines zeitlich
vereinbarten Ablaufs erfolgen und z. B. folgende Bausteine enthalten: Detailplanung von
Maßnahmen, Festlegung von Fördermitteln und Finanzierungen für einzelne Maßnahmen,
bauliche Ausführung oder die Realisierung sozialer Maßnahmen sowie die Übergabe von
wiederkehrenden Aufgaben an die Beteiligten. Wichtig in dieser Phase ist eine regelmäßige
Überprüfung der Vorgaben, Rahmenbedingungen und insbesondere der geplanten Maßnahmen. Ein sogenannter „Meilensteinplan“ kann dabei helfen, die Quartiersentwicklung
zielführend über einen längeren Zeitraum zu gestalten.183
Für die notwendige Transparenz und ständige Information über den Projektfortschritt
wird ein Kommunikationskonzept erarbeitet. Kommunikation und Dokumentation sind
wesentliche Bestandteile (z. B. regelmäßige Gesprächstermine mit dem Auftraggeber,
Öffentlichkeitsarbeit, Erstellung und Präsentation eines Abschlussberichts nach der Initialisierungsphase).184
Modellprojekt Neumünster
Im Rahmen der neu eingeführten kommunalen Förderbudgets waren für Neumünster
14 Mio. Euro vorgesehen, wobei die Stadt zukünftig eine aktive, steuernde Rolle bei der
106
4 Fallstudien
Mittelverwendung bzw. -verteilung übernehmen sollte.185 Die Stadt Neumünster hat im
Juni 2010 die IB.SH mit der integrativen Quartiersentwicklung für drei Gebiete (Buddestraße, Feldstraße, Paul-Böhm-Straße / Sachsenring) und mit der Unterstützung der
Gesprächsführung im Stadtteil West (Stadtumbaugebiet) beauftragt.
Das Quartier Buddestraße („Eisenbahnersiedlung“) ist ein Gebiet aus der Nachkriegszeit, das durch Verkehrsbarrieren und angrenzende Gewerbeflächen beeinträchtigt ist.
Die Gebäude sind in einem mangelhaften Zustand, das Image ist schlecht und der Leerstand zunehmend. Das Wohnquartier Feldstraße weist ebenfalls erhebliche Mängel in der
Bausubstanz und hohe Verkehrsbelastungen auf. Zahlreiche Wohngebäude in dem Quartier sind Kulturdenkmäler. Das Quartier Paul-Böhm-Straße / Sachsenring mit Kettenhäusern aus den 1920er und 1930er Jahren sowie Geschosswohnungsbauten aus der Nachkriegszeit ist von hohen Leerständen und großem Sanierungsstau geprägt. Im Jahr 2012
wurden erste Abbruchmaßnahmen in Angriff genommen.
Die IB.SH sollte die Stadt Neumünster bei der Festlegung von Maßnahmen und der
Umsetzung von Wohnquartiersentwicklungskonzepten begleiten und insbesondere Gespräche mit den Eigentümern führen.186 Nach Vertragsabschluss sichtete die IB.SH im
Sommer 2010 die vorhandenen Untersuchungen und Konzepte und glich die darin enthaltenen Ergebnisse mit der Situation in den jeweiligen Quartieren ab. Gleichzeitig wurden
erste Gespräche mit der Stadtverwaltung, den größten Wohnungseigentümern und weiteren Beteiligten wie z. B. den Stadtwerken geführt, um mögliche Investitionsansätze in den
Quartieren zu identifizieren. In den drei Quartieren wurde eine Situationsanalyse mit
den wesentlichen Problemfeldern durchgeführt und im Anschluss die Stärken und die
Schwächen des Standortes nach den Aspekten Lage, Sozialstruktur / Nachfrage Wohnungsbestand / Angebot und Marktsituation zusammengefasst. Es wurden Handlungsoptionen
für die Quartiere aus Sicht der Stadt entwickelt und für jedes Quartier wohnungswirtschaftliche Ansätze hinsichtlich der Weiterentwicklung erarbeitet. Die Handlungsoptionen je Quartier wurden von der städtischen Verwaltung planerisch dargestellt und
dokumentiert, ohne jedoch als Vorgaben für mögliche Bebauungspläne oder andere planerische Grundlagen zu gelten.187 Diese Ansätze waren Basis für mehrere Eigentümergespräche und wurden aufgrund der Gesprächsbereitschaft seitens der Stadt positiv aufgenommen.
Leistungen und Aufgaben der IB.SH
als „Gesamtmanagerin“ im Überblick 188
Leistungen der Stadt Neumünster im Überblick 189
– Gesprächsführung, Koordination und Moderation
von Projekttreffen
– Festlegung der Quartiere
– Situationsanalyse, Problemidentifikation und -dokumentation
– Erstellung „Monitoring Wohnen“ als Fördergrundlage
– wohnungswirtschaftliche Ansätze und weitere Handlungsfelder
– Beschreibung grundsätzlicher städtebaulicher Ziele
– „Monitoring Wohnen“ 2010
– Benennung und Priorisieren von Problemlagen
– Integration von Drittbeteiligten in den Gesamtprozess
– Öffentlichkeitsarbeit in Abstimmung mit der IB
– Identifizierung relevanter Akteure
– kommunales Förderbudget
– laufende Dokumentation
180 Investitionsbank Schleswig-Holstein, 2012, S. 18
181 Vgl. ebenda, S. 14
182 Vgl. ebenda
183 Vgl. ebenda, S. 15
184 Vgl. ebenda, S. 16
185 Vgl. ebenda, S. 4
186 Vgl. ebenda, S. 3
187 Vgl. ebenda, S. 4–5, 10
188 Vgl. ebenda, S. 7–9
189 Vgl. Kühl, 2011, Folie 33
Ein weiteres Beispiel für eine Handlungsoption sind die Verhandlungen mit einem Wohnungsunternehmen zu einem Kooperationsvertrag, bei dem u. a. Belegungsbindungen flexibler gehandhabt werden können. Diese Gespräche verliefen jedoch nicht immer erfolgreich. Für die einzelnen Quartiere wurden Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Neben der Quartiersentwicklung wurde für die Gesamtstadt im Jahr 2011 ein „Monitoring Wohnen“ erarbeitet. Die Arbeitsergebnisse wurden der regionalen Wohnungswirtschaft präsentiert und die Möglichkeit zur Kommentierung gegeben. Die Bewertung der
Indikatoren erfolgte durch die Stadtverwaltung – der Bericht war im September 2011 fertig und soll alle zwei Jahre überarbeitet werden.
4.1 Software Neumünster
107
Große Wohnblöcke mit Leerstand – eine wegbrechende Mieterschaft und eine ausgedünnte
Wohnungsbelegung beeinträchtigen das
Quartiersimage, Neumünster, Dithmarscher
Straße
108
4 Fallstudien
Sanierungsbedürftige Wohnungen in den Zeilenstrukturen der 1950er / 1960er Jahre
4.1 Software Neumünster
109
Unattracktive öffentliche Räume und wenig
Lebendigkeit im Wohnumfeld der Wohnzeilen
110
4 Fallstudien
links: üppige Freiräume, aber wenig freiraumbezogene Wohnformen
Mitte rechts: zeittypische, erhaltenswerte Details
drohen bei der Modernisierung verloren zu gehen
4.1 Software Neumünster
111
Im Ergebnis gewann die Stadt Neumünster wertvolle Erkenntnisse über die aktuelle und
künftige Situation auf dem Wohnungsmarkt und die Herausforderungen in den Stadtquartieren. Es ließ sich feststellen, dass in den Quartieren komplexe Hemmnisse für
Investitionen bestehen. Die Zusammenarbeit mit der IB.SH hat einen längeren Zeitraum
eingenommen, als ursprünglich vorgesehen. Dies ließ sich einerseits auf die Komplexität
der Aufgabenstellung zurückführen, als auch auf die Vielzahl an Gesprächen mit der
Wohnungswirtschaft. Ebenso konnte seitens der Verwaltung auch nur begrenzt Personalressourcen zur Verfügung gestellt werden. Mitte 2012 war die vertragliche Arbeit der Stadt
und der IB.SH im Rahmen der Integrativen Quartiersentwicklung abgeschlossen und
wurde in einem Bericht dokumentiert. Die Gespräche mit den Eigentümern bezüglich der
Wohnraumförderung sollten fortgeführt werden. Auf Grundlage der Untersuchung gibt es
Überlegungen, in einem Quartier angesichts der gravierenden Defizite Vorbereitende
Untersuchungen einzuleiten. Das Ziel, Maßnahmen für das zur Verfügung stehende kommunale Förderbudget zusammenzustellen, konnte erreicht werden.
In der Drucksache für den Gemeinderat wurde nach Abschluss des Projektes folgendes
Resümee gezogen: „Leider konnte die Investitionsbereitschaft der Grundstückseigentümer
in diesen Quartieren auch durch intensive Förderberatung zu wirtschaftlichen Alternativen und durch die Inaussichtstellung einer Mittelbereitstellung im Rahmen der sozialen
Wohnraumförderung nicht erreicht werden. In der Konsequenz bedeutet das: Ohne Investitionen wird der Leerstand nicht nur von Wohnungen weiter zunehmen, die städtebaulichen Missstände werden sich verschärfen, letztendlich werden die betroffenen Quartiere
zu zukünftigen Sanierungsgebieten. Dies steht jedoch deutlich im Widerspruch zu
einer zukunftsweisenden Stadtentwicklung (insbesondere bessere Qualifizierung von
Neumünster als Wohnstandort) und zu den Zielen des Wohnraumversorgungskonzeptes.
Um dem entgegen zu wirken oder um dem etwas entgegen zu setzen, bedarf es der ständigen Begleitung und Steuerung im Rahmen der zur Verfügung stehenden Instrumente
sowie weiterer Ansprache der Wohnungsunternehmen und sonstigen Eigentümer. Gerade
dies kann jedoch zusätzlich zu der Betreuung der bereits laufenden städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen aufgrund der fehlenden personellen und finanziellen Ressourcen
derzeit nicht geleistet werden. Die IB.SH steht der Stadt Neumünster weiterhin beratend
zur Seite.“ 190
D) Finanzierung
Die Beratungsleistung der IB.SH erfolgte modellhaft und kostenlos. Von der Stadt Neumünster wurden für allgemeine Verwaltungskosten und ggf. für den Einsatz von Planungsmitteln für die Unterstützung des Projektes Planungsmittel in der Höhe von bis zu
20.000 Euro zur Verfügung gestellt.191
E) Besonderheiten und Übertragbarkeit
In Schleswig-Holstein wird bei der Wohnraumförderung das Ziel verfolgt, die Kommunen
bei der Wohnraumversorgung stärker einzubinden. Förderungsgegenstände im Rahmen
des SHWoFG sind investive und nichtinvestive Maßnahmen der Wohnumfeld- und
Quartiersförderung, Konzepte, Vorbereitende Untersuchungen und sonstige Maßnahmen,
soweit sie die Ziele der sozialen Wohnraumförderung unterstützen. Dies könnte für andere
Bundesländer vorbildlich sein.
Die IB.SH bietet Unterstützung an, damit die Fördermittel zur Aufwertung von Quartieren möglichst effizient eingesetzt werden. Die Ebene des Quartiers rückt in den Fokus
der Wohnraumförderung. Die IB.SH spricht als neutraler Berater die Eigentümer von
Quartieren an und informiert über Fördermöglichkeiten. Bei der „Integrativen Quartiersentwicklung“ der IB.SH steht nicht die planerische Sicht, sondern die Perspektive der
Wohnungswirtschaft von Beginn an im Fokus. Während bei der Erstellung von Konzepten noch eine Vielzahl an Maßnahmen vorstellbar ist, ändert sich dies aber, sobald die
Wirtschaftlichkeit geprüft und Gespräche mit den Eigentümern geführt werden. Es soll
112
4 Fallstudien
Entwicklungsquartier Buddestraße, Neumünster
keine „Planung von oben herunter“ erfolgen, sondern Ziel ist es, aus dem Quartier heraus
die Bedingungen zu erfassen, unter denen ein Eigentümer investieren würde. Eine effektive Umsetzung und die wirtschaftliche Machbarkeit sind von großer Bedeutung.
Die IB.SH formuliert folgende grundsätzliche Anforderungen für den Erfolg von Quartiersmaßnahmen:
– „Ein solches Projekt muss als wechselseitiger, aber auch verbindlich organisierter Prozess unter den Akteuren verstanden werden.
– Quartiersentwicklung funktioniert nur auf der Basis einer ausreichend breiten Beteiligung und Akzeptanz.
– Für die Initialisierungsphase ist ein angemessener Zeitraum von ein bis zwei Jahren einzuräumen.
– Die Umsetzung von Maßnahmen kann über eine mittelfristige Gesamtlaufzeit von ca.
ein bis fünf Jahren erfolgen.
– Es sind sowohl investive als auch soziale Maßnahmen zu betrachten und miteinander zu
verbinden.
– Ein derartiges Vorhaben braucht eine angemessen offene Kommunikation und Transparenz in der Abarbeitung der Einzelprozesse.“ 192
Modellprojekt Neumünster
In Schleswig-Holstein wird versucht, über die Inaussichtstellung von Förderungen und
durch Ansprache der Eigentümer Verbesserungen in den Quartieren herbeizuführen. Eine
Besonderheit besteht darin, dass die Förderbank ihre Rolle nicht mehr nur auf die Finanzierung und Beratung beschränkt, sondern die Projekte als Moderator, Koordinator sowie
Gesamtprojektmanager unterstützt und dabei die Eigentümer aktiv einbindet. Die Fallstudie Neumünster zeigt, dass das Erstellen von Konzepten, die Ansprache der Eigentümer und selbst die Förderberatung oft nicht ausreichen, um das Engagement und die
Investitionsbereitschaft der Eigentümer zu wecken und Quartiere aufzuwerten.
Quellen
Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands (Hg.): Fördern und Finanzieren. Förderbanken in
Deutschland. Berlin 2012, S. 34 – 35.
Investitionsbank Schleswig-Holstein (Hg.): IB.Integrative Quartiersentwicklung. Entwicklung von Wohnquartieren in Schleswig-Holstein. Kiel 2012, S. 13. Online abrufbar: http://www.ib-sh.de/fileadmin/ibank/
Immobilien/wohnquartiersentwicklung/IB.Integrative_Quartiersentwicklung.pdf (Zugriff am 13. 1. 2013)
Investitionsbank Schleswig-Holstein: Stadt Neumünster. IB.IQ – Integrative Quartiersentwicklung. Projektbericht / Zusammenfassung. Stand Juni 2012.
Kühl, Olaf: IB. Integrative Quartiersentwicklung. Entwicklung von Wohnquartieren in Schleswig-Holstein.
Präsentation am 17.3.2011 bei IB.EnergieForum, Husum.
Stadt Neumünster: Drucksache Nr. 0589/2008/DS. 15. 6. 2010.
190 Stadt Neumünster, Drucksache
Nr. 1012/2008/DS. 19. 6. 2012, S. 2 – 3
Stadt Neumünster: Drucksache Nr. 1012/2008/DS. 19. 6. 2012.
Nr. 0589/2008/DS, 15. 6. 2010, S. 1
Tauras, Olaf: Integrierte Wohnquartiersentwicklung – Nicht nur eine energetische Herausforderung.
Themenforum I. Präsentation beim IB.EnergieForum am 17. 3. 2011 in Husum.
192 Investitionsbank Schleswig-Holstein, 2012, S. 10
Telefonat mit Olaf Kühl, am 24. 1. 2013
191 Vgl. Stadt Neumünster, Drucksache
4.1 Software Neumünster
113
4.1.5
Mannheim
Quartiersmanagement, Kooperationsvereinbarung, Siedlungsmonitoring
A) Basisdaten
Kommune
Mannheim
Bundesland
Baden-Württemberg
Einwohner (31. 12. 2011) 193
314.931
Gemeindetyp
Stadtkreis
Demografietyp (Bertelsmann)
urbanes Zentrum mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik (Typ 7)
Prognose
2008 – 2030: – 5,3 % (Prognose des Statistischen Landesamtes BW mit Wanderungen) 194
2010 – 2020: – 1,8 % (eigene Prognose der Stadt)
Anzahl Wohngebäude 195
40.345
Anteil WE in MFH 195
81 %
Projektzeitraum
seit 1999 – laufend
Initiator/Träger
Stadt Mannheim
GBG Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH
Kooperationspartner/
sonstige Beteiligte
– verschiedene Träger der Wohlfahrtspflege
– Tochtergesellschaften der GBG (z. B. Change Bürgerservice Mannheim gGmbH)
– Mannheimer Quartiersmanagement e. V. (MaQua) mit seinen Mitgliedern
Finanzierung
– Stadt Mannheim, jährlich ca. 270.000 Euro
– GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH (Finanzmittel und Personal)
– Mitglieder des Vereins Mannheimer Quartiersmanagement e. V.
Ausgangslage /Probleme
– Verwaltungsstrukturen nur bedingt für neue Herausforderungen und kleinräumiges Handeln geeignet
– zunehmende Schwierigkeiten in Wohnquartieren (v. a. sozialräumlich)
– Gefahr instabiler Sozialstrukturen durch Quotenregelung bei Wohnungsvergabe
Maßnahmen /Strategien
– Anpassung der Verwaltungsstrukturen für stadtteilorientiertes Handeln
– verstärkte Beschäftigung der Stadt mit dem Thema „Wohnen“ (Erstellung zahlreicher Studien
und Konzepte, Initiierung verschiedener Projekte und Veranstaltungen)
– Optimierung einer bestehenden Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt Mannheim und
der GBG (z. B. kleinräumiges Siedlungsmonitoring)
– Weiterentwicklung des bestehenden Quartiersmanagements als Instrument der Stadtteilentwicklung
(Präzisierung der Aufgaben und Definition, Erarbeitung eines Organisationskonzeptes, Regelung des
Ablaufs bei der Installierung, Gründung eines Vereins, etc.)
– GBG: Soziales Management mit umfangreichen Angeboten
114
4 Fallstudien
B) Kontext und Rahmenbedingungen
von oben nach unten: Quartiere Sonnengerten,
Ulmenweg, Zeppelinstraße und Hochstätt
Mit knapp 315.000 (2011) Einwohnern ist Mannheim die zweitgrößte Stadt in BadenWürttemberg und bildet neben Heidelberg ein Oberzentrum in der Region Rhein-Neckar.
Die Universitätsstadt Mannheim ist Teil der Europäischen Metropolregion Rhein-Neckar
mit 2,35 Mio. Einwohnern. Sie liegt an der Mündung des Neckars in den Rhein, auf
der linksrheinischen Seite grenzt Ludwigshafen direkt an. Die Siedlungsstruktur ist von
der hufeisenförmigen Innenstadt mit ihren charakteristischen Quadraten geprägt. Die
17 Stadtbezirke verteilen sich zu beiden Seiten des Neckars. In den 1950er bis 1970er Jahren sind in Mannheim zahlreiche, auch größere Wohngebiete in verdichteter Bauweise an
den Rändern der Stadt entstanden (z. B. Vogelstang).
Eine von der Stadt erstellte Einwohnerprognose geht zwischen 2010 und 2020 von einem
Rückgang um 5.750 Personen bzw. 1,8 Prozent aus – da der Trend zu kleineren Haushalten
diesen Verlust nicht vollständig kompensieren wird, wird in diesem Zeitraum auch die
Zahl der Haushalte um 2.230 bzw. 1,3 Prozent abnehmen. Unter Annahme einer steigenden Wohneigentumsbildung wird in dem Zeitraum sogar eine Abnahme von ca. 3.700
Mieterhaushalten (d. h. drei Prozent) erwartet. Dieser Nachfragerückgang wird wahrscheinlich vor allem bei Mietwohnungen mit Qualitätsdefiziten und an schlechten Standorten zu strukturellen Leerständen führen.196 Die Bevölkerungsstruktur mit ihrem hohen
Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund (39,5 Prozent) ist typisch für (ehemalige)
Industriestädte. Mannheim ist seit den 1970er Jahren von einem tiefgreifenden Strukturwandel geprägt.
Von den insgesamt ca. 166.850 Wohneinheiten in Mannheim hatten rund 7.000 Wohnungen 2011 noch eine Mietpreisbindung.197 Die durchschnittliche Miete liegt bei
6,01 Euro/qm (Mietspiegel 2010).198 In verschiedenen Segmenten lässt sich eine Gleichzeitigkeit von Wohnungsleerständen und Nachfrageüberhängen beobachten. Der marktaktive
Leerstand in Mehrfamilienhäusern betrug 2009 rund 2,1 Prozent. Der Mannheimer Wohnungsmarkt ist von der Tendenz geprägt, dass einkommensstärkere Familien die Stadt
verlassen und in große Wohnungen und Häuser im nahen Umland ziehen. Da bis 2015 die
zahlreichen US-amerikanischen Militäreinrichtungen endgültig abziehen, werden rund
510 ha Konversionsflächen frei, die einer neuen städtebaulichen Nutzung zugeführt werden müssen.199
C) Projektbeschreibung und Akteure
193 Website: https://www.destatis.de/cgi-bin/
gv2000_suche.pl (Zugriff am 12. 12. 2012)
194 Website: http://www.statistik-baden-wuerttem
berg.de/SRDB/Tabelle.asp?H=BevoelkGebiet&U=03&
T=98015021&E=GA&A=Mannheim&R=GE222000
(Zugriff am 7. 1. 2013)
195 Website: https://www.regionalstatistik.de/
Die Stadt Mannheim und das kommunale Wohnungsunternehmen GBG Mannheimer
Wohnungsbaugesellschaft mbH verfolgen verschiedene innovative Strategien, um sowohl
gesamtstädtisch als auch stadtteilbezogen Verbesserungen im Bereich Wohnen voranzutreiben. Die Strategien fokussieren nicht explizit die Entwicklung der kleinen Nachkriegsquartiere, stellen aber auf gesamtstädtischer Ebene und auf der Ebene des Stadtteils einen
interessanten Ansatz dar.
genesis/online/logon (Zugriff am 13. 12. 2012)
196 Vgl. Stadt Mannheim, 2011, S. 58
197 Vgl. ebenda, S. 24;
Website: http://www.mannheim.de/stadt-gestalten/
bauen-und-wohnen (Zugriff am 31. 8. 2012)
198 Vgl. Stadt Mannheim, 2011, S. 26
199 Vgl. ebenda, S. 3, 8, 44
Stadt Mannheim
Um Mannheim als Wohnstandort zu stärken, beschäftigt sich die Stadt intensiv mit dem
Thema „Wohnen“. In den letzten Jahren sind zahlreiche Studien und Untersuchungen
entstanden, die sich mit verschiedenen Aspekten des Wohnens beschäftigen (z. B. Handlungs4.1 Software Mannheim
115
konzept „Wohnungsmarktentwicklung“, „Zukunftsfähiger Wohnstandort Mannheim –
Wohn.Raum.Stadt“, Wohnungsmarktprognose 2011).
Unter dem Projektnamen „Change 2 – Wandel im Quadrat“ wird die Mannheimer
Stadtverwaltung seit 2008 modernisiert, um die Organisation zu straffen und besser auf
die anstehenden Aufgaben der Stadtentwicklung reagieren zu können.200 Als strategisches Ziel der Stadtentwicklung wurde u. a. die „Stärkung der Urbanität“ formuliert.201
Für diese Zielsetzung relevante Projekte sind z. B. das Projekt „Die Strategie – Aufbau
Strategisches Beteiligungsmanagement“ oder das Projekt „Stadtteilorientierung der Verwaltung.“ 202 Stadtteilorientierung bedeutet, dass die Koordination des Verwaltungshandelns raumbezogen erfolgen soll und die strategischen Ziele auf die einzelnen Stadtteile
heruntergebrochen werden. Grundgedanke dabei ist, „dass die Planungsräume der Verwaltung auf den stadtteil- und quartiersspezifischen Lebenswelten und Identitäten aufbauen und mit diesen übereinstimmen.“ 203 Um die Stadtteile zu stärken, sollen realistische und spezifische Ziele erarbeitet und die kleinräumige Entwicklung kontinuierlich
beobachtet werden (z. B. in Stadtteilprofilen, durch Monitoring). Dafür wurden das Quartiersmanagement und die Gemeinwesenarbeit neu konzipiert.204
116
4 Fallstudien
Mannheim Hochstätt
GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH
Die GBG ist mit einem Bestand von fast 20.000 Mietwohnungen derzeit die größte kommunale Wohnungsbaugesellschaft in Baden-Württemberg (3.156 bzw. 16 Prozent der
Wohnungen sind preisgebunden, Stand 2011). Ein großer Teil der Wohnungsbestände der
GBG stammt aus den 1950er und 1960er Jahren. Die GBG investiert umfangreich in die
Instandhaltung und Modernisierung ihrer Bestände (2011: ca. 43,5 Mio. Euro in den
Bestand, davon über 20 Mio. Euro in Modernisierungsmaßnahmen). Die Leerstandsquote
lag 2011 bei 2,9 Prozent (2010: 3,4 Prozent) und die Fluktuationsrate bei 8,8 Prozent (Vorjahr: 9,8 Prozent). Als kommunales Wohnungsunternehmen hat die GBG die Aufgabe, die
Wohnungsversorgung von Haushalten mit Zugangsschwierigkeiten zum normalen Wohnungsmarkt zu sichern. Jeder vierte Mieter der GBG ist über 65 Jahre alt, was das Unternehmen künftig vor große Herausforderungen stellt. Seit 1999 gibt es bei der GBG den
Arbeitsbereich Soziales Management. Das Unternehmen erweitert ständig das Angebot an
wohnbegleitenden Dienst- und Serviceleistungen und gemeinschaftsfördernde Maßnahmen, um die Wohn- und Lebenssituation in den Quartieren zu verbessern: Mobile WohnBegleithilfe, Beteiligung am Projekt „Soziale Stadt“, Implementierung von Quartiersmanagements in diversen Stadtteilen Mannheims, Leitung von Stadtteilkonferenzen, Schaffung von barrierefreien bzw. -armen Wohnungen für ältere und gehandicapte Menschen,
Mietertreffs, Mietermagazin, Schuldnerberatung, Mediation, Soziales Management, Sponsoring-Projekte, Bau und Erneuerung von Spielplätzen, Bau von Kindergärten, Bereitstellung von Gästewohnungen, Stadtteilfeste, etc.205
Das Unternehmen baut häufig Partnerschaften mit freien Trägern der Wohlfahrtspflege
auf. Mit sieben Projekten ist die GBG derzeit in der Stadtteilarbeit tätig. Aus dem breit
gefächerten Angebot des Sozialen Managements der GBG wurde im Jahr 2009 die GBGEnkeltochter Chance Bürgerservice Mannheim gGmbH gegründet, die vielfältige Dienstleistungen anbietet (z. B. Wohnbetreuung, hauswirtschaftliche Dienste ).206 Bei der GBG
gibt es seit vier Jahren eine Mitarbeiterin, die sich mit Sonderprojekten beschäftigt
(Schwerpunkte: Vernetzung, Kommunikation, Verknüpfung von strategischem und operativem Geschäft). Im Jahr 2011 hat die GBG erstmals einen Corporate Social Responsibility Bericht (CSR-Bericht) vorgelegt, um das nachhaltige Handeln mit konkreten Kennzahlen aufzuzeigen.207
Quartiersmanagement
200 Vgl. Website: http://www.mannheim.de/
sites/default/files/page/16/masterplan.pdf
(Zugriff am 30. 8. 2012)
201 Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
Nr. 005/2010, S. 6
202 Vgl. Website: http://www.mannheim.de/
stadt-gestalten/projekte (Zugriff am 4. 9. 2012)
203 Stadt Mannheim, 2010, S. 9
204 Vgl. ebenda, 2010;
Website: http://www.mannheim.de/stadt-gestalten/
projekt-08-stadtteilorientierung-verwaltung
(Zugriff am 31. 8. 2012)
205 Vgl. GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH, 2012, S. 43
206 Vgl. Website: http://www.chance-buerger
service-mannheim.de / (Zugriff am 7. 1. 2013)
207 Vgl. GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH, 2012
208 Vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
358/2010, S. 8
Seit 1999 wird in Mannheim Quartiersmanagement betrieben, um eine integrierte Entwicklung von Gebieten mit komplexen Problemlagen sicherzustellen.208 Quartiersmanagement kommt zwar nicht nur in Wohnquartieren der Nachkriegsjahrzehnte zum
Einsatz, dennoch ist dieses Modell auch für diese Quartiere von besonderem Interesse. Ein
wichtiger Baustein zum Aufbau des Quartiersmanagements war ein Gutachten der Hochschule Mannheim. Im Rahmen des Change 2-Projektes „Stadtteilorientierung der Verwaltung“ wurde das bestehende Quartiersmanagement als spezifisches Instrument der Stadtteilarbeit weiterentwickelt. Da es an Transparenz mangelte, in welchen Gebieten ein Quartiersmanagement eingerichtet wird und es keine einheitliche Vorgehensweise und
Organisationsstrukturen gab, wurden im Jahr 2009 neue Zielsetzungen für das Quartiersmanagement erarbeitet. Die Definition und Aufgaben des Quartiersmanagements wurden
präzisiert und schärfer gegenüber der Gemeinwesenarbeit und der kommunalen Stadtteilentwicklung abgegrenzt. Wesentliche Punkte dabei sind, dass die Steuerungsverantwortung für die Quartiersentwicklung bei der Stadt verbleibt, Quartiersmanagement als Projekt definiert wird und somit grundsätzlich befristet ist (maximale Laufzeit zwei mal vier
Jahre). Um nach Abschluss einen Übergang in selbsttragende Strukturen oder zu anderen
Unterstützungsinstrumenten zu ermöglichen, wird eine einjährige Exit-Strategie eingeführt. Quartiersmanagement wird folgendermaßen definiert: „Quartiermanagement ist
ein Instrument stadtteilorientierter Arbeit, das für einen begrenzten Zeitraum in Quartieren mit komplexen Bedarfsstrukturen eingesetzt wird, um abgestimmt und integrativ die
4.1 Software Mannheim
117
Wohnungsbestand in Mannheim Herzogenried,
Quartier Sonnengarten
118
4 Fallstudien
Sanierte Wohnzeilen der 1950er Jahre –
Quartier Ulmenweg /Landwehrstraße
4.1 Software Mannheim
119
Erweiterung des Wohnbereiches
in den großzügigen Freiraum hinein –
Quartier Zeppelinstraße
120
4 Fallstudien
Mannheim Hochstätt
4.1 Software Mannheim
121
Problemlagen zu bearbeiten, die Zusammenarbeit im Quartier auf Basis eines Integrierten
Handlungskonzeptes zu koordinieren und Entwicklungsimpulse zu setzen.“ 209 Das
Quartiersmanagement zielt darauf ab, eine professionelle Koordination und Moderation
aufzubauen und die verfügbaren Ressourcen zu bündeln.
Übersicht über die Aufgaben des Quartiersmanagements 210
– Aktivierung örtlicher Potenziale durch Beteiligung, Vernetzung und Aufbau
von selbsttragenden Strukturen der Zusammenarbeit
– Entwicklung von Zielen im Rahmen eines Integrierten Handlungskonzeptes
unter Beteiligung der Akteure und Bewohnerschaft
– Koordination und Zusammenarbeit mit den Akteuren und der Bewohnerschaft
zur Umsetzung der Ziele des Integrierten Handlungskonzeptes
– Präsenz, wiederkehrende Aktivitäten und Projekte, dadurch Förderung
der Identifikation der Bewohnerschaft mit dem Quartier und Schaffung
von Achtsamkeit für das Quartier nach außen hin
– Initiierung von Entwicklungsimpulsen sowie Organisation und Management
von Projekten zur Lösung konkreter Probleme vor Ort
– Schnittstelle zwischen dem Stadtteil und der Verwaltung in Form einer
intermediären Instanz
Übersicht über die Aufgaben
des Quartiersmanagements
Der Ablauf bei der Installierung eines Quartiersmanagements ist genau geregelt. Wenn ein
begründeter Vorschlag (= Impuls) vorliegt, wird durch einen Verwaltungsbeschluss eine
vertiefende Untersuchung (= Exploration) eingeleitet. In dieser maximal einjährigen Phase
wird die Problemlage unter Beteiligung von Bewohnern und Fachleuten genau untersucht.211 Es kommen nur Quartiere infrage, in denen die Gefahr einer städtebaulichen,
wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Abwärtsspirale steigt und in denen die Probleme nicht mehr eigenständig von den lokalen Akteuren, aber mit professioneller Unterstützung in einem begrenzten Zeitraum durch Aktivierung und gemeinsames Handeln
bearbeitet werden können. Die Quartiere sollten über 5.000 Einwohner haben.212 In einer
zweiten Phase werden die sogenannte Wirkungsziele des Quartiersmanagements in einem
Vertrag zwischen Verwaltung und Trägern des Projektes festgeschrieben. Je nach Rahmenbedingungen im betreffenden Quartier wird die Trägerschaft entschieden (z. B. vor Ort
verankerte Akteure mit großer Akzeptanz). Im ersten Jahr wird ein integriertes Handlungskonzept erarbeitet, auf dessen Grundlage gemeinsam mit den Bewohnern sowie
Stadtteilakteuren die operativen Ziele der Quartiersentwicklung und Verantwortlichkeiten festgelegt werden.213
Entscheidung
Verwaltung
Entscheidung
Durchführung
Gemeinderat
Entscheidung
Fortführung
Gemeinderat
Impuls
Startperiode 4 Jahre
Impuls
Exploration
1. Periode
Quartiermanagement
Max. Verlängerung 4 Jahre
Fortführung ja
2. Periode
Quartiermanagement
1 Jahr
Übergangsphase
Fortführung nein
Impuls
Überblick Vorgehensweise bei der Einführung
von Quartiersmanagement, Quelle: Stadt Mannheim 2010
122
4 Fallstudien
Vorstand
2 stellvertretende
Vorsitzende
wählt
bestellt
Politische Rahmensetzung durch Gemeinderat
1. Vorsitzende
Aufgabe/ Rolle MV:
- Entlastung des Vorstands
- Entgegennahme des Jahresberichts des Vorstands
- Verabschiedung Haushaltsplan
- Wahl des stellvertretenden Vorsitzenden
- Entscheidet über Aufnahme/ Ausschluss von Mitgliedern
- bei Bedarf Änderung Satzung
- bei Bedarf Auflösung Verein
- Festsetzung der Mitgliedsbeiträge
Aufgabe/ Rolle Vorstand:
- Vertritt den Verein und die Interessen der MV nach außen
- Inhaltliche Steuerung und Zielcontrolling
- Analyse und Empfehlung von Quartiermanagement-Gebieten
- Konkretisierung der Ziele für die Quartiere
- Begleitung der Arbeit in den Quartieren
- Personalverantwortung
- Erstellung Haushaltsplan und Jahresbericht
- Vorbereitung und Einberufung MV
Mitgliederversammlung (MV)
Stadt
GBG
Jobcenter
AWO
DPWV
Diakonie
Caritas
SiMa
KulturQuer
QuerKultur
Gemeinderatsbeschluss 358/2010 vom 27.7.2010 als Grundlage für die Neukonzeption von Quartiermanagement und einer gesamtstädtische Trägerstruktur. Damit verbunden klar definierte Standards und
Leistungen für mit kommunalen Mitteln finanzierte Projekte.
Organisationsstruktur des Mannheimer Quartiermanagement e. V., Quelle: Stadt Mannheim 2011
Akteure, Personal und Strukturen
209 Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
637/2009, S. 7
210
211
212
213
Ebenda, S. 8
Vgl. ebenda, S. 3–10
Vgl. ebenda, S. 7–11
Vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
38/2010, S. 13;
vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage 637/2009,
S. 8–9
214 Vgl. Stadt Mannheim, 2010, S. 12–13
215 Vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
637/2009, S. 15
216 Vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
38/2010, S. 1, 16–17
Bei der Neukonzeption wurde eine bestehende Personalstelle Quartiersmanagement zu
einer Koordinationsstelle zur integrierten Steuerung und Begleitung der stadtteilorientierten Maßnahmen weiterentwickelt. Diese Stelle baut dezernatsübergreifend eine Koordinationsgruppe auf, deren Geschäftsführung sie übernimmt (Bereiche Bildung, Jugend,
Kultur, Soziales, Wirtschaft, Stadtentwicklung, Integration und Bürgerdienst). Die Koordinationsgruppe wird nach Bedarf einberufen und je nach Erfordernis ergänzt. 214 Quartiersmanagement wird als gemeinsame Aufgabe von freier und öffentlicher Wohlfahrtspflege wahrgenommen und nach Möglichkeit bei freien Trägern angesiedelt, wenn die für
das Quartier in der „Explorationsphase“ formulierten Ziele auch außerhalb der Verwaltung bearbeitet werden können.215 In einem Quartier wird das Quartiersmanagement vor
Ort meist von einer fachlichen Personalstelle besetzt. Zu Projektbeginn ist für ein Jahr
eine halbe Personalstelle mit raumplanerischen Kompetenzen sinnvoll, um das Integrierte
Handlungskonzept zu erstellen.216
Im Juni 2011 wurde der Mannheimer Quartiersmanagement e. V. (MaQua) gegründet
und vom Gemeinderat mit der Durchführung des Quartiersmanagements auf Grundlage
der beschlossenen inhaltlichen und fachlichen Standards ab dem 1. 1. 2012 beauftragt.
4.1 Software Mannheim
123
Zwischen Verwaltung, GBG Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH und Wohlfahrtsverbänden wurde eine gemeinsame Trägerkonstruktion entwickelt. Diese neue
Struktur soll einen projektübergreifenden Wissenstransfer garantieren und eine einheitliche Schnittstelle zur Verwaltung bilden.
Die vielfältige Mitgliederstruktur soll unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche
abdecken. Mitgliedsbeiträge werden nicht erhoben. „Zweck des Vereins ist die stabile und
nachhaltige soziale, wirtschaftliche, kulturelle und städtebauliche Entwicklung der Mannheimer Stadtteile und Quartiere durch den Einsatz von Quartiermanagement. Durch die
Koordination der Zusammenarbeit in den entsprechenden Stadtgebieten in Form von
Aktivierung, Befähigung und Vernetzung von Bürgerschaft und Akteuren soll die Aufwertung des Quartiers und die Verbesserung der Lebensverhältnisse erreicht werden.“ 217
Aktuell gibt es in Mannheim fünf Gebiete mit Quartiersmanagement (Unterstadt, Jungbusch, Neckarstadt-West, Herzogenried, Hochstätt).218 Hochstätt und Jungbusch wurden
im Programm Soziale Stadt gefördert. Herzogenried und Hochstätt sind Quartiere der
1950er bis 1970er Jahre, die anderen Quartiere sind im Wesentlichen durch Vorkriegsbestände geprägt. In enger Abstimmung mit der Stadt Mannheim hat die GBG die Implementierung des Quartiermanagements in drei Quartieren übernommen und beteiligt sich
daneben an der Finanzierung und Arbeit der Stadtteilprojekte und Quartierbüros in vier
weiteren Wohngebieten. Nur drei dieser Projekte werden aus Mitteln des Bund-LänderProgramms Soziale Stadt bezuschusst.219
Zusammenarbeit und Kooperation zwischen GBG und Stadt Mannheim
Die Stadt Mannheim und die GBG arbeiten eng zusammen.220 Eine seit 2001 bestehende
Vereinbarung zwischen der GBG und der Stadt zur Optimierung der Wohnungsvergabe
an Haushalte mit Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt und von Wohnungsnotfällen wurde 2010 wegen der sinkenden Zahl von gebundenen Wohnungen sowie kleinräumigen Konzentrationen von problematischen Haushalten überarbeitet. Die Vereinba-
Finanzierungs- und Trägerschaftsmodell
Quartiersmanagement
Quelle: Stadt Mannheim 2010
Stadt
Verbände
z.B. Wohlfahrtsverbände
(HH-Mittel für Personal)
GBG
(Sachmittel, ggf.
ergänzendes Personal
etc. -monetarisiert)
Politische
Rahmensetzungen
durch
Gemeinderat
und
Verwaltungsspitze
Trägerstruktur
Mannheimer
Quartiermanagment
(MAQUA)
- Finanzverwaltung (Personal- und
Sachkosten) der Quartiere für jeweils 4 Jahre
- stellt Sachmittel, Aktionfonds und lokale
Anlaufstelle zru Verfügung
Operative
Leistungsebene
Quartier 1
124
4 Fallstudien
Quartier 2
Quartier 3
Quartier 4
rung beinhaltet u. a. ein sozialräumliches Gesamtkonzept und die Einführung eines Siedlungsmonitorings. Unter dem Siedlungsmonitoring (SiMon) wird ein „Ordnungssystem
für Information, Steuerung und Kontrolle relevanter ‚Stellschrauben‘ für eine sozialorientierte Siedlungsentwicklung“ verstanden.221 Die bisherige Vergabe von Wohnungen auf
Grundlage von einer Quotenregelung und von Wohnberechtigungsscheinen wird durch
jährliche Zielvereinbarungen und ein kleinräumiges Siedlungsmonitoring ersetzt. Die bisherige Regelung wurde aufgegeben, da sie Segregationstendenzen nicht verhinderte.
Ziele des Siedlungsmonitorings 223
– Sicherstellung von Wohnraum für Wohnungsnotfälle
– Vermeidung von Leerständen
– Bereitstellung von barrierearmem Wohnraum
– Schaffung von Datengrundlagen für eine siedlungsbezogene Beschäftigungsförderung
– Ausrichtung vorhandener sozialer Infrastruktur an die Bedarfslagen
– Aufwertung der Lebens- und Wohnqualität in und um das Siedlungsgebiet der GBG
Die Installierung des Siedlungsmonitorings sowie der Austausch, die Erhebung und die
Auswertung der Daten sind in der Kooperationsvereinbarung festgeschrieben. In einem
regelmäßigen Berichtswesen der Stadt und der GBG wird das Monitoring umfassend
dokumentiert. Das Siedlungsmonitoring fokussiert den Wohnungsbestand, die soziale
Infrastruktur sowie die Mieterstruktur der GBG. Für das Monitoring wurden elf statistische
Bezirke ausgewählt: Quartiere, in denen die GBG mehr als 20 Prozent des Gesamtwohnungsbestandes besitzt und / oder Quartiere mit besonderen Schwierigkeiten. Mit Hilfe
von zehn Indikatoren zu Wohnsituation und Mieterstruktur, die es ermöglichen, Abweichungen zu „normalen“ Wohnstandards frühzeitig zu erkennen, werden Zielmargen in
den Gebieten über ein Ampelsystem festgelegt und kontinuierlich kontrolliert. Durch
weitere Daten zur Sozialstruktur des Fachbereichs Soziale Sicherung, Arbeitshilfen und
Senioren wird die Aussagekraft ergänzt. Auf Grundlage des Monitorings werden konkrete
Handlungsziele zur Stabilisierung und Aufwertung der Lebens- und Wohnqualität
beschrieben und verbindlich festgesetzt. Darauf aufbauend werden Maßnahmen für sozial
ausgewogene Bewohnerstrukturen entwickelt (z. B. Concierge-Dienste, Wohnbetreuer,
Verzahnung mit ARGE-Programmen, Quartiersmanagement).222
D) Finanzierung
217 Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
Nr. 365/201, S. 8
218 Vgl. Website: http://www.mannheim.de/stadtgestalten/quartiermanagement (Zugriff am 7. 1. 2013)
219 Vgl. GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft, 2012, S. 30
220 Vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
005/2010, S. 10
Die Finanzierung des Quartiersmanagements erfolgt im Wesentlichen durch die Stadt und
die GBG sowie weitere involvierte Träger. Für das Jahr 2013 stellt die Stadt insgesamt
272.000 Euro zur Verfügung. Die GBG stellt weitere Finanzmitte und Personal bereit. Die
Finanzierung und Trägerschaft des Quartiersmanagements finden als gemeinschaftliche
Aufgabe von freier und öffentlicher Wohlfahrtspflege statt; alle Partner bringen etwas
ein.224 Der städtische Beitrag umfasst auch Personalressourcen (in Form der Projektteams, Koordinationsstelle etc.), die fachliche Beratung sowie die Bereitstellung von Daten
und Materialien. Da die Größe der Quartiere nicht genau definiert ist, können die Beträge
nicht einheitlich bzw. abschließend definiert werden, sondern richten sich nach den individuellen Gegebenheiten vor Ort.
221 Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
E) Besonderheiten und Übertragbarkeit
Nr. 312/2010, S. 25
Die Stadt Mannheim hat sich in den letzten Jahren der großen Herausforderung gestellt,
ihre Verwaltung zu reorganisieren und an die aktuellen Herausforderungen anzupassen.
Es wurde erkannt, dass die kleinräumige Betrachtung der Stadtteile und Sozialräume zielführend ist, um die gesamtstädtischen Ziele zu erreichen. Die Stadt beschäftigt sich intensiv
mit dem Thema „Wohnen“ und hat umfangreiche Grundlageninformationen geschaffen,
222 Vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
Nr. 312/2010
223 Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
Nr. 312/2010, S. 8
224 Vgl. Stadt Mannheim: Beschlussvorlage
358/2010, S. 19
4.1 Software Mannheim
125
um Mannheim als Wohnstandort zu stärken. Die enge Zusammenarbeit zwischen der
Stadt und der GBG zeigt beispielhaft verschiedene Möglichkeiten auf, wie Entwicklungen
auf dem Wohnungsmarkt durch Kooperationen und entsprechende Instrumente gesteuert
werden können. In der erneuerten Kooperationsvereinbarung wurden die Aufgaben und
Ziele detailliert festgelegt und für beide Seiten verbindliche Bedingungen geschaffen. Das
Siedlungsmonitoring in Kooperation von Kommune und Wohnungsunternehmen unterstützt eine stärkere sozialräumliche Betrachtung. Durch die Verknüpfung der Daten der
Stadt und des Wohnungsunternehmens lassen sich die Entwicklungen in den ausgesuchten Quartieren genauer erfassen und besser steuern. Allerdings bezieht sich die Betrachtung nur auf die Gebiete, in denen die GBG große Bestände hat.
Nach den positiven Erfahrungen mit Quartiersmanagement – überwiegend im Rahmen
von geförderten Projekten – wurde in Mannheim überlegt, wie diese Einrichtungen auch
außerhalb der Förderung stattfinden können. Die Standards des Quartiersmanagements
wurden in eine vom Gemeinderat beschlossene Gesamtkonzeption überführt. Die Stadtpolitik sieht im befristet angelegten Quartiersmanagement eine sehr wichtige Aufgabe.
Positiv bei der Mannheimer Konzeption ist der vorausschauende Gedanke, die Verstetigung durch eine Exit-Strategie einzuleiten. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg des
Quartiersmanagements ist die gute Zusammenarbeit mit den Bewohnern. Ziel ist es, das
Quartier als lebenswerten Ort bewusstzumachen und auch seine Außenwahrnehmung zu
verbessern.
Die Quartiere sind mit über 5.000 Einwohnern sehr groß gewählt. Dies zeigt erneut die
Dehnbarkeit des Quartiers-Begriffs. Zwar sind einige Maßnahmen in Mannheim nicht
direkt auf die im Forschungsvorhaben fokussierten kleinen Quartiere übertragbar. Aber
gerade die Idee ist sehr interessant, durch die Gründung eines Vereins Strukturen und
Kompetenzen zu schaffen, die die Implementierung solcher Einrichtungen vereinfachen
bzw. einheitlich festlegen. Die Standardisierung von Ausstattung, Zielsetzung und Arbeit
des Quartiersmanagements in Form einer entsprechenden Struktur erscheint sehr sinnvoll – eine derartige Einrichtung könnte auch für kleinere Quartiere einen interessanten
Ansatz darstellen. Auf diese Weise könnten Ressourcen und Kompetenzen gebündelt und
Know-how aufgebaut werden. Erklärtes Ziel des Quartiersmanagements ist es, die bürgerschaftlichen Potenziale zu aktivieren. Daher wurden Kriterien entwickelt, mit denen
nachvollziehbar entschieden werden kann, in welchem Gebiet aufgrund welcher Bedarfs-
126
4 Fallstudien
Kinder- und Jugendhaus in einem Nachkriegsquartier – Gestaltung der Freiflächen
durch die Nutzer
lagen zukünftig Quartiersmanagement als Instrument eingesetzt wird. Dies ist eine sinnvolle Vorgehensweise, da angesichts der Masse der Bestände – egal ob bei kleinen oder
großen Quartieren – Kommunen immer entscheiden müssen, in welchem Quartier sie
zuerst tätig wird.
Die Tätigkeiten der GBG können als vorbildlich im Bereich wohnungswirtschaftlichen
Handelns eingestuft werden. Die soziale Verantwortung ist gelebter Teil der Unternehmensphilosophie. Eine entscheidende Rahmenbedingung liegt jedoch in der Größe des
Unternehmens. Dennoch können einzelne Tätigkeiten und Vorgehensweisen der GBG
auch für kleinere Wohnungsunternehmen interessante Ansätze bieten. In Mannheim wird
im Hinblick auf die kleinräumige Entwicklung seit vielen Jahren eine funktionierende
Zusammenarbeit zwischen der Verwaltung, dem kommunalen Wohnungsunternehmen
und den Wohlfahrtsverbänden geschaffen. Die Quartiersentwicklung wird als gemeinsame Aufgabe der vielen Akteure gesehen.
Quellen
AS & P: Zukunftsfähiger Wohnstandort Mannheim – Wohn.Raum.Stadt: Städtebauliches Gutachten.
Analyse von Potenzial und Eignung ausgewählter kleinräumiger Entwicklungsflächen im Rahmen des
Handlungskonzepts Wohnungsmarktentwicklung. Auftraggeber: Stadt Mannheim. Mit Beteiligung der GBH
Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH. 2010.
GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH: Geschäftsbericht 2011. Mannheim 2012.
Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung an der Ruhr-Universität
Bochum: Wohnungsnachfrageprognose Mannheim. 2011. Im Auftrag der Stadt Mannheim.
Mannheimer Morgen: Strategie: Forum Wohn.Raum.Stadt. tagt erstmals: Attraktivität steigern. 17. 3. 2010.
Stadt Mannheim, Fachbereich Städte: Wohnungsmarkt-Monitoring. 2011.
Stadt Mannheim, Fachbereich Städtebau: Wohnungsmarkt-Monitoring 2011. November 2011.
Stadt Mannheim: Beschluss Nr. 358/2010. Change 2 Projekt „Stadtteilorientierung der Verwaltung“:
Projektergebnisse Mannheimer Quartiermanagement.
Stadt Mannheim: Beschlussvorlage Nr. 005/2010. Zukunftsfähiger Wohnstandort Mannheim:
Handlungskonzept Wohnungsmarktentwicklung / Handlungsrahmen.
Stadt Mannheim: Beschlussvorlage Nr. 358/2010. Change 2 Projekt „Stadtteilorientierung der
Verwaltung“: Projektergebnisse Mannheimer Quartiersmanagement.
Stadt Mannheim: Beschlussvorlage Nr. 365/2011. Beauftragung des Mannheimer Quartiermanagement
e. V. (MaQua) mit der Durchführung des Quartiermanagements ab dem 1. 1. 2012.
Stadt Mannheim: Beschlussvorlage Nr. 637/2009. Change 2 Projekt „Stadtteilorientierung der
Verwaltung“: Konzeption Quartiermanagement.
Stadt Mannheim: Beschlussvorschlage Nr. 312/2010. Kooperationsvereinbarung zur Wohnungsversorgung
zwischen der Stadt Mannheim und der GBG – Mannheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH (GBG).
Stadt Mannheim: Nr. 005/2010. Zukunftsfähiger Wohnstandort Mannheim. Handlungskonzept
Wohnungsmarktentwicklung / Handlungsrahmen.
Stadt Mannheim: Nr. V389/2012. Mannheimer Quartiermanagement e. V. Finanzierung des
Quartiermanagements.
Stadt Mannheim: Projektabschlussbericht Projekt Nr. 8. Stadtteilorientierung der Verwaltung. 2010.
Stadt Mannheim: Weißbuch. Offene Räume – starke Urbanität. Konversion und Bürgerbeteiligung in
Mannheim. 2012.
Links
http://www.mannheim.de/stadt-gestalten/fachbereich-staedtebau (Zugriff am 31. 8. 2012)
http://www.mannheim.de/stadt-gestalten/kommunale-statistikstelle (Zugriff am 31. 8. 2012)
http://www.gis-mannheim.de/mapserver_mann / (Zugriff am 31. 8. 2012)
4.1 Software Mannheim
127
4.2 Hardware
Köln
128
4 Fallstudien
Hamburg
Bremen
Spenge
Viele Wohnquartiere der 1950er bis 1970er
Jahre weisen Defizite im Bereich des Städtebaus
und des Freiraums auf. Um die Quartiere weiterzuentwickeln, sind bauliche Anpassungsmaßnahmen meist unausweichlich. In die bestehenden
Quartiere bzw. Lebenswelten der Bewohner
einzugreifen ist eine sensible Aufgabe. In baulicher Hinsicht kann mit unterschiedlicher
Eingriffstiefe in den Quartieren vorgegangen
werden. Die Bandbreite reicht von Abbruch über
größere Veränderungen bis hin zu minimalen
Arnstadt
Anpassungen – dieses Spektrum wird an Hand
der fünf folgenden Fallstudien beispielhaft
aufgezeigt. Dabei wird auf die baulichen
Maßnahmen, aber auch auf die sonstigen
Rahmenbedingungen, wie die Entscheidungsfindung, Wirtschaftlichkeit, Umbaustrategie
etc. eingegangen.
4.2 Hardware
129
4.2.1
Köln
Buchheimer Weg
A) Basisdaten
Kommune
Köln – Stadtbezirk: Kalk, Stadtteil: Ostheim
Bundesland
Nordrhein-Westfalen
Einwohner (31. 12. 2011) 225
1.017.155
Gemeindetyp
Kreisfreie Stadt
Demografietyp (Bertelsmann)
sozial heterogenes Zentrun der Wissensgesellschaft
Prognose
wachsend 226
Stadtbezirk Kalk: – 2,2 % 2006 – 2025 // Stadtteil Ostheim: + 10 % 2006 – 2015 227
Anzahl Wohngebäude 228
134.202
Anteil WE in MFH 228
82 %
Lage
im Osten der Innenstadt (ca. 6 km Luftlinie), rechtsrheinisch, östlich der Frankfurter Straße (B 8),
westlich der A 3, im Westen liegt der Stadtteil Vingst, im Osten der Stadtteil Merbeim / Neubrück
Baualter
1954 – 1958
Bebauungsstruktur
Zeilen (früher), abgeknickte Zeilen (heute)
Projektart / Größe
Wohneinheiten:
– Ostheim II: vor dem Abriss 396 WE (17.802 qm), heute: 434 WE, davon im 1. BA 159 WE,
2. BA 123 WE, 3. BA 152 WE (Stellplätze: 128)
– weitere Nutzungen: 1 dreizügige Kindertagesstätte, 1 Wohngruppe für Demenzkranke, 1 Wohnheim
für Menschen mit Mehrfachbehinderungen, 1 Gruppenraum für die Erziehungshilfe LOGO e. V.,
3 Gewerbeeinheiten (Stadtteilcafé, LOGO e. V., Veedel e. V.)
– WE gesamt (mit Wohngruppen und Wohnheim): 475
Projektzeitraum
Baubeginn: Oktober 2009 / Fertigstellung: April 2012
Initiator/Träger
Eigentümer (Bauherr): GAG Immobilien AG Köln (ehemals Gemeinnützige Aktiengesellschaft
für Wohnungsbau)
Kooperationspartner/
sonstige Beteiligte
– Architekt (Ursprung): Herbert Neubert, Mitarbeiter: Karl Wiebusch
– Architekten (Neubau): ASTOC Architects and Planners, Köln
– Freiraum: Johannes Böttger, Büro für urbane Gestalt
Finanzierung
– Gesamtinvestitionen Siedlung Köln Ostheim I und II (gesamt 959 WE): 102,2 Mio. Euro,
Ostheim I: 42,3 Mio. Euro; Ostheim II: 57,6 Mio. Euro
– Ostheim II: öffentlich geförderter Wohnungsbau
– Förderweg Einkommen A (390 WE), Einkommen B (44 WE),
Miete: 5,10 Euro/qm (Einkommensgruppe A), 6,20 Euro/qm (Einkommensgruppe B)
Ausgangslage /Probleme
– vernachlässigte Strukturen aus den 1950er Jahren
– schwierige Bewohnerstruktur
– schlechtes Image
– desolates Wohnumfeld, Vandalismus
Maßnahmen /Strategien
– Komplettabriss und Neubebauung mit verdichteten Strukturen (Ersatzneubau) unter Wahrung
der städtebaulichen Idee der 1950er Jahre
– Beibehaltung der Bewohnerstruktur, weitgehender Erhalt des Mietpreisgefüges
– Zielgruppe: geförderter Wohnungsbau für untere Einkommensgruppen, Bezieher von Transferleistungen
Adresse des Projektes
130
4 Fallstudien
Buchheimer Weg, Grevenstraße, 51107 Köln (Ostheim)
B) Kontext / Rahmenbedingungen
225 Website: https://www.destatis.de/cgi-bin/
gv2000_suche.pl (Zugriff am 12. 12. 2012)
226 Vgl. Amt für Stadtentwicklung und Statistik, 2012;
Website: http://www.stadt-koeln.de/1/zahlen-statistik/
(Zugriff am 12. 12. 2012)
227 Website: http://www.stadt-koeln.de/mediaasset/
content/pdf15/bevoelkerungsprognose-2035.pdf
(Zugriff am 6. 6. 2012)
228 Website: https://www.regionalstatistik.de/
genesis/online/logon
229 Vgl. Statistisches Landesamt NRW, 2012;
Website: http://www.it.nrw.de (Zugriff am 12. 12. 2012)
230 Vgl. Amt für Stadtentwicklung und Statistik, 2012
231 Vgl. Heinen / Pfeffer, 1988
Köln zählt zu den wenigen Städten mit Einwohnerzuwachs und angespanntem Wohnungsmarkt. Das Rheinland ist die Region, die im ansonsten schrumpfenden Bundesland
Nordrhein-Westfalen am stärksten wächst.229 Insbesondere der Mietwohnungsmarkt ist
sehr angespannt und preisgünstige Wohnungen verschwinden zunehmend vom Markt. Es
gibt noch Wohnungen in Köln, die im frei finanzierten, sanierten Geschosswohnungsbau
für 7,50 Euro bis zehn Euro/qm vermietet werden. Aber oft werden auch deutlich höhere
Mieten verlangt. Die Bevölkerungsentwicklung ist je nach Stadtbezirk unterschiedlich, es
gibt Stadtteile mit wachsender und Stadtteile mit stagnierender oder rückläufiger Bevölkerungsentwicklung; neben den südlichen Stadtteilen ist vor allem in der Innenstadt mit
einer stabilen oder wachsenden Entwicklung zu rechnen. Bis 2030 wird ein Zuwachs von
zehn bis 14 Prozent prognostiziert.230 Dies entspricht einem Zuwachs um 100.000 Einwohner.
Ostheim wurde erstmals im 12. Jahrhundert erwähnt und bestand damals nur aus
wenigen Bauernhöfen. Erst mit der Industrialisierung entwickelte sich Ostheim zu einem
Wohnstandort für Menschen, die in Kalk und Merheim arbeiteten. Eine verstärkte Bautätigkeit setzte erst in den 1930er Jahren ein („Saar-Siedlung“) und gewann nach dem
Ende des Zweiten Weltkriegs an Fahrt. Zunächst stand dabei der Bau von Einfamilienhäusern im Vordergrund, gebaut wurden die Postsiedlung und die Badener Siedlung.
Ab 1954 setzte die Bautätigkeit der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (heute
GAG) ein. Sie errichtete Siedlungen im Sozialen Wohnungsbau mit Mitteln aus einem
Finanzprogramm zum Wiederaufbau der Alliierten. Das größte Siedlungsvorhaben der
GAG war die Bebauung Vingst, die rechtsrheinisch ab 1958 am äußeren Grüngürtel entstand. Es folgte die Bebauung Ostheim I und II des Architekten Herbert Neubert, die aus
zwei Siedlungsteilen mit Zeilenstrukturen besteht. Beide Siedlungsteile haben jeweils eine
beinahe dreieckige Grundform. Die Gebäudezeilen wurden durch geschwungene Straßen
erschlossen. Zwischen den pastellfarbenen Häusern gab es großzügige Grünflächen. Am
Schnittpunkt der beiden Siedlungsteile wurde 1957/58 ein achtgeschossiges Hochhaus als
städtebauliche Dominante mit 64 Apartments für Werksangehörige der Glöckner-Humboldt-Deutz-AG errichtet (Mietpreis 1957: 1,43 DM/qm). Die Siedlung wurde mit Gemeinschaftseinrichtungen, wie einem Waschhaus, ausgestattet und Ende der 1950er Jahre wurde
ein Jugendheim errichtet.
Erstellt wurde die Siedlung Ostheim in Einfachstbauweise mit Mitteln aus dem Marshallplan (Foreign Administration (FAO) Program). Gebaut wurden drei- bis viergeschossige Zeilenbauten, meist als Dreispänner mit standardisierten Wohneinheiten und sehr
einfachen Grundrissen, vielfach mit gefangenen Zimmern. Zielgruppe waren Flüchtlinge
aus der sowjetischen Besatzungszone und Spätheimkehrer, die in den nahe gelegenen
Industriebetrieben (Chemieindustrie) Arbeit fanden, sowie obdachlose Kölner, die durch
den Krieg ihre Bleibe verloren hatten. In den Laubenganghäusern (sogenannte Übergangshäuser) fanden sie ein neues Zuhause. Die Wohnungen in den Zeilen wurden 1954 für
1,10 DM/qm vermietet.231 Die Belegungsdichte war auch durch Doppelbelegungen und
die geringen Wohnflächen sehr hoch. Das Doppelbelegungsprogramm sah vor, dass zwei
Familien für fünf Jahre eine Wohnung belegen sollten. Die Wohnungsgröße für einen
Vierpersonenhaushalt betrug durchschnittlich 40 qm, oft wohnten jedoch bis zu acht Personen auf dieser Fläche. Es gab Zwei- (30 – 36 qm), Drei- (40 – 48 qm) und Vierzimmerwohnungen (ca. 60 qm) mit Wohnküchen und Bädern. Die Wohnungen in den Laubenganghäusern hatten keine eigenen Bäder. Geheizt wurde mit Braunkohlebriketts aus den
nahe gelegenen Bergwerken, eine für das Rheinland typische Form des Heizens.
Die Umgebungsbebauung ist sehr heterogen. Westlich der Frankfurter Straße liegt eine
Trabantensiedlung mit 2.500 Wohneinheiten aus den 1970er Jahren (Gernsheimer Straße).
Damals waren die Wohnungen aufgrund des Komforts (Heizung, Bad, Aufzug etc.) sehr
beliebt. Heute gilt die Siedlung als sozialer Brennpunkt mit vielfältigen Problemen (Armut,
Arbeitslosigkeit, Kriminalität etc.).
4.2 Hardware Köln
131
Historische Luftbilder Buchheimer Weg
(Siedlungsbereich I und II)
132
4 Fallstudien
Die Siedlung Buchheimer Weg kurz nach
der Fertigstellung
4.2 Hardware Köln
133
Lageplan der historischen Zeilenbebauung und
der neuen Bebauungsstruktur mit abgeknickten
Zeilen – neue Raumbildung durch die Veränderung
der Baustruktur
N
(ohne Maßstab)
70 m2
80 m2
85 m2
80 m2
80 m2
50 m2
50 m2
Maßstäblicher Vergleich
historischer und neuer Grundriss
Regelgeschoss eines Ersatzneubaus
70 m2
134
4 Fallstudien
Die Neubebauung fügt sich in den städtebaulichen Kontext ein, definiert aber neue Räume.
(ohne Maßstab)
Das ausgeklügelte Farbsystem ist ein wichtiger
Bestandteil des Entwurfes
4.2 Hardware Köln
135
Im Ostheimer Ortskern sind Rudimente einer dörflichen Bebauung zu erkennen. Das
Stadtteilzentrum ist wenig ausgeprägt und hat Defizite in Bezug auf die Aufenthaltsqualitäten. Schulen und Betreuungseinrichtungen sind in der Umgebung fußläufig erreichbar,
die Anbindung an den ÖPNV ist gut. Die Immissionen der angrenzenden Autobahn A 3
wurden durch einen Lärmschutzwall gemindert, Fluglärm gehört, wie in den meisten
rechtsrheinischen Gebieten, zum Alltag.
Die Siedlung Ostheim (I und II) ist Zeugnis des Wiederaufbaus nach dem Zweiten
Weltkrieg, dessen vorrangiges Ziel die Behebung der enormen Wohnungsnot war. Kennzeichnend war ein sehr einfacher Standard mit kleinen Wohnungen, vielfach ohne Bad
oder Balkon. In den 1970er Jahren setzte ein deutlicher Abwärtstrend ein. Heute bezieht
ein großer Teil der Mieter Transferleistungen. Rund ein Drittel der Bewohner hat ausländische Wurzeln. Aus der ehemals einkommensschwachen Bewohnerstruktur hat sich im
Zuge des wirtschaftlichen Strukturwandels in den 1970er Jahren eine „sozial schwache“
Mieterschaft entwickelt. Das Wohnumfeld war vor der Sanierung, Ende der 1990er Jahre,
in einem desolaten Zustand.232 Die Siedlung war stigmatisiert, die Bebauung galt als
„schlechte Adresse“.
C) Projektbeschreibung und Akteure
Das Wohnungsunternehmen GAG (gegründet 1913) ist eine börsennotierte Aktiengesellschaft und das größte kommunale Wohnungsunternehmen in Köln. 72 Prozent der Aktienanteile sind im Besitz der Stadt, 10,5 Prozent im Besitz der Sparkasse KölnBonn, vier Prozent im Besitz der Ernst-Cassel-Stiftung, die hilfsbedürftige Mieter unterstützt. Der Rest
wird von freien Aktionären getragen.233 Das Wohnungsunternehmen hat einen Bestand
von ca. 42.000 Wohneinheiten, davon zahlreiche aus den 1950er und 1960er Jahren
(50 Prozent frei finanziert, 50 Prozent gefördert). Gesellschaftszweck des Unternehmens
ist es, „preiswerten Wohnraum zu schaffen“.234 Etwa 100.000 Mieter, das heißt jeder zehnte Kölner, wohnt bei der GAG. Eine im Jahr 2001 bereits beschlossene Privatisierung des
Unternehmens wurde nicht umgesetzt.
Die GAG legt großen Wert auf eine offensive Öffentlichkeitsarbeit. Daher gibt es einen
Mieterbeirat, der vom Unternehmen aktiv bei seiner Mittlerrolle zwischen Vermieter und
Eigentümer unterstützt wird. Bei vielen Beständen laufen derzeit die Bindungen aus – das
Unternehmen baut aber wieder viele Wohnungen mit Bindungen, um die finanziellen
Vorteile zu nutzen und in eine höhere Qualität zu investieren.
2002 bis 2007 wurde der erste Teil der Siedlung (Ostheim I, 20 Häuserzeilen) in fünf
Bauabschnitten umfassend saniert und eine dreigruppige Kindertagesstätte errichtet. Insgesamt wurden 42,3 Mio. Euro investiert. Das Wohnhochhaus wurde bereits in den 1980er
Jahren saniert und die Fassade durch das Aufbringen von gedämmten Fassadenplatten
grundlegend verändert.
In einem langen Abwägungsprozess und nach den Erfahrungen aus der Sanierung von
Ostheim I entschied sich das Unternehmen, Ostheim II aufgrund der sehr schlechten Bausubstanz abzubrechen und durch eine Neubebauung zu ersetzen (Ersatzneubau). Grundlage bildete eine Bestandsanalyse, die neben einer Wirtschaftlichkeitsberechnung den
Zustand, die Grundrisse, den Wohnwert auch die städtebauliche und baukulturelle Bedeutung erfasste.235 Die Gebäude wurden bautechnisch als kaum mehr sanierungsfähig eingestuft. Eine energetische Modernisierung des Bestandes war wirtschaftlich nicht umzusetzen. Die Analyse zeigte, dass die Wirtschaftlichkeit des Projektes nur durch einen kostengünstigen Neubau zu realisieren war. Ein Umzugsmanagement war wichtiger Teil der
Kalkulation. Es sollte den Mietern ermöglicht werden, trotz Ersatzneubau am Standort zu
bleiben. Die Obergrenze für die Kaltmiete im öffentlich geförderten Wohnungsbau, Förderweg Einkommensgruppe A von 5,10 Euro durfte nicht überschritten werden. Hiermit
waren sehr enge finanzielle Grenzen gesetzt.
Aus einer Mehrfachbeauftragung ging das Kölner Büro ASTOC als Sieger hervor. Das
Büro erarbeitete eine Stärken-Schwächen-Analyse und sah insbesondere in der Groß136
4 Fallstudien
232 Interview und Begehung mit Werner Heinen,
26. 10. 2012
233 Vgl. GAG Immobilien AG, o. J., S. 25
234 Ebenda
235 Interview und Begehung mit Werner Heinen,
26. 10. 2012
zügigkeit der Freiräume und der vorhandenen Vegetation große Qualitäten. Als Mängel
wurden die unzureichende Gliederung der Freiräume, die fehlenden Parkplätze, die ungünstige Orientierung der Gebäude und die diffuse räumliche Wirkung zur Frankfurter
Straße gesehen.
Idee des Entwurfes war es, die städtebaulichen Strukturen der 1950er Jahre durch die
Aufnahme der Zeilenstrukturen zu respektieren, aber durch das Abknicken der Baukörper
tiefere Gebäude und veränderte Dachformen eine neue Raumbildung und Architektursprache zu erzeugen. Die 17 Bestandsgebäude wurden durch 18 Neubauten ersetzt. Die
stadträumliche Qualifizierung sollte mit einer Verdichtung einhergehen. Die Wohnfläche
stieg um 11.567 qm auf 29.369 qm. Die geknickte Zeilenbebauung besteht aus deutlich tieferen Gebäuden, die in ihrer Mitte jeweils hofartige, aber dennoch offene Freibereiche einschließen. Die Verdichtung ist städtebaulich kaum wahrnehmbar; die ursprüngliche Straßenführung wurde beibehalten. Realisiert wurde die Bebauung in drei Bauabschnitten.
Die Zusammenarbeit mit der Stadt gestaltete sich sehr gut. Die Baugenehmigung erfolgte
nach § 34 BauGB.
Die Dachform kann als Neuinterpretation des geneigten Daches gesehen werden. Durch
leicht aufsteigende Traufen an allen vier Gebäudeseiten und eine auf die Ecken zulaufende
Führung des Firstes entsteht eine ganz neue Anmutung. Wesentliches Merkmal der neuen
Fassadengestaltung sind französische Fenster und vorspringende Balkone, die die einfach
gestalteten Fassaden gliedern. Das Vorhaben, die Gebäude mit einem grünen Putz zu
gestalten, stieß in Mieter- und Bürgerversammlungen zunächst auf große Bedenken und
Ablehnung. Es wurde eine umfassende Aufklärungsarbeit geleistet, die Bedenken zerstreut
und das geplante, sehr ausgeklügelte Farbkonzept umgesetzt. Die fünf abgestuften Grüntöne wurden in unterschiedlichen Nuancen aufgetragen, die je nach Himmelsrichtung
variieren und dadurch eine plastische Wirkung entfalten. Die Farbgestaltung wird heute
von den Bewohnern sehr gut angenommen.
Etwa 40 zusätzliche Wohnungen wurden realisiert. Alle Wohnungen sind heute deutlich besser und großzügiger geschnitten und haben Balkone oder Terrassen. Es gibt Einbis Vierzimmerwohnungen mit 42 bis 95 qm Wohnfläche. Die Grundrisse sind flexibel
gestaltet mit zuschaltbaren Zimmern. Die Bäder sind barrierefrei und es gibt Einbauschränke. Ein Teil der Wohnungen ist rollstuhlgerecht. Zwei Gebäude wurden seniorenfreundlich mit Aufzügen ausgestattet, hier befinden sich eine Wohngruppe für Demenzkranke und eine Wohngruppe für Menschen mit Mehrfachbehinderung. An allen anderen
Gebäuden können Aufzüge nachgerüstet werden. Als ergänzende Einrichtungen wurden
eine dreizügige städtische Kindertagesstätte, ein Gruppenraum für die Erziehungshilfe,
ein Mietercafé und zwei weitere gewerbliche Nutzungseinheiten realisiert. Die Baukosten
wurden von der GAG getragen; die Räume werden an die Nutzer vermietet. Neben der
Job-Börse gibt es die Einrichtung „hapa hapa“, die Essen für Kinder anbietet, im ehemaligen Waschhaus befindet sich heute der Mieterverein. Initiiert durch die örtliche Politik
und die Bewohner hat sich ein Mieterbeirat gebildet, der die Realisierung der Bebauung
mit großem Engagement begleitete.
Wichtiger Bestandteil des städtebaulichen Konzeptes war ein sehr ambitioniertes Freiraumkonzept mit einem hohen Anspruch an vielfältige Nutzungsoptionen für verschiedene
Zielgruppen: Kinder, Jugendliche, Familien, Ältere. Ein Großteil des gewachsenen Baumbestandes konnte erhalten werden. Die bisher ungegliederten Freibereiche wurden auch
durch die veränderte, nun raumbildende Zeilenstruktur in öffentliche, gemeinschaftliche
und private Nutzungszonen gegliedert. Den Erdgeschosswohnungen wurden private Freiflächen zugeordnet, die meist intensiv genutzt und auch individuell angeeignet werden.
Die Parkierung ist dezentral organisiert und wurde in das Freiflächenkonzept integriert.
Eine Tiefgarage mit etwa 40 Stellplätzen und einem direkten Zugang zu drei Gebäuden ist
vorhanden. Pro Wohneinheit wurden 1,5 Stellplätze geplant. Ein Teil der ebenerdigen
Stellplätze wurde temporär den Spielflächen zugeschlagen und durch Poller vom Verkehrsraum getrennt.
4.2 Hardware Köln
137
Die gut durchdachte Gestaltung des Freiraums
hat neue Wohnumfeldqualitäten hervorgebracht –
private und gemeinschaftlich genutzte Bereiche
werden differenziert.
138
4 Fallstudien
Durch die abgeknickten Zeilen bilden sich
hofartige Strukturen.
4.2 Hardware Köln
139
Das Wohnumfeld als erweiterter Wohnraum
140
4 Fallstudien
links: Die privaten Freibereiche im Erdgeschoss
werden individuell genutzt.
unten: Seniorengerechte Wohnungen im
Erdgeschoss in Gebäuden ohne Aufzug
4.2 Hardware Köln
141
Die Wohnungsbaugesellschaft übernimmt in manchen Bereichen kommunale Aufgaben,
die die Stadt nicht mehr leisten kann. Dies tut sie auch aus eigenem Interesse, da sie an
stabilen und funktionierenden Strukturen interessiert ist. Es gibt eine vielschichtige
Betreuung vor Ort: Hausmeister, Sozialarbeiter, technische Hilfen, Seniorenbetreuung,
Kinderbetreuung, Hausaufgabenhilfen, Computerkurse etc. Die Mieter werden in unterschiedlichen Lebensfragen umfassend unterstützt und es werden Mieterfeste organisiert.
Das Sozialmanagement des Unternehmens arbeitet eng mit den Sozialraumkoordinatoren
der Stadt zusammen.
Das Image der Siedlung hat sich durch die Neubebauung grundlegend verändert und
zum Positiven entwickelt. In der GAG Immobilien-Zeitschrift heißt es: „Der Clou in Ostheim: Häuser mit Knick“.236 Die Bebauung gilt als „viel bestauntes Highlight in der Kölner Wohnungswirtschaft“.237 Sie wird von den Mietern sehr gut angenommen. Man
wohnt nicht mehr in „Ostheim“, sondern „im Knick“ und ist stolz darauf. War Vandalismus früher an der Tagesordnung, so ist er heute kein Problem mehr.
D) Finanzierung
Es handelt sich um öffentlich geförderten Mietwohnungsbau. Die Neubebauung sollte bei
weitgehend gleichbleibenden Mieten erfolgen, sodass, auch aufgrund der zulässigen Maximalmieten, klare Kostenobergrenzen von Beginn an feststanden. Ziel war es, neuen
sozialen Wohnungsbau mit hohen gestalterischen Ansprüchen zu realisieren. Die Gesamtinvestitionen in Ostheim betrugen 57,6 Mio. Euro. Die Durchschnittsmiete liegt bei
5,10 Euro/qm (kalt) für die Einkommensgruppe A und bei 6,20 Euro/qm für die Einkommensgruppe B. Durch die erheblich höhere Dichte und die Verwendung von nur zwei Baukörpertypen und wenigen, gleichzeitig flexiblen Grundrisstypen konnte die Wirtschaftlichkeit des Projektes erreicht werden. Das Unternehmen geht in der Bilanzierung davon
aus, dass die Bebauung Köln-Ostheim zu einer Steigerung des Unternehmenswertes beiträgt.238
E) Besonderheiten und Übertragbarkeit
Das Projekt versteht sich als Neuinterpretation des Städtebaus der 1950er Jahre. Städtebauliches Ziel der Planung war es, die Qualitäten des gegliederten und aufgelockerten
Städtebaus – die gute Belichtung der Wohnungen, eine gewisse Großzügigkeit und einen
hohen Freiraumanteil – beizubehalten und dennoch zu verdichten. Die abgeknickten
Gebäudekörper nehmen die Grundstruktur der Zeilenbebauung auf, definieren aber
durch eine subtile Hofbildung ganz neue Räume und lassen die Eintönigkeit verschwinden. Das Projekt ist modellhaft für die Erneuerung der Siedlungen der 1950er Jahre mit
Ersatzneubau und zeigt, wie bei stigmatisierten Quartieren ein Imagewandel in die Wege
geleitet werden kann. Ein wichtiges Element ist die Farbgestaltung, die zu einem „Markenzeichen“ des Wohnstandortes geworden ist.239
Die ehemalige Flüchtlingssiedlung ist heute ein attraktiver, aber immer noch kostengünstiger Wohnstandort. Viele Mieter sind in der Siedlung geblieben.240 Die Wandlung
der Siedlung ist erstaunlich. Dies ist neben der stadträumlichen Qualifizierung, der veränderten Gebäudegestaltung und den großzügigeren Grundrissen insbesondere auf die Neugestaltung des Wohnumfeldes zurückzuführen. Eine Nachverdichtung von 25 Prozent
wurde erreicht, dennoch ist die Großzügigkeit der Freiräume nach wie vor gegeben.241
Von einem desolaten Umfeld ist nichts mehr zu spüren. Soziale Kontrolle wurde zu einem
wichtigen Leitmotiv und die abgestufte Nutzung der Freiräume ist ganz wesentlich für die
neuen Wohnqualitäten im Quartier. Das Quartier ist heute, drei Jahre nach der Fertigstellung, in einem sehr guten Zustand. Viele Bewohner haben sich zu engagierten Akteuren
entwickelt, es gibt einen Mieterrat und Vereine, die das Quartiersleben unterstützen. Die
GAG verfolgte von Beginn an einen Quartiersansatz, der als Erfolgsfaktor gesehen wird.
Wichtig ist es dem Unternehmen, Hilfe zur Selbsthilfe zu unterstützen und ein verlässlicher Partner für die Mieter zu sein. Die kleineren Siedlungen und Bestände der 1950er
142
4 Fallstudien
und 1960er Jahre gelten im Gegensatz zu den Großstrukturen aus den 1970er Jahren als
gut transformationsfähig, bei Investitionsentscheidungen prüft das Unternehmen inzwischen immer auch die Option des Ersatzneubaus.
Das Projekt hat wichtige städtebauliche Impulse gesetzt und zeigt, dass durch Ersatzneubau nicht zwangsläufig kostengünstiger Wohnraum verloren gehen muss. Dies ist insbesondere für Regionen mit einem sehr angespannten Wohnungsmarkt von Bedeutung.
Das Grundprinzip der Neuplanung, den Bewohnern durch eine nur geringfügige Erhöhung der Mieten die Möglichkeit zu geben, im Quartier zu bleiben, ist ohne Förderung
jedoch nicht wirtschaftlich umsetzbar. Entscheidend für den Erfolg des Projektes war die
sehr qualitätsvolle Entwicklung des Freiraums. Durch das Freiraumkonzept ist die soziale
Kontrolle in besonderer Weise gewährleistet, was entscheidend zum Funktionieren des
Quartiers beiträgt. Das Projekt ist heute ein Vorzeigeprojekt für die GAG und genießt eine
breite Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Dies zeigt sich auch in verschiedenen Auszeichnungen. Das Projekt wurde mit einem Bauherrenpreis ausgezeichnet und mit einer
Anerkennung beim deutschen Städtebaupreis 2012.
Quellen
Besichtigung am 26. 10. 2012 mit Werner Heinen, GAG, Hauptabteilung Technik,
Referat für Denkmalpflege und Dokumentation
Bauwelt 45/2011, Thema: Ersatzstadt
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) (Hg.): Möglichkeiten und Grenzen
des Ersatzneubaus – Als Beitrag zur Energieeinsparung und Klimaschutz bei Wohngebäuden.
Forschungen Heft 154. Bonn 2012.
GAG Immobilien AG (Hg.): Informationen (o.O, .o.J.), Archiv GAG.
Heinen, Werner: Städtebauliche Entwicklung Ostheim, unveröffentlichtes Manuskript.
Heinen, Werner / Pfeffer, Anne-Marie: Köln: Siedlungen 1938 – 1988. Köln 1988.
236 GAG Immobilien AG, S. 18
237 Ebenda
238 Vgl. ebenda
239 Vgl. Maier-Solgk, 2011, S. 22
240 Vgl. ebenda, S. 25
241 Vgl. Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung (BMVBS),
2012 b, S. 42
Interview mit Kathrin Möller, Mitglied des Vorstandes der GAG,
geführt von Frank Maier-Solgk: Mit der vorgeschriebenen Kaltmiete von 5,10 Euro
sind die Grenzen gesetzt. In: Bauwelt 45/2011, S. 25.
Maier-Solgk, Frank: Abgerissen und wieder aufgebaut. In: Bauwelt 45/2011, S. 20 – 25.
Links
Luftbilder: www.bilderbuch-koeln.de
4.2 Hardware Köln
143
4.2.2 Hamburg
Altenhagener Weg
A) Basisdaten
Kommune
Hansestadt Hamburg – Stadtbezirk: Wandsbek, Stadtteil: Rahlstedt
Bundesland
Hamburg
Einwohner (31. 12. 2011) 242
1.798.836
Gemeindetyp
Stadtkreis Hamburg (kreisfrei)
Demografietyp (Bertelsmann)
urbanes Zentrum mit heterogener wirtschaftlicher und sozialer Dynamik (Typ 7)
Prognose
wachsend
jährliches Bevölkerungswachstum um rund 6.000 Einwohner
Prognose 2030: ca. + 1,9 Mio. Einwohner 243
Anzahl Wohngebäude 244
240.841
Anteil WE in MFH 244
79 %
Lage
Stadtbezirk Hamburg-Wandsbek, Stadtteil Rahlstedt, im Nord-Osten der Stadt,
ca. 10 km Luftlinie vom Zentrum entfernt
Baualter
1958 – 1960
Bebauungsstruktur
Zeilenbebauung
Projektart / Größe
– vor dem Umbau 6 Gebäudezeilen mit 108 WE, nach dem Umbau 156 WE
– 6 Gebäudezeilen (Altbau, teilweise aufgestockt) und 4 Punkthäuser (Neubau)
– in den Neubauten 48 neue WE in 3- bis 4,5-Zimmerwohnungen,
in den Altbauten 108 WE in 2- bis 2,5-Zimmerwohnungen, in den Aufstockungen 15 WE
– insgesamt 12.000 qm Mietfläche
Projektzeitraum
Fertigstellung der Erneuerung 2009
Initiator/Träger
Helvetia – Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG, Direktion für Deutschland, Frankfurt am Main
Kooperationspartner/
sonstige Beteiligte
– Eigentümer (Bauherr): Helvetia – Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG,
Direktion für Deutschland, Frankfurt am Main
– Planung Ursprungsgebäude: Adolph K. Kruse
– Architekt Erneuerungsmaßnahme: Springer Architekten, Prof. Jörg Springer, Berlin
(seit 2009 Heidenreich Springer Architekten)
– Tragwerk: Jockwer + Partner, Haustechnik: pin – Planende Ingenieure
– Freiraum: Springer Architekten mit Georg v. Gayl Landschaftsarchitektur, Berlin
Finanzierung
– Gesamtinvestitionen 17 Mio. Euro
– ca. 1 Mio. Euro Fördermittel der Hamburgischen WK Wohnungsbaukreditanstalt
– Mischung aus geförderten und frei finanzierten, hochwertigen Wohnungen
Ausgangslage /Probleme
– in die Jahre gekommene Gebäude, einfache Bausubstanz
– konsequent nach Südwesten ausgerichtete Zeilen, wenige Wohnungstypen, kleine Wohnungen
– zunehmende Vermietungsschwierigkeiten und Fluktuation
Maßnahmen / Strategien
– umfassende Erneuerung des Bestandes
– Nachverdichtung durch Aufstockung
– vier punktartige Neubauten auf den ehemaligen Garagenhöfen
Adresse des Projektes
144
4 Fallstudien
Altenhagener Weg 1–5, 2–6; Farmsener Zoll 9, 15, 19; Am Knill 18, 22147 Hamburg
B) Kontext, Rahmenbedingungen
242 Website: https://www.destatis.de/cgi-bin/
gv2000_suche.pl (Zugriff am 12. 12. 2012)
243 Website: http://www.hamburg.de/contentblob/
3469910/data/wohnungsbauprogramm-druckversionapril-2012-teil-1-text.pdf (Zugriff am 25. 1. 2013)
244 Website: https://www.regionalstatistik.de/
genesis/online/logon (Zugriff am 20. 1. 2013)
245 Vgl. Website: http://www.hamburg.de/
contentblob/3469910/data/wohnungsbauprogrammdruckversion-april-2012-teil-1-text.pdf
(Zugriff am 25. 1. 2013)
246 Website: http://www.hamburg.de/contentblob/
3459978/data/buendnis-fuer-das-wohnen.pdf
(Zugriff am 25. 1. 2013)
247 Vgl. Website: http://www.hamburg.de/
contentblob/3469910/data/wohnungsbauprogrammdruckversion-april-2012-teil-1-text.pdf, S. 9
(Zugriff am 25. 1. 2013)
248 Vgl. Website: http://www.hamburg.de/
stadtplanung-wandsbek/3144382/wohnungs
bauprogramm.html (Zugriff am 25. 1. 2013)
249 Vgl. Website: http://www.hamburg.de/
contentblob/3777264/data/wohnungsbauprogramm2013-gesamtuebersicht.pdf (Zugriff am 25. 1. 2013)
250 Vgl. Website: http://www.hamburg.de/
contentblob/3469910/data/wohnungsbauprogrammdruckversion-april-2012-teil-1-text.pdf
(Zugriff am 25. 1. 2013)
Hamburg ist eine wachsende Stadt mit rund 1,8 Mio. Einwohnern. Die Stadtentwicklung
ist dynamisch und der Bedarf an Wohnraum groß. Bis 2030 wird ein Einwohnerzuwachs
um jährlich rund 6.000 auf ca. 1,9 Mio. Einwohner prognostiziert.245 Sowohl die Stadtpolitik (Senat und Bezirksämter) als auch die Wohnungsverbände setzen sich für eine Steigerung der Wohnungsbautätigkeit und den Erhalt von kostengünstigem Wohnraum ein
(vgl. „Bündnis für das Wohnen in Hamburg – Vereinbarung für das Wohnen zwischen
der Freien und Hansestadt Hamburg und den wohnungswirtschaftlichen Verbänden
Hamburgs über Wohnungsneubau, Klimaschutz und Energieeffizienz, Erhalt der Backsteinfassaden und integrative Wohnungspolitik für die 20. Legislaturperiode“).246 Ziel der
Stadt Hamburg ist es, jährlich den Bau von 6.000 neuen Wohnungen zu genehmigen.
Der Stadtbezirk Wandsbek liegt im Nordosten der Innenstadt und ist mit über 411.000
Einwohnern der einwohnerstärkste Hamburger Bezirk. Wandsbek besteht aus 18 Stadtteilen, die durch sehr unterschiedliche Baustrukturen gekennzeichnet sind. Historische
Strukturen, Geschosswohnungsbau der Nachkriegszeit, die Großsiedlung Steilshoop sowie
Einfamilienhaus- und Villengebiete zeigen die Vielfalt der Strukturen auf. Der Stadtteil
Rahlstedt (rund 87.000 Einwohner) ist der einwohnerstärkste Stadtteil und besteht aus
unterschiedlichen Teilräumen mit eigener Identität.247 Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte
eine rege Bautätigkeit ein, es entstanden neue Siedlungsgebiete und der Stadtteil wuchs
stark. Rahlstedt hat einen historischen Kern; die Ausstattung mit Infrastruktur und die
Anbindung an den ÖPNV sind gut, es gibt ein vielfältiges Schulangebot.
Um den Wohnungsneubau in der Stadt voranzutreiben, haben der Hamburger Senat
und die Bezirksämter 2011 den „Vertrag für Hamburger Wohnungsneubau“ geschlossen.248 Ziel ist es, Flächen für den Wohnungsbau zu aktivieren und die Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Ende 2011 beschloss die Bezirksversammlung Wandsbek,
2012 ein bezirkliches Wohnungsbauprogramm aufzustellen. In einem Plan, der fortgeschrieben wird, werden Potenzialflächen für den Wohnungsbau dargestellt (Fortschreibung 2013, Beschluss der Bezirksversammlung vom 22. 11. 2012).249 Über 80 Flächen wurden identifiziert, auf denen rund 5.500 Wohneinheiten entstehen könnten. Die bisherigen
Erfahrungen mit dem Wohnungsbauprogramm sind positiv, für über 50 Prozent der
Flächen wird die Mobilisierung in die Wege geleitet; auf zehn Flächen wurden bereits Baumaßnahmen umgesetzt oder sie befinden sich in der Realisierung. 2011 wurden Baugenehmigungen für 1.200 neue Wohnungen im Bezirk erteilt.250 Im Mietwohnungsbau
sollen 30 Prozent der Wohnungen als öffentlich geförderter Wohnungsbau für mittlere
und untere Einkommensgruppen errichtet werden.251
Das Quartier Altenhagener Weg ist überwiegend in den 1950er und 1960er Jahren
entstanden. Die Bebauung spiegelt das städtebauliche Leitbild der gegliederten und aufgelockerten Stadt wider. Kennzeichnend sind konsequent nach der optimalen Belichtung –
nach Südwesten – ausgerichtete Zeilen, die diagonal auf dem Grundstück angeordnet wurden. Die Bebauung liegt in einem Siedlungsgebiet, das durch Zeilenbauten und eine
weitläufige Einzelhausbebauung gekennzeichnet ist. Im Westen grenzen ein Sportgelände
und eine Bahnstrecke an (U-Bahnhof Farmsen). Der Städtebau nimmt Bezug zu den Ideen
des dänischen Architekten Arne Jacobsen, der ähnliche Strukturen in den späten 1940er
Jahren realisierte.252
Vor der Modernisierung gab es nur wenige Wohnungstypen, zunehmende Vermietungsschwierigkeiten und eine relativ hohe Fluktuation. Das Wohnumfeld wies die typischen Merkmale des Nachkriegsstädtebaus der 1950er Jahre auf, war jedoch in einem
gepflegten Zustand. Einige Wohnungen wurden noch von Erstbeziehern bewohnt. Die
Bindung dieser Mieter an den Standort ist hoch.
251 Vgl. Website: http://www.hamburg.de/
contentblob/3469910/data/wohnungsbauprogrammdruckversion-april-2012-teil-1-text.pdf
(Zugriff am 25. 1. 2013)
252 Vgl. Wüstenrot Stiftung, 2012, S. 6
4.2 Hardware Hamburg
145
oben: Altenhagener Weg,
Bebauung und Außenanlagen
Mitte: Modell Bestand und bauliche
Ergänzung
unten: Räumliches Konzept,
Schaubild
146
4 Fallstudien
oben links und darunter: Bestandsbebauung
vor der Modernisierung
Mitte und rechts: Baumaßnahmen – ein Teil
der Altbauten ist noch bewohnt
unten links und rechts: modernisierter Bestand
mit Neubauten als gestalterische Einheit
4.2 Hardware Hamburg
147