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Geschöpfe Gottes tierisch gut Mein Hund ist auch katholisch – Tiersegnung in Neviges Heilige Kühe – Tiere in den Religionen Treue Wächter und Begleiter – Die Bernhardiner vom Kreuzberg Mensch und Papagei – Zwiespältige Tierliebe 4 2011 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Editorial Inhalt 3 Editorial 20 Treue Wächter und Begleiter Die Bernhardiner vom Kreuzberg von Br. Augustinus Diekmann ofm 4 Das Tier als Geschöpf Gottes Ein Streifzug durch die Bibel von Natanael Ganter ofm 22 Mensch und Papagei Zwiespältige Tierliebe von Anton Rotzetter OFMCap 6 Tiere und Glaube Zum Projekt einer theologischen Zoologie von Dr. Rainer Hagencord 8 Schwester Grille und Bruder Wolf Franziskus und die Tiere von Adolf Temme ofm von der Leitungsgruppe der Landwirtschaftsschule Manoel Monteiro 27 Ich krieg die Motten Eine Glosse von Herbert Schneider ofm 13 Tiersegnung in Concepción Der ganzen Schöpfung wurde das Evangelium verkündet von Frank Hartmann ofm von Daniela Böhle 28 Neue Herausforderungen mit 100 1911 wurde der Franziskaner-Missions-Verein in Bayern gegründet von Cornelius Bohl ofm 30 Nachruf 31 Projekt 31 Impressum von Stefan Federbusch ofm Personalia Nach 56-jährigem Dienst als Missionar im armen Nordosten Brasiliens ist Gottfried Bauerdick am 17. September 2011 in São Luis infolge kurzer schwerer Krankheit gestorben. Gottfried Bauerdick trat 1947 in den Franziskanerorden ein und studierte in Warendorf und Paderborn Theologie und Philosophie. 1955 wurde er in der Wallfahrtsbasilika Werl feierlich nach Brasilien ausgesandt. Dort engagierte er sich besonders für die Land bewegung, die während der Zeit der Militärdiktatur gewaltsam bekämpft wurde. Auch für verbesserte Lebensbedingungen der Arbeiter in der Stadt setzte er sich unermüdlich ein (s. S. 30). Theologische Zoologie – da schaut der Schöpfergott im Alten Testament mit Zufriedenheit und Liebe nicht nur auf Adam und Eva, sondern auf die große Vielfalt der Arten, die seine Schöpfung hervorgebracht hat. von Thomas M. Schimmel 26 Lob der Schöpfung Tierschutz in brasilianischen Familienlandwirtschaftsschulen 12 »Mein Hund ist auch katholisch« Tiersegnung in Neviges 16 Mittelseite 18 »Auf die Perspektive kommt es an« Weihnachtsbrief eines Esels von Heinz Schnitker ofm 23 Schöpfungsbaum von Chochís Tiere in der bolivianischen Kirchenarchitektur von Anke Chávez / Hans Roth (✝ 1999) von Stefan Federbusch ofm 14 Heilige Kühe Tiere in den Religionen bewegenden Erfahrungen aus dem Bergland von Tansania. Auch ihr großes Anliegen ist es, spirituelle Kräfte zu bündeln, um der ökologischen Katastrophe, die unseren Planeten bedroht, zu begegnen. 24 Essen Sie weniger Fleisch! Unser Konsumverhalten bestimmt das Angebot 10 Den Löwen in sich bändigen Die Heiligen und die Tiere von Michael Meyer Liebe Leserinnen, liebe Leser, liebe Freunde der Franziskaner Mission, Die 130 bolivianischen Franziskaner haben auf ihrem Provinzkapitel vom 28. bis 3. September 2011 in Tarata ihre neue Provinzleitung gewählt. Mit Aurelio Pessoa (li) folgt nun ein einheimischer Mitbruder auf den bayerischen Franziskaner Martin Sappl, der dieses Amt in den vergangenen sechs Jahren innehatte. Neuer Vizeprovinzial ist der bayerische Missionar Reinhold Brumberger (re). Die wichtigsten Aufgaben für die nächsten sechs Jahre sieht letzterer darin, den Zusammenhalt der aus zehn Nationen stammenden Franziskaner in Bolivien zu stärken und Neuberufungen zu fördern, damit der Dienst an den Armen weitergehen kann. Der Franziskanerbischof Dom Luiz Cappio ist von Anfang bis Mitte Dezember 2011 zu Gast bei der Adveniat-Jahresaktion »Dein Reich komme«. Bischof Dom Luiz Cappio widmete sich in den 1970er Jahren zunächst den Armen in der Metropole São Paulo. Heute leitet er das Bistum Barra im Bundesstaat Bahia. Dort kämpft er seit Jahren für die Rechte von Mensch und Natur entlang des Rio São Francisco, einem der größten und wichtigsten Flüsse Brasiliens. Augustinus Diekmann, Leiter der Franziskaner Mission in Dortmund, der 20 Jahre als Missionar im Nordosten Brasiliens tätig war, wird ihn auf seiner Reise durch Deutschland begleiten. am 15. Dezember 2009 wurde an einem winterlichen Nachmittag in der Aula des Münsterschen Schlosses das Institut für Theolo gische Zoologie gegründet. Eine tierische Idee, die von dem Schweizer Kapuziner Anton Rotzetter entscheidend mitgeprägt wurde. Dabei war ihm klar, dass franziskanisches Charisma nicht romantisierend an Wolfsbegegnung und Vogelpredigt erinnern will, sondern dass es nach dem Geist des Franz von Assisi um die Bewahrung der g esamten Schöpfung geht – auch der unserer Geschwister, die Tiere. Arten, die es auf die Rote Liste der internationalen Naturschutzunion IUCN geschafft haben, brauchen dringend die Sorge des Mitgeschöpfes Mensch. Das zeigte beim Festakt der Institutseröffnung auf eindrück liche Weise die Schimpansen forscherin Jane Goodall mit ihren Franziskaner Mission Franziskanerstraße 1, 44143 Dortmund Telefon 02 31/17 63 37 5 Fax 02 31/17 63 37 70 [email protected] www.FranziskanerMission.de Theologische Zoologie – da schaut Franziskus mit Respekt auf die Tiere als seine Geschwister. Sie bereichern sein Leben und seinen Glauben. Auch mit den wilden Tieren schafft er es, Frieden zu schließen. Theologische Zoologie – da schauen so viele Heilige auf die Tiere als ihre Partner und Mitträger von wundersamen Geschichten. Da vollzieht sich die Heilsgeschichte nicht nur durch den Menschen, sondern durch alle Geschöpfe. Die Mittelseite dieser Ausgabe will zeigen, dass sich auch die vielen Tiere über die Geburt ihres Erlösers freuen. Alle h offen auf einen Platz in der neuen und Schutz schenkenden Arche. Und wie Ochs und Esel deutlich zeigen, können die Tiere die Heilsgeschichte auf ihre Weise bereichern. Das wäre doch eine interessante Optik für unseren Krippenbesuch beim nächsten Weihnachtsfest. Von der Krippe des Ehepaares Heidi und Karl Nussbaumer geht jedenfalls eine deutliche Botschaft aus: Die Tiere sind bei der Menschwerdung nicht wegzudenken! Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes und friedvolles Weihnachtsfest, ich danke von Herzen für Ihre treue Unterstützung im vergangenen Jahr und hoffe auf einen guten gemeinsamen Weg auch für 2012. Ihr Br. Augustinus Diekmann ofm Leiter der Franziskaner Mission Theologische Zoologie – da schauen wir heute auf eine ganz neue und provozierende Spiritualität, die zum Beispiel nach adäquater Tierhaltung fragt, nach respektvollem Zusammenleben ohne Ausbeutung, nach reichem Segen für alle geschaffenen Arten. Spenden erbitten wir, unter Angabe des Verwendungszwecks, auf das Konto 5100, Volksbank Hellweg eG (BLZ 414 601 16) oder Konto 34, Sparkasse Werl (BLZ 414 517 50). Dieser Ausgabe liegt eine Zahlkarte bei. Titel: Der Franziskaner Alfons Schumacher segnet einen Esel, der im Begriff ist, eine Pilgergruppe zu einer mehrwöchigen Wallfahrt durch die Alpen zu begleiten. 3 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Das Tier als Geschöpf Gottes Ein Streifzug durch die Bibel Das Tier ist nach der Bibel das Wesen, das dem Menschen am nächsten steht. Einige Aspekte möchte ich im Folgen den hervorheben. 1. Das Tier ist wie der Mensch ein Geschöpf, aus dem gleichen Stoff, nämlich Erde gebildet (Gen 2,7 und 2,19) und vom Hauch Gottes (Koh 3,21) belebt. Der Mensch unterscheidet sich vom Tier dadurch, dass er »Ebenbild Gottes« (Gen 1,27) ist und sich – wie Gott – um die Schöpfung (Natur, Tier, Mensch) sorgt. Gott »segnet« die Tiere: Sie sollen leben und sich mehren (Gen 1,22). Es ist nicht unbedeutend, dass der erste »Segensgottesdienst« in der Bibel noch vor der Erschaffung des Menschen stattfindet. In dieser Dynamik des Segens muss der Mensch dem Tier und der Schöpfung insgesamt begegnen. 2. Die großen »Schöpfungs gedichte« am Anfang der Bibel (Gen 1 und 2) gehören der prophetischen Tradition an. Angesichts der »sündigen« Welt, in der Gewalt, Mord und Ausbeutung zur Tagesordnung gehören, entwerfen sie die göttliche Alternative: eine gewaltlose, lebensfreundliche Welt, in der man nur noch Frieden und Lebensfülle erfährt. Im Blick darauf stellt das Buch Genesis uns die vegetarische Lebensweise vor Augen (Gen 1,29-30). 3. Im zweiten »Schöpfungs gedicht« stellt Gott fest, dass die Einsamkeit das wohl größte Problem des Menschen darstellt. Zur Bewältigung dieser Einsamkeit erschafft Gott nicht, wie viele voreilig meinen, die Frau bzw. das geschlechtliche Gegenüber, sondern zuerst die Tiere. Der Mensch soll diese benennen, das heißt: 4 sich zu ihnen in Beziehung setzen, sie verstehen, sie an sich heranlassen und lieben (Gen 2,18-20), um so eben nicht allein bleiben zu müssen. Ein Stück weit ist das möglich, stellt die Bibel fest, aber eben nicht ganz, und dann erst und deswegen erschafft Gott das geschlechtliche Pendant, die Eva (Gen 2,21-24), die nun wirklich wahre Hilfe, Ergänzung und ebenbürtiges Gegenüber ist. 4. Im Buch Kohelet (3,19 ff.) wird sogar gesagt, dass zwischen Tier und Mensch kein Unterschied besteht. Beide haben das gleiche Schicksal, beider »Seelen« enden im Tod. Paulus wird dann aber diese pessimistische Sicht umdrehen (Röm 8). Er wird sagen, dass nichts verloren geht, was Gott geschaffen hat. Alles Geschaffene, also auch die Tiere, werden teilhaben an der Lebensfülle, die von Gott ausgeht, am göttlichen Glanz, der den Menschen verheißen ist. Dieser Auffassung ist auch die Vatikanische Theologen kommission. Sie spricht von der »Rekapitulation« der ganzen Schöpfung und der Tiere am Ende der irdischen Geschichte. 5. Bekannt ist der Bund, den Gott mit Noah (Gen 9,1-17) schließt. Gott erweist sich für Mensch und Tier als die Leben rettende Instanz. »Mensch und Tier« – das ist übrigens ein Ausdruck, der in der Bibel für die enge Verbunden heit der beiden Geschöpfe häufig gebraucht wird (vgl. Ps 36,7). So wird auch das Tier in die Partnerschaft des Menschen mit Gott einbezogen, besonders im Bund, den Gott nach der Sintflut mit der Schöpfung schließt. Dieser wunderbare Text nimmt aber auch Rücksicht auf die Wirklichkeit, in der der Mensch sich bewegt. Der Mensch, heißt es hier, darf Fleisch von Tieren essen. Aber wenn man genau hinschaut, dann nur eingeschränkt: nur wenn es »koscher« ist, das heißt, wenn die Ehrfurcht vor dem Leben gewahrt bleibt. Beim heutigen Fleischkonsum ist die Ehrfrucht vor dem Leben aber »in den meisten Fällen nicht gegeben«, wie Prof. Helmut Bartussek von der österreichischen Bundesanstalt für alpenländische Landwirtschaft sagt. Er hält den Fleischkonsum für ethisch vertretbar, wenn er die nachstehenden Kriterien erfüllt: – artgerechte Haltung der genutzten Tiere während ihrer ganzen Lebenszeit, – sachgerechte und fürsorgliche Pflege der Tiere, – schonender Umgang und Transport, – angst- und schmerzfreie Tötung der Tiere. Dies könnte eine moderne Übersetzung dessen sein, was im Noahbund gemeint ist. »Garten Eden« in der Kathedrale von Concepción/Bolivien: Mann und Frau in Harmonie mit der ihnen anvertrauten Schöpfung 6. Vieles in der Bibel scheint dem Gesagten zu widersprechen. Da fließt sehr viel Opferblut, um einen angeblich zornigen Gott mit dem Liebsten, was man hat (Menschen und Tiere), zu versöhnen. Es ließe sich aber zeigen, dass sowohl dieses archaische Gottesbild als auch der damit verbundene Opfergedanke im Verlauf der biblischen Erzählung überwunden wird. Zuerst wird das Menschenopfer abgelehnt (Gen 22) und dann jedes Opfer (Micha 6). Hinter diese Überwindung des archaischen Gottes bildes und der damit verbundenen Opfervorstellungen dürfen auch Christen nicht mehr zurückfallen. gelockert. Die Christen begegnen den sogenannten Heiden und müssen sich anpassen. Doch ist auf den unscheinbaren Satz des Markus evangeliums hinzuweisen: Jesus »lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.« (Mk 1,13) Dies konkretisiert die prophetische Vision des Paradieses und des Jesaja, in der Mensch und Tier gefahrlos nebeneinander leben (Jes 11). Wer mit Gott verbunden ist, ist auch mit den Tieren versöhnt. Darum gibt es in der christlichen Tradition so viele Tiergeschichten, die diese Spiegelung der Versöhnung mit Gott im Verhalten zu den Tieren fantasiereich erzählen: Hieronymus und der Löwe, Gallus und der Bär, Meinrad und die Raben, Burkhart und die Dohle, Eustachius und der Hirsch, Franz von Assisi und die Vögel, Albert Schweitzer und der Pelikan. 7. Im Neuen Testament wird die tierfreundliche Perspektive des Ersten Testamentes scheinbar etwas 8. Eine solche Auffassung hat eine theologische Tiefe, die in der »Inkarnation = Einfleischung« ottes ihren Begriff gefunden G hat. »Gott steht im Bunde mit allem Fleisch« – das könnte ein Kernsatz unseres Glaubens werden. »Und das Wort ist Fleisch geworden« (Joh 1,14) bekennen wir an Weihnachten, nicht einfach nur Mensch, sondern »Fleisch«: Gott ist eingegangen in alles, was lebt und stirbt. Ein anderer Ausdruck dafür ist »Humilitas = Erdigkeit«. Es ist also theologisch falsch, nur von »Menschwerdung« zu sprechen. Gott ist ein »Erdling« geworden, und »Erdlinge« sind auch die Tiere. Nur wir Menschen sind auf uns selbst fixiert und haben die Aussage verkürzt. Deswegen stehen seit alters her Ochs und Esel an der Krippe. Sie erkennen, was da in der Krippe liegt. Und Hunde, Schafe und Esel gehören mit den Hirten dazu. Und wer erkennt, was Inkarnation bedeutet, wird auch gerne Schweine, Hühner und alle nur denkbaren Tiere dazustellen wollen. Anton Rotzetter OFMCap Anton Rotzetter ist Schweizer Kapuziner, Buchautor und Mitgründer des Instituts für Theologische Zoologie in Münster. Literaturhinweis: Helmut Bartussek, Ist Fleischkonsum moralisch vertretbar? In: Landwirtschaft 99 – Der kritische Agrarbericht, Rheda-Wiedenbrück, 1999, S. 264-270 5 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Tiere und Glaube Zum Projekt einer theologischen Zoologie Eröffnung des Instituts für theologische Zoologie: Rainer Hagencord mit Jane Goodall und T homas Dienberg OFMCap, dem Leiter der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster Wenn Jane Goodall den Ruf eines Schimpansen imitiert, lacht niemand im Saal; so stark erfahren die Zuhörenden, dass hier jemand die Sprache eines sehr verwandten und vertrauten Geschöpfes offen bar zu verstehen gesucht hat. Auch am 15. Dezember 2009 in der Aula des Münsterschen Schlosses war es so. An diesem winterlichen Nachmittag wurde das Institut für theologische Zoologie gegründet. Die weltweit bekannte Prima tologin und UNO-Friedensbot schafterin ist Schirmherrin des Institutes und ließ sich ihren Besuch zu diesem Anlass nicht nehmen. In diesem Jahr jähren sich ihre Forschungsarbeiten mit den Schimpansen in Tansania zum fünfzigsten Mal. Und ihr großes Anliegen ist es, auch die spirituel len Kräfte zu sammeln, um der öko logischen Katastrophe, die unseren Planeten beherrscht, zu begegnen. 6 Von den zwei Fenstern Jane Goodall, die aufgrund ihrer langjährigen intensiven Arbeit mit Schimpansen alles andere als eine romantisierende Sicht der Natur und »ihrer« Tiere erlangt hat, beschreibt in ihrer Autobiographie folgendes Ereignis: Es ist im Mai 1981, nach dem Tod ihres Mannes Derek, als sie nach Gombe zurückkehrt. Eigentlich will sie diesmal die Schimpansen nicht beobachten, sondern nur ihre Gesellschaft genießen. Nach einem Gewitter sitzt sie an einem vertrauten Ort unter einer Palme im Regen. Sie sieht eine junge Schimpansen mutter, die sich vornüber gebeugt hat, um ihr Kind zu schützen, ein junges Männchen, das sich im Nest dicht an sie drückt und ein weiteres, das mit gebeugtem Rücken auf einem Ast kauert. »Ich verlor jedes Zeitgefühl. Die Schimpansen und ich bildeten eine stille, klaglose Einheit«, erzählt Jane Goodall, die in dieser Situation eine sehr intensive, alles durchdringende spirituelle Erfahrung gemacht hat: »Mein Ich war nicht mehr da; die Schimpansen und ich, Erde, Bäume und der Himmel schienen miteinander zu verschmelzen und eins zu werden mit der geistigen Kraft des Lebens.« Die Naturwissenschaftlerin, die sonst so nüchtern beobachtet und akribisch genau beschreibt, wagt eine Aussage, die sonst nur bei großen Mystikern zu finden ist. Erst der Chor der laut rufenden Schimpansen holt sie ins Alltagsbewusstsein zurück. Wenig später versucht Jane Goodall für sich zu klären, was sich ereignet hat, und sie kommt zu dem Schluss, dass es viele Fenster gibt, um die Welt zu erkennen und um einen Sinn zu finden. Die westliche Wissenschaft habe ihr eines geöffnet, um in sorg fältigen Aufzeichnungen und kritischen Analysen die Welt der Schimpansen und ihr komplexes Sozialverhalten ein wenig zu erhellen. Aber es gäbe noch ein anderes Fenster, das sich den Heiligen, den Mystikern und den Begründern der großen Weltreligionen geöffnet habe: »An jenem Nachmittag war es gewesen, als hätte eine unsichtbare Hand einen Vorhang beiseitegezogen, so dass ich für den Bruchteil eines Augenblicks durch ein solches Fenster schauen konnte.« Die Theologie des heiligen Thomas von Aquin Ob Thomas von Aquin (1478 –1535) nicht seine Freude hätte an dieser Zugehensweise zur Welt: durch die beiden Fenster? »Jeder Irrtum über die Geschöpfe mündet in ein falsches Wissen über den Schöpfer und führt den Geist des Menschen von Gott fort«, schreibt der bedeutende Kirchenlehrer in seiner Summa contra gentiles (II, c.3) und macht damit deutlich, dass neben dem Buch der Bibel das andere Buch, nämlich das der Natur, möglichst akribisch in den Blick genommen werden muss, will man als Gott suchender nicht in die Irre gehen. Spätestens in der Debatte um Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube wird deutlich, wie sehr dieser Mann des Mittelalters recht hatte mit seiner Mahnung an die Theologietreibenden, sie müssen unbedingt auch »in Sachen Natur-Wissenschaft« Zeitgenossinnen und Zeitgenossen sein. Kann es sein, dass wir Menschen in den westlichen Industrienationen über unsere Mitgeschöpfe, die Tiere, irren und dass daher die Theologie in eine Schieflage geraten ist? Hat sich deshalb eine Spiritualität entwickelt, in der die Natur (auch die eigene) nur noch eine Nebenrolle spielt? Ja als irrig, gar pathologisch, lässt sich das Verhältnis der Menschen zu den Tieren und auch zu den Pflanzen und in Folge zur Natur als Ganzes in den westlichen Industrienationen bezeichnen. Horst Stern sagt schon in den 1980er Jahren über seine Zeitgenossinnen und Zeitgenossen: »Sie k ennen den Preis von allem und den Wert von nichts mehr.« Was ist tatsächlich das Leben eines Huhnes in der Legebatterie gesellschaftlich noch wert? Der Biologe und Wissenschafts kritiker Rupert Sheldrake bringt dies auf die Formel: »Es gibt in der Nähe zum Menschen nur noch zwei Kategorien von Tieren. Die einen verwöhnen wir mit Haustierfutter und die anderen werden dazu verarbeitet.« Die Logik und Praxis der »Interplanetarier« Dermaßen gnadenlos und unverantwortlich verhalten wir uns in der sogenannten »Ersten Welt« nicht nur gegenüber den Tieren, sondern gegenüber der gesamten natürlichen Mitwelt, der sogenannten »Dritten Welt« und unserer Nachwelt. Diese dreifache Verantwortungslosigkeit schreibt der Naturphilosoph Klaus Michael Meyer-Abich uns Menschen in den Industrienationen ins Stammbuch, und er kennzeichnet eben dieses Verhalten als das Verhalten von »interplanetarischen Eroberern«: Wir gehen mit diesem Planeten um, als kämen wir von einem anderen Stern, als seien wir mit nichts und niemandem auf diesem blauen Planeten verwandt und könnten ihn als pure Ressource ausnutzen und ausbeuten. Doch, so Klaus Michael MeyerAbich, in uns schlummert noch ein Traum, eine Erinnerung an ein Leben, das anders gekennzeichnet ist, nämlich durch den Charakter der Beheimatung. Nein, wir sind keine Interplanetarier, sondern Erdensöhne und Erdentöchter. Verwandt mit allem, was lebt, mit dem eigenen Platz im Gesamt des Lebendigen. Dieser Traum ist in alten Bildern, Geschichten und Mythen aufgeschrieben und gehört ebenso in den Grundbestand unseres Lebens wie die vorherrschende Ausgestaltung des Lebens als Interplanetarier. Das Institut für Theologische Zoologie »Mit zunehmender Erkenntnis werden die Tiere den Menschen immer näher sein. Wenn sie dann wieder so nahe sind, wie in den ältesten Mythen, wird es kaum mehr Tiere geben« – schreibt der Literaturnobelpreisträger Elias Cannetti und gibt damit das Programm einer theologischen Würdi gung der Tiere, wie es das Institut versucht, vor: Die Erkenntnisse der modernen Verhaltens- und Evolutions biologie zu sichten, diese in einen Dialog mit biblisch-theologischen Denkfiguren zu bringen, um Impulse für einen Bewusstseinwandel innerhalb der Gesellschaft und Kirche zu setzen: dass wir nicht Herren und Herrinnen der Schöpfung sind, sondern MitGeschöpfe. Und dass es an uns liegt, diesen wunderbaren Planeten mit seiner atemberaubenden Artenvielfalt zu bewahren. Dr. Rainer Hagencord Rainer Hagencord ist Priester und Biologe. Er hat zusammen mit dem Kapuziner Anton Rotzetter das Institut für Theologische Zoologie in Münster gegründet. www.theologische-zoologie.de Kirche auf dem Weg zu Mensch und Tier: Zoogottesdienst in Münster Quellen: Jane Goodall, Grund zur Hoffnung, München, 2001 Rainer Hagencord (Hg.), Wenn sich Tiere in der Theologie tummeln. Ansätze einer theologischen Zoologie, Pustet, 2010 Klaus Michael Meyer-Abich, Praktische Natur philosophie. Erinnerung an einen vergessenen Traum, München, 1997, S.11f. 7 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Schwester Grille und Bruder Wolf Franziskus und die Tiere Zur Freiheit und zum Lob Gottes berufen: Vogelpredigt des Franz von Assisi Seit 1931 wird jedes Jahr am 4. Oktober der Welttierschutztag begangen. Er ist zugleich der Festtag des Patrons des Tierschutzes, des heiligen Franziskus. Zahlreiche Tierschutzeinrichtungen tragen daher seinen Namen. 8 Die Umwelt als Mitwelt Franziskus weiß sich eingebunden in alles Geschaffene. Für ihn ist die »Umwelt« eine »Mitwelt«. Die Schöpfung und mit ihr die Geschöpfe sind um ihrer selbst willen da, nicht als »Gebrauchswert« für den Menschen. Für Franziskus steht die Mitwelt in unmittelbarem Bezug zu Gott bzw. zu Christus. Er »durchschaut« alle geschaffenen Dinge auf Gott hin, sieht Gott in den Dingen und umgekehrt die Dinge in Gott. Sie werden ihm zu einem transparenten »Dia« Gottes. Der Wurm, der zertreten wird und den er deshalb vorsichtig vom Weg aufhebt und in Sicherheit bringt (1 C 80), verweist ebenso auf Christus wie das Lamm, das er vor der Schlachtung bewahrt (1 C 79). Franziskus begegnet der Natur daher mit einem Gefühl von Heiligkeit und einem Gespür für das Wunderbare und Geheimnisvolle in ihr. Seine Grundhaltung ist geprägt von Ehrfurcht und Achtsamkeit. Dankbar hat er Gott als seinem Schöpfer alles zurückerstattet. Geschwisterliches Verhältnis Diese Verbundenheit mit allem Geschaffenen und die Gott unmittelbarkeit gilt auch für die Tiere. Die Biografen des heiligen Franziskus berichten von seinem geschwisterlichen Verhältnis zur Schöpfung in vielfachen Geschichten und Begebenheiten. Da heißt es: »Mit unerhörter Hingebung und Liebe umfasste er alle Dinge, redete zu ihnen vom Herrn und forderte sie auf zu seinem Lobe.« (2 C 165) Die Gefährten des Franziskus sehen, »wie er großen Grund zu innerer und äußerer Freude in allen Geschöpfen fand; er liebkoste und betrachtete sie mit Wonne, so sehr, dass sein Geist im Himmel und nicht auf Erden zu leben schien.« (LegPer 51) Eine besondere Beziehung pflegt Franziskus zu den Tieren: Wie die kosmischen Gestirne Sonne, Mond und Sterne und wie die Elemente Erde, Feuer, Luft und Wasser werden sie ihm zu »Schwestern« und »Brüdern«. Sie verweisen auf Gott als den Schöpfer allen Seins. Im Winter lässt er den Bienen Honig und Wein hinstellen. Ein Vogel bleibt in den Händen von Franziskus sitzen (2 C 167), ein Falke kündigte ihm die Gebetszeiten an (2 C 168), ein Fasan lässt sich bei ihm nieder (2 C 170) und die Grille singt bei ihm Loblieder auf den Schöpfer (2 C 171). Franziskus wünscht, dass man an Weihnachten Ochs und Esel mehr Korn und Heu gebe als sonst, dass man Weizen und Korn auf die Wege streue, um den Vögeln, vor allem den Lerchen, Nahrung zu geben (2 C 200). Tiere als Subjekte Ein zentraler Gedanke von Franziskus ist die Mahnung an die Brüder, sich nichts anzu eignen, kein Geld, keinen Besitz, auch keine Tiere. Jede Form von Aneignung zerstört in seinen Augen die g leichwertige Beziehung zueinander als eigenständige Wesen. Verschiedene Geschichten erzählen davon, wie er Tieren die Freiheit schenkt, indem er sie aus Fallen befreit oder loskauft (vgl. 1 C 61: Fische; 1 C 79: Lämmer; Fioretti 22: Fische). Bestand sein ursprüng liches Ideal darin, Ritter zu werden und, damit verbunden, »hoch zu Ross zu sitzen«, so ist sein neues Ideal, barfuß, demütig und erdverbunden seinen Lebensraum mit anderen zu teilen. Die Vogelpredigt Eine der bekanntesten Geschichten ist die Vogelpredigt. Franz sieht eine große Schar Vögel, läuft auf sie zu und spricht zu ihnen: »Meine Brüder Vögel! Gar sehr müsst ihr euren Schöpfer loben und ihn stets lieben; er hat euch Gefieder zum Gewand, Fittiche zum Fluge und was immer ihr nötig habt gegeben.« Die Deutungen dieses Ereignisses variieren. Eine Interpretation geht dahin, die Vogelpredigt als Bestätigung seines Sendungsauftrages zu sehen. Der Wolf von Gubbio Um das rechte Verhältnis von Mensch und Natur geht es in der Geschichte vom Wolf von Gubbio. Franziskus versöhnt die Stadt Gubbio mit einem Wolf, der immer wieder räubert (und vermutlich stellvertretend für einen Raubritter steht – das Tier als Symbolgestalt für uns Menschen). Er macht den Einwohnern klar, dass das Verhalten des Wolfs auf ungerechten Lebensverhältnissen beruht. Als die Bewohner von Gubbio dem Wolf versprechen, für ihn zu sorgen, hört er auf zu plündern. Nur in der Versöhntheit und gegenseitiger Sorge kann es Frieden geben. das Schicksal der Menschheit untrennbar verbunden ist mit dem der Erde und des Kosmos. Und dennoch werden die Folgen, die diese Einsicht haben müsste, oftmals ignoriert: Die grenzenlose Ausbeutung der »natürlichen« Ressourcen führt zur Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts, zur Vernichtung der Artenvielfalt und zur globalen Erwärmung mit all den negativen Auswirkungen des Klimawandels. Ein neues Verhältnis zur Schöpfung Gefordert ist ein tiefergehendes, grundsätzliches Umdenken im Verhältnis zur Schöpfung. Nur in einer solidarischen Geschwister lichkeit werden wir unserer Verantwortung gerecht werden und kann die Bewahrung der Schöpfung gelingen. Nur durch die Haltung der Ehrfurcht und Achtsamkeit – auch und gerade gegenüber Tieren – und nur durch die Anwendung des Prinzips der Nachhaltigkeit wird die Erde ein Haus für alle Menschen sein und bleiben. Stefan Federbusch ofm Stefan Federbusch lebt im Franziskanerkloster Großkrotzenburg und ist Mitglied in der Provinzkommission der Franziskaner für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Sakramentale Haltung Im Gegensatz zum mechanis tischen Weltbild, das die Erde und damit auch die Tiere als »Objekt« und »Nutz-Tiere« sieht, über die der Mensch nach Belieben herrschen und verfügen kann, pflegt Franziskus eine sakramentale Haltung, die um das Eingebunden- und Vernetzsein weiß. Ganz auf der Linie von Franziskus lautet ein Kerngedanke Albert Schweitzers: »Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.« Teilhabe (Partizipation) statt Ausbeutung (Exklusion). Heute ist uns bewusst, dass 9 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Den Löwen in sich bändigen Die Heiligen und die Tiere Alles, was Gott geschaffen hat, das hat er in sich! Alles, was seine Einheit in sich schließt, das kehrt er in der Vielfalt der Schöpfung nach außen. Eine Spur der göttlichen Majestät scheint auf, wenn der Adler im Flug seine Schwingen ausbreitet. Im Macht wort des Löwen meldet er seine Hoheit an. In der Sanftheit des Lammes lässt er seine wärmende Liebe fühlen. In den Flügeln des Schmetterlings blitzt seine Schönheit auf. All dies kann nur der Mensch erkennen, den Gott zu seinem Ebenbild erwählt hat. Sein eigenes Bild? Das kann nur bedeuten: von der Erdgebundenheit erhoben zum aufrechten Gang und zum Durchblick auf den verborgenen All-Einen. Der paradiesische Mensch war derart sehend und lebte in dreifacher Harmonie: mit dem Spender des Lebens, mit der »Gefährtin« und mit den Tieren, denen er ihre Namen gab. Ja, wer dem Menschen den Namen gab, war Gott. Aber wer den Tieren den Namen gab, war Adam. Sollte das heißen: So wie alles in Gott ist, so ist auch im Menschen alles, was unter ihm ist? Adam gibt den »tierischen« Elementen, die in ihm selbst sind, einen Namen und macht sie sich auf diese Weise untertan. Was ich benennen kann, das habe ich erkannt und damit kann ich umgehen. 10 Werkstatt von Lucas Cranach d. Ä.: Hieronymus und der Löwe Auf Friedensfuß stehen Auch die Heiligen, die durch eine Hintertür ins Paradies zurückgekommen sind, stehen auf Friedensfuß mit den Tieren. Auf übertragene Weise könnte man sagen: Sie wissen ihre ani malischen Seiten zu bändigen und auf heilsame Weise in sich zu integrieren. Wie der heilige Hieronymus. Er weiß sehr gut um seine aufbrausende Art. Aber er versucht, den »Löwen« in sich nicht zu töten, sondern er bringt ihm b essere Manieren bei – und gewinnt ihn somit zum Freund. Der heilige Eremit Antonius hat kein Problem mit dem Schwein an seiner Seite, das dem Absturz ins Galiläische Meer entkommen ist. In der Wüste hält er seine Gefräßigkeit im Zaum: Hier wird gefastet. Das Tier wird allein entscheiden, wie lange es bei ihm aushalten will. So ein Wüstenvater hat auch vor dem reißenden und alles verschlingenden Zorn keine Angst. Er hält den Wolf kurz, und wenn dieser mit seinem Geheul das Weltende ankündigen will, schlägt er ihm aufs Maul: Soweit sind wir noch nicht. Auf diese Art zeigen uns die Heiligen den Weg zur Rettung: Sie bannen die Gefahren, die aus ihrer (und unserer!) Natur kommen. Die Heiligen, die uns in den Legenden als Tierbändiger begegnen, sind Sinnbild dafür, wie wir unsere Affekte und Charaktereigenschaften im Zaum halten und dadurch dem Rachen des Unheils entkommen können. Frei sein und frei handeln Wohin das führt, zeigt der heilige Irenäus in seiner Schrift Gegen die Häretiker: »Wer im Glauben fortgeschritten ist und den heiligen Geist empfangen hat, ist ganz und gar geistlich, gleichsam ins Paradies verpflanzt.« Dies bedeutet nicht, dass der, der sich zu beherrschen weiß, über den Wolken schwebt. Aber er steht soweit über den Dingen, dass er den notwendigen inneren Abstand hat, um frei zu sein und frei zu handeln. Damit kommt er dem Zustand nahe, in dem sich Adam und Eva befanden, bevor sie sich von der Schlange einwickeln ließen. »Wer die Reinheit erlangt hat, dem ist alles untertan wie dem Menschen im Paradies« heißt es in der Sprüchesammlung der Kirchenväter, den Apophthegmata Patrum. Das wilde Tier in der Schöpfung Dem heiligen Blasius ist während der Verfolgung ein solches Paradies bereitet, wo er inmitten von Tieren im Versteck einer Höhle lebt. Der Bischof, der ehemals Arzt war, verbindet jetzt einem Löwen die Pfote und heilt die Wunde eines Rehs, das in eine Falle getappt ist. Ein Bär gibt dem Heiligen von seiner Beute etwas ab. So wird die prophe tische Schau von der Versöhnung aller Lebewesen auf die Bühne gebracht, Blasius ist mit den sich widerstrebenden Kräften innerhalb und außerhalb seiner selbst versöhnt. Dann wechselt die Szene zum brutalen Martyrium, und es wird offenbar, wer das eigentlich wilde Tier in der Schöpfung ist: der mit Gott verfeindete Mensch. Löwen und Schwerter Ähnlich ergeht es dem heiligen Januarius. Als er in die Arena tritt, weigern sich die Löwen, das Todesurteil, das über ihn verhängt ist, zu vollstrecken. Sie verlieren ihre Wildheit und legen sich dem Heiligen zu Füßen. So bezeugen sie gegen das Urteil des Richters, dass hier ein Unschuldiger vor ihnen steht. Da die Tiere den Gehorsam verweigern, muss ein Henker her. Das Schwert, vom Menschen geschmiedet, muss dem Menschen gehorchen. Benedikt und der Rabe Auch dem heiligen Benedikt wurden nicht die Tiere, sondern die Menschen gefährlich. Er wäre an dem vergifteten Brot gestorben, das der böse Priester Florentin ihm geschickt hatte, wenn nicht der Rabe gewesen wäre, dem der Heilige den ersten Bissen von den Speisen anzubieten pflegte. Das kluge Tier spürte den Tod in der Speise, hüpfte um das Unheil herum und krächzte als wollte es sagen: Höchste Gefahr. Sprach der heilige Mann: »Trag es dorthin, wo es keinem schaden kann!« Da nahm der Rabe das Brot in seinen Schnabel und trug es fort. Nach drei Tagen kam er zurück – fast bis zum Ende der Welt ist er geflogen, um die Gefahr zu bannen – und nahm sein Futter aus Benedikts Hand, wie er es gewohnt war. sind, von ihm benannt und ihm untertan, können sie nur durch ihn erlöst werden. Mit welcher Begeisterung wirft sich das Pferd des heiligen Georg in den Kampf gegen das Böse! Ja, da gibt es viel Hoffnung, aber auch viel Enttäuschung über alle, die die Verantwortung, die die Gotteskindschaft mit sich bringt, noch nicht entdeckt haben. Adolf Temme ofm Adolf Temme ist Brasilienmissionar in Teresina. Hoffnung auf das Erkennen der Verantwortung »Die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Kinder Gottes« (Röm 8,19) – sprich: der Menschen. Wenn diese in ihrer eigentlichen Bestimmung auftreten, machen sie mit ihrem Segen sogar Gift unschädlich. Die Tiere wissen von der »Verlorenheit«, welcher sie verfallen sind, »nicht aus e igenem Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat.« (Röm 8,20) Wer mag das sein? Wahrscheinlich der Mensch, der aus einem Huhn eine Legemaschine macht und aus einem Rind einen Fleischkloß. Die Tiere klammern sich an die Menschen, in denen sie die Söhne und Töchter Gottes wittern, um gleichsam auf ihrem Rücken aufzusteigen zu einem höheren Grad des Gottesdienstes. »Die Geschöpfe wollen befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes.« (Röm 8,21) Auch den Mitgeschöpfen des Menschen ist eine Hoffnung gegeben. Es kann nur die Hoffnung sein, dass der Mensch endlich auf Gottes Frage entwortet: Adam, wo bist du? Ohne dich geht nichts. – Da sie in ihm 11 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut »Mein Hund ist auch katholisch« Tiersegnung in Concepción Tiersegnung in Neviges Der ganzen Schöpfung wurde das Evangelium verkündet In diesem Jahr 2011 sind es zwölf Jahre, dass der damalige Wallfahrtsleiter von Neviges, der Franziskaner Roland Bramkamp, mit einer segensreichen und erfolg reichen Initiative begann: einem Franziskusgottesdienst mit Tier segnung auf dem Pilgerplatz vor der Wallfahrtskirche. Die Tiersegnung findet jedes Jahr an einem Nachmittag um das Fest des heiligen Franziskus, also um den 4. Oktober herum, draußen vor dem Mariendom in Neviges statt. Schon früh kommen die Leute mit ihren Haustieren; jedes Mal ist der Platz voll gefüllt, voller Leben und munterer Erwartung. Meistens hat der Franziskaner Laurentius Englisch, Künstler vom FranziskusGymnasium Vossenack, vorher dazu mit einer sehr lebendigen und hei teren Zeichnung eingeladen. Concepción ist eine kleine Stadt im Osten Boliviens. Auf 500 Meter Höhe gelegen, zählt die Region zum Tief land des Andenstaates, dessen höchste Berge mehr als 6.000 Meter hoch in den Himmel hineinragen. Die 1709 von den Jesuiten gegründete Stadt hat nur knapp 10.000 Einwohner. Trotz der verhältnismäßig geringen Bevölkerungszahl ist Concepción Bischofssitz mit einer im 18. Jahr hundert erbauten und in den 1970er Jahren vollständig restaurierten prachtvollen Kathedrale. Jedes Mal steht Franziskus mit bestimmten Tieren im Vordergrund. Einmal war es das Pferd, andere Male waren es die Taube, die Vögel allgemein oder der Wolf, um nur die Themen der letzten Jahre zu erwähnen. Aber es können alle Tiere kommen: Kaninchen, Hunde, Katzen, Esel, Hamster oder welch andere Geschöpfe auch immer. Menschen und Tiere pilgern gemeinsam Es ist, als spürten die Tiere mit ihren Frauchen und Herrchen etwas von der Ausstrahlung des heiligen Franziskus, der ein besonderes Feingefühl für die Tiere hatte: Sie waren ihm MitGeschöpfe, Mit-Tiere, in der Obhut der Mit-Menschen. Für Franziskus war das Wörtchen »mit« wichtig. Wenn der Mensch Pilger auf dem Weg ist, dann dürfen auch die Tiere mit auf dem Weg sein, und zwar gemäß ihrer jeweiligen Art. Gerade Haustiere, die im Haus mitleben und teilweise mitarbeiten, dürfen auch mitpilgern. Eine Frau meinte: »Mein Hund ist auch katholisch, warum sollte er nicht gesegnet werden?« 12 Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Franziskaner Othmar Brüggemann bei der Tiersegnung in Neviges Der Priester segnet die Tiere mit dem Damiano-Kreuz, vor dem Franziskus seine Berufung erhalten hat. Dabei spricht er die Worten der Bibel, mit denen auch Franziskus gesegnet hat: »Der Herr segne und behüte dich!« Mitunter spricht er ein Tier dabei freundlich an. Lieder für die Tiere Vor dem Dom steht ein blumenreich geschmückter Altar mit der Figur des heiligen Franziskus. Pastoralreferent Reiner Krause kommt regelmäßig von Wuppertal-Barmen mit seiner Gitarre und stimmt einladende Lieder an, die die Leute mitsingen und die offenbar den Tieren gut in Ohren und Herzen gehen: »Du hast uns deine Welt geschenkt, die Vögel und die Fische, die Tiere und die Menschen, du gabst uns das Leben!« oder »Er hält die ganze Welt in seiner Hand …, er hält die Tiere und die Blumen in seiner Hand …« und schließlich das Lied des heiligen Franziskus: »Laudato si, o mio Signore«. Beten tut gut Ich selbst konnte einmal erleben, dass beim Vater unser alle Tieren ganz ruhig wurden, als beteten sie still mit. Ein Frauchen sagte: »Der Segen hat immer geholfen«, und ein Herrchen stimmte zu: »Ja, Gottes Segen tut ihnen gut!« Auch die Tierärztin Johanna Winzen aus Neviges ist von der guten Wirkung des Gottesdienstes auf die Tiere überzeugt. Sie sagt: »Ich habe hier noch nie erlebt, dass Tiere gebissen haben!« Nach Fürbitten und Liedern gibt es dann das Gebet des Friedensnobelpreisträgers Albert Schweitzer: »Gott, erhöre unsere demütige Bitte für unsere Freunde, die Tiere, und ganz besonders für die verfolgten Tiere, für die überlasteten, Hunger leidenden und für die grausam behandelten Tiere! Für alle jene armen, in Gefangenschaft befindlichen Geschöpfe, die mit ihren Flügeln an die Gitterstäbe ihrer Käfige schlagen; und für diejenigen, die verjagt, verloren oder in Schrecken und Hunger preisgegeben sind, sowie für jene, die getötet werden sollen. Wir bitten, Herr, für sie um dein Mitleid und um deine Gnade; und für diejenigen, denen ihre Pflege obliegt, bitten wir um ein barmherziges Herz, weiche Hände und gütige Worte. Schaffe aus uns, Herr, wahre Freunde unserer Tiere, mit denen wir den Segen deiner Großmut teilen dürfen.« Herbert Schneider ofm Herbert Schneider ist Leiter der Duns-Skotus Akademie in Mönchengladbach. Fest der Auferstehung Jedes Jahr an Ostersonntag findet dort ein ganz besonderes Ereignis statt. Mensch und Tier aus der Region versammeln sich am Fest der Auferstehung gemeinsam auf dem Platz vor der Bischofskirche, um sich segnen zu lassen. Es kommt jeweils eine beachtliche Menschenmenge zusammen, die ihre mit Lebensmitteln gefüllten Schüsseln zur Speisensegnung mitbringt. In jeder Schüssel befinden sich die typischen Köstlichkeiten des Landes, zu denen immer auch ein gebratenes Hähnchen und die in Südamerika weit verbreitete und gern gegessene Maniokwurzel gehört, die in Bolivien Yucca heißt. All dies ist liebevoll mit Blumen verziert. Selbst ein gefülltes Gürteltier lässt sich unter den Speisen finden. Die ganze Schöpfung feiert Neben den Alimentos, den schon fertig zubereiteten Osterspeisen, hat sich auch lebendiges Viehzeug eingefunden: viele Papageien, kleine und große, eine Schildkröte, deren Jahre ein Menschenalter sicherlich übersteigt, ein Kälbchen, ein Dachs an der Leine des stolzen Besitzers, Äffchen und andere. Franziskanerbischof Anton Reimann bei der Tier- und Speisenweihe in Concepción/Bolivien Nicht ohne heiligen Ernst warten die Menschen (und vielleicht auch die Tiere) auf die Segnung und Besprengung mit Weihwasser, die Bischof Anton Reimann selbst vornimmt. Paulus sagt: »In der ganzen Schöpfung wurde das Evangelium verkündet.« (Kol 1,23) Entsprechend feiert in Concepción an Ostern die ganze Schöpfung Auferstehung. Michael Meyer Michael Meyer war von 2003 bis 2011 in der Bolivianischen B ischofskonferenz zuständig für die weltkirchliche Partner schaft mit den Bistümern Trier und Hildesheim. Seit September 2011 ist er Pastoralpraktikant in der Kirchen gemeinde St. Augustinus, Trier. Alles was lebt oder dem Überleben dient, wird in Concepción/Bolivien mit zur Ostermesse gebracht. 13 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Heilige Kühe Dämonen: Jedem Ureinwohner Australiens, den Aborigines, ist ein Tier als Schutzgeist mitgegeben. Schamanen in Neuseeland machen einen Eidechsengott für Krankheiten verantwortlich. In Papua-Neuguinea herrscht ein Haigott, dem ein Krokodils dämon das Leben schwer macht. Der kleine Kolibri galt den Inkas als großer Sonnengott, während der Jaguar es nur zum Mondgott brachte. Tiere in den Religionen Heilige Kuh in Tamilnadu/Südindien, festlich bemalt für das Erntedankfest »Mattupongal« Wisente, Pferde, Hirsche, Wild schweine und Bisons: Sie sind die Stars – nicht etwa im Zoo, sondern in den Höhlen von Altamira in der nordspanischen Provinz Kantabrien, vor rund 12.000 Jahre an die Wände eines ausgedehnten Höhlensystems gemalt. Die dort für die Nachwelt ver ewigten Tiere verbindet, dass sie unseren Vorfahren das Leben ermög lichten. Das Fell der Bisons wärmte im Winter, ein Wildschweinbraten ernährte die ganze Familie. Selbst Knochen und Blut fanden Verwen dung – nicht zuletzt in der Bemalung der ehrenvoll genannten »Sixti nischen Kapelle der Felsenmalerei«. 14 Schuld und Sühne? Manche Forscher glauben, der Grund der Malereien sei ritueller Natur. Schuld und Sühne, die in allen Religionen eine w ichtige Rolle spielen, hätten unsere Vorfahren zu den Darstellungen veranlasst, sei es als »Wiedergutmachung« für den Tod der Tiere oder um ihre Seelen zu bannen, damit sie sich nicht an ihren Jägern rächten. Denn ein Tier war nicht einfach nur ein Tier. Wer schnell war wie ein Jaguar, geschickt fliegen konnte wie ein Adler oder klettern wie ein Affe, dem mussten unfassbare, göttliche Kräfte innewohnen. Tiere als Mythos und im Glauben Auch im »Glauben« an den Klapperstorch verbirgt sich ein Rest der mystischen Verbindung des Tiers mit dem Göttlichen. Denn der Adebar (althochdeutsch für A tembringer; od = Atem und bern = geben, hervorbringen) taucht mit dem Schnabel ins Wasser, das Urelement und dem Ursprung des Lebens, holt von dort den Lebensatem und bringt ihn, bzw. die Seele, zu den Menschen. Durch diese Verbindung stiegen viele Tiere auf in den Olymp der Götter, Geister und Asiatischer Glaube an heilige Tiere Die für Hindus »heilige Kuh« bewegt sich heute noch gemächlich-sorglos durch die Straßen Kalkuttas, weil es der Gottheit Erdmutter einmal gefallen hat, als Kuh (der griechische Gott Zeus bevorzugte die Rolle als Stier) auf der Erde zu erscheinen. Auch soll eine Gottheit einmal – auf der Flucht vor einem anderen Himmelswesen – bei einem Rind Zuflucht gefunden haben, indem sie sich in dieses hinein verwandelte. Sowohl im Hinduismus als auch im Buddhismus werden Füchsen, Mardern oder S chlangen magische Kräfte zugeschrieben. Auch die berühmten drei weisen Affen, von denen einer nichts Böses sieht, ein anderer nichts hört und der dritte nichts sagt, sind göttlichen Ursprungs. Sie stammen aus der japanischen Shinto-Religion. Die hinduistische Gottheit Vishnu steigt einmal als Fisch, dann als Löwe, Eber oder auch als Schildkröte auf die Erde nieder. Bei dieser enormen Wandlungs- fähigkeit kann man sich also nie sicher sein, ob sich nicht gerade in der Katze oder dem Hund von gegenüber Vishnu verbirgt. Kein Wunder also, dass es in asia tischen Religionen kaum tierische Schimpfnamen gibt. Und dass viele Hindus vegetarische Kost bevorzugen. Tiere im Monotheismus Muslime verbindet mit Christen und Juden der Glaube an den einen Gott. Sowohl die jüdischchristliche Bibel (das Alte oder Erste Testament) als auch der Koran kennen einen »Herrschaftsauftrag« des Menschen über die Tiere – in Verantwortung vor Gott und der gesamten Schöpfung. Jedoch ist in keiner der Heiligen Schriften von »Artenschutz« oder »Tierrechten« die Rede. Doch immerhin wird in den Zehn Geboten dem Vieh ein Recht auf Sabbatruhe eingeräumt (Ex 20,10). Ob in Hinduismus, Buddhis mus, Islam, Christen- oder Judentum: Die Tiere, die heute mit Vertretern einer der fünf Weltreligionen zusammen leben, verbindet eines: das Warten auf den Frieden – mit dem weisesten Geschöpf aller Zeiten, dem homo sapiens sapiens. Frank Hartmann ofm Frank Hartmann ist Pfarrer der Franziskaner gemeinde St. Bonifatius in Mannheim. Quellen: Manfred Lurker, Adler und Schlange, Tiersymbolik im Glauben und Weltbild der Völker, Tübingen, 1983 Peter Schreiner, Im Mondschein öffnet sich der Lotus. Der Hinduismus, Düsseldorf, 1996 Mittelseite Weihnachten auf einem Bio-Bauernhof in der Schweiz: Die Tiere und Menschen, die in den vergangenen Jahren auf dem Hof gelebt haben, sind kunstvoll in Holz nachgebildet. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zur Krippe. Die Darstellung soll die Wertschätzung aller Kreaturen zum Ausdruck bringen, die als Geschöpfe Gottes ihr Leben zusammen verbracht haben. Der Schweizer Kapuziner Anton Rotzetter erzählt. >> 15 Es ist halb drei Uhr in der Nacht. Kari, ein 75 Jahre alter Mann, wird von seinem Bernhardiner heftig geweckt. Mit Zunge und Pfoten drängt er ihn stürmisch, aufzustehen. Der Hund führt ihn zu Heidi, mit der Kari seit über fünfzig Jahren verheiratet ist. Nun leckt er auch die schlafende Frau und stößt und streichelt sie mit seinen Pfoten, bis auch sie wach ist. Heidi sagt: »Kari, es ist mir kalt; es ist, als ob etwas von mir zum Fenster hinausgeflogen sei. Setz dich doch auf den Bettrand und halt mir die Hand.« Kari tut es – und nach etwa zehn Minuten seufzt Heidi und atmet aus. Es ist ihr letzter Atemzug. Gleichzeitig heult der Hund. Nach einer Woche muss er in die Behandlung einer Tierärztin gebracht werden. Kari glaubt nicht, dass der Hund überlebt. Nach Wochen darf er feststellen, dass der Hund über den Berg ist. Ursprünglich war Kari Architekt. Ein schwerer Unfall, nach dem er nicht mehr von Hand zeichnen konnte, zwang ihn, seinen geliebten Beruf aufzugeben. Heidi ihrerseits war Heilpädagogin. Nach Karis Unfall entschloss sich das Paar, in der Innerschweiz einen ganz abgelegenen Bauernhof zu übernehmen und ihn nach Demeterregeln zu betreiben: ökologisch, biologisch-dynamisch auf der Grundlage einer grundsätzlichen Ehrfurcht vor allem, was lebt. So hatten Kari und Heidi eine besondere Einstellung zu Pflanzen und Tieren. Jedes Tier, das jemals auf dem Demeterhof lebte, wurde fotografiert und von einem Künstler geschnitzt. Dann wurde es an die Weihnachtskrippe gestellt – zu den Schafen und Hirten, die den Gesang der Engel hörten, zu Ochs und Esel, die im kleinen Kind in der Krippe jenes Geheimnis bezeugen, welches wir Gott nennen. Auf diese Weise entstand, wie man sich leicht vorstellen kann, eine große und umfassende Darstellung der bäuerlich genutzten Tiere. Heidi sagte mir in einem Gespräch: »Wir haben mit den Tieren gelebt, sie haben uns ein gutes Leben ermöglicht, wir haben sie gut gehalten und gern gehabt. Sie haben für uns eine Bedeutung über ihren Tod hinaus. Es gibt auch für das Tier ein ›Leben nach dem Tod‹. Deswegen stellen wir all unsere Tiere an die Krippe.« Im Sommer 2010 hatte die Aktion Kirche und Tiere (AKUT) die Idee, diese Krippe allgemein zugänglich zu machen. Wir waren uns bereits einig, als Heidi uns sagte: »Ich habe das Gefühl, dass wir das letzte Mal an Weihnachten zusammen sind. Deshalb wollen wir uns als Familie nochmals um die Krippe versammeln.« Sie hatte Recht, wie wir jetzt wissen. Anton Rotzetter OFMCap Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 »Auf die Perspektive kommt es an« Weihnachtsbrief eines Esels Liebe weihnachtlich gestimmte Menschen, gestatten, mein Name ist Benjamin. Ich zähle zur Gattung der Huftiere, bin ein sogenanntes Grautier. Oder schlicht: ein Esel. Erlaubt mir, mich mit einem kurzen Zwi schenruf zu Wort zu melden. Esel wie mich gibt es zuhauf in der Bibel. An nicht weniger als 152 Stellen sind wir darin erwähnt. Und welch wunderbare Geschichten werden da von meinen Art genossen erzählt. 18 Da war zum Beispiel der kluge Esel, der den Seher Bileam trug. Gegen den Willen Gottes ritt dieser zu den Feinden Israels, den Moabitern. Der Engel Gottes stellte sich ihm in den Weg. Und jetzt kommt‘s: Bileam sah ihn nicht – aber der Esel! Jawohl, der Esel. Natürlich überrennt man keinen Engel, deswegen wich der Esel aus. Dafür bekam er von Bileam dreimal Prügel, so eine Frechheit! Doch dann öffnete ihm der Herr das Maul, und er konnte plötzlich sprechen. Vermutlich hat er Bileam daraufhin sehr menschlich, sehr kräftig die Leviten gelesen und ihm den Auftrag Gottes übersetzt. Bileam ist später von Israel ermordet worden und galt als falscher Prophet. Ob zurecht, sei einmal dahingestellt. Eine andere Stelle, bei der mir immer ganz warm ums Herz wird, ist die von der Eselin, von der im Alten Testament gesagt wird, dass sie den Friedensfürsten tragen solle, den Gott seinem Volk Israels versprochen hatte. (Sach 9,9) Als Jesus in Jerusalem auf einem Eselsfohlen einzog, wurde diese Prophetie Wirklichkeit. Die Menge rief »Hosianna dem Sohn Davids« und schwenkte Palmzweige. Meine liebe kleine Eselin wusste gar nicht, wie ihr geschah und was das zu bedeuten habe. Verstanden haben auch wir anderen, wir alten Esel, das alles erst im Nachhinein. Aber dann waren wir mächtig stolz darauf, dass Gott uns bei diesem Ereignis eine so wichtige Aufgabe gegeben hatte. Offenbar hat Gott uns überhaupt sehr geschätzt. Denn er hat uns sogar in die Zehn Gebote aufgenommen: »Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen ... nach seinem Rind oder seinem Esel.« (Ex 23,4) Und beim Sabbatgebot denkt Gott ausdrücklich auch an uns: »Am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit auch dein Rind und dein Esel ausruhen.« (Ex 23,12) Nun feiert Ihr das Fest der Menschwerdung Gottes. Keine Krippe ohne Esel, obwohl in der Bibel nirgends davon die Rede ist. Aber wo ein Stall, da sind sicher auch Tiere. Es ist also gut möglich, dass Esel die ersten Zeugen des so unscheinbaren und gleichzeitig doch großen Ereignisses waren, das sich da im Stall von Bethlehem zutrug: die Geburt Jesu. Das wäre auch ganz praktisch gewesen, denn kurz darauf wurde ein Esel ganz dringend gebraucht: für die Flucht der heiligen Familie vor König Herodes. Der ließ alle Neugebo renen töten, weil er Angst vor dem neuen König hatte, der da geboren worden sein sollte – und ihm womöglich den Thron streitig machen würde. An dieser Stelle darf Eigenlob ruhig einmal stinken. Wäre nicht einer aus der Sippe von uns Eseln da gewesen, nichts wäre es mit dem Messias, mit Weihnachten und mit der Erlösung geworden. Nichts mit Hosianna, Kreuzigung, Tod und Auferstehung. Nichts mit Christentum, Kirche und Orden. Wir Esel sind also Mit-Träger der Heilsgeschichte: Wir haben schon Abraham, Isaak und Jakob getragen, auf uns sind Moses, David und die anderen Könige geritten – und wir hielten unseren Rücken hin für den Messias, Jesus Christus! Ich sage Euch: Gott braucht auch die Dummen in seiner Heilsgeschichte, sehr nötig sogar; dumme Esel, alte Esel, die nur »I« und »A« sagen können (in Klammern sei gesagt, dass wir immerhin bis zu 50 Jahre alt werden können). Wenn dem- nächst jemand zu Dir »alter Esel« sagt, dann denke daran, was ich Euch geschrieben habe – und das ist mein Weihnachtswunsch für Euch: Gott braucht Dich, Du alter Esel, Du bist ein Träger der Heilsgeschichte. Und damit möchte ich Eurer Bescherung nicht länger im Wege stehen. Es grüßt Euch in heils geschichtlicher Verbundenheit und mit einem kräftigen »Iah« Euer alter Esel Benjamin Stefan Federbusch ofm 19 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Treue Wächter und Begleiter Die Bernhardiner vom Kreuzberg Es war lange Zeit Tradition in den bayerischen Franziskanerklöstern, dass sich die Brüder Bernhardinerhunde gehalten haben. Wenn die Franzis kaner früher zu Fuß zur Messe und zur Seelsorge in umliegende Gemeinden gewandert sind, so waren die Hunde stets treue Begleiter und Wächter in den einsamen Waldgebieten Bayerns. Diese Tradition hat sich heute einzig im Kloster Kreuzberg in der Rhön erhal ten. Es ist das letzte Kloster der Deut schen Franziskanerprovinz, in dem noch Bernhardiner leben. Die Bernhardiner sind von Natur aus eher gemütlich und träge. Doch sind die Hunde auch wach sam, umgänglich und robust. Und sie lieben kühle Witterungen. Aktiv im Winter – faul im Sommer In einem sehr kalten Winter legte Braumeister Ludwig, der sich seit Jahren liebevoll um die Bernhardiner auf dem Kreuzberg kümmert, den Tieren eine beheizte Wärmedecke in die Hundehütte. Als er am nächsten Morgen vorbeikam, waren die Hunde aber seltsamerweise weder in der Hütte noch sonstwo im Gehege zu sehen. Dafür lagen einige ungewöhnliche Schneehügel im Zwinger. Den Hunden war es in der Hütte schlicht zu warm geworden und so hatten sie sich lieber unter den freien Himmel gelegt und sich einschneien lassen. Im Winter werden sie richtig vital, und so fungieren die Hunde auch schon mal als Lift für die Kinder am Rodelhang und haben großen Spaß dabei, den Schlitten wieder den Berg hochzuziehen. Hitze im Sommer mögen die Bernhardiner hingegen nicht sehr. Als zu dieser Jahreszeit einmal Brüder aus München zu Besuch auf dem Kreuzberg waren, boten sie an, die Hunde auszuführen. Der Spaziergang in 20 Hugo weder ablenkbar noch bestechlich. Manchmal aber fand sich noch zusätzlich Wildbret im Korb des Esels, wenn das Duo im Kloster ankam. Und so wurde gar vermutet, dass die Franzis kaner mit Wilderern unter einer Decke steckten, die sich so anonym ihre Gunst erkauften. Das war aber weit gefehlt, denn der Fürstbischof Adam Friedrich selbst gab seinem Förster den Befehl, beim Vorbeikommen den Esel manchmal zusätzlich zu beladen – mit einer Gabe für die Franziskaner. Bruder Eusebius mit Bernhardinerwelpen der Sommersonne dauerte den Tieren aber zu lange, sodass sie sich nach einer Weile einfach auf die Erde legten und durch nichts mehr dazu zu motivieren waren, weiterzugehen. Die Brüder vom Kreuzberg mussten letztendlich mit dem Auto und einem Anhänger kommen, um die faulen Vierbeiner aufzuladen und nach Hause zu fahren. Transportdienst auf 4 Pfoten Bernhardiner sind Transport- und Begleithunde. Sie sind treu und klug. Da der Kreuzberg recht weit vom nächsten Ort entfernt liegt und die Franziskaner nicht immer Zeit hatten, den langen Weg zu gehen, um Vorräte e inzukaufen, hatten sie früher einen der Bernhardiner darauf abgerichtet, einen Esel ins Tal zu geleiten. Der Hund führte den Esel ins Dorf, wo dieser vom Kramer beladen wurde, anschließend brachte er ihn wieder zurück zum Kloster. Niemals soll aus dem Korb des Esels etwas gestohlen worden sein. Der brave Hund war wohl Hungrig, aber sanft Mehr als 500.000 Besucher kommen heute jährlich auf den Kreuzberg zur Wallfahrt und zu einem frischen Krug Kreuzbergbier. Noch nie ist ein Besucher von den Hunden dort gebissen worden. Billig im Unterhalt sind die Bernhardiner nicht, sie fressen immerhin 1 Kilogramm Nahrung am Tag, aber das Kloster leidet keine Not, und vom Gastbetrieb fällt öfter etwas Leckeres ab. Wenn dann schon einmal Grillwürste übrigblieben, ist dies ein Fest für die Hunde. Bruder Ludwig erzählt, dass eins der Tiere früher einen großen Freiheitsdrang hatte, öfter aus dem Gehege ausriss und dann auf eigene Faust, ohne Wissen der Franziskaner, die Gegend erkundete. Die Franziskaner erfuhren einmal erst davon, als der Gastwirt einer benachbarten Alm anrief und sich beschwerte, ein großer Bernhardiner würde vor seiner Gastwirtschaft liegen und die Besucher anknurren. Argwöhnisch vermutete der Almwirt, dass die Franziskaner den Hund abgerichtet hätten, um seine Gäste für die Klosterschänke abzuwerben ... Hugo und Rana Die beiden Bernhardiner, die heute auf dem Kreuzberg leben, heißen Hugo und Rana. Sie sind Rassehunde mit Stammbaum und Ahnentafel. Das Kloster ist kein eingetragener Zuchtbetrieb, aber zu Nachwuchs kann es bei einem männlichen und einem weiblichen Tier, wie die Natur es will, schon einmal kommen. Die Welpen werden dann im Alter von circa zwei Monaten verkauft. Abnehmer dafür sind leicht zu finden, kommen doch viele Wanderer und Pilger auf den Kreuzberg und verlieben sich stehenden Fußes in die kleinen Teddyknäule. Leider war in den letzten zehn Jahren kein Zuchterfolg mehr zu vermelden. Bruder Stanislaus, der die beiden Bernhardiner fest ins Herz geschlossen hat, hofft aber sehr darauf, dass es im nächsten Frühjahr klappt. Denn Hugo und Rana sind nun zwei Jahre alt und somit im geschlechts fähigen Alter. Wollen wir hoffen und beten, dass die Bernhardiner noch viele Generationen im Kloster Kreuzberg ein Zuhause haben! Natanael Ganter ofm Natanael Ganter lebt im Franziskaner kloster München und ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Franziskanerprovinz Germania. Bruder Stanislaus mit Hugo und Rana 21 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Mensch und Papagei Schöpfungsbaum von Chochís Zwiespältige Tierliebe Tiere in der bolivianischen Kirchenarchitektur Wohl kein anderes Tier, das der Mensch gezähmt und zum Haustier gemacht hat, dürfte so intelligent sein wie der Papagei. (Unter suchungen ergaben, dass seine intellektuellen Leistungen mit denen eines vierjährigen Kindes vergleichbar sind.) Nimmt man seine Farbenpracht, sein interes santes Verhalten und seine große Anhänglichkeit hinzu, dann wird schnell deutlich, warum diese Vogelart seit jeher für den Menschen attraktiv ist. Gleichzeitig ist heute keine andere Vogelgruppe in ihrem Bestand so gefährdet wie die Papa geien: Von den etwa 365 Arten (»Für jeden Tag des Jahres einen!«) sind mittlerweile weit mehr als 100 Arten stark bzw. direkt vom Aussterben bedroht. Damit führen sie mit Abstand die »Hitliste der bedrohten Arten« aller Vögel an. Eine Naturkatastrophe im Jahr 1978 war der Auslöser dafür, dass in dem kleinen bolivianischen Ort Chochís eine Kapelle gebaut wurde. Stür mische Regenfälle hatten zu gewal tigen Erdrutschen geführt, von denen die Dorfbewohner verschont blieben, und auch ein Zug wurde wie ein Wunder davor bewahrt, mit der Brücke, die er eben passiert hatte, weggerissen zu werden. Mit dem Bau einer kleinen Wallfahrts kirche wollten die Überlebenden ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Grünflügelara in Lago da Pedra Lieblinge der Menschen Papageien galten lange Zeit als die Lieblinge der Menschen: anfangs als seltenes Einzeltier und „exotisches Vorzeigeobjekt“ der Reichen, später als Massenware, die die stets steigenden Bedürfnisse des Heimvogelmarkts zu befriedigen hatte. Ein beredtes Beispiel dafür ist der Wellensittich (Melopsittacus undulatus), der heute in Millionen Exemplaren in Haushalten vorkommt, aber mit dem ursprünglichen kleinen, anpassungsfähigen Schwarmvogel der australischen Halbwüsten nur wenig tun hat. Gefährdete Bestände Im letzten Jahrhundert wurden Papageien in großer Zahl gefangen und exportiert. Dies hat dazu geführt, dass manche Arten bis an den Rand der Ausrottung ausgebeutet wurden und sich oft nur in wenigen Schutzgebieten oder Naturparks erhalten konnten. Hinzu kam die massive Zerstörung ihres Lebensraums in den Ursprungsländern, der aufgrund der zunehmen22 den Bevölkerung immer weniger Raum für praktizierten Tierschutz ließ. Aber auch Naturkatastrophen wie Wirbelstürme in der Karibik oder riesige Waldbrände in Australien sorgten für eine weitere Dezimierung der Bestände. Erschreckend ist vor allem, dass heute nicht nur selten vorkommende Inselformen bedroht sind, sondern sogar weitverbreitete Vögel wie der Graupapagei (Psittacus erithacus) aus Afrika oder der Gelbwangenkakadu (Cacatua sulphurea) aus Indonesien, die lange Zeit als ungefährdet galten. Sie machen beispielhaft deutlich, wie kritisch die Situation mittlerweile in vielen Ländern der Erde ist. zwiespältige Tierliebe, wenn der Mensch den Papagei nur als »hübsches Spielzeug« betrachtet, das er sich ohne Rücksicht auf Verluste zu eigen machen kann. Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Dazu zählen Auffangzentren für Papageien, die vielen psychisch gestörten oder körperlich hinfälligen Tieren ein halbwegs artgemäßes Zuhause bieten. Auch der Ökotourismus, der die Beobachtung der Vögel in ihren Ursprungsländern ermöglicht, ist eine gute Alternative dazu, Papageien in Haushalten einzusperren, die ihrer natürlichen Lebensweise nicht entsprechen. Kein Spielzeug Angefangen hatte alles mit einer großen Liebe zum Tier, mit Interesse an der Vielfalt der Lebensformen und mit Bewunderung für das faszinierende Wesen dieser wunderschönen Geschöpfe. Aber wie die Entwicklung zeigt: Es ist eine ausgesprochen Manche Menschen lieben Papageien eben wirklich und behandeln sie auch so ... Heinz Schnitker ofm Heinz Schnitker ist Franziskaner in Ohrbeck und Papageien-Experte. Kapelle als Ausdruck von Lobpreis der Schöpfung Zwei Dinge standen für den Schweizer Architekten Hans Roth (1934–1999), der mit der Planung beauftragt wurde, von Anfang an fest: Das neue Gotteshaus sollte keine Kopie amerikanischer oder europäischer Gebetsstätten darstellen, es sollte vielmehr die Handschrift der Chiquitanos, der Bewohner des bolivianischen Tieflands, tragen. Außerdem sollte es die Pilger auf demselben Weg zu Gott führen, den schon der Psalmist und der heilige Franziskus im Gebet gegangen waren: über den Lobpreis der Schöpfung. Ausdruck dafür ist – neben zahlreichen Darstellungen der regionalen Tierwelt auf den Säulengängen außerhalb des Gotteshauses – vor allem der zentrale Pfeiler im Innern der Kirche, der als Schöpfungsbaum gestaltet ist und der die gesamte Dachkonstruktion trägt. Lassen wir bei der Beschreibung dieses Werkes, das einheimische Künstler ausgeführt haben, den Architekten Hans Roth selbst zu Wort kommen: Architektur »Der Schöpfungsbaum trägt das gesamte schwere Dachgebälk der Kapelle, die sich über eine G rundfläche von 150 Quadratmetern erstreckt. Diese Säule zeigt eine Art Baum mit acht Ästen. Der Stamm ist sechs Meter hoch und hat einen Durchmesser von 80 Zentimetern. Die prachtvollen Mensch und Tier auf dem Schöpfungsbaum von Chochís/Bolivien tragen einheimische Züge Schnitzereien, die auf seiner Oberfläche angebracht sind, zeigen ganz oben, oberhalb der Äste, Gott den Schöpfer allen Lebens. Ihm am nächsten sind die zwölf Apostel, seine Mitarbeiter am Werk der Gnade. Auf den acht Ästen ist je ein Engel mit einem Instrument abgebildet; sie bilden den Himmels chor. Auf dem Stamm unterhalb der Äste ist das Sechs-Tage-Werk des S chöpfers mit der einheimischen Tier- und Pflanzenwelt dargestellt. Mann und Frau, das Werk des sechsten Tages, auf das Gottes Hand liebevoll verweist, tragen die Züge der einheimischen Bevölkerung. Die mächtigen Wurzeln, deren oberer Teil am Fuße des Baumes zu sehen ist, reichen anderthalb Meter tief in einen unterirdisch einzementierten Steinblock, durch den die ganze Konstruktion Halt findet.« Gottes Liebe in Mensch und Natur Auf dem Schöpfungsbaum von Chochís drücken Mensch und Tier zusammen die Liebe Gottes zu s einer gesamten Schöpfung aus. Und gemeinsam scheinen Mensch und Die Wallfahrtskirche von Chochís/Bolivien mit Schöpfungsbaum in der Mitte Natur darauf zu antworten: »Wie wunderbar sind Deine Werke, o Herr. Lobe den Herrn, meine Seele!« Anke Chávez / Hans Roth (✝ 1999) Anke Chávez ist verantwortlich für die Bereiche Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit bei der Franziskaner Mission. Der Artikel ist auf der Grundlage einer ausführ lichen Beschreibung von Hans Roth entstanden. 23 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Essen Sie weniger Fleisch! Unser Konsumverhalten bestimmt das Angebot Bevor Sie beginnen zu lesen: Dieser Artikel ist ein Schlechte-Laune-Artikel. Er hat kein Happy End und ein schlech tes Gewissen macht er auch. Also eigentlich passt er gar nicht in die Franziskaner Mission. Dass er dennoch hier erscheint, zeigt, wie dringlich das Thema ist. Überangebot für die Mittagspause Diejenigen, die es nicht gewohnt sind, ein Pausenbrot oder einen Henkelmann mit zur Arbeit zu nehmen, wissen die Imbissvielfalt in den deutschen Städten inzwischen zu schätzen. Kulinarische Weltreisen kann man da im Laufe der Woche machen und sich am krossen Hühnchen süßsauer genauso erfreuen wie an der Hähnchenbrust in scharfem roten oder grünen Curry. Dass diese für weniger als fünf Euro am Imbiss verkauften Hähnchen in Massentierhaltung ein erbärm liches Leben hinter sich haben, ist bekannt. Jeder kennt die grausigen Bilder aus den engen und stickigen Ställen. Wirtschaftliche Katastrophe für Afrika Doch wussten Sie, dass die Westeuropäer am liebsten die Hähnchenbrust essen? Und wissen Sie, was mit den übrigen essbaren Teilen des Huhnes, also Leber, Flügel oder Beinen, passiert? Sie treten eingefroren die kulinarische Weltreise in afrikanische Staaten an und werden dort zu niedrigen Preisen und unter problematischen hygie nischen Verhältnissen verhökert. Das ist billiger, als die Reste in Europa zu vernichten. Denn die Vorgaben von Weltbank oder Internationalem Währungsfonds verlangen von den Ländern des Südens, ihre Märkte zu öffnen und niedrige Zölle zu verlangen. 24 Schwein gehabt: Artgerechte Tierhaltung in der Familienlandwirtschaftsschule Independencia im Nordosten Brasiliens Die Länder können ihre Märkte auf diese Weise vor Dumpingimporten nicht schützen, ein Unding, gegen das Nichtregierungsorganisationen seit Jahren leider ohne Erfolg protestieren. Die einheimischen Hühnchenproduzenten können darum den Preis der Importe aus Europa nicht unterbieten und gehen über kurz oder lang pleite. Rezept gegen Tierquälerei Also: Wenn Ihr Imbissstand sein Fleisch nicht von einem regio nalen Ökobauern bezieht, lassen Sie die Finger davon. Je weniger billiges Hähnchenfleisch nachge fragt wird, desto besser! Kochen Sie sich doch lieber v egetarisches Kartoffelcurry und n ehmen Sie es im Henkelmann mit zur Arbeit: Dazu gekochte Kartoffeln, Kurkuma, Salz und Chili anbraten und mit Wasser aufgießen. Bei geschlossenem Deckel 10 Minuten ziehen lassen. Wenn die Sauce eingedickt ist, mit Marsala ab- schmecken und mit Reis essen. Folgeschäden durch Rinderfilet Nach dem gelungenen Theateroder Konzertabend freut man sich, bei einem guten Glas Merlot und einem Boeuf Bourguignon noch mal über die Hauptdarstellerin oder den Solisten zu schwärmen. Doch wussten Sie, was die Produktion von einem Kilogramm Rinderfilet kostet? Nicht nur, dass gutes Rindfleisch oft aus Lateinamerika eingeflogen wird, wo für minderwertiges Weideland die Lunge der Erde, der Regenwald, jährlich in einer Größenordnung von 350.000 Quadratkilometern abgeholzt (das entspricht der Größe Deutschlands) oder Kleinbauern vertrieben w erden. Für die Produktion von einem Kilo Rindfleisch braucht man etwa 16.000 Liter Trinkwasser. Ungefähr sieben Kilo Getreide müssen verfüttert werden. Ein Drittel der Getreideproduktion der ganzen Welt gehen somit als Viehfutter in den Fresstrog. Lassen Sie also auch hier die Finger davon und tun Sie sich lieber am S alatbuffet gütlich – das ist zu so später Stunde auch für die Nachtträume vorteilhafter. Oder kochen Sie gefüllte Zucchini: Zucchini halbieren und aushöhlen. Zwiebel und Knoblauch in Öl anbraten, fein gehackte Walnüsse und das Fruchtfleisch der Zucchini dazugeben. Abkühlen lassen und mit Ei und Fetakäse mischen, salzen und pfeffern. Masse in die Zucchini füllen und im Ofen garen und überbacken. Sonntagsbraten mit leidvollem Weg Was wäre ein gelungener Sonntag ohne einen leckeren Schweinekrustenbraten mit Knödeln, Rotkraut und Apfelmus? Wenn der deftige Geruch nach dem Sonntagsgottesdienst durch die Wohnung zieht und sich auch der eine oder die andere Verwandte eingefunden hat, wird es gemütlich und feierlichentspannte Stimmung stellt sich ein. Doch was da lecker in Ihrem Ofen schmort, hat ein Martyrium hinter sich. 40 Millionen Schweine werden in Deutschland jedes Jahr geschlachtet. 90 Prozent der Tiere stammen aus Massentierhaltung, das heißt, sie werden in fensterlosen Ställen im Halbdunklen in engsten Verhältnissen vier bis fünf Monate gemästet, bis sie ein Gewicht von circa 110 Kilo erreicht haben. Nach der Geburt werden ihnen die Schwänze abgeschnitten und die Zähne abgeschliffen. Gliedmaßen verkrüppeln in den Betonställen und der Kreislauf der Schweine ist so schwach, dass jede Auf regung wie plötzliches Licht oder Lärm zum Herztod führen kann. Aufgepäppelt werden die Tiere mit Medikamenten und Hormonen, deren Rückstände sich dann im Fleisch wiederfinden. Daneben stellt diese Art der Tierhaltung auch ein ökologische Problem dar: Jedes Kilo Schweinefleisch produziert 15 Kilo Gülle, die Grundwasser verunreinigt und durch A mmoniakausdünstungen zum sauren Regen beiträgt. Über Futtermittel, wie Soja und Mais, die zu Dumpingpreisen aus den Ländern des Südens nach Deutschland importiert werden und deren Anbauflächen für die Lebensmittelproduktion dann fehlen, sei hier jetzt nicht weiter gesprochen. Alternativer Konsum Aber auf den Sonntagsbraten verzichten? Nein, das muss eigentlich nicht sein: Kaufen Sie Ihren Braten doch bei einem Bio-Fleischer in Ihrer Nähe. Der weiß, woher das Fleisch kommt und unter welchen B edingungen es produziert wurde. Und wenn Sie die Woche über kein Fleisch essen, haben Sie die M ehrkosten für den Schweinebraten aus ökologischer Tierhaltung auch schnell wieder im Portemonnaie. Und außerdem tun Sie etwas gegen den Hunger in der Welt und helfen die Forderung des Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen, Oivier de Schutter, nach Nahrung für alle umzusetzen: »Wenn wir den Fleischkonsum in den reichen Ländern reduzieren, ihn weltweit bis 2050 auf einem Pro-KopfVerbrauch auf dem Niveau von 2000 festschreiben – also auf jährliche 37,4 kg pro Kopf – dann könnten ungefähr 400 Millionen Kilo Getreide für die menschliche Ernährung freisetzt werden. Das ist genug, um 1,2 Milliarden Menschen mit ausreichend Kalorien zu versorgen.« Thomas M. Schimmel Thomas M. Schimmel ist für die Missions zentrale der Franziskaner in Berlin tätig. Quellen: www.brot-fuer-die-welt.de/downloads/ niemand-isst-fuer-sich-allein/ kampagnenblatt_fleischkonsum.pdf www.nabu.de/themen/nachhaltigkeit/ ressourcen/13310.html www.vegan.at/warumvegan/umwelt/ wieviel_fleisch.html www.misereor.de/fileadmin/redaktion/ Misereor_Flyer_ImFalschenFilm_2011.pdf Gut für Mensch und Tier: Artgerecht gehaltene Tiere zeichnen sich durch eine höhere Fleischqualität aus. 25 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Lob der Schöpfung Ich krieg die Motten Tierschutz in brasilianischen Familienlandwirtschaftsschulen Eine Glosse Wer lernen will, sich um Tiere zu kümmern, muss Berufung, Hingabe und Lernbereitschaft mitbringen. Auf dem Lehrplan der Familienland wirtschaftsschule Manoel Monteiro im nordostbrasilianischen Bundes staat Maranhão steht die Aufzucht von kleinen und großen Tieren. Außerdem lernen die Schülerinnen und Schüler, ein Bewusstsein für die Umwelt zu entwickeln und auch wilde Tiere zu schützen. Die Unter richtsmethode umfasst sowohl die Theorie als auch die Praxis. Letztens habe ich ein T-Shirt aus dem Schrank genommen, und dabei ist eine Kleidermotte beim Fressen gestört worden. Sie ist aufgeflogen, hat eine Runde durch das Zimmer gedreht, und ich bin ihr hinterher gehüpft und habe ein paarmal nutz los in die Hände geklatscht. Dann ist das Mistvieh gemütlich wieder in den Kleiderschrank geflogen. Umfassender Lehrplan Im theoretischen Unterricht geht es um grundlegende Fragen: Wie gehe ich mit Tieren um? Wie behandele ich Krankheiten, und was kann ich zur Vorbeugung tun? In der praktischen Lernphase geht es dann darum, das Gelernte umzusetzen. Gegenseitige Unterstützung von Jung und Alt Wir können es uns an der Familienlandwirtschaftsschule nicht leisten, große Tiere zu halten. Deshalb arbeiten wir mit den Bewohnern des Nachbardorfes Pau Santo zusammen. Die Bewohner des Ortes stellen uns ihre Tiere zu Lehrzwecken zur Verfügung. So kommt es zu einem fruchtbaren Austausch an Erfahrungen: Die Schülerinnen und Schüler der Familienlandwirtschaftsschule lernen sehr viel von den Besitzern der Tiere, und diese wiederum profitieren von dem Wissen der jungen Leute, das auf den neuesten Erkenntnissen der Agrarwissenschaft beruht. Ein wichtiges Ziel unserer Pädagogik besteht darin, den Dialog zwischen den beiden Gruppen, ihre gegenseitige Achtung und ihre Zusammenarbeit zu fördern. Die jungen Menschen lernen, sich respektvoll den überlieferten Erfahrungsschatz der Erwachsenen anzueignen. Und die Erwachsenen gewinnen in dieser Atmosphäre des Vertrauens die notwendige Offenheit gegenüber neuen Methoden. 26 Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Artgerechte Tierhaltung an der Familienlandwirtschaftsschule Manoel Monteiro im Nordosten Brasiliens Versorgung und Verantwortung Das Kleinvieh, das wir an unserer Schule halten, wird von unseren Schülerinnen und Schülern versorgt. So lernen sie, dass sie jeden Tag zu festen Zeiten bestimmte Aufgaben verrichten müssen. Die Mädchen und Jungen müssen im Stall für Sauberkeit und Hygiene sorgen, sie müssen die Tiere versorgen und pflegen, sie müssen aufpassen, ob alle gesund sind. Der Umgang mit den Tieren hat bei den Jugendlichen auch eine psychologische Wirkung. Wenn sie bei den Hühnern oder Schweinen im Stall sind, müssen sie ruhig und besonnen handeln, Hektik führt bei den Tieren zu Stress. Ökologisches Gleichgewicht Was den ökologischen Aspekt angeht, kümmern wir uns in der Familienlandwirtschaftsschule liebevoll um den Erhalt der Umwelt. Wir wollen in jeder Schülerin und in jedem Schüler das Bewusstsein dafür wecken, dass sie oder er Teil der Schöpfung ist. Wir vermitteln ihnen, dass auch die wilden Tiere wichtig für das ökologische Gleichgewicht sind und dass sie daher weder gefangen noch misshandelt oder getötet werden dürfen. Zum Wohle aller Geschöpfe handeln Grundlage für all dies ist der Geist des heiligen Franziskus, dem es darum geht, die gesamte Schöpfung zu lieben und dementsprechend mit allen Geschöpfen umzugehen. Die jungen Menschen, die an unserer Schule lernen, bringen oft ganz andere Erfahrungen mit. Viele von ihnen sind in einem Milieu aufgewachsen, in dem Gewalt gegenüber Mensch und Tier an der Tagesordnung ist. Wir versuchen, ein anderes Menschenbild zu vermitteln und zu zeigen, dass man die Welt durch Liebe verändern kann. In seinem Sonnengesang nennt Franziskus alle Geschöpfe Brüder und Schwestern. Wir glauben, dass wir mit unserer Schule auf dem Weg sind, die Welt menschlicher zu gestalten – zum Wohle aller Geschöpfe, der Menschen wie der Tiere. Die Leitungsgruppe der nordost brasilianischen Familienlandwirt schaftsschule Manoel Monteiro in Pau Santo, Maranhão Kleiner Verdauungsflug durchs Zimmer »Oh, oh, ein Mensch ist mir auf den Fersen!«, hätte sie ängstlich denken sollen. Ganz durcheinander vor Angst hätte sie wild durch das Zimmer torkeln sollen, doch stattdessen hat sie sich wohl gedacht: »Der kleine Verdauungsflug tat gut!«, und ist zurück in meine Klamotten geflogen. Hektisch habe ich alle Kleidungsstücke aus dem Schrank gezerrt und ausgeschüttelt in der Hoffnung, sie wieder aufzuscheuchen. Diesmal würde ich die Schranktür vor ihrer Nase zuwerfen und sie dann kaltblütig in die Ecke drängen und erschlagen. Doch das Ding hatte die Kiefer fest in irgendwelche Wolle geschlagen. Lächerliches Lavendelsäckchen Kleidermotten sind gefräßig und fortpflanzungsfreudig, das war mein einziger Gedanke. Seit dem Tag des Ausflugs meiner Motte schlief ich nicht mehr ruhig. Beim Durchschütteln hatte ich drei Pullover mit Löchern gefunden, und das Biest arbeitete sicher gerade an anderer Stelle. In der Drogerie gab es leider nichts gegen Motten, auf dem stand: »Vorsicht, nur mit Atemschutzmaske verwenden!« Ich war zu allem bereit, und je giftiger, desto tödlicher. Stattdessen gab es Lavendelsäckchen. Was denken sich die Hersteller von solchem Kinderkram? Dass die Motten die Nase rümpfen, ihre Sachen packen und wegfliegen – auf der Suche nach einem anderen Kleiderschrank, in dem es besser riecht? Meine Motte hatte vermutlich längst Briefe an ihre Verwandten geschrieben: »Kommt alle her, hier ist es herrlich! Man kann zwischendurch sogar Verdauungsausflüge unternehmen!« Ich kaufte trotzdem ein Dutzend Lavendelsäckchen, um nicht kampflos aufzugeben. Die Motte hat vom Lachen vermutlich so Hunger bekommen, dass sie danach erstmal ein T-Shirt probieren musste. Mottenfamilie stellt sich vor Gestern habe ich die Motte dann wiedergesehen. Ich hatte eine Schranktür offen gelassen, um die Lavendelwolke herauszulassen, ehe ich nach etwas Anziehbarem ohne Löcher suchen würde. Während ich auf meinem Bett saß, kam die Motte herausgeflogen und hinter ihr neun kleine Kleidermotten. Genau vor meiner Nase drehten sie eine Runde, dann bauten sie sich an der gegenüberliegenden Wand hintereinander auf. Die Kleidermotte führte mir ihren Nachwuchs vor, nicht zu fassen! Nachdem sie in den Schrank zurückgekehrt waren, schloss ich behutsam die Tür, um die Kleinen nicht zu erschrecken. Meine Familie, dachte ich, die Motte hält mich für ihre Familie. Nun warte ich darauf, dass löchrige Kleidung modern wird. Und dann werden alle neidisch sein, weil ich meine eigenen Modemacher im Schrank sitzen habe. Daniela Böhle Daniele Böhle ist freie Autorin in Berlin. 27 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Neue Herausforderungen mit 100 1911 wurde der Franziskaner-Missions-Verein in Bayern gegründet Als der Franziskaner Jakob Schauermann 1911 den Franziskaner-Missions-Verein in Bayern gründete, hätte er sich wohl nicht träumen lassen, dass 100 Jahre später der Papst einen »Rat zur Förde rung der Neuevangelisierung« ins Leben rufen würde, um das Evange lium im alten Europa mit seiner fast 2.000-jährigen christlichen Geschichte neu einzupflanzen. »Deutschland ist Missionsland geworden« war ein Slogan bereits auf dem ersten Nach kriegs-Katholikentag 1948 in Mainz. Der Franziskaner Jakob Schauermann dagegen war noch ganz vom missiona rischen Aufbruch des 19. Jahrhunderts getragen. Missions-Boom im 19. Jahrhundert Die innere Konsolidierung der Kirche nach Aufklärung und Säkularisation brachte auch ein neues missionarisches Bewusstsein mit sich. Allerdings bewegte sich dabei die »Heiden mission« oft im Kielwasser der expansionistischen Kolonialpolitik Europas. Es entstehen eigene Missionsgesellschaften, um den Personalbedarf in den »Missionsgebieten« zu sichern (Steyler Missionare, S piritaner, Weiße Väter, Comboni-Missio nare u.a.). Selbst bei den monastischen Orden führt die neue Missionsbegeisterung zu Neugründungen (Marianhiller Missionare, Missionsbenedik tiner von St. Ottilien). Für das im Franziskanerorden neu erwachte Missionsbewusstsein spricht die Gründung des Kollegs S. Antonio in Rom 1884 als z entraler Ausbildungsstätte künftiger Missionare. Parallel schließen sich Laien zu Vereinen zusammen, um die Missionen finanziell und durch ihr Gebet zu unterstützen (FranziskusXaverius-Verein in Aachen, Ludwigs-Missions-Verein in 28 ünchen, Afrika-Verein der deutM schen Katholiken). Das Thema Mission liegt also in der Luft, als der Franziskaner-Missions-Verein in Bayern das Licht der Welt erblickt. Der Gründer Jakob Schauermann Der Franziskaner Jakob Schauermann, 1880 in Eger (im heutigen Tschechien) geboren, tritt 1902 in den Franziskaner orden ein und wird bereits 1906 in München zum Priester geweiht. Schon bald entfaltet er in Landshut eine erstaunliche pastorale und soziale Tätigkeit: 1911 gründet er den FranziskanerMissions-Verein und später eine eigene Missionsdruckerei, 1914 den Caritasverband Landshut, die Katholische Jugendfürsorge und einen Verein für Säuglingspflege, 1919 im Solanushaus eine Schule für Pflegerinnen und ein Säuglingsheim. Zur Mitarbeit gewinnt er eine Gruppe von Frauen, die aus einem Münchner Krankenpflegeverein hervorgegangen war und sich dem franziskanischen 3. Orden angeschlossen hatte. Als nach ihrer kirchenrechtlichen Anerkennung durch den Bischof von Bamberg diese Franziskusschwestern ihren Sitz Jakob Schauermann ofm, Gründer des Franziskaner-Missions-Vereins in Bayern nach Vierzehnheiligen verlegen, verbleibt ein Teil der Gemeinschaft in Landshut und wird 1926 durch die Erzdiözese München als Diözesankongregation der Solanusschwestern errichtet. Ankunft der bayerischen Franziskaner-Missionare 1952 in Bolivien 1931 wird der Franziskaner Jakob Schauermann in das Banat versetzt und damit von seinen Werken getrennt. Grund dafür dürfte unter anderem sein in der Provinz nicht unumstrittener Leitungsstil und die defizitäre Lage seiner Gründungen gewesen sein. Es wäre nicht das erste Mal, dass prophetisches Gründercharisma nicht unbedingt mit nüchternem Finanzmanagement gepaart ist. Später wirkt er dann in Maria Lanzendorf bei Wien und als Seelsorger am Wiener Zentralfriedhof, wo er 1957 auch beigesetzt wird. 2007 wurden seine Gebeine nach Landshut überführt. Franziskanermissionare aus Bayern in China, Südafrika und Bolivien Hauptaufgabe des Missions vereins, so heißt es in der Gründungssatzung von 1911, ist »die Unterstützung der Franziskanermissionen und die Heranbildung von Franziskanermissionaren«. Bis in die Mitte des letzten Jahr hunderts hat die Propaganda Fide in Rom die Verantwortung für sogenannte Missionsgebiete in Übersee an Ordensgemeinschaften in Europa übertragen. So wurde den bayerischen Franziskanern 1926 die Aposto lische Präfektur Shohchow in Zentralchina anvertraut, wo sie, unterstützt von den Solanus- Kirche hat Zukunft: Robert Hof, Münchner Diözesanpriester, arbeitet mit unseren Brüdern in Bolivien und wird vom FMV unterstützt. Frau Pia Wohlgemuth, Sekretärin des FMV, und Geschäftsführer Alfons Schumacher ofm in der Geschäftsstelle des Franziskanerklosters St. Anna in München schwestern, bis zur Vertreibung durch die Kommunisten 1948 wirkten. 1932 kamen die ersten Brüder aus Bayern nach Südafrika und übernahmen drei Jahre später die Apostolische Präfektur Mount Currie, erneut in Zusammenarbeit mit den Schwestern aus Landshut. Auch dort leben inzwischen keine bayerischen Minderbrüder mehr. G eblieben ist die bayerische P räsenz bis heute dagegen im T iefland von Bolivien, wo der Münchner Provinz 1951 das Apos tolische Vikariat Ñuflo de Chávez anvertraut wurde. Die Unterstützung der vielfältigen pastoralen und sozialen franziskanischen Projekte in Bolivien ist heute die Hauptaufgabe des MissionsVereins. liche Solidarität lebt nicht nur vom Teilen materieller Güter, sondern vor allem auch von einem spirituellen Austausch, der längst nicht mehr nur als Einbahnstraße vom alten Europa in ferne überseeische Länder funktioniert. Und noch etwas scheint im Nachhinein fast prophetisch: Der Franziskaner Jakob S chauermann wurde zur Gründung des Missions-Vereins in Bayern inspiriert durch den Franziskaner-Missions-Verein der Sächsischen Provinz, den Wenzeslaus Straußfeld wenige Jahre zuvor in Werl errichtet hatte. Daraus hat sich die Franziskaner Mission in Dortmund entwickelt. Heute arbeiten beide Institutionen eng zusammen. Die Zeitschrift, die Sie in den Händen halten, ist der beste Beweis dafür. Die gemeinsame Es wächst zusammen, Verantwortung der deutschen was zusammen gehört Franziskaner für ihr geschichtIm gleichen Jahr 1911 ruft der lich gewachsenes weltkirchliches Franziskaner Jakob Schauermann Engagement zu stärken, offen zu neben dem Missions-Verein auch sein für neue Herausforderungen noch einen »Gebetsverein zu und im Missionsland DeutschEhren des heiligen Antonius« ins land das Bewusstsein für unsere Leben. Durch die Doppelgrünweltkirchliche Verbundenheit wach dung macht er deutlich, dass die zu halten, ist die große HerausforVerkündigung des E vangeliums derung des Franziskaner-Missionsnicht nur finanzielle Mittel erforVereins in Bayern an seinem dert, sondern vom Gebet getragen 100. Geburtstag. sein muss. Wenn sich auch das Missionsverständnis in 100 Jahren Cornelius Bohl ofm geändert hat, das Grundanliegen Cornelius Bohl ist Vorsitzender des FMV und lebt im Franziskanerkloster München. ist gleich geblieben: Weltkirch 29 Franziskaner Mission 4 | 2011 — Geschöpfe Gottes – tierisch gut Geschöpfe Gottes – tierisch gut — Franziskaner Mission 4 | 2011 Projekt Nachruf Gottfried Bauerdick oder »Godofredo«, wie ihn die Land arbeiter in Brasilien einfach nannten, war ein echter Franziskaner. Einer, wie man ihn sich vorstellt, wenn man sich mit der Lebensgeschichte des heiligen Franziskus beschäftigt hat. Vor 26 Jahren haben wir, seine Verwandte Margarete Fust und ich, ihn im Nordosten Brasiliens besucht. Was uns zuerst auffiel war, dass er an den Füßen Flipflops trug, die Schuhe der Armen. Wir verstanden, dass er einer von ihnen sein wollte. Lauffeuer ging es durch den Ort: »Godofredo ist da!« Für uns Besucher aus Deutschland war ein Bibel-Wochenende mitten im Busch besonders beeindruckend. Wir saßen zusammen mit den Landarbeitern auf dem Boden, lasen in kleinen Gruppen aus der Heiligen Schrift, diskutierten über einige Stellen und trugen die Ergebnisse dann im Plenum vor. Anschließend feierten wir zusammen die Messe. Zu uns sagte Godofredo: »Noch wichtiger, als Geld zu sammeln, ist, in Deutschland zu erzählen, was hier mit Gottfried Bauerdick (✝ 17.9.2011) kurz vor seinem Tod mit einem Bild, auf dem er als junger den Armen passiert!« Missionar zu sehen ist. Hilfe und Beistand für die Ärmsten Das haben wir nach unserer Rückkehr Er nahm uns mit zu Besuchen bei alten dann auch getan. An zwei Orten haben und kranken Menschen, die in ihren die für ihre riesigen Rinderherden wir Menschen gesucht und gefunden, ärmlichen dunklen Hütten in ihren Hänge Weideflächen von der Größe deutscher die sich für die Landarbeiter in Brasilien engagiert haben – und es bis heute matten lagen. Er hielt ihre Hände, sprach Bundesländer beanspruchten, vertrieihnen Trost zu und betete mit ihnen. Er ben die Landarbeiter von ihren kleinen immer noch tun. fuhr mit uns im Jeep ins Landesinnere, Parzellen mit Gewalt durch gedungene Das sind auch die Früchte von um die Menschen in den weit verstreuten Pistoleros. Diese scheuten weder vor Godofredo. Er hat uns durch sein Dörfern und Siedlungen zu erreichen, um Brandstiftung noch vor Mord zurück. einfaches Leben und den Umgang sie zu taufen, zu trauen, die Messe mit Godofredo sorgte durch einen mit den dort lebenden Menschen ihnen zu feiern, die Erstkommunionkinder Rechtsanwalt dafür, dass die Land den Blick geöffnet für die Landarbeiterzu segnen und das Bußsakrament zu arbeiterfamilien eine Besitzurkunde für familien im Nordosten Brasiliens und spenden. Er brachte ihnen Tongefäße zur ihr Stückchen Land erhielten, das sie uns das Gefühl gegeben, etwas tun zu Filterung des schmutzigen Wassers aus seit Generationen bewirtschafteten und können für die, denen es nicht so gut Flüssen und Seen, damit sie es als Trinkwas- das ihnen somit gesetzlich zustand. geht wie uns. ser nutzen konnten. Manchmal tauschte Damit sorgte er für die Durchsetzung Danke, Godofredo, dass es dich er sein eigenes Hemd gegen das einzige ihres Rechtes, das sie nicht für sich gab und dass wir dich bei deiner Arbeit zerschlissene Hemd eines Landarbeiters. selbst einzufordern wussten. begleiten durften. Unterstützung auch bei Rechtsansprüchen Während unseres Besuches war gerade die Zeit des Landraubes. Großgrundbesitzer, Den Blick öffnen und etwas tun Überall in den Hütten und D örfern wurde Godofredo mit großer Freude und Herzlichkeit begrüßt. Wie ein Ganzheitliche Seelsorge Ob in Bolivien, Brasilien, Ostafrika oder Vietnam: Die Projekte, die vom Franziskaner-Missions-Verein in Bayern und der Franziskaner Mission in Dortmund gefördert werden, haben alle ein Ziel: nachhaltig und ganz heitlich zur Verbesserung der Lebens bedingungen der Menschen vor Ort beizutragen. Langfristige Hilfe Nachhaltig bedeutet: Es werden keine Strohfeuer unterstützt, die vielleicht kurz hell a ufleuchten, deren Wirkung aber sofort wieder verlöscht, sondern es wird in Projekte investiert, die den Ärmsten der Armen langfristig helfen, bessere Perspektiven für ihre Zukunft zu entwickeln. Natürlich geht es dabei in erster Linie um die Menschen: Kinder erhalten eine gute Schulbildung – und manchmal dazu auch ein warmes Mittagessen, damit ihnen während des Unterrichts nicht vor Hunger der Magen knurrt. Arme und alleinstehende Mütter erhalten die Möglichkeit, sich weiterzubilden und anschließend durch eine menschenwürdige Arbeit für sich und ihre Kinder zu sorgen. Randgruppen der Gesellschaft wie Kinder, die auf der Straße leben, sowie obdachlose oder drogenabhängige Menschen erhalten auf ihrem Weg (zurück) in die Gemeinschaft nicht nur materielle Unterstützung, sondern vor allem auch Respekt und Achtung. Der Mensch im Mittelpunkt Bei allen Projekten der Franzis kaner steht der Mensch im Mittelpunkt, und das ist gut so. Trotzdem ist der Mensch nicht allein auf der Welt. Das beste Projekt hilft daher wenig, wenn bei der Sorge um den Menschen die Umwelt vergessen wird, in der er lebt – und von der er lebt. Zu den Anliegen der Franziskaner weltweit gehört es daher nicht nur, sich für ein Leben der ihnen anvertrauten Menschen in Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Sie haben gleichzeitig immer auch den Schutz und den Erhalt der Schöpfung, das heißt der Pflanzen und Tiere, im Blick. Bitte helfen Sie mit, dass unsere Missionare weiter ganzheitliche Seelsorge in ihren Missionsgebieten leisten können: als Dienst an den Menschen – und an der ganzen Schöpfung Gottes. Eveline Veith Eveline Veith war langjährige Leiterin des Arbeits kreises »Mission-Entwicklung-Frieden« in der Gemeinde St. Cornelius und St. Cyprian in Lippborg. Naturschutz an der Pater-Vjeko-Schule in Ruanda: Durch den Bau einer Biogasanlage wird dort bald kein Brennholz mehr benötigt. Franziskaner »Franziskaner« – Das Magazin für F ranziskanische Kultur und Lebensart Nicht erst seit den brutalen Übergriffen gegen koptische Christen in Ägypten schlagen Experten Alarm: Die Verfolgung von Christen nimmt weltweit zu. Franziskaner greift das Thema auf und fragt auch, warum sich die westliche Welt so still verhält. Weitere Themen: Zwischen irrsinniger Verschwendung und wahnsinnigem Hunger // Der franziskanische Künstler Michael Blasek // Rundgang des Franziskaners Natanael Ganter durch das Museum der Völker in Werl 30 Um die kostenlos erhältliche Zeitschrift »Franziskaner« zu beziehen, wenden Sie sich bitte an: Franziskanerkloster Am Frauenberg 1 36039 Fulda Angela Heiner Tel.: 06 61/10 95-36 E-Mail: [email protected] www.zeitschrift.franziskaner.de Impressum Franziskaner Mission erscheint viermal im Jahr und kann als kostenfreies Abo bestellt werden unter Tel. 0231/176337-65 oder [email protected]. Franziskaner Mission erscheint im Auftrag der Deutschen Franziskanerprovinz von der Heiligen Elisabeth (Germania), der Provinz von Bacabal (Brasilien) sowie der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn-Bad Godesberg. Herausgeber Franziskaner Mission, Dortmund Verantwortlich Augustinus Diekmann ofm Redaktion Anke Chávez, Stefan Federbusch ofm, Natanael Ganter ofm, Frank Hartmann ofm, Thomas M. Schimmel, Alfons Schumacher ofm Spendenhinweis Fotos Natanael Ganter: S. 1, 3 u., 21, 32. Franziskaner Mission: S. 2 li. u. re., 3 o. Reinhold Brumberger: S. 2 Mitte. Heiner Witte: S. 6. Michele Cappiello: S. 7. Institut für Theologische Zoologie: Logo S. 7. Stefan Federbusch: S. 8. Landesmuseum Mainz: S. 10. Simone Bahrmann: S. 12. Michael Meyer: S. 13. Fred Schneider: S. 14. Annette Forster/AKUT: Mittelseite, S. 19. Augustinus Diekmann: S. 18, 22, 24, 25, 30, 31. FMV-Archiv: S. 20, 28, 29. Christian Roth: S. 5, 23. Vanderval Spadetti: S. 26. Olaf Leillinger, Wikimedia Commons (GNU-Lizenz): S. 27. Gestaltung sec GmbH, Osnabrück Druck IVD, Ibbenbüren; gedruckt auf Recycling-Papier Bitte nutzen Sie den beiliegenden Überweisungs träger für Ihre Spende. Ab 50 Euro erhalten Sie von uns automatisch eine Spendenbescheinigung. Für Spenden unter 50 Euro erhalten Sie diese auf Anfrage. Telefon 02 31/17 63 37 5 Fax 02 31/17 63 37 70 [email protected] 31 Franziskus und die Tiere: Gemälde auf Glas, Franziskanerkloster St. Anna, J. RH 1972