Ich koste nur 400 Euro, Stern
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Ich koste nur 400 Euro, Stern
400 ICH KOSTE NUR DIE STERN-REPORTAGE EURO So süß! So günstig! So illegal! Rasse-Welpen aus Osteuropa sind im Westen begehrt. Der stern recherchierte die Handelswege der Hundemafia Putzmunter – scheinbar: Viele Billig-Welpen sind so krank, dass sie die ersten Wochen im neuen Zuhause nicht überleben 17.7.2014 85 FOTO: EVELYN MAZANKE/IMAGEBROKER/ACTION PRESS Von Madeleine Janssen Fotos: Philipp Spalek B etreten verboten, der Mann im Camouflage-T-Shirt lässt die Eisentür nicht aus den Augen. „Weißt du nicht, was der Chef gesagt hat!“, herrscht er seine Kollegin an. Gerade noch wollte sie uns einen Blick hinter die Tür werfen lassen, hinter der wir es bellen und jaulen hören. Die Tür bleibt zu. Kunden sollen allein den sauber gefliesten Verkaufsraum wahrnehmen. Neonröhren leuchten ihn aus. Es riecht nach hölzerner Streu, Dutzende Hundewelpen kuscheln sich aneinander. American Staffordshire-Terrier, Golden Retriever, Chihuahuas auf der einen Seite, Magyar Viszlas, Rottweiler und BordeauxDoggen auf der anderen, ein Wurf pro Box. Willkommen im „Puppy Point“, dem Welpen-Warenhaus im niederländischen Hapert. Zwischen ausladenden Rotklinkerhäusern und Pferdeställen geht Jurgen Castelijns hier seinen Geschäften nach. Angestellte nehmen potenzielle Käufer in Empfang. „Welcher Hund?“, fragt eine Mitarbeiterin knapp. Wir folgen ihr in den nächsten Raum, dort präsentiert sie den Welpen. Das braune Labradorbaby tapst unsicher auf uns zu. Es soll sieben Wochen alt sein und topfit, klar zur Ausreise nach Deutschland. 400 Euro für einen Rassehund, was will man mehr. Auch Fabrizio Aronica hat hier einen Hund gekauft, er wollte einen Kumpel für seinen Yorkshire-Terrier Pascha. Am liebsten so einen kleinen Labrador. Bei einem eingetragenen deutschen Züchter hätte der Friseurmeister aus Pforzheim über 1000 Euro bezahlen müssen. Warum also nicht Geld sparen und den Hund in den Niederlanden kaufen? „Als ich vor der riesigen Lagerhalle in Hapert ankam“, sagt Aronica, „wurde ich von Jurgen Castelijns empfangen. Er führte mich erst mal in sein Büro, in dem ein Käfig mit acht Shih-TzuWelpen stand. Als ich nach dem Labrador fragte, winkte er mich durch eine Tür. Da blieb mir fast die Luft weg. In der Halle gab es alles! Welpen aller Rassen, von Bullterriern über Deutsche Doggen bis zu Chihuahuas. Natürlich habe ich da begriffen, dass der Mann kein Züchter, sondern ein Händler ist. Aber als ich dann diesen süßen schokobraunen Labbi mit grünen Augen gesehen habe, war ich hin und weg.“ Aronica zahlte und nannte das neue Familienmitglied Amigo. Kaum zu Hause, bekam das Tier blutigen Brechdurchfall. Auch die intensivmedizinische Behandlung in der Tierklinik in Karlsruhe 4 86 17.7.2014 Elend: Diese Hundebesitzer werden in Polen von Tierschützern auf ihrem Hof nahe Poznań überrascht – die Tiere leben angekettet vor einem verwahrlosten Schuppen 0 www.stern.de/ welpenhandel Videodokumentation einer Razzia auf einem polnischen Vermehrer-Hof GEKNECHTET UND GEQUÄLT Handelskette: Auf einem Hof bei Warschau sitzt ein Muttertier im Käfig (l.). Im ungarischen Pécs bieten Händler Hundebabys im Kofferraum feil (M.). Der Verkaufsraum des „Puppy Point“ im niederländischen Hapert (r.) 17.7.2014 87 ESTL AND N OR WEGEN GROS SB RI TAN N IE N N IEDER- DEUTS C HLAN D LAN DE Lipno POL EN TS C HEC HIEN Hapert Brüssel Nürnberg B E LGIEN S LOWAK EI Ruhstorf LUXE MBURG UN GAR N F R AN KR EIC H Pécs Wege der Welpen Junghunde werden meist illegal, aber unbehelligt in die Abnehmerländer (grün) transportiert. Nur selten werden Transporte gestoppt, wie kürzlich bei Ruhstorf und Nürnberg. Ebenfalls eingezeichnet: die Rechercheorte des stern RUMÄNIEN Hauptabnehmerländer weitere Abnehmerländer ITALIEN S PANI E N Hauptproduktionsland weitere Produktionsländer GR IECHENLAND nach Südafrika GUT ZU WISSEN Sicherer Kauf Wer sich vor obskuren Welpen-Händlern schützen und einen gesunden Hund kaufen will, muss einige entscheidende Punkte beachten: Vor Ort Alter Hundewelpen sollten bei der Abgabe durch den Züchter mindestens acht Wochen alt sein, eher noch zehn bis zwölf. Sie zu jung von ihrer Mutter zu trennen ist ihrer Entwicklung abträglich. 17.7.2014 nach Zypern Passauer Polizisten in einem Kleintransporter 27 Welpen entdeckten. Die Hunde wurden beschlagnahmt und ins Tierheim gebracht, weil der ungarische Fahrer weder eine Transportgenehmigung noch Heimtier- und Impfausweise mit sich führte. Im Transitland Bayern sind nun Polizei und Zoll in erhöhter Alarmbereitschaft, vor allem rund um Nürnberg. Im „Bermuda-Dreieck“, wo sich A6, A9 und A3 kreuzen, konnten die Beamten mehrfach illegale Transporte aus Osteuropa aufhalten. So wurden im Frühjahr 114 Hundewelpen und zehn Katzenbabys sichergestellt. Unter anderem war den Zollfahndern der Fahrer eines Kleinlasters mit slowakischem Kennzeichen aufgefallen, als der an einer Raststätte verbotenerweise in die Büsche urinierte. Seine Fracht: 77 Hunde- Die Verteiler ohne Tollwutimpfung die Grenze nicht passieren darf, unterschlägt sie. 620 Euro kostet der Welpe. „Animal Express“ bietet ein WelpenDrehkreuz in Perfektion. In den Käfigen liegen mehrere Hundebabys zusammen, manche raufen, Mitarbeiter wuseln in weißen Kitteln umher, sie strahlen Seriosität aus. Kein Hund ist allein, keiner wirkt unterernährt oder krank. Doch in Internetforen weinen sich reuige Käufer aus, die auf all das hereingefallen sind. Eine Forenschreiberin berichtet von ihrem Shih Tzu, der nur Tage später gestorben sei. „Animal Express“ habe nicht einmal auf ihre Anrufe reagiert. Eine andere schreibt, sie habe sich dort einen Akita gekauft, nach zwei Tagen war klar: Der Hund litt an Parvovirose, wie welpen, einige davon knapp vier Wochen alt. Ein illegaler Transport nach Spanien. Weil Jungtiere unter zwei Monaten laut EU-Verordnung selbst mit Papieren nur in Begleitung der Mutter auf die Reise gehen dürfen, konnte eine Amtstierärztin die Weiterfahrt stoppen. Drei Hundebabys haben den Transport nicht überlebt, die anderen wurden im Tierheim Nürnberg von Heike Weber und ihrem Team in eilends eingerichteten Quarantänestationen aufgepäppelt. Es sei für alle Beteiligten eine logistische und emotionale Herausforderung, so viele intensiv pflegebedürftige Tiere auf einen Schlag zu versorgen. „Aber“, sagt Weber, „mittlerweile haben wir so was wie eine traurige Routine entwickelt.“ andere ein neues Familienmitglied. 180 Hunde seien durchschnittlich da, erzählt die Verkäuferin. „Der Labrador hier ist aus Tschechien“, sagt sie. „Aber das macht nichts, die Rechtslage ist die gleiche wie in Belgien: Das ist ja alles europäisch.“ Stimmt nicht. Der Seuchenschutz etwa wird von den Nationalstaaten geregelt. Bei der Einreise nach Deutschland muss neben dem Heimtierausweis ein Gesundheitszeugnis vorliegen, das aber selten mitgeliefert wird. Die Verkäuferin setzt auf die Unkenntnis der Kunden. Die Hündin sei zehn Wochen alt, „sie ist zu jung für alle Impfungen“, sagt die Angestellte. „Aber Sie können sie auf jeden Fall gleich mit über die Grenze nehmen, dann gehen Sie dort noch mal zum Tierarzt.“ Dass der Hund auch der Labrador des Friseurmeisters Fabrizio Aronica. Nach der Drohung, Polizei und Tierschutz zu informieren, bekam Aronica den Kaufpreis erstattet. Doch auf den 900 Euro für die medizinische Notversorgung blieb er sitzen. Heute plagt ihn eine Mischung aus Wut und Schuldgefühlen. „Mein Fall soll anderen eine Warnung sein. Ich finde, das bin ich meinem toten Hund schuldig.“ Der Handel mit Hundewelpen boomt vor allem in den Beneluxstaaten. Nirgendwo in Europa sind die Gesetze so lax wie hier. Ungehindert pflanzen niederländische Tierärzte Import-Welpen Mikrochips ein und legalisieren sie: Durch den holländischen Chip wird die osteuropäische Herkunft unsichtbar. Oft landen die Tiere zum Weiterverkauf in Tierläden. Hinter Glas vegetieren sie vor sich hin, Kinder klopfen an die Scheiben, von erster Erziehung und Bezugspersonen keine Spur. In Deutschland haben sich die Zoohandlungen im Jahr 1991 freiwillig dazu verpflichtet, keine Hundewelpen mehr zu verkaufen. Nicht artgerecht, befanden sie. Im „Animal Express“ am Stadtrand von Brüssel kaufen manche eine neue Leine, Der Welpenmarkt Ein seriöser Züchter erkundigt sich nach Grundsätzlich ist zu Wohnsituation, empfehlen, zum Anbieter nach Hause zu Tagesablauf und den fahren. So hat man die Erfahrungen, die richtige Adresse und der Interessent mit gleich einen persönHunden hat. Denn das lichen Kontakt – und Wohl seiner Welpen kann die Unterbrinliegt ihm am Herzen, gung der Hunde selbst er möchte sie nur in Augenschein nehin geeignete Hände men. Wenn der Verabgeben. käufer anbietet, den Welpen zu bringen, ist Familienbande das ein Warnsignal. Käufer sollten das Muttertier kennenlernen. Misstrauen ist Sorgfalt angesagt, wenn Obacht: Wie verhält die Hündin „gerade sich der Verkäufer? konnte den Welpen nicht retten, nach vier Tagen war er tot. Diagnose: Parvovirose, eine hochinfektiöse Viruserkrankung. Im vereinten Europa hat sich ein grenzüberschreitender Graumarkt um die Ware Hund etabliert. Beinahe täglich stellen Welpen-Händler wie „Puppy Point“ neue Anzeigen ins Internet – exzessiv werben sie auf Haustierportalen für ihre Hunde. Auf den Fotos im Netz spielen die Welpen im sattgrünen Gras, purzeln umher, beknabbern einander. Die Leute beißen an, immer wieder. Dabei wären nur ein paar Klicks nötig, um in einem der Foren zu landen, in denen geläuterte Hundekäufer vor solchen Händlern warnen. Oft ohne Wasser, ohne Futter, in engen Käfigen und viel zu früh von ihren Müttern getrennt, werden die Welpen Tausende Kilometer weit transportiert. Verdreckt und verängstigt, quer durch Europa – illegal, denn bereits seit elf Jahren sind vollständige Papiere, eine Kennzeichnung des 88 in den Mittleren Osten gegen die Polizisten, die die Tierschützer von „Vier Pfoten“ zu Hilfe gerufen hatten, hat sie keine Chance. Ihr Schwiegervater führt über das Gelände, er schweigt. Im Stall stehen Kübel mit wurmzerfressenen Innereien – Futter für die Hunde. Die Tierschützer nehmen zehn Schäferhunde und zwei Cocker Spaniel in ihre Obhut. Alle sind zur Zucht eingesetzt worden, als Deckrüden und Gebärmaschinen. Einer Hündin hängt das Gesäuge herunter, bis vor Kurzem muss sie ihren Welpen noch Milch gegeben haben. Doch die sind alle verkauft. „Kleinstvermehrer“ wie auf diesem Hof bilden das Rückgrat des Welpenhandels. Sie betreiben ihr Geschäft meist nebenbei, für ein leicht verdientes Zubrot. Denn die Hunde vermehren sich ja von allein, irgendwie. Und alle paar Wochen gehen die Neugeborenen an einen Zwischenhändler. auf einem Spaziergang“ ist. Alles reell? Schauen Sie nach: Wie ist das Verhalten des Muttertiers den Welpen gegenüber? Kümmert sich die Hündin um die Kleinen, oder zeigt sie kein Interesse? Ist ihr Gesäuge prall gefüllt? Hängen die Welpen daran und trinken? Wenn nicht, gibt der Verkäufer die Hündin nämlich möglicherweise nur als Muttertier aus. Tieres und ein tierärztlicher Impfnachweis bei jedem Grenzübertritt innerhalb der EU vorgeschrieben. Dass auf dem Hof des niederländischen Hundehändlers ein VW Bora mit ungarischem Kennzeichen steht, ist kein Zufall, denn kontrolliert wird allenfalls sporadisch. Im Osten Europas wird daher produziert, was sich die Menschen im Westen wünschen: Rassehunde zu Schnäppchenpreisen. Die geheimen Produktionsstätten der Welpen-Vermehrer liegen etwa in Ungarn, der Slowakei, in Tschechien und Polen. Was wir dort erlebt haben, verschlug uns manches Mal den Atem. Die Vermehrer Tür für Tür öffnen Polizeibeamte auf dem Hof im nordpolnischen Lipno. Überall stinkt es nach Ammoniak, Schäferhunde kreisen wie irre in den Zwingern, und die Hausherrin tobt. „Wer hat uns verraten?“, brüllt sie. Sie schreit, weint, flucht, aber Der Niederländer versteckt seine Mission nicht: Der Schlaks in Adiletten macht jedem Händler klar, dass er so viele Welpen kaufen will wie möglich. Auf dem Welpenmarkt im ungarischen Pécs sitzen die Hundebabys in offenen Kofferräumen, in Pappkartons oder in Käfigen mit Zeitungsschnipseln. Zielstrebig steuert der junge Mann die Autos mit den Trendrassen an: American Staffordshire-Terrier, Chihuahuas, Yorkshire-Terrier, Havaneser. Er blättert in Papieren, die gefälscht sein müssen – die Hunde sind viel zu jung für die angegebenen Impfungen –, und drückt dem Händler die Impfausweise wieder in die Hand. Er muss noch etwas klären, zieht sein Handy aus der Hosentasche. Welche Rassen noch? Wie viele Welpen? Für seinen Auftraggeber ist der Ausflug nach Pécs ein lohnendes Geschäft. Umgerechnet 30 bis 70 Euro zahlt er auf dem Markt pro Hund, bei einem Endpreis von 400 bis 600 Euro. Allein aus Ungarn, schätzt „Vier Pfoten“, werden jeden Monat rund 2000 Welpen zum Weiterverkauf ins europäische Ausland transportiert. Hauptabnehmerländer: Österreich, Belgien, Deutschland und Italien. Auch zwei Italiener grasen den Markt ab. „Wir wollen alle übrigen Hunde kaufen“, raunt einer der beiden einem Ungarn zu. Wenn der Markt schließt, wolle er ihn fernab der Flohmarktbuden treffen und die Restposten mitnehmen. Immer wieder klemmt sich derweil der Niederländer Welpen unter den Arm, einen links, einen rechts, und trägt sie zum Auto. Sein Deal ist perfekt. Nach nicht mal zwei Stunden hat er den Transporter voll, im Handschuhfach die dubiosen Papiere. Grenzer nehmen eher den Schmuggel von Drogen, Waffen und Zigaretten ins Visier. Nur selten wurden in den vergangenen Jahren Hundetransporte gestoppt. Wenn, dann war es oft Zufall. Wie am 7. Mai im bayerischen Ruhstorf, als 2 Madeleine Janssen und Philipp Spalek recherchierten in Polen, Ungarn, Belgien und den Niederlanden. Den Geruch der verwesenden Innereien, die auf einem Hof als Hundefutter dienten, werden sie nie vergessen 17.7.2014 89