Argentinien - Argentinisches Tageblatt

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Argentinien - Argentinisches Tageblatt
Seit 1889
Sonnabend, 1. September 2012
123. Jahrgang Nr. 31.891
Mindestlohn wird erhöht
Stufenweise Aufstockung um 25 Prozent beschlossen
Buenos Aires (AT/mc)
wird demnach das kleinste
– „Es ist fast ein Wunder,
rechtlich zulässige Arbeitsdass wir in Argentinien
entgelt (brutto) von derzeit
Vereinbarungen erreichen,
2300 auf 2670 Pesos erhöht.
die es so weder in den
Im Februar kommenden
Nachbarländern noch in
Jahres erfolgt dann eine
den Industrieländern gibt.“
weitere Aufstockung auf
Große Worte wählte Präsi2875 Pesos.
dentin Cristina Fernández
Von den 32 Mitgliedern
de Kirchner, um den Komdes Gremiums waren 28
promiss zum Mindestanwesend. Damit war die
Foto: Presidencia
lohn zu würdigen, auf den
Beschlussfähigkeit gegesich Arbeitgeber, Gewerk- Cristina Kirchner bei der Sitzung der Kommission für Lohnfragen. ben. Die Vertreter der Agschaften und Regierung am
rarverbände enthielten sich
Dienstag im Arbeitsministerium verständigten.
bei der Abstimmung. Die Arbeitgeber waren mit dem
Das von der gemeinsamen Kommission für Lohn- Angebot einer 20-prozentigen Erhöhung in die Verfragen vereinbarte Übereinkommen sieht vor, den handlung gegangen. Die Gewerkschafter wollten eine
monatlichen Mindestlohn in zwei Schritten um ins- Aufstockung auf 3000 Pesos. Am Ende gaben beide
gesamt 25 Prozent anzuheben. Ab dem 1. September Seite nach.
Inhalt
Mehr
Argentinien
Wirtschaft
Anzeige gegen Cristina.......................................... 3 Lesen
Verwirrung um den „Eternauta“ ........................ 4 Lesen
Die Woche in Argentinien..................................... 5 Lesen
Der Konflikt mit den
provinziellen Pensionskassen............................10
Gallucio dixit............................................................ 11
Argentinien.............................................................. 12
Lateinamerika......................................................... 17
Geschäftsnachrichten........................................... 18
Meinung
Wiederwahl im Streit.............................................. 6 Lesen
Rhetorische Pflichtübung..................................... 7 Lesen
Randglossen.............................................................. 8 Lesen
Ausflüge & Reisen
Die letzten
echten Pulperías....................................................... 9 Lesen
Lesen
Lesen
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Wirtschaftsübersicht
Die verlorene Glaubwürdigkeit
belastet die unmittelbare Zukunft................... 19 Lesen
Eine neue Rahmenordnung
für die Stromwirtschaft........................................23 Lesen
Titelseite
Demonstrativ nicht erschienen war Hugo Moyano,
der mächtige Chef des Gewerkschaftsdachverbandes
CGT. Die Präsidentin kommentierte dies mit bissigen
Bemerkungen: „Man darf die Institutionen nicht aushöhlen“, so die Staatschefin. Als sie selber noch Senatorin gewesen sei, sei sie auch nicht immer der Meinung
ihrer Fraktion gewesen. Dennoch habe sie niemals
bei wichtigen Sitzungen gefehlt. Zudem kritisierte
Kirchner die Moyano-Gewerkschaft der Lkw-Fahrer,
die versuche, bei anderen Gewerkschaften „Mitglieder
zu stehlen“.
Moyano bewertete das erzielte Abkommen als „komplett unzureichend“. Von dem festgelegten Mindestlohn könne man nicht vernünftig leben. Der CGT-Boss
hatte eine Erhöhung auf 3500 Pesos gefordert. Auch die
regierungskritische Tageszeitung „Clarín“ wies darauf
hin, dass der jetzt festgelegte Betrag nicht ausreiche,
die Grundbedürfnisse einer vierköpfigen Familie ab-
zudecken. Insgesamt sind rund 113.000 Arbeiter und
Angestellte vom Mindestlohn direkt betroffen. Zudem
stellt dieser auch einen wichtigen Richtwert für die
Schwarzarbeit dar.
Für eine skurile Situation sorgte Gerardo Martínez, der Chef der Bauarbeitergewerkschaft UOCRA.
Als dieser den Mindestlohn in Argentinien mit den
Nachbarländern vergleichen und zu diesem Zweck in
US-Dollar umrechnen wollte, nahm er als Bezugsgröße
nicht den offiziellen, sondern den Schwarzmarktkurs
der US-Währung („Dollar blue“). Daraufhin fiel ihm
die Präsidentin ins Wort: Martínez habe gar nichts verstanden, und er solle gefälligst den von der Regierung
festgelegten Dollarkurs als Referenzgröße verwenden.
Die Anmerkungen der Präsidentin sorgten für Applaus
und Gelächter der Anwesenden.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 2 -
Argentinien
Anzeige gegen Cristina
Devisenkontrollen: Carrió geht gegen Präsidentin juristisch vor
Buenos Aires (AT/mc) - Juristische Offensive gegen
Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und einige
ihrer engsten Gefolgsleute: Es geht um die DevisenRestriktionen, die die Regierung derzeit den Bürgern
aufbürdet, sowie um die Verwendung von Dollarreserven
der Zentralbank zur Finanzierung der Regierung und zur
Abtragung der argentinischen Auslandsschuld. Anzeige
erstattete die Abgeordnete Elisa Carrió (Bürgerliche Koalition). Staatsanwalt Carlos Stornelli, der bereits gegen
den Ex-Präsidenten Carlos Menem wegen illegaler Waffenverkäufe ermittelte, untersucht den Fall.
Neben Cristina sind auch Zentralbankchefin Mercedes
Marcó del Pont, Handelsstaatssekretär Guillermo Moreno und Ricardo Echegaray, der Chef der Steuerbehörde
AFIP, von den Ermittlungen betroffen. Ihnen wirft „Lilita“ Carrió vor, Maßnahmen ergriffen zu haben, die den
Wert der argentinischen Währung beschädigt hätten.
Die Restriktionen würden den Zugang der Bürger zum
Geldmarkt auf „willkürliche, unvernünftige und illegale
Weise“ beschränken, so der Vorwurf Carriós. Sollten
sich die Vorwürfe im Laufe der Ermittlungen erhärten,
müssten die Betroffenen zum Verhör antreten.
Carrió kündigte derweil an, in der kommenden Woche
eine weitere juristische Breitseite gegen die Präsidentin
und deren parlamentarische Unterstützer abfeuern zu
wollen. So hat „Lilita“ vor, all diejenigen anzuklagen, die in
der Vorwoche für die Verstaatlichung der Gelddruckerei
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„Lilita“ Carrió geht gegen Cristina Kirchner juristisch vor.
„Ciccone“ gestimmt haben. Dies sei eine verfassungswidrige Maßnahme gewesen. Weder der Kongress noch die
Exekutive seien befugt, sich eines privaten Unternehmens
zu bemächtigen, meinte Carrió, die von Beruf Anwältin
ist.
Die Politikerin aus dem Chaco vertritt die Ansicht, dass
im Zusammenhang mit dem ominösen Kauf der Druckerei durch die Firma „The Old Trust“ nicht nur gegen
Vizepräsident Amado Boudou ermittelt werden sollte,
sondern auch gegen Cristina Kirchner: „Die Präsidentin
wusste über alles, was passierte, Bescheid - oder hätte es
wissen müssen“, so „Lilita“
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 3 -
Argentinien
Verwirrung um den „Eternauta“
Comicfigur Gegenstand eines politischen Streits
Buenos Aires (AT/mc) – Das schlechte Verhältnis
zwischen Buenos-Aires-Bürgermeister Mauricio Macri
und der Nationalregierung nimmt mitunter gar komische Züge an: Zuletzt ging es um eine Comicfigur, den
„Eternauta“ (zu deutsch: Äthernaut), der zum Gegenstand des politischen Streits wurde. Hintergrund sind
Kontroversen um politische Aktivitäten und Einflussnahme der Kirchner-peronistischen Nachwuchsorganisation „La Cámpora“ an den Schulen der Hauptstadt,
die Macri mit allen Mitteln unterbinden will.
Um dies zu erreichen, kündigte der Bürgermeister
nicht nur die Einrichtung einer Hotline (0-800) zur
Denunziation politischer Betätigung von „La Cámpora“Anhängern an den Schulen an, sondern auch ein Verbot
der populären „Eternauta“-Comicserie aus den 50erJahren, die auf den deutschstämmigen Autor Héctor
Oesterheld zurückgeht. „Sie kommt definitiv nicht (in
die Schulen) rein“, so Macri vor wenigen Tagen in einem
Radiointerview.
Angesichts großer öffentlicher Entrüstung sah sich
der Bürgermeister indes gezwungen, seine Äußerungen
rasch zu relativieren: Es würde im Kern nicht um den
„Eternauta“ gehen, als vielmehr um dessen politische
Vereinnahmung durch „La Cámpora“ und andere
peronistische Organisationen. Diese haben in den vergangenen Jahren in Darstellungen den „Eternauta“ mit
der Person Néstor Kirchner verknüpft und so eine Art
peronistische Comicheldenfigur geschaffen. Dies findet
im Übrigen auch die Zustimmung von Elsa Oesterheld,
der Witwe von Héctor Oesterheld. Der Autor kam genauso wie vier seiner Töchter während der Militärdiktatur ums Leben.
Macri räumte ein, sich falsch ausgedrückt zu haben,
und verwies auch darauf, dass seine Regierung in der
Vergangenheit bereits 5 Millionen „Eternauta“-Buchexemplare an den Schulen verteilt habe. Er wolle nicht
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Foto: La Cámpora
“La Cámpora” mit Fahnen, die den “Nestornauta” zeigen.
die Geschichten von Oesterheld zensieren. Es gehe ihm
vielmehr darum, die Indoktrinierung von Schülern
durch „La Cámpora“ unterbinden.
Der Ton der politischen Auseinandersetzung wird
jedenfalls zusehends schärfer. So meinte etwa der
Kirchner-peronistische Senator Daniel Filmus, Macri
würde das Denunziantentum gegen Lehrer fördern, die
politische Aktivitäten zuließen. Es gehe dem Bürgermeister derzeit darum, ein Klima für Verfolgung und
Repression zu erzeugen.
In die Debatte um politisches Engagement an Schulen
hatte sich auch Präsidentin Cristina Kirchner eingeschaltet. Sie beurteilte es grundsätzlich als positiv, wenn
junge Menschen sich für Politik interessierten und sich
einbringen wollten – egal, welcher politischen Couleur
sie angehören mögen.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 4 -
Argentinien
Die Woche in Argentinien
Machtkampf in San Luis
Das passt den Gebrüdern Adolfo und Alberto Rodríguez
Saá gar nicht: Ihr politischer Ziehsohn Claudio Poggi,
der seit einigen Monaten das Gouverneursamt in der
Provinz San Luis bekleidet, nähert sich zusehends der
Nationalregierung von Cristina Fernández de Kirchner
an. Das war so von den beiden Brüdern, die sich von 1983
bis 2011 als Gouverneure der Provinz abgewechselt hatten, nicht vorgesehen. Schließlich stehen die Rodríguez
Saá im Rahmen des Peronismus in scharfer Opposition
zur Kirchner-Regierung. Sie werfen Cristina und deren
2010 verstorbenen Gatten Néstor Kirchner Verrat an
peronistischen Idealen vor und verstehen sich selbst als
Vertreter eines „orthodoxen Peronismus“. Politische
Verbindungen zwischen der Provinz San Luis und der
Hauptstadt wurden weitgehend gekappt. Poggi versucht
nun, eigenes Profil zu gewinnen. Er empfing Cristina im
Juni zur Einweihung einer Schweinemastanlage. Zudem
trat die Provinz Bundesgremien wie dem nationalen
Verkehrswegerat und dem Rat für Investitionen (CFI)
wieder bei. Sehr zum Ärger der Brüder Rodríguez Saá:
„Es gibt viele Rückschritte in der Provinzregierung,
die mich beunruhigen“, so Alberto. Ob Poggi zu hoch
gepokert hat? Schließlich haben die Rodríguez Saá seit
Jahrzehnten den Gliedstaat dominiert und verfügen
weiterhin über viel Einfluss. Der Machtkampf scheint
gerade erst begonnen zu haben.
Straßenblockade geräumt
Oftmals hatte man in der Vergangenheit der Regierung von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner
vorgeworfen, zu nachsichtig mit Protestanten umzugehen, die mit Straßenbarrikaden („piquetes“) ihre
Forderungen durchsetzen wollen. Am Donnerstag
zeigte sich die Staatsmacht nun hingegen entschlossen
zu unterbinden, dass Demonstranten die Allgemeinheit
durch eine Verkehrsblockade auf der Autobahn „Panamericana“ (Höhe General Pacheco) in Mitleidenschaft
ziehen. Sicherheitsstaatssekretär Sergio Berni flog per
Hubschrauber ein und befehligte Einsatztruppen der
kasernierten Bundespolizei. Diese gingen mit Hunden
und Wasserwerfern gegen die rund 100 linksgerichteten
Straßenblockierer vor, welche für Verbesserungen des
Sozialprogrammes „Argentinien arbeitet“ (Argentina
Trabaja) demonstrierten. 60 Personen wurden festgenommen und zur Militäreinrichtung „Campo de Mayo“
gebracht. Berni warf den Protestierern vor, Frauen und
Kinder als lebende Schutzschilder eingesetzt zu haben.
Argentinischer Pavillon
Argentinien verfügt ab sofort über einen ständigen
Pavillon bei der Biennale in Venedig. Am Montag
wurde die Einrichtung offiziell eingeweiht. Während
Außenminister Héctor Timerman in der italienischen
Lagunenstadt vor Ort war, um das symbolische Band
zu durchschneiden, war Präsidentin Cristina Fernández
de Kirchner per Videokonferenz von Tecnópolis, der
Technikschau in Villa Martelli, aus zugeschaltet. „Die
Biennale von Venedig ist das weltweit wichtigste Treffen in den Bereichen Kunst und Architektur“, hob die
Staatschefin die Bedeutung hervor. Der argentinische
Pavillon hat seinen Platz im „Arsenale“, einem historischen Gebäude aus dem 16. Jahrhundert. Dort haben
die Argentinier auf 500 Quadratmetern die Möglichkeit,
sich zu präsentieren. Derzeit steht alles im Zeichen der
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Architektur-Biennale, die Mittwoch begann. Im argentinischen Pavillon soll ein Überblick über die Geschichte
sowie aktuelle Tendenzen der Architektur in Argentinien gegeben werden. Es gibt zudem einen Bereich, der
den Malwinen-Inseln gewidmet ist.
Erinnerung an Shaw
Er galt als Musterbeispiel dafür, dass sich erfolgreiches
Unternehmertum und christliche Sozial- ethik sehr
wohl miteinander verbinden lassen: Der argentinische
Geschäftsmann Enrique Shaw, dessen Todestag sich
am Montag zum 50. Mal jährte. Derweil besteht die
Möglichkeit, dass der einstige Chef des Glasherstellers
„Cristalerías Rigolleau“ vom Vatikan selig gesprochen
werden könnte. Etwas Vergleichbares hat es bislang für
einen Unternehmer noch nicht gegeben. Im Erzbistum
von Buenos Aires hält man jedenfalls die Verdienste
Shaws für ausreichend, dass der Vorgang nun nach
Rom weitergeleitet werden kann. In zwei Gedenkveranstaltungen in Buenos Aires und Rosario zum Todestag
erinnerten die Festredner an Shaw, der im Alter von nur
41 Jahren an Krebs starb. Der Unternehmer Orlando
Ferreres hob das Verantwortungsbewusstsein Shaws
hervor und zitierte dessen Leitgedanken: „Man muss
die Riege der argentinischen Unternehmer christlicher
machen. Dies ist unabdingbare Voraussetzung dafür,
das soziale Miteinander im Betrieb zu verbessern. Die
Fabrik muss humaner werden“, so Shwas Vermächtnis.
Ziel: Wiedergutmachung
Am 22. Februar diesen Jahres schockte das Zugunglück
von Once, bei dem 51 Menschen ums Leben kamen und
rund 700 weitere verletzt wurden, das Land. Gut ein halbes Jahr nach der Katastrophe fordern die Angehörigen
nun finanzielle Wiedergutmachung. Die Forderungen
in Höhe von 1,5 Milliarden Pesos richten sich dabei
gegen die Bahnbetreiberfirma TBA (Trenes de Buenos
Aires), den Staat, aber auch gegen Einzelpersonen wie
Planungsminister Julio De Vido, den Ex-Staatssekretär
für Transport Juan Pablo Schiavi und TBA-Eigentümer
Claudio Cirigliano. „Wir wollen nicht, dass der Staat
uns aus Mitleid mit Almosen abspeist“, formulierte
Anwalt Gregorio Dalbón, der die Interessen von rund
400 Betroffenen vertritt. Den Staat sehen Dalbón und
seine Mandanten sehr wohl in der Verantwortung:
„Man wusste, in welchem Zustand die Züge waren. “
Der Staat hätte Kontrollen durchführen müssen, was
aber versäumt wurde, so Dalbón.
Lehrerstreik
Die Lehrer der öffentlichen Schulen in der Hauptstadt
sind am gestrigen Freitag in den Streik getreten. Hintergrund der Maßnahme ist die Strafversetzung von sechs
Lehrern und einer Hilfskraft, die die Hauptstadtregierung von Bürgermeister Mauricio Macri anordnete. Bei
den Betroffenen handelt es sich um Lehrkräfte der Schule
Nr. 13 im Stadtteil Monte Castro. Sie hatten bei einer
Schultheateraufführung auf satirische Weise Kritik an
der Schulpolitik von Macri und dessen Bildungsminister
Esteban Bullrich geübt und hielten sie auf einem Video
fest. Die Pädagogen wurden ihrer Posten enthoben und
in die Schulverwaltung versetzt.
(AT/mc/dpa)
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 5 -
Meinung
Wiederwahl im Streit
D
as seit vergangenem Jahr immer wieder aufflackernde Streitthema einer möglichen Verfassungsreform hat dieser Tage heftige
Gestalt angenommen, nachdem
sich drei Gouverneure und mehrere Regierungspolitiker offen dafür
ausgesprochen haben. Die regierungsnahe Intellektuellenorganisation „Carta Abierta“ hat sich abermals dazu
geäußert, dass eine Verfassungsreform dringlich sei, um
alle Grundsätze der liberalen Verfassung von 1853 auszumerzen, darunter das Eigentumsrecht, ohne freilich
die Wiederwahl der Präsidentin namentlich zu nennen.
Letzteres ist das eigentliche Ziel der Reform des Grundgesetzes, nachdem die Verfassungsnovelle von 1994 nur
eine Wiederwahl in Folge zulässt, die der Präsidenten
verbietet, 2015 nochmals als Kandidatin anzutreten.
Alle Politiker, die eng mit der Präsidentin zusammen
arbeiten, insbesondere die Organisation „La Cámpora“,
bemühen sich um die abermalige Wiederwahl, weil sie
über keinen alternativen Präsidentschaftskandidaten
verfügen, dessen Wahlsieg ihnen ermöglichen würde,
bei der Stange zu bleiben. Mit einem anderen siegreichen
Kandidaten, auch der Justizialistischen Partei wie Gouverneur Daniel Scioli der Provinz Buenos Aires, dem die
Umfragen die höchste Gunst gönnen, würden sie sicherlich Einfluss und Staatsposten einbüßen.
Das Gerede über die abermalige Wiederwahl hat
auch die Oppositionspolitiker auf den Plan gerufen, die
selbstverständlich die Wiederwahl ablehnen. Der UCRSenator Ernesto Sanz bemüht sich um die Sammlung
aller Oppositioneller in gemeinsamer Opposition gegen
die Wiederwahl. Der UCR-Parteipräsident Mario Barletta
hat sich an andere Oppositionsparteien gerichtet, damit
eine gemeinsame Stellungnahme erreicht wird, dank der
sich alle verpflichten, die Wiederwahl abzulehnen. Das ist
entschieden wichtig für die Postulate der nächstjährigen
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Parlamentswahlen, deren Ergebnisse zeigen werden, ob
es der Regierung gelingt, im nationalen Kongress die
von der Verfassung vorgeschriebene Mehrheit von zwei
Dritteln aller Deputierten und Senatoren (nicht nur der
anwesenden wie bei anderen Gesetzesvorlagen) zu gewinnen, damit eine verfassunggebende Versammlung
im Jahr 2014 einberufen werden kann, die die Verfassungsreform ausarbeitet und die Wiederwahl in Folge
zulässt. Genau so hat es Nèstor Kirchner als Gouverneur
von Santa Cruz seinerzeit durchgesetzt, um seine unbeschränkte Wiederwahl in Folge zu ermöglichen. Auch
General Juan Domingo Perón hatte 1949 die Verfassung
zwecks seiner unbeschränkten Wiederwahl durch eine
verfassunggebende Versammlung geändert. Damals
durfte ein Präsident nur eine Amtszeit von sechs Jahren
ohne Wiederwahl in Folge ausüben, wie es vor ihm und
nachher bis 1994 die Regel war, als die Amtszeit auf vier
Jahre mit nur einer Wiederwahl in Folge reduziert wurde.
Die Präsidentin schweigt in Sachen unbeschränkte
Wiederwahl, lässt aber ihren Sprechern und Mitarbeitern
freie Hand, die politische Meinung in ihrem Sinn zu
gestalten, indem das Thema öffentlich breit getreten und
immer wieder durch neue Sprecher am Leben erhalten
wird.
Sicherlich überschattet das Streitthema die Tagespolitik, als ob demnächst Wahlen bevorstünden, was
keinesfalls zutrifft. Mit der Reaktion der maßgebenden
Oppositionspolitiker gegen die Wiederwahl in Folge hat
sich diese machtpolitische Fehde im Lande etabliert und
wird die Diskussionen der Tagespolitik zumindest bis
Oktober 2013 überschatten. Erst dann wird man wissen,
ob die Regierung im Kongress die vorgeschriebenen
zwei Drittel in beiden Kammern mustern kann, um die
verfassunggebende Versammlung einzuberufen und den
Weg für die Wiederwahl im Jahr 2015 frei zu machen.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 6 -
Meinung
Rhetorische Pflichtübung
Von Stefan Kuhn
J
etzt hat er es hinter sich. Mitt
Romney ist offiziell der Kandidat der
Republikanischen Partei für die USPräsidentschaftswahlen. Nach quälenden Vorwahlen, verbalen Pannen und
Zweifeln innerhalb seiner Partei ist er am
Ziel, zumindest am ersten. Er tritt am 6.
November zusammen mit seinem Vize Paul Ryan gegen
den amtierenden Präsidenten Barack Obama und den
Vizepräsidenten Joe Biden an.
Man kann die US-Amerikaner nur bewundern. Die
jeweilige Kandidatenkür der großen Parteien ist mehr
als eine Krönungsmesse, sie ist eine perfekt organisierte
Show: Musik, Stars, Reden, teils Karnevalsatmosphäre,
Kinder, Ehefrauen und Tränen. Alles läuft dramaturgisch
auf die große Rede des Kandidaten hin. Die war bei Mitt
Romney solide, aber keinesfalls berauschend. Die Jubelpausen wirkten einstudiert. Mitreißende Begeisterung
sieht anders aus.
Dabei zog Romney alle Register. Er spielte seine Stärken wie wirtschaftliche Fachkompetenz aus und warb
um Wählergruppen, bei denen er weit hinter Obama
zurückliegt. Eine längere Redepassage war den weiblichen Wählern gewidmet. Romney hob dabei erfolgreiche
republikanische Politikerinnen wie die frühere Außenministerin Condoleezza Rice hervor, würdigte aber auch
Hausfrauen und Mütter. Bei den Parteimitgliedern wird
diese Botschaft sicher angekommen sein, aber Obama
dürfte er da kaum das Wasser abgraben können.
Das gleiche dürfte auch für die Hispanics und die jüdischen Wähler gelten, bei denen die Demokraten traditionell bessere Karten haben. Der Vorwurf, Obama trete
dem Iran nicht hart genug gegenüber und verrate dabei die
israelischen Freunde, wirkte mehr wie eine Pflichtübung.
Was die lateinamerikanischen Wähler angeht, lassen sich
Erfolgsgeschichten wie die von Romneys Vorredner, dem
republikanischen Senator Marco Rubio, kaum mit der
restriktiven Einwanderungspolitik der Republikaner aufrechnen. Allerdings ist Florida, wo Rubio geboren wurde
und viele Exilkubaner leben, einer der Swing-States. Diese
US-Staaten stimmen mal demokratisch, mal republikanisch. In dieser Hinsicht war es keine Überraschung, dass
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auch Kubas siecher Ex-Diktator Fidel Castro in Romneys
Rede erwähnt wurde.
Romney sprach auch persönliche Schwachpunkte an.
Seine Mitgliedschaft in der Religionsgruppe der Mormonen wird vor allem bei der republikanischen Basis
misstrauisch beäugt. Es habe nie eine Rolle gespielt, in
welche Kirche man ginge, verteidigte er sich. Richtig stark
argumentierte der Spitzenkandidat als er die Geschäfte
seines Finanzunternehmens Bain Capital rechtfertigte. Er
habe keine Arbeitsplätze vernichtet, sondern geschaffen,
sagte Romney und zählte Beispiele auf. Obama dagegen
wolle amerikanische Erfolgsgeschichten bestrafen.
Bain Capital ist einer der größten Schwachpunkte Romneys, denn diese Geschäfte könnten seine Wirtschaftskompetenz untergraben. In seiner Rede hat er diese Klippe gut
umschifft, aber in dieser Hinsicht könnte noch einiges ans
Tageslicht kommen. Sollte sich herausstellen, dass Bain Capital Unternehmen aufgekauft, zerschlagen und US-amerikanische Arbeitsplätze vernichtet hat, indem die Produktion
ins Ausland verlagert wurde, wird Romney Mühe haben, dies
als amerikanische Erfolgsgeschichte zu verkaufen.
Romneys Rede war eine Gratwanderung zwischen der
radikalen republikanischen Basis und den unentschlossenen Wählern, denen diese Positionen eben zu radikal
sind. Folglich wirft der Kandidat der Basis Häppchen wie
Schutz des Lebens (keine Abtreibung), Wert der Familie
(keine Homo-Ehe) und die Abschaffung von Obamas
Gesundheitsreform vor. Hier geht er bewusst nicht ins Detail, damit die Wechselwähler nicht abgeschreckt werden.
Ansonsten erwähnt er immer wieder die Steuerlast der
Mittelklasse, obwohl Obama mehr die Oberklasse im Blick
hat, und will 12 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen.
Obama verspräche die Rettung der Welt, sagte Romney.
„Ich verspreche, Ihnen und Ihrer Familie zu helfen.“
Die Show war gut, vor allem auch wegen der Reden von
Vize Paul Ryan und - mehr noch - von Condoleezza Rice.
Aber man kann wohl erwarten, dass Obamas Krönungsmesse, die am Montag beginnt, der Romneys in nichts
nachsteht. Mehr Bedeutung werden in dieser Hinsicht die
direkten TV-Rededuelle der Kandidaten haben.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 7 -
Meinung
Randglossen
D
ie größten Fußballklubs mussten sich der Vorschrift der Regierung beugen und verkündeten
Listen von Klubmitgliedern, denen der Zugang zu
den Fußballspielen in eigenen Stadien verweigert
wird, weil sie verdächtig sind, als Hooligans („barras
bravas“) Gewalt auf den Tribünen zu üben und den
normalen Ablauf der Fußballspiele zu stören, wie es
in letzter Zeit mehrmals geschah. Mehrere Klubs hatten sich dieser Initiative widersetzt, offenbar weil ihre
Vorstandsmitglieder mit eigenen Hooligans unter der
gleichen Decke steckten. Die jüngsten Skandale haben
schließlich bewirkt, dass die Hooligans nicht mehr zugelassen werden, obwohl sie Klubmitglieder sind und
angeblich die Klubbeiträge bezahlen. Ob diese Sperre
genügt, um den Fußball von der Gewalt zu befreien,
muss sich freilich zeigen.
D
er handelspolitische Streit zwischen der US- und
der argentinischen Regierung mit gegenseitigen
Klagen vor der Welthandelsorganisation wegen Protektionismus hat zunächst die US-Regierung zu einer
Klage geführt, die sogleich von der argentinischen
Regierung gekontert wurde, weil sie die US-Sperre für
argentinisches Rindfleisch und Zitronen monierte.
Argentinisches Rindfleisch bester Weltqualität wird
freilich seit den zwanziger Jahren nicht nur in den
USA diskriminiert, sondern auch in der Europäischen
Union mit hundertprozentigen Zöllen, desgleichen in
Japan und Korea. Das Thema ist freilich weitgehend
theoretisch, weil Argentinien den Export behindert,
der inzwischen zahlreiche andere Länder zum Ziel
hat, die früher kein Rindfleisch kauften. Die Debatte
vor der Welthandelsorganisation findet im luftleeren
Raum statt.
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M
ehr Uranzentrifugen und verwischte Spuren - die
internationale Atomenergiebehörde wirft dem
Iran vor, sein Atomprogramm massiv zu beschleunigen.
Es gibt zwar noch immer Experten, die meinen, Teheran
wolle wirklich nur zivile Atommacht werden. Sie gehen
davon aus, dass das Land der Welt nur seine technische
Fähigkeit zum Bombenbauen zeigen will. Das sei schon
Abschreckung genug. Selbst wenn diese Theorie stimmte, ist es Israel und den USA ziemlich egal, ob der Iran
Atomwaffen hat oder in der Lage ist, in kürzester Zeit
welche zu bauen. Teheran hat keinen Grund für ein
Abschreckungspotenzial. Die einzige Gefahr, die dem
Land droht, geht von ihrer religiösen und politischen
Führung aus, denn diese treibt ein gefährliches Spiel.
P
olitik kann so schön sein, wenn alle sich freuen.
Nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen
den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt
Beck (SPD) ist die rotgrüne Regierung froh, dass ihre
Fraktionen geschlossen für den Landesvater gestimmt
haben. Oppositionsführerin Julia Klöckner freut sich,
dass die CDU ebenfalls geschlossen gegen Beck gestimmt
hat. Dass SPD und Grüne erleichtert sind, kann man ja
irgendwie noch verstehen, schließlich ist der Regierungschef durch Affären angeschlagen. In dieser Hinsicht ist
es schon ein kleines Trostpflaster, dass es in den Reihen
beider Regierungsparteien keinen Abweichler gab. Warum sich Klöckner freut, will nicht so recht einleuchten.
Vielleicht hat sie die Abstimmung ja als innerfraktionelle
Vertrauensfrage verstanden und ist froh, dass alle Parteifreunde hinter ihr stehen. Vielleicht ist die ehemalige
Weinkönigin auch einfach nur eine Frohnatur.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 8 -
Ausflüge & Reisen
Die letzten echten Pulperías
Von Marlú Kirbus
Ein ungewisser Ursprung, der Begriff Pulpería, und
doch weiß jeder, worum es sich handelt. In diesem Gemischtwarenladen hauptsächlich auf dem Lande gab
es nicht nur Schnaps und Hufeisennägel, sondern hier
saßen auch die Gauchos an Tischen wie im Wirtshaus
und tauschten die Lokalneuigkeiten untereinander aus,
während gleichzeitig irgendjemand die Zupfgeige bearbeitete oder die Payadores bzw. Stehgreifdichter ihre Verse
zum Besten gaben. Die Pulpería war eine Institution von
sozialer Relevanz bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Echte Pulperias funktionieren heute nicht mehr wie
einst, viele Lokale sind jedoch liebevoll erhalten geblieben
bzw. renoviert worden und dem Publikum und vor allem
Touristen zugänglich. Für ältere Semester bedeutet dies
einen nostalgischen und lohnenswerten Besuch, denn
die Getränkemarken, Yerba Mate-Sorten und andere
Produkten existieren längst nicht mehr. Doch wer von
den Veteranen erinnert sich nicht an Ferro Quina Bisleri,
an Flor de Lys, an den Te Tigre und an die Mortadella
oder die erfrischende Sangría? Ansonsten wurden Tabak,
Zucker, Ledergürtel, Zaumzeug, Reißhölzer und Kerzen
feilgeboten.
Gespielt wurde Truco, oder mit der Taba, oder gleichfalls Boccia, weshalb diese Lokale auch Boliches hießen.
Manchmal standen sie in der weiten Pampa inmitten der
Landschaft, vielleicht ein Ombú in der Nähe und Palenques davor, wo die Zecher ihre Pferde anbanden.
Infolge des Spirituosenkonsums und den unvermeidlichen Diskussionen bei den Spielen kam es oft zu Streitereien, bei denen die Gauchos schnell mit dem Dolch
(Facón) zur Stelle waren. Um vor diesen Hamdgreiflichkeiten sicher zu sein, verschanzte sich der Pulpero hinter
einem Gitter, das an der Theke angebracht und entweder
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Fotostrecke
Pulpería in Mercedes, Buenos Aires.
aus Eisen oder Holzstäben war. Ursprünglich hatten diese
Gatter im Fall von Indianerangriffen Schutz geboten.
In der Bundeshauptstadt sind Pulperías nur noch nachgebaut in Museen zu sehen, doch in der Provinz Buenos
Aires existieren noch zahlreiche dieser Etablessiments, die
sogar noch funktionieren. In San Antonio de Areco, in
Mercedes, Cañuelas, Navarro, San José del Monte, Lobos,
Capilla del Señor und anderswo findet man die Pulperías,
ein bescheidenes Dasein führend. Kaum ein Reiseführer
listet sie auf, und man muss schon etwas Lokalrecherche
betreiben, um sie ausfindig zu machen.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 9 -
Wirtschaft
Der Konflikt mit den provinziellen Pensionskassen
Obwohl das Pensionierungsystem im ganzen Land
einheitlich ist und seit jeher von der Nationalregierung
verwaltet wird (über die ANSeS, Administración Nacional de la Seguridad Social), hatten die Provinzen eigene
Kassen für die Beamten ihrer Verwaltungen. Das wurde
durch den Fiskalpakt von August 1992 geändert. Auf
Initiative des damaligen Wirtschaftsministers Domingo
Cavallo wurden die Provinzen aufgefordert, ihre Kassen
an das nationale System zu übertragen. 13 Provinzen,
darunter die grössten, behielten jedoch die Kassen.
Abgesehen davon wurde bestimmt, dass 15% des Erlöses der nationalen Steuern, die mit dem Provinzen geteilt
werden, für das Rentensystem einbehalten würden. Dies
war nicht nur für die Finanzierung des Defizites der
übertragenen Provinzkassen gedacht, sondern auch, weil
die traditionellen Einnahmen des Pensionierungssystems
aus Beiträgen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und
Selbstständigen nicht mehr ausreichten, um Pensionen
und Hinterbliebenerenten zu zahlen, wobei man ausserdem die Beiträge nicht erhöhen wollte, um die Arbeitskosten nicht nocht mehr belasten.
Den Provinzen, die ihre Beamtenkassen behielten, wurde im Abkommen versprochen, dass der Nationalstaat ihnen einen Zuschuss für die Deckung des Defizites zahlen
würde. Die Provinzen verpflichteten sich dabei, ihre Rentensysteme dem nationalen System anzugleichen. Dabei
wurde ein Programm von fünf Punkten vereinbart, das
sich auf folgende Themen bezieht: 1. Das Pensionierungsalter; 2. Die Anfangspension; 3. Die Wertberichtigung der
Pensionen; 4. Die Berechnung der Hinterbliebnenrenten;
5. Die Bedingungen für Invalidenrenten.
In der Tat wurde das nationale System bei neuen
Rentnern der Provinzen, die ihre Kassen an die ANSeS
übertragen hatten, angewendet, wobei die bestehenden
Rentner ihre Renten beibehielten, die jedoch gemäss dem
nationalen System berichtigt wurden. Inzwischen sind
die meisten alten Rentner gestorben. Doch bei den Fällen,
in denen die Provinzen die Beamtenkassen behalten haben, wurden die Pensionen und Hinterbliebenenrenten in
vielen Fällen weiter gemäss ihren Systemen bezahlt und
berichtigt. Diese Provinzen haben das 1992 vereinbarte
Programm nicht erfüllt. Córdoba z.B. zahlt immer noch
82% des Gehaltes des Beamten, der die gleiche Kategorie
hat, wie früher der Rentner. Daraufhin hat das nationale
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Schatzamt die Zuwendungen eingestellt. Den Prozensatz
von 82%, der von Anfang an (er wurde 1958 eingeführt)
eine Phantasie war, gibt es auf der ganzen Welt nicht.
Bei der Alterung der Bevölkerung, die auch in Argentinien eingetreten ist (die Menschen leben durchschnittlich etwa 12 Jahre mehr als 1950), nimmt die Zahl der
Rentner stark zu, so dass die Pensionierungsysteme in
Schwierigkeiten geraten.
Die Provinzen Santa Fé, Córdoba, San Luis und
Corrientes haben die Zahlung der Zuwendungen gefordert und in einigen Fällen schon Klage beim Obersten
Gerichtshof eingereicht und das Abkommen von 1992
gekündigt. Die zuständigen Beamten des Nationalstaates
weisen zunächst darauf hin, dass der Abzug von 15% der
nationalen Steuern unabhängig von der Übertragung der
Beamtenkassen sei. Das Abkommen sei unkündbar und
könne nur durch ein nationales Gesetz geändert werden,
bei dem der Verteilungsschlüssel (zwischen dem Nationalstaat und den Provinzen, und dann unter diesen) neu
berechnet wird, wie es die Verfassungsreform von 1994
bestimmt hat, wobei eine Frist bis Ende 1996 festgesetzt
wurde. Bisher gab es jedoch keine Reform. Somit müssen
die Provinzen eben die Bedingungen erfüllen, an die die
Zuwendungen für den Defizitausgleich gebunden seien
(die genannten fünf Punkte). Für die Gouverneure stellt
sich hier ein politisches Problem. In Córdoba fand schon
ein Beamtenstreik gegen die eventuelle Änderung des
provinziellen Systems statt.
Tatsache ist, dass z.B. in Córdoba die Durchschnittspension des provinziellen Systems gemäss
ANSeS-Information $ 7.000 beträgt, während sie beim
nationalen System bei $ 2.400 liegt. Die Provinzregierung weist darauf hin, dass ihre Beamten einen höheren
Beitrag leisten. Man kann sich wohl darüber streiten,
wie weit der Vergleich gültig ist; aber es lässt sich nicht
leugnen, dass die Pensionäre der Provinzkassen höhere
Renten erhalten.
Der Oberste Gerichtshof wird jetzt entscheiden müssen, wie dies weitergeht. Es sei denn, die nationalen
Behörden und die betreffenden Gouverneure gelangen
zu einem Kompromiss, wie es in einer zivilisierten Gesellschaft sein sollte.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 10 -
Wirtschaft
Gallucio dixit
Der Präsident und CEO von YPF, Miguel Galuccio,
stellte am Donnerstag einen Investitionsplan von u$s 37,2
Mrd. binnen 5 Jahren vor. Davon sollen u$s 32,6 Mrd.
zu 80% (u$s 26,1 Mrd.) mit eigenen Mitteln (Gewinnen,
Amortisationen und eventuelle Verringerung des bestehenden Nettovermögens) und zu 20% (u$s 6,6 Mrd.) mit
Schuldenaufnahme finanziert werden. Nächsten Monat
soll eine erste Tranche von Obligationen ausgegeben werden. Die restlichen u$s 4,6 Mrd. sollen auf Kapitalbeiträge
von Dritten entfallen.
YPF will einen strategischen Partner für die Ausbeutung
des Schiefergaslagers “Vaca Muerta” in Neuquén suchen,
von dem erwartet wird, dass er u$s 4,6 Mrd. beiträgt. Als
Entgelt soll das Unternehmen, das die Investition durchführt und finanziert, einen Teil des geförderten Erdöls
und Gases erhalten und darüber frei verfügen können.
Beiläufig gab Galuccio auch bekannt, dass bei drei Forschungsbohrungen im Golf von San Jorge (Chubut) ein
neues nicht konventionelles Lager entdeckt worden sei.
Ebenfalls sei YPF auf ein Schiefererdöllager ausserhalb
von “Vaca Muerta” gestossen.
Von den Investitionen, die YPF mit eigenen Mitteln und
Verschuldung finanziert, sollen 73% für Ausbeutung, 22%
für Raffinerien und 4% für Forschung bestimmt werden.
Galuccio erwartet binnen 5 Jahren eine Zunahme der
Förderung von Gas um 23% und der von Rohöl um 29%.
Für die Erhöhung der Produktion von Benzin und
Dieselöl sollen u$s 8 Mrd. investiert werden, um bis 2014
den Binnenmarkt ohne Importe zu versorgen und danach
bis 2017 die Produktion weiter zu erhöhen. Galuccio wies
darauf hin, dass die Preisdifferenz von YPF mit den Konkurrenten (Shell, Esso und Petrobrás) verringert werden
soll. YPF wird somit die Preise erhöhen. Gegenwärtig
liegen die YPF-Preise bei Dieselöl um 15% und bei Benzin
um 14% unter denen der anderen Unternehmen.
Miguel Galuccio sagte beiläufig, wenn es ihm nicht
gelinge, die Finanzierung für YPF zu erhalten, werde
er nach England zurückkehren. Er arbeitete vorher bei
Schlumberger, die geologische Studien für Erdölfirmen
durchführt.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 11 -
Wirtschaft
Argentinien
Der Dollarkurs schloss am Donnerstag zu $ 4,65, um
0,22% über der Vorwoche und um 7,64% über Ende Dezember 2011. Die ZB-Reserven betrugen zum Donnerstag
u$s 45,08 Mrd. Der Rofex Terminkurs lag zum 30.09. bei $
4,699, zum 30.12. bei $ 4,937 und zum 31.03.13 bei $ 5,20.
Der Terminkurs per Ende Juli 2013 lag um 21,93% über
dem Tageskurs. Der Schwarzkurs erreichte bei Dollarnoten ca. $ 6,37 und bei Überweisungen ca. $ 6,58.
***
Der Merval Aktienindex der Börse von Buenos Aires
verzeichnet in einer Woche zum Donnerstag ein Minus
von 0,76 %, und lag 1,57% unter Ende 2011.
***
Par-Bonds in Pesos verloren zur Vorwoche 1,27% und
lagen 14,29% unter Ende 2011. Discount-Bonds in Pesos
gewannen zur Vorwoche 1,29% und lagen um 5,96% unter
Ende 2011. Boden 2014 gewannen zur Vorwoche 0,13%
und gingen im Laufe dieses Jahres um 6,31% zurück. Boden 2015 verloren zur Vorwoche 0,85% und liegen 3,47%
im Minus, und Boden 2013 gewannen zur Vorwoche 0,41%
und verzeichnen einen Plus von 3,22% seit Jahresbeginn.
***
Gold wurde am Donnerstag in Buenos Aires (Banco
Ciudad) bei 18 Karat zu $ 164,41 (Vorwoche $ 163,94)
je Gramm gehandelt, und bei 24 Karat zu $ 234,87
(Vorwoche $ 234,20).
***
Der Verkauf von Immobilien fiel in der Provinz Buenos Aires im Juli innerjährlich um 46%, liess der Verband der Notare wissen. Wurden im Juli 2011 noch 11.833
Verkäufe getätigt, so fiel die Zahl ein Jahr später auf 6315
zurück. Für die ersten sieben Monate des laufenden Jahres
ist ein Rückgang der Geschäfte um 36,7% festzustellen.
***
Der Weinexport (in grossen Behältern) stieg im 1.
Halbjahr 2012 gegenüber der gleichen Vorjahresperiode
um 38%, berichtetet der Präsident des Weininstituts,
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Guillermo García. Insgesamt wurden 2,1 Mio. hl exportiert. Der Export an abgefülltem Wein ging dagegen im
gleichen Zeitraum um 2,4% zurück.
***
Der US-Riese der Agrarbiotechnologie, Monsanto,
führt aktuell 80 Untersuchungen im Hinblick auf den
für kommendes Jahr vorgesehenen Start der zweiten
Generation von genetisch veränderter Sojabohne in
Argentinien. Das Unternehmen hofft die entsprechenden
Lizenzgebühren für diese Neuentwicklung erheben zu
können, nachdem jetzt die Regierung eine grundsätzliche
Entscheidung in diesem Sinn getroffen hat. Bisher hatte
die Regierung die Verwendung von Saatgut, das von einer Firma entwickelt und eingetragen worden war, ohne
Zahlung der Lizenzgebühren passiv zugelassen.
***
Die Pläne von YPF sehen vor, die jährliche Förderung von aktuell durchschnittlich 19 auf künftig 50
Forschungsbohrungen zu erhöhen. Werden die Fristen
eingehalten, so könnte YPF in den nächsten fünf Jahren
insgesamt 250 Bohrungen durchführen. Wenn man
bedenkt, dass im vergangenen Jahr sämtliche Erdölunternehemen des Landes nur 45 Erdöl- und 9 Erdgasbohrungen durchgeführt haben, so gewinnen diese Zahlen
an Bedeutung. Bis letztem Jahr hat YPF unter der Regie
von Repsol an 15 Erdölbohrungen gearbeitet. Es befand
sich kein Erdgasfeld darunter.
***
Die Regierung setzte eine vorübergehende Antidumpingmassnahme für Porzellanfliessen, andere Fliessen
und Platten in Kraft, mit der Begründung, dass die
Einfuhr die lokale Industrie gefährde. Bei Dumping
ist auch erforderlich, dass nachgewiesen wird, dass der
Exportpreis unter dem internen Preis für die gleichen Produkte in China liegt. Dies muss noch untersucht werden.
Die Regierung hat auf einen Antrag der Unternehmen Ilva,
Industrias Cerámicas Lourdes und Canteras Cerro Neg-
Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 12
Wirtschaft
ro, sowie der Kammer von Fliessenfabrikanten reagiert.
Die Importe seien zwischen 2008 und 2011 von einem
Drittel der lokalen Produktion auf drei Viertel gestiegen.
Das dürfte indessen eine Folge des zurückgebliebenen
Wechselkurses sein. Die Kosten der lokalen Fabrikanten
sind wegen Lohnerhöhungen u.a. Kostenzunahmen auch
in Dollar stark gestiegen.
***
Die Regierung hat Schatzscheine für $ 160 Mio. auf
182 Tage vom staatlichen Rückversicherungsinstitut,
INdeR, untergebracht. Das INdeR befindet sich seit zwei
Jahrzehnten im Zustand der Liquidierung, nachdem es ab
1984 einen Verlust angehäuft hatte, der das Eigenkapital
plus Reserven überstieg, und somit zahlungsunfähig wurde. Die Liquidierung war 1999 (unter Menem) praktisch
abgeschlossen, wurde jedoch von Wirtschaftsminister
Roque Fernandez nicht vollendet, und danach wurde
keine Entscheidung getroffen. Das INdeR ist nicht als
Rückversicherungsinstitut tätig, und die Beibehaltung
der Struktur (mit zwei eigenen Bürogebäuden und vielen
Beamten, die nichts zu tun haben) kostet den Staat viel
Geld. Wenn das INdeR einen finanziellen Überschuss hat,
so sollte es damit Schulden an Versicherungsanstalten
begleichen, die immer noch bestehen. In der Regierung
kümmert sich niemand um diesen Fall.
***
Die Regierung richtet jetzt ihr Augenmerk auf die
privaten Vereine zum Schutz der Konsumenten. “Consumidores Libres”, eine der ältesten auf diesem Gebiet,
die vom ehemaligen sozialistischen Abgeordneten Hector
Polino geleitet wird, wurde in der Vorwoche suspendiert,
nachdem sie eigene Preiserhebungen veröffentlicht hatte,
was sie seit längerer Zeit tut. Dieser Verein hat zehn Tage
Zeit, um zu sämtliche Fragen Stellung zu nehmen. Eine
andere Organisation, Adelco, wurde vom Staatssekretariat für den Verbraucherschutz dazu aufgefordert, über
die verwendete Arbeitsmetode Auskunft zu geben. Die
Massnahme wurde von der Staatssekretärin Maria Lucila Colombo damit begründet, dass die Information der
Verbraucherschutzorganisationen glaubhaft sein muss.
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Der Fall klingt grotesk, nachdem das staatliche INDEC
bei Preiserhebungen nicht glaubhaft ist.
***
Die Zentralbank hat ihre Jahresbilanz 2011 bekanntgegeben. Demnach wies die ZB einen Gewinn von $ 9,46
Mrd. aus. Doch ohne den Pesogewinn, der sich bei den
Reserven aus der Abwertung von $ 3,97 auf $ 4,30 ergibt,
der $ 16,9 Mrd. betrug, hätte die Bank einen Verlust von $
8,99 Mrd. gehabt. Der Gewinn war somit rein buchmässig,
und wenn das Schatzamt ihn abhebt, so handelt es sich
um “kreative Buchhaltung”. Die Zinsen auf die Aktiven,
an erster Stelle die Reserven, erreichten $ 4 Mrd. Doch die
auf Wechsel (Lebac und Nobac) gezahlten Zinsen machten
$ 12,99 Mrd. aus.
***
Die wichtigsten lokalen Bergbauunternehmen verpflichten sich, jährlich Importe in Höhe von u$s 200
Mio. durch Käufe an lokale Unternehmen zu ersetzen.
Bei den Unternehmen handelt es sich um Cerro Vanguardia, Barrick Gold, Xstrata (Alumbrera), Vale und Panamerican Silver. Aus dem Verband Camina, der kleine und
mttlere Lieferanten vereint, hiess es, dass 65 Mitgliederfirmen bereits Gespräche mit den Bergbauunternehmen
geführt hätten. Dabei seien 300 potentielle Lieferanten
und Dienstleistungen identifiziert worden. Das Industriestaatssekretariat stellte eine Liste von 325 Firmen aus
verschiedenen Bereichen auf, die für den Bergbau von
Interesse sein könnten.
***
Nachdem das spanische Fischereiunternehmen Vieira, mit einer Anlage für Fischverarbeitung in Puerto
Deseado, Provinz Santa Cruz, und einer Belegschaft
von 340 Personen, einen gerichtlichen Vergleich gemeldet und die Tätigkeit eingestellt hat, wurde das
Unternehmen von der Provinzregierung interveniert,
mit der Absicht, die Fischerei wieder aufzunehmen.
Das spanische Mutterhaus hatte schon vor einem Monat
Konkurs vor Gericht gemeldet. Eine Gruppe provinzieller
Deputierter arbeitet an einem Enteignungsprojekt. Die
sieben Kutter der Firma befinden sich untätig im Hafen.
Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 13
Wirtschaft
Die Übernahme durch die Provinzverwaltung wird dieser
eine hohe finanzielle Last aufbürden, wobei die Provinz
ohnehin schon ein hohes Defizit aufweist.
***
Die Banken haben Schwierigkeiten bei der Gewährung der Kredite an kleine und mittlere Unternehmen,
zu denen sie am 5. Juli gezwungen wurden. Sie müssen
5% ihrer Depositen (was etwa $ 15 Mrd. entspricht) zu
15% auf mindestens drei Jahre für “produktive Projekte”
leihen. Bisher haben sie jedoch nur ca $ 1,5 Mrd. untergebracht, obwohl diese Kredite sehr günstig sind. Der
Bankenverband ADEBA hat letzte Woche ein Seminar
mit dem Industrieverband Unión Industrial Argentina
durchgeführt, um die Problematik dieser Kredite zu behandeln. Die Banker weisen darauf hin, dass die kleinen
und mittleren Unternehmen Schwierigkeiten bei der
Ausarbeitung eines Projektes haben. UIA-Präsident José
Ignacio de Mendiguren wies darauf hin, dass viele Unternehmen die von den Banken geforderten Garantien nicht
aufbringen können. Er wies darauf hin, dass das Problem
durch die Gesellschaften für gegenseitige Garantien (SGR)
gelöst werden könne. In diesem Fall steht ein Grossunternehmen als Partner einer SGR für kleine Lieferanten oder
Kunden gut, die Mitglieder der SGR sind.
***
Pensionen und Hinterbliebenenrenten (auf spanisch
“Jubilaciones y pensiones”) werden seit einigen Monaten von den Banken automatisch auf ein besonderes
Sparkonto des Rentners deponiert. Doch alle drei Monate müssen die Rentner bei der Bank vorstellig werden,
um zu zeigen, dass sie noch leben. Die Banco Nación hat
jetzt verfügt, dass es genügt, wenn der Betroffene mit der
Zahlkarte, die auf sein Sparkonto lautet, eine konkrete
Zahlung (für den Kauf irgendwelcher Waren) durchführt,
bei der er auch seinen Personalausweis (DNI) vorlegen
muss und somit beweist, dass er lebt. Gelegentlich muss
der Rentner jedoch die Abrechnungen bei der Bank abholen. Mit diesem System wird die Arbeitsbelastung der
Banken verringert, und die langen Schlangen von Rentnern verschwinden.
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***
Importeure müssen jetzt höhere Vorauszahlungen
leisten. Die AFIP hat durch Beschluss 3373 (Amtsblatt
vom 24.8.12) verfügt, dass die bislang geltenden Einbehaltungen der Mehrwertsteuer sowie der Gewinnsteuer
à Konto der endgültigen Zahlung der Steuern, erhöht
werden.
***
Setzt sich ein Gesetzseentwurf der Regierung der Provinz Buenos Aires durch, dann sollen alle Einzelhändler
in der Provinz gezwungen werden, Kreditkarten oder
Scheckkarten zu akzeptieren. Vorgesehen sind Sanktionen wie Geldbussen oder Geschäftsschliessungen für alle
Händler, die sich weigern, elektronische Zahlungsmittel
zu akzeptieren.
***
Verbraucher, die im Besitz eines Smartphones sind,
werden ab November in der Lage sein, die steuerliche Situation des Geschäftes, in dem sie sich gerade befinden,
zu erfahren. Das Steueramt AFIP hat zu diesem Zweck
ein Instrument namens “Data fiscal” entwickelt. Es soll
die Rufnummer 960 ersetzen. Dabei handelt es sich um
ein Formular mit einem so genannten QR Code (quick response Code), der von solchen “intelligenten” Handys gelesen werden kann. Dieser Code muss vom Ladeninhaber
an einem zentralen Platz im Geschäft ausgestellt werden.
Der Code muss im Format A4 ausgedruckt werden. Bis 1.
November haben die Einzelhändler Zeit, diesen Code aus
der Internetseite der AFIP herunterzuladen. Mit seinem
persönlichen Code muss der Händler unter der Rubrik
“Dienstleistungen” sich das Formular 960 herunterladen.
***
Die Supermärkte erreichten im Juli einen Gesamtumsatz von $ 8,719 Mrd., 26,5% über dem gleichen
Vorjahresmonat und 21,4% gegenüber Juni, gab das
Statistische Amt (INDEC) bekannt. In konstanten
Preisen stieg der Umsatz im interanuellen Vergleich um
14,5%, und um 2,4% gegenüber Juni. Daraus ergibt sich
für 12 Monate eine durchschnittliche Preiszunahme von
10,60%, die zum Teil auf einzelne Preiserhöhungen und
Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 14
Wirtschaft
zum Teil auf eine Änderung des Warenkorbs, mit mehr
billigen Produkten, zurückzuführen ist.
***
Die ZB hat diese Woche Liquidität in Höhe von $ 1,65
Mrd. abgeschöpft, indem Wechsel für $ 4,03 Mrd. zugeteilt wurden, während der Verfall bestehender Wechsel
bei $ 2,38 Mrd. lag. Die Zinsen bei Lebac gingen, je nach
Frist, von 13,36% bis 14,52%.
***
Das Provinzparlament von Córdoba hat ein Gesetz
verabschiedet, durch das eine Sondersteuer auf Benzin, Dieselöl und Pressgas eingeführt wird, das in der
Provinz verkauft wird. Der Erlös ist zweckgebunden, für
Bau und Instandhaltung von Strassen. Premiumbenzin
wird um $ 0,40 pro Liter teurer, Superbenzin und Normalbenzin um $ 0,30, Dieselöl um $ 0,20 und GNC um
$ 0,15 je cbm. Die Tanstellenbesitzer wiesen darauf hin,
dass in vielen Fällen jetzt in anderen Provinzen getankt
werden wird.
***
Staatsanwalt Jorge Di Lello, der für den Fall Ciccone
zuständig ist, hat von Bundesrichter Ariel Lello gefordert, dass er von der Regierung die Angabe der Personen
fordere, die die echten Besitzer der Druckerei sind. Ausserdem richtete er sich an Handelsrichter Javier Cosentino
mit der Anweisung, keine Entschädigung zu bezahlen,
bis man nicht genau wisse, wer die echten Besitzer sind.
Compañía de Valores Sudamericana S.A., ehemals Ciccone Calcográfica S.A., gehört zu einem Drittel der Familia
Ciccone und zu zwei Dritteln dem Investmentfonds “The
Old Fund”, bei dem Alejandro Vandenbroele (der angeblich Strohmann von Vizepräsident Amado Boudou ist) als
Bevollmächtigter auftritt. Dieser Fonds gehört wiederum
einem anderen, “Tierras International Investments”, der
jedoch inzwischen aufgelöst wurde. Bisher hat sich bei
der Enteignung niemand gemeldet, um eine eventuelle
Entschädigung zu fordern.
***
In einem Fernsehprogramm hat der Journalist Jorge
Lanata angezeigt, dass die Provinzregierung von For-
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mosa (Gouverneur ist Gildo Insfran) dem Fonds “The
Old Fund”, also A. Vanderbroele, einen Betrag von über
$ 7 Mio. gezahlt habe, um eine Schuld gegenüber dem
Nationalstaat umzuschulden. Weder der Gouverneur
noch der nationale Wirtschaftsminister, noch Vizepräsident Boudou (den dies direkt betrifft), noch sonst jemand
in der Nationalregierung, haben bisher zum Thema Stellung bezogen. Wenn der Tatbestand stimmt, handelt sich
um eine grobe Unregelmässigkeit, da es bei finanziellen
Beziehungen zwischen dem Nationalstaat und den Gliedstaaten keine Mitwirkung privater Firmen geben kann,
wobei die Zahlung einer so hohen Provision überhaupt
keinen Sinn hat. Es besteht die Vermutung, dass es sich
um ein Schmiergeld handelt.
***
Die Europäische Union hat eine Dumpingklage gegen
Argentinien eingeleitet, die sich auf Lieferungen von
Biodieselöl bezieht. Es muss jetzt festgestellt werden,
ob der Exportpreis unter dem internen liegt oder subventioniert wird, ebenso wie die Tatsache, dass dies der
EU-Biodieselindustrie einen ungerechtfertigten Schaden
zufügt. Das Argument der EU hatte eine konkrete Grundlage, als der Exportzoll für Biodieselöl weit unter dem für
Sojabohne und Sojaöl und –mehl lag. Doch nachdem der
Exportzoll vor einem Monat auf 24% angehoben wurde
und dem der anderen Produkte somit angeglichen wurde,
ist dieses Argument hinfällig geworden.
***
Die Regierung hat einen Betrag von $ 702 Mio. für
Aerolíneas Argentinas und Austral bestimmt, um das
Defizit bis Mitte Oktober zu decken. Somit haben diese
Staatsunternehmen im Laufe dieses Jahres schon einen
Zuschuss des Schatzamtes von $ 3,19 Mrd. erhalten, der
sich mit einem von $ 3,34 Mrd. im ganzen Jahr 2011 vergleicht. Ausserdem hat das Transportsekretariat der USA
eine Busse von u$s 50.000 gegen AA verhängt, wegen
Verletzung einer Bestimmung, die die Airlines zwingt,
bei den Anzeigen über Tarife, Steuern u.a Aufschläge zu
diskriminieren.
***
Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 15
Wirtschaft
Nachdem die Nationalregierung den Betrag von $ 124
Mio., der für die U-Bahn bestimmt war, schliesslich der
Stadtverwaltung von Buenos Aires überweisen hat, hat
diese sie dem Betreiber Metrovías (Roggio-Konzern)
übertragen, damit er die Lohnerhöhung von 23% zahlen
kann, und die 20 Waggons, die stillgelegt worden waren,
reparieren und in Betrieb nehmen kann. Gleichzeitig
hat Regierungschef Mauricio Macri ein Gesetzesprojekt
im städtischen Parlament eingereicht, um 120 Waggons
für die H-Linie der U-Bahn (die sich in Bau befindet, und
von Parque Patricios bis Plaza Francia geht) zu kaufen
und dabei einen Kredit von u$s 216 Mio. aufzunehmen.
Der Kredit soll von der brasilianischen BNDES gewährt
werden, und die Waggons sollen in der brasilianischen
Fabrik der französischen Alsthom gebaut werden. Das
Schatzamt muss den Kredit garantieren.
***
Auf Käufe, die mit Kredit- oder Scheckkarten im
Ausland getätigt werden, wird bei der Belastung eines
lokalen Pesokontos zum offiziellen Kurs ab 1. SeptemBer ein Betrag von 15% von der AFIP erhoben, der als
Anrechnung auf die Gewinnsteuer oder die Steuer auf
persönliche Güter gilt. Das hat das Amt für öffentliche
Einnahmen am Donnerstag verfügt. Bei Bestellungen über
Internet wird dieser Vorschuss nicht erhoben.
***
Die Regierung hat schliesslich den Verkauf der
Raffinerie von Esso (Tochter des US-Konzerns Exxon
Mobil) und der 450 Tankstellen dieser Firma an die
lokale Bridas Corporation genehmigt, die den Brüdern
Carlos und Alejandro Bulgheroni, und der chinesischen
CNOOC als Minderheitspartner, gehört. Die Genehmigung war vor anderhalb Jahren gefordert worden, wurde
jedoch von Binnenhandelssekretär Guillermo Moreno
bisher nicht gewährt, weil er eine schlechte Beziehung zu
den Bulgheronis hatte. Dabei handelt es sich hier um eine
“Argentinisierung” eines Unternehmens, nämlich eine
Übertragung von einem ausländischen auf einen lokalen
Konzern. Der Kaufpreis betrug u$s 830 Mio., von denen
u$s 620 Mio. auf die Aktiven in Argentinien und der
Rest auf die in Paraguay und Uruguay entfallen. Bridas
beabsichtigt, die Raffinerie in Campana auszubauen, mit
einer Erhöhung der Kapazität um 60% bei Dieselöl und
50% bei Benzin. Diese Investition wurde dank Moreno
um über ein Jahr verzögert, was zu höheren Importen
von Benzin und Dieselöl führte. Wieder hat Moreno
dem Land einen Schaden zugefügt. Bridas besitzt 40%
von Pan American Energy; die restlichen 60% entfallen
auf British Petroleum.
***
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 16
Wirtschaft
Lateinamerika
Brasiliens Präsidentin Dilma Rouseff hat den Beschluss gefasst, das Streikrecht im staatlichen Bereich
und bei öffentlichen Diensten stark zu beschränken. Das
Projekt verbietet Streiks bei Streit- und Sicherheitskräften
und sieht bei öffentlichen Diensten, die als “essentiell”
bezeichnet werden, die Erhaltung der Dienste, bei eventueller Beschränkung, vor. Eingeschlossen sind 24 Bereiche,
wie die Versorgung mit Strom, Gas, Wasser, Telefonie,
Luftfahrt, Steuereintreibung, und landwirtschaftliche und
industrielle Inspektionen. Ebenfalls soll die Brückensperren unterbunden werden.
***
Mexiko hat Argentinien vor der Welthandelsorganisation wegen illegaler Handelsbeschränkungen angeklagt. Dabei handelt es sich um eine koordinierte Aktion
mit den USA, Japan und der EU.
***
In den Tiefen des Golfes von Mexiko ist ein großes
Ölfeld entdeckt worden. Das teilte Präsident Felipe Calderón am Mittwoch mit. Das Vorkommen liegt östlich der
Küste des Bundesstaates Tamaulipas und soll bis zu 400
Mio. Barrel bergen. Es befindet sich nur etwa 39 km südlich zur Seegrenze zu den USA. «Sollte sich das bestätigen,
entspricht die Zahl einem Drittel der jährlichen nationalen
Erdölförderung, das ist eine gute Nachricht für Mexiko»,
sagte Calderón vor Unternehmern. Es sei zudem möglich,
dass in dem Gebiet in großen Tiefen weitere Vorkommen
lagerten, erklärte Calderón. (dpa)
***
Brasilien erhielt im Juli Auslandsinvestitionen für
u$s 8,42 Mrd., berichtet die ZB. Es ist der höchste
Betrag seit Dezember 2010. Diese Investitionen waren
über doppelt so hoch wie das Defizit von u$s 3,77 Mrd.
der Leistungsbilanz (Aussenhandel, Dienstleistungen,
Gewinnüberweisungen u.a.), so dass die Zahlungsbilanz
mit einem Überschuss schloss. 2011 betrugen die Auslandsinvestitionen u$s 66,66 Mrd., und in 7 Monaten
2012 sind es schon u$s 38,41 Mrd., von denen u$s 31,91
Mrd. aus Beteiligungen an Unternehmen und der Rest
aus Darlehen von multinationalen Unternehmen an ihre
Filialen bestand.
***
Brasilien erreichte im Juli einen Überschuss bei den
Staatsfinanzen in Höhe von u$s 1,95 Mrd., dank der
soliden Steuereinnahmen. Auch wenn die Zahl über den
Betrag vom Juni liegt, so entspricht sie nur der Hälfte des
Überschusses vom Juli 2011.
***
Die brasilianische ZB hat am Mittwoch zum neunten
Mal in Folge den Selic-Zinssatz um 50 Basispunkte auf
dem historisch tiefsten Satz von 7,5% gesenkt. Ein Jahr
zuvor lag der Satz bei 12,5%. Die Senkung wurde bekannt,
nachdem Präsidentin Dilma Rouseff ein Massnahmenpaket
für die Anschaffung von LKWs und Maschinen ankündigte. Rouseff gab ebenfalls die Verlängerung von Steuerbegünstigungen für Produkte “made in Brazil” bekannt.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 17
Wirtschaft
Geschäftsnachrichten
Aerolineas Argentinas
Das staatliche Luftfahrtunternehmen ist seit Mittwoch
das erste südamerikanische Mitglied der Luftfahrtallianz
Skyteam. Dadurch wird Aerolineas ihre Strecken besser
in Europa, Asien und Amerika vermarkten können.
Kentucky
Die Pizza-Kette Kentucky hat für $ 6 Mio. bislang 5
Lokale eröffnet und plant fünf weitere in den kommenden
12 Monaten einzuweihen. “Wir haben in den vergangenen
fünf Jahren ein stetiges Konsumwachstum in der Gastronomie feststellen können und gehen davon aus, dass sich
diese Tendenz für die nächsten fünf Jahren fortsetzen
wird”, sagte man bei Pereira Aragón, das Immobilienunternehmen, welches für das Wachstum von Kentucky
zuständig ist.
Sinteplast
Dieser Farbenfabrikant investierte $ 15 Mio. für die
Herstellung von Farben für Schiffe. Diesbezüglich unterschrieb Sinteplast ein Technologie- und Lizenztransferabkommen mit der japanischen Gesellschaft Chukogu
Marine Paints. Solche Farben werden ausschliesslich für
Schiffe entwickelt, und zwar sowohl für Meeres- und
Süsswasser, und sowohl für Schiffe aller Grössen, wie für
Container. Bei Sinteplats geht man von Zusatzverkäufen
im ersten Jahr in Höhe von $ 50 Mio. aus.
Diransa San Luis
Diese Firma, die Ausgangsstoffe für Drucktinten und
Überdrucklacke herstellt, hat ein Technologieabkommen
mit der deutschen Ecronova für den Grafikkunstmarkt
in Gang gesetzt. Diese strategische Allianz soll Ecronova
ermöglichen, Emulsionen unter Lizenz von Diransa herzustellen. Ausserdem sollen in Argentinien hergestellte
Klebestoffe vermarktet werden.
Delphi
Dieser Hersteller von Autoteilen wird ein Autoradio
mit GPS in ihrem Werk auf Feuerland fabrizieren. Die
Gesamtproduktion geht an den brasilianischen und indonesischen Markt. Für dieses Projekt wurden $ 9 Mio.
investiert. Im Industrieministerium wurde betont, dass
die Muttergesellschaft den argentinischen Standort statt
dem chinesischen wegen der guten Ausbildung der 36
Ingenieure ausgesucht hat.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 18
Wirtschaftsübersicht
Die verlorene Glaubwürdigkeit
belastet die unmittelbare Zukunft
W
irtschaftsminister Hernán Lorenzino
bemühte sich in einer Rede, die er am Donnerstag der Vorwoche anlässlich der Tagung
des “Council of the Americas” im Hotel Alvear hielt, ein
gutes Image Argentiniens zu begründen. Er übte scharfe
Kritik an den Agenturen, die die einzelnen Staaten qualifizieren (Standard & Poor´s, Moody´s, Fitch u.a.) und wies
dabei auf den Widerspruch hin, dass Argentinien 2001 besser qualifiziert worden sei als jetzt, wo doch damals schon
sichtbare Zeichen der kommenden Krise vorhanden waren,
während jetzt keine bestehen. In der Tat sollte Argentinien
keine schwere Rezession erleben, sondern bestenfalls eine
Abschwächung der Konjunktur. Ebenfalls steht auch kein
Default in Sicht. Aber was sein soll, muss nicht immer sein.
Kabinettschef Juan Manuel Abal Medina wies bei der
gleichen Gelegenheit darauf hin, dass das Bruttoinlandsprodukt ab 2003, als Néstor Kirchner als Präsident antrat,
um 95,5% gestiegen sei, was eine durchschnittliche jährliche Zunahme von 7,75% ausmache, die sich mit einer von
nur 1% pro Jahr in den vorangehenden 20 Jahren vergleiche. Hier sei zunächst bemerkt, dass die Gesamtzunahme
ab 2003 geringer war, da das INDEC für 2009 von einer
Zunahme von 0,9% ausgeht, private Wirtschaftler hingegen einen Rückgang von 3% ermitteln. Ebenfalls wird die
BIP-Berechnung in manchen Aspekten ab Anfang 2007
von der Fälschung des Indices der Konsumentenpreise
beeinflusst, wobei man ohnehin nicht weiss, ob nicht auch
beim BIP direkt gemogelt wird. Dennoch: auf alle Fälle
wäre das BIP um gut 80% gewachsen, allerdings ausgehend von einem Rückgang von etwa 18% ab Mitte 1998,
und mit starkem Rückenwind (starke Zunahme der Preise
der Exportprodukte), der Wirkung der phänomenalen
technologischen Revolution (Biotechnologie, Telefonie
und Informatik) und der Privatisierungen und Deregulierungen der 90er Jahre, die die argentinische Wirtschaft
strukturell verändert haben.
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Was die vorangehenden zwei Jahrzehnte betrifft, so
wird dabei der BIP-Rückgang der 80er Jahre mit dem
grossen Aufschwung von 1990 bis 1998 (BIP mit plus 60%)
und dem danach folgenden Abschwung, der in der Krise
2001/02 endete, vermischt. Ausserdem: die Reformen der
Menem-Regierung haben das hohe Wachstum des letzten
Jahrzehnts überhaupt möglich gemacht.
Der Hinweis auf das vergangene Wachstum ist kein
Argument für ein zukünftiges. Im Gegenteil: wenn eine
Wirtschaft anormal stark wächst, ist eher eine Periode der
Beruhigung zu erwarten, eventuell sogar der Rezession.
Dies umso mehr, als dieser Aufschwung auch auf Kosten
einer starken Verringerung der Erdöl- und Gasreserven,
der Schlachtung von 12 Mio. Rindern aus dem Bestand
und der ungenügenden Instandhaltung und Investitionen
bei öffentlichen Diensten erreicht wurde. Also auf Kosten
des Kapitalverzehrs. Das war der Preis für politisch niedrige Tarife, die der Bevölkerung mehr Einkommen für
andere Ausgaben übrig liessen und auf diese Weise die
Konjunktur angespornt haben. Doch jetzt ist die Stunde
der Wahrheit gekommen, und es entstehen schwer lösbare
Engpässe und ein Investitionsbedarf, für die es zunächst
keine Finanzierung gibt.
Die Inflationsproblematik wurde weder vom Wirtschaftsminister noch vom Kabinettschef erwähnt. In
einer Welt mit niedrigen Inflationsraten sind Länder wie
Venezuela und Argentinien Ausnahmen, die Sorge bereiten. Dies umso mehr, als die Inflation vom Statistischen
Amt mit einer groben Fälschung heruntergedrückt wird,
und sowohl die Präsidentin, wie der Wirtschaftsminister
u.a. hohe Beamte punkto Inflation um den heissen Brei
herumreden und die Stabilitätsperiode der 90er Jahre
verteufeln. Dass die Regierung keine Strategie hat, um die
Inflation zumindest auf eine echte einstellige Jahreszahl
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 19 -
Wirtschaftsübersicht
zu drücken, ist bedenklich.
Gewiss hat Lorenzino Recht, wenn er behauptet, Argentinien laufe keine Gefahr der Zahlungsunfähigkeit.
Objektiv sollte das so sein; doch bei diesen eigenartigen
Leuten, die uns regieren, weiss man nie, ob es schliesslich
doch nicht so weit kommt. Was jedoch die Analysten bemerken, ist, dass der effektive Wille, zu zahlen, oft nicht
vorhanden ist, auch wenn das Geld vorhanden ist. Die
argentinische Regierung benimmt sich prinzipiell wie ein
fauler Schuldner.
Die einzelnen Umstände
Die argentinische Glaubwürdigkeit ist nahe dem Nullpunkt gesunken. Und das hat seine guten Gründe. Halten
wir fest:
l Die Vertragsbrüche bei Konzessio-nen öffenticher Dienste u.a. Fällen wirken abschreckend, wobei die Regierung in
bald einem Jahrzehnt nicht den geringsten Willen gezeigt
hat, zu verhandeln und Kompromisslösungen zu erreichen.
Die Unternehmen hängen von der Willkür der Regierung,
und besonders der von einzelnen hohen Beamten ab, und
können jederzeit ganz verstaatlicht werden.
Mehrere Unternehmen wurden ohne Entschädigung
enteignet. Das bezieht sich auf den Wasserversorger Aguas
Argentinas (der der französischen Suez und der spanischen
Aguas de Barcelona gehörte), wobei hier ausserdem eine
Schuld von u$s 700 Mio. bis heute unbezahlt blieb. Hinzu
kamen dann noch Betreiber von Eisenbahnkonzessionen,
Aerolineas Argentinas, Repsol u.a. Fälle. Die Enteignungen waren rechtswidrig, weshalb sie als Konfiskationen
eingestuft werden. Es gab keine Entschädigung, wie sie die
Verfassung vorschreibt, ebenfalls keine Verhandlungen,
sondern einfach ein Regierungsdiktat.
l Die Regierung hat die Urteile des Weltbankschiedsgerichtes ICSID nicht geachtet. Es sind an die Milliarde Dollar,
die einfach nicht gezahlt wurden, mit dem fadenscheinigen
Argument, dass die argentinische Gesetzgebung vorsieht,
dass die Urteile von lokalen Gerichten bestätigt werden
müssen. Das bedeutet, dass die Kläger zunächst 3% an
Justizgebühr hinterlegen müssen, und wenn sie verlieren
(was bei Urteilen der argentinischen Richter sehr wahrscheinlich ist) dann noch für Gerichtskosten und Honorare
l
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 20 -
Wirtschaftsübersicht
aufkommen müssen, die mindestens 10% ausmachen. Bei
den zahreichen Klagen, die noch nicht entschieden sind,
hat die Regierung nicht den geringsten Willen gezeigt, auf
dem Verhandlungsweg zu einer Lösung zu kommen, sondern die Prozesse mit faulen Tricks in die Länge geschoben.
l Die argentinische Justiz hat die Unabhängigkeit verloren.
Die Richter stehen unter starkem Druck und müssen sich
Sorge um ihre Karriere machen, wenn sie nicht im Sinne
der Regierung urteilen. Abgesehen davon hat die Anullierung der Gesetze über Gehorsamspflicht und Endpunkt
vom Jahr 1987, die 2003 erfolgte, das ganze Rechtsystem
in Frage gestellt. Eine Anullierung (gemäss der ein Gesetz
rückwirkend von Anfang an keine Wirkung hat), nach 16
Jahren und nachdem der Oberste Gerichstof schon entschieden hatte, dass es sich um eine Form der Amnestie
handelt, die absolut verfassungskonform war, stellt die
Rechtssicherheit grundsätzlich in Frage. So etwas hat in
der Weltgeschichte noch nie gegeben.
l Die extreme Devisenbewirtschaftung, bei der Importe
plötzlich nicht mehr zugelassen werden, und dann nach
einiger Zeit in einigen Fällen (die Binnenhandelssekretär
Moreno eigenwillig bestimmt) freigegeben werden (aber
in anderen nicht), die Überweisung von Gewinnen und
Dividenden gehemmt wird, und auch reine Dollarkäufe
oder – überweisungen als Wertsicherung offiziell nicht
zugelassen werden, schafft eine grosse Unsicherheit für
Unternehmen und eine Hemmung für multinationale
Firmen, die ihre Finanzen einheitlich verwalten. Die argentinische Regierung rechtfertigt die Verletzung der Normen
der Welthandelsorganisation mit dem Argument, dass sie
andere Staaten auch verletzen. Also: wenn jemand anders
stiehlt, darf ich auch stehlen. Das Argument ist absurd,
abgesehen von der Tatsache, dass sich die argentinische
Regierung auch nicht bemüht, über die einzenen Fälle mit
den beschuldigten Regierungen zu verhandeln, wie es sich
bei zivilisiertem Verhalten geziemt.
l Hinzu kommt noch die anormal hohe Korruption, die
diese Regierung kennzeichnet. Das entmutigt Unternehmen, da dies mit Erpressungen und Zwangsbeteiligung an
schmutzigen Geschäften verbunden ist.
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Die Regierung ist insofern noch besonders unseriös,
als allerlei Massnahmen und Projekte angekündigt und
dann nicht vollzogen werden. Das bezieht sich auf den
Hochgeschwindigkeitszug von Buenos Aires über Rosario
nach Córdoba, auf zahlreiche Programme für den Bau von
Sozialwohnungen, auf die Kraftwerke von Santa Cruz, auf
die Abschaffung der Subvention für öffentliche Dienste
und viele andere Einzelfälle. Die Regierung vermittelt den
Eindruck, dass die hohen Beamten so ungefähr nach dem
Motto handeln, “was gebe ich für mein dummes Geschwätz
von gestern”.
l Hinzu kommt noch der Freundenkapitalismus. Die
Regierung bevorzugt befreundete, mit den Kirchners
liierte Unternehmer, bei öffentlichen Ausschreibungen
und zwingt normale Unternehmen, gelegentlich an diese
zu verkaufen. Das extreme Beispiel war das Geschenk
von 25% des Aktienkapitals von YPF, von Repsol an die
Eskenazi-Gruppe.
l Bei dieser Regierung wissen die Unternehmer nicht,
mit wem sie sich verständigen müssen. Es gibt keine echte
Staatsstruktur, der zweite Mann im Wirtschaftsministerum hat mehr zu sagen als der erste und auch als der Planungsminister, und die formellen Entscheidungsgewalten
werden übergangen. Das wird noch durch den Umstand
verschlimmert, dass die Präsidentin ihre Symphatien ändert und gelegentlich einem Minister oder Staatssekretär
mehr Macht und dann auch weniger verleiht.
l Auch die notorische Fälschung der Statistik der Konsumentenpreise schafft Unsicherheit, umso mehr als dies
mit einem Betrug an den Inhabern von wertberichtigten
Staatspapieren verbunden ist. Dabei wird langfristigen
Verträgen die Möglichkeit der Wertberichtiung entzogen,
da diese Verträge jetzt auch nicht auf Dollar lauten können, da sie dabei Gefahr laufen, auf den offiziellen Kurs
bezogen zu werden, zu dem der Schuldner keine Dollar
kaufen kann.
l Der grosse Gewerkschaftseinfluss und der geringe Wille
der Regierung, für Recht und Ordnung zu sorgen, wirkt
l
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 21 -
Wirtschaftsübersicht
auch als abschreckender Faktor. In Chubut wurde ein
Erdölunternehmen von einer Gewerkschaftsgruppe, mit
der es keine direkte Beziehung hat, besetzt, mit grossen
Zerstörungen. Die U-Bahn wurde während 10 Tagen von
einer nicht zugelassenen Gewerkschaft stillgelegt. In beiden
Fällen griff die Regierung zu spät und nur zaghaft ein. Es
handelt sich nicht um Ausnahmen.
l Schliesslich bereitet die Politik als solche auch Sorgen.
Cristina Kirchner hat keine Nachfolge, und die Opposition
ist gespalten, so dass man nicht weiss, wie es weiter geht.
Das republikanische und demokratische System ist von
der Regierung geschwächt worden, und stellt als solches
keine Garantie dar, wie in der EU, den USA und anderswo.
Die Gruppe, die die Nachfolge der früheren MontoneroTerroristen angetreten hat, ist auch von Bedeutung, mit
der Gefahr, dass sie schliesslich die Regierung übernimmt.
Weder die Miliärs, noch die Politiker, noch sonst jemand
könnten sie daran hindern.
Ein unlösbares Problem
Bei all diesen Umständen darf man sich nicht wundern,
dass Argentinien so schlecht eingestuft wird, was das Land
bei einer objektiven Anlayse der Wirtschaftsdaten gewiss
nicht verdient. Aber die Risiken sind eben gross, wobei sie
von dieser Regierung nicht aus der Welt geschaffen werden
können, weil die Präsidentin und ihre Mitarbeiter Gefangene ihrer Vorurteile sind. Abgesehen davon bemüht sich
die Regierung auch nicht um die Probleme, sondern sie
ignoriert die genannten Risikofaktoren und kontert den
Kritikern mit absurden Argumenten, u.a., dass es sich um
Verschwörungen der grossen Zeitungen (“Clarín” und
“La Nación”), des “konzentrierten Kapitals”, einzelner
Ökonomen und Journalisten , sowie Putschisten handle.
Die verlorene Glaubwürdigkeit hat bei kleinen und mittleren Unternehmen, die nicht direkt von Regierungsentscheidungen abhängen, eine beschränkte Bedeutung. Deshalb wird auch laufend investiert, sowohl bei bestehenden
Unternehmen, die expandieren oder sich dem technologischen Fortschritt anpassen, wie auch bei Neugründungen.
Aber in bestimmten Fällen ist dies entscheidend für das
Verhalten der Unternehmer. So wirkt sich das mangelhafte
Vertrauen unmittelbar auf das Erdölunternehmen YPF
aus, das bedeutende finanzielle Mittel, Technologie und
unternehmerische Mitwirkung braucht, um die immer
kritischere Reservenlage zu überwinden. Für die Erschliessung des Schiefergaslagers “Vaca Muerta” in Neuquén ist
von einem Investitionsbedarf von u$s 10 bis u$s 20 Mrd.
die Rede. Und für die Forschung in neuen Gebieten, die
mit hohem Risiko behaftet ist, dürften es noch mehr sein.
Es ist schwer, bei grossen Investitionen ausreichendes
Vertrauen zu schaffen, wobei noch hinzukommt, dass es
kaum möglich ist, bei der von der Weltbank abhängigen
MIGA (Multilateral Investment Guarantee Agreement)
eine Investitionsversicherung für politische Risiken zu
erhalten. Die Regierung steckt in einer Sackgasse, die sie
selber geschaffen hat, die sie nur mit einer totalen Wende
ihrer grundsätzlichen Einstellung überwinden könnte.
Und auch dann wäre dies schwierig, da ein tiefes Misstrauen in diese Regierungsmannschaft besteht.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 22 -
Wirtschaftsübersicht
Eine neue Rahmenordnung für die Stromwirtschaft
E
nde der Vorwoche teilte Vizewirtschaftsminister Axel Kiciloff in Begleitung von
Energiesekretär Daniel Cameron und Binnenhandelssekretär Guillermo Moreno den Unternehmern der
Elektrizitätswirtschaft persönlich mit, dass die Regierung
vorhabe, ein neues System für die Preise auszuarbeiten, die
ihnen zugestanden werden, auf der Grundlage der Kosten plus eines Gewinnes. Wichtig dabei ist zunächst die
Tatsache, dass nicht an Verstaatlichung gedacht wird (was
Kiciloff ausdrücklich ausschloss), und viele Unternehmen,
die sich am Rande der Zahlungsunfähigkeit befinden, jetzt
wohl den Konkurs vermeiden können. Allerdings wurde
über die Regelung der bestehenden Schulden nichts gesagt. Die neue Rahmenordnung, die in ihren Grundzügen
angekündigt wurde, kommt zehn Jahre zu spät; aber es
bleibt zu hoffen, dass sie jetzt wirklich eingeführt wird und
es nicht bei einer guten Absicht bleibt, wie es bei dieser
Regierung üblich ist.
Die privaten Unternehmen der Branche haben eine sehr
gute Leistung vollbracht, auch als der Staat sie ab 2002
finanziell unter Druck gesetzt hat und sie Verluste erlitten
und in vielen Fällen in Zahlungsunfähigkeit gerieten. Die
Kraftwerke, die aus der Segba-Privatisierung entstanden,
haben neue Technologie eingeführt und ihre Kapazität
erweitert, und sind bei hoher Kapazitätsauslastung tätig,
während sie 1989, unter staatlicher Regie, gelegentlich nur
zu einem Drittel ausgelastet waren, was mit zur schweren
Energiekrise von Anfang jenes Jahres geführt hat. Die
Stromverteilung (Edenor, Edesur und Edelap) wurde auch
qualitativ viel besser, mit einer drastischen Verringerung
der Unterbrechungen des Dienstes und kurzfristiger Behebung der Pannen. Unter staatlicher Regie war dies eine
Katastrophe. Néstor Kirchner hat von der überschüssigen
Kapazität bei der Stromerzeugung profitiert, die die Privatisierung herbeigeführt hat, so das ser sich erst später
um die Kapazitätserweiterung kümmern musste.
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Es bleibt jetzt bei privaten Unternehmen, wobei auch
staatliche bestehen. Die Privatisierung der 90er Jahre bezog sich auf die Wärmekraftwerke der Bundeshauptstadt,
der Provinz Buenos Aires und einige mehr im Landesinneren, die Wasserkraftwerke in Neuquén und Rio Negro, die
Fernleitungen und die Stromverteilung in der Stadt und
Provinz Buenos Aires. Die grossen binationalen Wasserkraftwerke Yacyretá und Salto Grande blieben staatlich,
ebenso die Kraftwerke und die Stromverteilung von
Córdoba, Santa Fé u.a. Provinzen. Wie weit die neue Rahmenordnung auch für diese gilt, sei vorerst dahingestellt.
Das Stromsystem der 90er Jahre hatte eine marktwirtschaftliche Grundlage, mit der staatlichen CAMMESA
(“Compañía Argentina del Mercado Mayorista de Electricidad S.A.) als Verwalter der Stromverteilung, mit
Entscheidungsgewalt über den Preis, der jeweils gezahlt
wird, wobei stets der niedrigste genommen wurde. Da
damals Überangebot herrschte, funktionierte das System
recht gut, wobei die Wasserkraftwerke, die sehr niedrige
Grenzkosten haben, bei der Lieferung faktisch Vorrang vor
den Wärmekraftwerken hatten. Vorher, als das System voll
staatlich war, war es gelegentlich umgekehrt, was keinen
vernünftigen Sinn hat. Denn dabei wurde unnötigerweise Gas oder Heizöl verbraucht. Beim Transport und der
Verteilung von Strom wurden Margen bestimmt.
Das System wurde faktisch 2002 ausser Kraft gesetzt,
aber nicht durch ein anderes ersetzt, sondern einfach
durch eingefrorene Tarife, die gelegentlich willkürlich
erhöht wurden, aber in der Regel zu wenig, worunter dann
die Instandhaltung litt und eine Expansion und Modernisierung nur noch ausnahmsweise möglich war. In letzter
Zeit mehrten sich die Verlustbilanzen, was ein schlimmes
Ende vorwegnahm, bei dem eine Rückverstaatlichung zu
befürchten war.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 23 -
Wirtschaftsübersicht
Das neue System ist nicht marktwirtschaftich, erhält
jedoch die Privatunternehmen der Branche, aber mit
starker Abhängigkeit von staatichen Entscheidungen.
Sie sind im Wesen weniger “privat” als in den 90er
Jahren. Wenn jetzt einfach effektive Kosten hingenommen werden und darauf ein Gewinn berechnet wird,
dann haben die Unternehmen kein Interesse an der
Rationalisierung und technologischen Verbesserung.
Die Weltbank hat seinerzeit bei der Verstaatlichung der
CADE (1958), die in Segba umgetauft wurde, ein System
dieser Art empfohlen, ist aber nachher in anderen Fällen
(in anderen Ländern und auch bei Telefonie) auf andere
Systeme übergegangen, bei denen die Unternehmen
an den Effizienzfortschritten verdienen. Wie weit sich
Kiciloff, Cameron u.a. Beamte schon Gedanken über
die konkreten Einzelheiten des neuen Systems gemacht
haben, sei vorerst dahingestellt.
CAMMESA wird somit den einzelnen Kraftwerken
unterschiedliche Preise zahlen und dann einen gewoge-
nen Durchschnitt berechnen, zu dem sie den Strom an
die Verteiler liefert. Diese müssen dann bestimmte Tarife
zugestanden werden, und wenn diese nicht ausreichen,
muss subventioniert werden. Auch das muss geordnet
werden, da CAMMESA schon ein hohes Defizit angehäuft
hat, für das niemand aufkommt.
Das ganze System bedarf bei seiner detaillierten Ausarbeitung und Durchführung einer guten und engen Zusammenarbeit zwischen den Unternehmern und den für
elektrische Energie zuständigen Beamten, wobei es sehr
transparent sein muss, damit kein Verdacht von krummen Geschäften und Schmiergeldern besteht. All dies ist
gewiss nicht einfach, besonders bei einer Regierung, die
Unternehmer prinzipiell verdächtigt und gelegentlich
bezichtigt, allerlei Bosheiten zu begehen. Doch auf alle
Fälle hat die Regierung jetzt einen ersten Schritt in der
richtigen Richtung gemacht.
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Sonnabend, 1. September 2012 - Seite 24 -