Ralph Hepp, Erfurt - Umme Ecke Records
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Ralph Hepp, Erfurt - Umme Ecke Records
1 Ralph Hepp, Erfurt Lernen an Stationen Es ist unbestritten, Lernen heißt sich mühen, Misserfolge verkraften und trockenen Stoff pauken! Aber Lernen heißt auch mit Freude aufnehmen, glücklich über etwas Gelerntes sein und das Wissen anwenden können. Wie schnell „schaffen“ es die Lehrer in der Sekundarstufe I, die fast noch euphorische Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler in der 5. Klasse zu bremsen, in „geordnete Bahnen“ zu lenken – bis sich fast niemand mehr meldet!! Liegt dies an einer gewissen Eintönigkeit, die in unseren Schulräumen Einzug hält? Ein Thema wird für 25 bis 30 unterschiedlich Interessierte, eine Methode wird für 25 bis 30 verschiedene Lerntypen, eine Zeitvorgabe wird für Langsame und Schnelle und ein Ergebnis wird für leistungsschwächere und leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler angeboten (vgl. /1/, S. 29). Wie sollte heute Unterricht gestaltet werden, der in einer sich ständig verändernden Umwelt Schülerinnen und Schülern hilft, sich selbstständig und zunehmend eigenverantwortlich zurechtzufinden und mündig zu werden? Und wie sollte heute Unterricht gestaltet werden, der den Kindern und Jugendlichen Freude am Lernen vermittelt? Heute sind Kinder anders Diese bewusst in Anlehnung an Maria Montesorri /2/ gewählte Überschrift offenbart eine wichtige Seite des pädagogischen Alltags. Wie Roland Bauer in seinem kürzlich erschienenen Buch: „Schülergerechtes Arbeiten in der Sekundarstufe I: Lernen an Stationen“ /3/ in sehr anschaulicher Weise und Hans-Jürgen van der Gieth in dramatischer Prägnanz verdeutlicht (vgl. /4/, S. 44ff.), haben unsere Schülerinnen und Schüler große Probleme mit dem Lernen. Zunehmende Konzentrationsschwächen, mangelndes Interesse, Überflutung mit Informationen durch die verschiedensten Medien, immer mehr Aggression und Frust stehen herkömmlichen, traditionellen Unterrichtsmethoden, durch verschiedene Faktoren immer weniger motivierten Lehrerinnen und Lehrern (das gegenwärtige Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit ist mehr denn je das eines „Prügelknaben“) gegenüber (vgl. /4/). Innovation und neue Unterrichtsmethoden werden zwar immer wieder gefordert und in verschiedenen pädagogischen Zeitschriften diskutiert, erreichen aber nicht die erhoffte flächendeckende Wirkung. In diesem Zusammenhang bin ich im Buch von Bauer (vgl. /3/, S. 29) auf ein Zitat von Achermann gestoßen: 2 „Lehrerinnen und Lehrer verstehen und spüren ihre Berufsaufgabe ganz verschieden. Es gibt zum Beispiel Dompteur-Lehrerinnen und -Lehrer, Kumpel-Lehrerinnen und -Lehrer und Gärtner-Lehrerinnen und -Lehrer, und entsprechend gibt es Schulklassen, in denen die Kinder parieren, unverbindlich die Zeit totschlagen oder sich entwickeln. Die Hauptaufgabe der Gärtner-Lehrerinnen und -Lehrer ist es, zusammen mit der ganzen Kindergruppe und mit jedem einzelnen Kind eine Lernumgebung zu schaffen, in der jedes Kind und die Gruppe gut wachsen kann. Diese anspruchsvolle Aufgabe kann durchaus mit der Tätigkeit eines naturnahen Gärtners verglichen werden: Unter welchen Bedingungen wächst eine bestimmte Pflanze oder ein Kind am besten? Wie viel Wind oder Sonne erträgt es? Wann muss gegossen werden und wann wird Halt gebraucht, um sich daran hochzuranken? Ich habe noch nie eine Frau oder einen Mann angetroffen, die in ihrem Garten an einer Blume zerrten, damit sie schneller und besser wächst. Kinder aber, die herumgezerrt und -gestoßen werden, gibt es noch in vielen Familien und Schulen. Warum nehmen wir auf die Natur der Pflanzen in unseren Gärten mehr Rücksicht als auf die Natur der Kinder in unseren Gemeinschaften?“ Gibt es in Anbetracht des wachsenden Stundensolls und bei durchschnittlich 25 bis 30 Schülern je Klasse für die Lehrerin und den Lehrer die Chance, eine Lernumgebung zu schaffen, die dem Einzelnen Freiräume zum individuellen Lernen eröffnet, die ihm und seiner Initiative überlassend ermöglicht, sich in Ruhe einer Aufgabe zuzuwenden, und deren eigenständige Lösung ihm das so wichtige Gefühl der persönlichen Erfolgs vermittelt? Wiederholt wurde statistisch nachgewiesen (vgl. z. B. /5/), dass insbesondere Mädchen durch den permanent erfahrenen Mangel an Erfolgserlebnissen massive Abneigung gegenüber dem Fach Physik entwickeln! Wie können gerade sie für die Physik gewonnen werden? Lernen lernen Jede Lehrerin und jeder Lehrer ist gut beraten, sich die grundlegenden Erkenntnisse der Lernpsychologie zu vergegenwärtigen, um die Schülerinnen und Schüler zu einer besseren Aneignung des Lehrstoffes anzuleiten. Um den Rahmen dieses Basisartikels nicht zu sprengen, seien hier nur einige der wichtigsten und für das Thema Lernen an Stationen bedeutsamen Erkenntnisse und Schlussfolgerungen in starker Anlehnung an eine ausführliche Darstellung von Bauer zusammengefasst (vgl. /3/ S. 37ff.): • Die Beteiligung von möglichst vielen Sinnesorganen und damit das Einbeziehen und der Wechsel der verschiedenen Eingangskanäle beeinflusst den Lernprozess entscheidend in 3 positiver Weise. Dies bedeutet, denselben Sachverhalt möglichst auf verschiedene Art und Weise anzubieten und damit die Bildung von Assoziationen sowie die Speicherung im Gehirn zu verbessern („Lernen mit allen Sinnen“). • Individuelle Lerngewohnheiten sollten von den Lehrern erkannt, gezielt weiterentwickelt und gegebenenfalls auch durch Lerntraining verändert werden. • Der handelnde Umgang mit dem Lerngegenstand ist stets als Vorstufe der abstrakten Auseinandersetzung zu sehen; Wahrnehmungen der rechten und linken Gehirnhälfte können sich auf diese Weise ergänzen. • Der Lernstoff sollte nicht nur in Form von kleinen, für die linke Gehirnhälfte gut zu verarbeitenden Elementen zergliedert (für die digitale Verarbeitung), sondern auch in Form von umfangreicheren Gesamteindrücken ( z. B. Graphiken, Bilder, Übersichten) für die rechte Hemisphäre (für die analoge Verarbeitung) angeboten werden. • Das Interesse am Lerngegenstand durch gute Motivation, Spaß bei der Bearbeitung und Freude über eine gefundene Lösung wirken lernfördernd; Angst vor dem Versagen, dauernde Anspannung und Monotonie dagegen wirken lernhemmend. • Der Wert und die Bedeutung des Lernstoffes müssen für die Schülerinnen und Schüler persönlich einsichtig sein und die Ergebnisse müssen persönlich bedeutsam sein (Bezug zur Lebenswelt und zu vorhergehenden Themen). Lerninhalte ohne erkennbaren Nutzen werden im Gehirn meist isoliert gespeichert und sind für Gedankenverbindungen damit nicht verfügbar; die Anwendung des Wissens wird somit erschwert oder unmöglich. • Das Neue sollte auf vertrautem, bekanntem Wissen aufbauen und mit ebenfalls vertrauten Darstellungsformen behandelt werden; damit werden die Gefahr der Denkblockade und die Abwehr gegen das Unbekannte gemindert. Neue Inhalte werden insbesondere nur dann in die kognitive Struktur eingebaut, wenn sie mit passenden Elementen des Vorverständnisses verknüpft werden können. • Unbedingte Voraussetzung für einen dauerhaften Lernerfolg sind Wiederholungen in allen Varianten. Komplizierte und vielfältige Lernstoffe werden besser verstanden und behalten, wenn sie gut strukturiert sind. Daher sollten im Übungsangebot auch Aufgaben zur Strukturierung enthalten sein (z. B. Ordnen, Vergleichen und Erstellen von Übersichten). • Die Lernangebote müssen dem Durchhaltevermögen der Schülerinnen und Schüler angepasst sein; Pausen und Entspannung sind Teil des Lernprozesses und daher notwendigerweise mit einzuplanen. • Durch das Einbeziehen von verschiedenen Lernorten ergeben sich bessere Möglichkeiten für die Entwicklung von Interesse und für spätere, lernfördernde Assoziationen. 4 • Die Lehrerin und der Lehrer sollten die individuellen Unterschiede der vor ihnen sitzenden Kinder akzeptieren und entsprechend auch versuchen, individuelle Lernangebote zu unterbreiten (Binnendifferenzierung). • Stoffvermittlung durch die Lehrerin und den Lehrer ist lediglich „Aussenden“; damit etwas „ankommt“, muss der Lernende bereit sein, sich zu „öffnen“! Lernen an Stationen als eine Form der Öffnung von Unterricht Die im Weiteren näher beschriebene methodische Form des Lernens an Stationen, die in den letzten Jahren zunehmend Eingang in die Schulpraxis gefunden hat und gegenwärtig ihre charakteristische Ausprägung findet, kann als eine Art des „offenen“ Unterrichts angesehen werden. Die Leser seien hierbei auf ein im Jahre 1993 erschienenes Themenheft zum Thema „Offener Unterricht“ in dieser Zeitschrift hingewiesen /6/. Es handelt sich beim Lernen an Stationen nicht um ein pädagogisches Experiment, sondern um einen vor allem im Grundschulbereich erprobten und bewährten Einstieg in einen schüleraktivierenden Unterricht (vgl. /7/). Durch die mögliche Verbindung und Verzahnung mit systematischem Unterricht bietet es gerade Lehrerinnen und Lehrern, die keine Erfahrung mit offenen Unterrichtsformen haben, einen möglichen und mit geringen Unwägbarkeiten behafteten Zugang. Die vom Lehrplan vorgegebenen Ziele lassen sich dabei ebenso realisieren wie die gewünschte Zurücknahme der Lehrerin oder des Lehrers und die Erhöhung der Selbstständigkeit der Schülerinnen und Schüler. Zur besseren Verständigung soll eine Bemerkung zum Begriff „Lernen an Stationen“ vorangestellt werden: Die verschiedenen Autoren verwenden in ihren Darstellungen unterschiedliche Begriffe für diese Form des Unterrichts, z. B. Stationenbetrieb, Stationenlernen, Lernparcours, Lernstraße, Lernzirkel, Übungszirkel, Unterrichtszirkel. Entscheidend ist nicht der Begriff, sondern die damit gemeinte methodische Vorgehensweise. Aus der Sicht des Autors gelungen erscheint die von Bauer (vgl. /3/, S. 59) gegebene Definition für diesen Sachverhalt: „Lernen an Stationen beschreibt jeweils das zusammengesetzte Angebot mehrerer Arbeitsaufträge (Lernstationen), das die Lernenden im Rahmen einer übergeordneten Thematik (Unterrichtseinheit oder fächerverbindende Thematik) bearbeiten und unter Umständen teilweise selbst mitgestalten.“ In diesem Beitrag wird der Begriff Lernen an Stationen als Oberbegriff gewählt, im Zusammenhang mit dem geplanten Einsatz im Unterricht, d. h., mit der anvisierten didaktischen Funktion erscheint es sinnvoll, von Motivations- oder Einführungszirkel, Übungszirkel, Kontrollzirkel etc. zu sprechen. Von einem Erarbeitungszirkel wird demgemäß 5 gesprochen, wenn die ausgearbeiteten Materialien dem weitestgehend selbstständigen Neuerwerb von Wissen und Können dienen (Abb. 1). Einsatzmöglichkeiten für das Lernen an Stationen Motivation (Einführungszirkel) Unterrichtseinheit Neuerwerb (Erarbeitungszirkel) Üben und Wiederholen (Übungszirkel) Abb. 1: Möglichkeiten der Zuordnung des Lernens an Stationen zu einer Unterrichtseinheit (nach /8/) Zur Geschichte Das Lernen an Stationen kommt ursprünglich aus dem Sportunterricht. Auch heute noch stellt das „circuit training“ oder „Kreistraining“ eine kräftezehrende Übungsform dar. Die dazwischen liegenden Pausen dienen der Entspannung und dem Wechsel zur nächsten Station. Von dieser Urform sind nicht viele Elemente bei der Übertragung auf andere Fächer übriggeblieben. Das Kreistraining im Sportunterricht hält auch heute noch an gleichen Übungszeiten für alle Schülerinnen und Schüler, einem vorgeschriebenen Gesamtablauf (meist nacheinander) und festgelegten Übungsinhalten an jeder Station fest. Dagegen wird das Lernen an Stationen heute so geplant, dass durch Pflicht- und Wahlstationen den Interessen und dem unterschiedlichen Leistungsvermögen der Lernenden Rechnung getragen wird. Die Schülerinnen und Schüler legen die Reihenfolge eigenverantwortlich fest, entscheiden sich für Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit und bestimmen insbesondere die Arbeitszeit an den einzelnen Stationen selbst. Weiterhin werden oft Möglichkeiten der 6 selbständigen Hilfesuche und Selbstkontrolle realisiert. Von der traditionellen arbeitsteiligen Gruppenarbeit unterscheidet sich das Lernen an Stationen vor allem durch die größere Entscheidungsfreiheit über die zu bearbeitenden Stationen, die individuell wählbare Arbeitszeit und die größere Selbstständigkeit bis hin zur Selbstkontrolle. Enthalten sind in dieser Form des Unterrichts aber ebenso Ansätze der Reformpädagogik von Celestin Freinet und Helen Parkhust sowohl organisatorischer Art1) als auch prinzipieller Art2). Großen Anteil an dem Aufschwung, den diese Unterrichtsform derzeit findet, hat das Studienseminar in Sindelfingen (vgl. /3/ und /9/) und auch Willy Potthoff /10/, der bereits in den fünfziger Jahren entscheidend zur fachdidaktischen Begründung beigetragen hat. Die Beliebtheit, der sich heute das Lernen an Stationen erfreut, dürfte neben der einfachen Struktur, der vielseitigen Anwendbarkeit und Übertragbarkeit auf viele Fächer vor allem in der vermittelnden Position zwischen eher offenem Unterricht und dem normalen Unterricht zu finden sein. Die verhältnismäßig enge Bindung im Bereich der Lerninhalte und Lernziele gibt den Lehrerinnen und Lehrern das Gefühl der Sicherheit, welches ihnen bei anderen Formen des offenen Unterrichts, z. B. der Freiarbeit fehlt. Das, was die Kinder im Verlauf einer Stationenarbeit lernen, ist eindeutig im Lehrplan lokalisierbar. Dies ermöglicht es auch, in bislang eher traditionell unterrichteten Klassen nahezu problemlos mit der Arbeit an Stationen zu beginnen. Auf der anderen Seite bietet das Lernen an Stationen ausreichend Variabilität bei der Wahl der Sozialformen, der methodischen Möglichkeiten und der Medien, um den unterschiedlichen Interessen und Fähigkeiten der Kinder Rechnung zu tragen. Selbstständigkeit bei der Wahl, der Ausführung und Kontrolle wird ermöglicht, ohne dass dabei die Lernenden überfordert werden (vgl. /7/, S. 9ff.). 7 Die methodische Konzeption des Lernens an Stationen Hierzu wurde bereits in /12/ ausführlich berichtet; auch der zweite Basisartikel dieses Heftes wendet sich dem Lernen an Stationen aus der Sicht der methodischen Vorgehensweise zu. Daher sollen an dieser Stelle nur wesentliche Aspekte, die das Lernen an Stationen auszeichnen, genannt werden. Die Lehrerin bzw. der Lehrer befindet sich in einer veränderten Rolle; sie organisieren das Lernen, beraten und helfen an den Stationen. Da sich die einzelnen Aufgaben an den Stationen an einem bestimmten Themenbereich des Lehrplans orientieren, arbeiten alle Schülerinnen und Schüler, obwohl sie zur selben Zeit mit unterschiedlichen Aufgaben beschäftigt sind, dennoch auf dieselben Lernziele hin. Dies gibt der Lehrerin bzw. dem Lehrer trotz der freien Entscheidung ein gutes Gefühl, sich im Rahmen des Lehrplanes zu bewegen. Das Lernen an Stationen ermöglicht sowohl individuelles Arbeiten, aber auch das Arbeiten in freiwillig gebildeten Gruppen. Die Schülerinnen und Schüler können frei vom Zeitdruck eine bestimmte, selbst gewählte Aufgabe zu Ende lösen. Dies hilft insbesondere den Leistungsschwächereren und verhindert Misserfolgserlebnisse. Oft werden gerade diese Schüler, die langsamer sind, dadurch bestraft, dass das nicht „Fertiggewordene“ in die Hausaufgaben verlagert wird. Die Stationen können selbstständig bearbeitet werden, die im traditionellen Unterricht ausgeprägte Führung des Lehrers ist zurückgenommen. Die Schülerinnen und Schüler können dadurch lernen, mit dieser Freiheit umzugehen, sich selbst Ziele zu setzen und diese selbst zu realisieren, sich selbst zu kontrollieren und auch eine weitere Aufgabe in Angriff nehmen. Das Lernen Möglichkeiten, an Stationen insbesondere ist natürlich auch handlungsorientiertes experimenteller Art, Lernen. führen zur Vielfältige intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema. Das Lernen an Stationen kann persönliche Erfolgserlebnisse vermitteln, z. B. die Freude über eine ohne Hilfe richtig oder fast richtig gelöste Aufgabe. Die verschiedenen Aufgabenstellungen an den einzelnen Stationen bzw. die Wiederholungen mit anderen Mitteln beugen der Langeweile vor und fördern die Konzentration. Wesentliche Vorteile liegen auch in der tatsächlich möglichen und in verschiedenen Ebenen realisierbaren Differenzierung (Abb. 2). Letztlich führt dies alles zu einer deutlichen Zunahme des Interesses am Fach. 8 Zahl und Umfang der Stationsinhalte im Schwierigkeitsgrad Selbsterfinden von Aufgaben, differenzierte Stellen von Fragen Arbeitsanweisungen Differenzierung wird möglich durch offene Aufgabenstellungen verschiedene Bearbeitungsmöglichkeiten individuell mögliche unterschiedliche Eingangs- Hilfe, auch durch kanäle, verschiedene Medien Selbstkontrolle freie Auswahl und Einzelarbeit, Gruppen- Zusatzmaterialien arbeit, gegenseitige Hilfe Abb. 2: Möglichkeiten der inneren Differenzierung durch das Lernen an Stationen Der Einsatz des Lernens an Stationen im Physikunterricht Fragt man nach dem didaktischen Ort des Lernens an Stationen im Physikunterricht, so ergeben sich mehrere Möglichkeiten: • Das Lernen an Stationen wird eingesetzt zur breiten Darstellung von Phänomenen. Es dient zur Einführung in ein Thema; beispielsweise kann die Einführung in die Wärmelehre im 8. Schuljahr an Stationen erfolgen, die die Temperaturmessung, die Volumenänderung der Körper und die Aggregatzustandsänderungen thematisieren. Für diese Art von Lernen an Stationen wird in der Literatur der Begriff Motivationszirkel oder Einführungszirkel verwendet (vgl. /8/). Der in diesem Heft vorgestellte Zirkel „Induktion“ 9 ist ein Beispiel hierfür. Vor der intensiven Beschäftigung mit den Grunderscheinungen und den Gesetzen der elektromagnetischen Induktion lernen die Schüler im Überblick die verschiedenen Phänomene kennen. • Das Lernen an Stationen wird anstelle der Erarbeitung im Unterrichtsgespräch eingesetzt. Dies bedeutet, die Stationen bauen logisch aufeinander auf und sind voneinander abhängig. Diese Form ist im Unterricht schwieriger zu realisieren, weil eine bestimmte Reihenfolge eingehalten werden muss und fast alle Schüler bei Station 1 beginnen müssen. Beispiele für solche „Erarbeitungszirkel“ sind der in diesem Heft vorgestellte Zirkel „Magnetismus und Elektromotor“ von Ernst Leitner und der teilweise abgedruckte Zirkel „Solar- und Windkoffer“ des Autors. • Das Lernen an Stationen wird zur Übung und Vertiefung eines Themas eingesetzt. Da diese Form des Zirkels verschiedene Aspekte und Varianten eines Themas beinhaltet, die nicht zwingend in einer bestimmten Reihenfolge abgearbeitet werden müssen und auf bekanntem Wissen aufbauen, lassen sie sich im Unterricht leichter realisieren. Die Schüler können die zu bearbeitenden Stationen frei wählen. Ein solcher Übungszirkel zum Stoffgebiet Thermodynamik wurde im Heft 48 dieser Zeitschrift ausführlich beschrieben /13/. Die Beiträge von Hans-Joachim Rill, Steffen Wünsch, und Heike Hofmann sind weitere erprobte Beispiele für diese Form des Lernens an Stationen. • Letztlich kann das Lernen an Stationen auch zur Kontrolle verwendet werden. Die Auswahl der zu bearbeitenden Aufgaben können die Schülerin und der Schüler frei bestimmen, die Zusammenarbeit mit anderen Lernenden und die Nutzung aller Hilfsmittel ist dagegen bei dieser Form nicht erlaubt. Die Autoren dieses Heftes sehen ihre Aufgabe in erster Linie darin, praktische Unterrichtsvorschläge zum Kennenlernen und Ausprobieren des Lernens an Stationen anzubieten. Gleichzeitig soll aber auch die Diskussion angeregt werden, welche Möglichkeiten das Lernen an Stationen im Zusammenwirken mit anderen Unterrichtsformen zur Entwicklung und Realisierung eines überzeugenden Unterrichtskonzepts für die Hauptschule, Realschule und das Gymnasium eröffnet. Können Kinder auf diesem Wege zu mehr Kreativität, Selbstständigkeit und Lernverantwortung erzogen werden? Ist damit der Königsweg zwischen Führen und Gehenlassen, zwischen rezeptivem und produktivem Lernen gefunden? Im Sinne dieser Fragen dienen die in dieser Zeitschrift enthaltenen Vorschläge vor allem dazu, die gegenwärtig zu beobachtende Bereitschaft vieler Lehrerinnen und Lehrer, neben den 10 traditionellen in verstärktem Maß auch offenere Unterrichtsformen zu realisieren, zu unterstützen. Neben der direkten Nachvollziehbarkeit im Unterricht, die durch den fast vollständigen Abdruck als Kopiervorlagen und durch konkrete Hinweise zu den benötigten Geräten, Arbeitsmitteln etc. ermöglicht wird, ist in den einzelnen Beiträgen aber auch der Prozess der Erarbeitung und des Einsatzes in kurzer Form beschrieben. Es wird berichtet, unter welchen Gesichtspunkten die Konzeption für die einzelnen Stationen erfolgte, wie die Kinder eingestimmt wurden, welche notwendigen sozialen Fähigkeiten und Arbeitstechniken sie erworben haben und wie das Lernen an Stationen in den „normalen“ Unterricht integriert wurde. Aber auch Schlussfolgerungen zur Weiterentwicklung des Zirkels, zum verbesserten Einsatz oder zur Variation der einzelnen Stationen sind aufgenommen worden. Damit sollen die Leser und Nutzer dieser Materialien angeregt werden, die vorgestellten Materialien entsprechend ihren konkreten Bedingungen an ihren Schulen zu variieren, weiterzuentwickeln und zur breiten Einführung dieser Unterrichtsform beizutragen. An positiven wie auch kritischen Rückmeldungen von Lesern und Nutzern sowie über Informationen zu veränderten oder neu erarbeiteten Stationen sind die Autoren und der Verlag sehr interessiert. Literatur: /1/ Miller, Reinhold: Stoffvermittlung ist nicht Lernen! In: Pädagogik 50 (1998), H. 3, S. 29. /2/ Montesorri, Maria: Kinder sind anders. - Stuttgart: Ernst Klett Verlag, 1980. /3/ Bauer, Roland: Schülergerechtes Arbeiten in der Sekundarstufe I: Lernen an Lernstationen. - Berlin: Cornelsen Scriptor, 1997. /4/ van der Gieth, Hans-Jürgen: Lernzirkel - Die neue Form des Unterrichts für alle Fächer. In: Lehrmittel aktuell 21 (1995), H. 2, S. 44 - 47. /5/ Häußler, Peter, Hoffmann, Lore: Chancengleichheit für Mädchen im Physikunterricht Ergebnisse eines erweiterten BLK-Modellversuches. In: Didaktik der Naturwissenschaften, X (1998), H. 1, S. . /6/ Berge, Otto Ernst (Hrsg.): Themenheft Offener Unterricht, Naturwissenschaften im Unterricht Physik, 4 (1993), H. 17. /7/ Hegele, Irmintraut (Hrsg.): Lernziel Stationenarbeit - Eine neue Form des offenen Unterrichts. -Weinheim und Basel: Beltz Verlag, 1996./11/ Wallaschek /8/ Thom, Wolfram: Freies Arbeiten im Physikunterricht – Reformpädagogische Impulse für das Gymnasium. Vortrag zur Lehrerfortbildung, Dillingen, 1998. 11 /9/ Wallaschek, Uta: Lernzirkel – eine Arbeitsform, die selbständiges, individuelles Arbeiten ermöglicht! In: Bernd Lehmann (Hrsg.): Kinder-Schule: Lehrer-Schule. Konkrete Beispiele und Anregungen für die Gestaltung eines kindgerechten Unterrichts, 2. Aufl. Langenau-Ulm: 1991. /10/ Potthof, Willy: Lernen und Üben mit allen Sinnen - Lernzirkel in der Sekundarstufe I, Freiburg: Reformpädagogischer Verlag Jörg Potthoff, 1996. /11/ Dietrich, Ingrid (Hrsg.): Handbuch Freinet-Pädagogik, Weinheim und Basel: Beltz Verlag, 1995. /12/ Hepp, Ralph: Lernen und Experimentieren an Lernstationen. In: Naturwissenschaften im Unterricht Physik, 7 (1996), H. 36, S. 37 -41. /13/ Hepp, Ralph: Üben im Physikunterricht mit Übungszirkeln. In: Naturwissenschaften im Unterricht Physik, 9 (1998), H. 48, S. X. /14/ Material des Staatlichen Studienseminars für das Lehramt an Regelschulen. - Erfurt, 1998. Anmerkungen: 1) Schon Celestin Freinet wählte für die unterrichteten Kinder anstelle der frontalen Sitzordnung „Arbeitsateliers“, d. h. ortsfeste Stationen mit Materialien und Arbeitsanleitungen, die zur selbstständigen, freien Arbeit zu verschiedenen Zeiten aufgesucht werden konnten. Allerdings gab es bei dieser Form des Unterrichts nicht die durchgängige Bindung an ein allen Stationen gemeinsames Thema oder Lernziel (vgl. /11/). 2) Helen Parkhust hat in Dalton sogenannte Gegenstandswinkel („subject corners“) realisiert, in denen Material für die individuelle, den eigenen Lerninteressen und – fähigkeiten entsprechende Beschäftigung ausgewählt werden konnte (vgl. /7/).