1. Einleitung Schottlands Besucher werden sich bei ihrer Reise
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1. Einleitung Schottlands Besucher werden sich bei ihrer Reise
1 1. Einleitung Schottlands Besucher werden sich bei ihrer Reise sicherlich oft darüber wundern, daß Schottland sich nicht nur landschaftlich von England unterscheidet. Unterschiedliche Geschichte und Traditionen und sogar eigene Banknoten machen Schottland zu einem erkennbar anderen Land. Doch am auffälligsten sind wahrscheinlich die Varietäten der schottischen Sprache. Als potentiellen Konversationspartner könnte man auf einen der ca. 70.000-80.000 Gälischsprechenden treffen (meist bilinguale Sprecher, die neben Gälisch auch Scottish Standard English sprechen) 1 , auf einen Broad-Scots-Verwender oder aber - dies wird aller größter Wahrscheinlichkeit nach der Fall sein - auf einen Schotten, der die oben bereits genannte Varietät, Scottish Standard English, spricht. Diese Varietäten des Schottischen, ihre soziale und regionale Verteilung und die Bereiche, die hiermit in Zusammenhang stehen, sollen in dieser Arbeit vornehmlich beleuchtet werden. 1.1. Ziele und Grenzen dieser Arbeit Nach der Vorbemerkung, in welcher geklärt werden soll, was soziale Identität überhaupt ist und inwiefern bei den Schotten auch eine nationale Identität ausgeprägt ist, sollen zunächst die problematischen Begriffe und unterschiedlichen Bezeichnungen für die Sprachvarietäten innerhalb Schottlands definiert und somit voneinander abgegrenzt werden. (Kapitel 2.) In einem linguistischen Teil wird die Frage aufgeworfen, wie sich die Sprachen unterscheiden und ob es so etwas wie ein „Standard Scots“ gibt. (Kap.3) Der historische Hintergrund soll aufzeigen, warum diese Unterschiede bestehen und wie sich diese beiden Sprachen (Scots und Standard English) geschichtlich entwickelt haben. Weiterhin bleibt zu klären, ob diese Un- 1 Zu den Definitionen siehe auch Kapitel 2 2 terschiede ausreichen, um Scots den Status einer eigenständigen Sprache zu verleihen. (Kap.4.1.) Im Kapitel über die Schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts (Kapitel 4.2.) sollen die Teilnehmer dieser Bewegung genannt und deren Ziele erläutert werden, auch im Hinblick auf politische Motivation. Damit später Parallelen zur heutigen politischen Motivation der Literaten gezogen werden können, wird diese Thematik etwas ausführlicher behandelt. Der soziale Kontext von Scots ist ebenfalls äußerst wichtig. Die Kontroverse, ob es „Good“ und „Bad“ Scots gibt, soll dargestellt und im Ansatz geklärt werden. Es wird gezeigt, wer in welcher Situation und zu wem Scots spricht, was man unter code-switching und dialect-drifting zu verstehen hat und wann diese angewendet werden. (Kap.5.1.) Da die schottische Sprache mit all ihren Dialekten auch im Zusammenhang mit Nationalismus ein zentrales Thema für die schottische Bevölk erung bildet, wird später (Kap.5.2.) dargestellt, warum Scots seinen Status nach der Union mit England nicht halten konnte, wie sich die heute aktuellen Autonomiebestrebungen auf die Sprache Schottlands auswirken und ob die politische und die sprachliche Revolution voneinander abhä ngen. Im Zuge dieser beiden Revolutionen haben sich verschiedene Organisationen gebildet, die die schottische Sprache wieder aufleben lassen wollen. Diese neuen Bestrebungen werden aufgelistet und ihre Ziele kurz erläutert. Der Gebrauch von Scots in den Medien hängt eng mit dieser Thematik zusammen. (Kap.6.1.-6.3.) Doch der Stellenwert von Scots hat sich auch in Schulen und Hochschulen verändert. Neu entwickelte Unterrichtsmaterialien, Vorschläge, wie man Schottisch auch an deutschen Schulen lehren könnte, eine Forschung zu den Einstellungen der Lehrenden, das Erarbeiten von Unterrichtsvorschlägen für schottische Schüler und Studenten und die Auswertung eines Fragebogens für Studenten, der die Einstellungen und Meinungen gegenüber Scots in Großstädten (hier: Glasgow) untersuchen und analysieren soll, finden im Kapitel 6.4. Platz. Der Verfasserin war hierbei wichtig, die verschiedensten Bereiche zu ze igen, in denen Scots heute einen neuen, besseren Stellenwert einnimmt als 3 noch vor einigen Jahren, ja vielleicht einen besseren als je zuvor. Da all diese Bestrebungen sich zu einem runden Gesamtbild vereinigen, wurde es beim Erstellen dieser Arbeit für wichtig erachtet, wirklich alle derzeitig aktuellen Bestrebungen zu streifen, damit dem Leser verdeutlicht wird, daß diese Bestrebungen keinesfalls einseitig (wie es zum Teil zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch der Fall war, und zwar auf literarischem Sektor), sondern in Fülle auszumachen sind. Eine tiefere Analyse kam schließlich dem Bereich der Erziehung zu, da hier die Meinungsbildung schon der jungen Generationen meines Erachtens am effektivsten sind, um in einer Gesellschaft einen Umbruch zu erreichen. In Kapitel 7 soll aufgezeigt werden, inwiefern eine Veränderung der Darstellungsweise und der schottischen Sprache in der Prosa zu verzeichnen ist, was man unter der modernen Glasgow novel zu verstehen hat und ferner dessen Besonderheiten und Vertreter. Die Bestrebungen im Bereich des Dramas markieren einen weiteren modernen Trend. Auf das (noch) fehlende Standard Scots wurde bereits hingewiesen. Da Scots in mehrere Dialektregionen „zerfällt“, werden diese in Kapitel 8 vorgestellt, wobei auch ein Abschnitt über Ulster Scots, die Varietät des Schottischen, die in Nordirland beheimatet ist, vorkommt. Zwei andere Minoritätensprachen in Großbritannien, nämlich schottisches Gälisch und Irisch, sollen kurz erläutert und mit Scots in Kontrast gesetzt werden. Interessant ist die Erfahrung, daß Parallelen zur Dualität, wie man sie bei Scots und Standard English zu verzeichnen hat, in ganz Europa zu finden sind. Diese werden in Kapitel 8.3. beschrieben - immer mit Sicht auf den Zusammenhang zwischen dem Status einer Sprache und den politischen Grenzen. Im letzten Kapitel soll schließlich ein Ausblick auf die Zukunft gegeben werden. Nach der Zusammenfassung der Ergebnisse der einzelnen Punkte kann man zwar auf ein breites Wissensspektrum zurückblicken, das zukünftige Überleben von Scots kann jedoch nur subjektiv und unverbindlich eingeschätzt werden. 4 Im allgemeinen muß ohnehin darauf hingewiesen werden, daß diese Arbeit nicht immer die objektive Darstellung eines Zusammenhanges und die subjektive Wertung der Folgen trennt. Dies war bei dieser Thematik extrem schwierig, da zum einen die zu dieser Problematik vorhandene Lit eratur von vornherein sehr subjektiv und einseitig geschrieben war, und zum anderen dieser Bereich so eng mit persönlichem Empfinden und Nationalbewußtsein zusammenhängt, daß es nicht leicht ist, Objektivität zu bewahren. Diese starke Meinungsäußerung fiel auch bei anderen auf, die zu diesem Thema geschrieben haben und deren Aufsätze hier in die Diskussion mit einfließen. Daher werden deren Ansichten in dieser Arbeit zum Teil stark übernommen oder aber stark kritisiert. Die Subjektivität kommt besonders im Kapitel 5.2. zum Tragen - wobei hier noch einmal nachdrücklich darauf hingewiesen werden muß, daß der Leser nicht beeinflußt werden soll, sondern ihm durch die Darstellung verschiedener (krasser) Anschauungen ermöglicht werden soll, selbst eine Meinung herauszubilden. Die Verfasserin hat in dieser Arbeit versucht, die unterschiedlichen subjektiven Meinungen in einer gewissen Balance auszugle ichen, kann sich jedoch nicht immer von einem subjektiven Anklang freisprechen. Zur Methodik ist zu sagen, daß nicht nur allgemein erhältliche Primär- und Sekundärliteratur sowie Wörterbücher und Zeitungsartikel miteinbezogen wurden, sondern auch durch engen persönlichen Kontakt, sei es durch Briefkorrespondenz oder im Gespräch, die einzelnen Autoren oder Leiter der verschiedenen Organisationen selbst befragt worden sind. Dies war ein wesentlicher Teil der Forschungsaufgabe, ohne den es nicht zu schaffen gewesen wäre, dermaßen viel Material in relativ kurzer Zeit zusammenzustellen. Ein Fragebogen (für Studierende) zu Kapitel 6.5.3. wurde im Sommer 1996 erstellt, desweiteren werden verschiedene Zusammenhänge durch Grafiken und Tabellen erlä utert. Diese Arbeit gibt einen großen Gesamtüberblick über den heutigen Forschungsstand, was die schottische Sprache betrifft. Sie konnte nur einige Punkte, wie etwa das Bildungswesen oder den sozialen und politischen 5 Kontext, näher betrachten. Natürlich könnte man diese Punkte, zu denen bis heute noch keine Veröffentlichungen existieren, noch weiter ausarbeiten. Da diese Arbeit kein diachrones Thema behandelt, wurde die historische Sprachentwicklung recht kurz gehalten. Interessant wäre auch eine eingehendere Medienanalyse, vielleicht unter der Fragestellung, in welchem Kontext wann und von wem in welcher Sendung Scots benutzt wird, und welchen Zwecken dies dienen solle. Man könnte sich die Frage stellen, ob manchmal versteckte Scottizismen2 in Fernseh- und Radiosendungen auftreten und was die Ursache hierfür ist. Ähnliches gilt für Presseartikel. Diese Analyse benötigte allerdings viel Zeit und würde einen längeren Aufenthalt in Schottland voraussetzen. Hinsichtlich der neuen Unterrichtsmaterialien könnte man ebenfalls versuchen, die Kinder hinsichtlich ihres Sprachgebrauchs zu beobachten. Die Einstellung gegenüber Scots, da es doch inzwischen sogar als „lehrwürdig“ betrachtet wird, könnte analysiert werden, sowohl bei Lehrern, als auch bei Schülern und Studenten. Es wäre wichtig zu erkennen, ob die Kinder, obwohl sie nun Scots in der Schule lernen, trotzdem noch das code-switching anwenden und in welchen Situationen. Wörterbücher können ein weiteres Forschungsfeld darstellen. Viele Wörterbücher geben mehrere Schreibweisen für ein Wort an und tragen damit natürlich nicht zur Vereinheitlichung und Standardisierung der schottischen Sprache bei, die doch so dringend benötigt wird. Man sollte auch diskutieren, ob die Wörterbücher nicht sogar einen kleinen Grammatikteil für Scots enthalten sollten, denn immerhin sind viele von ihnen ja zu dem Zweck erstellt worden, Schüler zu ermutigen, Scots als Schriftsprache zu verwenden. Moderne schottische Literatur wurde bisher gleichwohl vernachlässigt. Es gibt keine Arbeit darüber, inwiefern sich die Erzählperspektive, wie sie früher in Romanen verwendet wurde, im Gegensatz zur modernen Erzählung unterscheidet, oder welche Ziele im einzelnen die Vertreter der Glasgow novel verfolgen. Ganz knapp, daher auch lange nicht erschöpfend, wurde dies in Kapitel 7 versucht. 2 Definition Scottizismen siehe Kapitel 2. 6 Die MLA3 erfaßt 225 Aufsätze, die die schottische Sprache betreffen. 4 Über 40 % dieser Aufsätze behandeln die schottische Sprache in bezug auf Linguistik; ca. weitere 15 % beziehen sich auf das Schottische im Zusammenhang mit der Literatur. Die historische Entwicklung der Sprache wird nur in etwa 5 % der Aufsätze behandelt. Weitere Publikationen handeln von der schottischen Sprache im allgemeinen oder im Vergleich zum Gälischen, Irischen, Dänischen, oder sie analysieren einzelne Dialekte in ihrem sozialen Kontext. Vor 1980 gab es kaum Aufsätze zu diesem Thema, während die Zahl zw ischen 1980 und 1985 beträchtlich anstieg (auf 39). Der Höhepunkt der Veröffentlichungen ist zwischen 1985 und 1990 zu datieren (über 50 % aller erschienenen Arbeiten), doch auch zwischen 1990 und 1996 kann man ca. ein Viertel aller Aufsätze zählen. Die meisten Arbeiten erschienen jedoch zwischen 1983 und 1988. Aus diesen Zahlen kann man auf eine leichte Abnahme schließen. Während in dem genannten Zeitraum der 80er Jahre sehr viel zu schottischen Themen veröffentlicht wurde, geht die Zahl nunmehr zurück. Jedoch ist mit Sicherheit die Forschung in diesem Bereich nicht, wie man vermuten könnte, lahmgelegt. 5 Bald wird eine schottische Grammatik erscheinen, 6 ein Wörterbuch über schottische Architekturbegriffe, 7 eine Abhandlung über das moderne schottische Drama, 8 eine Neuauflage des Werkes Why Scots matters9 sowie eine Abhandlung über den Zusammenhang zwischen moderner schottischer Literatur und Nationalismus, 10 weitere Schulbücher 3 MLA = The Modern Language Society of America. Bibliographie der Bücher und Artikel über moderne Sprachen und Literaturen. Stichwort: Scots English. 1981-2/96 4 Allerdings sind der Verfasserin weitere unveröffentlichte, aber auch veröffentlichte Arbeiten zu diesem Thema bekannt, welche in der MLA nicht auftauchen und deren Absenz daher das Gesamtbild des bisherigen Forschungsstandes verfälschen könnte. 5 Auskunft durch verschiedene Autoren und Organisationen. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 6 Hrsg.: PURVES, D., Edinburgh, 7 Hrsg.: MACLEOD, I., Edinburgh 8 Hrsg.: LENZ, K., Köln 9 Hrsg.: McCLURE, J.D., Aberdeen 10 Hrsg.: EBENDA 7 und Unterrichtsmaterialien11 sowie ein Kurs in schottischer Linguistik und Literatur zum Selbststud ium. 12 1.2. Vorbemerkung Die schottische Sprache (Scots oder Scottish Standard English) 13 ist keine Sprache, die in ganz Schottland gesprochen wird. Gerade hier gibt es sehr viele Dialekte und Akzente, welche sozialen und regionalen Limitierungen unterliegen. Will man die schottische (soziale) Identität definieren, so muß man zunächst klären, was Identität überhaupt ist. Als „Ich-Identität“ definiert Hartfiel: 14 Ich-Identität (lat.) „Ich-Übereinstimung“, Begriff der psychoanalyt. orientierten Theorie der Persönlichkeit u. der Persönlichkeitsbildung durch Sozialisation, umschreibt ein spezif. Resultat der Vermittlung von Individuum u. Ges., d.h. der gegenläufigen Prozesse ges. Ident ifizierung des Individuums mit seinen Rollen einerseits u. der persönlichkeitsbestimmten Verortung u. Stellungnahme zur soz. Umwelt andererseits. I.-I. bewirkt, daß das Individuum zwischen seiner persönl. Identität (d.h. der Struktur seiner individuell gemachten Erfahrungen und vollzogenen Prägungen) u. seiner soz. Identität (d.h. den ihm durch Rollenerwartungen abverlangten Verhaltensstrukturen) ein Balance-Verhältnis herstellen kann in dem Sinne, daß es trotz seiner Einzigartigkeit sich nicht durch Isolierung aus der Kommunikation u. Interaktion mit anderen ausschließen läßt u. andererseits sich nicht unter die für es bereitgehaltenen soz. Erwartungen total subsumieren bzw. an diese anpassen läßt. I.-I. ist ebenso auf die verhaltensstabilisierende Wirkung der soz. Rollen angewiesen, wie umgekehrt I.-I. mit in das persönlichkeitsbestimmende Rollenverhalten eingeht als die je versch. Weise, in der die Individuen sich gegenüber den gleichen Erwartungen von „außen“ verhalten. I.-I. ermöglicht es dem Individuum, sich mit seinen soz. Rollen zu identifizieren, sich an ihnen zu engagieren, aber auch krit. Autonomie ihnen gegenüber zu entfalten (Ich-Leistungen) oder unter ihnen zu leiden. 15 11 Hrsg.: SCCC, Dundee und die Merlin Press, Perthshire Hrsg.: CARRUTHERS, G., Glasgow. 13 Vgl. Kapitel 2 14 In dieser Arbeit wird lediglich auf die Definitionen von Hartfiel und Fuchs zurückgegriffen, da andere Definitionen in Soziologielexika (sofern sie (soziale und nationale) Identität überhaupt aufgreifen) diesen so stark ähneln, daß sich eine Analyse weiterer Definitionen erübrigt. 15 HARTFIEL, G.(Hrsg.): Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart 1972, S.282 12 8 „Identität“ bedeutet für Fuchs: Identität von lat. idem, „dasselbe“, im allgemeinen und philosophischen Sinne die „Selbigkeit“ oder das Gleichbleibende von etwas (eines Dinges, einer Person, eines Satzes usw.) mit sich selbst oder etwas anderem. [...] Psychoanalytisch-sozialpsychologische Bezeichnung für das dauernde innere Sich-Selbst-Gleichsein, die Kontinuität des Selbsterlebens eines Individuums (Ich-I., auch Selbst-I.), die im wesentlichen durch die dauerhafte Übernahme bestimmter sozialer Rollen und Gruppenmitgliedschaften sowie durch die gesellschaftliche Anerkennung als jemand, der die betreffenden Rollen innehat bzw. zu der betreffenden Gruppe gehört, hergestellt wird. Nach E.H. Erikson findet der Prozeß der I.sfindung vor allem während der Pubertät und Adoleszenz statt, in der das Individuum die für sein weiteres Leben wichtigsten Rollen wählt und übernimmt. Dabei steht der Jugendliche vor der Aufgabe, seine ihm bewußten und unbewußten Anlagen, Bedürfnisse, Fähigkeiten, Identifikationen usw. und die verschiedenen, häufig konfligierenden Elemente der zu übernehmenden Rollen zu integrieren. Wenn diese Aufgabe nicht gelöst wird, kann es zu schwerwiegenden Krisen und Störungen (→Identitätsdiffusion) kommen. Im Hinblick auf die verschiedenen wichtigen Rollen und Gruppenmitgliedschaften, die die I. einer Person bestimmen, unterschiedet man verschiedene Arten oder Aspekte der I. (z.B. berufliche I., geschlechtliche I., nationale I.). 16 Als „negative Identität“ bezeichnet Fuchs „... eine Identität, die durch die Übernahme von Rollen und Vorbildern gebildet wird, welche von dem betreffenden Individuum selbst und seiner gesellschaftlichen Umwelt negativ bewertet werden.“17 „Balancierende Identität“ wird von ihm definiert als „... permanente Leistung des Individuums […], um an Interaktionsprozessen teilnehmen zu können. Diese Leistung besteht darin, daß das Individuum zwischen den Anforderungen der sozialen Umwelt und seinen eigenen Bedürfnissen eine Balance hält“18 , während „kulturelle Identität“ als „kollektive Identität von Kulturen, Gesellschaften und deren Untereinheiten“ definiert wird. Fuchs sagt hierzu weiterhin: 16 FUCHS, W. u.a.(Hrsg.): Lexikon der Soziologie. 2.Auflage. Opladen 1978, S.327 17 EBENDA, S.327 18 FUCHS-HEINRITZ, W. u.a.(Hrsg.): Lexikon zur Soziologie, 3.Auflage. Opladen 1973, 1978, 1994, S.286 9 Identitätsstiftend wirken u.a. Religion, Sprache, Dialekt, Geschlechtszugehörigkeit. Bei der in modernen Gesellschaften gegebenen Pluralität von Kulturen verschafft die k.I. Gruppierungen der „Periphere“ (Subkulturen, soziale Bewegungen, Ausländer) ein Selbstbehauptungspotential gegenüber nivellierenden Tendenzen des „Zentrums“. 19 Aus diesen Definitionen läßt sich ableiten: 1. Die soziale Identität stellt einen der beiden Bereiche dar, zwischen denen die Ich-Identität balancieren muß, um in die Gesellschaft integriert zu werden. (Der andere wäre die persönliche Identität). 2. Die Identitätsbildung findet vor allem während der Pubertät und des Heranwachsens statt, das heißt, Schule und Elternhaus stellen einen wichtigen Faktor der Sozialisation dar. 3. Werden beim Aufbau der Identität Rollen von Vorbildern überno mmen, welche von Individuum und Gesellschaft negativ bewertet werden, kommt es zum Aufbau einer negativen Identität. 4. Die kulturelle Identität, die ohne Zweifel eng mit der sozialen Ident ität zusammenhängt, umfaßt neben Religion und Geschlechtszugehörigkeit auch Sprache und Dialekt. Da Sprache und Dialekt in Schottland regional und sozial variieren, kann es zur Bildung von Subkulturen kommen. ⇒ Da in Schottland (wie in Kapitel 5.1. noch beschrieben werden wird) die schottische Sprache sozial stigmatisiert wird, somit also die Lehrer und auch Eltern (als wichtiger Faktor in der Sozialisation) ihren Kindern - bewußt oder unbewußt - beigebracht haben, daß Schottisch als minderwertig anzusehen ist, kann es bei den heranwachsenden Schotten von vornherein zu einer negativen Identitätsbildung kommen. Das würde bedeuten, die kulturelle und soziale Identität als einer der Bereiche, zwischen denen die Balance zu halten ist, wäre negativ vorbelastet und müßte durch die persönliche Identität entweder ausgeglichen werden oder könnte - im schlimmsten Falle - zu einer Identitätsdiffusion oder 19 EBENDA, S.287 10 zum Identitätsverlust führen. Der Schotte ist unsicher, was den Gebrauch seiner einerseits gelernten, andererseits verurteilten Sprache angeht. Gerade in Schottland, wo zwei Sprachen existieren, die eine aber dominiert, könnte die dominantere von vornherein als die einzig „richtige“ angesehen werden. Da aber das Schottische ebenfalls gebräuchlich und weit verbreitet ist, befindet sich der Schotte möglicherweise im Zwiespalt und muß ein Leben lang versuchen, die Balance zwischen beiden Alternativen, was die Sprache und die nationale Identifikation angeht, zu schaffen. ⇒ Weigert sich der heranwachsende Schotte, dieses negative Stigma des Schottischen in sein Selbstbild aufzunehmen, kann es zur Subkulturbildung und Abgrenzung gegenüber dem „Zentrum“ kommen. Nationalistische Bestrebungen, diese nationale Identität vielleicht überdeutlich werden zu lassen, könnten die Folge sein. Will man Schottlands nationale Identität definieren, so muß man erst einmal zwischen Schottland als Region oder als Nation unterscheiden. Hier ging in jedem Falle der Staat der Nation voraus. Allerdings kann von einer homogenen ethnischen Basis Schottlands nicht die Rede sein. 20 Vielmehr kann man von einer kulturellen Mischung aus piktischen, britischen, anglischen und natürlich schottischen Bestandteilen sprechen. Auch das Land Schottland kann nicht als einheitlich betrachtet werden, existieren doch die innerschottischen Ungleichheiten zwischen Hoch- und Tiefland sowie zwischen Ost und West. Der Südteil Schottlands wird oft als England näher stehend bezeichnet, während das Hochland in Sprache und Kultur weitaus mehr vom Kelt ischen (Gälischen) beeinflußt worden ist. „Die Nation Schottland beruht in erster Linie auf einer politisch-historischen, nicht auf einer ethnischen, linguistischen oder kulturellen Basis.“21 Schottland ist also eher als eine Nation als eine Region zu definieren, da letzteres implizieren würde, Schottland stünde mit den übrigen Regionen 20 Vgl.: KRECKEL, R. (Hrsg.): Regionalistische Bewegungen in Westeuropa. Zum Struktur- und Wertwandel im (sic) fortgeschrittenen Industriestaaten. Opladen 1986, S.94 11 Englands auf einer Stufe. Diese Implikation würde selbstverständlich von den Nationalisten entrüstet zurückgewiesen werden. Man kann „die Schotten“ von „den Engländern“ unterscheiden, was schon allein der sprichwörtliche schottische Geiz und ähnliche Attribute, die den Schotten zugeschrieben werden, bezeugen. Nairn karikiert die Schotten mit den Worten: Kurzum, während der legendäre Schotte der Touristenliteratur und der Hollywood-Fantasie ein großer, viriler Tartan-gekleideter Guerillo ist, der zum Klang der Dudelsackmusik Berge erklimmt, ist der wirkliche Durchschnittsschotte folgendermaßen zu beschreiben: Von kleinem Wuchs, bleich, zahnlos, ein bronchitischer HalbAlkoholiker, lebt er in einer unsozialen, überbelegten Sozialwo hnung irgendwo im Umkreis von 20 Meilen bei Glasgow-Green, sieht zu viel fern, ist bedroht von Arbeitslosigkeit und weiß nicht, was ihn zuerst erwischen wird: Herzschlag oder Lungenkrebs. 22 Selbst wenn man diese Aussage einmal als Satire betrachtet, muß man sich trotzdem fragen, inwiefern sich die Schotten selbst als nationale Einheit definieren, ob sie sich von England abhängig oder etwa unterdrückt fühlen und wie sie ihre vielleicht vorhandene (von einer „englischen“ oder britischen“ Identität) abweichende Identität erkennen und ausdrücken. Der Zusammenschluß mit England erfolgte nicht durch Eroberung, sondern freiwillig durch Vertrag. Die Schotten sicherten sich in den englischschottischen Vereinbarungen aus dem Jahr 1707 (Union of Parliaments)23 den Erhalt des Grundgerüsts von spezifischen schottischen Institutionen, woraus sich letztendlich auch weitestgehend die schottische Kultur ableitet. • Die Church of Scotland (Kirk) - eine kalvinistisch- presbyterianisch ausgerichtete Staatskirche, welche eine Art des Protestantismus lehrt. 21 EBENDA, S.95 NAIRN, T.: Die Schotten. In: BLASCHKE, J. (Hrsg.): Handbuch der europäischen Regionalbewegungen. Frankfurt 1980, S.275 23 Vgl.: Kapitel 4.1. 22 12 Diese ist gleichrangig mit der englischen Staatskirche Church of England. Religiöse Feindseligkeit gibt es kaum zwischen Schottland und England, sondern eher zwischen den Katholiken und den Protestanten, welche beispielsweise auch in der Rivalität der verschiedenen Fußballvereine Celtic Glasgow (katholisch) und Glasgow Rangers (protestantisch) ausgelebt werden. Beim Stichwort Fußball wäre weiterhin zu nennen • die Scottish Football Association (SFA), die seit 1863 besteht; außerdem • das schottische Rechtswesen, welches mehr an der römischen Tradition orientiert ist, wobei alle Gesetze des britischen Parlaments, welche sich auf schottische Angelegenheiten beziehen, noch einmal von einer auf der schottischen Rechtstradition beruhenden eigenständigen Version vom Unterhaus verabschiedet werden müssen; 24 • ein eigenes Bankwesen mit eigenen, neben den britischen, nur in Schottland gültigen Banknoten; • die schottische Kommunalverwaltung und -regierung (local government); • das schottische Erziehungs- und Bildungswesen; • die schottischen Regimenter, (das Scottish Office (seit 1885); die schottischen Abgeordneten in Westminster: 1707 gab es 45, heute 71); • die Massenmedien, auf die in Kapitel 6.3. noch näher eingegangen werden wird. So kommt es, daß die übergroße Mehrheit der schottischen Bevölkerung sich nicht (nur) als Brite, sondern (hauptsächlich) als Schotte definiert wobei die beiden Identifikationsmöglichkeiten sich nicht gegenseitig ausschließen. 25 Vielmehr besitzen die Schotten eine „dual nationality“26 . Sollen sich die Schotten zwischen der schottischen oder der britischen Identifikation entscheiden, wählen drei Viertel der Befragten (nach Kre24 Vgl.: STURM, R.: Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland. In: GERDES, D. u.a.(Hrsg.): Regionen und Regionalismus in Westeuropa. Stuttgart 1987, S.36 25 Vgl.: KRECKEL, R. (Hrsg.): Regionalistische Bewegungen in Westeuropa. Zum Struktur- und Wertwandel im (sic) fortgeschrittenen Industriestaaten. a.a.O., S.91f. 13 ckel) 27 die schottische. 56 % der Befragten meinten auch, daß sie mehr mit einem Schotten einer anderen sozialen Klasse gemeinsam hätten als mit einem Engländer der eigenen. Somit kann man es als eine Tatsache ansehen, daß die überwiegende Mehrheit der Einwohner Schottlands sich als Schotten identifiziert. Das Nationalbewußtsein drückt sich dadurch aus, daß man als Einzelner Angehöriger eines weiteren Ganzen, und zwar der Nation, ist. Diese Angehörigkeit hilft bei der Findung der Identität. Das nationale Bewußtsein wird im Sozialisationsprozeß gewonnen und durch gesellschaftliche, nationale Besonderheiten wie Sprache, Institutionen u.ä. noch verstärkt oder rückgekoppelt. 28 Man muß sich fragen, welche Anhaltspunkte es für das Entstehen eines Nationalbewußtseins im Sozialisationsprozeß der Schotten gibt. Jahoda 29 untersuchte die Einstellung zufällig ausgewählter Kinder im Alter von 611 Jahren an je zwei Schulen der Mittel- und Arbeiterbezirke in Glasgow, die er zu ihrer Nationalität befragte. Die meisten Befragten antworteten, daß sie sowohl Briten als auch Schotten seien. Am Zweithäufigsten trat die Kombination auf, in der der schottischen Identität eher als der britischen zugestimmt wurde. Sturm schließt aus der Untersuchung Jahodas, „daß der Sozialisationsprozeß schottischen Kindern ein doppeltes Nationalbewußtsein vermittelt.“30 Dieses solle aber nicht als ein Indiz für eine schwache schottische Loyalität, sondern gerade im Gegenteil als ein Beweismittel für eine unverändert hohe Loyalität interpretiert werden, da trotz der langjährigen Zugehörigkeit Schottlands zu England der Angle i- 26 Ausdruck übernommen von EBENDA, S.92 Vgl.: EBENDA, S.92 28 Vgl.: STURM, R.: Nationalbewußtsein und nationalistische Wahlerfolge in Schottland. In: ELKAR, R. (Hrsg.): Europas unruhige Regionen. Stuttgart 1981, S.166; desweiteren vgl.: SCHMIDT, H.D.: Nationalismus, Einige psychologische Aspekte. In: Politische Studien 21 (1970), S.308ff. und PAWELKA, P.: Politische Sozialisation (=Systematische Politikwissenschaft, Band 4). Wiesbaden 1977, S.36f. 29 Vgl.: JAHODA, G.: The Development of Children´s Ideas About Country and Nationality. In: British Journal of Educational Psychology 33 (1963), S.47-60 und National Symbols and Themes, In: EBENDA, S.143-153. Aufgegriffen von STURM, R.: Nationalbewußtsein und nationalistische Wahlerfolge in Schottland. In: ELKAR, R. (Hrsg.): Europas unruhige Regionen. Stuttgart 1981, S.166f. 30 EBENDA, S.167. Hervorhebungen übernommen. 27 14 chungsprozeß es nicht geschafft hat, das schottische Nationalbewußtsein zugunsten eines britischen zu untergraben. Der Nachweis dieses doppelten Nationalbewußtseins der Mehrheit der schottischen Bevölkerung wird auch durch die Relevanz belegt, welche die schottische Identität für die Einwohner Schottlands noch hat. Dies wird durch den Vorzug der schottischen Identität, die viele Schotten ihrer nationalen Zugehörigkeit im Vergleich mit der gesamtbritischen einräumen, unterstrichen. 31 Diese schottische Identität ist jedoch nicht nur ein bloßes Abstraktum für die schottischen Bürger, sondern muß als sehr real betrachtet werden. Daher mußte es weder von der SNP (Scottish National Party)32 „erfunden“, noch aus der Erinnerung an die Geschichte rekonstruiert werden, sondern lieferte mitunter auch den Grund für noch heute fortbestehende Autonomiebestrebungen in Schottland. 33 2. Definitionen Man kann zunächst sagen, daß in Schottland vier Sprachen gesprochen werden: 1. Gälisch: in den nordwestlichen und äußeren Hebriden, man zählt heute noch 70.000 Leute, die der gälischen Sprache mächtig sind (siehe auch Kapitel 8.2.1.). 31 32 33 Vgl.: EBENDA, S.176 Weitere Ausführungen zur SNP siehe Kapitel 4.2. und 5.2. Vgl. Kapitel 5.2. 15 2. Scots/Broad Scots, Scots/Doric: spiegelt die alte nationale Sprache wieder, ist aber doch eng verwandt mit Standard English. Es gibt viele Varietäten. 3. (Educated) Scottish Standard English: Grammar und Syntax erinnern an südliches (Standard) Englisch, aber es gibt einige Besonderheiten sowie vor allem eine charakteristische Aussprache und Unterschiede im Vokabular sowie den Idiomen. 4. Standard English: (in reiner Form) ziemlich selten, außer in den Medien. →Allerdings sprechen die meisten Leute eine Mischsprache aus allen vier Varianten oder zumindest den Varianten 2-4; und es gibt auch regionale und soziale Varietäten. Man kann weiterhin festhalten, daß es in der gesprochenen wie auch in der geschriebenen Sprache in Schottland zwei Pole gibt: die Varietäten des Standard English mit Received Pronunciation auf der einen Seite, nichtstandardisierte schottische Dialekte auf der anderen und verschiedene Ausprägungen, Grade und Akzente zwischen diesen beiden Polen. Während Gälisch und Englisch ganz offensichtlich zwei unterschiedliche und voneinander abgrenzbare Sprachen sind, sind Englisch und Scots so nah miteinander verwandt, daß wir kein klares Konzept davon haben, was Scots eigentlich ist. Viele glauben daher, daß es lediglich eine Variante des Englischen ist - ein Dialekt. Wo soll also die Grenze gezogen werden zwischen dem, was man Schottisches Englisch nennt und Scots ? Das Problem ist, wie oben bereits angedeutet, daß die schottische Bevölkerung heutzutage bilingual aufwächst. Das bedeutet, sie hat nicht die bewußte Wahl, entweder Schottisches Englisch oder ihren lokalen Dialekt zu sprechen, sondern immer eine gewisse Mischform aus beidem: eine mehr oder weniger anglisierte Form ihres lokalen Dialektes, abhängig von Kontext, Sprechpartner und dessen Herkunft und Schulbildung. In bezug auf die schottische Sprache gibt es viele Begriffe, die den Leser verwirren könnten, eben weil sie von vielen Autoren nicht klar genug vo neinander abgegrenzt werden oder, aus den bereits genannten Gründen, 16 werden können. Daher ist es notwendig, zunächst die Begriffe zu definieren und auch klarzustellen, inwieweit sie sich voneinander abgrenzen oder zum Teil sogar synonym verwendet werden. Scotch, Scots: Die ältere Generation nennt die Sprache noch immer „scotch“ (wie in dem Sprichwort: „speak Scotch or whistle“). Die heutige Generation der schottischen Mittelklasse zieht den Begriff „Scots“ (Altschottisch: „Scottis“, als Abgrenzung zu „Inglis“, wie es in England gesprochen wurde) 34 vor, obwohl der Ausdruck „Scotch“ immer noch in geläufigen Phrasen wie Scotch mist und Scotch salmon vorkommt. Im „Mainstream Companion to Scottish Literature“35 wird der Begriff Scots wie folgt definiert: The historic speech of Lowland Scottish (also known as LALLANS), derived pricipally from the northern dialect of AngloSaxon. […] The coming of the modern means of communication in the 20th century was a fourth blow and by the 1950s Scots had become little more than a series of local dialects, each under constant threat from the uniformity imposed by a national use of standard English. Nevertheless, it survives still as a literary language. Scots ist heute ein allumfassender Terminus, welcher jeden Aspekt der Sprache meint: die Sprache der mittelalterlichen Makars und des schottischen Hofes, das literarische Scots, welches sich auch nach 1707 noch weiterentwickelte und alle überlebenden Dialekte des Schottischen, wie z.B. die Dialekte von Buchan, Borders, Caithness, Shetland und andere. Heute wird Scots mit vielen emotional beladenen Begriffen bezeichnet, die äußerst positiv und auch äußerst negativ klingen können: the guid Scots 34 Früher gab es die Abgrenzung „Scottis“, womit das schottische Gälisch gemeint war, im Gegensatz zu „Inglis“, womit zunächst Scots und Englisch gemeint war. Erst seit dem Jahre 1494 gab es „Scottis“ als nationales Adjektiv, welches für Scots gebraucht wurde. Bis zum Ende meinte „Scottis“ also noch das Gälische, welches später „Erse“ genannt wurde. 17 tongue, a slovenly debased dialect, corrupt English, and unintelligible dialect of English, coarse slang, a language that never existed...36 all diese Äußerungen sollen nur ein und dasselbe ausdrücken, nämlich eine von Englisch eigenständige Sprache, welche die meisten Kinder in ihren Familien als ihre erste Muttersprache lernen. Braid Scots/Broad Scots: Dieser Begriff bezieht sich auf den Reichtum oder die Dichte der Sprache. Er wird meist dann benutzt, wenn ein Sprechpartner Scots mit allen schottischen Wörtern, die ihm zur Verfügung stehen, benutzt, also in seinem traditionellen Dialekt spricht, ohne darauf zu achten, englisch klingen zu wollen. Der lokale Dialekt wird auch oft als the vernacular (deutsch: die Landessprache) bezeic hnet. Lawlands, Lallans : Dies sind schottische Formen für „Lowlands“ und „Lawlands“ (die Schreibweise für Zentralschottland) oder Lallans (die nördliche und südliche Form) und beziehen sich auf die Sprache des Tieflandes (Lowlands), kontrastiert mit der früheren Sprache des Hochlandes und der westlichen Inseln, nämlich Gälisch. Der Begriff wurde von Burns aufgegriffen und später von den Schriftstellern der Schottischen Renaissance verwendet. Man kann sagen, daß mit diesem Begriff nicht die Sprache in ihrer Gesamtheit gemeint ist, sondern nur eine spezifische Varietät von ihr. Manchmal wird synonym für Lallans auch aggrandised Scots oder literary Scots gesagt, welches sich dann jeweils auch auf die literarische Sprache bezieht. Synthetic Scots, Plastic Scots: 35 Vgl.: ROYLE, T.: The Mainstream Companion to Scottish Literature. Edinburgh und London 1993, S.268f. 36 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. Edinburgh 1986. Erweiterte und geänderte Auflage Ayrshire 1993, S.17 18 Dieser Term wurde von Praktikern wie Hugh MacDiarmid verwendet. 37 Der eigentliche Sinn von synthetic und plastic meinte damals nicht die künstlich von der organischen Chemie entwickelten Substanzen, sondern das Zusammenfügen verschiedener Teile zu einer neuen Einheit. Da damals die technologische Entwicklung und der Fortschritt noch positiver gesehen wurde als heute, kann man nicht behaupten, daß der Begriff von vornherein eine negative Konnotation gehabt hat. Nach Bähr 38 ist synthetic Scots allerdings „der gescheiterte Versuch nationalistischer schottischer Kreise, das schottische Englisch durch eine aus den schottischen Dialekten künstlich geschaffene Schriftsprache zu ersetzen.“ Nun, ob dieser Versuch tatsächlich gescheitert ist oder vielleicht doch seinen nicht zu verachtenden Beitrag geleistet hat, bedarf wohl noch weiterer Diskussion, welche in Kapitel 4.2. folgen wird. The Doric: Dieser Begriff wurde oft von MacDiarmid und anderen benutzt, um die ländlichen Dialekte zu beschreiben. Diejenigen Schriftsteller, die versuchten, die traditionellen Dialekte im Gegensatz zu Lallans (hier: Lallans im Sinne einer standardisierten literarischen Varietät) aufrechtzuerhalten, benutzten diesen Begriff vo rnehmlich positiv. Da der Nordosten Schottlands seine eigene literarische Tradition hat und, trotz seiner lokalen Besonderheiten, das Schottische in dieser Region als besonders dicht und besser erhalten als in anderen Regionen angesehen wird, steht der Begriff Doric heute fast schon synonym für diesen nordöstlichen Dialekt. Ideal Scots: 37 Vgl. Kapitel 4.2. Vgl.: BÄHR, D.: Standard English und seine geographischen Varianten. München 1974, S.127 38 19 Nach A.J. Aitken39 soll Ideal Scots, wie der Name schon sagt, die ideale Variante von Scots sein: voll ausgeprägt, ein großes Repertoire an Scottizismen40 enthaltend und auch nur diese benutzend, unbeachtet der konkurrierenden Sprache Standard English und dessen Optionen. Sie soll homogen und rein sein - für die besten Sprecher und Schreiber. Natürlich ist diese vollkommen idealisierte Form im tatsächlichen Sprachgebrauch nicht zu finden, sie ist imaginär und existiert nur in der Vorstellung ihrer Befürworter, welche bemerkenswerterweise selbst Sprecher des ESSE (=Educated Scottish Standard English, siehe unten) sind. Ansonsten wird diese Sprechweise nicht einmal von den „broad speakers“, die mehr Scottizismen benutzen als die anglisierten Schotten, eingehalten. Actual Scots: Dieser Begriff wurde ebenfalls von Aitken41 eingeführt. Im Gegensatz zu Ideal Scots ist dies aber die Sprache, die tatsächlich im geläufigen Sprachgebrauch vorhanden ist. Sie enthält weniger Scottizismen und ist anglisierter. Man kann sie weiter unterteilen in „good“ und „bad“ Scots (siehe Kapitel 5.1.), wobei jenes sich für gewöhnlich auf die älteren, ländlichen Gegenden und dieses auf die städtischen, z.B. Glaswegian, bezieht. Murison42 bezeichnet Actual Scots auch als Modern Scots. Er macht mitunter darauf aufmerksam, daß Modern Scots unter starkem Druck von seiten des Standard English steht und durch den permanenten Kontakt mit Standard English (vor allem in den Medien, in der Schule etc.) in der Gefahr schwebt, seine historischen Formen und Struktur zugunsten dieser 39 Vgl.: AITKEN,A.J.: Scots and English in Scotland. In: TRUDGILL, P. (Hrsg.): Language in the British Isles. Cambridge 1984, S.522 40 Scottizismen, (=engl.: scotticism): jede schottische Besonderheit (z.B. im Vokabular, in der Grammatik oder in der Aussprache), die in Scottish Standard English (=SSE, siehe unten) vorhanden ist, und die sich im Verhältnis zu anderen Varietäten des Standard English definiert, da sie vom Standard abweicht. Scottizismen, die vom Sprecher bewußt verwendet werden und auch als solche erkannt werden, nennt man overt scotticism, andere, die nicht als solche erkannt werden, covert scotticism. 41 Vgl.: AITKEN,A.J.: Scots and English in Scotland. in: TRUDGILL, P. (Hrsg.): Language in the British Isles. a.a.O., S.522ff. 42 Vgl.: MURISON, D.: The Guid Scots Tongue. Edinburgh 1977 20 Standardsprache aufzugeben. Eine systematische Grammatik ist demnach kaum noch konsistent vorhanden und ihre Existenz wird von vielen ohnehin ignoriert. 43 Akzent, im Gegensatz zu Dialekt: Linguisten unterscheiden oft ganz klar zwischen Akzent und Dialekt: Während der Akzent sich auf die Aussprache bezieht, und verschiedene Akzente somit besagen, daß Wörter unterschiedlich ausgesprochen werden, bezieht sich Dialekt auf Vokabular, Idiome und Grammatik. Viele, die sich mit dem Schottischen im speziellen auseinandersetzen, beziehen allerdings die Wortform in die Definition von Dialekt mit ein, obwohl sie natürlich in den Bereich der Aussprache gehört. Der Grund hierfür ist der, daß es zwar nur geringe und relativ unwichtige Unterschiede in den Wortformen zwischen den Varietäten innerhalb von Standard English (wie auch Scottish Standard English) gibt, aber beträchtliche Unterschiede zwischen traditionellen Dialekten und jedem Typus von Standard English vorhanden sind. RP (Received Pronunciation): Akzent Südenglands, wird nicht assoziiert mit der Arbeiterklasse, sondern vielmehr mit den public schools in Großbritannien. Dieser Akzent wurde früher so stark von der BBC favorisiert, daß er jedem anderen vorgezogen wurde und fast schon zum Ausschluß anderer Akzente führte. Die Aussprache von Standard English wird oft mit RP gleichgesetzt. Standard English (StE): Der Begriff Englisch allein ist zweideutig44 , da es sich manchmal auf die ganze Gruppe englischer Varietäten bezieht, die von Altenglisch abstam43 Weitere Ausführungen hierzu in Kapitel 3.3. und 3.6. Viele verwenden auch den Begriff British English, wenn sie sich im Grunde auf Standard English beziehen. Dieser Begriff ist aber ebenso mißverständlich, weil es so etwas wie British English nicht gibt. Es gibt nämlich keine Form, 44 21 men, inklusive dem auf Londoner Akzent basierenden Standard (=RP), Scots und anderen traditionellen Dialekten, dann wiederum auf die erstgenannte Varietät (RP) im Gegensatz zu Scots. Diese Begriffsunklarkeit zeigt die Tendenz, den Standard mit der Sprache selbst gleichzusetzen. Um Ambiguität zu vermeiden, wird in dieser Arbeit der Begriff „Standard English“ (StE) anstelle von Englisch gebraucht (wenn der Standard mit Scots in Kontrast gesetzt werden soll). Der Ausdruck Standard English tauchte im Jahre 1836 zum ersten Mal auf. Scottish Standard English (SSE): Der regionale Standard des Englischen. Eine Varietät von Standard English mit einigen lokalen Besonderheiten, hauptsächlich in der Aussprache (Akzent). Verallgemeinert gesagt: SSE ist Standard English mit schottischem Akzent. World Standard English: Der Begriff World Standard English meint im Grunde Englisch in allen seinen Varianten, überall und mit allen Leuten, die es in der Vergange nheit und auch heute benutzen. Es umfaßt das englische Standard English, welches sich von den Standards in - beispielsweise - Schottland und Wales unterscheidet, und ein britisches Standard English, welches alle Varietäten innerhalb Großbritanniens umfaßt. Nach Aitken teilt sich der Begriff World Standard English wie folgt auf: World Standard English umfaßt unter anderem Standard English (StE), welches wiederum unter anderem Scottish Standard English umfaßt. SSE seinerseits besteht aus mehreren Varianten, die Aitken detaillierter darstellt 45 . Darunter ist auch ESSE. die in allen Teilen Großbritanniens üblich wäre, die also alle Regionen in Großbritannien teilen würden, die es aber außerhalb Großbritanniens nicht gäbe. 22 ESSE (Educated Scottish Standard English): Mit diesem Ausdruck wird die Variante des SSE bezeichnet, die den konservativsten, vollsten und sozial am weitesten verbreiteten Akzent besitzt, wobei jede lokale Version einige, wenn auch nicht alle, Eigenheiten des lokalen Dialektes teilt. Die Sprecher des ESSE haben allerdings ihre Aussprache sehr stark dem RP angepaßt, da sie meistens auf einer englischen „private“ oder „boarding school“ (Internat) erzogen wurden, wo sehr viel Wert auf die Übernahme des RP Akzents gelegt wurde. Daher kann man sagen, daß die Schotten mit höherer Schulbildung am ehesten ESSE sprechen, während er bei den Angehörigen der Arbeiterklasse fast nicht vorhanden ist. Hochlandenglisch: Hochlandenglisch finden wir in Westschottland, als Ergebnis des gälischenglischen Sprachwechsels. Es ist diejenige geographische Variante des StE, welche westlich der Celtic Border (siehe unten) aus der Ablösung der gälischen Sprache durch das Englische entstand und nicht aus der Ablösung des Gälischen durch die verschiedenen schottischen Dialekte, wie es im Tiefland der Fall war. Die Grenzlinie, die zwischen den schottischen Dialekten und dem Hochlandenglischen verläuft, nennt man auch die Hochlandlinie (=Highland Line, Celtic Border). Schließlich stellt sich die Frage, ob Scots denn nun, rein von diesen Definitionen abgeleitet, ein Dialekt des Englischen oder eine eigene Sprache ist. Sagt man, es sei ein Dialekt, so führt dies wieder einmal zu Mißverständnissen, denn das würde glauben machen, daß Scots eine vom modernen Englisch abgeleitete Varietät ist. Dies ist aber keineswegs der Fall. Es ist vielmehr so, daß Scots und Englisch, weil sie einen ähnlichen Ursprung haben, verwandte Sprachen sind und daß der ständige Kontakt mit dem Englischen und sein massiver Einfluß auf das Schottische viele der 45 Vgl.: AITKEN, A.J.: Scots and English in Scotland. In: TRUDGILL, P. (Hrsg.): Language in the British Isles. a.a.O., S.517-532 23 eigenständigen Merkmale verlieren ließ und immer noch dazu beiträgt, das Schottische im Sinne des Englischen zu verändern. 46 Es existieren heute dermaßen viele Mischformen, daß man nicht klar abgrenzen kann, ob eine Varietät, die ein Schotte spricht, noch Scots ist oder schon eine „etwas schottischere“ Form des Standard English. Somit ergeben sich hier ganz klare Schwierigkeiten in der Definitionsbegründung. Meines Erachtens kann allein schon durch die eigenständige Entwicklung von Scots vor der Union mit England Scots immer noch als Sprache angesehen werden. Dies wird später noch näher erläutert und begründet werden. 3. Linguistische Merkmale des Schottischen Da es das Ziel dieser Arbeit ist, darzulegen, daß Scots eine von Standard English abzugrenzende und eigenständige Sprache ist, wird zunächst aufgezeigt werden, inwiefern sich diese beiden Sprachen unterscheiden. Zunächst wird auf die Vokale und Konsonanten eingegangen werden, später auf Grammatik / Syntax und Relativpronomina und schließlich werden auch die Unterschiede im Vokabular beha ndelt. 3.1. Vokale 46 Diese Beeinflussung des Schottischen durch das Englische wird im Folgenden als Anglisierung (= „Ver-englischung“) bezeichnet werden. Anglisierung meint den Prozeß, durch den Scots, wie es im Tiefland gesprochen wurde, an Standard English - zunächst in der schriftlichen, später auch in der gesprochenen Form - angeglichen wurde, so daß die heutige Situation entstehen konnte: Scots und SSE als zwei Pole eines sprachlichen Kontinuums. Dieser Begriff wird von Historikern auch in dem Kontext verwendet, der sich auf die angelsächsischen Einflüsse auf das Gälische bezieht und demzufolge nicht die Anglisierung von Scots, sondern von der gälischen Sprache und Kultur meint. 24 Das System der Vokale in der Schottischen Sprache zeigt interessante Unterschiede zu dem des RP. Abercrombie beschreibt das sogenannte „Basic Scottish Vowel System “, welches aus dreizehn Vokalen besteht, mithilfe zweier Tabellen, in denen er das schottische Englisch mit der Aussprache des RP, welches 21 Vokale enthält, kontrastiert. Die beiden Tabellen (Abb.1 und 2) 47 verdeutlichen unter anderem, was unter der „Scottish Vowel Length Rule“ (SVLR) nach Aitken zu verstehen ist. (Später von anderen Fachleuten als „Aitken´s Law“ bezeichnet.): Abb. 1 bead bid bay bed (never bad balm not nought no pull pool 47 Scotland England 1i 2ι 3e 4ε 4.1. ε) 5a 5a 8 8 9ο 11u 11u 1i 2ι 3eι 4ε 4ε 5a 6α 7 8 9οω 10ω 11u Tabellen entnommen aus ABERCROMBIE, D.: The Accents of Standard English in Scotland. In: AITKEN, A.J./McARTHUR, T. (Hrsg.): Languages of Scotland. Edinburgh 1979, S.72 und 79 25 bud side sighed now boy 12Λ 13Λi 14ae 12Λ 14ai 14ai 15Λu 16 e 15aω 16 ι Scotland England 2ι 12Λ 4ε 4.1. ε) 1i 3e 5a 8 9ο 11u 17 17 17 17 18ι 19ε 6α 20 20 21ω Abb.2 first word heard (herd here fair hard forty four poor Alle Varietäten der schottischen Sprache, von dem „breitesten lokalen Dialect“ (vernacular) bis zur „Sprache der gebildeten Schotten“ (ESSE), verfahren bis zu einer gewissen Ausprägung nach dieser Regel. In phonetischer Hinsicht haben alle Varianten des Englischen drei Typen von Vokalen: kurze (sit, sat), lange (boot, bought), und Diphthongs (bite, boy). Der entscheidende Unterschied zwischen der schottischen Aussprache der Vokale und der des RP besteht nun darin, daß die Länge der Vokale im Schottischen auf unterschiedliche Weise realisiert wird. Es gibt hier zwei Varianten: in „langer“ Umgebung (wenn beispielsweise ein stimmhafter Reibelaut folgt, vor /r, v, ð/ und /z/ und vor Morphe mgrenzen, die alle entweder in Schlußposition stehen oder von einem Konsonanten gefolgt werden, der ein zweites Morphem verbindet) sind die Vokale lang. Daher findet man in kurzer Umgebung: [lif] leaf, [bit] beat, [fil] feel, [fild] field und [grid] greed; und in langer: [li:v] leave, [di:r] dear, [Λ’ gri:] agree, [Λ’gri:d] und [Λ’ gri# d/] agreed. 26 Das Schottische unterscheidet (nach der SVLR) nicht - im Gegensatz zu RP - zwischen den Vokalen der Wörter pull und pool; somit reimen sich hier die Paare pull/pool, boot/foot und good/food. Allerdings unterscheidet die schottische Sprache drei verschiedene Vokalqualitäten in word/heard/bird [Λ]/[ε]/[ι], so daß diese drei Wörter sich im Schottischen (im Gegensatz zu Standard English) nicht reimen. SSE hat einen zusätzlichen Vokal /ε / (z.B. in never und einigen anderen Wörtern). 48 Scots und SSE sind rhotisch und daher wird das /r/ in jedem Falle betont. Somit enthält die schottische Sprache zahlreiche Vokaldistinktionen, welche wir in Standard English nicht finden. Eine der subtileren Unterschiede in den Vokallängen ist die Realisierung des Diphthongs /Λu/(Schottland) bzw. /aω/ (RP) in how. (Siehe Tabelle, Vokal Nr. 15). Die Schotten verkürzen den ersten Laut und sprechen den zweiten lang. Dieser Diphthong ist der einzige, der einer doppelten Veränderung unterliegt, während die anderen fünf nur ein Element verändern. Sagen die Schotten zum Beispiel oil, wird der lange, zweite Laut gesprochen, während der erste verkürzt wird. Auch in dem Wort wine können wir diese Verkürzung des ersten Lautes hören. Der Diphthong in dem Wort wait wird im Schottischen ebenfalls verändert: der letzte Laut wird reduziert. Extremer ist es noch mit dem Diphthong in know: der zweite Laut geht gänzlich verloren, nur /o/ wird ausgesprochen. Neben diesen charakteristischen Veränderungen gibt es auch charakteristische Vokalsubstitute. /u/ ist einer davon, da es zwei unterschiedliche Vokallaute ersetzt. /o/ ersetzt /a/, so daß das Wort mask wie mosque klingt. 49 Der andere Vokal, der ersetzt wird, ist /e/ in dem Wort themselves, welcher zu /i/ wird. 48 Die Klammern in der Tabelle weisen darauf hin, daß nicht alle Schotten diesen Vokal in ihrem Sprachsystem haben. Dieser zusätzliche Vokal wird manchmal auch als „Aitken´s Vowel“ bezeichnet, weil es A.J. Aitken war, der im Jahre 1949 auf ihn hingewiesen hat - niemandem sonst war er bisher aufgefallen oder hatte ihn entsprechend gewürdigt. Er kommt fast ausschließlich in Westschottland vor, und zwar nur in betonten Silben. 49 Beispiel entnommen aus MOLIN, D.H.: Actor´s Encyclopedia of Dialects. New York 1984. S.143f. 27 Abgesehen vom schottischen Englisch gibt es auch diejenigen Varianten, die mit Akzenten gesprochen werden, welche stärker an Scots angelehnt sind. In diesen werden einige Vokalphoneme verändert, z.B. in Wörtern wie home, bone, stone und no : in „gebildeter Sprache“ werden diese Vokale wie /o/ ausgesprochen, in vielen regionalen schottischen Akzenten aber /e/. Bei house, mouse und louse wird der Diphthong oft wie /u/ ausgesprochen (statt /au/). 3.2. Konsonanten Was die Konsonanten angeht, so gibt es nicht allzu viele Unterschiede zwischen der schottischen Variante und RP. Allerdings gibt es einen zusätzlichen Konsonanten im schottischen System: In allen schottischen Dialekten, solange sie nicht zu sehr anglisiert worden sind, taucht der velare oder uvulare Reibelaut, welchen wir /x/ nennen, in Worten und vor allem Ortsbezeichnungen keltischen Ursprungs auf. Als Beispiele hierfür wären zu nennen: loch, clachan und andere Wörter wie driech (=dreary) oder pech (=pant), bricht und nicht. Der Konsonant /x/ steht nie am Anfang eines Wortes. Fast alle Dialekte des Englischen lassen /h/, wenn es unbetont ist, gänzlich wegfallen, doch dies ist in Schottland - ebenso wie in den Vereinigten Staaten und in Irland - nicht der Fall. Die charakteristischste der Konsonantsubstitute ist die schottische Aussprache beispielsweise von /t/ in wrote: der „glottal stop“, 50 welcher dadurch entsteht, daß die Luft im Kehlkopf quasi abgeschnitten wird. Die Schotten verengen aber nicht nur den Kehlkopf, sie schließen ihn gänzlich. Früher nur in der Region von Glasgow zu finden, ist der „glottal stop“ heute weit verbreitet, zumindest schon bis Wick, und nur die älteren und konservativen Sprecher vermeiden ihn bewußt. Dieses Phänomen, vor 50 Deutsche Bezeichnungen für den „glottal stop“: Glottisverschluß, Kehlkopfverschluß, Knacklaut. Definition nach ABRAHAM, W.: Terminologie zur neueren Linguistik. Tübingen 1974: „Plötzliche (explosive) Öffnung der Stimmritze ohne Artikulation eines Vokals oder Konsonanten. Im Deutschen ohne orthographische Widergabe, jedoch phonetisch relevant zur Trennung von nichtdiphthongischem Vokalzusammentritt. (Markierung des Silbenanfangs). Phonetisches Zeichen: [?]. 28 allem in der intervokalischen Position, ist stark stigmatisiert und wird als umgangssprachlich und zum Teil sogar als vulgär angesehen. Der „glottal stop“ kommt nicht am Wortanfang vor, sondern nur in der Mitte eines Wortes, wenn dadurch ein doppeltes „t“ ersetzt wird (written) oder ein „t“, welches einem „r“ folgt und einem Vokal vorangestellt ist (thirty). Er ersetzt nur ein finales „t“ nach einem Vokal oder einem „r“ (short). Auch im Deutschen kennen wir dieses Phänomen. Vor allem das doppelte „t“ in der Wortmitte wird hierdurch oft in der Umgangssprache ersetzt (z.B.: Platten, Schotten, Motten, Mittel etc.). Auffällig im Schottischen ist außerdem , daß das Wort not, wenn es in der englischen Sprache zu n’t verkürzt wird, von der schottischsprechenden Bevölkerung [ni] ausgesprochen wird. Wenn ein Verb auf „d“ endet, wird es oft auch als [ni] ausgesprochen. Die ältere Aussprache der Wörter, die mit wh beginnen, nämlich /hw/ anstelle von /w/ (in RP) ist auch häufig zu bemerken. Somit behält der Schotte hier den lautlichen Unterschied zwischen Wörtern wie whet und wet, what und watt und whey und way bei. 3.3. Grammatik und Syntax In der Tat existieren schottische Charakteristika hinsichtlich der Grammatik und Syntax - wie beispielsweise eine unterschiedliche Art der Verne inung oder aber die Vermeidung der Verben shall und may und stattdessen der Ersatzgebrauch von will und can - , die im folgenden Kapitel näher erläutert werden sollen. J. Miller und K. Brown51 untersuchten Tonbandaufnahmen spontaner Konversation zwischen Schülern in Südedinburgh und East Lothian und haben interessante Entdeckungen hinsichtlich des Gebrauchs von Modalverben und Negativkonstruktionen, Relativsätzen und Interrogativsätzen gemacht. 29 Da das schottische und das englische Schulsystem nicht identisch aufgebaut sind, muß man sich bewußt darüber sein, daß die meisten schottischen Schulkinder auf „comprehensive state schools“ gehen, von denen manche auf eine lange Tradition der Vorbereitung auf die Universitäten zurückblicken. Diese staatlichen Schulen befinden sich meist in großen Städten und werden zum größten Teil von Kindern der Arbeiterklasse 52 besucht. Wie schon in Kapitel 2. erwähnt, sprechen die meisten Kinder der Arbeiterklasse nicht ESSE, sondern Broad Scots, wenn sie sich in informellen Situationen, wie es bei diesen Aufnahmen der Fall war, befinden. Auch in ihren schriftlichen Arbeiten benutzen Kinder dieser Klasse, die nicht übermäßig sprachbegabt sind, häufig diese Varietät, da es sozusagen ihre erste Sprache ist, mit der sie aufgewachsen sind, während StE erst von ihnen erlernt werden mußte. Und doch gab es bei diesem Experiment auch Kinder, deren Basissprache dem StE in ihrer Schriftform sehr nahe kam (hinsichtlich Syntax und Morphologie), beispielsweise Kinder englischer Eltern. Wie oben bereits angeführt, gibt es in Vokalsystem des SSE systemische Unterschiede zu Broad Scots und dem RP System. SSE ist näher verwandt mit dem standardisierten, geschriebenen Englisch, was Morphologie betrifft, doch schließt es ebenso auch Syntax von Broad Scots mit ein. Ein weiterer wichtiger Punkt könnte der sein, daß die akademisch „begabteren“ Kinder, welche in ihrer Umgangssprache Broad Scots sprechen, trotzdem imstande sind, sich, wenn es die Situation erfordert, erfolgreicher der Merkmale des SSE zu bedienen als die weniger begabten. Broad Scots besitzt eine große Anzahl morphologischer Formen und syntaktischer Konstruktionen, welche wir in StE nicht finden - weder in der geschriebenen noch in der gesprochenen Form. 51 Vgl. MILLER, J./BROWN, K.: Aspects of Scottish English Syntax. In: English World-Wide 3/82, S.13-19 52 Definition des Begriffs „Arbeiterklasse“ nach FUCHS,W. u.a.: Lexikon der Soziologie. 2. Auflage. Opladen 1978, S.57f.: „Arbeiterklasse, Proletariat, working class, frz. classe ouvrière, die Gesamtheit der Lohnabhängigen, die wegen ihres Nichtbesitzes an Produktionsmitteln ihre Arbeitskraft zum Zwecke ihrer materiellen Reproduktion verkaufen […] Hauptklasse der kapitalistischen Gesellschaft […], wichtigste Produktivkraft; sie ist, bei allen Strukmüssen. turveränderungen, die stärkste Klasse....“ 30 Die beiden oben genannten Autoren untersuchten neben den staatlichen auch noch die privaten Schulen, wobei sich später herausstellte, daß diese beiden Untersuchungen erhebliche Unterschiede aufwiesen, was wohl auf den unterschiedlichen sozialen Hintergrund (Elternhaus, Freundeskreis, aber wohl auch auf die Sprache der Lehrer) zurückzuführen ist. Broad Scots und SSE haben ein vollkommen unterschiedliches System der Modalverben, wenn man dies einmal mit dem Typus des StE vergleicht. Die Schüler der staatlichen Schulen benutzten nie shall, und selbst die Schüler der Privatschule benutzten shall nur insgesamt viermal in den aufgezeic hneten Konversationen. Sie kannten keinen Unterschied zwischen shall und will, oder sie erfanden selbst Unterschiede. Somit kann man schließen, daß shall ein Kennzeichen für geschriebenes Englisch ist. In freier Sprache vermieden fast alle Sprechpartner den Gebrauch von shall und ought. Sie benutzten nur das epistemische 53 must. Desweiteren fiel auf, daß bei den wenigen Malen, bei denen shall Verwendung fand, es aber keinesfalls in Verbindung mit der ersten Person benutzt wurde. Dies läßt den Verdacht aufkommen, daß shall nicht im System der Modalverben ist - weder in dem des SSE, noch in dem des Broad Scots. Es waren meistens die weiblichen Befragten aus Edinburgh, die shall verwendeten, während es am wenigsten verwendet wurde von den Männern, die außerhalb Edinburghs lebten. Hieraus könnte man die Schlußfolgerung ziehen, daß die weiblichen Befragten aus Edinburgh diejenigen waren, die sich im höchsten Maße sprachbewußt zeigten. Auch may wird vom System des Broad Scots weitestgehend ausgeschlossen. Im informellen SSE wird es auch sehr selten benutzt. Maybe, eine Möglichkeit ausdrückend, wird häufig benutzt, wird aber als lässige Umgangssprache beschrieben. Trotz alledem gilt es in Broad Scots und informellem SSE als alleiniges Adverb, welches eine Möglichkeit ausdrückt. Perhaps wurde von den befragten Sprechpartnern kein einziges mal verwendet. Can wird als Äquivalent für be able to oder know how to gebraucht; es enthält also eher die Bedeutung von Fähigkeit als Erlaubnis oder generelle Möglichkeit. Die wenigen Male, bei denen can oder could 53 Definition des Begriffs „epistemic“ nach LASS, R.: The shape of English. London 1987, S.349: „Of a modality expres- 31 eine Erlaubnis ausdrückt, werden von der Konstruktion be allowed to weit übertroffen. Notwendigkeit wird umschrieben mit must, (will) have to, have got to und need. Must spielt weiterhin eine Rolle insofern, als es die Notwendigkeit noch stärker betont. In SSE und Broad Scots bergen die Verneinungen mustn´t und mustnae eine gewisse epistemische Bedeutung. Have (got) to steht für einen äußeren Zwang, während will have to immer in den Situationen benutzt wurde, für die herkömmliche Grammatikbücher eher must (oft mit einem Subjekt in der ersten Person und in neutralen Sätzen) vorschlagen. Auch das Verb need wird in Scots anders benutzt als in StE. Need to nimmt quasi eine Mittelstellung zwischen ought to und must ein, doch im schottischen Englisch ist ought völlig absent, so daß es durch should ersetzt wird, welches mit moralischer Pflicht assoziiert wird. Must, sofern es eine Art von Verpflichtung ausdrücken soll, gibt es für viele Sprecher ebenfalls nicht, so daß sie glauben, daß need ebenso stark in der Ausdrucksweise sei wie must oder have to. Need to wird außerdem häufig in der Verlaufsform verwendet: „You´re needing to get a haircut “. Es wurde sogar behauptet, 54 daß need to im schottischen Englisch häufiger verwendet wird als in anderen Dialekten des Englischen. Get bezeichnet eine Erlaubnis, ersetzt das sonst übliche may und wird ebenfalls in der Verlaufsform benutzt; ein Gerundium kann folgen. Zusammenfassend kann man sagen: im Modalsystem des schottischen Englisch fehlen shall, may, (might wird hier getrennt von may betrachtet), das nicht-epistemische must und ought, während aber eine Konstruktion mit get to (welche Erlaubnis ausdrückt) sowie der Gebrauch von need to vorkommt. In formeller Schriftsprache kommen außerdem noch die Modalverben shall, must, may und ought vor, welche somit wohl als Indik atoren für gutes geschriebenes Englisch gelten. Außerdem findet man im schottischen Englisch doppelte Modalverben und solche, die nach to plaziert werden. Beispiele in Broad Scots (nicht SSE) beweisen dies:55 sing a speaker´s mental state with respect to his assessment of the possibility, probability etc. of a state of affairs.“ 54 Vgl. MILLER, J./BROWN, K.: Aspects of Scottish English Syntax. In: English World-Wide 3/82, S.13-19 55 Vgl.: EBENDA, S.14f. 32 1.) a) You have to can drive that car to get that job. b) He´s gonna can pass his driving test next week. c) Do they need to can do it ? d) I´d like to could do that. e) He´s bound to could do that. f) Will they need to can drive a lorry to get that job ? g) You´ll no need to can do that. 2.) a) He used to might visit us on Sundays. b) He used to would drink black coffee late at night. c) Did they use to would drink black coffee? 3.) a) He might should claim his expenses. b) He might should have claimed his expenses. c) He might can go. d) He might could go. e) He might could/can have done it. f) He might could be working in the shop. g) They might would like to come with us. Folgende maybe-Konstruktionen werden in StE nicht benutzt, sind aber gebräuchlich in Broad Scots: 4.)a)Will he can give us a hand on Friday ? b) * Might he could give us a hand on Friday ? 56 c) * Might they would like to come with us ? d) * Might could he do it ? e) * Will he can give us a hand on Friday ? f) * He might no could do it. g) They might no would like to come with us. h) He might/maybe no should claim his expenses. i) He maybe no could do it. j) They maybe no would like to come with us. Was die question tags betrifft, so verwendeten die von Miller/Brown befragten Personen eher die Variante „He might could do it could he no“ als „He might could do it might he no“; sie wiederholten also das zweite Glied der Sequenz. 56 Die * geben an, daß die Fragesätze 1.b)-e) ungrammatisch sind. 33 In diesen Beispielen kann meines Erachtens die Bildung der Personen und auch die Formalität der Situationen als sehr wichtig eingeschätzt werden. Je gebildeter eine Person ist, so hat die Studie gezeigt, desto informeller muß die Situation erst werden, bevor diese Modalkonstruktionen bei den Sprechenden auftreten. Die schottische Sprache kennt zwei Typen von Verneinungen: -n´t und nae, welche an das Verb angehängt werden und die unabhängigen Negativpartikel not und no. Von gebildeten Schotten sagt man, daß sie - n´t gegenüber - nae vorziehen, aber in deklarativen und interrogativen Sätzen ist der unabhängige Partikel typisch. Die Zusammenfügungen dinnae (für don ´t) und winnae (für won ´t) sind sogar zwei Schritte weit entfernt von der StE Form (→doesn´t - doesnae - dinnae) und werden daher in Situation vermieden, in denen schottische Sprechpartner „englisch“ klingen wollen. Isnae und cannae hingegen sind bloß einen Schritt entfernt und werden nicht so bewußt vermieden. Wir können also davon ausgehen, daß -nae eine typische Form des Broad Scots ist und - n´t typisch für SSE. Broad Scots besitzt eine spezifische tag- Konstruktion, welche, obwohl allen SSE Sprechern wohlbekannt, in formelleren Situationen vermieden wird. Cannae ist nicht synonym mit der to be able not to - Konstruktion. Letzteres würde ausgedrückt mit can no. Jeder schottische Schüler würde can + Negativpartikel und may + Negativpartikel vermeiden, wenn sie permission not to bedeuten sollen, und statt dessen do + Negativpartikel have / need to sagen. Das Wort never hat, verglichen mit StE, auch seine ganz eigene Bedeutung in Broad Scots. Hier wird es häufig anstelle von not, -n´t und no gebraucht, wobei es kein Hilfsverb benötigt. Beispiele:57 5.)a) I could´ve got the job ... but I telt them I couldnae leave till the end of May so I never got it b) Somebody was saying he never went to see the Brazil game c) Did you see the football game ? - No, I never. 57 Beispiele 5.a) und b) entnommen aus EBENDA, S.16ff. 34 Hierzu muß noch betont werden, daß never vor allem bei den von Miller/Brown befragten Schülern, die sie staatliche Schule besuchten, als normal angesehen wurde, wobei never lediglich ein anderes Wort für not darstellt. Es wurde nicht von den Schülern der Privatschule verwendet. Doch nicht nur in Broad Scots ist der Gebrauch von dem Wortgefüge never ever, welches die normale Bedeutung von never trägt, zu finden. Auch bei anderen Dialekten könnte man folgenden Dialog verfolgen: 6.) A: Have you already seen the Scott Monument ? B: - No, I have never ever been to Glasgow. Stimmt ein Dialogpartner mit dem anderen überein, so ist die emphatische Negativkonstruktion neither + Subjekt nicht unüblich: 7.) A: She doesn´t own her own house. B: Oh, neither she does. Eine weitere emphatische Konstruktion in Broad Scots und SSE besteht aus einem Hilfs- oder Modalverb + so + Verbstamm, z.B. „he can so draw“. Desweiteren gibt es die Tendenz, wie auch in einigen nordenglischen Dialekten, not und will anders miteinander zu verbinden, als es in StE üblich ist. Man sagt also „I´ll not do it“ anstelle von „I won ´t do it“ oder „will you not do it“ statt „won´t you do it“. Speziell im Dialekt Glasgows58 gibt es noch einige Besonderheiten hinsichtlich der Syntax. Das Wort see beispielsweise betont noch einmal das Thema des Satzes und plaziert es in einen einleitenden Satz: „See him, he´ s a bam“. Auch der Gebrauch von Sätzen wie : „Cauld (=cold) day, so it is“, bei denen der nachgestellte tag noch einmal die Aussage des Satzes unterstreichen soll, kommt in Westschottland vor, ebenso wie das tag but, welches benutzt wird, wenn der vorangegangenen Aussage des Dialo gpartners widersprochen werden soll: „He´s awright (=alright), but.“. 58 Vgl. MACAFEE,C.: Glasgow dialect in literature. In: Scottish Language - An Annual Review. Herbst 1982 (Erscheinungsort ist d.V. unbekannt) 35 3.4. Vokabular und Idiome Die Unterschiede im Vokabular spiegeln die Abstammung der Varietät des Schottischen einerseits ( > Northumbrian Old English) und Standard English andererseits ( > South Eastern Anglian Old English), wie auch die verschiedensten Einflüsse von außerhalb Großbritanniens wieder. Der Verwender von Scots verfügt über viele Wörter, welche es in StE nicht gibt, z.B.: bairn oder wean für child (angelsächsischer Ursprung) und lass statt girl59 (skandinavischer Ursprung). Den Einfluß Skandinaviens kann man desweiteren sehen in den Wörtern gar (make), maun (must), big (build), harns (brains), lug (ear), brae (hill) und sogar kilt. Aus dem Französischen hingegen stammen die Begriffe ashet, bien, douce oder disjune (=Frühstück). Diese Ausdrücke haben einen unterschiedlichen etymologischen Ursprung und sind offensichtlich overt scotticisms. Es gibt weiterhin auch noch covert scotticisms, das heißt, Wörter, die neben den Broad Scots Verwendern auch von SSE Verwendern benutzt werden, wobei sie sich überhaupt nicht im klaren darüber sind, daß es sich um Scottizismen handelt. Einige Relikte der Tradition von Scots, die dem Anglisierungsnetz entkommen konnten, befinden sich noch heute in spezifischen Wortformen wie ludge und ludger statt lodge und lodger, thare und whare statt there und where und andere. Auch Muster der französischen Betonung, wie sie früher häufiger vorkamen, sind nicht anglisiert worden. Weitere covert scotticisms sind Idiome wie: I doubt he´s not coming, I doubt he´s got lost, what would you like for your Christmas, I´m away to my bed, go to the church or the school, how´s he keeping, I could see him far enough, the walls were living with bugs, I´ll see you the length of the bus-stop, the back of nine....60 Außerdem fiel der Verfasserin in Gesprächen mit Schotten auf: messages (shopping), burgh (borough), sweetie (sweet), Candlemas (2. Februar), furth (außerhalb, z.B.: furth of Scotland), 59 Im Aberdonian dialect sagt man allerdings zu „boys and girls“: „loons and quines“ 60 Vgl.: AITKEN, A.J./McARTHUR, T.. (Hrsg.): Languages Scotland. a.a.O., S.106 of 36 eine besondere Bedeutung von next (z.B.: next Friday, wobei hier nicht der Freitag dieser Woche gemeint ist, sondern erst der der noch folgenden Woche!), black pudding (Würstchen), tenement (Wohnblock), und Hogmanay (Silvester), sowie - dies gilt besonders für Glaswegian - ein übermäßiger Gebrauch von wee ( normalerweise im Sinne von „klein“, kann aber auch andere Bedeutungen haben, z.B. „auf die Toilette gehen“: to wee.). Als overt scotticisms hingegen wären unter vielen anderen zu nennen: aye für yes, dinna für don´t, hame, hoose, bairns (siehe oben) und ken für know. Es gibt vielleicht mehrere hundert Begriffe, welche von den englischsprechenden Schotten der Mittelklasse regelmäßig angewandt werden, z.B.: Is he still to the fore (=alive)?, feardie (coward), let that flee stick to the wa (say no more about that matter), clamjamfry, darg, dram, orra...61 Diese Stereotypen tauchen sogar dort auf, wo man sie am wenigsten erwartet: nämlich nicht nur bei informellen, sondern auch bei formellen Anlässen wie Reden, um die Zuhörerschaft an die schottische Abstammung des Redners zu erinnern. Ein paar spezifisch schottische Wörter werden also nicht nur von den Schotten der Arbeiterklasse, sondern auch von denjenigen, die zur Mittelklasse zählen, benutzt. Die Scottizismen von Zentralschottland, die keinen etymologischen Ursprung haben, sondern erst im modernen Scots entstanden sind - oft auch als vulgarisms bezeic hnet - sind allerdings im Wortschatz der Mittelklassezugehörigen nur dann zu finden, wenn sie sich über etwas lustig machen wollen (diese Wörter dann also bewußt einsetzen). Ähnlich stigmatisiert sind grammatikalische Besonderheiten wie youse (=you), oder youse-yins, die ebenfalls mit der Arbeiterklasse assoziiert werden. Weitere nennenswerte idiomatische Kennzeichen des Schottischen sind: 1.)a) Die Bezeichnung der ersten Person Singular mithilfe der dritten Person: that´s me away home b) Konstruktionen mit: what like, z.B. that´s what like it is 61 Vgl.: EBENDA, S.107f. 37 c) the now für now 62 d) I´ll be there the back of seven (siehe auch oben) Viele Wörter, von denen die Schotten glaub(t)en, sie gehörten ausschließlich der schottischen Sprache an, sind (oder waren bis vor kurzem) in der Tat auch Bestandteil anderer englischer Dialekte, besonders derer Nordenglands. Dazu gehören die Wörter mit skandinavischem Ursprung (bairn, brae, gate (road), kirk und lass) und Gälizismen (airt (=direction) oe(=grandchild) etc.). Historische Linguisten versuchten eine systematische Untersuchung über den lexikalischen Verlust durchzuführen, welches sich als äußerst problematisch herausstellte. Die Dokumentation von dem genauen Zeitpunkt, wann ein Wort nicht mehr benutzt worden ist, war nicht komplett und natürlich konnten auch die geschichtlichen Ursachen, warum ein Wort letztendlich nicht mehr benutzt worden oder ganz aus einer Sprache ausgeschieden war, nicht mehr genau nachgeprüft werden. Der Verlust eines bestimmten Wortes ist immer dann offensichtlich, wenn ein Leser in einem älteren Text ein Wort bemerkt, welches er in einem neueren nicht mehr auffindet oder auffinden würde, oder wenn in einem bestimmten lokalen Dialekt ein Wort auffällt, welches in anderen Dialekten nicht (mehr) benutzt wird, also dort wahrscheinlich schon eher verschwunden ist. Da Englisch und Scots nah miteinander verwandte Sprachen sind, müssen sie früher ca. 80 % ihres Basisvokabulars gemeinsam gehabt haben. 63 Die Unterschiede zwischen den Sprachen bestehen also nicht aufgrund des Aufrechterhaltens der älteren Wörter, sondern aufgrund der Erfindung neuer Bezeichnungen. Mittelenglische Texte bezeugen, daß die südlichen Dialekte im Vergleich mit den nördlichen noch sehr ähnlich waren. Und doch gab es Unterschiede zwischen den nördlichen und den südlichen Dialekten, was in fo lgenden drei Faktoren begründet liegt: - In den nördlichen Dialekten kamen noch mehr Wörter aus dem altenglischen Vokabular vor. - Sie hatten eine größere skandinavische Komponente. 62 In der Umgangssprache in Glasgow sehr häufig anzutreffen, wobei der Diphthong ausgesprochen wird wie der deutsche Umlaut /ü/ ! 38 - Weniger Lehnwörter von Frankreich wurden in die Dialekte überno mmen. Manche Wörter, die es nach dem 18. Jahrhundert in dem Englisch von England nicht mehr gab, blieben in Scots erhalten - und in Amerika. Da die Select Society jedoch versuchte, diese typischen Scottizismen aus der schottischen Sprache auszumerzen, 64 ist die Anzahl solcher überlebenden Wörter in der gebildeten, formelleren Sprache (oder der Schriftsprache) sehr gering. Aber es muß nicht immer heißen, daß die Wörter vollständig aus der Sprache verschwinden. Der Gebrauch von bestimmten Wörtern kann auch verändert werden: limitiert auf bestimmte Kontexte, strikte regionale Verwendung, markiert als dialect oder highly colloquial in den Wörterbüchern, oder auch als literary, archaic, oder Lallans. Selbst heute entstehen in Schottland neue Wörter oder neue Bedeutungen von bereits vorha ndenen Wörtern. 65 Alles in allem kann man sagen, daß extra- oder intralinguistische Ursachen eines Wortverlusts psychologischen Ursprung haben kann (ein Wort verursacht Unbehagen, wird als nicht korrekt angesehen) oder darin begründet liegen, daß es zwei synonyme Lexeme gibt, so daß eines davon überflüssig und von dem anderen verdrängt wird. Der Status eines Wortes entscheidet somit über sein Überleben. Die lexikale Divergenz zwischen schottischem Englisch und StE wird sich vielleicht in Zukunft noch mehr verringern, wie es bei der Divergenz zwischen amerikanischem Englisch und britischem Englisch auch der Fall war. 66 3.5. Standard English in Schottland 63 Vgl.: GÖRLACH, M.: Studies in the history of the English Language. Heidelberg 1990, S.126 64 Vgl.: EBENDA, S.127ff. 65 Zu Neologismen vgl. Kapitel 9. 66 Zu dem Thema „lexical loss and survival“ vgl. besonders GÖRLACH, M.: Studies in the history of the English language. Heidelberg 1990, S.143. Er zitiert hier u.a. J.A.H. Murray: „The death of a word is not an event of which the date can be readily determined“. 39 David Abercrombie, Professor für Phonetik an der Universität von Edinburgh, beobachtete zahlreiche Studenten der Phonetik, um herauszufinden, wie Standard English in Schottland ausgesprochen wird und welche Variationsmöglichkeiten bezüglich der Aussprache innerhalb von SSE möglich sind. 67 Während dieser Untersuchung betrachtete er charakteristische Merkmale wie Rhythmus, Intonation und Stimmqualität. Er unterteilte die Kennzeichen, welche miteinander verwandte Akzente der gleichen Sprache voneinander unterscheiden, wie folgt: 1. structural differences 2. systemic differences 3. distributional differences 4. differences of phonetic realisation Vor allem der erste und der vierte Punkt werden in dieser Arbeit näher behandelt werden. Die strukturellen Unterschiede (1.) müssen in Zusammenhang mit der Kombination der Phoneme, welche Strukturen (Silben oder Wörter) bilden und natürlich deren Kombinationsbeschränkungen gesehen werden. Scots teilt die wichtigsten strukturellen Beschränkungen mit den anderen englischsprechenden Gegenden. Man kann StE und dessen Akzente in zwei verschiedene Klassen unterteilen. Das Phonem /r/ beispielsweise erscheint weder vor einem Konsonanten noch vor einer Sprechpause, sondern nur vor einem Vokal. Trotzdem teilen manche Akzente nicht diese Beschränkung. In diesen Akzenten steht ein /r/ auch vor einer Pause oder einem Konsonanten - man nennt sie rhotic accents (=rhotische Akzente). Im schottischen Englisch sind alle Akzente rhotisch, ebenso die irischen und die Mehrheit aller Akzente in der englischsprechenden Welt, während die meisten StE-Akzente in Großbritannien es nicht sind. „Here again Scots failed to follow middle-class South-Eastern English of the late seventeenth century, in vocalising its non-pre-vocalic /r/ and compensating for this with new diphthongs....“68 67 Vgl.: ABERCROMBIE, D.: The Accents of Standard English in Scotland. In: AITKEN, A.J./McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.68-84 68 Zitiert nach: AITKEN, A.J.: Scottish Speech: a historical view with special reference to the Standard English of Scot- 40 Daher hat es den Anschein, daß SSE, obwohl es nicht wesentlich mit den anderen Akzenten innerhalb Großbritanniens übereinstimmt, doch einige Merkmale gemein hat mit der englischsprechenden Welt als ein Ganzes. Um die systemischen Unterschiede zu analysieren war es wichtig, die verschiedenen Vokale und Konsonanten, die die Bedeutung unterscheiden, zu zählen. Die Systeme der Konsonanten aller englischen Akzente sind ziemlich uniform. Manchmal wird nur ein Konsonant weggelassen oder hinzugefügt. Letzteres ist, wie bereits erwähnt, in SSE der Fall: der stimmlose velare Re ibelaut /x/. Das System der Vokale ist bereits in Kapitel 3.1. erklärt worden. Die Tabelle auf Seite 25 (Abb. 1 und 2) zeigt den Vergleich zwischen SSE (nach Abercrombie: „the Basic/Scottish Vowel System“) und Anglo-English (StE, welches in dieser Darstellung wohl RP mit umfaßt, aber anscheinend ein stärker verallgemeinertes und weiter verbreitetes Vokalsystem für StE in England zeigt). Der Autor kam in seiner Untersuchung zu dem Schluß, daß es vier verschiedene schottische Vokalsysteme geben muß:69 a) Das Basissystem b) Das Basissystem + 5/6 70 Unterscheidung ( [a]/[α] ) c) Das Basissystem + 5/6 Unterscheidung + 7/8 Unterscheidung ( [ ]/[ ] ) d) Das Basissystem + 5/6 Unterscheidung + 7/8 Untersche idung + 10/11 Unterscheidung ( [ω]/[u] ). land. In: AITKEN, A.J./McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.101 69 Vgl.: ABERCROMBIE, D.: The Accents of Standard English in Scotland. In: AITKEN, A.J./McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.78 70 Die Phoneme sind in der Tabelle nicht nur durch Symbole gekennzeichnet, sondern auch durch Nummern. Diese Nummern beziehen sich auf die Kästchen, in denen die Phoneme stehen, nicht auf deren Inhalt. 41 Obwohl b-d vom schottischen Basissystem abweichende Modifizierungen, die sich dem Englischen System annähern, darstellen, klingen diese Akzente auch nicht anglisierter oder „englischer“ als andere. Auch für die SVLR, welche wohl aus dem 15. Jahrhundert stammt und zu ihrer vollen Ausprägung schon vor 1650 kam, führt Abercrombie noch Beispiele an:71 Kurzer Vokal Langer Vokal leek leak choke joke made maid badge cadge Was die Betonung angeht, so gibt es in Schottland eine Menge Variationen. Da dies allerdings ein schwieriger Forschungsbereich zu sein scheint, wurde zu diesem Thema nur wenig einschlägige Literatur veröffentlicht. Die Akzente unterschieden sich ebenfalls im Rhythmus. Der sogenannte stress-timed-Rhythmus des Englischen, bei dem die Silben nach gleichen Zeitintervallen betont werden, unterscheidet sich von anderen Sprachen, die den syllable-timed-Rhythmus besitzen, bei dem die Silben isochron sind, das heißt die Betonung wiederholt sich nach ungefähr gleichen Zeitintervallen (wie in Indien oder im westafrikanischen Pidgin English). Alle Akzente des Standard English besitzen diesen stress-timedRhythmus, doch die rhythmischen Details sind anders. Das Charakteristikum der schottischen Sprache ist in keinem anderen englischen Akzent zu finden und betrifft die Silbenlänge: Während die meisten anderen Akzente des StE entweder das gleich-gleich oder lang-kurz-Verhältnis zwischen zwei Silben aufweisen, ist im Schottischen die erste Silbe kurz und die zweite lang! Im allgemeinen kann man wohl sagen, daß die Betonung der schottischen Akzente variationsreicher ist als die Akzente, die in England gesprochen 71 Vgl.: ABERCROMBIE, D.: The Accents of Standard English in Scotland. In: AITKEN, A.J./McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.77 42 werden. Die einzige Untersuchung, die der Verfasserin darüber bekannt ist, ist jedoch die von McClure (1980). 72 Während meines Studienaufenthalts in Glasgow fiel allerdings die Betonung, die speziell die dortigen Bewohner kenntlich macht, sehr stark auf. Die Stimme hob sich immer bei Satzende, und zwar nicht nur bei Fragen, sondern bei allen Aussagesätzen, egal ob sie in spontaner Konversation gemacht wurden oder ob aus einem Text vorgelesen wurde. Dies betraf sowohl die Studenten, die Verkäufer in Kaufhäusern, Taxifahrer, Museumsführer und Professoren - wenn man so will, ist dieses Merkmal also über alle sozialen Schichten verteilt, ganz gleich ob das Vokabular zum größten Teil (oder ausschließlich) aus englischen Wörtern bestand oder ob Broad Scots gesprochen wurde. In anderen Gegenden, zum Beispiel in Edinburgh, fiel mir kein einziger Dialogpartner auf, der mit dieser Betonung gesprochen hätte. Ich wage also zu behaupten, daß man den Glaswegian Dialekt noch eher an der Betonung als am speziellen Vokabular oder an Idiomen erkennen würde. Ein anderer nennenswerter Punkt ist die Benutzung von Silbenteilung, die von vielen Benutzern des StE angewandt wird, um Bedeutungen zu unterscheiden. Im Schottischen werden so viele Silben wie möglich zu „offenen“ Silben gemacht, das heißt, sie enden in einem Vokal. So wird der letzte Konsonant eines Wortes dem Anfang des nächsten Wortes vorangestellt, wenn dies mit einem Vokal beginnt. Dies ist ungewöhnlich in anderen Akzenten des Englischen, doch es ist typisch für eine Sprache wie Französisch. 73 Weiterhin bleibt zu sagen, daß schwache Formen (weak forms) von Präpositionen, Pronomina etc. in SSE gebräuchlicher sind als in anderen Akzenten. Das Wort on, um nur ein Beispiel zu nennen, hat - im Gegensatz 72 Volle Literaturangabe (nicht im Literaturverzeichnis, da dieser Aufsatz für die vorliegende Arbeit nicht verwendet wurde): McCLURE, J.D.: Western Scottish intonation: A preliminary study. In: WAUGH, L.R. /VAN SCHOONEVELD, C.H.(Hrsg.): The melody of language. Baltimore 1980 73 Ein Beispiel hierfür: Die Schotten nennen ihre Stadt „SntAndrews“ (der Bindestrich drückt hier aus, welche Selben zusammengefaßt werden), nicht „Snt-Andrews“. 43 zu StE - in SSE eine schwache Form. Andere Besonderheiten des StE, wie linking und intrusive /r/, tauchen dafür im Schottischen gar nicht auf. All diese Ergebnisse beweisen daß die Akzente des StE, inklusive RP, weniger gut mit der - wie Abercrombie es nennt - „Standard Average European phonology“ übereinstimmen, sie also phonologisch gesehen viele Abweichungen von anderen Sprachen aufweisen, was es für einen NichtMuttersprachler schwer macht, StE als Fremdsprache zu lernen. Schottisches Englisch hingegen kann als ein außergewöhnlich gutes Modell für Aussprache dienen und ist somit gut für ausländische Lernende des Englischen (hier: einer englischen Varietät.). 3.6. Standardisierung Da Scots viele regionale Varietäten aufweist, fühlen viele den Wunsch nach Standardisierung, vor allem, was die Rechtschreibung angeht. 74 Manche glauben, daß ein Standard, der auf südöstlichem Dialekt und literarischem Scots basiert, so schnell wie möglich propagiert werden sollte, andere wiederum sind der Ansicht, er sollte sich aus der lebenden Sprache entwickeln und sozusagen aus ihr „erwachsen“. Standardisierung sollte ein natürlich vorkommender linguistischer Prozeß sein, der nicht erzwungen werden darf. Der Druck, sich einem sprachlichen Standard anzupassen, käme ohnehin von selbst und wurde ja durch die Anglisierung des Schottischen schon bewiesen: Wörter, die den Sprechern nicht länger als „korrekt“ erschienen, wurden durch das englische Synonym ersetzt. Solange es keinen Standard für Scots gibt, wird Scots sich vielleicht dennoch immer mehr der englischen Sprache, womit hier StE und RP gemeint sind, anpassen, anstatt sich selbst weiter zu entwickeln und bestehen zu bleiben. Daher ist es nicht verwunderlich, daß viele Literaten sich bemüht haben, wenigstens das geschriebene Scots bis zu einem gewissen Grade zu standardisieren. Die grammatikalischen, syntaktischen und idiomatischen 44 Merkmale der gesprochenen Sprache wurden nur selten in der geschriebenen Sprache repräsentiert. Grammatik, die nicht dem Standard (=StE) entspricht, wurde stark stigmatisiert, so daß viele Literaten die typisch schottischen grammatikalischen Formen vermeiden. Sie wollen nicht riskieren, daß ihre Werke an Ansehen und Autorität verlieren. Eine Auswirkung dieser (übertriebenen ?) Vorsicht kann sein, daß die schottische Sprache in die Matrix englischer Sätze und Grammatik gepreßt wird und daher an Authentizität verliert. Einige grammatikalische Besonderheiten sind allerdings ganz besonders stark stigmatisiert, wie z.B. der Gebrauch von for to oder multiple Verneinung, youse, so it is, have fell, I seen, in´t (=ain´t) und dergleichen. Dies sind jedoch Ausdrücke, die überall in der englischsprechenden Welt vorkommen, und daher nicht als typisch Scho ttisch, sondern eher als typisch „bad grammar“ angesehen werden. So kommt es, daß auch manche Texte, die von der Schreibweise her Scots waren, trotzdem noch englisch klangen, da sie praktisch eine Wort-fürWort-Übersetzung aus dem Englischen darstellten. So waren (bis vor kurzem) die sogenannten schottischen Texte in syntaktischer und idiomatischer Hinsicht noch Englisch; können somit auch nicht als gutes Scho ttisch oder als repräsentativ für die gesprochene schottische Sprache bezeichnet werden. Es ist logischerweise nicht möglich, gut in Scots zu schreiben, wenn man keine Erfahrung hinsichtlich der Umgangssprache, Intonation und spezifischen Grammatik hat. Ein Schriftsteller, mögen seine Talente noch so groß sein, kann nicht einfach seine eigene Orthographie und Grammatik erfinden oder aus dem Englischen übernehmen. Ansonsten besteht die Gefahr, daß die Sprache ihre eigene Qualität verliert. McClure 75 hat als Ausweg aus diesem Dilemma den Vorschlag unterbreitet, sich ein Beispiel an Norwegen zu nehmen, da dort ja Nynorsk kreiert worden ist. 76 Dies war die Erschaffung einer künstlichen Sprache aus althergebrachten „Wurzeln“ und kann meiner Meinung nach daher nicht mit der Situation Schottlands analogisiert werden. 74 PURVES,D. und MACLEOD,I.: Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996 75 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996 76 Zu den skandinavischen Sprachen siehe auch Kapitel 8.3.1. 45 Was die schottische Sprache braucht, ist sowohl eine neuere schottische Grammatik als auch eine allseits akzeptierte Orthographie für Scots. Die neueste Veröffentlichung einer schottischen Grammatik erschien im Jahre 1921,77 die Grammatik für den Dialekt in Shetland von 1952 wurde im Jahre 1991 neu aufgelegt. 78 Es ist also bitter nötig, eine moderne schottische Grammatik zu erstellen. David Purves 79 aus Edinburgh (Herausgeber des Magazins LALLANS) arbeitet zur Zeit an dem Manuskript zu „Grammar and Usage in Scots“, welche nach eigener Auskunft 51 DINA4-Seiten umfaßt und wahrscheinlich von der Saltire Society in naher Zukunft veröffentlicht werden wird. Noch bestehen Kontroversen bezüglich der von ihm gebrauchten Rechtschreibregeln, so daß möglicherweise das Skript noch verändert werden muß. Die größte Schwierigkeit aber, der ein potentieller Schriftsteller entgegen sieht, wenn er auf Scots schreiben will, bleibt die Orthographie. Hilft das Concise Scots Dictionary dabei ? Sagt es uns, welche Schreibweise korrekt, welche inkorrekt ist ? Schon viele Autoren vor unserer Zeit kannten dieses Problem: es gibt für Scots keine standardisierte Orthographie. Wörter, die keinen echten schottischen Ursprung haben, werden so geschrieben, daß sie die schottische Aussprache imitieren. Die Zeitungsverlage (Publishing Houses) haben oft ihre eigenen Style Books oder Style Sheets, das heißt, Richtlinien für eine Orthographie des Schottischen, wie sie allgemein verstanden werden könnte. Viele schottische Schriftsteller, wie beispielsweise J.K. Annand, Douglas Young, Robert Garioch, A.D. Mackie, Alastair Mackie, Robert McLellan, Alexander Scott und Sydney Goodsir Smith richten sich auch nach dem Style Sheet von 1947, welches bei einem Treffen des Makkar´s Clubs in Edinburgh, bei dem A.D. Mackie den Vorsitz hatte, erstellt worden ist. King veröffentlichte es in „Twelve Modern Scottish Poets“ noch einmal. 77 GRANT, W / DIXON, J.M.: Manual of Modern Scots. Cambridge 1921. 78 ROBERTSON, T.A. und GRAHAM, J.J.: Grammar and Usage of the Shetland Dialect. Lerwick: The Shetland Times. 1952 / 1991 46 Hugh MacDiarmid war zwar nicht verantwortlich für das Erstellen dieses Style Sheets, er erlaubte aber in einem offenen Brief von 1968 den zukünftigen Verlegern seiner Werke, seine Rechtschreibung im Sinne dieser Rechtschreibregeln zu verändern. Die hauptsächlichen Gründe für das Fehlen eines standardisierten Rechtschreibsystems lag wohl zunächst einmal in der Gründung der parish schools (=Gemeindeschulen) (ungefähr zur Zeit der Reformation), in denen man damit anfing, den Schulkindern die englische Schreibweise und das Lesen in englischen Texten beizubringen. Dadurch wurde das Entstehen von Scots als eine nationale Sprache mit einem Male unterbrochen, und die Rechtschreibung von Scots wurde verwirrend. Diese verwirrende Rechtschreibung seinerseits trug nun auch noch dazu bei, den schlechten Ruf, welchen Scots ohnehin schon hatte - und immer noch hat - als „a debased form of English“ zu verstärken. Während des 19. und 20. Jahrhunderts unternahmen einige Schriftsteller Experimente, in denen sie versuchten, verschiedene Rechtschreibregeln und -systeme zu erstellen. Das oben genannte Style Sheet enthält Regeln bezüglich der Grammatik und der Rechtschreibung. Unter anderem waren die folgenden Vorschriften darunter: Aa für das ältere all und das umgangssprachliche a: caa, baa, smaa, faa, staa. Aber: ava, awa, wha, und snaw, blaw, braw etc. Ae, ai, ay für den offenen Laut in fray, frae, hain, cairt, maister, blae, bane, byspale. E, ee, ei, ie und i für den Laut des i in Französisch, dem älteren Gebrauch entsprechend: heed, deed, heid, deid, hie... 80 Ohne Zweifel hatte das Style Sheet auch seine Schwächen, aber andererseits half es der schottischen Sprache, einen eigenständigeren und systematischen Charakter herauszubilden und zu bewahren. The Scots Language Society veröffentlichte in ihrem Magazin LALLANS, Nr.39-42, weitere Rechtschreibregeln, die auf dem Style Sheet basieren, es aber in einigen 79 Auch Herausgeber des Magazins LALLANS. Vgl.: GÖRLACH,M.(Hrsg.): Focus on Scotland. Amsterdam/Philadelphia 1985, S.205f. 80 47 Punkten noch etwas abwandeln. Diese „Recommendations for writers in Scots“ repräsentieren die Übereinkunft eines Treffens schottischer Autoren (sie nennen sich selbst, so D. Purves: “the new Scots makkars“) in der School of Scottish Studies in Edinburgh, 1985. Zunächst wurden sie in LALLANS, Ausgabe 24, 81 veröffentlicht, doch die Listen der gemeinen schottischen Wörter, über deren Buchstabierung in der Scots Language Society abgestimmt wurde, erschienen, wie oben angeführt, in den Ausgaben 39-42. Die Empfehlungen beziehen sich auf spezifisch schottische Wörter, welche im Englischen nicht zu finden sind, und auf diejenigen, welche verwandte Äquivalente im Englischen haben, aber eine eigene schottische Aussprache (z.B.: frein, ma, ir, out, por und wyfe). Wörter, die in Scots und in Englisch benutzt werden und dazu noch die gleiche Aussprache haben, (wie z.B. field, sleep und nation), brauchen nach diesen Richtlinien in ihrer Form nicht verändert zu werden. Im allgemeinen ist es wünschenswert, daß es traditionelle Vorläufer der Wortschreibungen geben soll, damit Schriftsteller, die auf Scots schreiben wollen, nicht neue Schreibweisen „aus dem Ärmel schütteln“ müssen. Ein nicht zu unterschätzendes Problem stellt hierbei die Vielfalt der bereits bestehenden Optionen für ein einzelnes Wort dar. Einige moderne Autoren verwenden beispielsweise für das Wort for die Schreibung fer, fir, und fur, obwohl der Vokal dieses Wortes doch unbetont ist und sich kaum von der englischen Aussprache unterscheidet. Ziel des Style Sheets und der Recommendations sollte sein, die Aussprache eines jeden schottischen Wortes durch seine Schreibweise ableiten zu können. Dabei sollte es im Idealfall nachher nur noch eine Alternative für die jeweilige Schreibweise geben, so daß die negative Auswirkung der verschiedenen Schreibweisen, nämlich das Image von Scots als eine Art von gebrochenem Englisch, unterbunden werden. Die Scots Language Society empfiehlt bei Wörtern, die nicht in ihren Recommendations auftauchen, eines der Wörterbücher für Scots, wie etwa das Scottish National Dictionary, das Concise Scots Dictionary oder das Concise English-Scots Dictionary zur Hand zu nehmen. 81 Vgl.: Scots Language Society: Recommendations for writers 48 Besonders wichtig erschien jedoch allen, die sich Gedanken über eine reformierte Schreibweise des Schottischen gemacht haben, daß nicht, wie früher üblich, die Wörter, die es sowohl im Englischen als auch im Scho ttischen gibt, mit einem Apostroph geschrieben werden sollen, der anzeigt, daß an dieser ein englischer Buchstabe „fehlt“. Diese Unsitte, welche Ramsay eingeführt hatte und später von Fergusson, Burns, Scott und Galt übernommen wurde, störte nämlich einerseits das Schriftbild und trug andererseits dazu bei, den Eindruck zu erwecken, Scots sei eine minderwertigere Version des Englischen. Durch die Einführung der Rechtschreibreform ist die moderne schottische Literatur nunmehr nicht länger übersät mit einem Haufen von Apostrophen und erweckt daher nicht mehr den Eindruck, als sei Scots eine nachlässige Form des Englischen. Im Folgenden werden einige Auszüge aus den Empfehlungen der Scots Language Society vorgestellt, um einen Überblick über die dort genannten Regeln im Vergleich mit denen des Style Sheets zu geben: A, AU, AW for the vowel sound in awa, wha. Gar, aauld, glaur, waur, maut, saut, aw, awbodie, braw, caw, faw and snaw. The word ca, meaning call, may be distinguished from caw, meaning drive. Where this sound begins or ends a word, AW is normally used. AE, AI, A (consonant)E for the monothongal (sic) vowel sound in brae, faem, maen, dwailblie, hain, sair, baith, hame bane and vase. E normally represents the vowel sound in ken, gled, ben, snek, ferm, herm, hert and yett. EE, EI, IE for the sound in wee. Where EE is firmly established, as in ee and een, it is retained, but EI is the preferred internal digraph and is used for example, in deid, reik, weill, feim, yestrein and seiven. EI is also used in words (often of French and Latin origin) where this vowel is represented by „i“ in the corresponding English word. For example: eidiot, freil, feinish, televeision, veisit, abeilitie, poseition, etc. IE is used terminally is monosyllabic words such as brie, die, gie, grie, hie, etc. in Scots. LALLANS 24, (1985),S.18-20 49 TERMINAL -IE in place of final „y“ generally, for example, in bonnie, clamjamfrie, cuddie, lassie, sairlie, etc. EU for the sound in aneuch, speug, neuk, etc., pronounced variously, from north to south and from east to west. K replaces „-ct“ in words like expek and objek. K is suggested in preference to c after initial „s“, to give, for example, skart, skelf, sklim, skreive and skunner. TERMINAL -ND: The „d“ is sometimes not pronounced and there is no reason why it should be represented in many words: an (and), len, staun, thousan, frein, for example. It may be necessary to retain „d“ in haund, round, sound, grund, because the „d“ may be pronounced in derived forms, such as haundit, roundit, stoundin, etc. VERBAL ENDINGS : „-in“ for present participles and verbal nouns: be-in, giein, cairrein, biggin, plenishin, dounsittin. Past tense and past participles of weak verbs ending in „-b“, „-d“, „-g“, „-k“, „p“ and „-t“, add on „-it“, for example, bebbit, gydit, biggit, howkit, flypit, rowpit, veisitit. Verbs ending in „-il“, „-en“, „-er“, -„ch“, „sh“, „-ss“, and „-f“ usually add on „-t“, for example, hirpilt, fessent, laucht, dafft. Otherwise, „-ed“ may be used, for example, beiled, kaimed, cloured, or „-d“ when the infinitive already ends in silent „e“ breinged, loued, lowsed, etc. ANE is suggested for yin, een,, wan, one etc. Ae or yae before nouns. PRONOUNS: A may be used for I, ye for you, except where the word is stressed, hir for her, yeir for your, thai for they, thaim for them. Use wha, wham, whas, interrogatively and that as a relative pronoun in preference to wha or whilk. Whatna, rather than whilk as an interrogative adjective. APOSTROPHES should not be used to represent letters which would have been present if related English words had been used instead. Thus: hert, not her´t, wi, not wi´, himsell and hersell, not himsel´ and hersel´. NEGATIVES „-na“ affixed to verb (canna, isna, wesna) or no used separately (A´m no that fou) are equivalent to English not; nae before nouns is equivalent to English no (The´r nae luck about the houss). AFFIRMATIVE ay is used for yes and is distinguished from aye, meaning always. 50 Die Recommendations haben einige Schreibweisen mittelalterlicher Herkunft wieder eingeführt ( -ye, hir, thai, thaim, sowie die Schreibung der Wörter wyfe(=wife) und fluriss(=flourish)), sind aber andererseits wieder toleranter hinsichtlich /oo/ für out etc. - eine Erfindung des 19. Jahrhunderts anstelle von /u/. Aufgrund der vorgenannten Punkte ergeben sich folgende Fragen: Warum hat King das Style Sheet zwar abgedruckt, sich aber selbst in seinen Gedichten nicht nach ihm gerichtet ? Trägt die individuelle Schreibweise eines jeden Autors vielleicht sogar zu seinem persönlichen Stil bei ? Kann man vielleicht auch daran des Autors Intentionen, die Kontraste, die er den Dialogpartnern verleihen will, oder seine Metaphern erkennen ? Jedenfalls läßt sich feststellen, daß es für den Leser schottisch geschriebener Texte zeitaufwendig und verwirrend ist, wenn er sich auf jeden Schriftsteller neu einstellen muß. Daher ist eine Bestrebung nach Standardisierung nicht von der Hand zu weisen. Natürlich gibt es eine Reihe unterschiedlicher Auffassungen zu diesem Thema. Autoren, die sich für eine standardisierte Orthographie aussprechen, argumentieren damit, daß Scots eine distinktive Orthographie haben sollte, weil es eine von Englisch unterscheidbare Sprache sei. Andere wiederum meinen, daß zwar Mittelschottisch und einige überlebende traditionelle Dialekte den Status „eigene Sprache“ verdienen, Scots aber nicht als funktionell autonome Sprache anerkannt werden könne. Das zweite Argument der Befürworter könnte sein, daß eine standardisierte Rechtschreibung von Scots seine soziale Respektierbarkeit und Toleranz ihm gege nüber in einem hohen Maße erhöhen würde. Man hofft, dadurch einen besseren Platz in Schulen und Universitäten für die Literatur, die in Scots geschrieben wird, zu erhalten. Allerdings bestünde dann die Gefahr, daß diejenigen Dialekte, die noch immer stigmatisiert werden, und zwar die der urbanen Arbeiterklasse, den Ruf bekämen, weder gutes Englisch, noch gutes Scots zu sein. Ein weiteres Argument für die Rechtschreibreform ist, daß sich die Konfusion, welche die individuellen Schreibweisen, die bei den Autoren bis 51 dato üblich waren, verursachten, verringern würde. Denkt man an die Le hrer in der Schule, deren Aufgabe es ist (oder zumindest sein sollte), die Schüler zu ermutigen und ihnen beizubringen, selbst auf Scots zu schreiben, klingt dieses Argument immerhin äußerst logisch. Ein standardisiertes System könnte jedenfalls diese Aufgabe um ein Vielfaches erleichtern. Gegner der Rechtschreibreform hingegen bezweifeln, daß es eine standardisierte Schreibweise für die schottischen Wörter geben könne, solange so viele unterschiedliche Dialekte bestünden. In manchen Dialekten werden Wörter vollkommen anders ausgesprochen als in anderen, so daß eine standardisierte Form diejenigen Sprecher, die mit einem anderen Dialekt aufgewachsen sind, eher noch mehr verwirren würde als ihnen helfen zu können. Dieses Argument verliert jedoch an Glaubwürdigkeit, wenn man in Betracht zieht, daß in den meisten Ländern doch wohl viele unterschiedliche Dialekte neben der Standardsprache bestehen: ein gutes Be ispiel hierfür wäre Deutschland. 82 Das Hauptargument der Gegner jedoch, welches sogar einigen schottischen Autoren zu denken gibt, ist die Tatsache, daß neue schottische Schreibweisen fremd auf schottische Augen wirken würden, da sie alle weit entfernt sind von dem Scots, welches sie gewohnt sind und daher ungewöhnlich erscheinen. Auch dieses Argument kann man zu entkräft igen versuchen, indem man behauptet, daß ja erstens keine vollkommen neuen Schreibweisen einfach „erfunden“ werden, welche zur Verkomplizierung beitragen würden, und zweitens erst die schottischen Schreibweisen dem (in- und ausländischen) Leser eine Idee davon vermitteln, wie das Schottische ausgesprochen werden kann oder sollte (damit es eben richtig „schottisch“ klingt) und daß es keine andere Form dafür im Englischen gibt. Aus der Erfahrung hat man gelernt, daß es zwar einiges an Überwindung bedarf, bevor man sich erst mit Texten, die auf Schottisch geschrieben sind, auseinandersetzt und sie sich zu lesen traut, da sie wirklich auf den ersten Blick unverständlich erscheinen. Hat man aber einmal damit angefangen, ist es gewiß nicht schwieriger als einen komplizierten englischen Text zu lesen. Daher dürfte es wohl für Leute, die mit Scots als 82 Beachte auch die Empfehlungen zu EU (in den Recommendations), bei denen auf unterschiedliche regionale Varietäten hingewiesen wird. 52 Muttersprache aufgewachsen sind, erst recht keine Schwierigkeit darstellen. Sie haben ja immerhin auch keinerlei Probleme damit, einen auf Englisch geschriebenen Text, zum Beispiel aus einer Tageszeitung, so vorzulesen, daß er vollkommen schottisch klingt (abgesehen natürlich von den englischen Wörtern, für die es schottische Synonyme geben würde, die dann in den englischen Zeitungsartikeln wegfallen). Zu guter Letzt muß zu den Argumenten der Gegner noch hinzugefügt werden, daß sie die Reform ablehnen, weil sie meinen, daß sie sowieso von den Autoren außer Acht gelassen wird. Zugegeben, selbst wenn man ein umfassendes, gut durchdachtes System von Regeln erstellte, bliebe es immer noch eine Empfehlung; keine Verpflichtung. Immerhin, jeder, der nicht firm darin ist, was die Schreibweise angeht, und der danach verlangt, ein einigermaßen „korrektes“ System in der Hand zu haben, nach dem man sich richten kann (hier habe ich auch wieder den unsicheren Lehrer im Sinn, der die Schreibweise ja nicht nur selbst anwenden, sondern diese auch noch beibringen soll), sähe in diesem System sicher eine Bereicherung. Ist es nicht so, daß alle Sektoren wie das schottische Bildungswesen, die Gesellschaft, die Politik und - zwischen alldem - die Sprache Reformation bedarf ? An dieser Stelle sollte McClure zitiert werden, der über die Wahrscheinlichkeit einer offiziellen (finanziellen?) Unterstützung einer standardisie rten Orthographie im Jahre 1985 folgende Aussage machte: „it is about as likely […] as the reunification of Berlin“ . 83 Diese Aussage bedarf keines weiteren Kommentars. 4. Historischer Hintergrund Da wir nun die linguistischen Unterschiede zwischen der schottischen und der englischen Sprache kennen und auch mit den Problemen, welche die fehlende Standardisierung des Schottischen einherbrachte, vertraut gemacht wurden, soll nun dargestellt werden, warum einerseits diese sprachlich-linguistischen Unterschiede zwischen den beiden doch sehr 53 verwandten Sprachen bestehen und wie diese historisch begründet sind, und ob diese bestehenden sprachlichen Unterschiede, die in der Geschichte begründet liegen, ausreichen, um Scots den Status einer eige nständigen Sprache zu verleihen. McClure plädiert ohne Zweifel für die Anerkennung von Scots als einer von Englisch unterscheidbaren Sprache. In seinem Werk „Why Scots matters“, 84 welches wie ein Plädoyer aufgebaut ist, demonstriert er, daß und warum Scots als eigenständige Sprache anerkannt werden muß. Er stellt hier zunächst die Geschichte von Scots dar, diskutiert dann, ob es eine Sprache ist und geht auf die verschiedenen Gründe ein, warum diese Sprache von so großer Bedeutung ist: als ein Ausdrucksmittel in der Literatur, als Beweismittel der Geschichte, als Kommunikationsmittel und schließlich deswegen, weil es den Schotten zu einer eigenen Identität verhilft; weil es sie erkennen läßt, daß sie in einer Gesellschaft leben, die sich von anderen untersche idet. 4.1. Die Entwicklung der schottischen Sprache Meines Erachtens ist eine Tatsache außer Diskussion, und zwar die, daß Scots keine minderwertige oder niedrigere Form von Englisch ist. Sie stammt nicht einmal von ihr ab oder entwickelte sich aus ihr. Sie entwickelte sich aus dem Nordhumbrischen oder nördlichen Dialekt des Englischen. Vom 7. oder 8. Jahrhundert an bis zum 14. Jahrhundert gab es keinen wesentlichen Unterschied zwischen den germanischen Sprachen von einerseits dem, welches nachher das Königreich von Schottland wurde und den nördlichen Dialekten des englischen Königreichs andererseits. Allerdings gab es schon eine größere Differenz zu den südenglischen Dialekten. Daher kann man sagen, daß Scots und Englisch zwar einen unterschiedlichen, aber doch verwandten Ursprung haben. 85 83 McCLURE, J.D.: The debate on Scots orthography. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.209 84 McCLURE, J.D.: Why Scots matters. The Saltire Society. Edinburgh 1988 85 Vgl.: POLLNER, C.: From Riches to Rags, from Rags to Riches?... In: Anglistik und Englischunterricht 38/39, Heidelberg 1989 54 Die früheste für den heutigen Anglisten verstehbare Sprache Schottlands war eine frühe Form von Walisisch, welches ein Zweig der keltischen Sprachen war, aber klar unterschieden werden kann von anderen Haup tzweigen des Keltischen, oder gar vom Gälischen. Überbleibsel dieser Sprache sehen wir heute noch in Ortsbezeichnungen oder in dem Präfix Pit- (z.B.: Pitlochry). Diese Sprache verschwand spätestens dann, als das Gälische von Irland mit den Schotten herüberkam. Datieren kann man dies auf das späte 5. Jahrhundert. Um 950, so berichten die Chroniken der Angelsachsen, Pikten und Schotten, war die gälische Sprache weit verbreitet (bis auf den Südosten), wie wir wiederum an Ortsnamen sehen können; aber auch angelsächsische Ortsnamen kommen im Südosten vor. So hatte bis zum 17. Jahrhundert Schottland eine eigenständige Nation, welche sich hauptsächlich der keltisch-gälischen Sprache bediente. Zunächst blieb die Präsenz des Englischen im Süden, situiert zwischen Forth und Tweed. Im Jahre 973 mußte Edgar der Friedfertige, König von England, von den Normannen unter Druck gesetzt, das Gebiet Lothian an den schottischen König Kenneth II. abtreten. Dieses Ereignis setzte die klaren Grenzen des Schottlands, wie wir es heute kennen und schaffte eine anglophone Population unter der schottischen Krone. In den Texten, die nun geschrieben wurden, zunächst unter ausgesprochen nördlichem Einfluß, konnte man um das 14. Jahrhundert herum kaum noch Unterschiede zum Süden erkennen: sie waren in schottischem Englisch geschrieben. Skandinavische Ortsnamen bezeugen ihre dänische Herkunft, und die Normannen beeinflußten die Sprache Nordenglands, indem sie ein skand inavisches Element in das Vokabular und, darüber hinaus, das lautliche System, welches sogar bis ins heutige Scots überlebt hat, einführten. Die große Anzahl nordischer Wörter (unter anderem: lass (=Mädchen), brae (=Berg), gowk (=Kuckuck) und kilt), welche im heutigen Sprachgebrauch noch vorkommen, lassen uns noch immer an diesen Einfluß erinnern. 1034 wurde Duncan, ein Neffe von Malcolm II., als der erste König der Nation Schottlands gekrönt. Zu dieser Zeit war diese Nation, was die Sprache anging, aber bereits getrennt. Durch Malcolm III Canmore, der von 1057-93 als schottischer König regierte, bestand schon vor dem Nor- 55 man Conquest 86 ein gewisser Kontakt zu England. Die Eroberung durch die Normannen veränderte in der Tat die Sprachsituation in England und Schottland noch weiter: die Anglisierung Schottlands wurde unter Margaret und Malcolm, der 1073 vermutlich aufgrund der Verleihung einiger Grafschaften die Obrigkeit des englischen Königs William anerkannte, und ihrer drei Söhnen weitergeführt. Die Eroberung setzte auch einen massiven Kontakt mit der französischen und der südenglischen Sprache in Gang. Der Effekt auf die Sprache der eigentlichen Kelten kann wie folgt beschrieben werden: Englisch und Französisch (am Königshof) wurden die „establishment languages“ (die Sprachen, welche für öffentliche und formelle Dinge gebraucht wurden), während Gälisch die Sprache des Hochlandes und der Inseln blieb - zumindest bis zum 18. Jahrhundert. Unter der Herrschaft von David, Malcolms Sohn, wandelte sich Schottland bis 1153 in einen Feudalstaat nach normannischem Vorbild. Im 12. und 13. Jahrhundert konnte man eine richtiggehende Mischung der Bevölkerungsgruppen verzeichnen. Ein signifikanter Faktor im Prozeß der Anglisierung war der Aufstieg der burghs (=borough. Dt.: Stadtgemeinde, Bezirke. 87 ) und damit das anglo-skandinavische Vokabular mit französischem Einfluß. Neu entstandene Ortsbezeichnungen zeigen, daß auch Englisch zu dieser Zeit in den ländlichen Gegenden dominierte. Französisch wurde hauptsächlich von den englischen Magnaten gesprochen und in staatlichen Dokumenten gebraucht, während die Schotten das Lateinische vorzogen. Zentralfranzösisch und das der Normannen blieben die Hauptquellen des französischen Einflusses. Auch heute finden wir aus dieser Zeit noch Wörter, die synonym für denselben Inhalt verwendet werden (z.B. liberty/freedom etc.), eines davon jeweils mit französischem Ursprung. Außerdem überleben eine Reihe französischer Wörter noch heute in Scots, welche im Englischen schon verloren gegangen sind, z.B.: ashet, douce, dean, mavis, staul und andere. Das Niederländische, oder 86 Norman Conquest: Die Eroberung durch die Normannen, im Jahre 1066, durch William, Duke of Normandy, welcher am 25. Dezember 1066 als „William the Conqueror“ in der Westminster Abbey zum König gekrönt wurde. 87 Burgh und burgess sind selbst auch angelsächsische Ausdrücke. Definition nach McCRUM/CRAN/ 56 Flämische, trug auch dazu bei, das Vokabular zu beeinflussen. Gelernte Handwerker aus Flandern oder Brabant kamen nach Schottland und brachten ihre Sprache selbstverständlich mit. Nach den Unabhängigkeitskriegen zwischen Schottland und England unter William Wallace und Robert the Bruce (1286-1371), infolge derer die englische Krone 1328 im Vertrag von Northampton die Souveränität Schottlands anerkannte, wurden nicht nur die Ressentiments, die die beiden Nationen gegeneinander hegten, sondern auch noch die Kluft hinsichtlich der Sprache verstärkt. Das Französische verschwand im Laufe des 14. Jahrhunderts und das Gälische kam aus dem Tiefland. „Inglis“ war nun eine literarische Sprache. Das Parlament regelte seine Amtsgeschäfte seit 1390 auf Inglis (anstelle des früheren Lateins); und eine Anordnung des Parlaments aus dem Jahre 1425 schrieb vor, daß die alten Rechtsschriften nun übersetzt werden sollten. Gälisch, die frühere Sprache der Schotten (=“lingua Scotica“), änderte seinen Namen zu Hibernica, Erse oder Irish. Im Jahre 1494 wurde endlich Scottis als nationales Adjektiv für Scots angewendet. Scots wurde als eine Form von Englisch angesehen. Die eigentlichen Scoti war die gälischsprechende Bevölkerung, daher nannte man in lateinischen Texten das Gälische auch früher lingua Scotica (siehe oben) oder lingua Scotorum. Doch schon zu der Zeit nannte man das umgangssprachliche Gälisch Irisch oder Ersche. Um die Konfusion hinsichtlich der Bezeichnungen der verschiedenen Sprachen noch einmal klären zu wollen: Bis zum Ende des 15. Jahrhunderts meinte Scottis das Gälische, während Inglis oder Inglish das Schottische und das Englische in einem Terminus zusammenfaßte. Seit 1484 jedoch bezog sich Scottis auf Scots und Inglis auf Englisch, während man von Erse sprach, sobald man das Gälische meinte. Zwei Nationen teilten sich die Insel im 16. Jahrhundert. Scots war relativ unabhängig von Südenglisch, es wurde als distinktive nationale Sprache anerkannt. Trotz allem, wenn auch die Sprachen in politischer oder sozialer Hinsicht unterschiedlich waren, in linguistischer Hinsicht konnte man MacNEIL: The Story of English. London 1986 und 1992, S.146: „A burgh is a colony or town surrounding a castle […][It was] introduced by David I.“ 57 auch damals ihre Verwandtschaft nicht abstreiten. Man kann diesen Zustand mit der heutigen Situation der skandinavischen Sprachen vergle ichen (siehe auch Kapitel 8.3.1.). Der gemeinsame Vorfahr des Mittelschottischen des 16. Jahrhunderts und des metropolitischen Tudor English war Altenglisch. Standard English ist heutzutage in jedem Teil der englischsprechenden Welt präsent, Schottland mit eingeschlossen. Ein wichtiger Faktor, der die Anglisierung des späten mittelalterlichen Schottisch erst ermöglichte, war die bestehende enge Verwandtschaft mit der (mittelenglischen und südöstlichen) englischen Sprache. Im 15., 16. und auch 17. Jahrhundert besaß Schottland weder die nötige linguistische Loyalität noch genügend Patriotismus, um dem Einfluß, den die englische Sprache ausübte (zunächst in geschriebener, dann auch in gesprochener Form), entgegenzutreten. Doch obwohl das geschriebene Scots schon seit dem 16. Jahrhundert anglisiert wurde, blieb das gesprochene Scots bis zum 17. Jahrhundert völlig autonom. Im 16. Jahrhundert war Scots nicht mehr nur der nördliche Dialekt des Angelsächsischen. Vielmehr wurde nun das „Englisch des Königs von England“ dem „Scots des Königs von Schottland“ gegenübergestellt. 88 Mittelschottisch zeigte auch - im Vergleich mit Mittelenglisch - Unterschiede im Vokabular: Lehnwörter von den Normannen waren nicht zu überhören. Im Mittelalter wies Scots auch hinsichtlich der Syntax, des Vokabulars, der Aussprache und Morphologie Unterschiede zum Englischen auf, von denen auch heute - wie bereits in Kapitel 3. dargestellt - noch viele existieren. Bis zum 16. Jahrhundert hatten Schottland und England eine Verga ngenheit, die von äußerst problematischen politischen Beziehungen gekennzeichnet wurde, betrachtet man einmal die Feindschaft im 13. und 14. Jahrhundert. Auch im Mittelalter sahen sich die beiden Nationen die meiste Zeit miteinander im Kriegszustand, sei es formell oder informell, territoriale Fragen betreffend. 88 Vgl.: POLLNER, C.: From Riches to Rags, from Rags to Riches?... In: Anglistik und Englischunterricht 38/39, a.a.O., S.59 58 Zwei unabhängige anglophone Nationen mit unterschiedlichen Standardsprachen hatten einst nebeneinander existieren können, lediglich getrennt durch den Tweed (die Solvay-Tweed-Linie bestand seit 1237 als Südgrenze von Schottland) - eine Situation, die zur Folge hatte, daß sich ein vollständig funktionelles Standard Scots entwickeln konnte. Die Zentren von Englands Englisch waren der Südosten und London, während Schottland als fundamental nördlich bezeichnet werden konnte und seine Sprache auf seine eigene Weise ausbilden konnte. Das 15. und 16. Jahrhundert waren dadurch gekennzeichnet, daß die kulturellen und diplomatischen Kontakte zwischen den beiden Nationen sich vermehrten. Die Mitte des 16. Jahrhunderts stellte schließlich das Ende des Mittelschottischen und den Anfang des modernen Scots dar. Die Reformation von 1560 und, verbunden damit, John Knox, der eine katholisch- französische Vorherrschaft fürchtete, veränderte das Bild in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und führte das Englisch in seiner Schriftform in jedes schottische Heim ein. Dies wurde allein dadurch arrangiert, daß seit 1580 die Geneva Bible, gedruckt in Schottland, aber geschrieben auf Englisch, auf den Markt kam. Schotten aller Klassen sahen (den Bibeltext) und hörten (bei der Predigt in der Kirche) die englische Sprache nun regelmäßig und assoziierten ihren Glauben sowie religiöse Gedanken im allgemeinen mit der südenglischen Sprache, da es keine Bibel in schottischer Sprache gab. Die schottische Sprache war zweifellos so eng verwandt mit dem Elisabethanischen Englisch, daß die Schotten die englische Version verstehen konnten. Im Jahre 1579 war es sogar ein schottisches Gesetz, daß jeder Haushalt eine Bibel und ein Psalmbuch besitzen mußte. Eine Passage von Purvey´s Version von Wycliffe´s Neuem Testament wurde von Murdoch Nisbet mit schottischen Wortschreibweisen versehen, doch es gab zu der Zeit keine zufriedenstellende und veröffentlichte Bibelübersetzung auf Schottisch. Die schottische Bevölkerung, obwohl sie politisch noch von England unabhängig war, glaubte, da das Wort Gottes unverkennbar auf Englisch gehalten war, Gott müsse folglich ein Engländer gewesen sein - oder zumindest kein Schotte. 89 Somit gibt es auch nur sehr wenige Beispiele in der schottischen Literatur, in 59 denen Gott auf schottisch gesprochen hätte. Zusammen mit der Reformation kam es zu einer Polarisation der englischen Sprache auf der einen Seite und der schottischen auf der anderen. Literarische Werke wurden vornehmlich auf Englisch gedruckt, so daß nach und nach das Englische die geschriebene Sprache von Schottland ersetzte. Anfang des 17. Jahrhunderts, im Jahre 1603, war es dann so weit: Jakob VI von Schottland folgte Elizabeth I. und wurde Jakob I. von England. Er verließ Edinburgh, um nach London zu ziehen - und nahm das Ansehen, welches mit dem Königshof verbunden wurde, mit sich. Diese verhängnisvolle Thronfolge trug wesentlich dazu bei, Schottland seines bis dato noch vorhandenen Prestiges zu entrauben. Von 1640-45 und 1647-49 herrschte Bürgerkrieg in England. Die schottischen National Convanters schlugen sich auf die Seite des englischen Parlaments und kämpften gegen Karl I., der schließlich von Oliver Cromwell (1599-1658) hingerichtet wurde. In Schottland wurde Karl II. zum König ausgerufen, Cromwell fiel daraufhin in Schottland ein und schlug die Anhänger Karls vernichtend. Als Lord Protector übernahm er die Herrschaft von England, Schottland und Irland. Bestand schon vor dem Jahrhundert der Union der Kronen90 ein gewisser Einfluß des Südenglischen auf Grammatik, Vokabular, Rechtschreibung und Idiome des Schottischen, so wurde die Anglisierung durch die dann folgenden verstärkten Kontakte zwischen Engländern und Schotten stärker als jemals zuvor. Scots wurde nach der Reformation nicht nur seines religiösen Status und damit auch einer wichtigen sprachlichen Quelle (die Bibel), und - darüber hinaus - auch des sozialen Prestiges durch die Union of the Crowns beraubt, sondern auch der politische Status wurde ihm durch die Ereignisse von 1707 entrissen. In diesem so bedeutenden Jahr erkannte nämlich das schottische Parlament den Vertrag zur Vereinigung beider Häuser sowie das Thronrecht der Hannoveraner an. England überwies seinerseits 400 000 Pfund zur Begleichung der Staatsschulden und vergab das Recht auf einen eigenen schottischen Überseehandel. Zwar 89 PURVES, D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 90 Engl. Bezeichnung: Union of the Crowns 60 akzeptieren die Jakobiten, Anhänger des Hauses Stuart, den Verlust der schottischen Souveränität nicht und versuchten, mit dem Stuart-Prinzen „Bonnie Prince Charlie“ die schottische Krone zurückzugewinnen. Doch vor allem die Bewohner des schottischen Tieflandes hielten - aus rein wirtschaftlichen Gründen - an der Union mit England fest. Die Briten regierten Schottland infolge der Schlacht von Culloden, bei der Prinz Karl unterlag, wie eine Kolonie und versuchten, die kulturellen Wurzeln systematisch zu vernichten, indem sie auch die Kilts und die Clan-Abzeichen verboten. Diese Politik der extremen Unterdrückung wurde auch von nichtkeltischen Schotten unterstützt, die sich gegen die Restauration der Stuarts wandten. 91 Der jähe Niedergang des Keltentums und der keltischen Sprache wurde durch die sogenannten „Hochland-Bereinigungen“ noch beschleunigt. Das Englische wurde zur offiziellen Schriftsprache und gesprochenen Sprache, auch für den Gebrauch in der Kirche, des Rechts, der Erziehung und natürlich der Administration. Bis zu diesem Act of Union im verhängnisvollen Jahre 1707 war Schottland ein vollkommen separater Staat gewesen, der sein eigenes Parlament mit anderen politischen und administrativen Institutionen besessen hatte. Was die Literatur betraf, so hatte lediglich der Nordhumbrische Dialekt Schottlands neben dem östlichen Dialekt Englands Bestand. Doch alles sollte sich schlagartig ändern. Das Gälische sah seit zumindest dem 17. Jahrhundert seinem Abstieg als Primärsprache entgegen, selbst in den Gegenden nördlich des Forths und in den westlichen Inseln, in einigen Teilen von Aberdeenshire und Galloway. Die militärischen Besetzungen, die den Jakobitenaufständen von 1715 und 1747 folgten, führten Englisch in die früheren gälischspreche nden Regionen ein. Der Kontaktzuwachs zwischen den Schotten und den Engländern war enorm: die „Scoto-Britannen“ wurden erschaffen. Ebenfalls beträchtlich war die Zahl der Heiraten zwischen englischen und schottischen Aristokraten. Jeder adlige Schotte verbrachte einige Zeit in Südengland, und wohlhabende Schotten schickten ihre Söhne auf eine englische Schule mit 91 Vgl.: NAIRN, T.: Die Schotten. In: BLASCHKE, J. (Hrsg.): Handbuch der europäischen Regionalbewegungen. Frankfurt 1980, S.266 61 gutem Ruf. Daher war es kaum erstaunlich, daß die Angehörigen der schottischen Oberklasse, welche in sozialer Hinsicht „versüdlicht“ waren, ihr schlecht angesehenes Scots durch das „elegantere“ Südenglisch, welches so guten Ruf genoß, ersetzten. Trotzdem wird der Akzent, der von diesen Adligen gesprochen wurde, wohl ihre schottische Herkunft verraten haben, da er wahrscheinlich immer noch schottisch klang. Eine Mischung aus Scots und Südenglisch kann man auch in einigen Schriftstücken finden. Im 17. Jahrhundert wurden in Schottland auch die phonetischen Schreibweisen, die südöstliches Englisch widerspiegeln sollten, gebräuchlich. Um gesprochenes Englisch besser adaptieren zu können, brachte man einige Bücher heraus, die beschreiben sollten, wie Englisch in England ausgesprochen wurde. Da auf die Orthographie wenig Verlaß war, was die Aussprache der Wörter betraf, die ja doch anders gesprochen als geschrieben wurden, und die Schotten auch in ihren englischen Wörtern noch die schottische Aussprache hatten (wie es ja auch heute oft noch der Fall ist), publizierte man Bücher, die die „richtige“ Aussprache lehren sollten. 92 Man sieht deutlich: Scots hatte endgültig seinen Status verloren. Das (wenn wohl auch nicht vollkommene) „Verschwinden“ von Scots wurde letztendlich im 18. Jahrhundert erreicht, wiederum durch die verstärkten Kontakte zwischen den Völkern. Die Kultur blieb in der alten Sprache noch in Folk-songs, Geschichten, Balladen und Sprichwörtern erhalten. Während dieses Jahrhunderts begann auch die Ausmerzung der Scottizismen; auf der anderen Seite jedoch muß auch das neu erweckte Interesse an Scots betont werden. Schriftsteller hatten in dieser Zeit die Wahl zwischen purem Scots, einer Mischung zwischen Scots und Englisch und reinem Südenglisch. Broad Scots, die traditionelle Sprache, blieb nun den Konservativen vorbehalten, die als common people (gewöhnliche Leute) oder sogar als ordinär angesehen wurden. Ein paar Schotten, die der Oberklasse entstammten, gebrauchten - da sie Angst hatten, diese gänzlich aus ihrer Sprache zu eliminieren - auch mithin noch einige Scottizismen, obwohl sie sich dar92 BUCHANAN, J.: Linguae Brittanicae Vera Pronunciato (1757), BURNS, J.: The Pronouncing Dictionary of the English 62 über bewußt waren, daß diese mit dem gemeinen Volk assoziiert wurden. Im 18. Jahrhundert beeinflußte die Augustäische Kultur stark die der Schotten. Der Akzent der Mittelklasseschotten heute unterscheidet sich in einigen Punkten von dem der Arbeiterklasse, obwohl der der erstgenannten auch noch sehr Schottisch geblieben ist. Im 19. Jahrhundert wurde die Position, daß vernacular Scots (hier sind die traditionellen Dialekte gemeint) völlig ausgelöscht werden solle, endlich aufgegeben. Jamiesons Wörterbuch erschien im Jahre 1808, mit ihm eine Reihe von schottischen romantischen Literaten und, letztendlich, ein neues Gefühl des schottischen Patriotismus bei Leuten wie z.B. Lord Cockburn. Der Aristokrat Cockburn, wie auch Sir Walter Scott, waren hin und hergerissen zwischen der Liebe zu Schottland und der Loyalität zur Oberschicht. 93 Letztere stach letztendlich aber doch die Loyalität zum Vaterland aus, denn Cockburn schickte seine Söhne zur Edinburgh Academy, die erste Schule nach dem Modell der englischen public schools, in denen Schottisch bewußt nicht gesprochen und gelehrt wurde. Doch nur sehr wenige Schotten konnten nicht Englisch sprechen - verstehen konnten es zu der Zeit sicher schon alle: „Unmixed Scotch is ever to be heard. The most common dialect is a mixture of Scotch and English...“94 Scots wurde nun in drei Klassen aufgeteilt: „gebildetes“ Scottish Standard English (≅ ESSE heute) und der „echte Dialekt“, der noch tolerierbar war, und sogenannte „slovenly perversions of dialect “95 , welche keinesfalls wünschenswert erschienen. Im 20. Jahrhundert lebte Scots in der „(Neuen) schottischen Renaissance“, auf die im nächsten Kapitel ausführlicher eingegangen werden wird, wieder auf. Verfolgt man die Geschichte der schottischen Sprache zurück, so stellt man zweifellos fest, daß hier ganz besonders die politische Geschichte, Language (1777), SCOTT, W.: A General View of English Pronunciation (1784). 93 KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.111 94 AITKEN, A.J./McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.98 95 Damaliger gängiger Ausdruck negativer Konnotation bezüglich der Dialekte, die durch äußere Faktoren beeinflußt wurden und nicht mehr den traditionellen, „echten“ Dialekten entsprachen. Die Sprache in Glasgow - und in den Großstädten überhaupt - wurde oft mit diesem Ausdruck gemeint. 63 Literatur (die auch noch später umrissen werden wird) und Sprache wechselseitig aufeinander eingewirkt haben. Man sieht klar und deutlich: solange Grenzen da sind, wird die Sprache einer Nation auch als Landessprache anerkannt, selbst wenn sie noch so sehr von äußeren Faktoren beeinflußt wird oder gar eng mit einer anderen, benachbarten Sprache verwandt ist. 96 Fallen diese politischen Grenzen jedoch weg, ist die Sprache gleichzeitig keine Landessprache mehr, verliert an Ansehen und selbst die eigene Bevölkerung wird unsicher, was ihren Gebrauch angeht. „Scots English had long before defeated a competing language, Gaelic, but it did not defeat the competing dialect of Anglo-English […] Its spread was cut short by anglicization“97 . Murison faßte den tragischen Verlauf der schottischen Geschichte wie folgt zusammen: „The Union of 1707 was the last act in the story. When the legislature removed to London, (Anglo-)English became in effect the official language of the whole country for law, administration, education and church usage, spoken as well as written. Scots became more and more restricted in use of scope, having lost spiritual status at the Reformation, social status at the Union of the Crowns and political status with the Parliamentary Union.“98 4.2. Die schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts Da, wie gesagt, die politische und sprachliche Situation in Schottland auch eng mit Schottlands Literatur zusammenhängt, wird im folgenden Kapitel auf die schottische Literatur des 20. Jahrhunderts eingegangen werden, die wesentlich dazu beigetragen hat, den Patriotismus der Nation, die nun oft als Anhängsel von England angesehen wurde und, was den Status betrifft, doch nie mit ihr gleichgestellt wurde, zu stärken. 96 Siehe auch KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.141: „...one nation´s language is another´s corrupt dialect if a political border happens to be drawn in the wrong place.“ Hervorhebung durch d.V. 97 DEVITT, A.J.: Standardizing written English - Diffusion in the case of Scotland. 1520-1659. Cambridge 1989, S.8 64 In der Entwicklung der schottischen Literatur kann man sechs Phasen unterscheiden: 1. Die Literaturanfänge: bis ca. 1400 2. Das erste Goldene Zeitalter: ca. 1400 bis 1600 (Makkars) 3. Die Krisen der Identität und der Teilung: ca. 1600-1750 4. Das zweite Goldene Zeitalter: 1750-1840 (Aufklärung) 5. Viktorianischer und Edwardianischer „Escapismus“99 : 1840-1920 6. Das dritte Goldene Zeitalter: 1920-heute a) Schottische Renaissance: 1920-1950 (Hugh McDiarmid u.a.) b) Schottisches „Reinforcement “100 (1950- heute) Diese Einteilung ist subjektiv und nach eigenen Einschätzungen vorgenommen worden. Um zu verdeutlichen, warum gerade die schottische Literatur des 20. Jahrhunderts patriotische Züge aufweist, muß man zunächst kurz den politisch-historischen Hintergrund, der die Vorläufer in der Literatur, von Ramsay bis hin zu Burns beeinflußt hat, erklären. Während der Aufklärung wurde Edinburgh als die „Stadt der Aufklärung“, „Das Athen des Nordens“ oder sogar, gemeinsam mit Genf, „Die Augen von Europa“101 genannt. Dazu haben wichtige Philosophen, beispielsweise David Hume, 102 beigetragen. 98 MURISON, D.: The Guid Scots Tongue. Edinburgh 1977. Hervorhebung durch d.V. 99 Hier sind im wesentlichen die Kailyard-Geschichten gemeint, in denen Scots vor allem mit „Heim und Herd“ assoziiert wurde, die Sprache also immer nur dann gebraucht wurde, wenn das Gefühlsleben angesprochen war. Rationale Themen wurden noch immer auf Englisch abgehandelt. 100 Der Begriff Reinforcement meint in der vorliegenden Arbeit eine nochmalige Verstärkung des schottischen Patriotismus, wie er durch bestehende Organisationen und die Bestrebungen zur Autonomie Schottlands, wie sie zur Zeit erkennbar sind, meines Erachtens gerade im Moment nicht verleugnet werden kann. 101 SIMPSON, K. (University of Strathclyde). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1994. 102 Allerdings trug David Hume, der sich seiner schottischen Ausdrücke schämte, auch in großem Maße zur Anglisierung bei. Er änderte nicht nur die ursprünglich schottische Schreibweise seines Namens (Home wurde zu Hume), er veröffentlichte beispielsweise auch eine list of scotticisms, die die schot- 65 Seit der Union von 1707 fühlte Schottland das große Bedürfnis, seine Stärke zum Ausdruck zu bringen. Der Königshof, vorher Zentrum intellektueller Macht und Aktivität in Schottland, befand sich nun in England. Mit ihm gingen auch die Kunst und der künstlerische Ausdruck. Im 17. Jahrhundert fehlte es in Schottland daher auch an Regeln; die Entwicklung kam nur sehr langsam voran; die Aufklärung wurde um fast ein Jahrhundert verzögert und wurde schließlich eingeleitet durch die Reisen schottischer Gebildeter außerhalb Schottlands. Den zweiten Schritt zum Gedankengut der Aufklärung machten die Geschichts- und Naturwissenschaftler, die die Unterschiede der bestehenden Bevölkerungsgruppen verringern wollten. Mit der Aufklärung kamen die Industrialisierung und der Kapitalismus. Die Doktrinen der Kirche wurden angezweifelt (die Vorstellung von Fortschritt und sozialer Mobilität trugen dazu bei, daß der Kalvinismus sich ausbreiten konnte, der von vielen paradoxerweise als das Ende des Fortschritts in Schottland angesehen wurde.). 1725 errichtete Ramsay die erste Leihbücherei in Edinburgh. Die Presbyterianer verboten das Theater, daher kann man fast schon von einem „Verfall“ der Zivilisation und der Kultur sprechen. Die Aufklärung in Schottland stellte ganz deutlich eine Reaktion gegen den sozialen Zustand im 17. Jahrhundert dar. Der Kalvinismus war jedoch nicht das absolute Übel, welches den Scho tten aufgezwungen wurde. Seine Doktrinen haben zweifelsohne die künstlerische Entfaltung beschränkt, doch wurde dies weitestgehend von der damaligen Bevölkerung akzeptiert und in ihr Weltbild übernommen. Die religiöse Reformation war also nicht der alleinige Zerstörer des florierenden Fortschritts (der speziell schottischen Kultur und Literatur) in Schottland. Die Kirche und die „Law Lords“, die sich selbst als kulturelle Elite ansahen, sollten das Vakuum füllen, welches entstanden war, nachdem das tischen Sprecher darauf aufmerksam machen sollten, welche Wörter original schottisch sind und nicht verwendet werden sollen. Es wird von Hume gesagt, daß er am Sterbebett dem Geistlichen nicht seine Sünden beichtete, sondern seine Scottizismen! 66 Parlament nach England übersiedelte. Die Literati wählten Englisch als ihre Schriftsprache, um ein breiteres Publikum zu erreichen. Daher kam die Aufteilung zwischen der Sprache der Gedanken, nämlich „gebildetes Englisch“ auf der einen Seite und die Sprache der Gefühle andererseits, nämlich „vernacular“ Scots, zustande. Ramsay (1684-1758) war bekannt als der Initiator des „Scottish vernacular revival“. Er benutzte die Sprache als expressives Medium in seinen Gedichten. Fergusson (1750-74) und Burns (1759-96) würden wohl nicht in der Art geschrieben haben, in der sie es taten, wenn nicht Ramsay, angetrieben vom Patriotismus, vor ihnen schon einiges auf literarischem Sektor erreicht hätte. Ramsay zeigte seine Bewunderung für die Makkars (vor allem Dunbar), für die Natur und für die Umgebung, nämlich Schottland. Er benutzte daher schon veraltete Wörter, die er aus den Balladen der Makkars übernommen hatte, in seinen Gedichten. Allerdings schrieben sowohl er, als auch Fergusson und später Burns, gelegentlich auf Englisch, weil der lokale schottische Dialekt eher mit dem Umgangssprachlichen, Informellen und daher auch mit komischen oder satirischen Themen („low subjects“) verbunden wurde. Diese Dualität der Sprache erzeugte auch eine kulturelle Dualität, derer sich die damaligen Autoren bewußt waren. Die Poeten dieses Zeitalters wollten den Verlust der politischen Macht damit kompensieren, durch ihre Werke das Gedankengut, welches der Kultur Schottlands zu eigen war, der schottischen Bevölkerung wiederzugeben. Die expressiven Energien dieser Poeten überbrachten und imitierten die Energie des sozialen Lebens dieser Zeit. Fergusson benutzte eine Mischform des Schottischen. Er übernahm, wie auch Ramsay, veraltete Worte der Makkars, aber auch Ausdrücke spezieller Dialekte wie beispielsweise Aberdeenshire; und er kreierte sogar selbst neue Wörter. Er benutzte in seinen Gedichten zum Teil einen hohen Grad an Formalität, nur um sich darüber lustig zu machen und die Vorstellung, gebildete Schotten benutzten in formelleren Situationen Englisch, zu kritisieren. 67 Dies drückt ganz klar seine Meinung aus: die Schotten besitzen eine Kultur, die nur ihnen selbst gehört! Insbesondere die schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts, die im Wesentlichen auf diesen Vorläufern des scottish vernacular revivals103 aufbaut, läßt einen Zusammenhang zwischen Literatur und nationaler Identität deutlich erkennen. Hauptsächlich die Autoren der 20er und 30er Jahre legten nicht nur Wert auf den sprachlichen Aspekt in ihren Werken, sondern bezogen auch den politischen und thematischen Aspekt mit ein. Noch gibt es eine Forschungslücke bezüglich der Renaissance als Bewegung (=als mehr oder weniger homogenes Ganzes), obwohl diese doch so wichtig war, um die nationale Identität der Schotten wieder ins Bewuß tsein zu rufen und der Bevölkerung klarzumachen, daß die schottische Sprache nicht vom Aussterben bedroht ist, so lange es die Bevölkerung nicht zuläßt. Eine Untersuchung des Aspektes „nationale Identität“ wäre daher als Ergänzung wichtig. Den Ausdruck „Schottische Renaissance“ prägte Hugh MacDiarmid. Eine der Definitionen findet man in Craigs Einleitung zu dem Band The History of Scottish Literature: Twentieth Century (1987): „The great wave of Scottish literary reassertion in the 1920s which we now call the Scottish Literary Renaissance took both name and some of its impetus from the more politically focused Irish movement of the previous decade.“104 Die Rede ist bei Hugh MacDiarmid auch von der „Schottischen Renaissance Group“ oder „- Movement“. Der Begriff „Scots Renaissance“ hingegen kann bedeuten: 1. Schottische Renaissance (Kurzausdruck) oder 2. er kann sich auch auf den sprachlichen Aspekt - auf den Gebrauch der schottischen Sprache - beziehen, wie er vor allem durch MacDiarmid in den 20er und 30er Jahren propagiert worden ist. 103 Ausdruck übernommen von SIMPSON, K. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1994 68 Weitere Ausdrücke, die synonym verwendet werden, sind die selteneren Bezeichnungen: The Scots Movement, Scots Literary Renaissance und Scottish Literary Revival, wobei die letzten beiden ausdrücklich die Literatur einschließen. Im nachfolgenden Text wird für den Begriff: „Schottische Renaissance“ das Kürzel SR benutzt werden. Die Schottische Renaissance ist natürlich nicht zu verwechseln mit der Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts, daher wird auch in der Überschrift und Einleitung von der SR des 20. Jahrhunderts gesprochen. Oft steht dieser Ausdruck nicht nur für die tatsächlichen Leistungen und Neuerungen, sondern auch programmatisch im Sinne von Hoffnung und Absicht. Hugh MacDiarmid war hierbei zwar der Initiator, aber es wäre inkorrekt, allein ihn mit der SR in Verbindung zu bringen. Denn hierbei handelt es sich ja nicht nur um eine Bewegung von Dichtern, wie MacDiarmid ja einer war, sondern auch Romanautoren haben einen beträchtlichen Beitrag zur SR geleistet. Auch MacDiarmid hat schottische Kurzgeschichten und weitere Prosawerke verfaßt. Die SR begann nach Ende des ersten Weltkrieges, doch es ist umstritten, wie lange sie tatsächlich andauerte. Christopher Harvie meint, man könne dies auf das Jahr 1936 datieren, während Hugh MacDiarmid selbst im Jahre 1938 meint, er habe sich von der korrumpierten Renaissancebewegung gelöst, um dann wenige Jahre später wieder eine positivere Einstellung gegenüber der SR einzunehmen. 105 Wie lange die SR gedauert hat, ist demnach eine Frage der Definition. Ihre allgemeinen Kennzeichen sind zumindest ein gehobeneres Niveau bezüglich der Literatur und Kultur in Schottland und neue thematische Ansätze, vor allem hinsichtlich der Darstellung Schottlands, für hauptsächlich schottische (und nicht englische) Leser. Die Ursache hierfür ist, wie schon angedeutet, ein ausgeprägtes, allgemein neu entstandenes Nationalbewuß t104 Zitiert nach HAGEMANN, S.: Scottish Studies. Die Schottische Renaiccance. Frankfurt am Main 1992, S.12 105 Für nähere Ausführungen siehe EBENDA, S.19 69 sein, welches man in Schottland nach dem ersten Weltkrieg verzeichnen konnte, und politischer Nationalismus. Neben den Bestrebungen MacDiarmids, der zweifelsohne als Nationalist anzusehen war, wurde im Jahre 1886 die Scottish Home Rule Association gegründet. Im sprachlichen Bereich leistete außerdem der Vernacular Circle of the London Burns Club wichtige Vorarbeit. Nationalität, Internationalität und Universalität gingen also hierbei Hand in Hand: die schottische Kultur sollte unabhängig von der englischen sein und auch so akzeptiert werden. Die erst von Gibbon, später von MacDiarmid herausgebrachte Reihe „The Voice of Scotland“ ließ eine kritische Neubewertung Schottlands in Sinne einer eigenen Nation hinsichtlich der eigenen (Zeit-)Geschichte nicht unversucht. Die Ziele der SR waren hauptsächlich: 1. Definierung Schottlands als eigene Nation, nicht als ein bloßes Anhängsel von England. 2. Distanzierung von der viktorianischen Idylle, wie z.B. Schottland in der Literatur von „Kailyard“ und „Celtic Twilight “ dargestellt wurde. Hugh MacDiarmid meinte, den gälischen Dichtern und den schottischen Makkars des 15. und 16. Jahrhunderts, insbesondere William Dunbar, müsse mehr Bedeutung zuteil werden als dem allseits so verehrten Robert Burns. Sein Leitspruch „Not Burns- Dunbar!“ ist wohl sehr bekannt und schon oft zitiert worden. An eine mögliche Verbindung der beiden Autoren dachte er ansche inend nicht. Edwin Muir, ein bedeutenderer und kompetenterer Literaturkritiker als MacDiarmid, lobte vor allem Robert Henryson und die schottischen Volksballaden. Im Jahre 1927 beteiligte sich MacDiarmid an der Gründung eines schottischen PEN-Zentrums. Doch die Neuorientierung scho ttischer Kultur war nicht nur im Bereich der Literatur zu verzeichnen, sondern ebenfalls im Theater, in der bildenden Kunst und Musik. Es bildete sich ein größerer Realismus auf sozialer und nationaler Ebene heraus (im Theater zum Beispiel förderte McLellan die historische Dramenbeschäfti- 70 gung mit Schottland; Gedichte von Dunbar, Burns, MacDiarmid und Soutar wurden vertont und Charles Rennie Mackintosh als bildender Künstler und Architekt sowie Möbeldesigner hoch geschätzt). 106 Da es zur damaligen Zeit jedoch weder an den Schulen noch an den Hochschulen schottische Lehrstoffe gab, konnte sich die SR, nach Meinung vieler Nationalisten, auch nicht ungehindert und in jedem Terrain entfa lten. Dies entspricht auch der Einstellung heutiger Befürworter der schottischen Sprache: die Schulen und Universitäten müßten wesentlich dazu beitragen, das nationalistische Bewußtsein und natürlich vor allem das Bewußtsein einer schottischen Sprache und das Wissen über sie zu fö rdern. Fionn MacColla setzte sich in seinem Roman „The Albannach“ (1932) mit der Verdrängung des Gälischen an Schulen und Universitäten auseinander. Auch Sorley MacLean kritisierte die einseitigen Lehrpläne. Viele Anhänger der SR glaubten auch, daß der Kalvinismus Schottlands Verderben gewesen sei. Die Reformation und der hoch anglisierte John Knox sowie die englische Bibelübersetzung trugen augenscheinlich nicht gerade zu einem erhöhten schottischen Nationalbewußtsein bei. Daher machte man sich in der SR auf die Suche nach einer neuen schottischen Identität. Als neue Kommunikationskanäle kann man MacDiarmids Anthologien und Periodica ansehen, z.B. der nationalistische „Scots Independent“. Auch im „Glasgow Herald“ und im „Times Literary Supplement“ erschienen nun immer wieder Veröffentlichungen, die wichtig für die SR waren. Da die Protagonisten der SR Schottland weder als Anhängsel von England definieren wollten, noch zusammen mit England in einem Zusammenschluß (=Großbritannien) aufgehen wollten, orientierten sie sich auch außerhalb von Großbritannien. Vorbilder und Einflüsse, vor allem aus Frankreich gab es ja auch zuhauf vor der Union, als England noch 106 Dies ist noch bis heute der Fall. Mackintosh wird, vor allem in Glasgow als der nationale Künstler bezeichnet, und man findet überall Postkarten, Bücher und Informationsmaterial über ihn. Das Mackintosh House in Glasgow, von ihm gebaut und auch bis zu seinem Tode bewohnt gewesen, ist nun ein Museum und wird Tag für Tag von zahlreichen Besuchern besichtigt. Die Mackintosh Ausstellung in den McLellan Galerien in Glasgow (Mai bis September 1996) wurde extra früher eröffnet, um mehr Besucher einlassen zu können, ist aber von Anfang an hoffnungslos überfüllt gewesen. 71 nicht von so großer Wichtigkeit war. Schottland sollte nunmehr nicht nur innerhalb Großbritanniens eine angemessene Rolle spielen, sondern wieder in ganz Europa, wenn nicht gar in der ganzen Welt. Die Schotten sollten sich ein Beispiel an anderen kleineren Nationen, wie beispielsweise Norwegen, nehmen. Edwin Muir rezensierte ausländische Romane, machte unter anderem auch eine Studie über Friedrich Hölderlin. Die Übersetzungstätigkeit aus dem Lateinischen und auch aus lebenden Sprachen (z.B. Deutsch und Dänisch) fand Anklang; auch MacDiarmid übersetzte. Aber er übersetzte nicht - wie Sir Alexander Gray - aus der Originalsprache ins Schottische, sondern aus einer schon existierenden englischen Übersetzung, und zwar hauptsächlich zeitgenössische Autoren. Aus dem Deutschen wurden Heinrich Mann, Hans Carossa, Lion Feuchtwanger und vor allem Franz Kafka übersetzt. Auch in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wurde die Konzentration auf das Sozialgefüge anderer Länder immer stärker. Diese Vielfalt verminderte die Konzentration auf England (insbesondere Lo ndon als Metropole), wie sie vormals bestanden hatte. In der Literatur der SR sollte der universale Aspekt gegenüber der lokalen Relevanz überwiegen: nicht der Schotte, sondern der Mensch generell sollte zum Gegenstand gemacht werden, somit die Instabilität der schottischen Nationalität aufgehoben werden, damit Schottland (s-)einen Platz in der Welt bekäme und behaupten könne. Die Autoren, die im allgemeinen zur SR gezählt werden, sind MacDiarmid, Neil Gunn, William Soutar, Eric Linklater, Fionn MacColla, Robert McLellan, Naomi Mitchinson, Lewis Grassic Gibbon, Lewis Spence, George Reston Malloch, Compton Mackenzie, Edwin Muir, James Bridie, George Blake, William Jeffrey, James Barke und Sorley MacLean. Werke außerhalb dieser Bewegung, die aber zum gleichen Zeitpunkt (20er/30er Jahre) entstanden, waren z.B. die Dramen von James Bridie, oder auch feministische Autorinnen, die sich in ihrer Literatur nicht mit der Frage der Nationalität, sondern der Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft beschäftigten. 72 Da die Beziehung zwischen der Literatur und Politik in Schottland immer schon sehr stark war und ganz besonders hier in der SR überdeutlich zu erkennen ist, bietet es sich an, nun auf den Einfluß des Sozialismus und Nationalismus auf die Autoren der SR einzugehen. Die SR wurde ganz wesentlich sowohl von Sozialismus als auch Nationalismus, 107 welche sowieso aktuelle Ideologien zu der Zeit darstellten (hier wären die Oktoberrevolution und die Ereignisse in Irland zu nennen) beeinflußt. MacDiarmid, unter anderen, versuchte, diese beiden Ideologien zu verbinden, aber im allgemeinen war es eher so, daß die Sozialisten und die Kommunisten von den Nationalisten verschiedene Ziele verfolgten. Die Arbeitslosenquote war in Schottland größer als in England, und es gab ebenfalls eine hohe Auswanderungssquote in Schottland, wodurch die Mittelschicht geschwächt und die Gesellschaft stärker polarisiert wurde. Der Aufstieg der Labour Party war in Schottland noch steiler als in England, und auch die Angehörigen der SR kann man als hauptsächlich linksgerichtet bezeichnen. MacDiarmid, L.G. Gibbon und James Barke waren weit links orientiert. MacDiarmid war seit 1908 Mitglied der Independent Labour Party und ab 1922 als unabhängiger Sozialist im Stadtrat von Montrose. Er hielt nicht viel von der Labour Party, fühlte sich in den 20er und 30er Jahren sogar zum Faschismus und Nationalsozialismus hingezogen, während er sich jedoch von den Greueltaten Hitlers distanzierte. Sein Idol war eher Lenin, der seiner Meinung nach Grundlagen für die Arbeit des Menschen, vor allem des Dichters, geschaffen hatte. Seit 1934 war MacDiarmid dann Angehöriger der Kommunistischen Partei, wurde später aber als Nationalist von ihr ausgeschlossen. L.G. Gibbon vertrat ebenfalls extreme Ansichten, aber erkannte die Gefahr des Faschismus und prangerte ihn unter anderem in der Trilogie „A Scots Quair“ an. Er war ebenso ein Gegner der Labour Party und fühlte sich zunächst von der British Socialist Party angezogen, dann vom Kommu- 107 Der Begriff Nationalismus (= nationalism) ist in Großbritannien nicht von demselben negativen Beigeschmack geprägt wie in Deutschland. Dennoch wird er in dieser Arbeit synonym verwendet. 73 nismus. Ob er jedoch ein Parteimitglied war, ist nicht exakt feststellbar. Von Barke hingegen weiß man, daß er überzeugter Sozialist war. Edwin Muir, der auch dem Sozialismus, insbesondere auch der Independent Labour Party zusprach, könnte man eher der gemäßigten Linken zuordnen. William Soutar, zunächst liberal, interessierte sich später für den Kommunismus und wird oft als „pazifistisch-humanitärer Sozialist“ bezeichnet. 108 Neil Gunn hingegen stellte sogar den Anarchismus neben den Sozialismus über den Kapitalismus. Fionn MacColla gehörte seit 1923 der Independent Labour Party an, engagierte sich danach in der nationalistischen Bewegung. Alle Autoren der gemäßigten Linken drückten eine gewisse Skepsis gegenüber dem totalitaristischen Kommunismus aus und unterschieden sich insofern von den Befürworten der extremen Linken, die als erstes aufgezählt worden sind. Zur neutralen Mitte oder gemäßigten Rechten kann man wohl Compton Mackenzie, der der Labour Party angehörte, George Blake und Eric Linklater (beide zeigten keinerlei Tendenzen nach rechts, sondern zum linken Flügel der Partei) rechnen. Alle Autoren der SR hatten jedoch zwei grundsätzliche Dinge gemeinsam: zum einen das Gefühl für soziale Probleme, zum anderen einen ausgeprägten Individualismus. Auch schon vor dem ersten Weltkrieg war die Frage des schottischen Nationalismus in kulturellem sowie politischem Bereich aktuell gewesen (besonders auch im Zuge der Irlandfrage), doch danach gab es nur Organisationen, die sich mit der Forderung nach der Autonomie Schottlands beschäftigten. Im Jahre 1928 wurde die NPS (National Party of Scotland) gegründet, die man wohl als linke Nationalpartei bezeichnen könnte. Auf einer gemäßigteren Linie fuhr die Scottish Party, die 1932 entstand. Nach verwirrenden Fusionsverhandlungen vereinigten sich die beiden Parteien im Jahre 1934 zur Scottish National Party (SNP), um sich 1942 wieder aufzuspalten: der gemäßigtere Flügel unter John MacCormick ging und gründete die Scottish Convention. Die SNP, 1945 die einzige Oppositionspartei, wurde radikaler, sah aber nach Kriegsende einer Krise entgegen. Zu den radikalen Befürworten dieser Partei könnte man auch MacDiarmid, der Mitbegründer war, zählen. 1933 wurde er als Kommunist von der SNP 74 ausgeschlossen, trat dann nach der Spaltung 1942 wieder bei und wurde sogar in den Vorstand (National Council) gewählt. Fionn MacColla, seit 1928 in der NPS, trat zu dem Zeitpunkt, als die Nationalpartei Zugeständnisse an die schottische Partei machte, aus. Für beide Autoren lag die Bedeutung des Nationalismus viel mehr im kulturellen als im politischen Aspekt. Die Persönlichkeit sollte ihre Meinung nach die Möglichkeit haben, sich voll entfalten zu können, wozu auch eine eigene Sprache gehören sollte. Laut MacColla war dies allerdings die gälische Sprache. Man sah den Zusammenhang zwischen Reformation und Anglisierung insofern, als die Union die Zerstörung der nötigen Identität Schottlands brachte. Lewis Spence war, neben Erskine und Mackenzie, auch radikal nationalistisch, doch strebte er statt eines unabhängigen Schottlands eher eine föderative Union mit England an. Alle betonten Schottlands gälischen Ursprung, da dieser klar definierbar und von England abgegrenzt zu erkennen war. Ihrer Meinung nach wäre die Konzentration auf das Gälische sowohl vergange nheits- als auch zukunftsorientiert. Die gemäßigteren Befürworter propagandierten realistischer und stellten nicht die Forderung nach totaler Unabhängigkeit. Neil Gunn war für eine Fusion zwischen SNP und SP. Er wollte keine völlige Trennung Schottlands von England, zumal er die Trennung zwischen Hoch- und Tiefland ebensowenig befürwortete. Eric Linklater, William Soutar und Naomi Mitchinson sahen die Union mit England, wie sie im 18. Jahrhundert geschehen war, als unvermeidlich an, da sie wirtschaftliche Vorteile brachte, aber sie sahen auch, daß die Schotten dadurch ihr Selbstwertgefühl verloren hatten und ihr Land in Hoch- und Tiefland gespalten worden war. Daher vertraten sie die Meinung, daß im 20. Jahrhundert die Union in ihrer derzeitigen Form nicht unbedingt länger befürwortet werden könne. Ein autonomes Schottland könne sich besser entfalten und Nutzen für Schottland selbst sowie für ganz Europa bringen. Robert McLellan, George Blake und teilweise auch Edwin Muir, der ohnehin ein zwiespältiges Verhältnis zum Nationalismus zeigte, sahen dem Nationalismus und der SNP doch eher skeptisch entgegen. Muir bezweifelte, ob politischer Nationalismus Schottlands Kernprobleme zu lösen 108 Vgl. HAGEMANN, S.: Scottish Studies. Die Schottische Re- 75 vermochte. Die schottische Gesellschaft schien ihm zu unentschlossen, leicht zufriedenzustellen und zu apathisch; sie verhielt sich nicht wie ein richtiger Teil Englands, aber hatte es auch nicht geschafft, eine unabhä ngige Nation zu bleiben - daher würde sie es, nach Muir, wohl auch in Zukunft nicht werden. Das kapitalistische Wirtschaftssystem müßte zunächst durch den Sozialismus ersetzt werden, damit eine echte Nation entstehen könne. Dieser Ansicht widersprach Neil Gunn, doch MacDiarmid und James Barke stimmten mit ihr in manchen Punkten überein. L.G. Gibbon war ein Gegner des Nationalismus, den er als Handlanger des Kapitalismus ansah und dem er faschistische Züge zusprach. Trotzdem hat er nationalistische Bewegungen in Gang gesetzt und wurde selbst sogar als Nationalist angesehen. In seinen Augen entsprach jedoch die schottische Nation hauptsächlich dem ländlichen Schottland, wobei er beide schon als gestorben betrachtete. Die Zukunft sollte zwar nicht mit Hilfe des Nationalismus vonstatten gehen, sich aber am Kosmopolitismus orientieren. James Bridie stimmte für die Schaffung eines schottischen Parlamentes mit beschränkten Vollmachten (er unterschrieb die Forderung „Scottish Convenant “ von John MacCormick), lehnte aber extremen Nationalismus ab. Zusammenfassend kann man festhalten, daß die Vertreter der SR eine sozialistische und nationalistische Einstellung innehatten, welches dem allgemeinen Trend widersprach. Die Mitgliedschaft in der SNP nahm aber ab, da die SNP später eine breitere Masse - und somit natürlich mehr Wähler - ansprechen wollte und sich von den intellektuellen Ideologen (sic), 109 die Betonung auf Kultur, Nation und Kreativität und kosmopolitische Einheitlichkeit legten, abkehrte. Auch nach dem Austritt vieler der Vertreter aus der Parteipolitik blieb der literarische Nationalismus weiterhin einflußreich. Die SR leistete daher einen beachtenswerten Beitrag zur Entwicklung des Nationalismus in Schottland. naiccance. a.a.O., S.74 109 Damit sind hier die Personen gemeint, die die verschiedenen Ideologien befürworteten. 76 Dieser Exkurs in die politische Situation wurde in diese Arbeit mit eingebracht, weil es wichtig scheint, zu sehen, inwiefern das sprachliche Bestreben derer, die sich in der SR engagierten, auch auf ein gewisses nationalistisches Bestreben auf politischem Sektor ausgewirkt hat - oder inwiefern sich beides - politisches und sprachliches Engagement - wechselseitig bedingt haben und heute noch bedingen. Um eine Brücke zur Gegenwart zu schlagen, wird im Kapitel 5.2. noch näher auf das politische Engagement im heutigen Schottland eingegangen werden, da es interessant sein wird, diesen Zusammenhang erneut zu beleuchten und gegebenenfalls herauszustellen, ob die Bestrebungen, wie sie momentan vorangetrieben werden, wohl effektiver sind als sie es in der SR waren. Auf sprachlicher Ebene waren die Autoren der SR nationalistisch eingestellt: die schottische Sprache entsprach - im Gegensatz zur englischen Sprache - am besten den kreativen Bedürfnissen der Schotten und drückte diese auch am besten aus. Die gälischen Werke erreichten jedoch nur einen sehr kleinen Leserkreis und zudem waren auch viele Autoren nicht so kompetent in Gälisch. Im Gebrauch des Schottischen gab es Unterschiede zwischen den einzelnen Literaturgattungen. Daraus resultierte eine Art Sprachenstreit über den Status des Schottischen und dessen Anwendungsbereiche; hauptsächlich in der Dichtung, weniger in Prosa und Theater. In der Dichtung waren Lewis Spence und Hugh MacDiarmid, die Experimente mit dem Schottischen, z.B. auf semantischer und phonetischer Ebene, machten, sehr aktiv. Man stellte fest, daß es für viele schottische Ausdrücke keine 1:1-Entsprechung im Englischen gab und daher die schottischen Umstände, Gefühle und Gedanken immer noch am besten in der ihnen eigenen Sprache ausgedrückt werden können. Schon auf inhaltlicher und lautlicher Ebene (z.B. die zusätzlichen Frikative [ς] und [x]) gab (und gibt) es Differenzen zwischen der schottischen und der englischen Sprache. Das schottische Seelen- und Gefühlsleben ist eben nur auf Schottisch hinreichend ausdrückbar, nicht auf Englisch. MacDiarmid führte nun auch die Synonyme für die schottische Sprache ein: the vernacular, the Doric und Braid Scots. Der Begriff synthetic Scots bezieht sich auf das von MacDiarmid geschaffene Idiom Plastic Scots 77 (Ende der 40er Jahre auch Lallans genannt; siehe auch die Definitionen der Begriffe in Kapitel 2.). MacDiarmid benutzte Jamiesons „Etymological Dictionary of the Scottish Language“ und andere Wörterbücher, aber reduzierte deren Gebrauch ab Mitte der 30er Jahre. Auf theoretischer Ebene propagierte er weiterhin das Schottische, während er seine Gedichte jedoch später wieder mehr auf Englisch geschrieben hat; nachher stark angereichert mit wisenschaftlichen Termini und fremdsprachlichen Zit aten, z.B. gälische Ausdrücke (auch französische, deutsche, italienische, spanische und griechische). Lewis Spence schrieb zweisprachig, doch er behielt die traditionelle Thematik und Diktion bei. Ab 1926 nahm er, wie Sir Alexander Gray eine kritischere Einstellung zu MacDiarmids synthetic Scots ein; 1929 bezeic hnete er es dann als altertümlich und unverständlich. William Soutar veröffentlichte seine ersten schottischen Gedichte 1923 unter dem Einfluß MacDiarmids. Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre schrieb er rege lmäßig auf Schottisch, aber auch noch auf Englisch, ohne daß thematische Unterschiede zu verzeichnen gewesen wären. Beeinflußt wurde er außerdem von den schottischen Balladen. William Jeffrey und Albert D. Mackie wiesen ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Einfluß von MacDiarmid auf. In den Werken von Muir war zunächst kein Orkney-Schottisch auszumachen, aber gegen Lebensende experimentierte er doch mit schottischen Wörtern. Er lobte MacDiarmid für seine Qualitäten als Dichter, doch er sah synthetic Scots nicht als Grundlage einer Nationalsprache. 1936 drückte er in „Scott and Scotland“110 seine Ansicht aus, daß das Schottische zu Unrecht seit der Reformation auf den Gefühlsbereich (hiermit meint er wohl Romane wie „The Man of Feeling“ und die Kailyard writers) reduziert worden sei und somit auch zu Unrecht beinahe ausschließlich das Englische für den rationalen Bereich zuständig gewesen war. Nun müßten beide Bereiche in einer Sprache verbunden werden, um eine wirklich gute Literatur hervorbringen zu können. Doch das Schottische sei hierzu nicht geeignet (da es keine Standardsprache mehr gäbe, sondern lediglich noch Dialekte) und das Gälische ebensowenig. Das 110 Vollständige Literaturangabe: MUIR, E.: Scott and Scotland: The Predicament of the Scottish Writer. O.O. 1936. Einleitung: Allan Massie. Edinburgh 1982 78 Englische müsse somit auch schottische Themen behandeln und den Schotten ihr Identitätsgefühl wiederbringen. Scheinbar wertet Muir, der ja selbst Schotte ist, die englische Sprache höher als die schottische, was sein ambivalentes Verhältnis zu Schottland zeigt. Oft wurde er für diese Einstellung kritisiert, da er den politischen Aspekt außer Acht gelassen hat, die Emotionsebene nicht nur ein schottisches Phänomen ist und auch Englisch nicht vollkommen ist oder sein kann. Vor allem von MacDiarmid, der ihn als Verräter ansah, wurde er aufs Heftigste kritisiert. - Verständlich, immerhin konnte diese ambivalente Einstellung Muirs nicht mit der MacDiarmids zusammengebracht werden und widersprach sich auch in einigen Punkten völlig. Wie kann man auch als Schotte seine eigene Identität bewahren ohne die den Schotten eigene Sprache, die ja zweifelsohne von vielen Schriftstellern, gerade in der Zeit der SR, erfolgreich benutzt werden konnte und auch wurde, fördern zu wollen ? In der Prosa war Schottisch vor allem in Dialogen zu finden, da dem Schottischen eher die Funktion der gesprochenen als der geschriebenen Sprache zuteil wurde. Es gab keine Romane, die insgesamt auf Schottisch geschrieben waren; aber erstaunlicherweise gab es in der viktorianischen Zeit bereits schottische Sachprosa. Diese Tatsache würde der Theorie von Heinz Kloss111 widersprechen, der beim Ausbau einer Sprachvarietät zur Hochsprache eine Vorphase und fünf Hauptphasen unterscheidet. Erst nach Lyrik und humoristischer Dichtung (1. Phase), Schauspiel und Prosa (2. Phase) siedelt er den Ausbau des Sachschrifttums an. Hiernach folgen in seiner 4. und 5. Phase die Lehrbücher und gewichtige Rundfunkvorträge (4.) sowie die Verwendung in amtlichen Schriftstücken der Gemeinden und des Staates und im Wirtschaftsleben und ganze Zeitungen in der Stammessprache (letzte Phase). Obwohl viele der Ansicht sind, die Kennzeichen der dritten Phase fehlten im Schottischen bis Ende des zweites Weltkrieges völlig, kann man doch 111 KLOSS, H.: Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800. Düsseldorf 1978. 79 einige Beispiel schottischer Prosa schon in noch früheren Zeiten nennen. Frühe schottische Prosa wurde vor allem benutzt in den Themenfeldern: 1. Recht („The Laws of the Four Burghs“, „The Laws between the Scots and the Britons“ und andere). 2. Offizielle Korrespondenz (z.B.: Briefe von James Douglas, Warden of the Marches, an Henry IV. von England, im Jahre 1405 „Facsimiles of the National Manuscripts of Scotland“; desweiteren: Ninian Winzet: „Buke of the Four Scoir Thre Questions“ (1563), „The Scottish Correspondence of Mary of Lorraine“ (um 1548) und andere). 3. Geschichte („The Chronicles of Scotland“, zusammengestellt von Hector Boece, übersetzt ins Schottische von John Bellenden; Lindsay of Pitscottie: „History“; Knox: „History of the Reformation in Scotland“). 4. Politische Theorien (James VI.: „Basilicon Doron“ (1598) ). 5. Autobiographien (Sir James Melville of Halhill: „Memoirs of his Own Life“ (ca. 1610). 112 Selbst wenn man davon ausgeht, daß das Schottische bis heute noch eine Literatursprache ohne offiziellen Status und ohne Normen ist, so kann man doch sagen, daß das geschriebene Schottisch eine Gruppe von Idiolekten sei, 113 die es allerdings immerhin bei den Autoren der SR schaffte, eine größere Kreativität freizusetzen als die konkurrierende englische Sprache. In den 20er und 30er Jahren gab es trotz dieser viktorianischen Vorbilder nur wenig Sachprosa. Im Jahre 1923 publizierte R.L. Cassie einen Roman im Schottischen des Nordostens: „Heid or Hert“. Auch MacDiarmid schrieb einige literarische Prosawerke, die auf Englisch und Schottisch gehalten waren: z.B. „ The Waterside“ und „Andy“ (beides von 1927). 112 Information erhalten von NOBLE, A. (University of Strathclyde). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1994. 113 Idee übernommen von McCLURE, persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 80 L.G. Gibbon stellte hauptsächlich Sprachformen (Scots kontrastiert mit StE) einander gegenüber (z.B. in Dialogen), um auf kulturelle Unterschiede hinzuweisen. Es meinte, für die Schotten sei Englisch eine Fremdsprache. Immer, wenn Gibbon selbst auf Schottisch geschrieben hat, adaptierte er es insofern, als es auch Nichtschotten verstehen können, hob aber die Unübersehbarkeit mancher schottischer Wörter hervor (zum Teil gebrauchte er Wörter, die im Schottischen eine erweiterte Bedeutungsebene besitzen oder etwa in Schottland noch weiterhin existieren, obwohl sie in England schon nicht mehr im Gebrauch sind). Naomi Mitchinson wollte, ähnlich wie Gibbon, auch den Kontrakt zwischen den Sprachformen darstellen, wobei sie auch schottisch außerhalb von Dialogpassagen benutzte. Generell kann man sagen, daß in dieser Zeit weitaus mehr Lyrik als Prosa entstanden ist, wobei beim letzteren, welches nur für schottische Themen verwandt wurde, lediglich eine lose Verbindung zwischen politischem und sprachlichen Nationalismus erkennbar ist. Die Entwicklung des Dramas hatte der Kalvinismus vollkommen unterdrückt. Nach 1918 waren dann Bewegungen zur Förderung des schottischen Dramas entstanden, z.B. die Gruppe der Scottish National Players. MacDiarmid experimentierte auch mit dem Verfassen von Dramenstücken, z.B. „Some Day“(1923/1968) und „The Purple Patch“(1924/1968). George Reston Malloch schrieb sowohl englische als auch schottische Dramen, z.B.: „Soutarness Water“ (1927, uraufgeführt 1926), und auch Joe Cornie war auf diesem Gebiet aktiv. Meistens war es allerdings so, daß die Charaktere der Arbeiterklasse umgangssprachliches Schottisch sprachen, während gehobenere Gesellschaftsschichten doch eher das Englische benutzten - ähnlich wie im Roman. In den 30er Jahren verschafften sich James Bridie und Robert McLellan einen Namen; sie schrieben auch historische Dramen, da sich hier das Schottische besonders anbietet. McLellan war auf sprachlich-literarischer Ebene weitaus nationalistischer eingestellt als auf politischer. In seinen Werken wird die Autonomie der schottischen Sprache oft anderen Sprachen gegenübergestellt (z.B. dem Dänischen). Das Schottische spielte als 81 Medium für Prosa und Theater in den 20er und 30er Jahren eher eine Nebenrolle, denn es blieb „ein temporaler und sozialer Indikator, ein Merkmal vergangener Zeiten und niederer Gesellschaftsschichten, das ausschließlich in Verbindung mit schottischen Themen auftritt“. 114 Die Renaissance der gälischen Literatur ordnet Hagemann115 erst in die 40er Jahre ein. Für Autoren wie Ruaraidh Erskine of Marr, der die Schotten als keltische Nation betrachtete, war das Gälische essentiell. Er gab einige Zeitschriften heraus, wie z.B. „Guth na Bliadhna“ (1904-1924; also schon relativ früh!). Sorley MacLean verfaßte Prosa und Gedichte. Sein Gälisch entsprach dem synthetischen Schottisch MacDiarmids; seine Werke leiteten die sogenannte „gälische Renaissance“ ein. Neben dem reinen Gälisch schrieben viele Autoren der SR in gälisiertem Englisch. Sie hielten es nicht für nötig, extra Gälisch zu lernen, aber sie propagierten es theoretisch und entlehnten aus dem Gälischen Wörter für ihre Werke. Auch die schottische Syntax wurde von Gälisch beeinflußt. Hugh MacDiarmid setzte sich für den Gebrauch des Gälischen ein, weil sich auf Gälisch die Sprache und Kultur zurückberufen, um „den ganzen Weg zum intakten schottischen Nationalbewußtsein“ 116 zu gehen. Er hielt die Phonetik und Semantik des Gälischen für ausdrucksstark und wollte sie im täglichen, modernen Leben (z.B. in der Schule) wie auch in der Literatur eingesetzt sehen. Das Problem bestand nur darin, daß MacDia rmid kaum Gälisch konnte, weshalb er sich von Sorley McLean helfen ließ. Für Fionn MacColla, dessen Nationalismus ja eindeutig keltisch geprägt war, blieb das Gälische ausgesprochen wichtig, gar notwendig. Er benutzte also alle drei Sprachen Schottlands, derer er ja mächtig war. Das Gälische benutzte er sogar in ganzen Passagen; reduzierte es also nicht, wie er es mit dem Schottischen tat, auf Dialoge. Damit wollte er dem unkundigen Leser klar machen, wie viel an Kenntnis des Gälischen allgemein schon verloren gegangen ist - sogar bei den Schotten. Seine Syntax und zum Teil auch die Phonetik waren ebenfalls gälisiert. 114 HAGEMANN, S.: Scottish Studies. Die schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts. a.a.O., S.159 115 Vgl.: EBENDA, S.161-181 82 Naomi Mitchinson setzte Gälisch und Hochlandenglisch ohne politische Konnotation ein, jedoch waren ihre Kenntnisse gering (welches man unter anderem daran sieht, daß sie den Vokativ nicht verwendet hat). Neil Gunn bevorzugte auch eher eine Gälisierung des Englischen als „völliges“ Gälisch. Compton Mackenzie sah Gälisch als lebendiges Kommunikationsmittel an und benutzte es oft für komische Effekte. Andere Autoren, die gälisiertes Englisch benutzten, waren Ian Macpherson, Robert McLellan und James Bridie. Man sieht deutlich, daß in diesem Bereich Theorie und Praxis deutlich divergieren, denn viele Propagandisten des Gälischen waren der Sprache selbst nicht oder nur zum Teil mächtig. Die SR propagandierte demnach eher das Schottische als das Gälische oder gar Englische, um ihr Ziel, die Zurückführung und -besinnung auf die schottische Identität und Kultur, zu erreichen und zu verdeutlichen. Wie aber wird und wurde Schottland als Nation nun in der Literatur dargestellt ? Man kann festhalten, daß alle Autoren der SR in allen oder wenigstens in einigen Werken das Land, für das sie sich einsetzten und dessen Kultur und Sprache sie wiederaufleben lassen wollten, nämlich Schottland, thematisierten. Hierbei wurden auch persönliche Erfahrungen miteinbezogen. Ein ganz zentrales Thema blieb die Einheit Schottlands mit der Frage, ob Schottland als einheitliche oder geteilte Nation existieren sollte, wobei die Kernpunkte Religion, Kultur, Sprache und Geographie (besonders der Kontrast zwischen Hoch- und Tiefland) darstellen sollten. Eine Betonung des keltischen Mythos war ebenfalls zu verzeichnen, wobei die Auseinandersetzung und Abgrenzung mit dem „Celtic Twilight“ sowie den „Kailyard“-Thematiken und der ethnischen Identität der Schotten unverkennbar war. Die generelle Meinung der Autoren war nämlich, daß die Darstellung in der Literatur des vorangegangenen (19.) Jahrhunderts das Schottlandbild verfälscht hatte, so daß es nun modifiziert werden mußte. 116 Ausdruck gewählt von d.V. 83 Oft wurde in der Beschreibung Schottlands die unberührte Natur (the real Scotland) dem Menschen als soziales Wesen anhand von Detailaufzählungen und Symbolen (Distel, Einhorn, weiße Rose, Baum - vor allem die Eiche - ) in der Dichtung gegenübergestellt. Auch im Drama kamen lyrische Passagen aus der Tierwelt vor, so daß auch die Natur zum Teil tierische Züge annahm (belebte Natur im Gege nsatz zur unbelebten). Die Landwirtschaft wurde in der SR ambivalent gesehen; Fischerei und Meer wurden nur wenig thematisiert. Bei der Beschreibung des schottischen Landlebens wurde die persönliche Entwicklung der einzelnen Charaktere trotz der großen Bedeutung von Gemeinschaft dargelegt. Problematiken, die weiterhin angesprochen wurden, waren: Die Frage des Klassensystems, die Position der Grundbesitzer (oft mit gleichzeitiger Darstellung der Jagd), die Kultur mit ihren ländlichen Traditionen, das Übernatürliche, der Alkohol (vor allem natürlich der Whisky) und seine Position im Gemeinschaftsleben. Letzteres wurde sowohl positiv als auch negativ (=Frustration, negatives Bild der Gemeinschaft) dargestellt. Alles in allem wurde die Gemeinschaft als notwendiges Element der schottischen Sozialstruktur anerkannt, während der Kleinstadt manchmal die negativen Eigenschaften von Landleben und Stadtleben zugesprochen wurden. Die Großstadt kann in der Darstellung der Autoren der SR gegensätzliche Funktionen erfüllen: einerseits steht sie für Fortschritt, Zivilisation und Kultur, andererseits bedeutet sie aber auch die Zerstörung der Natur und eine gewisse Verselbständigung. Glasgow und Edinburgh wurden häufig beschrieben, teilweise bewundernd oder als Schauplatz historischer Ereignisse, teilweise abwertend (=Nachteile einer Industriestadt, arm/reichKontrast, Armut, Elendsviertel, Arbeitslosigkeit, auch Alkohol und Streiks). Die Kultur in den Großstädten wurde vollkommen anders (und negativer) gesehen als die auf dem Land, denn in den Städten sind die Beziehungen der Menschen innerhalb einer Gesellschaft und die in ihr bestehenden Klassen wichtig, während es die Einteilung in verschiedene Klassen auf dem Land, wo die Gemeinschaft anstelle der Gesellschaft wichtig ist, (noch?) nicht gab. 84 Auch die Geschichte stellte einen großen Themenbereich in der SR zur Verfügung. Zusammenhängend mit der nationalistischen Einstellung der Autoren war natürlich ein großes Interesse für die eigene Geschichte und die Suche nach Vorfahren (zum Beispiel die Pikten) vorhanden. Der Unabhängigkeitskrieg im 13. und 14. Jahrhundert unter William Wallace und Robert the Bruce spielt hier eine große Rolle. Seltsamerweise lassen die SR Autoren die Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts unter Jakob IV. weitestgehend unter den Tisch fallen, wenn man einmal von MacDiarmids Bewunderung für Dunbar absieht: sie machen nur Anspielungen auf die Schlachten. Maria Stuart spielt ebenfalls nur eine marginale Rolle in den Werken; über Karl Edward Stuart („Bonnie Prince Charlie“) herrschten unterschiedliche Sichtweisen vor. Das 17. Jahrhundert wurde als das „Jahr der Convenanten“117 beschrieben, das 18. als das der Union von 1707 und der Jakobitenaufstände (1715 und 1745), da diese Zeiträume wichtig für Schottlands Unabhängigkeit waren. Die Vertreibungen werden als Kampf zwischen England und Schottland dargestellt - dies war auch ein zentrales Thema in der gälischen Literatur. Der Sinn oder die Sinnlosigkeit eines Krieges, dessen Bedeutung für die Zukunft und die damit gegebenen Veränderungen wurden oft diskutiert, wobei die Suche nach dem „Goldenen Zeitalter“ und wo ein solches anzusiedeln wäre, von jedem aufgenommen wurde. Die Linksorientierung der SR-Autoren und die Enttäuschung über den Verlauf der Geschichte führte dazu, die historischen Geschehnisse aus der Perspektive des Volkes, nicht aus der der Machthaber, zu erzählen. Allenfalls berühmte historische Gestalten wurden porträtiert (Wallace, Bruce, Stuart, „Jamie the Saxt“), wobei Ansätze zu einer Neubewertung der traditionellen Helden erkennbar wurden. Die Geschichte ist somit wichtig für die Verarbeitung des schottischen Nationalbewußtseins und der Suche nach einer eigenen Identität. Die Hochlandvertreibungen des 18. und 19. Jahrhunderts wurden als Thema hier neu in die Literatur eingeführt, wenn auch in einer extrem negativen Darstellungsweise. Die Union Schottlands mit England galt als ein weite117 Ausdruck übernommen von HAGEMANN, S.: Scottish Studies. Die schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts. a.a.O., S.242 85 res negatives Element, wonach der Erste Weltkrieg als „vorläufiger Schlußstrich unter die Vergange nheit“118 gesetzt wurde. Die SR-Autoren lassen zwei Zukunftsvisionen erkennen: 1. Die (Neu-)Entwicklung von Schottlands Eigendynamik (=historische Dynamik als eigene Nation). 2. Wiederbelebung der Werte des Goldenen Zeitalters (allerdings ist der Begriff „Goldenes Zeitalter“ und vor allem dessen Zeitpunkt umstritten und subjektiv). Was die Religion angeht, so schien die Reformation von 1560 sehr wic htig. Jeder Autor der SR hat seine Meinung dazu, die er auch ausdrücken will, wobei meist der Kalvinismus als Sündenbock präsentiert wird. Die Persönlichkeit des John Knox wird widersprüchlich dargestellt; aber meist wird er, als treibende Kraft und Initiator der Reformation und Befürworter der Anglisierung, durchweg negativ porträtiert (z.B. in Edwin Muirs Biographie von Knox, 1929). Anders kommt dies bei Gibbon zum Ausdruck, der Knox als Volksheld ansieht. Der Kalvinismus wird meist in ländlicher Gemeinschaft dargestellt, während in den Städten eher auf soziale Funktionen der Kirche sowie der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken eingegangen wird. Trotz dieser Ablehnung des Kalvinismus, der als Handlanger Englands und manchmal sogar als das personifizierte Böse betrachtet wurde, kann man nicht von einer Ablehnung der Kirche und Religion im allgemeinen sprechen. Der Katholizismus beispielsweise ist durchweg positiv bei MacColla, und einige der Autoren konvertierten sogar zum Katholizismus. Will man in wenigen Worten beschreiben, was die Schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts denn nun geleistet hat, so kann man sie zunächst als eine nationale Erneuerungsbewegung definieren, welche Mißstände auf politischem, gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet aufzuzeigen versuchte. Zwar nahm sie wenig Einfluß auf politische Entscheidungen, auf kulturellem, vor allem literarischen Gebiet jedoch 118 Zitiert nach: HAGEMANN, S.: Scottish Studies. Die schot- 86 so hat sich gezeigt - können die aufgezeigten Mißstände sogar behoben werden (durch eigene Werke der SR-Autoren, Anstöße an nachfolgende Generationen, Bewußtmachen der schottischen Identität und dessen, daß überhaupt eine schlechte Verfassung gegeben ist; wie man diese auf sprachlicher sowie thematischer Ebene beheben kann und daß Schottisch und Gälisch als Medium für die Literatur wertvoll sind). Hieraus resultiert, daß durch die SR nicht die schottische Nation wiedergeboren wird, sondern vor allem das Bestreben, eine neue nationale Identität zu kreieren. Schottland als explizites oder implizites Thema in der Literatur verhalf auch modernen Schriftstellern zu einer neuen Sichtweise. Es machte ihnen klar, daß Schottland als Thema wertvoll genug ist, um darüber zu schreiben. Der politische Nationalismus der SR-Autoren war folglich nicht auf die Gegenwart, sondern auf die Zukunft bezogen. Schottland sollte Autonomie und kulturelle Eigenständigkeit erhalten. Auch regionale Aspekte wurden in der SR (in konkreten Darstellungen von Orten, Dörfern und Städten) beschrieben, und doch wurde eine Verbindung zwischen regionaler und nationaler Ebene hergestellt. Nicht nur die schon bestehenden Gegebenheiten wurden von den Nationalisten gezeichnet, sondern es wurde ebenso eine Neuschaffung der Impression von Wirklichkeit durch deren Literatur erreicht: „Der Wille zur Nation“ 119 müsse betont werden, um eine schottische Identität zu entwickeln, die sich von England abgrenzt. 120 Nach dem 2. Weltkrieg gab es gleichwohl viel Übersetzungsarbeit ins Schottische und Gälische. Nationalistische Autoren, die auch nach 1945 noch aktiv waren, sind Douglas Young, George Campbell Hay und Sydney Goodsir Smith. Auch heute ist es noch der Fall, daß mehr Werke den Gattungen Drama und Dichtung als der Prosa zugeordnet werden können, aber auch bei letzterem gibt es weitere Versuche (siehe auch Kapitel 7.1.2.). Die thematische Konzentration liegt heute eher auf der Darstellung der Stadt (Glasgow, Edinburgh) als der des Landes. tische Renaissance des 20. Jahrhunderts. a.a.O., S.257 119 Zitiert nach EBENDA, S.279 120 Auch der Begriff „Schottische Identität“ ist von den Autoren nicht eindeutig definiert worden. Sie geben dem Leser bloß Denkanstöße, wie er sie selbst finden kann. 87 Auf Gälisch gibt es sogar Sach- und Fachbücher und Romane, obwohl die Zahl der Schotten, die auch Gälisch sprechen, weiter abnimmt. (Hierzu siehe auch Kapitel 8.2.1.). 5. Die Überlebensbedingungen des Schottischen 5.1. Die schottische Sprache im heutigen sozialen Kontext Manche Leute befürchten, daß die schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts zwar einen großen Einfluß auf die Künstlerszene Schottlands gehabt hat, daß sie aber die allgemeine Öffentlichkeit sowie die Politik im weitesten Sinne kalt ließ. Tatsächlich hatte diese Bewegung erst einmal keinen besonderen Effekt, was das Ansehen von Scots anging. In der Schule wurde es zunächst weiterhin vernachlässigt, 121 Hugh McDiarmids Synthetic Scots wurde oft als unnatürlich und künstlich kritisiert, und Scots behielt im Großen und Ganzen weiterhin sein schlechtes Image. Viele hielten an ihrer Ansicht fest, Scots sei einfach nur schlechtes Englisch, anzuwenden höchstens in Comics, Komödien (auf der Bühne), gesprochen von der Arbeiterklasse, die nicht gebildet genug sei, „richtiges“ Englisch zu sprechen. Das Ansehen von Scots ist so subjektiv definierbar, wie es nur sein kann. Manche wollen beweisen, daß es eine eigene Sprache ist. Andere wiederum meinen, es sei ein Dialekt. Böse Zungen behaupten sogar, es sei auf simple Art und Weise „schlechtes Englisch“. Sicher sind Scots und Englisch miteinander verwandt. Doch genauso miteinander verwandt sind auch andere Sprachen, die immer dann als eigenständig angesehen werden, wenn sie eine Landessprache sind. Früher besaß Englisch den gleichen niedrigen Stellenwert, den heute Scots zugesprochen wird. Daher ist die allgemeine Annahme, daß Englisch schon immer Prestige gehabt hätte, während Scots es niemals hatte, ein121 Dies sollte sich aber später noch ändern; hierbei verweise ich auf Kapitel 6.4. Offensichtlich dauerte es seine Zeit, bis die Allgemeinheit die Wichtigkeit von Scots sowohl auf literarischem Sektor als auch auf sozialem begriffen hatte. 88 deutig falsch: Das goldene Zeitalter der schottischen Kultur siedelt Kay122 in die Zeit der Regierung durch Jakob IV. und V. an. Heute hingegen streiten manche, wie zum Beispiel Aitken, der es eigentlich durch sein Studium der schottischen Geschichte besser wissen müßte, sogar ab, daß es überhaupt noch eine gesprochene schottische Sprache gibt: „Scottish language can fairly be called a highly distinctive national variety of English“, 123 während Purves sich fragt, ob man eine nationale Varietät von Englisch überhaupt eine Art von Englisch nennen kann, oder ob es nicht als eine eigene Sprache definiert werden muß, da man sonst theoretisch auch die offizielle Sprache in Norwegen eine nationale Varietät des Dänischen nennen könnte, bloß weil es sich hier auch um zwei verwandte Sprachen handelt. Ebenso könnte man die Existenz von Bad und Good Scots verleugnen, die ja in vielen klassenbewußten schottischen Köpfen hartnäckig herumspukt. Die Angehörigen der Arbeiterklasse, die meist in den industrialisierten Großstädten wie Edinburgh und Glasgow leben, werden mit einer städtischen Varietät von Scots assoziiert: eine unsaubere Mischung aus Englisch, Irisch und amerikanischem Englisch, charakterisiert durch ein ganz bestimmtes Vokabular und Grammatik, Syntax und Aussprache (viele glottal stops, Weglassen des /g/ am Wortende (z.B. bei - ing), doppelte Verneinung etc.). Selbst „gute“ („gut“ ist hier im Sinne von „traditionell“ aufzufassen) schottische Grammatik und „gutes“ schottisches Vokabular wurde lange in schottischen Schulen als schlechte Grammatik hingestellt, da es eine Abweichung von englischen Standards darstellte. Good Scots hingegen, manchmal auch als Idealized Scots bezeichnet, wird in Verbindung gebracht mit den traditionellen Dialekten, die von anderen Faktoren (amerikanischem Englisch, neuen Wortschöpfungen) wenig beeinflußt sind. Nach Aitken muß Bad Scots eher von gutem Englisch als von Good Scots abstammen, so daß der städtische Sprecher des 122 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.53 89 Bad Scots nie irgendeine Beziehung zwischen seiner eigenen Sprache und der auf Schottisch geschriebenen Literatur ausmachen könnte. Alle Merkmale von Scots in seiner Sprache sind Abweichungen von gutem Englisch, nicht von gutem Scots, ein Ausdruck, welchen Aitken als ein Märchen ansieht, das nie wirklich existiert hat. 124 Wenn dann aber Good Scots nicht existiert, dann müßte Bad Scots ebensowenig existieren. Dies sind natürlich relative Konzepte. Wenn man Dialekte wie Bad Scots verdammt, dann sagt dies wohl weniger etwas über die Qualität der Sprache aus als über die sozialen Hintergründe der - und Vorurteile über die Leute, die diese Sprache sprechen. Diese beiden Faktoren, soziale Wertigkeit 125 und Sprachqualität hängen allerdings so eng miteinander zusammen, daß man das eine ohne das andere nicht ändern kann. Die Angleichung der Sprache an den englischen Standard ist am stärksten ausgeprägt in der - meist unionistische ausgerichteten - Oberschicht, deren Erziehungsschiene häufig über eine private englische oder an englischen Vorbildern ausgerichtete schottische Eliteschule […] läuft, was auf die soziale Komponente des schottischen Akzents hinweist. 126 Auch die Vereinigten Staaten von Amerika haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die schottische Sprache. Scots wird von einigen Leuten als die Sprache angesehen, die trotz ihrer wenigen Unterschiede in Grammatik und Vokabular der Sprache in den USA am nächsten kommt. McArthur machte die Aussage: „the Americans and the British are two peoples divided by the same language“. 127 Er zeigt in seiner Arbeit indexikale Merkmale, welche die Differenzen zwischen Sprechern derselben Sprache aufzeigen. Es gibt oft ein politisches Element in einer Sprache; 123 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. AITKEN, A.J. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 125 Hiermit ist die Stellung gemeint, die der Sprecher eines Dialekts in dem sozialen Gefüge in der Gesellschaft einnimmt. (Bad Scots = (angebliche)Sprache der Arbeiterklasse ≅ sozial (von der Gesellschaft) niedrig bewertet). 126 Vgl.: KRECKEL, R. (Hrsg.): Regionalistische Bewegungen in Westeuropa. Zum Struktur- und Wertwandel im (sic) fortgeschrittenen Industriestaaten. a.a.O., S.116 127 Vgl.: McARTHUR, T.: The Status of English in and furth of Scotland. In: AITKEN, A.J./McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.50-67 124 90 beginnend beim Namen der Sprache, doch eine Sprache und ein Staat müssen sich nicht entsprechen. Lass 128 ist der Meinung, daß eine Sprache eine regionale Varietät auf der einen und eine soziale Komponente auf der anderen Seite hat. Er faßt dies in zwei Diagrammen zusammen (Siehe Abb.3 und 4): Abb. 3129 A ↑ b Soziale c Stratifid zierung e ↓ B C ← → Regionale Variation Abb. 4 A Upper Class --------Upper Middle Class --------------Middle Class --------------------Urban Working Class ---------------------------Older Rural Working Class B 128 129 / D / E / F / G / C Vgl.: LASS, R.: The shape of English. a.a.O., S.216ff. Diagramme entnommen aus: EBENDA, S.216f. 91 If B-C are regional types, any line AB, AD etc. represents the social stratification for a given region […] Urban and social working class dialects are both likely, with respect to the standard, to be markedly individual.... 130 Einige Vokale (z.B. in out) in einer Gesellschaft wie Edinburgh sind komplexe soziale Markierungszeichen. Die Aussprache des Vokals als Monophthong ist stark stigmatisiert, daher benutzen Leute, die bestrebt sind, richtig zu sprechen, oft Diphthongs - egal ob diese dann die „richtigen“ sind (das heißt mit der Aussprache von Standard English übereinstimmen) oder nicht. Was den Vokal in boot angeht, so kann man sagen: je weiter vorne er ausgesprochen wird, desto niedriger die Klasse. Daher hat ein sozial bewußter Sprechpartner neben der Monophthong/DiphthongVeränderung in out dieselbe auch in boot. Ein bemerkenswerter Punkt ist auch, daß die Broad Scots - Sprecher ebenfalls den Diphthong haben, der in Standard English für out üblich ist, jedoch haben sie diesen in anderen Wörtern! Eine soziolinguistische Untersuchung von Scots in Edinburgh, welches hier eine Sprachgemeinschaft repräsentieren sollte, durchgeführt von Sandred, 131 hat ebenfalls zur Urteilsbildung über soziale Faktoren im Zusammenhang mit Dialekten beigetragen. Um linguistische Meinungen einteilen zu können, erstellte er einen Fragebogen, in dem lexikalische Merkmale bewertet werden sollten. Trotz des sozialen Drucks zur Norm hin müssen sich Verwender der gleichen Sprache, die aus verschiedenen Gegenden kommen, nicht notwend igerweise auch verstehen können. Oft werden zwei oder gar mehr als zwei Varietäten einer Sprache von verschiedenen Sprachpartnern in verschiedenen Situationen benutzt. 130 EBENDA, S.217 SANDRED, K.I.: Overt and covert Prestige: Evaluative boundaries in the speech community. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.69-86 131 92 Wie bereits vorher schon dargelegt, sagt die dreifache Klassifizierung der schottischen Sprache in zwei noch akzeptable und einen nicht wünschenswerten Dialekt einiges über die sozialen Verhältnisse aus. Der sogenannte „gebildete“ schottische Akzent beinhaltet sowohl überlebende ältere Formen (viele zweifellos ältere Formen schottischen Ursprungs, inklusive Rhythmus und Intonation, überlebten) als auch Innovationen. In mancherlei Hinsicht kann die Sprache der unteren Klasse als konservativer angesehen werden und die der Mittelklasse als fortschrittlicher, da letztere sich in eine anglisiertere, neue Bewegung entwickelte. Als Folge daraus existieren einige Akzentmerkmale, welche charakteristisch sind für die Mittelklasseangehörigen. Es sind ganz besonders sie, die dazu tendieren, den RP-Akzent übernehmen zu wollen. Diese Tatsachen führen zu markierten und unmarkierten Scottizismen, welche auch Schlußfolgerungen über den sozialen Hintergrund, wenn nicht sogar über die Klassenangehörigkeit, aussagen. Natürlich kann diese Grenze nicht jedesmal klar gezogen werden, da ja auch viele Mischformen zwischen dem typisch schottischen System und dem, welches RP nahe kommt, bestehen. Diese Mischformen haben Merkmale zu eigen, welche Kriterien für eine gebildete Sprache symbolisieren. Es wird oft angenommen, daß die Mischformen im Zuge der Anglisierung bald weit verbreitet sein werden. Selbst Ortsbezeichnungen und Straßennamen wurden hinreichend anglisiert: Gaits, raws, braes, wynds, loans und vennels wurden zu Avenues, terraces, hills, crescents und lanes, und Namen wie Kirk Brae und Muirbattle wurden ersetzt durch Church Hill und Morebattle, und der Loch Meinteith heißt nun Lake of Menteith. In Ländern, die sich selbst regieren, werden solche Ortsnamen, die die Geschichte des Landes widerspiegeln, als wertvoll für den Tourismus angesehen und von der Regierung ane rkannt. Anstelle von markierten und unmarkierten Scottizismen gibt es auch die Bezeichnungen overt und covert scotticisms. Covert scotticims sind speziell schottische, zum Teil auch nordenglische Ausdrücke, die von Sprecher zu Sprecher variieren und mit den sozialen Gruppierungen zusam- 93 menhängen. Sie werden aber (wie auch die overt scotticisms, hier aber aus einem anderem Grund) auch von Sprechern des ESSE benutzt, und zwar unbewußt immer dann, wenn sie nicht wissen, daß diese Ausdrücke ihre schottische Herkunft verraten. Die Mehrheit der covert scotticisms haben ein englisches Äquivalent. So kann beispielsweise der schottische Ausdruck to mind auch durch das englische to remember ersetzt werden, to sort durch to mend, das Pronomen mines durch mine und die Konstruktion I´ll better durch I ´d better. Im formellen Schreibgebrauch tauchen daher kaum noch covert scotticisms auf, da dort die besagten Wörter bewußt ersetzt werden. Was die Umgangssprache betrifft, so finden wir hier covert scotticisms in der Phonologie und den Idiomen. Die overt scotticisms werden allerdings auch oft von gebildeten Schotten benutzt, und zwar immer dann, wenn ein spezieller stilistischer Effekt erzielt werden soll (=stylistic overt scotticism): bei formellen offiziellen Anlässen, wenn Standard English erwartet wird, aber der Sprecher seine schottische Herkunft bezeugen will. 132 . Die ESSE-Sprecher verwenden hier aber keinesfalls vulgarisms, die laut Aitken133 selbst von Enthusiasten des Good Scots als ein Kennzeichen für Bad Scots angesehen werden und dem entsprechen, was in Kapitel 3 als die Kennzeichen der Sprache der Arbeiterklasse angeführt wurden. Die RP Akzente werden im allgemeinen mit höherem Wohlstand, Status, Ehrgeiz, Führertum, gutem Aussehen und Selbstvertrauen assoziiert, 134 während der schottische Akzent mit solchen Qualitäten wie Gutherzigkeit etc. in Zusammenhang gebracht wurde. Daher ist es nicht erstaunlich, daß die schottischen Sprechpartner, die ja, wie schon erwähnt, bilingual sind und sowohl Standard English (durch das 132 Dieses stilistische Mittel wird von Männern öfter angewendet als von Frauen. 133 Vgl.: AITKEN, A.J.: Scottish accents and dialects. In: TRUDGILL,P. (Hrsg.): Language in the British Isles. a.a.O., S.94-114 134 Vgl.: EBENDA, S.526f. Hier beschreibt Aitken einige Untersuchungen, mithilfe derer die Haltungen gegenüber dem RP-Akzent im Gegensatz zum Scots Akzent ermittelt wurden. Den Sprechern des jeweiligen Akzen- 94 Erlernen in der Schule und den Einfluß der Medien, mindestens bis zu einem gewissen Grade) als auch Scots sprechen, versuchen, in ihrer Konversation anstelle ihres gewohnten Scots ihre Sprache an das besser angesehene Englisch anzugleichen, das heißt weniger Scottizismen zu benutzen und auch ihren Dialekt in Grammatik und Syntax dem englischen anzugleichen. Dies nennt man style-drifting. Es gibt jedoch auch dialectswitching, auch code-switching genannt. Viele Schotten sind fähig, von ihrer gewohnten Umgangssprache ganz klar von einem Dialekt (Scots) in den anderen (Schulenglisch) zu wechseln, um sich der jeweiligen Situation (=formeller, außerhalb Schottlands, Schriftsprache) oder dem Dialo gpartner (=gehobenere Klasse, Unbekannter, Ausländer etc.) anzupassen. Diese Fähigkeit ist häufig anzutreffen bei Schotten aus konservativen Regionen (in denen sonst Broad Scots /the vernacular gesprochen wird), aber auch bei Angehörigen der Arbeiterklasse. Code-switching kann auch zwischen einzelnen Sätzen und sogar Wörtern vorkommen, als Resultat eines unbewußten Stilwechsels, oder als Mittler zwischen zwei linguistischen Extremen. Auch in der Literatur gibt es code-switching, z.B. in Dialogen, um sich an andere Personen zu wenden, als man es vorher getan hat; situationsbezogen, um sich den Sprechpartnern anzupassen oder auch metaphorisch, wobei ein unterschiedlicher Teil der Sprache für ein Ganzes steht (für die soziale und kulturelle Rolle und Haltungen, Geschichte und Assoziationen). Es bleibt also festzuhalten, daß es bewußtes und unbewußtes codeswitching gibt, wozu zur erstgenannten Variante dann wohl das codeswitching als stilistisches Mittel in der Literatur zählt. Auch in anderen Sprachen, wie auch in der deutschen, kennen wir das Phänomen des codeswitching:135 wir passen uns dem jeweiligen Dialogpartner und der Situation an. Zu einem neuen Chef beim Vorstellungsgespräch wird man wohl anders sprechen als zu guten Kumpels beim Skatabend. Doch wir wählen diese Variante dann fast immer bewußt, was bei den Schotten ja nicht imtes wurden Charaktereigenschaften zugeordnet, natürlich rein subjektiv, aber doch ergaben sich erstaunliche Ergebnisse. 135 Das heißt, hier ist es wohl mehr ein dialect-drifting, da wir nicht vollkommen von einer Sprachvariante in die andere umschalten, sondern meist nur unsere Sprache modifizieren. 95 mer der Fall ist. Wenn diese dann noch alle covert scotticisms in ihrer Sprache erkennen würden, derer sie sich ja oft nicht einmal als typisch schottisch bewußt sind, würden sie ihren Dialekt noch viel stärker umstellen, wenn es die Situation erforderte. Diese Fähigkeit, die unterschiedlichen stilistischen Alternativen zu erkennen und dann auch noch danach zu handeln ist, so hat es den Anschein, ein extrem wichtiger Teil der Sprachkompetenz von Scots und seinen Verwendern. Will man alles in Betracht ziehen, so muß man zugeben, daß der Akzent eines Sprechpartners tatsächlich wichtig für den Zugang zur Gesellschaft der Mittelklasse bleibt. Gefragt ist nun „Akzent-Toleranz“, damit kein Akzent, sei er Schottisch oder anglisiert, bevorzugt oder abgestempelt wird. Es bleibt zu hoffen, daß die Zukunft eine sozial freiere, weniger klassenbewußte Gesellschaft hervorbringen wird als sie in der Vergange nheit bestanden hat. Auch wenn dies sehr optimistisch klingt, nur so kann man noch Hoffnung auf Akzent-Toleranz schöpfen. Heute werden die Dialekte der Großstädte - früher mit abschätzigen Begriffen wie „urban slang“ oder „debased speech“ tituliert - schon in einem positiveren Licht gesehen - vielleicht schafft man bald weitere Fortschritte ? 5.2. Dialekt im Zusammenhang mit Nationalismus O Flower of Scotland When will we see your like again That fought and died for Your wee bit hill and glen And stood against him Proud Edward´s army And sent him homewards tae think again The hills are bare now And autumn leaves lie thick and still Oh land that is lost now Which those so dearly held These days are past now And in the past they must remain 96 But we can still rise now And be a nation again. 136 In Schottland existiert eine enorme Reihe verwandter Dialekte Seite an Seite. Sie variieren von traditionellen, fast unverstehbaren Dialekten und verbreiteter - städtischer Sprache, bis hin zu schottischem Englisch, welches (seit dem 16. Jahrhundert in geschriebener, vom 18. Jahrhundert an auch in gesprochener Form) sich mehr und mehr dem Standard English angleicht. Die schottischen Dialekte werden von Arbeitern und ihren Familien, welche sie während ihrer frühen Kindheit in der Phase der Primärsozialisation erlernten, benutzt. Diese Dialektverwender können als bilingual bezeichnet werden, da sie Standard English noch zusätzlich sprechen. Zusammen mit der wachsenden Wichtigkeit von Standard English und den damit verbunden sozialen Konnotationen, mußte sich die schottische Sprache mehr und mehr zu einer Minoritätensprache in Großbritannien entwickeln. Sie konnte ebensowenig ihre Kommunikationsstufen (=interpersonale, kulturelle und die in den Massenmedien - wobei die letzte Stufe die wichtigste darstellt)137 ausbauen, da es im Wesentlichen an Nationalismus fehlte. Dieser schottische Nationalismus wurde oft als entscheidender Faktor auch in der SR angesehen, da in der Tat ein beträchtlicher Zusammenhang zwischen Nationalismus und der Neuerschaffung einer nationalen Sprache - das ist in dem Falle natürlich Scots - besteht. 138 Im heutigen Schottland gibt es also eine unterdrückte Zweisprachigkeit, die durch den neuen Nationalismus mehr und mehr Beachtung findet. Das drückt sich in einer bemerkenswerten literarischen Renaissance des Scots, hauptsächlich in der schöngeistigen Literatur, aus. 139 Nur wenn der Wunsch nach einer eigenständigen Nation präsent ist, kann die schottische Sprache wieder aufleben. Diese Wiederbelebung muß vor 136 Inoffizielle schottische Nationalhymne, geschrieben 1969. Zitiert nach: STURM, R.: Nationalbewußtsein und nationalistische Wahlerfolge in Schottland. In: ELKAR, R.(Hrsg.): Europas unruhige Regionen. Geschichtsbewußtsein und europäischer Regionalismus. Stuttgart 1981, S.164 137 Hierzu siehe auch Kapitel 6.3. 138 Vgl.: MACAFEE, C:: Nationalism and the Scots Renaissance now. In: GÖRLACH, M. (Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.7-17 97 allem in den lokalen Varietäten versucht werden. Auch McDiarmid war im Jahre 1926 schon der Meinung: „Scots must be re-created […] and deAnglicized [sic]“. 140 Es ist eine gängige Fehlauffassung, daß die vier Teile Großbritanniens (England, Wales, Nordirland und Schottland) politisch völlig integriert seien. Dann wäre Schottland nämlich ebenso eine politische Einheit wie Cornwall oder Yorkshire, 141 und die Gründe für Schottlands Einwohner, sich selbst als anders anzusehen als den Rest, wären rein ethnischer Natur. Doch schon allein in Schottland selbst ist die ethnische Zusammenstellung keineswegs homogen, und basiert auch ebensowenig auf der Ethik der gälischen Kultur. Anders als Wales und Irland trat Schottland freiwillig in das Vereinigte Königreich ein bzw. es vereinte sich vorerst freiwillig mit England. Damit gab es für die Gesellschaft und die Herausbildung eines eigenen Nationalbewußtseins wichtige Institutionen in die Obhut Englands. 142 Wie wir aus der Geschichte gelernt haben, trug dies nicht gerade zu der Stärkung der nationalen Identität der Schotten bei. Im Gegenteil - sie wurden verunsichert, legten ihre Sprachgewohnheiten ab (oder arbeiteten zumindest darauf hin), verlegten ihren gesamten religiösen Glauben ins Englische und begannen, sich selbst abzuwerten. Das separate schottische Rechtssystem benötigt separate schottische Legislatur im Parlament. Schottland besitzt das Scottish Office, welches die lokale Regierung für Schottland koordiniert und das Land im Parlament vertreten soll. Doch hat dieses Scottish Office keine Kontrolle über die Wirtschaftslage in Schottland oder über solch wichtige Dinge wie den Eisenbahntransport. Daher kritisiert die SNP schon seit jeher, die Abstimmungen in Westminster seien nicht gerade zuträglich für die Umstände in Schottland. Die besondere Verbindung zwischen Nationalismus und 139 Vgl.: NAIRN, T.: Die Schotten. In: BLASCHKE, J. (Hrsg.): Handbuch der europäischen Regionalbewegungen. a.a.O., S.267 140 Zitiert nach: MACAFEE, C:: Nationalism and the Scots Renaissance now. In: GÖRLACH, M. (Hrsg.): Focus on Scotland, a.a.O., S.10 141 Vgl.: EBENDA, S.7 142 Andere (für das Nationalbewußtsein wichtige) Institutionen hat Schottland beibehalten. Vgl.: Kapitel 1.2. 98 der schottischen Muttersprache besteht nun darin, daß diese eigene Sprache als Symbol für nationalistische Ziele dient. Daß ein Schottland, welches sich nicht selbst regiert, nicht für seine eigenen Ziele eintreten kann und ein England, welches seinerseits zuerst mit sich selbst und seinen eigenen Problemen beschäftigt ist, noch viel weniger bereit ist, für das spezielle Wohl Schottlands oder gar das der Sprache Schottlands, einzutreten, wurde spätestens unter Margaret Thatcher klar. Schottland, jetzt eher der Labour Party gesonnen, schickte in den 50er Jahren noch überwiegend Tories ins Unterhaus. Doch der von Thatcher forcierte Verfall der Kohle- und Stahlindustrie senkte die Wählerzahl beträchtlich, und als Rache hierfür wurde Schottland für Experimente der Konservativen benutzt - man muß nur an die poll-tax (=dt.: Kopfsteuer) denken, die den Schotten zwangsweise früher aufgebrummt wurde als dem Rest der Insel. Die SNP und die Militant Tendency, eine von der Labour Party vertriebene Linksgruppierung, riefen zum Steuerboykott auf. England kümmerte sich natürlich kaum um ein schottisches Nationalbestreben, das mal kam und wieder ging, je nach wirtschaftlicher Lage. Stand es um die Wirtschaft schlecht, war oft ein größeres Nationalbestreben zu verzeichnen, da dann ja immer England als Missetäter hingestellt werden konnte, der Schottland den Mißstand aufzwang und dafür verantwortlich gemacht werden konnte. Viele sehen auch momentan die Union mit England als eine konstante Bedrohung der Kultur Schottlands an. 143 Erbost waren die Schotten auch über das Mehrheitswahlrecht, denn obwohl das schottische Votum eindeutig zu Ungunsten der Konservativen ausgefallen war, änderte sich im Londoner Parlament nichts. Obwohl Sturm glaubt, „...die „Halbsprache“ „Lallans“ […] vermochte sich nicht als schottische Nationalsprache zu etablieren. Sie blieb […] auch im 20. Jahrhundert Literatursprache“, 144 so ist es doch unbestritten, 143 Vgl.: SCHWEND, J.: The Anglo-Scottish Relationship, in: KRAMER /LENZ / STRATMANN: Journal for the study of British cultures 2/95 Tübingen. 144 STURM, R.: Nationalbewußtsein und nationalistische Wahlerfolge in Schottland. In: ELKAR, R.(Hrsg.): Europas unruhige Regionen. Geschichtsbewußtsein und europäischer Regionalismus. a.a.O., S.168 99 daß die schottische Sprache mit der schottischen Identität assoziiert wird und sogar seit dem 15. Jahrhundert den nationalen Namen teilt: Scots. Auch Purves ist der Ansicht, 145 der momentane Status dieser schottischen Sprache sei grundsätzlich ein politisches Problem. Sehen die Schotten sich selbst als Briten oder als Schotten ? 146 Und wenn sie sich als Schotten sehen, warum verändern sie dann ihre Sprache (code-switching !), sobald sie meinen, die schottische Sprache sei nicht mehr gut genug ? Müssen sie sich ihrer schämen ? Kay tut dies nicht. Er tritt öffentlich in Fernsehsendungen auf und spricht Broad Scots. Nachher hagelt es regelmäßig Anrufe von Zuschauern, (natürlich meist ebenfalls auf Broad Scots !), 147 die der Meinung sind, seine Sprache wäre doch wohl für das Fernsehen unangemessen. Das kommt selbstverständlich daher, daß die Leute es nicht gewohnt sind, Broad Scots im Fernsehen zu hören. 148 Die Zeitungen machen sich ebenso für die Autonomiebestrebungen in Schottland stark. Nicht nur die Boulevardzeitungen, sondern auch seriöse Zeitungen wie „The Times“ plädieren für ein unabhängiges Schottland. Sie sind der Ansicht, Schottlands gegenwärtige Stellung im Königreich sei auf Dauer nicht zu halten. Laut einer Meinungsumfrage der „Scotland on Sunday“ (Edinburgh) befürworten 78 % der mehr als 5 Mio. Schotten die Trennung von England, wobei 34 % nach einer Totalautonomie verlangen und 44 % sich mit einem Parlament innerhalb des Königreichs zufrieden geben würden. Auch die deutsche FAZ schrieb im Oktober 1995 : […] Was Schottland wirklich braucht, ist ein unabhängiges, eigenes Parlament sowie eine schriftliche, auf demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien gründende Verfassung, die jedem schottischen Bürger die gleichen Rechte garantiert und Minderheiten schützt. […] Es ist höchste Zeit, daß Schottland endlich ein eigenes Abteil im europäischen Zug erhält. 149 Doch damit nicht genug. Fernsehspots, finanziert von keinem geringeren als Sean Connery, taten ihr Übriges. Mit dem Slogan: „Weg von England jetzt oder nie“ setzte man sich auch hier für die Unabhängigkeit ein. 145 146 147 148 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996 Zur Identitätsfrage vergleiche Kapitel 1.2. Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.181f. Siehe hierzu auch Kapitel 6.3.2. 100 Als Kommunikationsmittel drückt die schottische Sprache die schottische Identität aus: es gibt hier Schimpfwörter oder Redewendungen, die es im Englischen nicht gibt und wohl auch mit anderen Dingen in Verbindung gebracht würden, eben weil sie typisch schottische Konnotationen erwecken und distinktive semantische Implikationen innehaben. Einige schottische Ausdrücke lassen Schlußfolgerungen auf den schottischen Charakter zu. Gut, McDiarmid wollte in seinen Werken zeigen, daß die schottische Sprache zum Bezeugen dieses spezifisch schottischen Charakters fähig ist, aber das ist lange nicht genug. Wenn nicht nur die schottischen Schriftsteller und Gelehrten, sondern die gesamte schottische Bevölkerung den Versuch anstreben würde, die Sprache zu propagieren, könnte Scots vie lleicht die gesamte englischsprechende Welt beeinflussen. Das Gefühl einer nationalen Identität, das Gefühl, sich von anderen Nationen zu unterscheiden, muß in den Schotten geweckt werden, um sprachliche Unabhä ngigkeit zu erlangen. Das eine bedingt hier das andere, denn dieses Gefühl kann auch durch die Sprache, wie es im eben genannten Beispiel Kay in seinen Sendungen tut, erweckt werden. Die schottische Sprache ist sicher nicht das einzige Kennzeichen für die schottische Nationalität. Desweiteren gehört die schottische Nationalität nicht nur denen, die Scots sprechen, denn auch Englisch und Gälisch sind Sprachen von Schottland. Der entscheidende Unterschied liegt nunmehr darin, daß Scots diejenige der drei Sprachen Schottlands ist, die nur in Schottland gesprochen wird, und somit am besten die schottische Identität auszudrücken vermag. Die Sprache muß erhalten werden; denn zusammen mit der kulturellen und historischen Wichtigkeit trägt diese dazu bei, die schottische Bevölkerung zu kennzeichnen und ihr Wert zu verleihen. Doch wie soll dies ermöglicht werden, wenn sogenannte Patrioten, die einerseits zum Burns-supper, zu Ceilidhs oder zu Folk-Konzerten gehen und sich dort als waschechter Schotte fühlen, trotzdem noch die konservative Tory Partei wählen ? McClure ist der Ansicht, daß die sprachliche und die politische Unabhä ngigkeit in Wirklichkeit untrennbar sind, denn „neither can come to full 149 Frankfurter Allgemeine Zeitung: Ein Abteil für die Schotten. 9.10.95, S.16 101 fruition without the other“. 150 Er meint, 151 eine unabhängige, oder wenigstens semi-unabhängige schottische Regierung würde Scots als Muttersprache Priorität in Schulen, den Medien und im Nationalbewußtsein jedes Einzelnen geben. Er will das gesamte schottische Vokabular und seine Idiome wieder einführen und das Studium schottischer Literatur befürworten, damit es nicht nach und nach aus dem Gedächtnis entfällt oder unverständlich wird, sondern als ein Teil schottischer Kultur und Identität akzeptiert wird. Inzwischen hat er aber auch gesehen, 152 daß die sprachliche „Revolution“ schon weiter vorangeschritten ist als die politische. Es geht also doch beides unabhängig voneinander, aber schneller und effektiver ist es wohl doch, wenn beide „Revolutionen“ erzielt werden könnten. Heute ist auch eher der Sinn für eine eigene schottische Identität vorhanden, die man auch mit politischen Konsequenzen zu bewahren versucht - die politische Szene in Schottland ist endlich aktiver geworden. Schottisch ist eine Sprache, die Gedanken und Gefühle, vor allem die einer bestimmten Nation, nämlich der schottischen, ausdrücken kann, und daher ist sie auch von so großer Wichtigkeit. McClure meint, er müsse noch immer an seine Mitstreiter - weil Mitbürger - appellieren, diesen Sachstand zu erkennen und dann auch entsprechend zu handeln, denn: wo ein Wille ist, ist auch ein Weg, und alle Hindernisse zum Ziel können überwunden werden. Die schottische Sprache paßte sich nach und nach den sozialen Umständen an, unter denen sie existieren mußte. Mehr Kontakt mit England bedeutete eine stärkere Anglisierung der Sprache. Sprachliche Unsicherheit charakterisiert den heutigen Schotten. Aber kann diese Unsicherheit nur durch politische Unabhängigkeit von England genommen werden ? Politik ist zwar wichtig, aber politische Unterstützung allein ist nicht genug, da sie noch nicht das Überleben einer Sprache garantiert. Dies ist heute mit der irischen Sprache so, und so war es früher auch mit Gälisch. Der Hauptgrund, weswegen Walisisch in einer stärkeren Position ist als schottisches Gälisch, ist der, daß Walisisch nie eine politische Bedrohung 150 Vgl.: McCLURE, J.D. Why Scots matters. Edinburgh 1988, S.69 151 Vgl.: EBENDA, S.70/71 102 für den britischen Staat verkörperte. 153 Kay154 stimmt mit McClure überein: Schottland muß Autonomie erstreben, damit seine Kultur in der Bildung, in den Medien und im gesellschaftlichen Leben überhaupt zum zentralen Thema wird: „Political change may be necessary, but it should not be.“155 Auch er 156 sieht ein demokratisches Defizit in Schottland, „... where the vast majority of Scots are hostile to the policies pursued by a government we did not vote for“. 157 In jedem zivilisierten Land sollten die beiden Bereiche - der sprachliche und der politische - zusammenkommen. R. Robertson vom SCCC158 meint 159 , die Chancen für ein schottisches Parlament stünden zur Zeit gut. Die Labour Party hat Garantie gegeben, daß sie Scots unterstützen will, doch man weiß natürlich nicht, ob dies auch der Wahrheit entspricht. Die Regierung hat aber auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf den Lehrplan, und so ist auch der SCCC auf jegliche Unterstützung angewiesen, was das Lehren von Scots in den Schulen betrifft. Ob aber die Labour Party den allgemeineren, sozialen Gebrauch von Scots auch unterstützen will, ist mehr als unsicher. Die Ansicht McClures ist kein allgemein vertretener Standpunkt. Manche glauben daran, andere sehen es aber als möglich an, daß sich die Wieder152 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. Vgl.: KAY,B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.183 154 Vgl.: EBENDA, S.14 155 Vgl.: EBENDA, S.185 156 Vgl.: EBENDA, S.14 157 Es ist zu bezweifeln, ob die Mehrheit der Schotten nicht die Tory Partei gewählt hat. Sie wollen sich zwar alle von Major und seiner Regierung distanzieren, doch erstaunlich viele, die konkret von d.V. gefragt wurden (Studenten, Professoren, auch „einfachere“ Leute, wie Arbeiter, Taxifahrer etc.) gaben doch zu, die Konservativen gewählt zu haben, denn: „Wen soll man auch sonst wählen?“. Die Nationalpartei war ihnen zu radikal, die Arbeiterpartei sagte ihnen meist aus anderen Gründen nicht zu. Diese Einstellung ließ oft an die Deutschen erinnern, die so häufig über die bestehende Regierung klagen, dann aber doch wieder die CDU wählen, weil sie keine andere Alternative sehen und der Ansicht sind, die anderen Parteien wären ja auch nicht besser (oder - wie es von den Grünen gesagt wird - eben nicht stark genug, um sich behaupten zu können). 158 SCCC= Scottish Consultative Council on the Curriculum 153 103 belebung der Sprache einerseits und politische Unabhängigkeit andererseits auch unabhängig voneinander entwickeln können, So gibt es viele, die sich für eines der beiden Ziele besonders interessieren und daran aktiv arbeiten, ohne sich für das andere ebenfalls zu engagieren. Doch es besteht auch die Gefahr, daß diejenigen, die die Aussicht auf Unabhängigkeit fürchten, sich auch nicht an der Revolution der Sprache beteiligen, weil sie einen Zusammenhang entdecken (obwohl sie dies, so McClure, misinterpretieren). Ein klar erkennbares Phänomen des heutigen schottischen Lebens ist, 160 daß das öffentlich zugegebene Engagement der heutigen schottischen Autoren, was die politische Autonomie Schottlands betrifft, anscheinend eng mit ihren sprachlichen Bestrebungen zusammenhängt ähnlich wie es in der SR der Fall war. Der wirklich einzige wichtige Literat, der die Union befürwortet, ist der Verfasser historischer und politischer Romane, Allan Massie. Die Geschichte der schottischen Autonomiebestrebungen (home rule movements) war eine Serie von geweckten Hoffnungen und zerstörten Illusionen; doch nun, letztendlich, scheint hier nun ein Fortschritt erkennbar zu werden. Die politische und die kulturelle Seite der Bewegung beginnen, sich gegenseitig zu verstärken, anstatt - wie früher (und sogar noch während der SR) - in wechselseitiger Isolation zu operieren. Im Frühjahr des kommenden Jahres wird die nächste Wahl in Großbritannien abgehalten, und alles spricht dafür, daß die Konservativen verlieren werden. Die Labour Party, die die Torys dann aller Wahrscheinlichkeit nach ersetzen wird, plädiert schon lange für ein semi-unabhängiges scho ttisches Parlament. Als sie allerdings das letzte Mal in der Regierung war, hatte sie genau dies auch versprochen und es nicht verwirklicht, und so herrscht diesbezüglich verständlicherweise Mißtrauen in schottischen Wählerkreisen. Wenn ihr allerdings doch getraut werden kann, könnte sie möglicherweise ein schottisches Parlament, welches Verantwortung für die schottischen Angelegenheiten trägt, bilden. Falls dies eintritt, wird die SNP, die ja volle Unabhängigkeit erstrebt, aus ihrer neuen Machtstellung Nutzen ziehen, und selbst wenn die Labour Party argumentiert, ein semi159 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. McCLURE, J.D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 160 104 unabhängiges schottisches Parlament würde den Schreien nach Unabhä ngigkeit eine Ende setzen, könnte auch das Gegenteil der Fall sein: Es könnte die SNP stimulieren und mit einer mächtigeren Stimme ausstatten als je zuvor. All dies hängt nunmehr davon ab, ob die Labour Party die Wahl gewinnt und ob sie ihr Versprechen auch hält, ein schottisches Parlament zu befürworten. Zugegeben, es ist wahrscheinlicher, daß die Labour Party eine Mehrheit an Sitzen in England erhält als daß die SNP die Mehrheit in Schottland bekommt, denn immerhin ist es ein Symptom der chronischen politischen Konfusion, daß die Anzahl der Leute, die für die Unabhängigkeit sind, größer ist als die Anzahl derer, die auch konsequent die SNP wählen. Das Programm der SNP kann man als sozialdemokratisch (im deutschen Sinne) bezeichnen. 161 Sie fordert etwa den Ausbau des Wohlfahrtstaates, die Modernisierung der Wirtsschaft, Tarifautonomie, Mitbestimmung, Gewinnbeteiligung, Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf sowie staatliche Investitionsanreize. An ihren Forderungen kann man feststellen, daß die SNP, im Gegensatz zu vergleichbaren nationalistischen Bewegungen nicht so „links“, nicht so sozialistisch ist. 162 Ein ganz zentrales Ziel der Partei ist natürlich die Forderung nach mehr Autonomie für Schottland. Gab man sich zu Beginn der 70 er Jahre noch mit dem Devolutionskonzept zufrieden, so fordert die SNP nach dessen Scheitern 1979 wieder die völlige Unabhängigkeit Schottlands. Dabei kann man sich eine stärkere Kooperation mit den nordischen Nachbarn (Norwegen, Island etc.) durchaus vorstellen. 163 161 Vgl.: STURM, R.: Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland. Nationale Identitäten, regionale Besonderheiten, politische Konflikte. In: GERDES, D. u.a.: Regionen und Regionalismus in Westeuropa. Stuttgart 1987, S.38 162 Vgl.: NARIN, Tom: Die Schotten. In: BLASCHKE, J.: Handbuch der europäischen Regionalbewegungen. Frankfurt 1980, S.126 163 Vgl.: STURM, R.: Das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland. Nationale Identitäten, regionale Besonderheiten, politische Konflikte. In: GERDES, D. u.a.: Regionen und Regionalismus in Westeuropa. a.a.O., S.40 105 Die Anhängerschaft der SNP verteilt sich über Schottland relativ gleic hmäßig. Regionale Hochburgen sind jedoch in den westlichen Inselgruppen zu finden, während das urbane Tiefland zu den Gebieten zählt, in denen es die SNP schwer hat, Fuß zu fassen. Die SNP spricht, im Gegensatz zur Labour Party, alle Berufsgruppen in etwa gleich an. Sie hatte es jedoch seither bei den katholischen Arbeitern irischer Abstammung, die in Großstädten leben, am schwersten. Dieses Proletariat ist während der Epoche der Union entstanden und somit eher britisch als schottisch nationalisiert worden. 164 Bähr 165 kritisierte zwar die synthetische schottische Schriftsprache: Dieser Versuch muß heute als endgültig gescheitert angesehen werden, obgleich die schottische Renaissance noch andauert und literarische Versuche in schottischem Dialekt weiterhin angestellt werden [...] ; 166 doch er erklärt diese Versuche, Schottland eine eigene Nationalsprache zu geben, auch eher aus ihren politischen Motiven als aus ihren literarischen. Hierbei verweist er auf das starke irische Vorbild mit Sinn Fein. Allerdings unterstellt Bähr: Es wäre deshalb verwunderlich, wenn die schottischen Nationalisten sich nicht auch mit der Frage einer schottischen Geheimsprache beschäftigt hätten, die Schottland psychologisch von England trennen sollte. 167 In literarischen Bestrebungen auch politische Motive zu sehen ist eine Sache, die neben Bähr noch vielen anderen logisch erscheint. Eine andere Sache ist es, die Leistungen McDiarmids und seinen Anhängern zu schmälern, indem man ihnen eine „Geheimsprache“ vorwirft. Geheim ist an der Sprache rein gar nichts, denn jeder, der wollte und sowieso schon Scots sprach, konnte sie verstehen (auch ein Engländer, wenn er sich die Mühe gemacht hätte), und ohnehin kann man in Bährs Anschuldigungen 164 NARIN, Tom: Die Schotten. In: BLASCHKE, J.: Handbuch der europäischen Regionalbewegungen. a.a.O., S.277 165 Vgl.: BÄHR,D.: Standard English und seine geographischen Varianten. a.a.O., S.127-151 166 Vgl.: EBENDA, S.140 167 Vgl.: EBENDA, S.141 106 eher ein verdrehtes Ursache-Wirkung-Verhältnis sehen. Denn die Sprache war zuerst da, wurde nicht erst nach Entstehen eines neu erstarkten Nationalismus einfach „erfunden“. Lediglich ihre Möglichkeiten wurden neu ausgeschöpft, um den nachfolgenden Generationen klar zu machen, welche Gefahr darin besteht, wenn Scots aussterben sollte. Bei Bährs allgemein negativer Sichtweise, die auch im folgenden Textabschnitt durch Aussagen wie [...] so schickte sich auch McDiarmid an, die verkümmerten schottischen Dialekte durch abgestorbene Wörter künstlich zu bereichern und all dies zu einer schottischen Gemeinsprache zusammenzugießen. [...] McDiarmid [hat] auf das Schottische zurückgegriffen, weil er das Gälische nicht beherrschte. 168 weitere Vorurteile nur schürt, fragt man sich, ob Bähr auf diese negative Darstellungsweise zurückgegriffen hat, weil er die Sprache McDiarmids nicht beherrschte ? Seine Analyse, die sich bis S.144 hinzieht, ist ebensowenig vorurteilsfrei, schon allein, weil sie deduktiver Art ist. Diese Analyse jetzt konkret darzustellen, lohnt nicht; es genügt zu sagen, daß seine Schlußfolgerung, die neuen Wortdeutungen von McDiarmid ergäben keinerlei Sinn, ebensowenig Sinn ergibt, denkt man einmal an die Wortdeutungen bei Shakespeare oder bekannten deutschen Dichtern. Bähr behauptet ferner: „Ein Schotte, der seinen Dialekt gut gelernt hat, versteht jedes vierte Element des verwandten Wortes nicht“. 169 Wer muß seinen Dialekt denn erst gut lernen, um etwas aus seiner eigenen Muttersprache zu verstehen ? Und woher weiß Bähr, was ein Schotte versteht und was ihm unklar bleibt ? Wer ist überhaupt ein Schotte ? Irgendein Schotte, der Bährs Spekulation entspringt, oder der Schotte, der für die Allgemeinheit stehen soll (was hier ohne eine Umfrage oder ähnlichem wohl kaum zu beweisen ist) ? Festzuhalten bleibt, daß man nicht von sich auf andere schließen darf, nur wenn man nicht imstande ist, einen Text McDiarmids zu lesen. Festzuhalten ist auch, daß zweifellos McDiarmids Sprache ungewohnt, weil innovativ, und auch schwierig zu lesen, weil eben ungewohnt ist. Aber immerhin hat er wenigstens den Versuch gestartet, der 168 169 Vgl.: EBENDA, S.141 Vgl.: EBENDA, S.145 107 schottischen Sprache neuen Einfluß zu verleihen, er war aktiv und hat selbst gehandelt, statt - wie so viel Schotten vor ihm - einfach zu warten, was passiert. Er zeigte sich auch dem Style Sheet nicht desinteressiert (wie von Bähr fälschlicherweise angenommen), sondern stand auch anderen Organisationen, die sich mit der schottischen (sprachlichen und auch politischen) Revolution auseinandersetzten, offen gegenüber. Hätte er sonst die heutigen Schriftsteller, die auch Scots in ihren Werken benutzen - und zwar erfolgreich - so stark beeinflussen können ? Die immer wieder zu stellende Frage, ob Scots denn nun ein Dialekt oder eine eigene Sprache sei, tritt ganz besonders in diesem Kontext wieder auf. Denn gerade die Unterscheidung zwischen Dialekt und Sprache wird häufig nach politischen Gesichtspunkten getroffen. 170 Zwischen dem Schwedischen, Dänischen und Norwegischen, welche gemeinhin als eigenständige „Sprachen“ gelten, gibt es beispielsweise weniger Differenzen als zwischen den verschiedenen Dialekten des Chinesischen. Wesentlich ist, daß die regionalen und sozialen Dialekte einer Sprache, wie etwa im Englischen oder im Deutschen, nicht weniger systematische Regelmäßigkeiten aufweisen als die Hochsprache und nicht als vollkommene Annäherungen an diese beschrieben werden sollten. 171 Als „Sprache“ definiert Abraham [...] die von einer bestimmten Grammatik beschrieben wird, als die Menge all der Sätze, die diese Grammatik generiert. Diese Menge kann im Prinzip entweder endlich (finite) oder unendlich (infinite) sein. [...] Sprache ist ein im Zusammenhang mit der Geschichte des Sprachträgers entstandenes und sich entwickelndes System lautlicher Zeichen, das als Mittel der gegenseitigen Verständigung innerhalb der Gesellschaft sowie als Medium der verallgemeinernden Denktätigkeit, der Widerspiegelung der [...] Erscheinungen […] im menschlichen Bewußtsein, fungiert und es ermöglicht, Intentionen und Emotionen auszudrücken.... 172 170 Vgl.: ABRAHAM, W.: Terminologie zur neueren Linguistik. Tübingen 1974 171 EBENDA, S. 86, Artikel: „Dialekt und Sprache“ 172 EBENDA, S. 411, Artikel: „Sprache“ 108 Diese Definition würde demnach dafür sprechen, daß Scots eine eigene Sprache ist. Es ist im Zusammenhang mit der Geschichte entstanden, entwickelt sich, und man kann damit Emotionen und Intentionen ausdrücken. Scots hat sogar eine eigene Grammatik. Was es nicht hat, ist das Obengenannte: die politischen Voraussetzungen (hier: nationale Autonomie). Genau das ist der Grund, weshalb viele derer, die sich für die Sprache einsetzen, sich ebenfalls für politische Unabhängigkeit einsetzen. 6. Die Renaissance geht weiter ? Wie bereits angedeutet, gibt es gerade zur Zeit- im Zuge auch der politischen Autonomiebestrebungen - enorme Bestrebungen, die schottische Sprache wiederaufleben zu lassen. Im folgenden Kapitel werden die Organisationen in Kurzfassung beschrieben, die sich im Zuge einer weiterführenden schottischen Renaissance, wie es hier genannt wurde, zur Erha ltung der schottischen Nationalidentität gebildet haben, und kurz erläutert, wann sie gegründet wurden und welches ihre Ziele sind. Außerdem ist es wichtig, auf weitere Sektoren einzugehen, in denen momentan aktiv dazu beigetragen wird, den Status von Scots zu verbessern: hier angesprochen sind hauptsächlich die Medien und die Ausbildungsstätten. 6.1. Organisationen173 The Scottish Text Society: 173 Da die Forschung von Deutschland aus nicht leicht ist, bleibt man hauptsächlich auf das Material angewiesen, welches die einzelnen Organisationen persönlich aus Schottland zusenden, so daß infolgedessen oft Daten bezüglich des Gründungsjahres etc. fehlen. Über die Mitgliedszahlen konnte leider rein gar nichts in Erfahrung gebracht werden, obwohl es bestimmt interessant gewesen wäre, zu vergleichen, inwieweit in der letzten Zeit ein Zuwachs zu verzeichnen gewesen ist. 109 Publiziert seit über einem Jahrhundert frühe Literatur, die in Scots geschrieben ist. The Scottish National Dictionary Association (SNDA): Sitz in Edinburgh, gegründet 1929 mit dem Hauptziel, ein Standardwörterbuch der modernen schottischen Sprache, von 1700 bis heute, zu entwickeln, während gleichzeitig auch ein anderes Wörterbuch entwickelt wurde, welches die Zeit vom Mittelalter bis 1700 berücksichtigt (siehe auch Kapitel 6.2.). Besitzt eine Datenkollektion, in denen die Daten für die Wörterbücher enthalten sind, und die auch für größere Forschungsbereiche zugänglich sind. Kürzliche Forschungen haben hier ermutigende Anzeichen der fortdauernden Stärke von Scots aufgezeigt, manchmal auf unerwarteten Gebieten, wie zum Beispiel die Sprache von Schulkindern. Die SNDA mußte oft mit finanziellen Problemen kämpfen, fand im Jahre 1970 aber doch wieder einen großzügigen Sponsor, der bei der Veröffentlichung des Scottish National Dictionary half. Die SNDA setzt sich ferner für den Gebrauch von Scots an Schulen ein und brachte infolge dessen auch Wörterbücher, die für den Gebrauch in der Schule bestimmt sind, heraus. Momentan beschäftigt sie sich mit einem neuen Programm in der Forschung über Scots, dessen Hauptziele wie folgt von Iseabail Mcleod 174 beschrieben werden: 1. to collect information about current Scots, both written and spoken. What are the new developments ? How much of existing dictionary material is still in current use ? 2. to fill gaps in SND´s information about the past 3. to investigate certain areas more closely, e.g.: a) urban Scots, especially Glasgow b) use of Scots and Gaelic words in Highland English The research programme deals with both written and oral sources. Examination of written material is based very largely on a new reading scheme; there are already a number of volunteer readers and books, newspapers and periodicals are being read, attempting to cover a wide variety of Scottish writing of recent decades. 174 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 110 Oral collection begins with casual contributions from the general public and from editor´s own usage and observations, but there is a great need of more systematic research. Ideally this would be carried out by trained field workers but until funds allow this, other methods are being used, such as questionnaires and the use of voluntary collectors in the various dialect areas. Existing research, much of it from oral sources, will also be tapped, for example material in the Linguistic Survey of Scotland, the archives of the School of Scottish Studies, as well as the large amounts of material now being produced by oral history groups etc. Saltire Society: Propagiert die schottische Sprache, Kultur und Geschichte seit 1936, mit Branchen in ganz Schottland (Hauptsitz in Inverness). Zusammen mit dem Tayside Regional Council hat die Saltire Society den ersten „reisenden Lehrer“, der Scots in Grundschulen schmackhaft machen soll, finanziell unterstützt. In diesem Falle war es eine Lehrerin, Kathleen Frew, die normalerweise in Kirriemuir unterrichtet und nach den Sommerferien 1993 durch die Grundschulen rund um Tayside reiste, um den Lehrern beim Unterrichten von Scots (Vorurteile abbauen, Lehrmaterial erstellen etc.) zu helfen. Auch Liz Niven (Penninghame Schoolhouse) reiste im Rahmen eines solchen Projektes mehrere Jahre von Schule zu Schule. School of Scottish Studies: Ins Leben gerufen durch die Universität von Edinburgh im Jahre 1951. Sammlung und Forschung der traditionellen Kultur Schottlands. Diese Schule bietet auch Kurse an, z.B. den Kurs „Scottish Ethnology“. The Lallans Society: / Scots Language Society: Gegründet 1972, wechselte die Lallans Society später den Namen in Scots Language Society. Arbeitet mit dem Scots Language Resource Centre zusammen und verfolgt daher ähnliche Ziele (Promotion und Unterstüt- 111 zung der schottischen Sprache). Ermöglicht das Herantreten an veröffentlichte und unveröffentlichte Texte, welche hier gesammelt werden. Unterstützt andere Organisationen, welche mit der Forschung nach schottischem Sprachmaterial beschäftigt sind. Veröffentlicht „schottisches“ Schulmaterial, setzt sich für Lehrerfortbildung ein und auch dafür, daß die schottische Sprache in den Medien und in anderen, die Öffentlichkeit betreffenden Dingen einen besseren Stellenwert bekommt. Beabsichtigt, sich mit Büchereien zusammenzuschließen, um auch dort Material über die schottische Sprache bereitstellen zu können. Hier beträgt allerdings die Mitgliedsgebühr £ 10 (£ 12 für Mitglieder außerhalb Europas) und für Studenten nur £ 3. Scottish Poetry Library: Hauptsitz in Edinburgh, gegründet 1984. Beherbergt eine bemerkenswerte Sammlung schottischer und gälischer Literatur, Audio- und Videocassetten. Neben älterer schottischer Dichtung liegt der Schwerpunkt auf der Dichtung des 20. Jahrhunderts. Die Werke sind auch durch Fernleihe erhältlich, da die Bücherei mit anderen Büchereien in Schottland verbunden ist. Es gibt keine Ausleihgebühr, doch werden 50 pence verlangt, wenn man die Bücher per Postleihe bestellt. Die Bücherei hat ein besonderes Computerprogramm: INSPIRE, welches spezielle Listen und Bibliographien über ein Themenfeld selbst erstellt. Die Mitgliedschaft kostet £ 10 pro Jahr, die Tagesgebühr für den Leseraum £ 1. Für die Mitglieder gibt es ein jährliches Treffen und regelmäßige Rundschreiben. Die Scottish Poetry Library hat Branchen in Ayr, Glasgow, Paisley, Dundee, Stornoway, Ullapool und Inverness. Scots Language Resource Centre:/The Lallans Society:175 Sitz in Perth, gegründet im Mai 1993, initiiert durch die Scots Language Society, mithilfe welcher es auch finanziert wurde. Auch Scottish Enter175 Erst hat die Scots Language Society das LALLANS Magazin veröffentlicht, ab 1993 wurde es vom Scots Language Resource 112 prise Tayside, Tayside Region und Perth und Kinross District Council unterstützten dieses Projekt, welches mit der Abteilung für Englisch an der Universität von Edinburgh zusammenarbeitet. Publiziert das Magazin LALLANS seit 1973. Ziele (siehe auch oben): Mithilfe bei der Entwicklung und Unterstützung einer schottischen Sprache, Sammeln veröffentlichter sowie unveröffentlichter Texte, Forschung hinsichtlich des Lehrmaterials und hinsichtlich neuer Publikationen in schottischer Sprache. Das Centre arbeitet Hand in Hand mit der Sandeman Library und den Perth und Kinross District Libraries. Auch Billy Kay und Ian Crichton Smith unterstützen diese Gesellschaft aktiv. Die Mitgliedschaft kostet £ 15 (£ 5 für Studenten). Ist erreichbar durch das Internet. Asscociation for Scottish Literary Studies: Sitz in Aberdeen. Setzt sich für literarische Studien ein, indem es literarische Arbeiten publiziert, Konferenzen einberuft und zwei Zeitungen, „The Scottish Literary Journal“ und „Scottish Language“ (letztere erscheint nur einmal im Jahr) herausbringt. Das Schulkommitee dieser Organisation ist bestrebt, den Status der schottischen Literatur in den Schulen zu verbessern. The National Museums of Scotland, Education Department : Versucht, Lehrmaterial über die schottische und auch die gälische Sprache zu erstellen. Veröffentlichte das Lehrpaket „Pirlie Pig and Broon Coo“, zu dem auch ein Computerlernprogramm gehört. The European Bureau for Lesser Used Languages: Hauptsitz in Irland (Dublin), Informationszentrum in Brüssel. Brachte 1995 die Broschüre „Scotland - A linguistic double helix“ heraus (Edinburgh), die sich mit Scots und Gälisch beschäftigt und von Iseabail MacCentre herausgegeben. Daher ist The Lallans Society hier 113 leod (Scottish National Dictionary Association) und Aonghas MacNeacail (gälischer Dichter und Journalist) verfaßt wurde. Diese Institution wird durch die EU finanziert und verfolgt das Ziel, den Status solcher Sprachen zu verbessern, die innerhalb anderer Staaten bestehen. COMET: COMET wurde im September 1994 von der Glasgower Universität gegründet und ist die Abkürzung für The Corpus of Modern English Texts. Das Ziel des Projektes ist, Informationen über Textarchive, welche elektronisch in Computersystemen aufbewahrt werden, zu vermitteln und außerdem ein elektronisches Archiv für eigene Forschung und Lehre aufzubauen. Die elektronischen Texte werden durch das Internet zugänglich gemacht (=„the electronic superhighway“176 ) und können durch das World Wide Web abgerufen werden. Das Team dieses Projektes besteht aus Mitgliedern des STELLA - Projektes 177 und Angehörigen verschiedener Universitäten der Bereiche English Language, English Literature und Scottish Literature. Die Materialsammlung umfaßt Theaterstücke, Radioskripte und Übersetzungen, wobei einige Texte nur für Mitglieder der Glasgow University gedacht sind. Scottish Place Name Society: Diese Gesellschaft formierte sich bei einer Konferenz in St. Andrews, am 17.Februar 1996. Befaßt sich - wie der Name schon sagt - mit der geschichtlichen und linguistischen Seite der Ortsbezeichnungen. Vorsitz hat Ian Fraser, Edinburgh. Scots Malt Whisky Society: zwei Mal aufgeführt. 176 McHARDY, S. (Scots Language Resource Centre). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 114 Näheres ist der Verfasserin über diese Gesellschaft zwar nicht bekannt, doch finanziert sie eine jährliche Vorlesung in Scots, die über den Stand von Scots in Schulen und Universitäten berichtet. 178 Scottish Consultative Council on the Curriculum (SCCC): Mit seinem Sitz in Dundee beschäftigt sich das SCCC vornehmlich mit Erstellung von Lehrplänen und Lehrmaterial, wobei die schottische Sprache und Literatur eine große Rolle spielen. Robertson, der den Vorsitz innehat, erstellte erst kürzlich „The Kist“ - ein Paket mit Unterrichtsmaterial vollkommen neuer Art, welches die schottische Sprache propagiert und seit 1996 in Schulen eingesetzt wird (hierzu siehe auch Kapitel 6.4.). Scotsoun (=Scots-sound): Scotsoun, situiert in Glasgow, konzentriert sich auf Cassettenaufnahmen der schottischen Sprache. Anscheinend ist Scotsoun aber nicht sonderlich daran interessiert, diese Cassetten auch ins Ausland zu verkaufen, denn auf mehrere Anfragen (vier Anfragen innerhalb weniger Monate, eine davon auch während eines Aufenthaltes in Schottland) kam bis heute keine Antwort. Und schließlich eine Institution, die sich außerhalb von Schottland für die schottische Sprache und Literatur einsetzt: Das Scottish Studies Centre (Germersheim): Das Scottish Studies Centre, gegründet 1981, ist eine Forschungsabteilung am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim. Im Rahmen der am Fachbereich gebotenen Studiengänge - mit besonderer Betonung auf schottischer Literatur und dessen soziokulturellen Kontext - können ent177 Näheres über dieses Projekt nicht bekannt. Auskunft von McHARDY, S. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 178 115 sprechende Themen für Diplomarbeiten gewählt werden; Promotionsmöglichkeit ist gegeben. Es bestehen zahlreiche Kontakte mit Universitäten in Schottland, besonders der Glasgower Universität. Scottish Studies, bzw. neuerlich Scottish Studies International ist der Titel der am Zentrum herausgegebenen Schriftenreihe, die bis zum heutigen Tage 23 Bände umfaßt. Weiterhin erscheint zweimal jährlich ein Scottish Studies Newsletter. Kontaktperson ist Horst Drescher. Eine ähnliche Institution außerhalb Großbritanniens ist die Groupe de Recherche „Etudes Ecossaises“ in der Université de Stendhal, Grenoble. 6.2. Wörterbücher: Was die Vitalität oder den Verlust von Lexemen oder Wörtern betrifft, müssen wir der Verläßlichkeit der Wörterbücher vertrauen. Betrachtet man die größeren englischen Wörterbücher, so muß man zugeben, daß die schottischen Formen ebenfalls angegeben sind. In amerikanischen Wörterbüchern ist sogar der spezifische Gebrauch der britischen (British; hiermit ist dann Standard English gemeint) und schottischen (Scots) Wörter unterschieden, während in denen aus Großbritannien der Gebrauch der amerikanischen und schottischen Wörter gekennzeichnet ist. Diese Unterscheidung ist auch schon allein aufgrund der vielen auf Scots (meist von Schotten) geschriebenen Büchern, welche schottisches Vokabular entha lten, nötig. John Pickering, der sich auf dem Forschungsgebiet American English bewegt, stimmt mit Joseph Worcester, Mitbegründer der amerikanischen Wörterbüchertradition, überein, indem beide feststellten: „Where we differ from the English, particularly in some of the vowels, it will be found that we agree with the Scotch.“179 Im Jahre 1850 wurde das Imperial Dictionary, welches auf den frühen amerikanischen Arbeiten des N. Webster basiert, von John Olgivie erstellt 179 Zitiert nach McARTHUR, T.: The Status of English in and furth of Scotland. In: AITKEN, A.J. / McARTHUR, T. (Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.62 116 und wurde 1885 neu aufgelegt. Dieses Wörterbuch war in den USA sehr berühmt, obwohl es in England kaum Einfluß hatte. Es lag wohl an den schottischen Siedlern und Erstellern von Wörterbüchern, daß die USA mehr zur schottischen Sprache hin tendiert, als zum Standard English. In der Einleitung zu Hornbys Advanced Learner´s Dictionary of Current English, 180 welches an deutschen Schulen bevorzugt benutzt wird, heißt es, daß es zum Ziel gemacht werden müsse, die Aussprache der „bestknown variety“ des britischen Englisch und des amerikanischen Englisch aufzuzeigen. Hornby verliert hier kein Wort über Scots. In diesem Zusammenhang fragte sich auch McArthur zu Recht: „Best known to whom ?“181 Desweiteren könnte man kritisieren, daß British English, obwohl ein - wie schon erwähnt - äußerst problematischer Begriff, denn es gibt keine Variante des Englischen, die nur und überall in Großbritannien gesprochen wird - nicht definiert wird. Es wird lediglich (aber viel später) gesagt: „The British English form is that which has been called Received Pronunciation or General British.“182 Im Artikel „The Dictionary“ heißt es: „This is a Dictionary of the English Language as it is written and spoken today by educated British men and women.“183 Man könnte also schließen, da ja die schottische Sprache nicht berücksichtigt wird, daß die Schotten folglich nicht gebildet sein können. In dem Abschnitt, in dem American English besprochen wird, erklärt Hornby: There is one difference between British and American pronunciation that is not given in the Dictionary. This is the use of the /r/ sound in American English in words where British English does not use it. 184 Diese Aussage würde implizieren, daß das /r/ in ganz Großbritannien nicht gesprochen würde. Daß dies schlichtweg ein Irrtum ist (das heißt, bei 180 HORNBY, A.S. Oxford Advanced Learner´s Dictionary of Current English. Oxford University Press 1974. 12. Aufl. 1981, S.xiii-xli 181 Vgl.: McARTHUR, T.: The Status of English in and furth of Scotland, in: AITKEN, A.J. / McARTHUR, T. (Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.50-68 182 HORNBY, A.S. Oxford Advanced Learner´s Dictionary of Current English. a.a.O. S.xxi. Hervorhebungen übernommen. 183 EBENDA, S.xiii 184 EBENDA, S.xxii. Hervorhebungen übernommen. 117 Hornby wohl eher an der Fehldefinierung von British English liegt), wurde bereits in Kapitel 3. bewiesen. Das amerikanische Random House Dictionary 185 hingegen definiert „British English“ wie folgt: „The English language as spoken and written in Great Britain, especially in southern England“. Was würde wohl ein Schotte zu dieser Definition sagen ? Um Licht in das Dunkel des Verlusts oder Überlebens der Wörter zu bringen, hat Görlach einige Wörterbücher aus verschiedenen Ländern und verschiedenen Entstehungsdaten untersucht. 186 a) John Ray: Collection of Words not Generally Used (1674, Neuauflage 1691), ist ein Versuch zur Lexikographie verschiedener Dialekte des Englischen, welche zum Beispiel als „nördlich“ markiert sind (= man gebraucht sie entweder in Nordengland oder Schottland). b) Samuel Johnson: Dictionary of the English Language (1755) enthält wenige Wörter, von welchen er glaubt, sie gehören nicht dem Standard an. Noch weniger Wörter sind als „veraltet“, „nicht mehr im Gebrauch“ oder „Dialekt“ gekennzeichnet. Johnson hat wenige Wörter als Schottisch gekennzeichnet, da er Scots als eine unabhängige Sprache betrachtete. Todd stellte bei der späteren Revision im Jahre 1818 fest, daß einige sogenannte veraltete Wörter immer noch in manchen englischen Dialekten existieren. c) Das OED (Older English Dictionary); kein eigentliches schottisches Wörterbuch, hat 240.000 Einträge (80.000 im SOED, von denen 2.271 als „Dialekt“ markiert sind und ein Drittel bis zur Hälfte dieser Dialektwörter sind „Scots“ oder „Scots und nördlicher Dialekt“. d) Schottische Lexikographie erkennt der Autor auch in den 20CD von Chambers, Von 85 Wörtern sind 46 markiert als „Scots“. Longmans DEL und Collins´ EL zeigen eine ähnliche Behandlung der Wörter. e) Warracks macht in seinem Chambers Scots Dictionary (1911) keinerlei Gebrauch von regionalen, sozialen oder Häufigkeitsbegrenzungen. 185 Zitiert nach AITKEN, A.J. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 118 f) Websters Third (1961) spiegelt das SOED wider, aber es beinhaltet 42 „Scots“-Einträge und 2 Einträge „Scots or dialect“, während das SOED diese Einträge im Verhältnis 13:31 aufweist. Der Autor kam hierbei zu dem Schluß, die Information, die wir durch die Wörterbücher erhalten, diene nicht dazu, zu manifestieren, ob ein schottischer Begriff noch im Gebrauch oder etwa schon überholt ist. Wie schon im vorhergehenden Kapitel (6.1.) dargelegt, hat die Scottish National Dictionary Association (SNDA), Edinburgh, sich zum Ziel gesetzt, die schottische Sprache zu propagieren. Daher gibt es heutzutage eine Menge schottischer Wörterbücher, die von der SNDA publiziert worden sind. 187 Das Scottish National Dictionary (SND) (erstellt 1931-1979) wurde in 10 Bänden publiziert und kostet 850 Pfund. Es bezieht sich auf Scots vom Jahre 1700 bis zur heutigen Zeit. Es basiert auf einer großen Fülle von geschriebenen Quellen und auch auf der gesprochenen Sprache des Tieflandes, von Shetland bis zu den Borders und dem Südwesten und berücksichtigt auch Ulster Scots, die Varietät des Schottischen, die in Nordirland gesprochen wird. Der erste Herausgeber war William Grant, ihm folgte 1946 David Murison, dessen Lebensaufgabe das Erstellen dieses Wörterbuches wurde. Die Compact Edition des SND kostet 175 Pfund (hardback) bzw. 125 Pfund (paperback), ist in kleinerer Schrift gehalten und hat daher nur noch 2 Bände. Es wurde vom W L Lorimer Memorial Trust unterstützt. Die Arbeit zu A Dictionary of the Older Scottish Tongue (DOST) wurde circa zur gleichen Zeit begonnen. Es behandelt die mittelalterliche schottische Sprache bis zum Jahre 1700. 186 Vgl.: GÖRLACH, M.: Studies in the history of the English Language. a.a.O., S.134-137 119 The Concise Scots Dictionary (CSD), welches auch an schottischen Universitäten empfohlen wird, kam im Jahr 1985 heraus und umfaßt 820 Seiten. Es kostet £ 19.95, die Taschenbuchausgabe £ 9.95. In diesem Wörterbuch ist die schottische Sprache von den frühen Anfängen bis hin zum modernen Sprachgebrauch enthalten, wobei nicht nur die Bedeutungen beschrieben werden, sondern auch die Aussprache, die etymologische Herkunft und die regionale Präsenz eines Wortes (wo und wann das Wort benutzt wird oder wurde) erläutert werden. Purves kritisiert an herkömmlichen Wörterbüchern, 188 daß ihre Autorität ein Hindernis für die modernen Autoren sein kann, da sie die Rechtschreib- reform nicht unterstützen, indem sie für ein Wort mehrere Schreibweisen angeben. Dieses hier gibt jedoch nur eine, höchstens zwei Schreibvarianten eines Wortes an. Daher sieht er den möglichen positiven Effekt, die Anzahl der Rechtschreibalternativen eines Wortes zu reduzieren. Auch von der Benutzung der verhaßten Apostrophe wird hier abgeraten. The Pocket Scots Dictionary (PSD) (1988) gibt es nur als Taschenbuch, und zwar zu einem Preis von £ 5.99. Es ist eine verkürzte Version des Concise Scots Dictionary und wurde vor allem für Schulkinder erstellt. Aus diesem Grund sind auch die Definitionen und das Layout einfacher gehalten, was das Nachschlagen leichter und schneller macht. Das English-Scots Dictionary („Scots Thesaurus“) wurde im Jahre 1990 mit dem Ziel entwickelt, Wissen über die schottische Sprache zu verbreiten - vor allem im Bildungswesen, da Schulen solch ein Buch gut im Unterricht benutzen können, und vielleicht sogar nach dessen Auskunft selbst etwas auf Scots zu schreiben. Es listet die schottischen Wörter auf, um gleichzeitig die englischen Synonyme zu geben. Die thematische Zusammenstellung zeigt viele Aspekte des vergangenen und gegenwärtigen Lebens, und der englische Index hilft außerdem beim Suchen von Informationen. Dieses Wörterbuch gibt allerdings nicht die Aussprache oder die 187 Die SNDA selbst publizierte die drei erstgenannten Wörterbücher, Chambers alle danach folgenden. 188 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 120 etymologische Herkunft der Wörter an (welche wir, im Gegensatz dazu, aber in „Scots-English“-Wörterbüchern finden). Der wichtigste Punkt jedes bilingualen Wörterbuches ist die Unterscheidung von Bedeutungen. Dies wird in dem Thesaurus dadurch erreicht, daß er Synonyme, Wortfeldzuweisungen oder andere kurze Bemerkungen angibt. Manchmal erscheint auch ein Beispielsatz oder ein zusammengesetztes Wort. Der Scots Thesaurus kostet £ 19.99 und hat 563 Seiten. The Concise English-Scots Dictionary (1993), 320 Seiten, bekommt man für £ 12.99. Es enthält schottische Äquivalente für die meisten Wörter im allgemeinen Gebrauch sowie auch für Wörter aus den Themenfeldern, die in Schottland auf besonderes Interesse stoßen, z.B. Angeln und Landwir tschaft. Für Schriftsteller, Journalisten und Redner hat es weniger Nutzen, doch für den Besucher Schottlands oder den, der schottische Literatur als Hobby liest, könnte es von Interesse sein. Ohne Zweifel werden aber die Schulen daran Gefallen finden, denn mit Hilfe dieses Wörterbuches ist es ein Leicht(er)es, die Schulkinder zum Schreiben in schottischer Sprache zu bewegen. Das Scots School Dictionary, 368 Seiten umfassend, hat sowohl einen Scots-Englischen als auch einen English-Scots- Teil. Es wurde extra für den Gebrauch an Schulen konzipiert, da die neuen Unterrichtsmethoden, in denen Scots neuerdings eine große Rolle spielen, ein solches Wörterbuch erforderlich machten. Es ist auch gut geeignet für den „normalen“ Benutzer, der ein günstiges, kompaktes Nachschlagewerk für den Hausgebrauch benötigt. Es ist zum Preis von £ 5.99 erhältlich und wurde erst im April 1996 veröffentlicht. Im Herbst 1996 wird zusätzlich das Dictionary of Scottish Building erscheinen. 189 In Zusammenarbeit mit Scottish Civic Trust und The Royal Institution of Architects in Scotland arbeitet die SNDA mit Glen L. Pride an der neuen und erweiterten Auflage seines früheren Glossary of Scottish Building, wobei er sich der Methoden und Informationen der SNDA be- 121 dient. Das neue Buch wird nicht nur Stadtplanern, Architekten und anderen in der Konstruktionsindustrie zugute kommen, sondern auch Rechtsanwälten, Administratoren und Forschern, die dann zu schottischen Dokumenten verschiedener Art, die Gebäude betreffen, Zugang haben werden. Die SNDA hat bereits seit der Fertigstellung des zehnbändigen SND eine beträchtliche Anzahl von Daten gesammelt. Heute besitzt es ein effizientes elektronisches System zur Aufnahme und Verarbeitung dieser Daten. Die Ergebnisse hiervon werden in Zukunft dazu benötigt werden, alle SNDAWörterbücher auf den neuesten Stand zu bringen, angefangen mit dem CSD bis hin zum PSD; später dann ebenfalls das SND selbst. Die diesbezügliche Forschung wird auch anderen Organisationen und, nach Absprache, Einzelpersonen zugänglich gemacht werden. Weitere der Verfasserin bekannte Wörterbücher sind: n Graham, W.: The Scots Word Book, Ramsay Head Press, £ 7.50. n Mackay, C.: The Auld Scots Dictionary, Lang Syne Publishers, Glasgow, ca. £ 15, 294 Seiten (dieses Wörterbuch ähnelt dem DOST, aber es ist kompakter (Taschenbuchausgabe).) n Macleod, I.: Pocket Guide to Scottish Words. Richard Drew Publishing. Glasgow 1986. n Stevenson, J.A.: Scoor-Oot: A Dictionary of Scots Words and Phrases. Athlone Press. London 1989. n Aitken190 erwähnt auch noch ein English Dialect Dictionary, von dem mir aber sonst keinerlei Einzelheiten bekannt sind. n Von McClure 191 wird ein Compact Scots Dictionary erwähnt. 6.3. Medien 189 Nach Auskunft von MACLEOD, I.(Herausgeberin), persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 190 AITKEN, A.J.: Scots and English in Scotland. In: TRUDGILL, P.(Hrsg.): Language in the British Isles. a.a.O., S.527 191 McCLURE, J.D.: Why Scots matters. a.a.O., S.67 122 Auch in den Medien ist in letzter Zeit ein gesteigertes Interesse an der schottischen Sprache zu verzeichnen. Die schottische Medienlandschaft, insbesondere die Tagespresse, ist weitgehend unabhängig von der britischen. Die Medien müßten Scots als regelmäßige, täglich zu hörende Sprache zur Selbstverständlichkeit machen. Denn das Argument, es höre sich seltsam an, wenn Scots für ernste Diskussionen und ähnliches im Fernsehen oder Radio verwendet wird, verliert dann an Stärke, wenn man daran gewöhnt ist, es auch in den Medien für formellere Anlässe benutzt zu wissen. Angestellte von Fluggesellschaften, Kino- und Fernsehansager sprachen von jeher fast ausnahmslos den RP-Akzent. In Werbespots ist dies (bis heute noch) ähnlich, wenn man einmal von den Bierreklamen absieht, da solch „ordinäre“ Dinge für gewöhnlich im lokalen Dialekt angepriesen werden. Auch die Sprecher der BBC waren bis vor kurzem noch ausnahmslos RP-Sprecher. Heute hat sich auch in diesem Feld einiges geändert. Die Radiosprecher haben häufiger einen lokalen Akzent, wenn auch meist einen „Mittelklasseakzent“, keinen der Arbeiterklasse. 192 Letzterer bleibt meistens begrenzt auf Interviews, phone-ins193 und fiktionale Dialoge. Heutzutage ist die schottische Sprache sehr fragmentiert und konzentriert sich auf die einzelnen Dialekte, die in den verschiedenen Gegenden gesprochen werden. Die Einwohner bekommen die einstige Sprachenvielfalt nicht mehr mit, da sie in den Medien keine schottische Sprache - außer für komische Zwecke - kennenlernen. Würden die Medien die Sprache stärker propagieren, sähen bald auch die Bürger Schottlands die Verwendung ihrer eigenen Sprache als „normaler“ an. Wenn Kay in den Medien Scho ttisch spricht, hält er sich für einen ganz normalen Muttersprachler, der eben seine Primärsprache benutzt, ganz gleichgültig, ob diese etwa stig192 Vgl.: AITKEN, A.J.: Scots and English in Scotland. In: TRUDGILL, P.:(Hrsg.): Language in the British Isles. a.a.O., S.525 123 matisiert ist oder nicht. 194 Er möchte andere Bürger, die Scots als Muttersprache gelernt haben, ermutigen, ihre Sprache auch zu verwenden, jetzt, da sie endlich durch Medien etc. die Chance hätten, ihre schon lange so verrufene Sprache doch noch in Umlauf zu bringen. Allerdings befürchtet Kay, daß die meisten seiner Mitbürger, die Scots als ihre Muttersprache gelernt haben und die viel zu wenig gebildet über den Hintergrund ihrer eigenen Sprachkultur sind, sich nicht trauen, diese auch zu benutzen, um nicht gleichzeitig eine politische Stellungnahme machen zu müssen. Immerhin haben wir gesehen, daß Politik ein zentraler Faktor bezüglich des Schicksals, dem eine Sprache entgegensieht, sein kann. Daher betrachten die Zuschauer, die sich noch keine Gedanken darüber gemacht haben, wie normal es doch eigentlich ist, seine eigene Muttersprache im Fernsehen zu sprechen, Kays Auftritte in den Fernsehsendungen als gekünstelt. Scots müßte, so meint auch McClure, 195 mehr Zeit im Fernsehen und im Radio gewidmet werden. Theaterstücke (vor allem die neueren), Dramenstücke der literarischen Klassiker wie auch Diskussionsprogramme über und in Scots müßten zum alltäglichen Leben gehören. Muttersprachler der schottischen Sprache können als Nachrichtensprecher, Fernsehansager oder Sportkommentatoren fungieren. Nur so kann man die Sprache wieder etablieren. Der Einfluß der Medien auf die Kinder ist ebenfalls nicht zu unterschätzen. Diese bekommen dann auch indirekt mit, daß Scots keine minderwertige Sprache ist, sondern wie jede andere benutzt werden kann. Die Präsenz des Gälischen ist in den Medien besser als die des Schottischen. Da Gälisch ohne Zweifel eine separate Sprache ist, kann man ihr auch eine gewisse Anzahl an Stunden im Programm einräumen. Die Diskussionsrunden, die sich auf Scots beziehen, handeln dann zwar von Scots, sind allerdings, so paradox es auch klingt, meist nicht in der schottischen Sprache selbst abgehalten. Durch die enge Verknüpfung mit StE, ist es nicht leicht, Scots den Status einer offiziellen Sprache zu verleihen. Dies war auch der Grund, weshalb Scots in der Vergangenheit oft als der 193 Radio- und Fernsehsendungen, bei denen Leute anrufen können, um ihre Meinung zu einem bestimmten Thema zu äußern oder an einem Gewinnspiel o.ä. teilzunehmen. 194 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.182 195 Vgl.: McCLURE, J.D.: Why Scots matters. a.a.O., S.68 124 schwache Schatten seines so mächtigen Nachbarn angesehen wurde, ohne jegliche ernsthaftere Betrachtung. Die folgenden Abschnitte behandeln kurz die einzelnen Bereiche der Medien, um aufzuzeigen, inwiefern sich entweder schon etwas geändert hat oder noch geändert werden sollte. 6.3.1. Radio Im Radio hört man heute vermehrt Folksongs, viele alte und neue schottische Lieder, doch auch die Moderatoren (dies bezieht sich hauptsächlich auf die lokalen Sender) schämen sich nicht mehr ihres lokalen Dialekts, sondern benutzten ihn in der Form, daß man den Eindruck bekommt, sie sprächen zu einem Freund oder gutem Bekannten. Die Verfasserin hatte die Gelegenheit, einige Cassettenaufnahmen von den oben genannten phone-ins, die auf ScotFM jeden Morgen von 9.00 bis 10.00 Uhr zu hören sind, zu analysieren. Dabei wurde festgestellt, daß der Moderator, ScottyMcClue, 196 zwar nicht einen ganz so starken Dialekt spricht wie die Anrufer, doch auch er scheut nicht vor eindeutigen Scottizismen, wie ay, lass, weans, etc. zurück. Die Anrufer selbst, die sich zu einem gestellten Thema äußern, sind meist einerseits viel zu aufgeregt, um das code-switching zu verwenden und ihre Sprache in Richtung des StE zu modifizieren, andererseits regen sie sich oftmals über das zu diskutierende Thema dermaßen auf, daß sie ohnehin nicht an ihre Sprachgewohnheiten denken. Da das Programm, anders als z.B. Clyde 1, von dem es sich auch sprachlich unterscheidet, nicht nur in Glasgow, sondern auch in Edinburgh zu empfangen ist, kann man auch hier bemerkenswerte Unterschiede feststellen. In den meisten Fällen hört man nämlich direkt, ob der An- 196 Scotty McClue (bürgerl. Name: Colin Lamont) wurde schon oft von seiner Arbeit suspendiert oder zu Geldstrafen verurteilt, da er zu seinen Anrufern äußerst unfreundliche und provokante Dinge gesagt hat. Oft wurde in den Medien diskutiert, ob er bzw. der Radiosender dies aus dem Grunde tun würde, bekannt zu werden und Aufsehen zu erregen. Immerhin, manchen Zuhörern gefällt es und er kann sich nicht über eine mangelnde Anruferzahl beschweren (der Glasgow Herald, 24.06.96 schrieb von 500000 Zuhörern!). 125 rufer von der Ostküste oder eher aus dem Westen Schottlands anruft. (Wie bereits erwähnt, meist schon am Tonfall.) BBC Radio Scotland brachte „Amang Guid Companie“, eine Serie mit 6 Interviews von je einer halben Stunde Dauer, geleitet von Kay, gesprochen auf Scots. Die Reaktion des BBC schwankte zwischen Zustimmung und Ablehnung. 197 Kay zitiert einen der Mitarbeiter des BBC, der sich beschwerte, daß seine Mutter ihm als Kind verboten habe, Scots zu sprechen, und nun würde er selbst es im Radio senden. Andererseits scheint BBC aber auch eingesehen zu haben, daß Scots ebensolch ein Kommunikationsmittel ist wie Scottish English und Gälisch auch. Die zweite Serie, welche von Kay geschrieben und geleitet wurde, „Tae be yersels“ umfaßte 12 Radiosendungen und wurde in Zusammenarbeit von Campus Radio und Radio Tay produziert. Auch „The Scots Tongue“, eine Einheit, die zwei Programme („Wheech“ und „Scunnered“) umfaßte, wurde von BBC Radio Scotland gesendet. Der erste Sendetermin war im Sommer 1985, der zweite ein Jahr darauf. Kopien dieser Programme sind durch die Resource Centres erhältlich. Das gleiche Programm (mit „The Keltic [sic] Connection“ und „Gaelic Now“) erschien danach auch für Gälisch. Auch Robbie Shepherd leitet zur Zeit zwei separate, regelmäßige Programme auf Radio Scotland, in denen Scots gesprochen wird. Laut Auskunft des SCCC198 soll auch auf BBC Radio 4 in Kurzgeschichtenlesungen und Dialogen Gebrauch von Scots gemacht werden. Für Kinder hat die BBC ein spezielles Programm entwickelt, in dem lehrreiche Sendungen enthalten sind. Neben Early Learning, English, Mathematics, Environmental Studies, Expressive Arts, Religious Education, Languages und Series from Northern Ireland and Wales gibt es auch eine Serie Resources for Scotland, welche für die Altersgruppen 7-9 Jahre und 10-12 Jahre gedacht ist. 199 Die jeweiligen aufeinander aufbauenden Unter197 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.181 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 199 Entnommen aus: BBC Education, 5-14 Television, Radio and Resources for Scottish Schools, 1996/1997. (= Richtlinien für das Schulprogramm der BBC). Information von: GUNN, D. (BBC Education Office). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 198 126 richtseinheiten laufen jeweils ein Vierteljahr, 20 Minuten in der Woche. Die gleiche Sendung wird meist noch einmal in der laufenden Woche wiederholt. Scottish Resources 7-9 bespricht die Themenfelder Castles, People in the Past, The Vikings, Grandpa´ s Green, Live and Let Live und The Guidman of Ballengeich. Diese Themen beziehen sich auf die 5-14 Richtlinien für den Schulunterricht 200 (hier auf die Unterrichtseinheiten: People in the Past und Expressive Arts), und man kann sowohl Textbücher (£ 4.90) und Cassetten erhalten (£ 2.00). In Scottish Resources 10-12 kommen die Themen The Story and the Song: Burns, PSD: Positive Vibes (Moral issues), Sound Pictures, Media Studies, Health, The Seventies und A Place in Europe vor. Diese Sendungen sind zum Teil (The Story and the Song: Burns) vollständig auf Scots gehalten. Die BBC Education Officers pflegen regelmäßigen Kontakt zu Schulen, Lehrern und Lehrerausbildungseinrichtungen. Sie besuchen auch selbst die Schulen, um herauszufinden, wie die Kinder auf die jeweiligen Radioprogramme reagieren und wie effektiv sie von den Lehrern gefunden werde. Die Schulen können die Audiocassetten direkt bei der BBC (Educational Recording Agency, London) beziehen oder natürlich auch selbst vom Radio aufnehmen. Für diesen Zweck werden die Sendungen regelmäßig noch einmal in der Nacht wiederholt (Radio 3FM). Für weitere Informationen steht die BBC auch über das Internet (World Wide Web) zur Verfügung. Neben diesen Audioaufnahmen gibt es weitere Aufnahmen der BBC Records „English with a dialect“(REC173), sowie es eine große Kollektion an Cassetten mit den verschiedenen Dialekten von Scots in den Archiven von der Linguistic Survey of Scotland (Scots Section), und der University of Edinburgh (Department of Linguistics und die School of Scottish Studies). Auch aus der Reihe Scottish Literature in the Secondary School gibt es Cassettenaufnahmen. Wie bereits im Kapitel 6.1. erwähnt, publizierte auch Scotsoun zahlreiche Aufnahmen, doch aufgrund der genannten Kommunikationsprobleme konnten diese für diese Arbeit nicht eingehe nder betrachtet werden. Die Sprache der Glaswegians, mehr oder weniger stereotypisiert, wird von wohlbekannten schottischen Komikern wie 200 Zu den 5-14 Richtlinien siehe auch Kapitel 6.4. 127 Stanley Baxter oder Billy Conolly imitiert und ist ebenfalls als Cassettenaufnahme erhältlich. 6.3.2. Fernsehen Auch das Fernsehen verhielt sich lange so, als würde die Sprache, die in dieser Arbeit zum Thema gemacht wird, nicht existieren. Da das Fernsehen fast vollständig auf London konzentriert ist und nur wenige Programme in Schottland selbst produziert werden, ist es nicht verwunderlich, daß der Beitrag in schottischer Sprache minimal ist. Fernsehspiele, die dennoch auf Scots gehalten sind, weisen kein kompromißloses Scots auf, sondern werden meist nur bei Charakteren, die mit umgangssprachlichem, städtischen Dialekt assoziiert werden oder aber lustige Rollen spielen, eingesetzt. Die Stadtsprache als Merkmal kommt auch in dem Glaswegian Charakter Rab C. Nesbitt vor, eine Sendung, die auch in England empfa ngen werden kann, wo gewiß viele seiner Bemerkungen unverstanden ble iben. Charaktere wie Rab C. Nesbitt sprechen zwar eine Art von Scots, doch man kann wohl kaum behaupten, daß sie als Repräsentanten für Schottland angesehen werden könnten. Ebensowenig kann man die Assoziation zwischen Scots und der städtischen, „korrupten“ Sprache als no twendig ansehen. 201 Im schottischen Schulfernsehen gibt es heutzutage zunehmend schottische Themen. Die Unterrichtseinheiten richten sich, wie die oben beschriebenen Radioprogramme, nach den Richtlinien 5-14 und dauern jeweils eine halbe Stunde. Auch sie werden an zwei Tagen in der Woche vormittags gesendet, wobei es sich bei der zweiten Ausstrahlung um eine Wiederholung handelt. Für Schulkinder im Alter von 7-9 gibt es die Reihe See You See Me (Scottish Themes), welche im Schuljahr 1996/97 die Themen The Romans in Scotland und Scotland (Geographie, Landschaften etc.) behandelt. Auch hier kostet das Buch zu den jeweiligen Themen £ 4.90. Eine Videocassette ist noch nicht erhältlich. Die älteren Kinder (10-12 Jahre) 201 und Korrupt =hier: Einfluß von anderen Formen des Englischen anderen Dialekten des Schottischen. Ausdruck (Orig.: 128 sollen in der Serie Around Scotland (Dauer: je 25 Minuten) etwas über Scotland in the Time of Burns, Towns und A Tongue in Yer Heid 202 (gegenwärtiges Scots in verschiedenen dramatischen Situationen wie: Bullying in a family, The nicht bus - runaways, The effects of alcohol abuse on a family etc.) lernen. Auch was die Geschichte angeht kommt Schottland nicht zu kurz. Es gibt zusätzlich zu den TV-Sendungen noch Videocassetten mit Lehrbüchern, Bücher, Wandschaubilder, Poster und sogar Disketten für den PC, die das Schulfernsehen erweitern sollen. Hier werden Themen wie Burns, The Union of 1707, The Jacobites, The Highland Clearances, Children of Coal and Iron, Looking at a Scottish Art Book, und Caledonians and Romans angeboten. Die Preise variieren von £ 5.99 (Bücher) bis zu £ 38,- (Videocassetten). 203 Obgleich das internationale Filmfestival schon immer ein wichtiger Bestandteil des jährlichen Sommerfestivals im August in Edinburgh gewesen ist, gibt es fast keine Filmindustrie in Schottland. 204 Damit die Fernsehbranche die schottische Sprache in Zukunft auch in anderen Feldern zunehmend propagiert, hegen viel schottische Bürger die Hoffnung auf die Wiederkehr einer demokratischen Regierung, wessen erster Schritt es sein muß, einen vollständig autorisierten „Broadcasting Council“ für Schottland, der seine Mitglieder aus Repräsentanten der schottischen Zuseherschaft zieht, in Kraft zu setzen. 205 Für die gälische Sprache stehen die Dinge etwas besser. Der Broadcasting Council for Scotland hat sich 1982 zum Ziel gesetzt: „there should be steady expansion of television output for transmission throughout Scot„urban, corrupt degradation“) übernommen von PURVES,D. persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 202 Der Titel A Tongue in Yer Heid ist entlehnt aus dem Buch von ROBERTSON, J. (Hrsg.): A Tongue in Yer Heid. Edinburgh, 1994 203 Entnommen aus: BBC Education, 5-14 Television, Radio and Resources for Scottish Schools, 1996/1997. (= Richtlinien für das Schulprogramm der BBC). Information von: GUNN, D. (Education Office). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 204 Vgl.: NAIRN, T.: Die Schotten. In: BLASCHKE, J. (Hrsg.): Handbuch der europäischen Regionalbewegungen. a.a.O., S.274 205 PURVES,D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 129 land, especially children´s programmes, during the coming five years, designed to increase transmissions to two hours a week“, 206 und dies hat er auch erfüllt. Jeden Morgen gibt es im Schulfernsehen ein Kinderprogramm auf Gälisch, welches dem deutschen Schulfernsehen, in dem Englisch gelehrt wird, ähnelt. Es werden leichte Geschichten erzählt, Kurzfilme gezeigt, Grammatik und gälische Rechtschreibung geübt, und es gibt verschiedene Puppen (die jeden Tag in der Sendung vorkommen), welche sich auf Gälisch unterhalten. Doch auch die Erwachsenen kommen nicht zu kurz. Ausgestrahlt werden Nachrichten auf Gälisch und manchmal auch Filme mit gälischen Untertiteln, oder gar vollständig auf Gälisch. Bedenkt man, daß in Schottland ja nur noch eine verschwindend geringe Anzahl der Bevölkerung, wenn überhaupt noch vorhanden, monolingual Gälisch spricht (Englisch wird inzwischen von allen Einwohnern verstanden), ist es doch bemerkenswert, daß der gälischen Sprache als eigene Sprache ein so hoher Stellenwert zukommt, während Scots so schmählich vernachlässigt wird. Niemand würde wohl (zumindest momentan noch) auf die Idee kommen, Filme auf Scots zu synchonisieren oder Untertitel auf Scots anzugeben, obwohl die Nachfrage bereits da ist. 207 Dieser Unterschied zw ischen der Häufigkeit von Gälisch in Fernsehen im Gegensatz zu Scots ist nicht schwierig zu erklären. Für die gälischen Programme im Fernsehen werden jährlich 9 Millionen Pfund ausgegeben. Für etwaige schottische Programme rein gar nichts. Daher besteht durch diesen großen Subventionierungsunterschied, so Kay, eine kulturelles Ungleichgewicht, welches verheerende Folgen haben kann. 208 Eine der Ausreden, die gegen das Senden von Scots im Fernsehen angewandt werden, ist die, man könne z.B. den Braid Buchan - Dialekt nicht im Fernsehen senden, da die Leute aus Glasgow ihn sicherlich nicht verstehen würden. Doch dieses Argument ist hinfällig, da ja die Einwohner Glasgows ebenso den Dialekt der amerik anischen Sendungen, beispielsweise aus Dallas, welche ohne Synchronisation übernommen werden, verstehen - warum dann nicht einen mit ihrem eigenen Dialekt verwandteren ? Sobald das Ohr sich daran gewöhnt, kön206 Zitiert nach PRICE, G.: The languages of Britain. London 1984, S.65 207 Aussage von TOMLINSON, B. (Scottish Television), Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 208 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.184 130 nen die schottischen Dialekte sich sicher gegenseitig verstehen lernen, und Scots würde dem Zuseher so vertraut vorkommen wie der RP-Akzent. Auch im Spanischen hat die Synchronisation ins Katalanische geklappt. Zunächst fanden die Zuschauer die Filmhelden, die in ihrem eigenen Dialekt sprachen (wohingegen früher die Filme in der Originalsprache gezeigt und mit Untertiteln versehen worden sind) noch gekünstelt und mußten sich erst daran gewöhnen. Dann aber, nunmehr über 10 Jahre später, haben sich die Einwohner Spaniens daran gewöhnt und finden sogar die Nachrichten, die auf dem Lokalkanal in ihrem eigenen Dialekt gesprochen werden, glaubwürdiger als die überregionalen. 209 6.3.3. Zeitungen Die Zeitungen sträuben sich sehr dagegen, etwas auf Scots zu veröffentlichen. Dies liegt natürlich wieder einmal daran, daß sie fürchten, an Autorität zu verlieren, sobald sie in „umgangsprachlichem“ Scots berichten würden. Vergleicht man mehrere schottische Tageszeitungen (The Daily Scottish Mail, Evening Times for Glasgow, Daily Record for Glasgow, The Scotsman,...), so muß man enttäuscht feststellen, daß hier nun wirklich das Angebot an Scots so gering ist, daß es sich nicht lohnt, die Zeitungen hinsichtlich ihrer Sprachverwendung (=wann wird Scots gebraucht, und in welchen Artikeln? Wie oft werden Scottizismen benutzt, zu welchem Anlaß?) zu analysieren. Nicht einmal Artikel über die Eröffnung eines Museums, einer Galerie oder gar einer neuen Kneipe weisen auch nur den kleinsten schottischen Ausdruck auf. Selbst die Unizeitungen lassen Scottizismen vermissen! Während der SR veröffentlichten Zeitungen wie Press and Journal (Aberdeen), The Glasgow Herald, The Scottish Chapbook, The Edinburgh Evening News, The Evening Dispatch, The Weekly Scotsman oder die Dunfermline Press häufiger Gedichte der schottischen Renaissanceautoren wie McDiarmid, Jeffrey, Murray, Smith und Young (selbst Werke von Fergusson wurden abgedruckt), 210 doch heute, obwohl es viele moderne schotti209 Vgl.: EBENDA, S.146 Vgl.: McCLURE, J.D.: Our ain leid ? In: GÖRLACH, M.: Focus on Scotland. a.a.O., S.181-201 210 131 sche Autoren gibt, die auch auf Scots schreiben, wird die schottische Sprache auch von den genannten Zeitungen sehr vernachlässigt. Nur die Press und Journal behält ihre tägliche schottische Kolumne bei - dann jedoch abgetrennt von allen anderen Artikeln, die auf StE geschrieben sind. 211 Die Presse scheut sich wiederum nicht vor dem Gebrauch von Scots, solange es um Cartoons geht: The Broons und Our Wullie - manchmal angesehen als „present-day kailyard Scottishness“212 erscheinen jede Woche in der Sunday Post (siehe auch Kapitel 6.3.5.). 6.3.4. Magazine Obwohl der Scottish Arts Council viele Magazine, die Artikel in Scots veröffentlichen, durch Finanzspritzen unterstützt, ist das Magazin LALLANS, welches bereits als das Journal der Scots Language Society vorgestellt wurde, die derzeit einzige Publikation, die regelmäßig und vollständig auf Scots erscheint. Es stellt nicht nur eine wichtige Chance für all diejenigen dar, die selbst ihr Glück mit der schottischen Sprache versuchen wollen und dann in diesem Magazin die Möglichkeit zur Veröffentlichung haben, sondern es beinhaltet auch Literaturkritiken und hinweise neu erschienener Bücher, die ebenfalls auf Schottisch geschrieben sind, wie im Übrigen auch das Vorwort und alles andere. Hinten im Magazin erscheint ein Glossar, welches noch einmal Hinweise für das Benutzen und Verstehen von Scots liefert. Der Begründer dieses Magazins, J.K. Annand, beabsichtigte, Standards für das geschriebene Scots zu setzen, Prosa auf Scots zu propagieren und besonders neue Autoren zu ermutigen, Scots als Medium zu benutzen. Seit 1973 erschienen vierteljährlich zu einem Preis von je £ 2213 insgesamt 46 Ausgaben von LALLANS, die, zusammen mit einer Anthologie der ersten 21 Jahre von LALLANS ein wertvolles Archiv für das Schreiben sowohl im Dialekt, als auch in literarischem Scots darstellen. 211 Früher gab es die erwähnte Kolumne nur Montags. LORVIK, M: The Scottis Lass Betrayed ? SCCC. Dundee 1995, S.21 213 Für Mitglieder der Scots Language Society ist das Magazin kostenlos. 212 132 The Association for Scottish Literary Studies bringt einmal jährlich das Magazin Scottish Language heraus. 214 Auch im Chapman, einem Literaturjournal215 , erscheinen von Zeit zu Zeit schottische Artikel über und auf Scots (Fiktion und Dichtung). Weitere schottische 216 Magazine, welche Gedichte und Prosatexte auf Scots publizieren, sind: n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n n * Agenda. Hrsg.: COCKSON / DALE (London) Books in Scotland. Ramsay Head Press. Edinburgh. Cencrastus. Hrsg.: ROSS, R. Edinburgh. Cutting Teeth. Hrsg.: LOOSE, G. Glasgow. The Dark Horse. Hrsg.: CAMBRIDGE, G. Ayrshire. Edinburgh Review. Hrsg.: der Verfasserin unbekannt. Edinburgh. * Gairfish. Hrsg.: HERBERT, W.N. (Newcastle). Gairm (auch Gälisch). Hrsg.: THOMSON, D. Glasgow. IBID. Hrsg.: Edinburgh University. Leopard. Hrsg.: The Mill Business Centre. Aberdeenshire. Lines Review. Hrsg.: RANSFORD, T. Edinburgh. New Writing Scotland. Hrsg.: University of Aberdeen. Northwords. Hrsg.: BRYANT, T. Ross-shire. * ORBIS. Hrsg.: SHIELDS, M. (Warwickshire). * Outposts. Hrsg.: JOHN, R. (Somerset). * PN Review. Hrsg.: SCHMIDT, M. (Manchester). * Poetry Review. Hrsg.: FORBES, P. (London). Scottish Book Collector. Hrsg.: RENTON, J. Edinburgh. Spectrum. Hrsg.: PATERSON, S. Ayrshire. * STAND. Hrsg.: SILKIN u.a. (Newcastle upon Tyne). * Southfields. Hrsg.: FRIEL / PRICE. (London). Tocher. Hrsg.: School of Scottish Studies. Edinburgh. Understanding. Hrsg.: SMITH, D. Edinburgh. West Coast Magazines. Hrsg.: c/o Em-Dee Productions. Glasgow. ZED20. Hrsg.: GLEN, D. Kirkaldy, Fife. Speziell für Lehrende an schottischen Schulen gibt es ferner: Scottish Child. (Edinburgh). 217 214 Hrsg.: SPEITEL, H.H. Auch dieses Magazin erhalten Mitglieder kostenlos. 215 Hrsg.: HENDRY, J. 216 Die Magazine, die nicht schottisch sind, sind mit einem * markiert. Der Erscheinungsort ist in Klammern gesetzt. 217 Hrsg.: der Verfasserin unbekannt. 133 6.3.5. Comics Die bereits in Kapitel 6.3.3. genannte Comicfamilie „The Broons“ erscheint nicht nur wöchentlich in der Sunday Post, sondern auch als eigenständiges Comicheft, herausgegeben von D.C. THOMSON & CO Ltd. (Glasgow, London, Dundee) zu einem Preis von £ 3.75. Dieses Heft von DIN-A4 Größe beschreibt jeweils auf einer Seite eine abgeschlossene Geschichte, die nicht nur für Kinder, sondern auch für Jugendliche gedacht sind. Es werden alltägliche Situationen einer Familie beschrieben, in denen zwar manchmal auch typisch schottische Dinge (schottisches Essen, Fußball etc.) miteinbezogen werden, aber auch von Nicht-Schotten verstanden werden können. Auch die Sprache ist nicht schwer zu verstehen. Zwar enthält sie Scottizismen und die schottische Aussprache wird imitiert, aber sobald der (ausländische) Leser sich an die Sprache gewöhnt hat, dürfte sie keine Probleme mehr bereiten. Allerdings wird in dieser Comicreihe sehr häufig Gebrauch von den Apostrophen gemacht, die ja von den Rechtschreibreformatoren so heftig kritisiert werden. Dies könnte natürlich ein Phänomen der Comicsprache an sich sein, denn sie unterscheidet sich für gewöhnlich ja auch vom allgemeinen Sprachgebrauch. Ob jedoch dem Status von Scots nun zu einem höheren Stellenwert ve rholfen wird, ist fraglich, denn hier wird ja ebenfalls nur die Umgangssprache benutzt, so daß ein unbedarfter Leser auch hier wieder den Eindruck gewinnen könne, Scots sei für die Umgangssprache, für „Heim und Herd“ prädestiniert. Das Phänomen des code-switching ist bei der hier verwendeten Sprache nicht auffällig, ebensowenig die Verwendung einer speziellen schottischen Grammatik, was aber bei diesen kurzen Sätzen ohnehin nicht zum Tragen käme.. Man kann nicht behaupten, daß mehr Wert auf die Sprache als auf die Bilder gelegt worden wäre, doch es ist schon allein bemerkenswert, daß man überhaupt auf die Idee kam, einen gesamten Comic auf Scots zu schreiben. Daher könnte dieser Comic auch gut als Auflockerung z.B. im Schulunterricht eine Rolle spielen, vor allem in deutschen Schulen, um vielleicht spielerisch die Sprache kennenzulernen. 134 Zusammenfassend kann man sagen, daß die schottische Sprache in den Medien, abgesehen von der lokalen Werbung im Radio und zum Teil auch im Fernsehen, weitestgehend vernachlässigt wird. Es sind zwar zweifellos Bestrebungen vorhanden, auch in den Massenmedien Scots nicht mehr zu stigmatisieren, sondern zu dessen Gebrauch zu ermutigen (phone-ins, Diskussionsrunden, Artikel in Zeitungen), doch ist und bleibt die eigentlich verwendete Sprache weiterhin Standard English. Daher ist es fraglich, ob die Medien in Zukunft eine große Hilfe sein werden, den Status von Scots zu erhöhen. 6.4. Schule und Unterricht 6.4.1. Schottisch an schottischen Schulen Das Lehren schottischer Literatur in der Schule ist nicht mehr länger eine Ausnahme. Manche Schulen lehren schottische Poesie, indem sie die Entwicklung des Scots, wie es im Tiefland gesprochen wird, mit einbeziehen, andere bieten Kurse an, die sich auf Dialektvariationen stützen. Kinder, die im Klassenzimmer ihren Dialekt beibehalten, werden nicht mehr länger entmutigt oder gar bestraft, wie es früher durchgehend der Fall war, aber ermutigt werden sie in der Regel auch nicht. Dies ist vie lleicht das Resultat des lange vorherrschenden Glaubens, Scots im Klassenzimmer „will inhibit the successful learning of English“. 218 Soziolinguisten argumentieren natürlich auf eine vollkommen gegenteilige Art und Weise. Ein zweiter Punkt, der in vielen, wenn auch nicht in allen, Schulen ausgelassen wird, ist die Diskussion der Geschichte, Gegenwart und Zukunft der schottischen Sprache sowie die Frage, warum manche Formen des Schottischen, die sozial stigmatisiert sind, neben anderen, die es nicht sind, existieren. Bis vor nicht allzu langer Zeit blieb allerdings immer noch ein großes Problem für die Lehrer, die gewillt waren, Scots zu unter218 AITKEN, A.J.: Studies on Scots and Scottish Standard English today. In: AITKEN, A.J./McARTHUR, T.: Languages of Scotland. a.a.O., S.139 135 richten, bestehen, da es sich als sehr schwierig herausstellte, an preiswertes Schulmaterial, insbesondere schon allein an entsprechende Bücher, heranzukommen, welche für den Schulgebrauch geeignet wären. Eigentlich müßte die Schule die Elemente des Lebensbereiches widerspiegeln, in dem das Kind außerhalb der Schule lebt. Dies ist aber bei der schottischen Sprache nicht der Fall. Zunächst ersetzte der lokale schottische Dialekt zwar Latein, und es gab ab 1559 Textbücher und Unterrichtsmaterial, mithilfe dessen den Schülern das Lesen und Schreiben des Schottischen beigebracht werden sollte, doch schon bald drängte StE, wie es im Süden gesprochen wurde, sich auch hier in den Vordergrund, wobei die schriftlichen Konventionen nur geringen Einfluß auf die gesprochene Sprache nahmen. In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts jedoch begannen die linguistischen Praktiken, die schottischen Normen zu verdrängen, was auch Schulprogramme und die Modelle des gesprochenen Englisch, welches für die Schüler als erstrebenswert angesehen wurde, beeinflußte. Zu diesem Zeitpunkt, Mitte des 18. Jahrhunderts, wurde Scots gänzlich aus dem Klassenzimmer verbannt und durch den Dialekt von London (RP), dem immer noch mehr Prestige zugesprochen wird, ersetzt. Mehr Aufmerksamkeit wurde allerdings nicht dem tatsächlichen Unterrichten der englischen Sprache, welche den Schülern aufgezwungen werden sollte, gewidmet, sondern eher der Vernichtung der schottischen Sprache. 219 Schulen sind höchst konservative Institutionen, und da sie seit jeher die Normen und Werte der Mittelklasse vermitteln, vermitteln sie in Schottland gleichzeitig damit auch die Sprache, die den Ruf hat, eleganter zu sein: Standard English. Schon seit 1707 war es in den schottischen Schulen gang und gäbe, daß den Schulkindern die englische Sprache, und zwar auf Englisch, beigebracht wurde, wobei die Verwendung ihrer eigenen Sprache, nämlich Scots, verboten wurde. Sie wurde angesehen als „wrong by definition“. 220 Diese Situation führte dazu, daß die schottischen Kinder das Gefühl be219 Vgl.: MACAFEE, C. / MACLEOD, I.(Hrsg.): The Nuttis Schell. Aberdeen 1987, S.131-142 136 kamen, sie müßten sich ihrer Sprache schämen, und je früher sie sich ihrer schottischen Charaktere entledigten, desto besser. Ein Beispiel, was sich in Schottland immer wieder erzählt wird, ist das fünfjährige Schulmädchen, das sich bei ihrer Lehrerin beschwerte: „Please, Miss, yon laddie hut me!“. Als die Lehrerin fragte, welcher Junge sie denn geschlagen hätte, antwortete das Mädchen: „It wes John Potatoe“. Die Lehrerin wußte zunächst nicht, wen das Mädchen meinte, da sie niemanden in der Klasse mit diesem Namen unterrichtete, doch plötzlich fiel ihr auf, daß es einen Jungen namens John Tottie gab. Das Mädchen hatte den Nachnamen des Jungen ins Englische übersetzt, um der Lehrerin einen Gefallen zu tun. Kay beschreibt sogar von seinen Schultagen, daß er mit dem Gürtel geschlagen wurde, sobald er in der Schule Scots sprach. Dies war nur ein Mal pro Jahr erlaubt, wenn die Burns Federation die Zertifikate verteilte oder wenn die Schule ein Burns Supper organisierte. 221 Es ist daher kein Wunder, daß viele Schulkinder die Schulbildung zurückwiesen, weil sie so sehr von der Erziehung, die sie im Elternhaus und in ihrem außerschulischem Umfeld genossen, abwich. Ihre akademischen Fähigkeiten litten darunter. Kay berichtet weiter von Regeln für Lehrer, die im Jahre 1985 (!) erstellt worden sind und über die er als Patriot sehr empört war. Eine dieser Regeln lautet: „If you allow the use of the Doric by your pupils in your room you could be a contributor to what can only be described as a sorry state of affairs.“222 Gordon Williams porträtiert ebenfalls in einer eindringlichen Art und Weise die Situation, in der sich schottische Kinder aufgrund der schizophrenen Einstellung der Lehrer, die ihm unplausibel erscheint, bis vor kurzem noch befanden:223 220 PURVES, D.: Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 221 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.19 222 EBENDA, S.21 223 WILLIAM, G.: From Scenes Like These. Zitiert nach: EBENDA, S.126f. 137 He remembered Nicol the English teacher saying that broad Scots was pronounced very much like Anglo-Saxon or middle English or some such expression. If that was so why did they try and belt you into speaking like some English nancy boy on the wireless ? […] proper English was what the school had to teach you if you weren´t going to be a guttersnipe all your life. Was it being a guttersnipe to talk your own country´s language ? […] Why teach kids that Burns was the great national poet and then tell you his old Scots words were dead common ? Auch der Schulinspektor, der in früheren Zeiten eine noch sehr wichtige Rolle spielte, hatte großen Einfluß darauf, daß die Lehrer darauf bedacht waren, Standard English zu unterrichten. Die Lehrer, die ja selbst auch nicht in der schottischen Sprache unterrichtet wurden und auch in ihrer Ausbildung zum Lehrberuf nicht dahingehend trainiert worden sind, anderen Personen Scots beizubringen, fühlen sich nicht kompetent genug, Scots zu unterrichten. Sie haben anscheinend auch Angst vor politischen Auswirkungen. 224 Es hat ohne Zweifel enorme Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl eines jeden Schülers, wenn ihm immer wieder erzählt wird, seine Sprache sei falsch und bedürfe einer Verbesserung (oder gar Übersetzung ins besser angesehene Englisch ). Die kulturelle Identität wird hierdurch untergraben, und die gesamte Sprache innerhalb der Familie bekommt den Anschein, nicht gut genug für den Gebrauch in der Schule zu sein. Purves und Robertson gehen sogar so weit zu sagen, die Behandlung von Generationen von Kindern habe ein schizoides Element, ein Element des Selbsthasses, in die nationale Psyche eingeführt. 225 Den Kindern wird in der Schule ein Bild von gutem Englisch vermittelt, was aber fehlt, ist die Gegenüberstellung des Bildes von gutem Scots. Auch viele Eltern trugen zu diesem schlechten Image, den Scots erhalten hat, bei, indem sie zwar auf der einen Seite selbst Scottizismen verwendeten, doch andererseits ihre Kinder auch wieder bestraften, sobald diese sie ebenfalls verwenden. Es wird zum Beispiel von einem Mädchen erzählt, dessen Mutter sie so hart schlug, daß 224 Vgl.: EBENDA, S.181 PURVES, D. / ROBERTSON, R.: Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 225 138 die zwei Vorderzähne verloren hat, nur weil sie das Wort ken benutzt hatte. 226 Will man das Schulwesen hinsichtlich des Gebrauchs der schottischen Sprach reformieren, so sollte man zunächst einmal definieren, was eigentlich „good“ Scots ist, das heißt, welche Art von Scots man den Kindern beibringen sollte und welche lieber nicht, da sie möglicherweise doch zu umgangssprachlich ist. Man ist auf dem Wege, ein Standard Scots, mit einem standardisierten Rechtschreibsystem, eigener Grammatik und Syntax zu erstellen, so daß es in Schulen und auch in der Erwachsenenbildung als eine von Englisch abzugrenzende, obwohl verwandte Sprache gelehrt werden kann. Durch das wachsende Bewußtsein über die Bedeutung der schottischen Geschichte, begleitet von größerer Kenntnis über Psycho- und Soziolinguistik, widmen Lehrer, Lehrerausbilder und Universitäten der schottischen Sprache heute mehr Aufmerksamkeit. Dies hängt eng mit dem bereits beschriebenen wiederaufkeimenden schottischen Nationalgefühl und dem politischen Interesse zusammen. Immerhin sprechen noch 60-70 % der schottischen Bevölkerung die Sprache mit einer solchen Dichte an lexikalischen Formationen, daß der Begriff „Sprache“ dem SCCC - so der Repräsentant Robertson227 - gerechtfertigt erscheint. Daher soll Scots nun den Platz im Lehrplan bekommen, der ihm so lange verwehrt blieb. Ziel ist es, die Scots-sprechenden Kinder in ihrem Vertrauen in die eigene Sprache und auch in StE zu bestärken. Die Sprache, die die Schüler ins Klassenzimmer mitbringen, soll berücksichtigt werden. Da Schottland keinen offiziellen Lehrplan, der in Richtlinien durch das Gesetz festgehalten ist, so wie es in England der Fall ist, besitzt, ist und bleibt es Aufgabe des SCCC, einen Lehrplan zu erstellen, der in Übereinstimmung von Schulen und Gemeinden verabschiedet wird. Das Projekt begann im Jahre 1991 mit English Language 5-14, welches curriculare Rahmenbe226 SANDRED, K.I.: Good or Bad Scots as a National Language. Acta Universitatis Upsaliensis Studia Anglistica Upsalensia 48. Uppsala 1983- Zitiert nach PURVES, D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 227 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 139 dingungen für Schulkinder in primary schools und die ersten zwei Jahre der secondary schools schaffen sollte. Wie der Name schon sagt, ist es für Kinder zwischen 5 und 14 Jahren gedacht. Hier werden dem Lehrer Ratschläge wie auch Literaturhinweise gegeben, wie er mit Scots im Kla ssenzimmer umzugehen hat. In den 5-14 Richtlinien heißt es: The speech of Scottish people is often distinctive. It may display features of pronunciation and intonation which together constitute an accent. It may conatin features of dialect, such as vocabulary, syntax, idiom and economics of expression. These reflect the histories of communities and are part of the language children bring to school. The first tasks of schools are therefore to enable pupils to be confident and creative in this language and to begin to develop the notion of language diversity, within which pupils can appreciate the range of accents, dialects and languages they encounter. This will involve teachers in valuing pupils´ spoken language, and introducing them to stories, poems and other texts which use dialect in a positive way. This is a sensitive area. Society gives prestige to some accents and dialects and undervalues others. Teachers will be confronted with difficult decisions: for example, What is appropriate ? When should inappropriate language be corrected ? The central principles of acceptability should be that the pupil is making genuine attempt at communication, is trying to achieve a real or agreed purpose, and especially for older pupils, is making an apposite choice in the speech form being adopted. The idea of diversity is crucial to understanding language. There is no standard form of Scots; there are many forms, varying one from another, although sometimes sharing common features. To help pupils, terms such as dialect and accent should be explained and used, with examples, to encourage discussion and develop perceptions of Scottish languages, and how they relate to the lives and experiences of Scottish people. Pupils can investigate and enjoy language diversity by noting fe atures of their own speech which differ from Standard English, and from other dialects they encounter. Recording interviews with older people will give a picture of former ways of living and reveal the changing nature of local language. Tape recordings of more geographically distant Scottish dialects will extend this awareness. The study of place names, starting with the local area, will demonstrate the continuing language history of Scotland. Given such experiences, and a conviction of the worth of their own accents and dialects, pupils will have greater empathy with those whose languages and cultures are different. 140 Scottish writing and writing about Scotland should permeate the curriculum and be introduced from an early stage, taking its place beside English literature. The objective of this is to value and examine critically the ideas, beliefs and emotions of Scottish writers, and to set them against the different insights and perspectives of writers from other places and other times. Scottish texts should be actively sought and used in classrooms: poetry, drama and fiction, historical and contemporary; and media texts such as radio broadcasts, films and television. Teachers should help pupils to recognize themselves, and be able to look at themselves as Scots in a detached and self-aware manner. It is not within the scope of these guidelines to deal with the varied and complex issues associated with the Gaelic language and the particular aspects of Scottish culture which it encompasses. However, for pupils unable to speak and read the language, there should be at least the experience of its writings in translation, to help in understanding the background and traditions from which they have come. Some of the finest Scottish writing has emerged from the Gaelic tradition in poetry and prose, and the portrayals of the experiences of Gaelic-speaking communities provide an essential strand in understanding what it means to be a Scot. Such understanding can be supported and developed by use of the mass media. National. Local and regional broadcasting gives pupils a variety of linguistic models to examine and discuss. In particular, schools´ broadcasting gives access to accents and dialects from across Scotland. The stereotypes and other representations are an important focus of discussion, criticism and challenge for pupils in Scottish schools. From an awareness of the diversity of accents, dialects and la nguages in Scotland, pupils will develop an appreciation of the dive rsity of other languages and their importance for the communities which use them. Far from diminishing the significance of English, an understanding of the operations of dialects will enrich awareness of the needs for a standard form of language which enables communication across linguistic and cultural boundaries. It will also give a perspective on the influence of English in the world community of languages. It should be a central aim of Scottish schools to help their pupils understand that the common experiences, activities, history and artefacts of the people of Scotland constitute an identifiable and distinctive culture, worthy of transmission and of study. 228 Robertson schätzt, daß ca. 30 % schottischer Schulen schon damit bego nnen haben, Schottisch (entweder schottische Sprache oder Literatur) zu unterrichten. Dies ist nur eine subjektive, grobe Einschätzung, genaue Er- 141 hebungen gibt es darüber im Moment noch nicht. Diese Schulen werden aller größter Wahrscheinlichkeit nach auch Wörterbücher benutzen. Vor allem das CSD ist, so Robertson, sehr beliebt, da es eine gekürzte Fassung ist, trotzdem aber noch alle schottischen Wörter mit Etymologien enthält und sowohl für den täglichen Gebrauch als auch für akademische Zwecke gut geeignet ist. Das Vorwort von A.J. Aitken enthält eine kurze, aber präzise Zusammenfassung der Geschichte der schottischen Sprache. Im Jahre 1989 wurde außerdem von Grampian Region and the Language Commitee of the Association for Scottish Literary Studies ein Kurs unter dem Motto The Language and Literature of Northeast Scotland abgeha lten, in dem ein schottisches Schulbuch mit detaillierten Anweisungen bezüglich der Grammatik, Aussprache, Idiomen und Vokabular erstellt wurde. Der Kurs war für alle Studenten und praktizierenden Lehrer offen. Im November 1990 folgte ein Fortführungskurs, der sich damit befaßte, wie das Lehren der Sprache und Literatur Schottlands innerhalb linguistischer und didaktischer Denkweise verbessert werden könne. Die Glasgow University veranstaltete zusammen mit der Scots Language Group im Frühjahr 1991 einen Konversationskurs, der vor allem Studenten, die sich bereits Wissen über Scots angeeignet hatten, dabei helfen sollte, ihr schlechtes Bild von der schottischen Sprache zu „modernisieren“. Der Kurs umfaßte die Themenfelder Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben. Die Studenten wurden aufgefordert, selbst kurze Sketche, Dialoge oder Übersetzungen aus den Medien zu verfassen. Der Lehrer sprach in dem Kurs so viel Scots wie möglich, wozu die Studenten ebenfalls ermutigt wurden. Die Glasgow Group organisierte im Herbst 1990 auch eine Serie von sogenannten forenichts, in denen Diskussionen auf Scots über verschiedene schottische Themen geführt wurden. Vor 1990 war, mangels offizieller Richtlinien auf Seiten des Scottish Ed ucation Departments, die einzige semi-offizielle Aussage über Schottisch 228 The Scottish Office Education Department (Hrsg.): Curriculum and assessment in Scotland. National Guidelines. English Language 5-14. Edinburgh 1991, S.67f. 142 in der Schule die Veröffentlichung des inzwischen außer Kraft getretenen Scottish Central Commitee on English mit dem Titel Scottish Literature in the Secondary School aus dem Jahre 1986. 229 In diesem Werk war auch ein Artikel von A.J. Aitken enthalten, The Scots Language and the Teacher of English, der von freiem Sprechen im Unterricht (auf Scots) handelt und auch lesenswerte Bücher empfiehlt. Zu der Zeit war zwar die generelle Meinung gegenüber Scots im Klassenzimmer schon fortschrittlicher (die Schüler sollten nicht mehr entmutigt und bestraft werden, Scots zu benutzen), doch sollten die Schüler auch nicht ermutigt oder sogar dazu aufgefordert werden, Scots zu sprechen oder - noch abwegiger - zu schreiben. Eine gewisse standardisierte Form der Sprache, womit StE gemeint war, sollte beibehalten werden, da diese nötig sei, um sich auch in anderen Ländern und Kulturkreisen verständigen zu können. Viele Lehrer glauben noch heute, daß sie den Schülern keinen Gefallen damit tun, wenn sie Scots durchgehen lassen. Lehrer, die solche feindseligen Haltungen gegenüber der Muttersprache der Schüler (die meist ja auch ihre eigene ist!) ausdrücken, entfachen eine höchst gefährliche linguistische Unsicherheit in ihren Zöglingen. Eine der Folgen kann sein, daß die Kinder sich in formellen Situationen, zu denen hier auch die im Klassenzimmer gezählt wird, nicht zu sprechen trauen, aus Angst, sie könnten sich „verplappern“ und doch Scottizismen benutzen. Sprachaneignung ist wesentlich erfolgreicher, wenn man nicht die Sprache nur als ein Ziel des Unterrichts ansieht (Diskussionen über schottische Literatur), sondern auch direkt diese Sprache als Medium nimmt. Im Moment verzeichnet man in Schottland ein großes Interesse daran, Scots zu lehren, sowohl in Schulen, als auch an Hochschulen, und es scheint so, als würde Scots nun doch einen Platz im Curriculum bekommen. Im Frühjahr 1993 haben alle Scottish Education Authorities zugestimmt, an dem sogenannten Scottish Language Project teilzunehmen, welches in Partnerschaft mit dem Scottish Consultative Council on the Curriculum (SCCC) das Projekt: Scotland´s Kist zusammenzustellen be- 229 LORVIK, M.: The Scottis Lass Betrayed ? SCCC. a.a.O., S.21 143 absichtigte. Purves kritisiert an diesem Projekt, 230 daß Gälisch zwar als eine eigenständige Sprache dargestellt wird, jedoch wird Scots als eine Kollektion lokaler Dialekte betrachtet, die bis zu einem gewissen Grade unter englischem Einfluß in den Medien und in der Schule ausgestorben sind und es daher zum Ziel gemacht werden muß, die überlebenden Dialekte zu unterrichten. Es ist schwierig zu sehen, wie überlebende schottische Dialekte effektiv in Schulen beigebracht werden können. Kein Dialekt hat eine ausgeprägte Literaturkultur, und keiner hat, bis auf den Dialekt von Shetland, eine veröffentlichte Grammatik, welche als eine Basis des Lehrens dienen könnte. Die meisten Lehrer sind außerdem nicht in den Regionen aufgewachsen, in denen sie unterrichten. Trotz dieser Bedenken von seiten Purves´ ist das Scottish Language Project ein wirklicher Umbruch im schottischen Schulsystem, schon allein der geänderten Einstellung wegen. Der normale Weg, eine Sprache zu unterrichten, ist durch Bezugnahme auf die Literatur, die in dieser Sprache geschrieben worden ist, durch die Idiome, Syntax und Grammatik, welche durch diese Literatur exemplifiziert werden. Da jede Sprache kontinuierlichen Veränderungen unterwo rfen ist, ist die literarische Form einer jeden Sprache ein Anzeichen für linguistische Kontinuität. Ein entscheidender Faktor beim Unterrichten von Scots sollte daher das Wiedererstellen der Beziehung zwischen Umgangssprache und dem Korpus an Literatur sein, der in der gegebenen Sprache existiert. Schottische Literatur soll nun einen festen Platz in den Prüfungen bekommen, und auch die Lehrerausbildung soll dahingehend verbessert werden, daß die Lehrenden sich fähig genug dazu fühlen, die schottische Sprache auch Anderen beizubringen. P. McDiard vom Strathclyde House Education Department (Glasgow / Paisley) wies darauf hin, 231 daß es hauptsächlich auf die individuelle Einstellung eines jeden Lehrers ankäme, ob Scots im Schulunterricht ermutigt würde oder gar verboten. Das Lesen der Werke von Burns ist schon lange 230 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 144 fest im Lehrplan enthalten, auch „The Sunset Song“ (L.G. Gibbon) ist als zu analysierender Text vorgeschrieben. Heutzutage wird aber vornehmlich Wert auf moderne schottische Autoren gelegt, was sich zum Beispiel in Glasgow, mit der jetzigen Welle der Glasgow writers 232 anbietet. Wörterbücher, so McDiard, werden nicht regelmäßig benutzt, vielleicht auch nicht einmal benötigt, obschon viele Exemplare in Schulen vorhanden sind, vor allem das PSD und das CSD. Im Jahre 1994 veranstaltete der Grampian Regional Council einen Wettbewerb für Nachwuchsschriftsteller in Scots. Damit Scots (hier „The Doric“ genannt) propagiert werden könne, sollte das Leben im Nordosten Schottlands von den Schülern mit all ihrem Hoffnungen, Ängsten und Wünschen dargestellt werden - in Scots. Doch nicht nur der Wettstreit war hier ein wichtiges Element, sondern der Grampian Regional Council wollte vor allem herausfinden, ob der momentane Zustand des Unterrichtens von Scots in der Schule ausreichend auf eigenes kreatives Schreiben in der Sprache vorbereitet. Die Lücken, die noch im Curriculum bestehen, sollten hiermit erkannt und gegebenenfalls geschlossen werden. Die Organisation Grampian Initiative stellte Preise aller Kategorien zur Verfügung, außerdem erhielt jeder Teilnehmer ein Teilnahmezertifikat. Ein Beispiel eines Mädchens, das an diesem Wettbewerb teilgenommen hat, ist das Gedicht: „The Moose“:233 I sa a sma´moose in the ha´, It wis sma´but nae ower sma´, It scampered across the fleer Tae a fu´bag o´meal. In went the moose, Oot went the meal A ower the fleer. I watched it a while langer, To see it tunnel tae the tap, It birled aboot fae left tae richt, Then richt tae left. 231 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. Nähere Ausführungen hierzu in Kapitel 7.1.2. 233 Der Verfasserin zur Verfügung gestellt vom Grampian Regional Council, Aberdeen. 232 145 The cat wis watchin´ It loupit quick The moose is deed. (Mary Shepherd, P5) Auffällig ist bei diesem Gedicht die häufige Verwendung der Apostrophe, sowie die Verwendung des schottisches tae auf der einen Seite (viermal) und des englischen to auf der anderen (einmal). Daraus kann man schließen, daß das Style Sheet oder die Recommendations im Klassenzimmer vorher nicht besprochen worden sein können. In der Presse fand die Einführung von Scots in der Schule, besonders das Projekt „The Kist“, das später noch erläutert werden wird, großes Echo. Der Daily Express weist in seinem Artikel von Januar 1996 darauf hin, daß viele noch nicht wissen, was Scots überhaupt ist: „The bafflement was echoed at the Scottish Office where one flummoxed official asked: `Scots, what´s that - do you mean Gaelic?´“ 234 Diese Frage bekommt man tatsächlich oft zu hören, wenn man nach Informationen über Scots fragt, sei es im Strathclyde Education Office, an Schulen, und zum Teil sogar an Universitäten. Laut dem Artikel des Daily Express hat Stuart McHardy (Direktor des Scots Language Resource Centre) eine Forschung betrieben, mithilfe derer er herausgefunden hat, daß 67 % der Bevölkerung Schottlands Scots als ihre erste Sprache benutzen, aber dann verlieren, sobald sie in die Schule gehen. „Most people grow up speaking Scots and never speak English until they go to school.“235 Am Ende des Artikels wird eine Übung für den Leser angeboten: Test your knowledge. Der Leser bekam die Aufgabe, sich einige schottische Wörter, die dem Collins Gem Scots Dictionary 236 entnommen waren, anzusehen und die englische Bedeutung dafür zu finden (abune, baffies, bowffin und andere). Die letzte Spalte gab dann die „richtige“ Übersetzung an (hier: above, carpet slippers, smelly). 234 Daily Express: Whisky ad cheers revival of Scots language in school. 14.01.96 235 McHARDY, S., zitiert nach EBENDA. 236 Dieses Wörterbuch ist der Verfasserin unbekannt. 146 Der Scotsman macht in seinem Artikel An Expanding Vocabulary vom 23.11.93 dem Leser deutlich, daß es hauptsächlich die Lehrer und die Ansichten der Eltern sind, die beim Unterrichten von Scots Probleme bereiten. Die Eltern, statt den Bilingualismus der Kinder zu erkennen, sehen nur die negative Seite an der Verwendung von Scots. Sie befürchten, ihre Kinder würden später keine gute Arbeitsstelle bekommen, wenn sie nicht „richtiges“ Englisch, also Standard English sprechen. Viele Schotten haben weiterhin das Problem, zwar der schottischen Aussprache ohne weiteres mächtig zu sein, aber dann davor zurückschrecken, wenn sie ein schottisches Wort in geschriebener Form sehen, von dem sie dann plötzlich nicht mehr wissen, wie sie es aussprechen sollen. Liz Niven, die im Penninghame Schoolhouse an schottischen Lehrmaterialien arbeitet, macht in demselben Artikel darauf aufmerksam, daß auch das Unterric hten von Fächern wie Mathematik in schottischer Sprache wichtig wäre, um sich nach und nach an Scots in der Schule zu gewöhnen. Sie beabsichtigt, das Material auf Cassetten aufzunehmen und unter anderem für die Schulaufgaben zu empfehlen. Das Ziel solle hierbei nicht eine Überbetonung von Scots auf Kosten von Englisch sein, sondern beide Sprachen sollen gleichberechtigt nebeneinander benutzt werden. Mehr schottisches Material solle, so der Artikel im Scotsman, vor allem in den Medien integriert werden. Nur so kann sich die schottische Bevölkerung, dies leuchtet ein, an die Verwendung ihrer eigenen Sprache auch außerhalb des familiären und umgangssprachlichen Bereiches gewöhnen. Die Scots Language Society, die unter anderem auch die Scots Tung Campaign ins Leben gerufen hat (Artikel, Briefe und sämtliche denkbare Korrespondenz soll auf Scots geschrieben werden), versichert, daß die meisten Schotten entweder schon bilingual sind oder es sehr leicht werden können. McHardy ist der Auffassung: „Aw ye need tae dae is tae keep yer lugs cockit and ye´ll hear that Scots is still aboot.“ 237 Um die Einstellung der Lehrer und Professoren zu diesem Thema zu prüfen und gegebenenfalls modifizieren zu können, wurde am 31.03.1994 vom Scots Language Resource Centre auf dem Campus der Strathclyde 237 Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 147 University in Glasgow ein Treffen einberufen, bei dem Scots als Schulmedium diskutiert wurde und auf die Notwendigkeit einer dahingehend verbesserten Lehrerausbildung hingewiesen wurde. Die Lehrer sollen nicht der Befürchtung unterliegen, daß das Lehren von StE einen geringeren Stellenwert bekäme, wenn sie Scots auch ins Klassenzimmer einführen. Die schottische Grammatik soll als Anhaltspunkt dienen, um den Schülern zu verdeutlichen, wie eine Sprache - auch eine Minoritätensprache - aufgebaut ist, wie sie funktioniert und wie reichhaltig sie sein kann. In einem Artikel des Glasgow Herald 238 , der vor einem Jahr erschienen ist, wird auf weiteres Schulmaterial aufmerksam gemacht. Die Scottish Children Press in Aberdeen publizierte vier Bücher, die - auf Scots geschrieben - speziell für Schulkinder entwickelt worden sind. Argyll Publishing in Glendaruel war zum Zeitpunkt dieses Artikels gerade dabei, eine Serie schottischer Legenden und Heldensagen zu erstellen. Als erstes Produkt dieser Serie kam eine Überarbeitung von Glen Tellers Werk Wallace - A Scots Life zeitgleich mit dem Film Braveheart heraus. Das im Titel des Artikels angesprochene Doadie´s Boadie wurde vom Recource Centre in Perth entwickelt, kostet £ 3 (inkl. Porto und Verpackungskosten) und umfaßt ein 60-seitiges Lehrbuch über die Anatomie des menschlichen Körpers. Ein anderes Paket, welches an die Lehrer von 132 Schulen in Dumfries und Galloway weitergeleitet wurde, enthält Buchlisten schottischer gegenwärtiger und älterer Literatur, vier Aufnahmen von Schotten, die in ihrem lokalen Dialekt vorlesen und sonstige Ideen für die Präsentation des Schottischem im Klassenzimmer. Ein Buch namens Solway Stills, welches eine Zusammenstellung der Literatur über die Lokalregion enthält umfaßt, ist seit Mitte letzten Jahres ebenfalls erhältlich. Der Glasgow Herald nennt auch die Merlin Press, 239 die mit dem SCCC, dem Scots Language Resource Centre, dem Scots Language Development Office (Penninghame Schoolhouse), BBC Scotland und dem Orkney Is238 Glasgow Herald: Doadie´s Boadie helps put flesh on the language. 12.09.1995 239 Gründerin: Sheila Douglas. 148 land Council zusammenarbeitet. Mit ihrem Sitz in Scone (Perthshire) hat die Merlin Press sich zum Ziel gesetzt, die neu erscheinenden schottischen Schulbücher und sonstiges Lehrmaterial zu veröffentlichen und zu propagieren. Allerdings ist sie hierbei auf Unterstützung ihrer freiwilligen Mitglieder angewiesen. Lehrer und andere, die nicht (mehr?) im Schulwesen aktiv sind, können direkt bei der Merlin Press die Lehrmaterialien anfordern. 240 Das Starter Pack for teachers, welches Listen von Wörtern und Idiomen sowie Bücherlisten (mit Liederbüchern) enthält, Erklärungen, was Scots ist, wie man die Kinder ermutigen kann, Scots zu sprechen und vor allem zu schreiben, abgibt, Unterschiede zwischen verschiedenen schottischen Dialekten aufzählt und auch die etymologische Herkunft einiger Wörter erklärt, kostet £ 14.99. Das Introductory Pack, welches als Aufmunterung und Einführung dienen soll, kostet hingegen £ 24.99. Scotsheet 1, bestehend aus 20 beidseitig beschriebenen DIN-A4 Seiten, ist ebenfalls für £ 14.99 (mit Cassette) bzw. £ 8.99 (ohne Cassette) erhältlich. Scotsheets 2, zum gleichen Preis, hat das gleiche Format wie der Vorgä nger, baut darauf auf, behandelt aber andere Themen (z.B.: The Ferm Toun, The Sea, Rhymes o the Past, An Auld Scots Toun, Fowk ....). Das neueste Lehrpaket, welches erst in der Mitgliederzeitung im März 1996 vorgestellt wurde, ist The Fower Saisons. Basierend auf den vier Jahreszeiten (in je 3 Monaten soll ein Abschnitt des Paketes unterrichtet werden, so daß ein ganzes Schuljahr ausgefüllt ist) enthält es geschichtliche Informationen über Schottland, biographische Details über berühmte Schotten, Gedichte, Geschichten und kurze Theaterstücke, die zum Nachspielen anregen sollen. Zusammen mit einer Audiocassette kostet dieses umfassende Werk, welches nunmehr seit April auf dem Markt ist, £ 29.99. Momentan entwickelt die Merlin Press weiteres Material speziell für die Grundschule. Meines Erachtens sind diese Unterrichtsvorschläge der Merlin Press ein guter Anfang, um sowohl den Lehrern als auch den Schülern Hinweise zu geben, mit der schottischen Sprache im Unterricht umzugehen. Auflockernd sind die Theaterspiele und die Lieder, lehrreich sind die Einheiten über die schottische Geschichte und die Sprachentwicklung. 240 DOUGLAS, S. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 149 In den Lehrerhandbüchern wird im Übrigen auch immer wieder betont, daß man darauf achten soll, daß die Schulkinder nicht Gebrauch von den Apostrophen machen sollen, welche anstelle der sonst üblichen englischen Buchstaben eingesetzt werden. Es wird zwar nichts darüber ausgesagt, ob das Style Sheet benutzt werden soll, aber immerhin soll den Kindern erklärt werden, daß es, obwohl man noch nicht von einer Sprache, die man Standard Scots nennen würde, sprechen kann, 241 schon gewisse Regeln gibt (oder geben sollte), wie man Scots schreibt. Hierbei leisten auch wieder die Wörterbücher eine entscheidende Hilfestellung. Robertson schätzt, daß die meisten Schulen (wenn sie überhaupt Scots unterrichten, da es ja nur Richtlinien gibt, keine bindenden Bestimmungen) wahrscheinlich nicht mehr als eine Stunde in der Woche Scots unterrichten, obwohl diese Fülle an Lehrmaterialien jetzt, im Gegensatz zu fr üher, besteht. 242 Bezieht man die Themen wie Geographie und Geschichte mit ein, wird diese Zahl zwar verdoppelt, jedoch werden diese „schottischen“ Themen ja auf StE besprochen, nicht auf Scots. Schottische Literatur oder zumindest Literatur, die von Schotten geschrieben worden ist, macht seiner Meinung nach weitere 15 Minuten pro Woche aus. Das Ideal wäre für Robertson, daß der gesamte Unterricht in der Grundschule auf Scots abgehalten werden könne. Diese Methode wird auch schon in Wales und zum Teil auch an Schulen, wo schottisches Gälisch gelehrt werden soll, angewandt. Die Fähigkeiten in StE sollen parallel dazu entwickelt werden, aber eben, wie es ja auch der Fall ist, als „Fremdsprache“, während andere Unterrichtsstunden, in denen es nicht um das Lehren von Englisch als Fremdsprache geht, in der Muttersprache, also in Scots, gegeben werden müßten. Dies hat, so Robertson, mit Gälisch ge- 241 Nach eigenen Auskünften arbeitet John Law (Scots Language Resource Centre) momentan an der Entwicklung von Standard Scots. Probleme stellen sich vor allem aber deswegen ein, weil die einzelnen Dialekte sich schon sehr unterschiedlich voneinander entwickelt haben und solche wie z.B. Orcadian und Shetlandic (das Scots der nördlichen Inselgruppen)enger mit den alten nordischen Dialekten zusammenhängen als andere und auch wegen der Lexis schlechter verständlich sind. 242 ROBERTSON, R. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 150 klappt und darum dürfe es im Grunde auch mit Scots keine Probleme geben. Auch die Lehrerausbildung (an den Universitäten, in Fortbildungsseminaren etc.) ist inzwischen so weit fortgeschritten, daß die Lehrer eher gewillt sind, Scots zu unterrichten. Sicher hat Robertson Recht, wenn er meint, die Schüler sollten nicht dafür bestraft, sondern eher ermutigt werden, Scots zu sprechen. Ob allerdings sein Plan, auch andere Unterrichtsfächer auf Scots abzuhalten, Gefallen findet, ist eine andere Frage. Schätzungsweise benutzen die Lehrer ohnehin schon einige Scottizismen, ohne sich dessen bewußt zu sein (covert scotticisms), doch auch bewußt Scots zu sprechen, dürfte für sie eine große Hemmschwelle bedeuten. Zu tief sitzt doch das Vorurteil, welches in langen Jahren und auch noch in der eigenen Erziehung der heutigen Le hrer geprägt wurde, Scots sei keine Sprache für formelle Anlässe, um jetzt innerhalb kürzester Zeit den Umbruch zu schaffen. Dies sieht man schon allein daran, daß viele Schulen zwar jetzt, seit die entsprechenden Lehrmaterialien erstellt worden sind, Scots unterrichten, aber immer noch nicht alle Schulen, und meist auch nur in dem genannten geringen Umfang. Es bedarf also mit Sicherheit noch einiger Zeit, wenn nicht gar Generationen, um die Tradition „Scots gehört nicht in die Schule“ zu durchbrechen. In Zukunft wird noch mehr Lehrmaterial erscheinen, welches dabei helfen soll, diese Tradition zu durchbrechen. Das Scottish Examination Board arbeitet zusammen mit dem SCCC an den neuen Bestimmungen für die höheren Klassen, die auf den 5-14-Vorschlägen aufbauen sollen, da sie sich an die Schüler richten, die kurz vor den Abschlußprüfungen stehen. Momentan noch inoffiziell, werden aller Wahrscheinlichkeit diese Richtlinien, die fordern, daß schottische Literatur und schottische Sprache gleichwertig in Schulen gelehrt werden, zum Schuljahr 1997/98 in Kraft treten. 243 D. Gifford, der an der Universität von Glasgow tätig ist, verfaßt zur Zeit eine große Sammlung an Lehrmaterial, welche im Jahre 1997 von der University of Edinburgh Press publiziert werden wird. Sie enthält sowohl Essays über die Geschichte, gegenwärtige Situation und Zukunft der 151 schottischen Sprache, als auch Schulmaterial für Sprache und Literatur des Schottischen. 244 6.4.1.1. The Kist Wie inzwischen offensichtlich geworden ist, wollen die Befürworter von Scots in Schulen sich nicht nur mit dem Unterrichten von der schottischen Literatur zufrieden stellen (obwohl dies sicher einfacher wäre), sondern sie wollen auch die schottische Sprache, ihre Entstehungsgeschichte, ihre grammatikalischen Besonderheiten und ihre Zukunft mit in den Lehrplan aufnehmen. Da nun schon mehrmals das Projekt „The Kist “ angesprochen wurde, und es auch dasjenige Projekt war, welches den endgültigen Durchbruch in den Köpfen der schottischen Lehrern schaffte, ist es wohl nötig, darauf im Folgenden näher einzugehen. „The Kist“245 wird vom SCCC als eine Anthologie beschrieben, die sowohl Scots als auch Gälisch, zusammen in einem Paket mit Lehrmaterialien, enthält. Die Zielgruppe sind die letzten Jahre der primary school und die frühen Jahre der secondary school, wobei die Unterrichtseinheiten in verschiedene Schwierigkeitsgrade gestuft sind. Im Anfangsteil kommen nur hin und wieder schottische Wörter vor, doch zum Ende hin, wenn die Schüler sich nach und nach daran gewöhnt haben, wird fast alles auf Scots bzw. Gälisch geschrieben sein. Die Autoren der Texte haben diese zum größten Teil extra für dieses Projekt erstellt, während der SCCC verantwortlich für die Zusammenstellung und Veröffentlichung war. Die Anthologie und das Lehrpaket erschienen offiziell am 23. Februar 1996 im New Parliament House in Edinburgh246 , und bis zum Juni 1996 wurden 243 SUTHERLAND, G.(Scottish Examination Board). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 244 GIFFORD, D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 245 SCCC/ BLACKIE, N.: The Kist / A´ Chiste Anthology. Dundee 1996. 246 An dem Tage wurde eine richtiggehende Feier veranstaltet, bei dem viele an dem Projekt Beteiligte und Unbeteiligte Reden hielten und das Paket offiziell vorgestellt und beschrieben wurde. 152 bereits 3000 an mehr als 20 % aller schottischen Schulen verkauft. 247 Die Nachfrage ist auch heute noch groß. Die Anthologie und das Paket heißen beide „The Kist / A´Chiste“ (=the box/chest). Die Namensgebung wurde so gewählt, weil dieses Wort ableitbar in viele andere Sprachen ist, z.B. auch ins Deutsche (Kiste). 248 Schottische Schulen können die Anthologie zum Vorzugspreis von £ 4.95 (statt 6.50) erwerben, das vollständige Paket für £ 55 (statt 70). Es ist möglich, beides ins Ausland zu verschicken, wobei dann zusätzlich £ 8 für Verpackung und Portokosten des Paketes berechnet werden und £ 2.80 für die Anthologie. Der gegebenenfalls erwirtschaftete Restbetrag kommt anderen Publikationen des SCCC, die für den schulischen Bereich gedacht sind und sich auf schottische Sprache und Kultur beziehen, zugute. Die Partnerschaft mit dem kommerziellen Herausgeber, Nelson Blackie, 249 sorgte für ein ausreichendes, effektives Netz an Werbung und Verteilung. Die Werbung wurde vor allem durch zahlreiche Artikel und Kritiken in Zeitungen betrieben, aber auch im Radio, im Fernsehen und durch die Kontakte des SCCC zu den Schulen. Nelson Blackie hat es auch direkt in den Schulen selbst vorgestellt. Obwohl das Scottish Language Project des SCCC die größte Entwicklung darstellt, die jemals innerhalb Schottlands Schulsystems mit dem Ziel, die Geschichte und Sprache des Landes zu lehren, unternommen worden ist, so hat es doch limitierte Ziele: n Lehrer mit Texten zu versorgen, die ihnen ermöglichen, einzig schottische linguistische und literarische Belange zu unterstützen; n Kinder mit Scots in allen Dialektformen und auch Gälisch vertraut zu machen; n das Sprechen, Lesen und Schreiben von Scots im Klassenzimmer zu verstärken; 247 Auskunft von ROBERTSON, R. (SCCC). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 248 In Nordindien heißt es Boot, was hier ebenso zweideutig gebraucht wird wie im Englischen Ark. 249 Nelson Blackie ist der Name einer Werbegesellschaft. Obwohl der Herausgeber einst schottische Vorfahren hatte, ist die Gesellschaft heute im Besitz von Kanadiern und befindet sich außerhalb von London. 153 n den Kindern ein Gefühl davon zu vermitteln, in welcher Weise sich Sprachen entwickeln und welche Aufgabe sie innerhalb der Gesellschaft erfüllen; n Kindern das Vertrauen in ihre eigene Sprache, welche sie aus dem Elternhaus mit in die Schule bringen, zurückzugeben. Die Anthologie enthält 100 Texte auf Scots und einige gälische, Comics (wie z.B. „The Broons“), Lyrik, Prosa, Drama und Lieder. Es wurde professionell entworfen als eine Mischung aus Textseiten und vollen, farbigen Bildseiten, schwarz-weiß-Fotografien, Zeichnungen und Grafiken. Alle gälischen Texte (10 % der gesamten Textanzahl) sind übersetzt. Alle schottischen sind mit einem Glossar versehen. Auch die Texte sind hinsichtlich ihrer Schwierigkeit gestuft nach der jeweiligen Altersklasse. Jeder Haupttext der Anthologie besitzt eine eigene, fotokopierbare Einheit von drei Seiten, die insgesamt in zwei über 150-Seiten starke Bücher gebunden sind. Jede dieser Einheiten enthält Arbeitsanweisungen für Kinder mit verschiedenen Fähigkeiten sowie Lehrerinformationen über den Text, den Autoren und den Kontext. Diese Lehrvorschläge wurden von Lehrern selbst entwickelt und später in einem zweitägigen Arbeitskreis von anderen Lehrergruppen geprüft, die manchmal noch Verbesserungs- oder Erweiterungsvo rschläge anbrachten. Das Paket enthält weiterhin eine zweite Kopie der Anthologie nebst Aud iocassetten, auf denen jeder Text in einem lokalen schottischen Dialekt bzw. in Gälisch vorgelesen wird. Diese Aufnahmen wurden von Scotsoun unter Mitwirkung vom SCCC und Nelson Blackie produziert. Die mitgelieferte Videocassette zeigt die unterschiedlichen Lokalitäten, in denen Dialekte von Scots und Gälisch gesprochen werden. Ein Handbuch, von der Projektgruppe verfaßt, erklärt die Benutzung der Anthologie und des Paketes sowie die Eigenschaften und die Geschichten von Scots und Gälisch. Es wird kostenlos in dem Paket mitgeliefert. Erwartet wurde eine Bestellung über 100.000 Pfund, um die Kosten der Erstellung zu decken. Purves´ Befürchtungen, das Material beziehe sich nur auf Dialektgegenden, wurden, wie sich herausstellte, nicht bewahr- 154 heitet, da das Material hauptsächlich auf literarischem Scots aufbaut, zu welchem die Kinder ihre Dialekte zuordnen können. In der Mitgliederzeitung des Scottish Language Resource Centres sowie im Magazin LALLANS wurde „The Kist“ durchweg positiv aufgeno mmen. Lobeshymnen wie diese folgende waren oft zu lesen: Weel, it seems like we´ve waukened up an no afore time […], afore the leid is lost aathegither. […] The Anthology micht be aimed at bairns but fowk a lot auder than that will find pleisure in its pages. […] Wi a puckle weel-kent names an a puckle no sae weel-kent, there´s nae dout aboot it, this anthology is aa I expeckit - a real traisur kist. […] Can we leut forrit tae Volume Twa ? 250 Um die gestellte Frage zu beantworten: Ja, es wird wahrscheinlich eine Fortsetzung geben. 251 Weitere Hefte, die speziell für den Unterricht in Grundschulen erstellt wurden, sind:252 n ANNAND, J.K.: Sing it aince for Pleisure. Macdonald Verlag. £ 1.95. Macdonald Verlag. n ANNAND, J.K.: Twice for joy. Macdonald Verlag. £ 1.95 n ANNAND, J.K.: Thrice to show Ye. Macdonald Verlag. £ 1.95 n ANNAND, J.K.: Dod and Davie. Canongate. £ 3.95 253 n PEARSON, D. (Hrsg.): Scottish Folk Songs for the Young. Macdonald. £ 3.50 n MONTGOMERIE, N.: Scottish Nursery Rhymes. Chambers. £ 3.50 n MACDONALD, A./ BRISON, I. (Hrsg.): Ram Tam Toosh. Oliver & Boyd. £ 2.50 n HENDRY, I. / STEPHEN, G. (Hrsg.): Scotscape. Oliver & Boyd. £ 2.75 n ANNAND, J.K.: A Scots Handsel. Oliver & Boyd. £ 2.50 254 n Jordanhill Scottish Literature and Language Project: Material compiled 1980-82. Erhältlich bei den Advisorate and Resource Centres. 250 Kritik von ROBB, L. In: LALLANS 46. Edinburgh 1996, S.42f. 251 Auskunft durch ROBERTSON, R. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 252 Die Erscheinungsorte und -jahre sind der Verfasserin unbekannt. 253 Übersetzung von Wilhelm Buschs Max und Moritz. 155 6.4.1.2. Umfrage zu Lehrereinstellungen M. Lorvik unternahm im Jahre 1994 eine Studie, bei der sie Fragebögen mit 16 Fragen an 100 Lehrende an secondary schools in Grampian, Lothian, Strathclyde und Tayside verteilte. Ihr Ziel war, die Haltungen der Le hrenden in bezug auf Scots in der Schule zu analysieren, bis zu welchem Grade Scots bereits benutzt wird (ob als Kommunikationsmittel oder als zu lehrendes Thema), ob sie die schottischen Themen in den Prüfungen befürworten würden oder gar als eigenständiges Lehrfach. 255 Die Fragebögen waren in zwei Hauptsektoren aufgeteilt. Im ersten Teil wurden die Lehrenden selbst hinsichtlich ihres linguistischen Hintergrundes im Elternhaus und ihrer Schulbildung (wurde Scots gelehrt?) befragt, im zweiten Teil sollten sie ihre eigene Haltung zu Scots im Klassenzimmer und zu seiner Einbettung ins Prüfungssystem darlegen. Lorvik kam nach Auswertung des ersten Teils zu dem Schluß, daß es nicht von Bedeutung war, ob die Lehrenden eine Schule in Schottland oder in einem anderen Teil Großbritanniens besucht hatten. 36 aller Befragten hatten in ihrer Kindheit vornehmlich Scottish Accented English (entspricht hier der vorliegenden Definition SSE) gesprochen. Die Sprache, die sie in ihrer Kindheit gesprochen hatten, hing jedoch eng zusammen mit der Sprache, die im Elternhaus gesprochen wurde. Auffällig war, daß sich herausstellte, daß Kinder, die in ihrer Kindheit SSE und Scots gesprochen hatten (da meist die Kombination auftrat, daß einer der Elternteile Scots und einer SSE gesprochen hatte), als Erwachsene Scots zugunsten von SSE völlig ablegten. Behielten sie Scots bei, kann dies als freie Entsche idung interpretiert werden. 256 Nach ihren Erfahrungen mit Scots während der eigenen Schulzeit befragt, gaben die Testpersonen an, daß Scots in den von ihnen besuchten Schulen weder ermutigt noch gelehrt worden war. In den Universitäten wurde zumindest schottische Literatur unterrichtet, doch ansonsten wurde kein Wert darauf gelegt, die Studenten didaktisch auf das Lehren schottischer 254 Lehrpaket mit Audiocasette. Vgl.: LORVIK, M.: The Scottis Lass Betrayed ? a.a.O., S.29-50. 255 156 Themen vorzubereiten. Der Umfrage zufolge gab es zur Studienzeit der Befragten das größte Angebot an Kursen in schottischer Literatur in Aberdeen, vielleicht abhängig von dem speziellen (positiv bewerteten) Dialekt, der dort vo rherrscht. 257 Auf die Frage, ob die Lehrenden in ihrem Unterricht heute Scots oder SSE benutzen, gaben 50 % an, daß sie es zumindest in gesprochener Form benutzen. Manche verwiesen allerdings auf den Zusatz, daß sie Scots nur in informellen Situationen verwenden würden. Dies kritisiert Lorvik, denn sie ist der Ansicht, wenn Scots einen besseren Status erlangen solle, dann müsse sich diese Einstellung noch grundlegend ändern. 258 Drei der hundert Personen gaben sogar an, sie würden nur StE im Unterricht sprechen. Sie verhielten sich disloyal gegenüber Scots, da sie meinten, es sei ihre Pflicht als Lehrperson, ein „gutes“ linguistisches Beispiel für ihre Schüler abzugeben. Was den Schriftgebrauch der schottischen Sprache angeht, so war das Für und Wider eher ausgewogen. Hier stellte sich wieder einmal das große Problem: die nicht vorhandene Standardisierung des Schottischen. Die Lehrer gaben an, sie wüßten nicht, wie man Scots richtig schreibt, oder wie man die Grammatik benutzen geschweige denn beibringen soll. Immerhin gaben 45 aller Befragten an, sie würden ihre Schüler ermutigen, Scots zu schreiben. Die Kommentare lassen ferner den Schluß zu, daß die Lehrer der festen Ansicht sind, es gäbe eine besondere Zeit und einen Anlaß, wann man Scots verwenden solle und wann nicht. Diese Ansicht, so glauben sie, müsse man auch den Kindern ve rmitteln. Bemerkenswert bleibt, daß die sieben Befragten, die als Nationalität English angaben, sehr viel positiver gegenüber Scots in der Schule eingestellt waren als die Scho tten selbst. Es waren hauptsächlich Männer damit einverstanden, den lokalen Dialekt zu erlauben. Dies ist der Grund, weshalb Lorvik annimmt, Frauen seien eher den sozialen Normen (die Sprache betreffend) unterworfen als ihre männlichen Kollegen. 259 256 257 258 259 Vgl.: Vgl.: Vgl.: Vgl.: EBENDA, EBENDA, EBENDA, EBENDA, S.36. S.39 S.40 S.42 157 Fast alle Befragten fanden, daß zumindest schottische Literatur ein fester Bestandteil des Curriculums werden müsse. Manche waren allerdings der Ansicht, es fehle an der nötigen Zeit, oder daß Schüler, die schon genug Probleme mit StE haben, dann nicht noch eine Form von Schottisch lernen könnten, die ohnehin nicht standardisiert sei. 260 Ein einziger Befragter, der übrigens zu denen gehörte, welche auch als Erwachsene bewußt weiter Scots benutzen, sprach sich für das Einführen von Scots als eigenständiges Lehrfach aus. Kam es zu der Problematik, ob die Lehrenden bereit wären, Fortbildungsseminare über Scots zu besuchen, so wurde wieder augenscheinlich, daß es Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Befragten gab. Die Lehrerinnen waren eher geneigt, derartige Seminare zu besuchen, was nach Lorvik damit zusammenhängen kann, daß sie fürchten, zu wenig über Scots zu wissen und nicht genügend Selbstvertrauen haben, die Sprache mit ihren geringen Kenntnissen zu unterrichten. 261 Bezüglich der Einbettung von Scots in die Prüfungen war kaum jemand für Scots als zwingendes Prüfungsfach, doch immerhin 86 waren dafür, die Schüler dies selbst entscheiden zu lassen. Acht der Personen meinten sogar, Scots sollte keinesfalls ein Prüfungsthema werden, weder fakultativ noch verpflichtend. Anhand eines weiteren Fragepunktes wurde dann festgestellt, daß es offensichtlich eine Korrelation zwischen dem Studium der schottischen Literatur an den Hochschulen und der Befürwortung von Scots in der Schule gibt. Diejenigen, die an der Universität mit schottischer Literatur vertraut gemacht wurden, waren eher gewillt, Scots ihren Schülern beizubringen. Als es dazu kam, die Eltern der Schulkinder einzuschätzen, meinten die meisten der Befragten, daß diese sicherlich nichts dagegen hätten, wenn ihr Kind Scots in der Schule verwendet, daß die Eltern sich aber andererseits auch nicht vehement dafür einsetzen würden. Lorvik schließt aus diesen Einschätzungen, daß die Eltern allem Anschein nach nicht das 260 261 Vgl.: EBENDA, S.43 Vgl.: EBENDA, S.44 158 größte Hindernis für Scots auf dem Wege zur Schulbank verkörpern. 262 Einer der Personen fügte hinzu, daß es eine viel größere Unterstützung in Elternreihen gäbe, wenn die Regierung ebenfalls dahinter stünde. Aus diesem Fragepunkt wurde außerdem ersichtlich, daß diejenigen Lehrer, die sich selbst für Scots im Klassenzimmer ausgesprochen hatten, auch die Haltung der Eltern als positiver ansahen als es diejenigen taten, die selbst nicht hundertprozentig sicher waren, ob Scots in die Schule eingeführt werden solle oder nicht. Im großen und ganzen schließt die Autorin, daß die Hoffnung für Scots im Curriculum und in den Prüfungen noch nicht ganz aufgegeben werden darf. Selbst wenn nicht alle Lehrenden für Scots als geschriebenes Medium plädierten, so waren doch die meisten nicht dagegen, es in der mündlichen Diskussion einzusetzen. Die Nationalität und das Alter schienen bei dieser Umfrage keine Rolle zu spielen, dahingegen aber das Geschlecht. Frauen gaben an, ihnen sei unwohl dabei, den lokalen Dialekt zu erlauben oder zu benutzen. Da ja die genannte Korrelation zwischen eigener Ausbildung (Scots an Universitäten) und späterer Befürwortung von Scots im Klassenzimmer ein entscheidender Faktor war, müßten, um Scots nicht aussterben zu lassen, mehr Lehrer eine dementsprechende „scotophile“ Ausbildung genießen. Das Hauptziel für die Schulbildung sollte sein, dem Schottischen denselben Status zu verleihgen wie dem Englischen. Den Schülern muß bewußt gemacht werden, daß sie sich ihrer schottischen Herkunft nicht schämen dürfen, daß es gar nicht notwendig ist, code-switching anzuwenden, da Scots eine ebenso natürliche und vitale Sprache sein kann wie StE. Das würde implizieren, daß ein Schotte und ein Engländer sich demnächst so unterhalten könnten, daß beide sich mit ihrer Sprache wohl fühlen, ohne daß der eine (in dem Falle der Schotte) meint, er müsse seine Sprache anglisieren. 263 Auch ein Amerikaner würde nicht versuchen, sein amerika- 262 Vgl.: EBENDA, S.48 Es sei denn, die Verständigungsprobleme durch den Gebrauch vieler Scottizismen wären zu groß. 263 159 nisches Englisch zu verleugnen und seine Sprache dem Engländer anpassen. Der Status von Scots würde in dem Moment deutlich erhöht werden, wenn es gesetzliche Richtlinien gäbe, die die schottische Sprache und Literatur in der Schule berücksichtigen. Wird dann Scots als ein normales, ernstzunehmendes Unterrichtsthema behandelt, würde sich später niemand mehr darüber wundern. Bezüglich des Prüfungssystems gibt es einmal die Möglichkeit, Scots oder Englisch fakultativ einzusetzen, so daß die Schüler die Wahl haben und selbst Schwerpunkte legen dürfen, andererseits aber, und dies wäre Lorviks Meinung nach die optimale Lösung, kann Scots auch als Pflichtthema in die Abschlußprüfungen miteinbezogen werden. Die Autorin meint, wenn die Schüler erst erkennen, daß Scots ein ernstes, wichtiges Fach ist, bei dem es auf die Note ankommt wie bei anderen Fächern auch, würden sie auch an den damit zu erzielenden Status glauben und dafür lernen. Das Problem kann man allerdings darin sehen, daß jegliche Art von Zwang den Schülern die Freude am Lernen nehmen kann. Viele Fremdsprachen sind ja deswegen so verhaßt bei den Schülern, weil sie eben gezwungen werden, diese zu lernen und darin gute Noten zu bringen. Lernen sie die Sprache jedoch freiwillig, und ist es dann zusätzlich noch ihre eigene, haben sie vielleicht Lust daran, sich ihr Prüfungsthema selbst aus dem Angebot der schottischen Themen auszuwählen und diese dann eifriger zu bearbeiten, als würden sie einem Zwang unterliegen. Robertson hat dazu die Ansicht:264 If Scots is to survive it must do so on its own merits and any element of compulsion would be counterproductive. Why should pupils be compelled to learn Scots ? Some might choose to do so and they would certainly be more attentive students if their study was voluntary. 265 Im Gegensatz zu Lorvik sieht Liz Niven (Penninghame Schoolhouse) die Zukunft von Scots in der Schule nicht so rosig: 264 ROBERTSON, R. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 160 All is not rosy and I know for sure that a) many teachers still do not tolerate or encourage spoken Scots and b) some teachers who do not accept that pupils are entitled to speak Scots are unsure about how or when. […] Of course, our SOED [= Scottish Office Education Department, d.V.] Guidelines are not compulsory so schools do not have to teach it if they don´t want. Happily, most schools have bought the materials [= The Kist, d.V.] and will incorporate them into future classes. 266 Nun bleibt für den Einzug des Schottischen in den Schulen noch einiges zu tun: Noch mehr Material als bisher schon vorhanden muß erstellt werden, differenziert nach verschiedenen Alters- und Schulstufen. Moderne und auch ältere schottische Literatur muß sorgfältig auf den Nutzen im Unterricht hin überprüft werden. Man muß sich darauf einigen, ob man eine bestimmte lokale Varietät lehrt - wobei hier auch wichtig ist, daß der Lehrer aus dem gleichen Dialektkreis kommen müßte wie die Schüler, falls er den lokalen Dialekt und seine Besonderheiten sprechen will. Man muß sich darüber im klaren sein, ob das Style Sheet oder bestimmte Wörterbücher benutzt werden sollen, um einen gewissen Standard und ein System in dem Unterricht zu bringen, da man sonst Gefahr läuft, daß verschiedene Schulen in verschiedenen Gegenden - eben durch den noch fehlenden Standard - eine vollkommen andere Art von Scots lernen (hierbei wären Materialien wie „The Kist “ sehr hilfreich, da diese sehr umfassend sind und die Lehrenden etwas haben, woran sie sich halten können). Der gelehrte Dialekt darf nicht in allzu großem Maße von dem, der im Elternhaus gesprochen wird, divergieren, und - die letzte und meines Erachtens wichtigste Voraussetzung - die Lehrenden müssen ausreichend darauf vorbereitet werden, den Schülern Scots zu lehren. Hierin dürfte auch der Knackpunkt liegen, denn erstens ist eine erweiterte Lehrerausbildung (neue Lehrstühle an Universitäten, Lehrpersonen und Räumlichkeiten für entsprechende Fortbildungsseminare...) sicherlich nicht billig, zweitens sind immer noch nicht alle Lehrer, die in Zukunft die Schüler in Scots unterrichten sollen und auch nicht alle Professoren, die an den Uni265 Hervorhebungen von ROBERTSON selbst vorgeschlagen. NIVEN, L. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 266 161 versitäten die zukünftigen Lehrer ausbilden sollen, in genügendem Maße davon überzeugt, daß Scots wirklich ins Klassenzimmer gehört. Es ist nicht nur wichtig, die Literatur zu unterrichten (dies ist ja sogar schon heute des öfteren der Fall), sondern auch die Sprache an sich, um Unterschiede zwischen den verschiedenen Dialekten und vor allem zwischen Scots und StE begreiflich zu machen. Die linguistische Unsicherheit, die man bei Kindern, die aus einem schottischsprechenden Elternhaus in eine englischsprechende Schule geschickt werden, nicht verleugnen kann, würde wahrscheinlich drastisch vermindert, sobald auch die Lehrer Scots als natürliche Unterrichtssprache ansehen. Die curriculare Entwicklung des Unterrichtens der englischen Sprache kann ohne Probleme als Vorbild für die des schottischen Unterrichts dienen, damit man die verwobenen Beziehungen zwischen diesen beiden Sprachen besser nachzuvollziehen imstande ist. Ob aber nun Scots in den Englischunterricht gehört, ein eigenes Lehrfach werden sollte, oder gar als Kommunikationsmedium in anderen Fächern wie Mathematik, Geschichte etc. eingesetzt werden sollte, bleibt dahingestellt. Immerhin muß man berücksichtigen, daß dies ohnehin ein großer Durchbruch für eine Sprache ist, die bis vor kurzen noch vor der Schultür stehen bleiben mußte. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn ihr nun nur langsam die Pforten geöffnet werden. Richtig ist jedenfalls, daß Lorvik betont, dies sei vielleicht die letzte Chance für Scots, nicht nur als wiederauflebende Sprache, sondern vor allem als eine Sprache, die um ihr Überleben kämpft. 267 Schon 1980 erkannte Low: „it aa depends on oorsels“. 268 6.4.2. Schottisch an deutschen Schulen Will man die schottische Sprache an deutschen Schulen unterrichten, so muß man selbstverständlich andere Maßstäbe setzen als an Schulen, die in Schottland selbst situiert sind. Immerhin kann man das Schottische in Deutschland nur als eine Variante neben StE, amerikanischem und iri267 Vgl.: S.57 LORVIK, M.: The Scottis Lass Betrayed ? a.a.O., 162 schem Englisch und gegebenenfalls in noch anderen englischsprechenden Gegenden besprechen und hat auch demzufolge nicht sonderlich viel Zeit dafür. Wichtig ist es meines Erachtens aber, daß überhaupt besprochen wird, daß es ein speziell schottisches Englisch gibt, denn es ist - anders als amerikanisches Englisch - an deutschen Schulen gar nicht in den Lehrplänen vorgesehen. Nicht einmal in der Oberstufe wird besprochen, was Scots ist, geschweige denn schottische Literatur gelesen. So kommt es, daß fast alle Schüler nicht wissen, daß in Schottland die Sprache, mit der sich die vorliegende Arbeit beschäftigt, gesprochen wird. Eine unheimlich große Prozentzahl aller Schüler (hier liegen keine genauen Untersuchungen vor, doch es gab wirklich keinen Schüler, der wußte, was Scots ist. Die meisten sagten so etwas wie: „Wieso ? Ist das nicht ganz normales Englisch, was die Schotten sprechen? Oder ist das irgend so´n Dialekt ?“) interessiert sich nicht dafür, weil die Lehrer das Thema nicht interessant gemacht haben, oder aber reagiert ganz ungläubig sobald man behauptet, daß sich die Sprache, die in Schottland gesprochen wird, stark von dem Englisch, was man als Deutscher in der Schule lernt, unterschiedet. Ein Schüler der 12 Klasse (Leistungskurs) erzählte ganz erstaunt während eines Praktikums, er sei in Schottland gewesen und hätte sich gewundert, was die Leute da gesprochen hätten, Englisch sei es jedenfalls nicht gewesen. Und auch ihn hätten die Schotten nicht verstanden, obwohl er lediglich in einer Kneipe ein Bier bestellen wollte. In den Lehrbüchern wird allenfalls erwähnt, aus welchen Teilen Großbritannien besteht, doch die Varietät, auf die näher eingegangen wird, ist keine Varietät Großbritanniens, sondern amerikanisches Englisch. Hier werden sprachliche Unterschiede meistens hinreichend besprochen, inklusive amerikanischer Literatur und dem amerikanischen Schulsystem. Das Lehrbuch English G 4A für die 8. Klasse an Gymnasien und Gesamtschulen widmet sogar das ganze Schuljahr dem Amerikanischen. 269 Auch Irland kommt nicht allzu häufig vor, dafür gibt es aber zahlreiche Heftchen mit irischen Short Stories, die auch bei Lehrern sehr beliebt sind. 268 LOW, J.T.: The Scots Language - Planning for modern Usage. Edinburgh 1980. Zitiert nach: EBENDA, S.59 163 Selbst wenn man gründlich forscht, in Schulbüchern herrscht Ebbe, sobald man etwas Schottisches sucht. Lediglich in English G der 7. Klasse 270 wird auf einer DIN-A 5 Seite unter der Überschrift These people all come from Glasgow gesagt, daß das Schottische doch etwas vom Englischen abweicht. Dort sind drei Bilder abgebildet, die in einem sehr kurzen Text beschrieben werden. Das erste der Bilder beschreibt Hamish, der an den Glasgow docks arbeitet und in einem Wohnviertel wohnt, in denen oft Bandenkämpfe ausgetragen werden. Dieser soll offensichtlich der Arbeiterklasse angehören. Das zweite stellt einen Schotten namens Jock im Schottenrock dar, von dem gesagt wird, er trage den Kilt, weil er sehr nationalbewußt sei und weil er ihn bei seinem Beruf, Whisky zu prüfen, bevor er in Flaschen abgefüllt wird, benötige. Über deren Aussprache wird kein Wort verloren. Eine Frau namens Sally, die in einer Marmeladenfabrik arbeite und Fan der Glasgow Rangers sei, spricht Scots (der Begriff wird allerdings hier nicht verwendet, sondern es wird nur gesagt, sie spräche Glasgow dialect - was ja wohl vermutlich die anderen beiden Herren auch tun), und es wird gesagt, sie würde oft absichtlich schottische Wörter verwenden, um andere Leute, die sie dann nicht verstehen, zu ärgern. Am Schluß dieser Seite soll keinerlei Diskussion über die einzelnen Varianten geführt werden, es geht dann auch gleich mit einem völlig anderen Thema weiter. Im Lehrerhandbuch heißt es, diese Passage diene dazu, Relativsätze mit who und that zu üben. Als Übungsvorschlag im Lehrerhandbuch (S. 25a) wird angeregt, die Frage zu stellen „What´s the city with the worst reputation in West Germany“ ? Die Schüler lernen somit, Glasgow sei die Stadt Schottlands mit dem schlechtesten Ruf und sollen nun eine Analogie zu Deutschland erstellen. Man sieht also überdeutlich, daß hier die Stereotypen auch in den Unterricht miteingebracht werden. Die Schotten in den Großstädten mit dem schlechten Ruf gehören fast alle der Arbeiterklasse an und sprechen eine vulgäre Sprache. Dies tun sie unter anderem auch, um andere Leute zu ärgern. Die Beamten sprechen vielleicht „korrektes“ Englisch - was kein 269 English G 4A, 8. Klasse für Gymnasien und Gesamtschulen. Cornelsen Verlag. Berlin 1976 164 Wunder ist, denn sie sind ja gebildet. Der nationalbewußte Schotte, der Dudelsack spielt und Schottenrock trägt, kann wahrscheinlich beides sprechen, spricht aber meist Englisch mit schottischem Akzent. In Anbetracht dessen, daß dieses Buch schon relativ alt ist, kann man sagen, auch die Stereotypen herrschten wohl zur Zeit, in der es geschrieben wurde, noch stärker vor; auch der Ruf Glasgows hat sich ja vor allem in den letzten 20 Jahren erstaunlich zum positiven verändert. Trotzdem bekommen die Schüler, die diese (ohnehin viel zu kurze) Passage lesen, einen verfälschten Eindruck von der schottischen Sprache. Das einzige Lehrbuch, was meines Wissens nach in Deutschland erhältlich ist und schottische Themen behandelt, ist das DIN-A 5 Heft Scottish Short Stories.271 In diesem Buch sind erst alle Geschichten, die zwischen 2 und 20 Seiten umfassen, in Originalfassung abgedruckt. Danach folgt ein Anhang „Activities“. Zu jeder Geschichte gibt es erst Hintergrundinformationen (Geburtsdaten des Autors, evtl. Hinweise auf andere bekannte Geschichten und Gedichte von diesem Autor), dann werden Arbeitsvorschläge formuliert: Zweierarbeit, Gruppenarbeit, schriftliche Aufgaben, Diskussionsanstöße, Verständnis- und Analysefragen, kreatives Schreiben, Fragen über den Gebrauch von Scots (z.B. zu der Kurzgeschichte Kreativ Riting, die auf Scots verfaßt ist), Vergleiche mit anderen, hier behandelten Kurzgeschichten, Meinungsbildung, Inszenierung von Rollenspielen, Verfassen eines Zeitungsartikels etc. Am Schluß werden sogenannte „Extended Activities“ vorgeschlagen. Denkanstöße im weiterführenden Kontext werden gegeben. Es wird beispielsweise gefragt, warum die Geschichte gerade in Schottland spielt (liegt hier eine besondere Situation oder spezifische kulturelle Umstände vor?) oder ob die schottische Sprache wichtig oder sogar nötig ist, um diese Situation klarzumachen. Kommentare und Meinungen sollen provoziert werden, manchmal werden auch zwei verschiedene Dialekte von unterschiedlich geschriebenen Geschichten in Kontrast gesetzt, Anregungen gemacht, eine bestimmte Geschichte bildnerisch zu illustrieren oder es soll 270 English G 3A, 7. Klasse für Gymnasien und Gesamtschulen. Cornelsen Verlag. Berlin 1975. S.25 165 gar ein Filmprojekt zu einer Geschichte geplant werden. Letzteres könnte man vielleicht sogar (in einer Projektwoche oder als größere Hausaufgabe) die Schüler selbst durchführen lassen. Die Vorteile von Kurzgeschichten sind, daß sie in der Schule oder auch als Hausaufgabe aufgrund ihres geringen Umfanges problemlos gelesen werden können und auch zum Teil in jeweils einer Unterrichtsstunde besprochen werden können. Es wird den Schülern, anders als es eventuell bei einem vollständigen Roman der Fall ist, nicht langweilig werden, sondern der Unterricht wird abwechslungsreich gestaltet, weil für jeden etwas dabei ist. Diese Kurzgeschichtensammlung erlaubt durch die Vielzahl an unterschiedlichen Autoren und Schreibweisen Einblicke in verschiedene Möglichkeiten, Stile und auch Dialekte. So bekommen die Lernenden einen großen Überblick über die verschiedensten Varietäten. Da die älteste dieser Kurzgeschichten sich aus dem Jahre 1936 datiert, könnte man diese Textsammlung als moderne Literatur bezeichnen. Somit gewinnen die Schüler einen interessanten Einblick in das heutige Leben und die Kultur Schottlands. In den Geschichten wird sowohl der lokale Dialekt als auch StE nahegebracht, und auch bezüglich der Themen gibt es eine große Auswahl: das Übernatürliche (G.M. Brown), der Stadt/Land-Kontrast, Monologe (stream of consciousness- technique in Old Wives Tales), Humor (z.B. in Allergy und Kreativ Riting) und auch feministische Literatur durch die vier Geschichten, die von Frauen geschrieben sind und auch den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft behandeln. Das Buch ist gedacht für englischsprechende Schüler (wobei offengela ssen wird, ob es hauptsächlich für schottische Schüler gedacht ist, oder für englische, die die schottische Kultur und Sprache besser kennenlernen sollen), die in ihr Examen schottische Literatur mit aufnehmen wollen und ca. 16 Jahre alt sind. Meines Erachtens ist dieses Buch nicht nur für englische bzw. schottische Schüler sehr gut geeignet, sondern auch für deutsche, die z.B. die Oberstufe besuchen (denn in der Mittelstufe werden Kurzgeschichten ja bereits 271 JARVIE, G.: Scottish Short Stories. Oxford University 166 eingeführt und besprochen, so daß man sich in der Oberstufe auf speziell diese schottischen Kurzgeschichten konzentrieren könnte). Auch die Arbeitsvorschläge sind äußerst hilfreich, verleiten die Schüler zum Mitdenken und dazu, selbst aktiv zu werden. Daher kann man sich die Unterrichtsgestaltung recht abwechslungsreich vorstellen. Der Aufbau des Buches ist gut strukturiert, da man das Gefühl hat, es handele sich zunächst um ein „normales“ Buch, das man übrigens auch gut „freiwillig“ in der Freizeit lesen kann, da die Arbeitsvorschläge hinten als Anhang angefügt sind, so daß es nicht gleich wie ein Lehrbuch wirkt. Es gibt zwar keine Anmerkungen oder ein Glossar zur Erklärung der schottischen Ausdrücke, doch ist dies auch nicht nötig, da die schottischen Dialoge aus dem Kontext verstehbar sind und auch keine „echten“ Scottizismen (die man nicht aus dem Kontext verstehen könnte, weil man dazu ein breiteres Wissen benötigte) verwendet werden. Die meisten Geschichten sind ohnehin auf Standard English geschrieben, nur in Dialogen kommt schottische Umgangssprache vor. Man benötigt daher auch als deutscher Schüler kein schottisches Wörterbuch, obwohl das CSD als Ergänzung hilfreich sein könnte, wenn man beabsichtigt, die etymologische Herkunft der Wörter ausfindig zu machen. Hierbei könnte man auch einen sprachgeschichtlichen Unterrichtsteil einfügen, in dem erklärt wird, wie die schottische Sprache entstanden ist, und welche Sprachen heute in Schottland gesprochen werden. Ebenso interessant ist The Oxford Book of Scottish Short Stories, herausgegeben von Douglas Dunn. 272 Diese Kurzgeschichtensammlung ist zwar nicht direkt als Lehrbuch gedacht und enthält folglich auch keine Arbeit svorschläge, doch durch die Fülle an Geschichten, die chronologisch geordnet mit traditional stories aus dem Jahre 1770 beginnen und mit modernsten Veröffentlichen aus den 1990er Jahren aufhören, wobei bekannte und auch unbekanntere Autoren vorgestellt werden, hat der Lehrer eine wirklich gute Auswahl an Geschichten, die man beispielsweise in einem Leistungskurs besprechen könnte. Um die Entwicklung der schottischen Press 1992. 153 Seiten, 23,50 DM. 272 DUNN, D.: The Oxford Book of Scottish Short Stories. Oxford 1996. DIN-A 5, 477 Seiten mit Glossar. £ 7.99. 167 Kurzgeschichten aufzuzeigen, könnte man spezielle Geschichten aus früherer Zeit mit den heutigen vergleichen, auch was die Verwendung der Sprache angeht. Es wäre vielleicht ebenso interessant für die Schüler, eine vollkommen auf Scots geschriebene Geschichte einmal zu lesen. Zum Verständnis hilft das Glossar oder vom Lehrer bereitgestellte Informationen, wie auch ein Wörterbuch. R. McLellans Geschichte The Donegals 273 böte sich hier an: sie ist nicht allzu lang und doch interessant geschrieben. In den meisten anderen Geschichten wird Scots auf die Dialoge beschränkt, in manchen ist Scots kaum anzutreffen, aber doch wird der typ ische Lebensstil Schottlands gut wiedergegeben. Die 20-seitige Einleitung ist ebenfalls lesenswert, da sie einen guten Überblick über die Geschichte der schottischen Literatur gibt. Der Preis von ca. 20 DM ist wirklich angemessen; falls nur einige Geschichten gelesen werden sollen, kann der Lehrer diese auch kopieren. Was nötig ist, ist lediglich der Mut des Le hrenden, sich auf eine solche Situation einzulassen, da eben ein Lehrerhandbuch und jedwede Arbeitsanleitung zur Benutzung im Unterricht fehlen. Weitere Kurzgeschichtensammlungen, die man im Unterricht gut verwenden könnte, sind:274 n HENDRY, J.F.(Hrsg.): The Penguin Book of Scottish Short Stories. Penguin 1970 n MacDOUGALL, C. (Hrsg.): The Devil and the Giro: Two Centuries of Scottish Stories. Canongate 1989 n MURRAY, I. (Hrsg.): The New Penguin Book of Scottish Short Stories. Penguin 1983 n DUNN, D.: Secret Villages. Short Stories. Faber 1985 n GRAY, A.: Unlikely Stories. Canongate 1982. Penguin 1984 n GRAY / KELMAN / OWENS: Lean Tales. Jonathan Cape 1985 Wenn es nicht immer Kurzgeschichten sein sollen, so gibt es auch andere Bücher, die mit schottischer Sprache oder Kultur zu tun haben und sich gleichfalls für den Gebrauch im Unterricht anbieten. Neben dem bereits 273 EBENDA, S.214-220 Die Sammlungen sind nach subjektiven Einschätzungen auf ihre Verwendung im Unterricht hin geordnet. Sie sind alle als Taschenbuchausgaben erhältlich und kosten zwischen ca. 15 und 25 DM. 274 168 beschriebenen Comicheft The Broons gibt es weitere Taschenbücher, die sowohl den Unterricht auflockern als auch etwas über schottische Sprache vermitteln. Das Taschenbuch Tell it to a Glaswegian275 enthält 18 kurze, humorvolle Geschichten über die Einwohner Glasgows, ihre Eigenheiten, ihren Humor und - vor allem - ihre Sprache. Alltägliche, lustige Gegebenheiten und Wortspiele werden berichtet und erläutert. Der Unterschied zwischen Glescaranto, wie es hier genannt ist (andere Sprachwissenschaftler nennen den Dialekt Glasgows meist Glaswegian) und anderen schottischen Dialekten wird deutlich gemacht, wobei auch die Ursprünge von Sprichwörtern und Redewendungen erklärt werden. Angereichert werden die Anekdoten mit vielen schwarz-weiß Zeichnungen (ähnlich wie Comics) und Dialogen. Hinten wird die Aussprache des Glaswegian Dialekts, in einer Schreibweise, wie sie auch von S. Mulrine und T. Leonard benutzt wird, in einem 9-seitigen Glossar zusammengefaßt. Hinsichtlich des Schulgebrauchs ist dieses Buch sicherlich interessant für den landeskundlichen Unterricht. Da es aber sehr vertiefend und speziell auf den Dialekt von Glasgow bezogen ist, wäre es vor allem für einen Leistungskurs geeignet, da in einem solchen meist mehr Interesse, Zeit und auch Wissen vorhanden ist. Besonders bietet sich dieses Buch als Vor- oder Nachbereitung einer Kursfahrt nach Glasgow an, da auch viele Orte und Ähnliches genannt werden und die Schüler diese Beschreibungen mit eigenen Erfahrungen vergleichen können. Vom Lang Syne Verlag aus Glasgow erschienen noch mehr Taschenb ücher, die den Englischunterricht in der Schule anreichern könnten: n Nessie. My own story - by the Loch Ness Monster. Neuauflage von 1994. Hier erzählt Nessie ihre eigene Geschichte (als Sprecherin in der ersten Person Singular), wobei Geschichte und Tradition Schottlands mit einfließen. n Funny you should say that. 1987, neu aufgelegt 1994. 275 Lang Syne Publishers Ltd.: Tell it to a Glaswegian. Glasgow 1989. Format (etwas größer als)DIN-A 5, 96 Seiten mit Glossar. £ 5.95. 169 Witze, Wortspiele Anekdoten. Gibt die schottischen Dialekte wieder. Enthält auch Zeichnungen. n Best of Barclay. 1996. Kurzgeschichten und Witze. n Scotland and the Scots. 1986 und 1994. Lieder, Gedichte, Geschichten, Fotos. Sehr interessant für den landeskundlichen Unterricht, auch schon in der Mittelstufe. Im Jahre 1985 erschien ferner das Buch Yacky dar moy bewty,276 welches die verschiedenen Dialektregionen Großbritanniens beschreibt. Nicht nur Irisch, Walisisch und Schottisch sind darin enthalten, sondern auch der Südwesten, der Süden, der Osten, Südosten, Mittelengland und der Norden Englands. Nach einer kurzen Einleitung und Hinweisen zur Aussprache des Schottischen, folgen im schottischen Teil (S. 91-103) dann unter Themenbereichen wie Travel, Pub, Eating and Sleeping, The Countryside Taboos, The Destillery Visit und anderen zahlreiche Redewendungen, die auf Englisch übersetzt werden und meist humoristischen Charakters sind. Die Spalten sind wie ein Vokabelheft aufgebaut und lassen stark an Re isewörterbücher erinnern. Auch ein Blick in dieses Buch kann eine Unterrichtsstunde auflockern und spielerisch an die schottische Sprache heranführen. Hat man die Zeit, eine ganze Lektüre zu lesen, so gibt es zahlreiche moderne schottische Autoren, 277 die sich anbieten, da sie sowohl die schottische Sprache benutzen als auch etwas über den schottischen Lebensstil aussagen. Als ausgewählte Beispiele wären hier vor allem zu ne nnen: n McILVANNEY, W.: Walking Wounded. Kent, London 1989. 175 Seiten. £ 5.99. Dieses Buch erzählt verschiedene Geschichten, die alle miteinander in Bezug stehen. Der Ort der Handlung ist Graithnock. Hauptsächlich auf StE geschrieben vermittelt es aber dennoch einen guten Einblick in schottische Kultur. n WEIR, M.: Trilogy of a Scottish Childhood. London 1970, 1972, 1973. 276 LLWELLYN, S.: Yacky dar moy bewty: a phrasebook for the regions of Britain (with Irish supplement). London 1985. 130 Seiten. 277 Vgl. auch Kapitel 7.1.2. 170 Neuauflage: Edinburgh 1995. 591 Seiten. £ 5.95. Die in Glasgow aufgewachsene Autorin erzählt in drei autobiographischen Geschichten (Shoes were for Sunday, Best Foot Forward, A Toe in the Ladder) Erlebnisse aus ihrer Kindheit, wobei die Klassengesellschaft und die Umstände, wie sie zu der Zeit, in der das Buch geschrieben wurde, in Schottland herrschten, eine große Rolle spielen. Auch dieses Buch ist hauptsächlich auf StE geschrieben und verwendet Scots nur in den Dialogen, was es auch für Schüler leicht zu lesen macht. Da es ein extrem umfangreiches Buch ist, wird es sich als schwierig herausstellen, es komplett im Unterricht zu lesen. Man könnte aber eine der Geschichten herausnehmen und an ihr exemplarisch die Lebensumstände in Glasgow und die dortige Sprache herausarbeiten. n GRAY, A.: Lanark. A Life in 4 Books. London 1981. Neue und veränderte Auflage 1985. 560 Seiten. £ 8.99 (Taschenbuchausgabe). Dieses Buch ist, wie der Titel schon sagt, in vier Abschnitte aufgeteilt. Es spielt in den Städten Glasgow und Unthank, eine fiktive Stadt, die die Zukunftsvision von Glasgow darstellt. Das Schottische wird haup tsächlich in Dialogen benutzt, doch spezielle Ausdrücke und Umstände deuten darauf hin, daß diese Geschichte nur in Schottland spielen kann, da auch die Vergangenheit und Zukunft Glasgows eine wesentliche Rolle spielen. Die Kapitel 6 und 7 erschienen bereits 1969 in der Scottish International Review, Kapitel 12 gewann bereits 1958 in der Observer Short Story Competition, wobei Gray das Pseudonym Robert Walker benutzte. Der Prolog wurde 1974 im Glasgow University Magazine abgedruckt und die Kapitel 35 und 41 im Magazin Words (1979 und 1978). Da auch dieses Buch sehr lang ist, wird man es wohl nicht vollständig im Unterricht durchnehmen können. Doch gerade dieses Werk ist von der Handlung und Sprache her so interessant, daß es sicher der ein oder andere Schüler selbst zu Hause weiterlesen würde. Bezieht man sich auf den Unterricht in Deutschland, in dem Schottisch gelehrt werden soll, so muß man wohl annehmen, daß es im Rahmen des 171 Englischunterrichts als eine Varietät des Englischen angesehen werden muß und nicht als eigenständiges Fach gelehrt werden kann. Dazu fehlen einfach sowohl die zeitlichen Voraussetzungen als auch die fachlichen. Doch es wäre schon viel erreicht, wenn moderne Lehrende überhaupt das Wagnis eingingen, schottische Sprache und Literatur mit in den Lehrplan aufzunehmen. 6.5. Schottisch an Universitäten 6.5.1. Bestehende Vorlesungen an Universitäten Um die Präsenz des Schottischen (im Vergleich mit der Präsenz anderer lokaler Varietäten wie dem Irischen und dem Walisischen) an Universitäten innerhalb Großbritanniens nachzuvollziehen, wurden insgesamt 94 Vorlesungsverzeichnisse verschiedener Hochschulen des Jahres 1996/97 untersucht, davon 76 aus England, 7 aus Wales, 278 10 aus Schottland und eines aus Nordirland. Das Ergebnis dieser Untersuchung war jedoch mehr als enttäuschend. Keine einzige englische Hochschule bietet einen Kurs in schottischer Sprache, Literatur oder Geschichte an. Die University of Luton führt einen Kurs mit dem Titel Irish Studies, in dem die Literatur, Kultur und Geschichte des Irischen vermittelt werden sollen. Die University of York nennt ihren Kurs, in dem unter vielem anderem auch moderne irische Lyrik vorkommen soll, English and related literature. Die nordirische University of Ulster bietet ebenfalls einen Honors Course in Irish Studies an. Die Universitäten in Wales haben, was ihre eigene Sprache und Kultur betrifft, zumeist ein größeres Angebot. Das Trinity College und die University of Wales, Swansea schickten sogar neben einem auf Englisch ge278 Unter den Vorlesungsverzeichnissen aus Wales befanden sich zwei vollkommen identische, die sich nur hinsichtlich der äußeren Aufmachung unterschieden und der Verfasserin auch von zwei verschiedenen Personen zugesandt wurden, sich 172 schriebenen Vorlesungsverzeichnis, eines, welches komplett auf Walisisch geschrieben war. An beiden Hochschulen wird ein Kurs in Welsh Studies angeboten, ebenso wie auch an der University of Glanmorgan (Welsh Studies und Welsh Language) und an der University of Wales, Aberystwyth (Welsh und Celtic Studies sowie ein Honours Course in Irish). An der University of Wales Institute, Cardiff, an der Cardiff University of Wales und der University of Wales College, Newport gibt es überhaupt keinen Kurs in Walisisch. In Schottland bestehen zwar inzwischen einige Vorlesungen über schottische Geschichte, Sprache und Literatur, doch auch nicht an allen Hochschulen. Die Heriot Watt University im Westen Edinburghs, die University of Dundee, die University of Paisley279 und die Napier University of Edinburgh280 führen keinerlei Kurse, die sich auf schottische Themen beziehen. Die University of Strathclyde in Glasgow hat schon seit mehreren Jahren den Kurs Scottish Literary Tradition, der 2 Vorlesungen und 1 Tutorium à eine Stunde pro Woche umfaßt. In jedem Semester müssen 2 Essays geschrieben und (in den Tutorien) 2 Referate gehalten werden. Hier lernt man die Anfänge der schottischen Literatur, von den Makkars über die schottische Renaissance des 20. Jahrhunderts bis hin zur modernen scho ttischen Literatur - wenn am Ende des Jahres noch Zeit ist. An diesem Kurs sind 4 Lektoren beteiligt, die über ihre Spezialgebiete referieren und auch Medien (Cassettenaufnahmen von Balladen, Filme, Aufnahmen von Interviews etc.) benutzen. Die University of Glasgow bietet mehrere Kurse an, die sich in irgendeiner Weise auf Schottland beziehen: den Kurs Celtic (zwei aufeinander aufbauende Kurse), Gaelic (nur ein kurzer Aufbaukurs zur Einleitung; wird zu Semesterbeginn abgehalten), Scottish History und Scottish Liteaber auf dieselbe Hochschule bezogen und die gleichen Kurse beinhalteten. 279 Diese Universität bietet generell keine Sprach- und Literaturkurse an. 173 rature. Zu dem letztgenannten Kurs ist als Anmerkung hinzugefügt, 281 daß dies angeblich der einzige Kurs der Art in ganz Schottland sei, und daß diese Universität als einzige ein separates Department of Scottish Literature besäße, welches sich ausschließlich mit schottischer Literatur befasse und alle Themenbereiche besser abdecke als es in den Departments of English an anderen Universitäten der Fall sei. Der soziale und der historische Kontext werde hier miteinbezogen. Auch für Studenten der Medienwissenschaften und des Journalismus sei dieser Kurs gut geeignet. Diese Universität bietet den Kurs Scottish Literature Ordinary dreimal wöchentlich zuzüglich einem wöchentlichen Seminar an, desweiteren Scottish Literature Higher Ordinary (3 Mal wöchentlich plus 2 Seminare, davon eines in Literatur und ein sprachwissenschaftliches), und zwei verschiedene Gruppen A und B für Scottish Literature Advanced (Honors Class), wobei man aus 10 verschiedenen Kursen, in denen eine bestimmte Epoche eingehend besprochen wird, wählen kann. Die University of Aberdeen bietet Gaelic in zwei Schwierigkeitsstufen an sowie Scottish Studies (Honors degree). Es heißt, ein Kurs in schottischer Geschichte werde nicht extra angeboten, da diese in dem gängigen Kurs History schon integriert sei. Diese Universität ist die einzige, in der es eine Gesellschaft für die schottische Sprache gibt: Aiberdeen Univairsitie Scots Leid Quorum (AUSLQ). Diese Verbindung hat zum Ziel, Scots zu propagieren, damit es als offizielle Sprache anerkannt wird. Man trifft sich einmal in der Woche, und manchmal werden auch Sonderveranstaltungen abgehalten, z.B. eine Bustour für neue Studenten, Vorführungen schottischer Filme, eine Helloween Party, ein Kurs für die „Nicht-Schotten“, in dem Schottisch lesen und schreiben gelehrt wird, ein Doric Festival, Diskussionen über „schottische“ Probleme - und zwar alles ausschließlich auf Schottisch. 282 Diese Verbindung verteilt regelmäßig Fragebögen, um die bisherige Wissenslücke über die Anzahl der heutigen schottischspreche n280 Diese Universität bietet generell keine Sprach- und Literaturkurse an. 281 Vorlesungsverzeichnis der University of Glasgow 1996/97, S.124 282 Entnommen aus HAIVERS, The wittins fae A.U. Scots Leid Quorum. Hairst 1996 (Flugblatt für Mitglieder der Verbindung), Wintersemester 1996/97. 174 den Einwohner Schottlands zu schließen. Sie möchte feststellen, ob es momentan wirklich ein Wiederaufleben des Schottischen gibt und wie sich dies konstatiert. Da es bisher keine verläßlichen Daten über die Personen gibt, die Scots lesen und schreiben können, wollen sie mithilfe der Fragebögen auch diese Daten ermitteln, wobei von Wichtigkeit ist, ob dies im Elternhaus gelernt wurde oder etwa in der Schule. Die University of St. Andrews teilt ihren Kurs Scottish History in zwei Schwierigkeitsgrade auf und bietet sogar drei Kurse in Scottish Studies an. Hier sollen die Studenten etwas über Geschichte, Kultur und Literatur lernen. Die Studenten an der University of Edinburgh kommen auch nicht zu kurz: Hier werden sowohl 4 Kurse in schottischer Literatur, 4 in schottischer Geschichte und 5 in Celtic geführt. Außerdem gibt es einen Kurs namens Scotland: Religion, Politics and Society zwei Scottish Ethnology und sogar Aerchaelogy of Scotland. Die Kurse dauern jeweils 3 Trimester und beinhalten 10-12 Wochenstunden. Wie man sieht, ist auch das Angebot an schottischen Universitäten, obwohl schon stark erweitert, nicht überwältigend groß. Dazu kommt, daß man die Kurse nicht unbedingt besuchen muß, sondern sie meist eine Alternative zu anderen Kursen, die das Department of English an der jeweiligen Universität anbietet, darstellen. So gibt es sicherlich schottische Le hrer, die in der Schule Projekte wie „The Kist“ durchführen sollen, die aber in ihrem Studium nie selbst etwas über schottische Sprache und Literatur gelernt haben. An den Universitäten, an denen die Kurse des Schottischen von den Departments of English durchgeführt werden, wird Scots - so kann man folgern - als eine Variante von „non-standard English“ 283 angesehen. Am auffälligsten ist jedoch, daß es an keiner einzigen Universität von England Kurse über schottische Themen gibt. Hier ist das Irische wieder 175 einmal besser vertreten. Vielleicht kommen die Befürworter des Schottischen an Schulen und Hochschulen ja bald auch auf die Idee, „Schottland“ als Thematik im englischen Bildungswesen einführen zu wollen, damit die gängigen Vorurteile auch im Süden der Insel endlich behoben werden können. Betrachtet man das Vorkommen des Schottischen im ausländischen Bildungswesen, so muß man erstaunt feststellen, daß hier tatsächlich mehr Wert auf das Schottische gelegt wird als in England. Außer dem bereits erwähnten Scottish Studies Centre in Germersheim gibt es auch einen Scots literature Kurs an der Prager Universität, Scots literature and language in Sevilla und Scots poetry in Lampertsding (Luxe mburg). 284 Auch in Madrid wird derzeitig an einem schottischen Thema als Dissertatio nsthema gearbeitet. 285 An den meisten deutschen Universitäten kommt es sicherlich darauf an, inwiefern es „scotophile“ Dozenten gibt, die gerne schottische Themen behandeln würden. So kann es vorkommen, daß Lehramtsstudenten, die das Staatsexamen ablegen, während ihres Universitätsstudiums keine einzige Veranstaltung über schottische Themen besucht haben, weil sie oft nicht einmal die Chance dazu bekommen haben, da das Angebot fehlte. Trifft dies zu, ist es nicht mehr erstaunlich, daß die Lehrer, die in den Lehrbüchern kein schottisches Thema vorgeschrieben bekommen, gar nicht auf die Idee kommen, Unterrichtseinheiten über Schottland (wie etwa die in den vorhergehenden Kapiteln genannten Vorschläge) zu realisieren. 6.5.2. Unterrichtsvorschläge für schottische (Schüler und) Studenten Das folgende Kapitel soll als Anregung dienen, welche Themen meines Erachtens im schottischen Bildungswesen behandelt werden sollten. Zie lgruppe sind hier die älteren Schüler, die schon Kenntnisse über die scho t283 PURVES, D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 284 Auskunft von McHARDY, S.(Scots Language Resource Centre). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 176 tische Linguistik besitzen, sowie eventuell auch Studenten an den Hochschulen. 1.) Der Lehrende an schottischen Schulen sollte unbedingt auf das codeswitching aufmerksam machen, da dies ja oft unbewußt abläuft. Hier könnte man Fragen stellen wie: Do you accept some words as Scots and reject others as slang ? Do you have a chronological cut-off point after which slang words become acceptable ? What about, for instance, fantoosh, joukeriepawkerie, (fire) butts, bauchle, jawbox, whigmaleeries, hochmagandy, tapsalteerie, bonny, gully, glaikit ? Consult the CSD for meanings and dates. 2.) Bezogen auf die schottische Grammatik gibt es, wie in Kapitel 3. und 5.1. beschrieben, Besonderheiten, die als gute schottische Grammatik einerseits und slang oder schlechtes Englisch andererseits gelten. Hier sollten die Lernenden auch auf ihr Sprachbewußtsein aufmerksam gemacht werden und selbst herausfinden, welche Grammatik sie benutzen (würden) und warum. Grammar exercise : Do you separate what you hear into two categories: Scots words and bad grammar ? Do you accept some nonstandard grammatical forms as Scots but not others ? What about the following list, for example ? Read it through then do the exercise at the end. 1. I bocht a new alternator for tae replace the auld ane. 2. I near laucht oot lood. 3. Scots wha hae wi Wallace bled... 4. Ye wad/ been better daein it yersel. 5. There/naebody there noo. 6. I haena seen it as it as cheap nae place else neither. 7. I ´ll can get it for ye by the morra. 8. There´s paprika intill´t. 9. If he´d a kent, he´d a killt ye. 10. I´ll went wi ye. 11. a wheen/ feathers 12. That needs fixed. 13. Oh, he´s fell doon. 285 Auskunft von NIVEN, L. (Penninghame Schoolhouse). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 177 14. I seen your Mary. 15. When, the day ? 16. I wad say the wee lad sings better a) nor b) as his brither. 17. Gie us ower my coat, hen. 18. a)thae b) them c) that ... neeps is frostit. d) thir e) this 19. He´s away tae his bed. 20. I murnae interestit. 21. Ye´re a big saftie, so ye are. 22. Aye, the boxes a) what b) whilk c) at ...has been timt is ower there. 23. A soutar a) at b) wham c) who ... I met aince. Put a tick at each item that you find acceptable as Scots. You can tick more than one where alternatives are given. Once you have done this use the list below to find the letter that corresponds to each number you have ticked. In the columns write your total of how many of each type of example, as indicated by the letters, you´ve chosen. 1A, 2A, 3C, 4E, 5E, 6A, 7E, 8D, 9B, 10 D, 11A, 12E, 13B, 14B, 15E, 16aA, 16bA, 17B, 18aA, 18bB, 18cD, 18dA, 18eD, 19A, 20D, 21 D, 22aB, 22bC, 22cA, 23aA, 23bC, 23cB. A= Older Scots onwards B= 19th /20th importation C= obsolete in speech or always literary D= regional within Scots E= modern Scots development 286 Compare your figures with the correct classification given. This should show whether or not you have an image of a correct grammar for Scots and what kind of material it includes and excludes. 3.) Textanalyse. Als Modell zur Textanalyse wird McClures Schema angewendet. 287 Erklärung: 286 Richtigkeit dieser Übung und ihrer Auflösung überprüft von CARRURTHERS, G.(University of Glasgow). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 287 Vgl.: McCLURE, J.D.: Scots: its range of uses. In: AITKEN, A.J. /McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.29 178 In fact, it simply does not suffice to say that a particular piece of speech or writing is „in Scots“: the term would be too ill-defined. The diagram below may assist in clarifying the issue. thin ⇑ dense literary- ⇒colloquial On the horizontal axis of the chart, a piece of writing would be placed near the colloquial end if it approximated closely to actual speech: if it contained only such words and idioms as some people do in fact use in conversation, or if it employed an orthography that suggested a definite and readily identifiable mode of pronunciation. Literary Scots, by contrast, is by definition remote from actual speech. The vertical axis is labelled one end thin and at the other end dense. Thin and dense Scots are defined by their degree of differentiation from StE. This is a complex picture of choice and variation at different linguistic levels. You can judge for yourself whether you find it helpful to summarize this as a single literary-colloquial dimension. You should be aware that there is a large area of overlap (the common core) that could equally be called Scots or StE. Analysetexte: 1.) Sydney Goodsir Smith: King and Queen o the fower airts. 2.) William Soutar: The auld man o´Muckhard. 288 3.) Robert McLellan: Jamie the Saxt, Act I from the entrance of the Queen and Lennox (with Atholl) to their exits. 289 Fragestellungen: 1. How thin or dense is the Scots ? Is this constant throughout, or does it vary ? If it varies, how does this divide up the text ? 2. What use is made of Scots vocabulary ? How thin or dense is the Scots vocabulary in particular ? Where does it lie on the literalcolloquial dimension ? Is slang used ? Are local dialect words used, 288 1) und 2) in: KING, C./SMITH, I.C. (Hrsg.): Twelve Modern Scottish Poets. Erscheinungsort und - datum sind d.V. unbekannt. 289 McLELLAN, R.: Jamie the Saxt. A Historical Comedy. Hrsg.: CAMBELL, I./JACK, R. London 1970 (Uraufgeführt 1937). 179 and if so, from one dialect or eclectically ? How does the vocabulary relate to the subject ma tter ? 3. What use is made of Scots grammar ? How thin/dense, how literary/colloquial is it ? If local dialect forms are used, where from ? 4. What use is made of Scots word-forms ? Word form is a convenient way of referring to pairs like hame in Scots, home in StE, which share a common Old English ancestor (ham in this case), and therefore differ only in pronunciation, rather than being distinct items vocabulary. Are there sound patterns (rhyme, alliteration, assonance) that particularly depend on Scots or local dialect forms? How do the choices made at this level match the choices in vocabulary and grammar ? 5. How are Scots words and word forms represented in writing ? Is the spelling system designed to minimise or maximise the difference between Scots and StE ? Is the writer following the codified Style Sheet to any extent ? Arbeitsanweisungen zu Text 1.): 1. Take each verse in turn and count the number of words in the verse, and the number of these that are Scots rather than StE, finally expressing Scots as a proportion of the total for each verse and for the whole poem. 2. Look up each item of Scots vocabulary in the CSD. Remember that the dictionary is not just to tell you the meanings of words, but also information on etymology, regional distribution and usage. 3. List the occurrences of Scots grammar in the poem. 4. Differences of word form do sometimes affect individual words. You may already have looked some of them up. If not, look up sanct, schir, dwaum and sclimm. 5. How does word-form compare with vocabulary and grammar ? 6. Compare Smith´s spelling with the Style Sheet. Die beiden nächsten Analysen können nach dem gleichen Schema vollzogen werden. Sie können zusammen die Basis für Vergleiche und Schlußfolgerungen dienen. Arbeitsanweisungen zu Text 2.): Re-read the poem. Measure the density of the Scots. Comment on the vocabulary and word-form, using the CSD. Comment on the grammar. Comment on the spelling, making comparisons with the Style Sheet. Arbeitsanweisungen zu Text 3.): 180 Re-read the speeches. Measure the density of the Scots. Comment on vocabulary and word-form. Use the CSD. Comment on the grammar. Comment on the spelling, making comparisons with the Style Sheet. Nach genauer Analyse können die Schüler versuchen, die drei Texte - in Relation zueinander - in McClures Diagramm einzutragen. Da keine Maßeinheit auf den Achsen angegeben ist, kann man nur ungefähr die Position einschätzen. 4.) Wenn man moderne schottische Literatur im Unterricht lesen will, bietet sich außer den bereits in Kapitel 6.4. genannten Lektürevorschlägen auch William McIlvanneys Docherty290 an. In Glasgow dialect (=Glaswegian) geschrieben, drückt dieses Werk gut die Situation der sozialen Stigmatisierung der Sprache aus. Das Buch ist aus der Sicht eines Jungen geschrieben, der in der Entwicklungsphase ist, in der sein Klassenbewußtsein geweckt wird und er sich von der Schule entfremdet fühlt. Sein Lehrer, Mr. Pirrie, nimmt eine extreme Position ein, was die Vorurteile gegenüber Broad Scots angeht. Die Form von Scots, die in Graithnock 291 gesprochen wird, ist noch „breiter“ als die von Glasgow, und die Gegend wird als von Armut gekennzeichnet beschrieben. Hier könnte man die Schüler zumindest ein Kapitel des Buches, welches dieses Phänomen der sozialen Stigmatisierung besonders gut zeigt, lesen lassen und folgende Arbeitsvorschläge und Diskussionsanregungen machen: Read chapter 15 of the book. It is quite self-contained, so it does not matter if you have not read the whole novel. What values does the boy attach to his native dialect ? What values does Mr. Pirrie attach to it ? Explore the ironies around the term mother-tongue, and the roles played in the scene by males and fe males. If Miss Carmichael represents a more normal state of classroom relations, what is her approach to the dialect likely to be ? 290 McILVANNEY, W.: Docherty. London 1975,&(Mainstream Publishing) Edinburgh 1983 291 Hier spielt die Handlung. 181 What do you make of the boy´s written English as represented to us ? If you were Miss Carmichael, what would your approach be ? Think for a moment of your own participation in dialect levelling. When and to whom do you speak your native dialect (or accent, or perhaps even language)? What proportion of your friends, colleagues and even your family in the widest sense are able to speak their local dialect to you ? 5.) Um das Sprachbewußtsein bei den Schülern noch mehr zu stärken, könnte man auch Gedichte, die in lokalen schottischen Dialekten geschrieben sind, laut vorlesen lassen. Besonders interessant ist diese Aufgabe, wenn es sich bei dem vorzulesenden Dialekt nicht um den eigenen Dialekt handelt. Arbeitsvorschläge, um den Unterschied einzelner Dialekte bewußt zu machen, könnten sein: Read a poem/text aloud in your best attempt at a Glasgow accent. You could try taping your voice on cassette. Try reading it in other accents, e.g. Belfast, Cockney, New York. Rewrite the poem, with punctuation, in StE. Rewrite it in traditional Scots spelling, or in the Style Sheet or Recommendations model. Without the radical spellings, how dense would the Scots be ? How dense is it as it stands ? 6.) Um Vorurteile abzubauen, oder einfach um zu sehen, wie tief diese Vorurteile schon bei Schülern anerzogen sind, könnte man diese Thesen in dem (Klassen-) Raum stellen und somit zur Diskussion anregen: Would you agree with the following generalisations? Take some time to consider any qualifications or improvements you could make: a) most Lowlanders are anglicised to the same extent that they are educated b) most middle-class families in the Lowlands are strongly anglicised c) most middle-class families in the Lowlands have been strongly anglicised for centuries d) most working-class families are strongly Scots e) most Lowlanders remain broad-spoken to the extent that they evade or fail at formal education. Think at this point about your own speech habits. Do you change the way you speak according to your hearers ? Do you have another language, e.g. Gaelic or French ? If so, do you speak pure Gaelic or French when conversing with bilinguals, or do you mix them with 182 English (or even Scottish) ? Do you have a „telephone voice“? Do you use old Scots words to adults but not to children ? Do you use „bad grammar“ in your spare time? Do you pronounce your /r/´s when you are in Scotland in order to be understood by Scottish people or drop them when you leave Scotland in order to be understood by non-Scots ? How do you speak when you are relaxed? What makes you self-conscious? How do you expect other people - for instance, your own or other people´s children, strangers, friends, subordinates, to speak to you ? Consider your own range of styles as mapped onto a continuum between broad Scots and StE: how much on the continuum that exists in your community do you personally make use of ? Does your speech extend all the way to StE, or all the way to Scots ? Has this changed in the course of your life ? Selbstverständlich sind dies nur sehr begrenzte Vorschläge, die nicht alle dem Lehrer offenen Möglichkeiten, mit der Sprache umzugehen, ausschöpfen können. Dennoch sollten meines Erachtens gerade die hier erwähnten Punkte im Unterricht besprochen werden, da sie zum Sprachbewußtsein überhaupt und zur Meinungsbildung beitragen können und ferner auf die soziale Problematik hinweisen, die mit Scots so eng verbunden ist. 6.5.3. Einstellungen der Studenten gegenüber dem Schottischen in Großstädten Die Bedingungen für die schottische Sprache in den Großstädten liegen nicht nur in der bloßen Existenz dieser Städte, sondern auch in der Existenz der dort lebenden Arbeiterklasse, die sich meist durch Scots-Sprecher rekrutiert, welche seit zwei oder mehr Generationen nicht mehr auf dem Land wohnen. Ihr Arbeitsleben und ihr täglicher Umgang sind sehr ve rschieden von dem Leben auf dem Lande, so daß die damaligen Werte und Lebensbedingungen sich geändert haben - und damit auch die Sprache. Der größte Teil der schottischen Bevölkerung lebt nun in Städten. Schon allein Glasgow zählt über 750.000 Einwohner. Glasgow ist Schottlands größte Stadt und lebt zum größten Teil von der Industrie. Der Glasgow dialect (=Glaswegian, Glescaranto) ist eine voll entwickelte Form, die anzeigt, inwiefern ein solcher sich von einem ländlichen Dialekt unterscheidet. Wie schon beschrieben gibt es gerade zu diesem Dialekt extrem negative Auffassungen (Vorurteile?), die es schwer machen, ihn objektiv zu betrachten. 183 Ein Fragebogen, der insgesamt 18 Fragen umfaßt, wurde an 300 Studierende des Departments of English in Glasgow (University of Glasgow, University of Strathclyde) verteilt, davon 150 an die neu immatrikulierten, 80 an die im zweiten Studienjahr und 70 an die Studierenden, die sich im dritten Studienjahr befanden. Ziel des Fragebogens war es, anhand von zitierten Aussagen, die über den Glasgow dialect gemacht worden sind, 292 ganz spontan die Haltungen zu dem Glasgow dialect zu überprüfen, die in den Köpfen der Studenten vorherrschten, wobei es besonders interessant war, hier gerade Studierende zu befragen, die in derselben Stadt leben, dessen Dialekt so stark stigmatisiert wird. Nicht alle StudentInnen kamen aus Schottland. Von den befragten 300 kamen 53 aus England, 161 aus Glasgow und Umgebung, die restlichen 86 aus anderen Teilen Schottlands. Die aus England kommenden Studierenden wurden in der Auswertung separat bedacht, um herauszufinden, inwiefern es Unterschiede zwischen den Einstellungen der Schotten zu einem ihrer Dialekte und denen der Engländer gibt. Hierbei ist allerdings zu bedenken, daß die Engländer, die in Glasgow studieren, größtenteils sicher recht positiv auch der dortigen Sprachvarietät gegenüberstehen und wahrscheinlich nicht die allgemeine Auffassung der Engländer gegenüber diesem Dialekt verkörpern. Um ein repräsentativeres Ergebnis zu erzielen, wurden die Studierenden, die von außerhalb Großbritanniens kamen, nicht in die Untersuchung miteinbezogen. 293 Die Aufgabe lautete wie folgt: Use the questionnaire below to assess any preconceived feelings of your own about Glasgow dialect. A wide variety of viewpoints are represented below. Take time to think about each statement, and try 292 Die Aussagen entstammen verschiedenen Quellen, u.a. Glaswegians, die von MACAULAY und MACAFEE befragt worden sind, sowie Zeitungsartikeln. Vgl.: MACAULAY, R.K.S.: Language, social class and education. A Glasgow study. Edinburgh University Press 1977 und MACAFEE, C.: Glasgow. In: Varieties of English around the world, Text Series 3. Amsterdam. (John Benjamins) 1983. Ferner MACAFEE, C.: Language and modern life. Notes from Glasgow. In: MACAFEE, C: und MACLEOD, I.(Hrsg.): The Nuttis Schell. Aberdeen 1987. S.182-194. 293 Fragebogen erstellt und verteilt unter Mithilfe von CARRUTHERS, G. (University of Glasgow). 184 to see what it implies from the viewpoint of the source. Decide whether you agree or disagree. Do not simply agree in the sense of ″Yes, I agree that this is how a working-class woman, or a Unive rsity lecturer might think“, but try to meet each statement on its own terms. After each statement, place a mark on the line to show whether you agree or disagree, and how strongly, e.g.: Strongly agree / Agree / Ambivalent / Disagree / Strongly disagree ---------------------------------------Χ------------------------------------------ Die Fragen werden nun einzeln vorgestellt und die Antworten gleich nacheinander ausgewertet: 1. Glaswegians, in their native habitat, have succeeded in debasing both the English language and the guid Scots tongue. What is left is city slang and its worst, without an ounce of linguistic beauty to glean amongst the dross of Scottish-English-Irish-American verbiage. (a reviewer in CHAPMAN, 1983, p.60) → Ambivalent: 3 (davon 2 englische Studierende)294 , Disagree 269 (49), Strongly disagree: 28 (2) 2. Glasgow dialect is ″hopelessly corrupt“ because of ″the influx of Irish and foreign immigrants“. (Introduction to vol. I of the SCOTTISH NATIONAL DICTIONARY) → Agree: 12 (8), Ambivalent: 31 (14), Disagree: 189 (31), Strongly disagree: 69 3. The accent one can encounter, but that is partly because it is associated with the unwashed and the violent. (University lecturer, quoted by Macaulay 1977, p.94) → Agree: 27 (13), Ambivalent: 50 (38), Disagree: 202 (2) Strongly disagree: 21 4. This gutter patois which had been cast by a mode of life devoid of all hope tenderness. This self-protective fobbing off language which was not made to range, or explore, or express; a language cast for sneers and abuse and aggression; a language cast out for the absence of possibility; a language cast out of a certain set of 294 Im folgenden stellt die in Klammern gesetzte Ziffer den Anteil der englischen Studierenden dar, die die jeweilige Antwort gegeben haben. Beispiel aus Frage 1: Disagree 269 (49) = Die Antwort Disagree haben insgesamt 269 der Befragten angekreuzt, davon 49 englische Studierende und 220 schottische. 185 feelings - from poverties, dust, drunkenness, tenements, endurance, hard physical labour; a reductive, cowardly, timid, snive lling language cast out of jeers and violence and diffidence; a language of vulgar keelie scepticism. (HIND, A.: The Dear Green Place. 1966, p.226). → Ambivalent: 192 (41), Disagree: 94 (11), Strongly Disagree: 14 (1) 5. If you know what you´re talking about you should be able to talk the way you like, I don ´t mean ignorantly, but as long as you know what you ´re talking about. (Dustbin-man quoted by Macaulay, 1977, p.91) →Strongly agree: 3 (1), Agree: 58 (6), Ambivalent: 178 (41), Disagree: 61 (5). 6. Oh, it´s the slovenly speech in the industrial areas I don´t care for. (Teacher, quoted by Macaulay 1977, p. 90) → Agree: 5 (1), Ambivalent: 101 (42), Disagree: 193 (10), Strongly disagree: 1 7. I wouldn´t like to have an English accent. I think it´s a very daft one. They pronounce words correctly but they don´t sound very nice. In your own environment you´d feel out of place. If you live in Glasgow you must talk like a Glaswegian, but not to the extent of broad Glasgow. (Son of a civil servant, quoted by Macaulay 1977, p.89) → Strongly agree: 4, Agree: 76, Ambivalent: 172 (14), Disagree: 36 (30), Strongly disagree: 12 (9). 295 8. There are some places that they really don´t know what ye´re talking aboot if you spoke plain Glasgow, ye know. (Grandmother, recorded 1984). 296 →Strongly agree: 15 (3), Agree: 52 (15), Ambivalent: 222 (35). Disagree: 11 9. Aw, ye can cut it [the Glasgow dialect] wi a knife ! (Older working class man, recorded 1984, see above). → Agree: 2 (1), Ambivalent: 31 (28), Disagree: 192 (24), Strongly disagree: 75 295 Bei dieser Frage wurde zweimal von den Befragten die Anmerkung gemacht, sie würden dem ersten Teil (bezüglich des englischen Akzentes) zustimmen, jedoch dem zweiten Teil (bezüglich des Glaswegian) nur teilweise. Daher haben diese Befragten die Kategorie Ambivalent angekreuzt. 296 Aufgenommen von MACAFEE, C.(1984). Bisher unveröffentlichte Studie. 186 10. Even Ah found it a struggle when Ah ... joint the local Labour party. Most i the kind i people there are proper speakers. Well, for me tae speak, Ah would be afraid that Ah might´ve used the wrong grammar and sayed the wrong words, so this kept me quiet for a wee bit, ye know ? ... But then Ah´ve discovered that that´s not important; that it´s not important to speak proper and nice, and even if Ah do not sound slang, Ah felt that this was not important. (Middle-aged man, quoted by Macafee 1983, p.23) → Strongly agree: 5 (1), Agree: 58 (12), Ambivalent: 161 (36) Disagree: 74 (3), Strongly disagree: 2 (1) 11. Whenever you are out with your friends and you accidently say something politely then they laugh at you and say you are a snob. (Girl, quoted by Macafee 1983, p.26) → Strongly agree: 6 (4), Agree: 49 (22), Ambivalent: 183 (25) Disagree: 62 (2) 12. In the past, what teachers have taught in Glasgow schools has often been an implied criticism of the way of life of a considerable proportion of parents; this is true of speech, manners and general outlook on the way live is lived. (CHECKLAND, S.G.: The Upas Tree: Glasgow 1875-1975. Glasgow 1977, p.86) → Strongly agree: 32 (5), Agree: 116 (21), Ambivalent: 139 (25), Disagree: 13 (2) 13. That´s the only wey Ah can describe it, ye know, that we werenae brought up tae be proper speakers, as ye obviously gather by the voice now, but we were broat [sic] up tae have a goot thought for other people´s refinements, if ye waant, ye know, ye didnae offend no matter what ye did, ye didnae offend either by word or action... we hadnae tae offend anybody´s sensibilities. (Middle-aged man, recorded 1984 see above). → Strongly agree: 1, Agree: 18, Ambivalent: 167 (3), Disagree: 110 (49), Strongly disagree: 4 (1) 14. The wean´ll go tae school an tell the teacher it´s a knock. An she´ll think ye cannae talk right. (Young mother rebuking young father, recorded 1984, see above) →Strongly agree: 31 (19), Agree: 159 (12), Ambivalent: 104 (20), Disagree: 6 (2). 15. ″Emancipated“ middle-class people probably swear less in total than Cockneys - the fact that they do not, on the whole, do hard 187 physical work is one reason - but they eff and blind more indoors and between the sexes. (For Cockneys, read Glaswegians) (BARLTROP, R. / WOLVERIDGE, J.: The Muvver Tongue. London 1980, p.44) → Agree: 27 (13), Ambivalent: 151 (21), Disagree: 121 (19), Strongly disagree: 1 16. When you hear it on that television, that´s what´s the cause of it. ...Don´t you think that´s influencin the kids tae think, ″Well, if they can say it, Ah can.“ We didn´t have that, We´d just our own parent´s example. If our parents didn´t swear, we didn´t. But now they´re hearin it on the air and they´re comin away wi it. Cos they think, ″Oh, great actress, a famous actress came away wi this word.“ An as Ah say, even the royalty are comin away wi it. (Grandmother, recorded 1984, see above) → Agree: 15 (8), Ambivalent: 226 (41), Disagree: 59 (4) 17. An the more ye ´re educated the more the right words instilled into yer mind an ye just use the right word. (Grandmother, recorded 1984, see above). → Strongly agree: 50 (18), Agree: 79 (20), Ambivalent: 168 (14), Disagree: 3 (1) 18. Bridgeton [in the East end of Glasgow] ´s poor, but they´re - they´re hamely. That´s what ye waant tae feel, divn´t ye ? Ye don´t waant tae be a snob or that. (Elderly lady, recorded 1984, see above) → Strongly agree: 2 (1), Agree: 18(3), Ambivalent: 211 (47), Disagree: 68 (2). Am Ende wurden die Studierenden aufgefordert, noch einmal ihre Sicht bezüglich des Glasgow dialects zusammenzufassen: Look back over your responses and summarize your view of Glasgow dialect, and your response to the quotations above, particularly those you strongly agree or disagree with. Is there a single viewpoint with which you strongly identify, and if so, is it a viewpoint within or outside of the working class ? (The individuals quoted are working-class unless otherwise stated). Hier gaben 281 aller Befragten an, sie stünden dem Glasgow dialect positiv gegenüber, auch wenn 34 die Bemerkung machten, „solange es sich nicht um vulgäre Sprache oder Schimpfwörter handelt“. Die anderen 19 188 Befragten machten entweder hierzu gar keine Aussage oder aber schrieben, sie hätten sich noch keine Gedanken über den Dialekt gemacht und wären sich nicht im klaren darüber, warum er besser oder schlechter sein solle als andere Dialekte. Die meisten Studierenden konnten oder wollten sich mit keinem der Ansichten identifizieren, lediglich 2 der Befragten identifizierten sich mit Aussage Nr. 8, drei der Befragten mit Aussage Nr. 11 und sechs der Befragten mit Aussage Nr. 12, wobei zwei der Befragten Nr. 11 und 12 gleichzeitig angaben. Insgesamt fiel auf, daß sehr selten extreme Meinungen vertreten wurden: die Antwortmöglichkeiten Strongly agree oder Strongly disagree wurden nicht oft angekreuzt, manchmal fielen diese Spalten sogar gänzlich weg. Daraus könnte man schließen, daß die Studierenden vielleicht noch nicht genügend über die Stigmatisierung des Dialektes nachgedacht haben, um ihre eigene Meinung in starker Form vertreten zu wollen. Ansonsten haben die Befragten, die ja zum größten Teil angaben, dem Dialekt positiv gegenüber zu stehen, logischerweise auch den negativen Aussagen über den Dialekt widersprochen. Die Antworten der englischen Studierenden unterschied sich nicht wesentlich von denen der schottischen. Auch sie kreuzten überwiegend Ambivalent an. Auffällig war jedoch, daß sie bei Aussage 9 kein einziges Mal Strongly disagree angekreuzt hatten, während dies bei 75 Fragebögen der schottischen Studenten der Fall war. Dies ist wohl dadurch zu erklären, daß die Schotten hier ihre Sprache stärker verteidigen mußten, und daher in höherem Maße emotional reagierten. Desweiteren kann man in Fragepunkt 11 vermerken, daß vier der englischen Studierenden sich als Snob fühlen, sobald sie etwas Höfliches zu ihren Freunden sagen und ausgelacht werden, während dies nur bei 2 der schottischen Befragten zutraf. In Fragepunkt 13 gab es keinmal (Strongly) agree bei den EngländerInnen, während es insgesamt 19mal von den Schotten angekreuzt wurde. Hier haben wohl die schottischen Befragten andere Erfahrungen in ihrer Kindheit gemacht, oder ihnen kam die Aussage von Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern bekannt vor. Fragepunkt 7 läßt ein noch divergierenderes Ergebnis erkennen. (80:0). Hier läßt sich der krasse Unterschied dadurch erklären, daß ja nicht nur eine Aussage 189 über den Glasgow dialect, sondern auch über den englischen Akzent gemacht worden ist, der hier eine negative Konnotation bekommt. Dies wird auch der Grund dafür sein, daß die englischen Befragten dem Zitat nicht zustimmen konnten. Daß die Antworten der englischen Befragten bei den sonstigen Fragepunkten denen der schottischen so glichen, läßt sich aus dem oben genannten Einwand ableiten. Sie studieren - meist aus freien Stücken - in Glasgow, leben vielleicht schon länger dort und haben sich an den dortigen Dialekt gewöhnt. Natürlich kann diese Umfrage nicht repräsentativ sein, da nur eine geringe Studentenzahl befragt worden ist. Weiterhin ist zu beachten, daß diese Umfrage lediglich die Meinung der Studenten widerspiegelt, (vielleicht) nicht die des „einfachen“ Volkes. Doch immerhin kann man aus den vielen Antworten im mittleren Einschätzungsbereich ableiten, daß das Sprachbewußtsein sowie die Meinungsbildung bei den Studierenden erst noch geweckt werden muß. Dies müßte spätestens jetzt - im Studium, welches ja die wahrscheinlich letzte Ausbildungsphase darstellt - noch nachgeholt werden. Daher erscheint es um so wichtiger, die schottische Geschichte, Sprache, Literatur und Kultur in den Unterricht an Schulen und Hochschulen mit einzubeziehen. 7. Moderne schottische Literatur 7.1. Prosa 7.1.1. Die Entwicklung des schottischen Romans Was die Literatur betrifft, so kann man behaupten, daß gerade in der he utigen Zeit auch auf literarischem Sektor viele nennenswerte Bestrebungen zu verzeichnen sind. Blickt man auf die Vergangenheit zurück, so fällt auf, daß es keine scho ttische Prosa vor etwa 1500 gegeben hat. Das sogenannte „Golden Age of 190 Scottish literature“ (bezogen auf die Balladen der Makkars) datiert Price auf die Zeitspanne des 15. bis zum frühen 16. Jahrhundert. 297 Dies war die Zeit Robert Henrysons, William Dunbars, Gavin Douglas` und Sir David Lindsay of the Mounts. Diese Periode der Balladen wurde gefolgt von den Hauptfiguren des 18. Jahrhunderts, z.B. Allan Ramsay (1685-1758), welcher schon in Broad Scots geschrieben hat, sowie Robert Fergusson (1750-1774) und natürlich Robert Burns (1759-96). Die Autoren des 18. Jahrhunderts benutzten entweder reines Scots oder reines Südenglisch, oder auch eine Mischung aus den beiden Varianten. Geschriebenes Scots wurde zu der Zeit vornehmlich mit häuslichen und pastoralen Erzählungen und für Lieder akzeptiert, doch im 19. Jahrhundert wurde es zu einer niedrigeren Sprache degradiert, so daß nur die Charaktere, die der Unterschicht entstammen sollten, Scots sprachen. Sir Walter Scott (1771-1832) schrieb seine Waverly novels 298 in einem Englisch, welches unterbrochen wurde von einigen Scottizismen und Dialogen in Broad Scots. Die Autoren der SR, die ja in Kapitel 4.2. ausführlicher dargestellt wurden, entwickelten mit Hilfe von Hugh McDiarmid (1892-1978) das sogenannte Synthetic Scots, um sich von der fortschreitenden Anglisierung zu distanzieren. Bleibt nun die Frage: Welche Rolle nahm Scots im späten 18. und im frühen 19. Jahrhundert ein - in der Zeit, bevor die Versuche, eine schottische Erzählstimme zu entwickeln, gestartet worden waren ? Gegen Ende des 18. Jahrhunderts war Englisch die Schriftsprache, während Scots für gewöhnlich nicht in der Prosa benutzt wurde. Die Anzahl der schottischen Dialoge in Romanen war äußerst gering. Nur in der Lyrik gewann Scots seinen Platz in gewisser Hinsicht zurück. Da Scots im 19. Jahrhundert als Sprache der Arbeiterklasse angesehen wurde, wurde es entweder in informellen Situationen oder nur in Verbindung mit einem Sprecher der älteren Generation angewendet. 299 Ein anderes Problem, dem die Schriftsteller entgegensahen, war das der Verständlichkeit. Sie wollten sich einen englischen Leserkreis verschaffen, indem sie die Texte auf Englisch schrieben oder stark anglisierte Formen des Schottischen be297 Vgl.: PRICE, G.: The languages of Britain. a.a.O., S.189ff. 298 SCOTT, SIR W.: Waverley Novels. o.O. 1814. 299 Vgl.: TULLOCH, G.: The search for a Scots narrative voice. In: GÖRLACH, M.: Focus on Scotland. a.a.O., S.159-178 191 nutzten. In schottischen Dialogen, die in den Erzählungen des 19. Jahrhunderts vorkamen, mußten einige schottische Ausdrücke und spezifische Zusammenhänge wie etwa die Kirche oder das Rechtssystem erklärt werden. Die Erzählung blieb StE, während der Autor lediglich seine Kommentare bezüglich des Schottischen aus der Rolle eines Außenseiters anbrachte. Sir Walter Scott wird hier von Tulloch als typisches Beispiel dieser Art von minimal Scots angeführt. 300 Nach dieser Periode schrieben die Literaten zwar die Erzählung noch immer auf Englisch, doch es wurden mehr schottische Wörter eingeführt als vorher. Zu dieser Zeit identifizierten sich auch einige Autoren, wie etwa David Balfour (pseud.: Robert Louis Stevenson) in Kidnapped (1886) mit schottischen Sprechern, indem sie das Personalpronomen we benutzten. Trotzdem wurde, außer einigen wenigen Idiomen, wenig an schottischer Grammatik angewendet, und es erschienen auch keine schottischen Schreibweisen derjenigen Wörter, die gleichfalls im englischen Wortschatz vorkamen. Aus einer späteren Zeit kann man Beispiele von Erzä hlungen nennen, die in Scots geschrieben wurden, jedoch die englische Rechtschreibweise mit zusätzlichen schottischen Idiomen benutzten, welche von begrenztem schottischen Vokabular begleitet wurden. Die Präsenz der schottischen Schreibweise in Wörtern, welche das Schottische mit dem Englischen teilt, kann (noch heute) als ein Kennzeichen von Erzählungen und vor allem Dialogen, die in Broad Scots gehalten sind, gelten. „The element of purely Scots vocabulary can be thin or dense here just as in those novels where Scots is spelt as English“. 301 Diese letzte Stufe, in der auch die schottische Rechtschreibweise benutzt wird, kann somit als „real Scots narrative“ bezeichnet werden. 302 Die Autoren hatten lange Zeit die Befürchtung, als nicht gebildet genug (und, damit verbunden, als aus der Arbeiterschicht kommend) angesehen zu werden. Dies war der Grund, weshalb sie es vermieden, die Erzählungen in ihrer Erzählperspektive vollständig auf Scots zu schreiben. Sie ließen, um ihre Autorität als gebildete Person nicht zu untergraben, die Handlung von einem anderen Erzähler oder Schreiber (von Briefen), der 300 301 302 Vgl.: EBENDA, S.161 EBENDA, S.165 Vgl.: EBENDA, S.165 192 ungehemmt das Schottische benutzen durfte, berichten. Manche Autoren machten Gebrauch von Anführungszeichen, sobald sie Scottizismen einführten, doch war dies eine sehr verwirrende Methode und führte lediglich dazu, die schon bestehende Barriere zwischen Scots und Englisch noch überzubetonen. Galt benutzte die englische Rechtschreibweise, wenn er auf Scots schrieb, andere wählten eine ältere (dann allerdings gebildete) Person als Erzähler. Ein weiteres Mittel war die Vorstellung eines IchErzählers in historischen Romanen. Da einige Leute der Auffassung waren, Frauen benutzten eher den lokalen Dialekt als StE (obwohl Soziolinguisten des 20. Jahrhunderts eher vom Gegenteil überzeugt sind), 303 wurden auch Frauen, vor allem die der älteren Generation, als Erzählerinnen herangezogen, die Scots benutzten. Die Tatsache, daß sowohl Frauen als auch das Heim mit Scots in Verbindung gebracht wurden, verstärkte noch diese Wahlmöglichkeit. Andere Schriftsteller, welche die Begrenzungen hinsichtlich des Gebrauchs des Schottischen umgehen wollten, versuchten den Grad der Formalität in ihren Werken zu verringern, damit sie ohne Bedenken Scots, welches ja - nach der gängigen Einstellung - in informellen Situationen Vorrang hatte, anzuwenden. Die Präsenz des Schottischen in Dialogen dauerte auch im 20. Jahrhundert noch an, doch der Blickpunkt änderte sich. Nun wurden die Romane eher aus der Sicht der schottischen Charaktere geschrieben, wobei natürlich auch die Sprache Scots sein durfte - oder sogar mußte. Der Unterschied zwischen den Dialogen und der Erzählung wurde hierdurch in gleichem Maße geringer. Viele Romane Naomi Mitchinsons (z.B. The Bull Caves, 1947) spielen sich auch in der Gedankenwelt der Charaktere ab. 7.1.2. Neue literarische Bestrebungen Es ist bemerkenswert, daß alle Autoren den geringen Status der schottischen Sprache ohne weiteres akzeptiert haben und sich sogar Möglichkeiten gesucht haben, nicht selbst mit dieser Sprache, die ja eine gewisse niedrige Bildung implizieren würde, in Verbindung gebracht zu werden. Schottische Schriftsteller in früheren Zeiten sind meist auf das Englische 303 Vgl.: Kapitel 6.4.1.2. 193 ausgewichen, da sie damit ein breiteres Publikum ansprechen konnten und demnach auch erfolgreicher werden konnten. Englisch konnte leichter übersetzt werden als Scots und es war einfacher, diese Werke in Großbritannien wie auch in den USA und anderen Ländern zu veröffentlichen. Heute versuchen viele Autoren, diese Konvention zu durchbrechen - endlich. Niven geht, wie die Verfasserin, davon aus, daß „we are probably going through another kind of Renaissance just now.“304 Derselben Meinung ist McClure: In the political sphere, the Scots language has recently achieved the accolade of official recognition by the European Bureau for LesserUsed Languages; and an active campaign is in being to have a question on Scots included in the next UK census. […] MacDiarmid was, of course, a single-minded Scottish Nationalist; so have been most of his successors. […] If MacDiarmid hoped that a revival of Scotland as a cultural entity, marked by a renaissance of internationallyrespected poetry in Scots, would cause or be inseparably linked to the recovery of Scottish political independence, he has been proved wrong: the one has incontrovertibly come, but not the other. […] A poet who writes in Scots is certainly ipso facto proclaiming his Scottish nationality and distinct Scottish identity. […] Many writers are committedly nationalist and socialist, but it is now clear that the association of this with a Scots voice is contingent rather than inhe rent. 305 McClure macht somit die unterschiedliche Zielsetzung der Autoren der SR einerseits und den modernen schottischen Autoren andererseits deutlich. Diese neue, mutigere Verwendung von Scots erscheint nicht nur regelmäßig in dem Magazin LALLANS, sondern auch in den Werken einiger anderer Autoren, vor allem in denen der Glasgow writers. Diese Autoren verwenden in Fiktion und in anderen Prosawerken Scots als erzählende Sprache: im Vokabular, Grammatik und - am wichtigsten - auch in der Rechtschreibung. Diese ist, wie angedeutet, ein entscheidender Indikator 304 NIVEN, L.: Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 305 McCLURE, J.D. Unveröffentlichtes Skript. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 194 für die Benutzung schottischer Aussprache. Man kann sie als Schreibweise bezeichnen, welche eine neue schottische Erzählstimme enthält. 306 Dennoch schienen die traditionellen Begrenzungen, die den Gebrauch von Scots in literarischen Werken einschränken, noch immer in gewisser Weise aufrechterhalten zu werden. Scots ist immer noch gebunden an seine Rolle außerhalb der Literatur und an seinen Sprachgebrauch. R. Macaulay307 berichtete über die Erzählkünste eines Bergarbeiters, der aus Ayr kommt und Macaulays Meinung nach ein wirkungsvoller Erzähler mit tatsächlichen erzählerischen Fähigkeiten ist. „His archievement is a re markable one for someone whose formal schooling ended at the age of fourteen, but it is by no means untypical of Scottish working-class speakers...“. 308 Aitken kritisiert allerdings an dem Magazin LALLANS, daß es zwar vollkommen in literarischem Scots gehalten ist, aber manche Texte lediglich Wort-für Wort-Übersetzungen aus dem Englischen bleiben, anstatt auch schottische Grammatik und Satzbau zu verwenden. Er führt als Beispiel hierfür die Scots Literature Competition 1978 an (LALLANS 9). 309 In dem Text, der zur Teilnahme an dem Wettbewerb auffordert, kommt das Modalverb may vor, obwohl schon bei Untersuchungen festgestellt worden ist, daß may im schottischen Sprachgebrauch keine Verwendung findet. 310 Erst in den vergangenen 20 Jahren kann man von einer Entwicklung einer lokalen Orthographie, die den jeweiligen Dialekt widerspiegelt, sprechen. 311 Alan Spence, Tom Leonard, Stephen Mulrine, Alex Hamilton und James Kelman haben wesentlich zu der Entwicklung - hauptsächlich der Schreibweise des Glaswegian dialects - beigetragen. Das Problem für die 306 Vgl.: TULLOCH, G.: The search for a Scots narrative voice. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.175 307 Vgl.: MACAULAY, R.: The narrative skills of a coal miner? In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.101-124 308 EBENDA, S.120 309 Vgl.: AITKEN, A.J.: Scots and English in Scotland. In: TRUDGILL, P.: Language in the British Isles. a.a.O., S.530f. 310 Vgl. Kapitel 3.3. 311 Vgl.: MACAFEE, C.: Scottish Language. a.a.O., S.47 195 Schriftsteller ist, ihre Sprache davor bewahren zu müssen, in ihre Bestandteile zu zerfallen. Glaswegian, General Scots312 , StE - alles auf einmal kann man nicht propagieren. Entscheidet sich ein Autor für den Glaswegian dialect, kann er nicht gleichzeitig einen Eindruck von generellem Schottisch erwecken. Die Kurzgeschichten Kelmans gebrauchen die gle iche Sprache in der Erzählung wie auch in den indirekten Reden und den Gedanken. Hamilton hingegen verwendet kontrastiv den stilistischen Kontrast zwischen Erzählung und Dialogen, in denen auch code-switching vorkommt. Auch McIlvanney, von dem bereits Werke in dieser Arbeit empfohlen worden sind, verwendet das code-switching. William Lorimers Übersetzung des Neuen Testaments (1983)313 kann als verspäteter Triumph des Schottischen in der Literatur gewertet werden. Nun ist es endlich - aber viel zu spät - doch möglich, auch in der Kirche auf Schottisch zu predigen. Diese schottische Übersetzung des Testaments wurde sogleich ein Bestseller. Nur der Teufel spricht hier Standard English! Let nae man lead ye agley, bairnies. Him at dis what is richt is richteous, een as Christ is richteous. Him at commits sin hes the Deivil for faither, for the Deivil is a sinner frae the beginnin. It wis tae ondae what the Deivil hed dune at the Son o God kythed on the yird. 314 Schriftsteller spielen eine bedeutende Rolle, wenn es darum geht, Stereotypen von Menschen, Orten und Dialekten aufzubauen. Daher ist es wichtig, im Auge zu behalten, daß die Werte, die thematisch oder vielleicht symbolisch in den Werken vermittelt werden, nur Teil einer bildhaften Antwort auf des Autors Situation sind und immer unter einem subjektiven Gesichtspunkt geschrieben werden. Kelman und Leonard benutzen beispielsweise viele derbe Ausdrücke und Flüche. Trotzdem kann man daraus nicht schließen, daß die Einwohner Glasgows mehr fluchen würden als 312 Ausdruck übernommen von EBENDA, S.47. Bezieht sich auf Scots im allgemeinen, ohne damit einen speziellen Dialekt meinen zu wollen. 313 LORIMER, W.L.: The New Testament in Scots. (Southside Publishers for the Trustees of the W.L. Lorimer Memorial Trust Fund, Hrsg.: LORIMER, R.L.C.). Edinburgh 1983 314 EBENDA, S.411 196 andere Leute in ähnlichen Umständen - das literarische Bild, welches geschaffen wird, darf hier nicht mit der Realität verwechselt werden. Der Roman Trainspotting (dieser ist im Dialekt Edinburghs geschrieben) von Irvine Welsh wurde nun sogar als Kultfilm in ausländischen Kinos gezeigt - mit noch größerem Erfolg als der vorhergehende schottische Kultfilm Shallow Grave (dt.: Kleine Morde unter Freunden). 315 Allerdings enthält auch Trainspotting viele Schimpfwörter und stellt eine Lebensweise vor, die sicherlich nicht üblich für den Einwo hner Edinburghs ist. Als typische Vertreter der Glasgow novel kann man Jack London (The Iron Heel, 1907), Thomas Healy (It might have been Jerusalem, 1919), Edward Gaitens (Dance of the Apprentices 1948), Archie Hind (The Dear Green Place, 1966), 316 Agnes Owens (Gentleman of the West, 1984), Janice Galloway (The Trick is to Keep Breathing, 1989), A.L. Kennedy (Night Geometry and the Garscadden Trains, 1990), Alex Cathcart (The Comeback, 1986), Alan Spence (The Magic Flute, 1990), William McIlvanney (Laidlaw, 1977), Joseph Mills (Towards the End, 1989), Frank Kuppner (A Very Quiet Street, 1989), James Kelman (The Busconductor Hines, 1984, A Chancer, 1985, A Disaffection, 1989) und - nicht zu vergessen Alasdair Gray (Lanark, 1981, Janine, 1984, Something Leather, 1990)317 nennen. Die Schriftsteller haben nicht direkt eine Glasgow School als solche gebildet, doch teilen sie das grundsätzliche Gefühl, die Stadt und ihre Sprache 315 JAGO, D. (University of Strathclyde, Dept. of English). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 316 Diese frühen Werke könnte man - zeitlich gesehen auch unter die SR fassen. MORGAN zählt sie zu den Glasgow writers, da auch hier schon die Handlung und Sprache typisch Glaswegian sind. Vgl.: MORGAN, E.: Tradition and Experiment in the Glasgow novel. In: WALLACE, G. / STEVENSON, R. (Hrsg.): The Scottish Novel since the Seventies. Edinburgh 1993, S.85ff. 317 Die Literaturangaben sind nur ausgewählte Beispiele und decken keinesfalls die gesamte Bandbreite der modernen Glasgow writers ab. Als Anthologien moderner Dichter sind zu nennen: SCOTT, A. (Hrsg.): Voices of our kind. 1987; DUNN, D. (Hrsg.): Scotland: An Anthology. 1991; WATSON, R.: The literature of Scotland. 1984. Erscheinungsorte d.V. unbekannt. 197 präsentieren zu wollen bzw. müssen. 318 Die Themen variieren von Sozialkritik, Emanzipation der Frau bis hin zu Homosexuellenliteratur (Mills). Kelmans Charaktere brauchen von keinem Erzähler beschrieben zu werden, sie charakterisieren sich selbst durch Stimme, Sprache, Zeichensetzung und Satzbau. Gray, der ja zunächst Kunst studiert hat, benutzt oftmals Illustrationen und Zeichnungen, ein besonderes Layout, variierende Schriftarten und -größen, leere Seiten, die Schlaf und Ruhe anzeigen sollen, und Appelle an den Leser, die wie Zeitungsüberschriften anzusehen sind. In Lanark stellt er den dritten Teil des Buches noch vor den ersten und zweiten, was den Leser zunächst verwirrt. Schließlich stellt man aber fest, daß die Reihenfolge eingehalten werden muß, um Spannung zu erzeugen, da der Leser ansonsten nicht die Rückblicke, auf die verwiesen werden, verstehen kann. Grays Bücher spielen zwar in Glasgow, doch sagen sie ebenso viel über die Regierung, die kapitalistische Gesellschaft, Imperialismus und kleine Nationen aus - kurzum: über (Sozial-) Politik im allgemeinen. McIlvanney übt in gleichem Maße Sozialkritik: „Scottishness may have been a life but Britishness can be a career.“319 Oft werden in der Glasgow novel besondere Orte in Glasgow beim Namen genannt, so daß es sich unzweifelhaft nur um diese Stadt handeln kann. Scots literature must retain its intimacy with the people´ s experience and its raw, radical political edge if it is to be relevant to future generations. That edge is to be found in the work of certain Glasgow writers such as James Kelman and Tom Leonard. […] The range of registers available to Scottish writers can be seen in the impressive anthology The New makars edited by Tom Hubbard in 1991. 320 Niemand wird abstreiten, daß die Glasgow writers den schottischen Puristen, die den Dialekt der ländlichen Gegenden als den einzig wahren anerkennen und den der urbanen Regionen als „hopelessly corrupt “ (Einleitung des SND, bereits zitiert in Kapitel 6.5.3.) verdammen, Kontra bie- 318 Vgl.: MORGAN, E.: Tradition and Experiment in the Glasgow novel. In: WALLACE, G. / STEVENSON, R. (Hrsg.): The Scottish Novel since the Seventies. a.a.O, S.85-98 319 McILVANNEY, W.: Strange Loyalties. London 1991. Zitiert nach KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.126 320 EBENDA, S.136f. 198 ten können. Jede Sprachvariante hat seine eigene Flexibilität und Wandlungsfähigkeit. Die neuen Autoren haben bewiesen, daß man auch - oder besonders - mit dem Dialekt Glasgows am besten die Situation, in der sich die Schotten momentan befinden, illustrieren kann. Auch auf dem literarischen Sektor sieht man demnach deutlich, daß die Renaissance noch weitergehen kann und wird. Hugh MacDiarmid hat mit seinen Leistungen, die in der SR erbracht worden sind, den Grundstein für folgende Literaten gelegt, die nun - selbstbewußter geworden - das Schottische mehr und mehr in Romanen verwenden. 7.2. Drama In jedem Land ist die eigentliche Funktion des Theaters, die Kultur der jeweiligen Gesellschaft darzustellen und ein gewisses Bewußtsein hierfür herzustellen. Durch die Abwesenheit eines National Theatre in Schottland fehlt also ein Stück der schottischen Kultur. Die Schotten besitzen drei prinzipielle Sprachen für dramatische Produktionen: Englisch, Scots und Gälisch. Zwei davon sind nur Schottland zu eigen, jede davon besitzt wertvolle dramatische Fähigkeiten. Für viele Leute ist das Theater die einzige Gelegenheit, die schottische Sprache in einer relativ reinen Form hören zu können. Der Durchbruch des schottischen Theaters wurde letztendlich teilweise dadurch erreicht, daß die traditionellen Stücke (von Goldoni, Molière, Holberg und Aristophanes) einfach auf Schottisch übersetzt worden waren, doch auch neue Stücke leisteten ihren Beitrag. Die neuen Stücke sind in einer großen Bandbreite lokaler Dialekte geschrieben, so daß es nötig war, Cassettenaufnahmen herzustellen, die den jungen schottischen Darstellern die Sprache erleichtern sollten, da sie möglicherweise nicht genügend vertraut mit dem kompromißlosen Scots einiger Stücke sein könnten und daher schon mehrmals die Aufführung der Stücke durch falsche Aussprache des Schottischen erschwert worden waren. Doch auch manche Dramenautoren scheinen nicht daran interessiert zu sein, ob ihr Scots au- 199 thentisch ist oder nicht. Purves kritisiert Sue Glovers Stück Bondagers ein sozialkritisches Werk über das Leben der Bäuerinnen in den Borders im 19. Jahrhundert -, da die Sprache hier weder dem Dialekt der Borders dieses, noch des letzten Jahrhunderts entspricht. 321 Viele der großen Theaterbühnen in Schottland und auch zahlreiche der Amateurensembles produzieren schottische Theaterstücke. Das linguistische Register reicht von modernem Scots (The Steamie und The Guid Sisters) bis zu dem Schottischen des 16. Jahrhunderts (Ane Satyre of the Thrie Estaitis und andere). Der Gebrauch des Schottischen besteht schon seit hunderten von Jahren als ein wichtiger Faktor der schottischen Kultur. Bis zu diesem Jahrhundert, Mitte der 30er Jahre, blieb es jedoch auf komische Charaktere beschränkt. Robert McLellan und Alexander Reid werteten den Status des schottischen Theaters wieder auf. Auch viele andere Autoren thematisieren heute nicht nur historische oder lustige Ereignisse, sondern auch moderne Geschehnisse. Eine umfassende Liste aller schottischen Theaterstücke wurde von Charlotte Reid für die Scots Language Society zusammengestellt und von den Glasgow City Libraries veröffentlicht. Diese Liste beläuft sich auf 44 DIN-A 4 Seiten. 322 Die meisten der aufgezählten Stücke sind in der Tat Komödien, doch Scots hat gewiß auch die linguistischen Fähigkeiten, jeder dramatischen Situation gewachsen zu sein, inklusive Tragödien. Auch Shakespeares Macbeth wurde inzwischen auf Scots übersetzt. 323 Selbst in Deutschland wird das moderne schottische Drama thematisiert. 324 Auf den Rat der Scottish Theatre Company hin hat der Advisory Council for the Arts in Scotland im Jahre 1992 ein Komitee zur Leitung einer National Theatre for Scotland Campaign, welche mit Unterstützung der Scots Language Society arbeitet, ins Leben gerufen. So darf man also auf ein schottisches Nationaltheater hoffen, welches Theaterregisseuren Informationen und Ratschläge geben kann, um die Authentizität der schottischen Stücke zu gewährle isten. 321 PURVES, D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 322 REID, C.: List of Players in Scots. Compiled for the Scots Language Society. Glasgow City Libraries 1991. 323 PURVES, D.: The Tragedie o Macbeth. Edinburgh, 1992. 324 LENZ, K. (Universität zu Köln) betreibt momentan eine Forschungsarbeit über das schottische Theater. 200 8. Sprache in verschiedenen Regionen 8.1. Varianten des Schottischen innerhalb Großbritanniens 8.1.1.Dialektregionen Schottlands Da Scots keine anerkannte standardisierte Form besitzt, werden die unterschiedlichen Dialekte, die in Schottland gesprochen werden, oft für Dialekte des Englischen gehalten. In Wahrheit sind sie aber Dialekte von Scots und bilden ein ungebrochenes Kontinuum mit der Nationalsprache des Mittelalters. Normalerweise werden die verschiedenen gesprochen Dialekte nicht in der Schriftform widergespiegelt, sondern in ganz Schottland wird der literarische „Standard“325 benutzt. Daß der Unterschied zwischen den lokalen Dialekten Schottlands immer besonders betont wird, könnte wiederum auf Kosten des Status von Scots gehen, da der nationale und internationale Hintergrund zu wenig beachtet wird. 326 Scots zerfällt demnach in den Augen mancher Kritiker zu sehr in seine einzelnen Dialekte, als daß es noch eine Einheit bilden könne. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Dialekten sind heutzutage nicht mehr so groß wie vor 50 Jahren, da auch die Massenmedien dazu beitragen, die Sprache in jedem Teil des Landes zu beeinflussen. Nach dem SND sind die verschiedenen Dialekteinteilungen Insular Scots (Orkney und Shetland), Northern Scots, Mid oder Central Scots und Southern Scots. Zwischen diesen Haupteinteilungen existieren noch regionale Variationsmöglichkeiten. Central Scots erstreckt sich von West Angus und Northeast Perthshire in den Norden, nach Galloway und in den Südwesten (Ulster). Es kann in South Central, West Central und East Central Scots unterteilt werden, wobei die Unterschiede hier hauptsächlich im Akzent, nicht im Dialekt liegen. 327 Die Sprache der Städte ist natürlich am weitesten von den länd325 Da es sich nicht um eine echt standardisierte Form handelt (hierzu siehe auch Kapitel 3.6.), ist der Ausdruck hier in Anführungszeichen gesetzt. 326 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.157f. 327 Vgl.: EBENDA, S.159f. 201 lichen Dialekten entfernt, doch in Perth und in Dundee bleibt die gesprochene Sprache noch Broad Scots. Auch Edinburgh zählt zu dieser Region, obwohl diese Stadt die anglisierteste von ganz Schottland ist. Die Universität, die hohe Prozentzahl der Kinder, die Privatschulen besuchen, der große Anteil der Mittelklasse und die vielen Nicht-Schotten, die hier leben, begünstigten hier die Anglisierung in extremem Maße. West Central Scots ist unter anderem die Sprache Glasgows. Während sich in Edinburgh die Arbeiterklasse durch die dominante Mittelklasse definiert, ist es in Glasgow genau anders herum. 328 Fast jeder Einwohner Glasgows spricht eine Art von Schottisch. Typisch hierfür sind Ausdrücke für das Personalpronomen youz (Plural). South Central Scots wird in South Ayrshire, West Dumfriesshire und Galloway gesprochen. Diese Dialektregion wurde beeinflußt von der Kommunikation mit - und den Einwanderern aus - Irland. Ulster Scots329 stammt von West und South Central Scots ab, und wird im Norden und Nordosten von Ulster gesprochen (in den Counties Antrim, im nordöstlichen Down, zum Teil County Derry und Donegal). Es konnte sich in Nordirland verbreiten, da Tausende 330 von Schotten vor und nach der Herrschaft Jakobs VI. nach Irland auswanderten. Dieser Dialekt ist der einzige schottische außerhalb der Grenzen Schottlands. Es wurde gesagt, daß auch nach der fortschreitenden Anglisierung Schottlands in dieser Region immer noch Broad Scots gesprochen wurde, wobei hier auch ältere schottische Formen beibehalten worden sind. Inzwischen sprechen auch die in der Gegend wohnenden Iren Ulster Scots, wobei es eine konservative Varietät in den ländlichen Gegenden und den standardisierten Typus gibt, der der Sprache im schottischen Tiefland entspricht und näher an den standardisierten Klassen der Phoneme liegt. Die Sprecher der zweiten Varietät wenden auch Aitken´s Law (vgl. Kapitel 3.1.) an. Die Vokale hier 328 Vgl.: EBENDA, S.160 Synonym für Ulster Scots wird auch der Begriff ScotsIrish verwandt. Vgl.: McCRUM/CRAN/MacNEIL, The Story of English. London 1986 und 1992, S.157ff. 330 Nach McCRUM/CRAN/MacNEIL (S.157) waren es ca. 200.000 Schotten, die nach Nordirland auswanderten. 329 202 werden demnach lang gesprochen vor /r, v, ð/ und /z/ und vor einer Morphemgrenze. 331 Seit den Tagen der United Irishmen war der Druck, der auf Ulster Scots ausgeübt wurde, ähnlich dem, der in Schottland auf Scots ausgeübt wird. Dennoch ist heute der Dialekt noch stark vertreten und die Tradition der dortigen Folk poetry bleibt sehr vital. Doch leidet er unter dem gleichen Statusverlust wie in Schottland und viele nehmen an, er stürbe aus. Daher haben sich auch hier Organisationen gebildet, die für die Erhaltung von Ulster Scots plädieren. Die Ulster Scots Language Society bringt nun zweimal im Jahr das Magazin Ullans heraus, in und über Ulster Scots und seine reichhaltige gesprochene und geschriebene literarische Tradition in Irland. 332 Southern Scots - auch Border Scots genannt - wird in Roxburgh, Selkirk und East Dumfriesshire gesprochen. Der Dialekt auf der schottischen Seite der Grenze divergiert somit tatsächlich von dem auf der englischen Seite. Kay zitiert an dieser Stelle das SND: „For all practical purposes the political and linguistic boundaries may be considered to coincide.“333 Bei dieser Dialektvariante fehlen allerdings die Merkmale, die gängigerweise als typisch Schottisch gelten, z.B. das /oo/ in doon, coo und broon oder das /ee/ in wee, bree und gie. Hier ähnelt die Aussprache eher StE. Trotz seiner Eigenheiten teilt dieser Dialekt auch Merkmale der Central Scots Dialekte, die im Osten liegen. Northern Scots erstreckt sich von East Angus und den Mearns im Süden bis Caithness im Norden. Die Isolation der Fischer- und Bauerndörfer in diesen Regionen trug dazu bei, daß dieser Dialekt konservativ und althergebracht blieb und eine Fülle von Vokabular beibehalten hat, welche in anderen Gegenden verloren gegangen ist. Dies mag auch einer der Gründe dafür sein, warum der schottischen Literatur aus dem Nordosten mehr Status von seiten des Bildungssystems zugesprochen wird. 334 Hier fällt auch der Stadt/Land-Konflikt nicht so stark ins Gewicht, denn Aberdeen 331 Vgl.: HARRIS, J. English in the North of Ireland. In: TRUDGILL, P.: Language in the British Isles. a.a.O., S.120ff. 332 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.165 333 Zitiert nach EBENDA, S.165f. 203 ist eine Stadt, in der man noch starkes Scots spricht und die enge Kontakte mit der ländlichen Umgebung pflegt. Der Caithness dialect weist allerdings ferner einen gälischen Einfluß auf, da er ebenso viele gälische wie auch nordische Wörter enthält. 335 Insular Scots bezieht sich hauptsächlich auf die Inseln Shetland und Orkney, welche einen enormen Einfluß der Sprache Skandinaviens (Norn) zu verzeichnen hatte. Das Personalpronomen hat beispielsweise zwei Formen: du und you, welche ähnlich wie die französische Höflichkeitsform vous im Vergleich mit tu gebraucht werden. Unterschiedlich benutzt werden auch die Hilfsverben, so daß die Insulaner nicht I have written, sondern I´m written sagen würden. Das Ansehen dieses Dialektes ist mit der zunehmenden Dialektliteratur gewachsen. Moderne Autoren wie Rhoda Butler und Basil Anderson schreiben ihre Gedichte ausschließlich in ihrem lokalen Dialekt. Bähr unterscheidet die schottischen Dialekte in der kΛm-dun-Region, wie er die Region bezeichnet, in der Scots gesprochen wird, nicht in die drei Klassen, wie es Murray getan hat 336 (=die Central group mit vier Subdialekten, die North-eastern group mit 3 Subdialekten und die Southern group ohne weitere Untergruppen), sondern in die folgenden drei Gebiete: 1. Das hw t-Gebiet, welches im Süden bis über die schottische Grenze hinausreicht und nach Norden vom fat-Gebiet begrenzt wird. Das /w/ wird bei dieser Dialektgruppe mit einem deutlichen Hauchlaut gesprochen. 2. Das fat-Gebiet umfaßt das nordöstliche Schottland einschließlich Caithness, aber nicht die Orkney- und Shetlandinseln und reicht im Süden bis nach Angus. /Hw/ verändert sich hier zu /f/, z.B. bei Fragewörtern wie who, what, why und bei Wörtern wie whisky, whistle und anderen. 334 Vgl.: EBENDA, S.170 Vgl.: EBENDA, S.173 336 Vgl.: BÄHR, D.: Standard Englisch und seine geographischen Varianten. a.a.O., S. 135ff. BÄHR greift hier die These von MURRAY [in: The Dialects of the Southern Counties of Scotland (1873)] auf und kritisiert diese. 335 204 3. Das Inselschottische ist auf den Shetland- und Orkneyinseln anzutreffen und entspricht Kays Bezeichnung Insular Scots. 337 8.1.2. Die Shetland Inseln Die meisten Landkarten Großbritanniens lassen Shetland entweder ganz unter den Tisch fallen oder aber sie plazieren es in eine Ecke, in der niemand es bemerkt. Als einstiger Teil von Norwegen-Dänemark gehört Shetland, welches nur 1426 qkm klein ist, heute zu Großbritannien, wobei es allerdings seinen ganz eigenen Charakter behalten hat. Es wurde auch als „speech community“ (dt. Sprachengemeinschaft) analysiert. 338 Die Entdeckung der Ölvorkommen in der Nordsee in den frühen 70er Jahren stellte, zusammen mit anderen Ereignissen, eine beträchtliche Veränderung für die Bevölkerung Shetlands, die aus Handwerkern und Fischern bestand, dar. Diese Veränderungen nehmen selbstverständlich auch Einfluß auf die in Shetland gesprochene Sprache. Nach der Reformation wurde Scots bereits als dem in Shetland bis dato gebräuchlichen Norn überlegen angesehen, und die Einrichtung der Board Schools (1872) trug wesentlich zur Anglisierung auch dieser Insel bei. Immerhin hat der Norn dialect zu einem erstaunlichen Maße überlebt. Die momentane Sprachsituation kann wohl als bilingual bezeichnet werden. 339 Wachsende Mobilität, preiswertes Lesematerial und der Einfluß der Medien haben die Funktion des Shetland dialects reduziert, doch hat er trotzdem nicht an Ansehen verloren. Radio Shetland ist einer der wenigen lokalen Radiosender, die außer StE auch den lokalen Dialekt benutzen. 340 Die Shetländer sind stolz auf ihren Dialekt und sprechen nie Standard English zu anderen Shetländern, ihren Freunden oder Familienangehöri337 Vgl.: EBENDA, S.137 Vgl.: MELCHERS, G.: `Knappin´, `Proper English´, `Modified Scottish´. Some language attitudes in the Shetland Isles. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.87-100 339 Von MELCHERS, G. auch bidialectalism genannt. In: EBENDA, S.97 340 Vgl.: GÖRLACH, M.: Max und Moritz in English dialects and creoles. Hamburg 1986, S.24 338 205 gen, obwohl der Dialekt nie in Klassenzimmern shetländischer Schulen erlaubt war. Folglich sind die Bewohner Shetlands sehr dialektloyal. 8.1.3. Die Hebriden Die Varietät, welche in den Hebriden gesprochen wird, läßt an den starken Kontakt mit der Sprache des Hochlandes, welche noch besprochen werden wird, erinnern: schottisches Gälisch, welches immer noch von der dortigen Bevölkerung benutzt wird. Vor noch nicht allzu langer Zeit wurde Gälisch sogar noch als Primärsprache (Muttersprache) erlernt, während StE in der Schule als Fremdsprache, was sie ja eigentlich auch war, beigebracht wurde. Dies ist in manchen größeren Städten und Verwaltungsbezirken zum Teil heute noch der Fall. Viele Gelehrte teilen die Ansicht, daß das Englisch der Hebriden eine große Menge syntaktischer und lexikalischer Merkmale enthält, welche im Englischen nicht zu finden sind und ebenfalls im SSE nicht so häufig benutzt werden. 341 Romane der Autoren L. Beckwith, C. Mackenzie, M. Macpherson und anderen, deren Handlung sich in Inselgemeinschaften abspielt, beweisen diese Annahme, obwohl die Dialoge für literarische und humoristische Zwecke stilisiert sind. Man kann aus diesen Romanen einige linguistische Besonderheiten wie Verbalsätze, die Konstruktion be after doing, welche regelmäßig in den Romanen vorkommt, der Gebrauch des Present Perfect und der der Verbformen seen, come, run, been und done ableiten. Außerdem zeichnet sich aufgrund des englisch-gälischen Sprachkontaktes und der Annahme, daß kein englischer Akzent seinen Weg bis zu den Inseln gefunden hat, die Sprache der Hebriden durch große phonetische Variabilität aus. Im frühen 17. Jahrhundert ist der Versuch gestartet worden, Englisch bis in die Inseln zu importieren. Doch obwohl Schulen die englische Sprache unterrichteten, nahm sie bis hin zum späten 19. Jahrhundert wenig Einfluß. Der Education Act von 1872 änderte diese Situation, und die wachsende Interaktion mit dem Festland tat ihr Übriges. Letzteres ist vor allem in Portree, der Hauptstadt der Isle of Skye, der Fall, da hier die An- 206 zahl der Touristen und der Einwanderer sehr groß ist. Die Tatsache, daß das Englisch der Hebriden einer Reihe phonologischer und phonetischer Varietäten entgegensieht, liegt mit in dem Einfluß der Lehrer, die von schottischen (vielleicht auch englischen) Dialektgegenden kommen und von den Einwohnern der Hebriden, die Englisch während eines Aufenthaltes im Tiefland gelernt haben, begründet. Das Konsonantensystem ist im Grunde das des SSE ohne großartige Variation. Was allerdings das Vokalsystem betrifft, so sind Kontraste bezüglich der Vokallänge zu verzeichnen. Größer ist die Bandbreite der phonetischen Variation, sowie Variationen in Rhyt hmus und Intonation. Diese Abweichungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach in Zukunft noch auftreten, denn das Englisch der Hebriden ist schon immer ein Akzent der Veränderung gewesen. 8.1.4. Die Morningside/Kelvinside Akzente In Schottland existieren einige Varietäten, welche als „Mittelklasseakzente“ stereotypisiert worden sind, nämlich die der Gegenden in Morningside (Edinburgh) und Kelvinside (Glasgow). Diese Akzente stehen in enger Verbindung mit Hyper-RP 342 , wie andere Formen des SSE mit anderen RP-Varietäten. Sie werden von Aitken als „imitations of their social betters“343 bezeichnet Verallgemeinert gesagt sind die Morningside und Kelvinside Akzente eine Alternative zwischen Hyper-RP und den lokalen schottischen Akzenten. Es gibt, zum Beispiel in der Sprache von Edinburgh, einige spezifische 341 Vgl.: SHUKEN, C.R.: Variation in Hebridean English. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.145-156 342 Hyper-RP ist die Überbetonung des RP Akzentes. Da der Sprecher des Hyper-RP sehr bewußt auf seine Sprache achtet in diesem Falle also ein Schotte, der versucht, „korrektes“ StE zu sprechen - übernimmt er nicht nur die Aussprache der Wörter des RP, sondern gleicht auch andere Wörter, die von RP Sprechern nicht in der Art und Weise ausgesprochen werden, dem RP an. Somit wird er direkt als „angelernter“ RPSprecher entlarvt. So kommt es, daß so mancher Schotte, der versucht, RP zu sprechen, zwar tatsächlich out anstelle von oot sagt, doch auch bout anstelle von boot. Diese Generalisierung der beiden Wörter entspricht nicht dem RP, obwohl dies von dem schottischen Sprecher vermutet werden könnte. 343 AITKEN, A.J. Scots and English in Scotland. In: TRUDGILL,P.: Language in the British Isles. a.a.O., S.526f. 207 Merkmale des Morningside Akzentes. In einer Untersuchung von 1983 und 1984 wurden die meisten davon von Frauen vernommen, die älter als 60 Jahre alt waren und der oberen oder aber der unteren Mittelschicht angehörten. 344 Der Kelvinside Akzent von Glasgow ist nahezu identisch. In allen Städten besteht eine gewisse Distanz zwischen SSE einerseits und den M/K-Akzenten andererseits. Nur wenige Leute sprechen den „reinen“ M/K-Akzent, die meisten benutzen eine Variante dieser Akzente. Abgesehen von M/K gibt es noch einen verwandten Akzent, Panloaf, ein Typ des schottischen RP-nahen Akzentes (gleicht also SSE), welches als „männliches Äquivalent“ der M/K-Akzente angesehen wird. In einer Untersuchung von Wells (1982) 345 waren alle Verwender des Panloaf Akzentes über 50 Jahre alt. Dieser Akzent weist auch andere RP-Merkmale auf, er ist zum Beispiel nicht-rhotisch. 8.1.5. Eine schottische „New Town“ C. Pollner analysierte die vorletzte der neu entstandenen schottischen Städte, Livingston, welche im Jahre 1962 gegründet worden ist und sich auf halbem Wege zwischen Edinburgh und Glasgow befindet. 346 Er betrachtete in seiner Analyse die Phonologie und Morphologie, wobei er feststellte, daß neu entstandene Städte sowohl in England als auch in Schottland keine eigenen Dialekte aufweisen, sondern Mischformen aus verschiedenen Dialektvarietäten darstellen und daher noch nicht von Dialektologen eingehender analysiert worden sind. Der Einfluß des Glaswegian dialects auf die Einwohner Livingstons war erstaunlich, da - so fo lgert Pollner - dieser eine besondere Anziehungskraft ausübt. In Glasgow kann der Gebrauch einer spezifischen Dialektvariante als „Klassenmerkmal“347 bezeichnet werden, und es bestehen einige literarische Werke in Glasgow dialect, die einer umfassenden Untersuchung bedürfen. Anstatt 344 Vgl.: Untersuchung von JOHNSTON, P.A:, The rise and fall of the Mornigside/Kelvinside accent. In: GÖRLACH, M. (Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.37-56 345 Erwähnt von EBENDA, S.40 346 POLLNER, C.: Linguistik fieldwork in a Scottish New Town. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.57-68 347 Vgl. auch Kapitel 5.1. und 6.5.3. 208 eines „echten“ Livingston Dialekt, den es logischerweise nicht geben kann, sprechen die Einwohner Livingstons Glaswegian. Es wäre interessant zu untersuchen, inwiefern sich dieser Dialekt in den kommenden Generationen noch verändern wird, da die Möglichkeit besteht, daß die Dialekte Livingstons und Glasgows sich unabhängig vo neinander weiterentwickeln und daher in Zukunft stärker differieren, falls ebenfalls noch Schotten aus anderen Gegenden (mit anderen Dialekten) in Livingston ihre Zelte aufschlagen. 8.2. Weitere Minoritätensprachen in Großbritannien 8.2.1. Schottisches Gälisch Schottisches Gälisch existiert im Großbritannien des 20. Jahrhunderts als eine der drei literarischen Sprachen. Es ist sehr unterschiedlich und auch sofort unterscheidbar von den mit ihm verwandten (z.B. Irisch) und weist keinerlei offensichtliche Ähnlichkeit mit Scots oder gar mit Englisch auf. Heute kann man eine gewisse „poetische Renaissance“ mit Autoren wie Somhairle MacGhille Eathain und anderen, die ihre Werke auf Englisch und auf Gälisch herausgeben, und die nicht nur in Schottland gelesen werden, verzeichnen. Die letzte Entwicklung zeigt nur wenige Prosatexte auf originalem Gälisch. Ein Grund hierfür mag sein, daß die Druckerkunst und die Übersetzungen spät die gälische Sprache erreichten. Auch das Neue Testament auf Gälisch kam erst im Jahre 1767 heraus. Unter Jakob VI. wurden schottische Wörter ins gälische Vokabular eingeführt. So entstand ein großer Anteil an Bilingualität, besonders bei den Sprechern des Gälischen, die im Hochland oder an der Hochlandgrenze (Celtic Border) lebten. Das Book of the Dean of Lismore (1512-1532) wurde in phonetischer Umschrift, auf der schottischen Aussprache basierend, geschrieben. Das Gälisch, welches in Schottland gesprochen wurde, begann somit vom 13. Jahrhundert an anders zu werden als das irische Gälisch. Die gälische Sprache blieb in der Mitte des 16. Jahrhunderts mehr oder weniger im südwestlichen Schottland beheimatet, obwohl Scots bereits zu diesem Zeitpunkt weit verbreitet war. In der zweiten Hälfte des 18. 209 Jahrhunderts wurde die Haltung der offiziellen und religiösen Institutionen gegenüber dem Gälischen antagonistischer, wobei die Einstellung der Church of Scotland als ambivalent zu bezeichnen ist. Das anglisierte Tiefland hatte schon seine Feindseligkeit gegenüber der Lebensweise und auch der Sprache der Hochlandbewohner im 16. und 17 Jahrhundert kundgetan. Nichtsdestotrotz führte die oben erwähnte Publikation des gälischen Neuen Testamentes 1767 zu einer positiveren Einstellung und größerer Toleranz gegenüber dem Gälischen. Gälische Dichter verwendeten im 19. und 20. Jahrhundert ihre Sprache auch für religiöse Dichtung, satirische und politische Stücke; manche ahmten sogar Burns nach. 1811 wurde die Edinburgh Society for the Support of Gaelic Schools gegründet. Ihr Einfluß konstatierte sich unter anderem darin, daß seit 1826 die gälischsprechenden Kinder als erstes die gälische Sprache schreiben und lesen lernen sollten, und dann erst die englische. In diesem Jahre waren auch schon zahlreiche gälische Textbücher erhältlich. Die Schulinspektoren konnten demnach im Jahre 1875 das Verständnis der gälischsprechenden Kinder im Gälischen prüfen, nicht im Englischen, doch eine große Anzahl an Inspektoren stellte sich dem Le hren des Gälischen ohnehin entgegen und hat ihre Chance, die Kinder zu testen, nicht wahrgenommen. Die Volkszählung von 1891 zeigte den Anfang des Abstiegs der gälischen Sprache. Nach und nach konnten fortgeschrittenere Stadien der Anglisierung verzeichnet werden, verursacht durch den Kontakt zum Tiefland und die Geschäftsbeziehungen. Der Be griff „linguistic class distinction“348 machte die Runde. Englisch bekam zunächst den Status der Zweitsprache, gewann dann jedoch Grund. Die Tabelle in Abb.5 konstatiert die konstante Abnahme der Leute, die Gälisch sprechen. 349 Gälisch war und ist am besten in den westlichen Inseln er- halten geblieben. Die Hochlandbewohner hatten den Ruf, eine „wilde“ Sprache zu sprechen: 348 Klassenunterscheidung, die aufgrund der gewählten Sprachvarietät gemacht wird. Hierzu siehe auch Kapitel 5.1. 349 Bemerkung zur Tabelle: Der erstaunliche Zuwachs von über 10 % in der Kategorie Gälisch und Englisch (bilinguale Sprecher)zwischen 1961 und 1971 kann durch die Leute erklärt werden, die sich ein großes Wissen über die gälische Sprache als Zweitsprache aneigneten. 210 Perhaps the factor that weighs […] most heavily against Gaelic has been indifference or even hostility towards it on the part of Gaelicspeakers themselves who, seeing the restricted role it occupies in their society as compared with English […] have all too often come to the inconsequential but, in the circumstances, understandable conclusion that it is itself in some way inferior and unworthy to respect. This attitude has its roots a long way back in the past. 350 Eine immerhin erstaunliche Tatsache ist aber, daß „Gaelic still has the full canon and can be used for all purposes, prose as well as verse, whereas […] Scots has been defective in prose since the 17th century.“351 Die folgende Tabelle zeigt, inwiefern sich die Anzahl der schottischen Einwohner, die des Gälischen mächtig waren, zwischen 1891 und 1981 verändert hat. Die zweite Spalte, Gälisch und Englisch, zeigt die Anzahl der bilingualen Einwohner, wobei mit Englisch selbstverständlich auch eine Variante des SSE, ESSE oder gar Scots gemeint sein kann. Abb. 5 352 Nur Gälisch Gälisch und Englisch Gesamt 1891: 43.738 210.677 254.415 1901: 28.106 202.700 230.806 1911: 18.400 183.998 202.398 1921: 9.829 148.950 158.779 1931: 6.716 129.419 136.135 1951: 2.178 93.269 95.447 1961: 974 80.004 80.978 1971: 477 88.415 88.892 1981: ---- 350 ---- 79.307 PRICE, G.: Languages of Britain. a.a.O., S.63 MURISON, D.: The historical background. In: AITKEN, A.J./ McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.13 352 Entnommen aus PRICE, G.: Languages of Britain. a.a.O., S.59. Erhebungen für das Jahr 1941 sind in dieser Tabelle nicht aufgeführt. 351 211 Diese statistischen Informationen über die gälische Sprache, welche auch Informationen darüber enthalten, wieviele Leute Gälisch lesen und schreiben können, besagen, daß 1971 in Schottland 88.892 gälischsprechende Leute lebten, also ungefähr 9,8 % mehr als 1961. Von diesen Einwohnern lebten 48.000 im Hochland, wovon wiederum 23.205 auf den westlichen Inseln beheimatet waren. Schon allein 15.600 kamen aus Lewis. Lorvik bezieht sich auf weiterführende Daten, die bis zum Jahre 1991 reichen. Sie stellte fest, daß insgesamt der Prozentanteil der gälischspreche nden Leute in der schottischen Bevölkerung von 5.2 % im Jahre 1891 auf 1.35 % (1991) gefallen ist. Die Erhebung von 1991 zeigte außerdem, daß nur noch 6.943 Kinder unter 15 Jahren der gälischen Sprache mächtig waren. 353 Die höchste Rate der gälischsprechenden Bevölkerung ist (noch immer) in Lewis Landward, wo sie sich auf 89,5 % beläuft. „Allgemein kann man sagen, daß Gälisch noch am meisten in jenen westschottischen Inseln gesprochen wird, die am weitesten vom Festland entfernt liegen, also auf den äußeren Hebriden (Lewis, Harris, North Uist, South Uist, Barra).“354 Die größte Konzentration der Gälischsprechenden in Städten ist in Glasgow zu finden. Der Zuwachs, der 1961 zu verzeichnen war, bezog sich hauptsächlich auf das Tiefland. In der Region der westlichen Inseln ist das Gälische in das Curriculum der Schulen integriert, während es in Glasgow in drei senior schools gelehrt wird. Hin und wieder wird es auch außerhalb der regulären Schulzeit angeboten. Daher kann man sagen, daß die Schule, die den Grund dafür lieferte, daß der gälisch-englische Sprachwechsel im Hochland sich innerhalb eines Jahrhunderts vollzogen hat, da durch den Education Act 1872 die allgemeine Schulpflicht in Schottland eingeführt worden war, 355 unter anderem mit dem Ziel, den Schülern „korrektes“ Englisch zu lernen, nun andererseits dazu beiträgt, das Gälische den Kindern wieder nahezubringen. Immerhin ist es den Schulen gelungen, bis 353 Daten aus EBENDA, S.59f. und LORVIK, M.: The Scottish Lass Betrayed ? a.a.O., S.11 354 BÄHR, D.: Standard Englisch und seine geographischen Varianten. a.a.O., S.150 355 Vgl.: EBENDA, S.151 212 1970 die Zahl Gälisch lernender Schüler drastisch zu steigern. 356 Im Jahre 1975 wurde schließlich auch die policy of bilingualism erlassen, die besagt, daß die westlichen Inseln Schottlands eine fundamental bilinguale Gemeinschaft sein sollen, in der Gälisch und Englisch nebeneinander existieren, so daß die Einwohner dieser Region die Wahl zwischen beiden Sprachen haben. 357 Diese Forderung öffnete Tür und Tor für das Bilingual Education Project, welches daraufhin ebenfalls 1975 in der Primarstufe eingeführt wurde. Nun gibt es 45 Gaelic-medium primary schools mit 1.080 Schülern in Schottland. Auch für das Gälische existieren die Richtlinien Gaelic 5-14, welche ein Äquivalent zu den Scottish 5-14 Richtlinien darstellen. Trotzdem gibt es immer noch heftige Diskussionen, ob Gälisch in der Schule gelehrt werden soll oder nicht. An Hochschulen wird das Gälische zwar bis zu einem gewissen Ausmaß, welches zweifellos auch größer sein könnte, gelehrt, aber diese Entwicklung könnte wesentlich durch das Lehren der Lernstoffe durch die gälische Sprache als Kommunikationsmedium verstärkt werden, wenn entsprechende Vorbereitungen getroffen würden. Inzwischen bestehen an den Universitäten von Edinburgh, Glasgow und Aberdeen und an der University of Strathclyde Kurse in Celtic Studies, wobei an der letztgenannten (Jordanhill Campus, Glasgow) sogar ein Lehrervorbereitungskurs für das Lehren des Gälischen (Didaktik) angeboten wird. Früher wurden solche Kurse an Universitäten durch das Medium der englischen Sprache ve rmittelt, heute versucht man es zum Teil auf Gälisch. Auf der Isle of Skye gibt es eine weitere Alternative. Sachal Mòr Ostaig bietet seit 1983 - nach einer Entwicklungsphase von 10 Jahren - die Kurse business studies, information technology und media studies an, und zwar auf Gälisch. Diese gälische Hochschule hat unter anderem auch das Gaelic Research Centre ins Leben gerufen. Die Versuche, Musik, Religion und einige Aspekte technischer Thematiken auf Gälisch zu unterrichten, wurden bereits gestartet, doch die Publikation notwendiger Bücher hinkt noch hinterher. 356 Für genaue Zahlenangaben siehe EBENDA, S.151. Vgl.: LORVIK, M.: The Scottish Lass Betrayed ? a.a.O., S.11 357 213 Obgleich Kreckel die Ansicht vertritt, der gälischen Sprachproblematik käme keine bedeutende Rolle zu, da das Zurückdrängen der gälischen Sprache kaum als ein Werk englischer Unterdrückung interpretiert werden kann, da es schon lange vor der Union begann und von schottischen Institutionen - darunter der schottischen Nationalkirche - betrieben wurde, 358 muß man doch bedenken, daß das Keltentum nach der Entscheidungsschlacht von Culloden zielsicher von der Londoner Regierung ausgelöscht werden sollte. 359 Manche Nationalisten sind auch der Meinung, nicht Scots solle die offizielle Nationalsprache in Schottland werden, sondern Gälisch. 360 McClure hingegen ist der Ansicht, daß Scots eine reinere schottische Sprache als Gälisch sei, da Scots schon gegen Ende des 14. Jahrhunderts eine von (Nord-) Englisch unterscheidbare Sprache gewesen ist, während man keine Beweise in Händen hält, daß sich die schottische und die irische Varietät des Gälischen - zumindest in der geschriebenen Form - voneinander schon vor dem 16. Jahrhundert unterschieden hätten. 361 Der Status der gälischen Kirche ist entweder der einer Gemeindekirche, wie es im Hochland der Fall ist, oder einer Ghettokirche, wie im Tiefland und in größeren Städten. Obwohl der allgemeine Kirchenbetrieb auf Gälisch auszusterben droht, wird Gälisch noch für Predigten, das generelle Abhalten von Messen und lokalen Kirchenangelegenheiten verwendet. Es ist bedauernswert genug, daß diejenigen Aktivitäten, welche eine direkte Beziehung mit dem Gebrauch der gälischen Sprache haben, nur sehr beschränkt sind. Im Radio ist Gälisch sehr stark vertreten (seit den frühen 20er Jahren, obwohl erst 1984 BBC Radio nan Gaidheal gegründet wurde), doch es 358 KRECKEL, R. (Hrsg.): Regionalistische Bewegungen in Westeuropa. Zum Struktur- und Wertwandel im (sic) fortgeschrittenen Industriestaaten. a.a.O., S.116 359 Vgl. auch Kapitel 4.1. 360 Vgl.: LORVIK, M.: The Scottish Lass Betrayed ? a.a.O., S.20 361 Vgl.: McCLURE, J.D.: Why Scots matters. a.a.O., S.62 214 kommt auch in anderen Medien wie Fernsehen und der Presse vor. In den letzten 5 Jahren hat das Gälische eine enorme Unterstützung von seiten der Regierung erhalten. Nach Purves sollen dies etwa 10 Millionen Pfund gewesen sein. 362 Allein das gälische Fernsehen (Comataid Telebhisein Gaidhlig) bekommt 8,7 Millionen im Jahr. Aus diesen Zahlen schließt Purves weiter, daß, wenn man bedenkt, daß ca. 50mal mehr Leute Scots sprechen als Gälisch, die britische Regierung demzufolge ca. 500 Millionen Pfund pro Jahr in die Unterstützung von Scots investieren müsse. Die BBC sendete die ersten Fernsehprogramme auf Gälisch in den späten 50er Jahren. Zunächst blieben die Programme eher über Gälisch als auf Gälisch. Im Jahre 1988 brachte es die BBC auf 11 Sendestunden Gälisch pro Jahr. Diese Zahl wurde zunächst auf 13, später auf 18, dann auf 26 (1990) erhöht. Nach dem Broadcasting Act im Jahre 1990 wurde die stolze Summe von 8 Millionen Pfund darin investiert, 200 Stunden pro Jahr in gälischer Sprache zu senden. 363 Im darauf folgenden Januar erhöhte Ian Lang diese Summe auf 9.5 Millionen, was zur Folge hatte, daß seit 1993 schon 300 Stunden pro Jahr Gälisch zu sehen ist. BBC Scotland ist hieran derzeitig mit 100 Stunden beteiligt, Scottish Television mit 200. Da sich die Frage stellte, wie die gälischen Programme auch den 98 % an Zuschauern, die der Sprache nicht mächtig waren, schmackhaft gemacht werden könnten, versah man zunächst die gälischen Programme mit Untertiteln. Was die Programmtypen betraf, so wurden erst einmal die Seifenopern - wie Coronation Street, Eastenders und Neighbours -, ohnehin schon sehr beliebt, gesendet. Um Lernenden den Einstieg ins Gälische zu erleichtern, kaufte Scottish Television die Rechte des Walisischen Programmes Now You´re Talking (Wales S4C), benannte es in Speaking Our Language um und gründete eine Firma in Skye, die das Material für diese Sendung erstellen sollte. Nun hat dieses Programm schon 10.000 neue Lernende des Gälischen geschaffen. Auch Nachrichten und Diskussionsrunden finden auf Gälisch statt. 362 PURVES, D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 363 Alle Informationen über Scottish Television und BBC Scotland (in bezug auf das Gälische) von MACDONALD, R. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. Unveröffentlichtes Skript einer Rede aus dem Jahre 1996. 215 Die politische Wichtigkeit mit seinen symbolischen Bedeutungen, welche beispielsweise im Gebrauch des Gälischen auf Briefmarken, Luftpostbriefen, Schildern oder öffentlichen Verkündigungstafeln anzutreffen sind, trägt gleichfalls zum Überleben des Gälischen bei. Als weitere Gebiete, in denen die Sprache benutzt wird, zählen literarische Gattungen wie Lyrik, Drama, Fiktion, Kinderliteratur, Biographien zuzüglich die Kritiken dieser Werke. Hier müssen wir bedauerlicherweise einen bemerkenswerten Unterschied zwischen Gälisch und Scots feststellen. Im Gälischen jedoch fällt der Gebrauch der Sprache in politischen Dingen, lokaler Industrie, Auslandsgeschäften und Freizeitgestaltung ebenfalls bescheidener aus. Was die Forschung der Linguistik der gälischen Sprache angeht, müssen wir festhalten, daß es nur zwei linguistische Projekte gibt, die von größerer Bedeutung sind. Das eine ist die Entwicklung eines geschichtlichen Wörterbuches, welches von Mitgliedern der Glasgower Universität und der gälischen Abteilung der Linguistic Survey of Scotland erstellt wird. Das zweite Projekt ist der Gaelic Survey, welcher seit über 50 Jahren an der Universität von Edinburgh besteht. In seinem Interesse liegt das Sammeln und Verarbeiten von Daten, um die unterschiedliche Verteilung von Formen in den gälischsprechenden Regionen Schottlands zu erfassen. 364 Diese Arbeit beschäftigt sich damit, das gälische Lautsystem und das morphologische System zu erforschen (wobei aber weitestgehend die phonetischen Belange außer Acht gelassen werden), z.B. die Struktur der Artikel + Nomen in verschiedenen Regionen. Man sieht, daß die Forschung hinsichtlich der Morphologie des Gälischen vertieft wird, während die Syntax des Gälischen kaum berücksichtigt wird. Die zahlreichen gälischen Wörterbücher lassen uns ahnen, daß das Stud ium der Wortbedeutungen und das Produzieren bilingualer Wörterbücher ebenfalls von größerer Bedeutung sind. Develly´s Wörterbuch wird von 364 Vgl.: MACAULAY, D.: The State of Gaelic Language Studies. In: AITKEN, A.J./ McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. a.a.O., S.120 216 MacAulay365 als das beste Gälisch-Englische angesehen, doch seiner Meinung nach besitzt dies, was die Qualität angeht, keine EnglischGälische Entsprechung. Andere Forschungsansätze wurden sowohl in nicht-historischer intragälischer Vergleichsarbeit als auch in der Wechselbeziehung zwischen den frühen schottischen Formen und klassischem Gälisch begonnen. 366 Bezüglich der Geschichte des schottischen Gälisch wurde noch nicht sonderlich viel Arbeit investiert. Immerhin blieb aber die Beziehung zwischen Nordirisch und schottischem Gälisch ein oft diskutiertes Thema. Auch der Kontakt zu anderen Sprachen stieß auf Interesse, beispielsweise gälische Wörter mit lateinischem Ursprung, Lehnwörter, die auch im Irischen auftreten (hauptsächlich in religiösen Domänen), nordische Wörter (im Stammvokabular und Ähnlichkeiten im lautlichen System) und die wenigen Entlehnungen von gälischen Nachbarn wie dem Schottischen, Piktischen und Cumbrischen; ferner auch der bretonische Einfluß. Soziale Dimensionen, wie etwa die Geschichte des Gälischen in Schottland und dessen Verhältnis zum Bildungswesen und anderen Institutionen wurden ebenfalls eingehender betrachtet. Die Nachfrage nach pädagogischem Sprachmaterial für den Schulgebrauch, vor allem für jüngere Kinder, nahm in beträchtlicher Wiese zu und wurde schließlich nicht nur für Lernende der gälischen Sprache, sondern auch für diejenigen, die Gälisch bereits als ihre Muttersprache gelernt haben, erhältlich. Trotzdem besteht immer noch ein großer Mangel an Lehrmaterial. Erstens sind die Kurse nicht auf einen bestimmten Lerntypus zugeschnitten, zweitens fehlt noch immer eine gute Grammatik als Referenz und drittens gibt es auch nicht genügend Material für höhere, fortgeschrittene Lernstufen. Auch für die gälische Sprache setzen sich mehrere Organisationen ein. Die älteste und produktivste ist die Gaelic Society of Inverness, welche bereits 1871 gegründet wurde. Diese hat 1979 das 50 Bände umfassende Transactions publiziert, in dem viele Aufsätze über Forschungen, die das Gälische betreffen, enthalten sind. Die wichtigsten stammen wohl von der 365 Vgl.: EBENDA, S.120ff. Hierbei geht man davon aus, daß Ersteres, schottisches Gälisch, vom Letztgenannten abstammt. 366 217 Scottish Gaelic Text Society. An Comunn Gaidgealach (The Highland Association) wurde 1891 gegründet und blieb bis zur Formation von Comunn na Gàidhlig (1984) die Organisation mit den weitestgesteckten Zielen, was die Propaganda der gälischen Sprache betrifft. Die beiden letztgenannten Einrichtungen veranstalten einmal im Jahr das National Mod, ein Festival nach Modell des Welsh Eisteddfod, auf Musik, Redevorträgen und Schreibwettbewerben basierend. Comun Luchd Ionnsachaidh (The Gaelic Learner´s Association) wurde ebenfalls im Jahre 1984 gegründet und versucht die Bedürfnisse der Erwachsenen, die Gälisch lernen wollen, zu befriedigen. Comhairle nan Sgoiltean Araich (The Gaelic Preschool Council) behauptet von sich selbst, die wichtigste dieser neuen Organisationen zu sein, da sie die Funktion erfüllt, sicher zu stellen, daß es auch in Zukunft Generationen geben wird, die Gälisch sprechen. Schon in ihrem ersten Jahr stellte die CnSA über 140 Lerngruppen mit 2.400 Kindern zusammen. Diese Zahlen wachsen beständig. 367 Bisher besteht - abgesehen von den bereits genannten Einschätzungen noch eine Forschungslücke, was das Gälische in den Medien, in der Kirche oder Ähnlichem betrifft. Es gibt weder ein Komitee, was über den gälischen Lehrplan mitbestimmt, noch ein Gaelic Language Institute, welches dem Irish Linguistic Institute in Dublin entspräche. Daher bleibt auf ein Äquivalent mit ähnlichem Erfolg, situiert in Schottland, zu hoffen. 8.2.2. Irisch In seiner Arbeit Actor´s Encyclopedia of Dialects betont D.H. Molin, daß die Bezeichnungen Schottisch und Irisch einst die gleiche Sprache meinten, nachdem die Schotten von Irland zur britischen Insel hinübergekommen waren. Sie vermischten sich mit den Kelten (Pikten und Bretonen). 368 367 Auskunft über gälische Organisationen: MACLEOD, I.(The European Bureau for Lesser Used Languages). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 368 Vgl.: MOLIN, D.H.: Actor´s Encyclopedia of Dialects. a.a.O. 218 Trotz dieser klaren Unterscheidung zwischen der Sprache in Irland und der in Schottland laufen viele ausländische Besucher Gefahr, Irisch und Schottisch zu verwechseln. Da eine weitergehende und tiefgreifendere Studie den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, werden im Folgenden die drei Hauptunterschiede zwischen der schottischen und der irischen Sprache genannt:369 1) Das stärker gerollte „r“ (Scottish burr) im Schottischen; 2) der Gebrauch des glottal stop im Schottischen; 3) die allgemein „breitere“ Aussprache in Scots, da dort die Vokale weniger verkürzt ausgesprochen werden. 8.3. Parallelen zu der Scots-StE-Dualität außerhalb Großbritanniens Auch in diesem Kontext wird wieder klar ersichtlich, daß zwei verschiedene Sprachen zwar gegenseitig verstehbar sind, doch nur als verschiedene Sprachen akzeptiert werden, wenn es auch eine politische Grenze gibt, die diese Begrenzung bestätigt. Wie in Kapitel 4.1. schon angemerkt, machte Kay hierzu die treffende Aussage: „...one nation´s language is another´s corrupt dialect if a political border happens to be drawn in the wrong place.“370 Parallelen zu der Dualität von Englisch und Scots findet man in vielen europäischen Ländern. Die linguistischen Grenzen in Europa sind älter als die politischen. Politische Grenzen sind jedoch leicht verschiebbar, wie einige radikale Veränderungen gerade in diesem Jahrhundert, in dem es zwei Weltkriege gegeben hat, bewiesen haben. The word language is frequently associated with the speech of a sovereign national state, while the word dialect is associated with a regional variation of the national language. […] The prestige of dialects has always been determined by political status - and historical accident. The connection between language survival and political power is seen clearly when you examine the fate of the languages of 369 370 Vgl.: EBENDA, S.143 KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.141 219 the great nation states, which happen to find themselves separated from the fatherland which nurtures them. 371 8.3.1. Die skandinavischen Sprachen Die skandinavischen Sprachen sind das beste Beispiel für dieses Phänomen. Norwegisch, Dänisch und Schwedisch sind einander so verwandt, daß die Verwender dieser Sprachen sich ohne ernsthafte Schwierigkeiten verständigen können, doch sie werden als unterscheidbare Sprachen akzeptiert, da sie unter verschiedenen Flaggen gesprochen werden. Niemand würde offizielles Norwegisch, welches sehr eng mit dem Dänischen zusammenhängt, eine nationale Varietät des Dänischen ne nnen. Während seiner langen Geschichte in Norwegen hat sich die Situation der Variante Bokmal (dieser Name wurde der Dano-Norwegischen Varietät in Norwegen gegeben) der des SSE mehr und mehr angeglichen. Während der Zeit der Reformation hat das Norwegische seinen geschriebenen Standard durch das Aufzwingen der dänischen Sprache unter der dänischen Herrschaft mehr und mehr verloren. Die dänische Bibelübersetzung wurde in norwegischen Kirchen eingeführt, da es keine norwegische Version gab. Nach dieser Zeitspanne wurde das Norwegische dem Dänischen im mer ähnlicher. Als Norwegen im Jahre 1814 die Unabhängigkeit von Dänemark zurückgewann, war diese Varietät bereits zur ungefragten Standardsprache in Norwegen geworden. Bokmal (= Buchsprache) wurde die Sprache der Elite und der Städte, während die Bevölkerung der ländlichen Gegenden an ihren traditionellen norwegischen Dialekten festhielten. Durch Sprachplanung hat Ivar Aasen es schließlich geschafft, eine alternative Nationalsprache, Landsmal (auch Nynorsk (= Neues Norwegisch) genannt), zu erschaffen. Sie basiert auf den verschiedenen norwegischen Dialekten, die dem Altnorwegischen entstammen (während die durch das Dänische beeinflußte Variante Riksmal genannt wird). Seine erste Grammatik erschien im Jahre 1848 und wurde in geänderter Auflage 1864 als standardisierte Grammatik anerkannt. Seit 1885 genießt Ny- norsk/Landsmal offiziellen Status neben Bokmal/Riksmal; gesprochen 371 EBENDA, S.148 220 wird es hauptsächlich im Westen. Trotzdem blieb das Prestige Bokmals im Osten und in den Städten unangetastet. Jede Region in Norwegen kann selbst entscheiden, welche Varietät als erste Sprache in den Schulen gelehrt wird. Die andere Sprache wird dann erst als Zweitsprache in den letzten beiden Jahren der Mittelstufe gelehrt. Textbücher müssen in beiden Sprachen vorhanden sein, und Schüler und Studenten können bei den Prüfungen die Prüfungsfragen in der Sprache verlangen, die sie persönlich bevorzugen. 372 Kay ist der Meinung, daß Scots in ähnlicher Weise wiederbelebt werden könne wie Landsmal, wenn der Wille hierzu bestünde. Dies wäre nicht nur für die zu belebende Sprache, sondern auch für die dominante Sprache nützlich. Er zeigt ferner auf, daß nicht zwingend eine Spannung zwischen lokaler, nationaler und internationaler Sprache bestehen muß. 373 Doch meines Erachtens kann man zwischen der Erschaffung von Landsmal und der Wiederbelebung von Scots nicht ohne weiteres Parallelen ziehen. Scots muß nicht erst aus historischen Wurzeln zu einer neuen Sprache erschaffen werden, es ist schon da, verändert sich und wird sich mit Sicherheit auch in Zukunft noch weiter verändern. Durch die Massenmedien und steigende Mobilität sowie Kontakt zu anderen Sprachen und Kulturen wird es in einer Sprache immer Mischformen geben. Homogenität und die Rekreation einer scheinbaren Authentizität dürften für den Erhalt einer lebenden Sprache nicht vonnöten sein. Allerdings kann Schottland aus dem norwegischen Beispiel eine Lektion lernen: Zwei Sprachen können alternativ nebeneinander bestehen, ohne sich gegenseitig zu behindern oder ausstechen zu wollen. 8.3.2. Die iberischen Sprachen 372 Vgl.: LORVIK, M.: The Scottis Lass Betrayed ? a.a.O., S.15f. 373 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.153f. 221 Auch das Portugiesische ist so eng verwandt mit dem Spanischen, daß das Kastilische leicht verstanden werden kann. 374 Das Katalanische wird zwar in Spanien als Dialekt betrachtet, in dem kleinen Staat Andorra aber ist es eine selbständige Sprache mit eigener Literatur. Der spanische Staat hat das Galizische und Katalanische lange als minderwertige Dialekte betrachtet. Mit der politischen Unabhängigkeit Galiziens und Katalaniens wurden beide Sprachen nunmehr „normalisiert“. 375 Solch ein Normalisierungsprozeß passiert natürlich nicht von heute auf morgen. In Katalanien dauerte er 14 Jahre an. Kay sieht hier ganz deutliche Parallelen zu Scots. Das Katalanische wurde einst verboten, stattdessen wurde der Bevölkerung in Schule und Kirche das Kastilianische aufgezwungen. Wie Scots hat es literarische und kulturelle Wiederbelebungsversuche hinter sich, die zum Teil von der spanischen Regierung im Keim erstickt wurden. Die Katalanen haben ihre eigenen Fernsehprogramme und ihre eigene Kultur - obwohl die spanische Regierung bis vor ca. 30 Jahren die bloße Existenz dieser Sprache noch bestritten hat. Die Sprache Galiziens trumpfte zwar in ähnlichem Maße auf, doch waren auch diese Sprachverwender große Künstler im code-switching. Sie änderten ihre Sprache in kastilisches Spanisch um, sobald sie in die Stadt kamen. 8.3.3. Varianten des Niederländischen Die niederländisch sprechenden Belgier bevorzugen den Namen Flämisch für ihre Sprache, um nicht den Anschein zu erwecken, sie sprächen eine Sprache, die nicht ihrem Lande eigen wäre, obwohl ihre Sprache tatsächlich näher am Niederländischen der Niederlande als am „echten“ Flämischen anzusiedeln ist. Afrikaans hat sich in Südafrika gleichwohl als eigenständige Sprache behauptet, obgleich es sich hier um eine weitere Variante des Niederländischen handelt. 8.3.4. Scots im Vergleich zu Niederdeutsch 374 Vgl.: McCLURE.: Why Scots matters. a.a.O., S.27ff. 222 M. Görlach betrachtet den Status und die soziale Geschichte des Niederdeutschen, welches ja einst eine „korrekte“ Sprache gewesen ist, und später - wie Scots - in ihrem Ansehen abgewertet wurde, als eine unverkennbare Parallele zum Schottischen. 376 In seiner Arbeit stellt er die Unterschiede und die Ähnlichkeiten zwischen diesen beiden Sprachen heraus. Frühe Unterschiede können seiner Meinung nach bis zum Mittelalter und der frühen Renaissance zurückverfolgt werden. Hochdeutsch beeinflußte Niederdeutsch in linguistischer Hinsicht schon seit dem 9. Jahrhundert. Dies mag eine Folge der Eroberung und der Bekehrung zum Christentum sein, gefolgt von der Einmischung der Sachsen in die Politik des Deutschen Reiches während des 10. und 11. Jahrhunderts. Mit den Autoren, die den Minnesang (welcher unter die mittelhochdeutsche Dichtung fällt) imitierten, rückte Niederdeutsch näher an den Mittelhochdeutsch-Typus heran, behielt jedoch seine strukturelle Verschiedenheit und seine regionale und soziale Verteilung. Das Kulturgefälle war in Deutschland früher zu verzeichnen als in Großbritannien. Ein anderer Punkt ist, daß Older Scots eine standardisierte Form vom nördlichen Mittelenglisch ist - eine Sprachvarietät, welche nicht nur in Schottland weit verbreitet war, sondern auch in anderen Gegenden - während „the Low German area, by contrast, is defined not as a political entity, but purely on linguistic grounds.“377 Niederdeutsch als eine multizentrale Varietät steht auch deswegen in Kontrast zu Scots, weil letzteres - nach Görlach - nur die Lothians als Zentrum hat. Niederdeutsch ist international, doch Scots nur national und wurde immer mit der gälischsprechenden Bevölkerung, die im Hochland lebte, assoziiert. 378 Desweiteren führt Görlach die starke literarische Tradition von Scots an (besonders in der frühen Renaissance von 1480 bis 375 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O., S.11. Für weitere Ausführungen über das Katalanische siehe auch S.144ff. 376 Vgl.: GÖRLACH, M.: Scots and Low German - the social history of two minority languages. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.19-36 377 EBENDA, S.21 378 Dies ist meines Erachtens zweifelhaft, da Scots ja gemeinhin als „die Sprache des Tieflandes“ bezeichnet wird, während man zur Sprache im Hochland, welche das Gälische heute ersetzt, auch „Hochlandenglisch“ sagt. Hierzu vgl. auch Kapitel 2. 223 1520), welche in diesem Ausmaß im Niederdeutschen nicht zu finden ist. Die schottischen Autoren schrieben oft in einer gemischten Sprache, welche Entlehnungen von Anglo-English aufwiesen. Norddeutsche Schriftsteller des 12. und 13. Jahrhunderts hingegen schrieben ihre Werke auf Hochdeutsch. Der wichtigste Unterschied zwischen den sprachlichen Entwicklungen der beiden Sprachen war jedoch, daß der lateinische und französische Einfluß auf das Niederdeutsche im 16. Jahrhundert kaum ins Gewicht fällt. Die Tatsache, daß keine schottische Bibel vorhanden war, welches ja oft als einer der Gründe dafür, daß Scots es nicht zum Status einer Nationalsprache gebracht hat, angesehen wird, läßt Vergleiche mit der religiösen Literatur im Niederdeutschen nicht zu. Hier war diese nämlich von großer Bedeutung: eine Fülle religiöser Texte im 16. Jahrhundert war in niederdeutscher Sprache erhältlich, darunter verschiedene Bibelversionen, Psalmbücher und andere, hauptsächlich aus dem Hochdeutschen übersetzt. Nachdem das Predigen in hochdeutscher Sprache dann populär geworden war, glich sich die Situation in Deutschland auch in dieser Hinsicht mehr und mehr der in Schottland an. Was die Politik angeht, so kann man in der Geschichte des Niederdeutschen keinen solch großen Einschnitt verzeichnen wie im Schottischen (der Umzug Jakobs VI. von Edinburgh nach London). Die politische Union zwischen Niederdeutsch und Hochdeutsch vollzog sich erst im 19. Jahrhundert. Seit dem 18. Jahrhundert wurden die Ähnlichkeiten zwischen Scots und Niederdeutsch größer, bis schließlich im 20. Jahrhundert abermals Unterschiede auftraten. Die niederdeutsche Gegend hatte eine Menge Druckerpressen, beispielsweise in Dortmund, Danzig und Hamburg, doch die einzige Druckerei von Schottland blieb zunächst die in Edinburgh. Im 16. Jahrhundert gab es in beiden Sprachen die verschiedensten Textsorten. Doch einmal abgesehen von Lindsays Ane Satyre of the Thrie Estaitis379 besaß Scots keine dramatische Dichtung. Dafür gab es aber um 379 LYNDSAY (=LINDSAY), D.: Ane Pleasant Satyre of the Thrie Estaitis,, uraufgeführt 1540 in Linlithgow, erschienen in: KENP, R. (Hrsg.): The Satire of the Three Estates. London 1951; KINSLEY, J. (Hrsg.): Ane Satyre of the Thrie Estaitis. 224 1500 eine Dichterschule ohne vergleichbares Äquivalent in England. Chaucer wurde von zahlreichen Schotten imitiert, die zusätzlich Lehnwörter aus dem Lateinischen, Französischen oder Englischen verwendeten. Die Literatur des Niederdeutschen blieb begrenzter als die des Hochdeutschen, da Handlungskorrespondenz und die Gesetze hier als restringierende Faktoren einwirkten. Nach der schottisch-englischen Union of Parliaments machte sich auch in der schottischen Kultur augustäischer Einfluß bemerkbar. Die heutige Situation läßt, laut Görlach, 380 eher niederdeutsche Literatur als selbige in Scots erkennen. Allerdings war die niederdeutsche Literatur niemals fähig, einen entsprechenden Status außerhalb der niederdeutschen Gemeinschaft zu erreichen. Scots hingegen schaffte dies schon. Als hauptsächliche soziolinguistische Ursache für den abnehmenden Status von Scots nennt Görlach die Abwesenheit eines linguistischen Nationalismus vor 1603. 381 Die Gründe für den abnehmenden Status des Niederdeutschen scheinen komplexer zu sein. Die wachsende Macht der Feudalherren, die zunehmende ökonomische Wichtigkeit der Zentren des Hochdeutschen und das humanistische Lernen werden hier aufgezählt. Es kann in linguistischer Hinsicht, so Görlach, vielleicht die gleiche Distanz zwischen Scots und StE verzeichnet werden, die auch zwischen Hoch- und Niederdeutsch besteht. H. Meier ist jedoch der Ansicht, der Schritt von Niederdeutsch zu Hochdeutsch wäre zweifellos größer als der von Scots zu Englisch. 382 Immerhin bleibt die Verständlichkeit von Scots für Unkundige zweifelhaft. Als Gründe hierfür können phonologische und orthographische Unterschiede und unterschiedliche Verbformen aufgezeigt werden. Das -s war ein schottisches Merkmal für alle Personen in der Gegenwart, -it eines für Hilfsverben, -and für Partizipien und -ing für das London 1954; McDIARMID, M.P. (Hrsg.): A Satire of the Three Estates. London 1967 380 Vgl. GÖRLACH, M.: Scots and Low German - the social history of two minority languages. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.22 381 Vgl. EBENDA, S.22 382 Vgl.: MEIER, H.: Scots is not alone: The Swiss and Low German Analogues. In: McCLURE, J.D.(Hrsg.): Essays on the language and literature of medieval and Renaissance Scotland. Aberdeen 1989, S.206 225 Gerundium. Die Lexis der Texte, die im 16. Jahrhundert in Schottland geschrieben worden sind, beweisen, daß Scots eine große Dichte aufweisen kann, auch wenn es die Entscheidung des individuellen Autors blieb, ob die Unterschiede oder die Verwandtschaft zwischen Scots und StE betont werden sollten. Scots zeigte demnach in jeglicher Hinsicht Unterschiede zu StE. Diese Aussage würde auch auf die Beziehung zwischen Hoch- und Niederdeutsch zutreffen. Görlach faßt seine Arbeit zusammen, indem er folgert: […] the failure of Scots to develop into a modern national language cannot, therefore be explained, by its abstand- such developments can never be sufficiently accounted for on purely linguistic grounds. 383 Generell bleibt wohl zu sagen, daß die geschichtliche Entwicklung von sowohl Niederdeutsch als auch Scots ziemlich unterschiedlich begonnen hat, sie sich aber seit dem 18. Jahrhundert, als beide in ihrem Status abgewertet worden sind, einander angeglichen haben. Scots hat zwar in mancher Hinsicht besser abgeschnitten als Niederdeutsch - wenn man einmal an die bekannten Schriftsteller wie Burns und Scott denkt, die Scots auch über die Grenzen Schottlands hinaus bekannt gemacht haben - doch es bleibt bemerkenswert, daß die Verwender des Niederdeutschen sich nicht schämen, ihre Sprache in der Öffentlichkeit zu benutzen. Es ist sogar üblich in der Kirche. Die Deutschen haben diesen starken Dialekt nie als in Opposition zu dem nationalen Standard stehend angesehen. 384 All diese Vergleiche zeigen, daß die Situation Schottlands keineswegs einzigartig in Europa ist. Festzuhalten wäre: Portugiese sein ist nicht gleich Spanier, genauso wenig ist Schotte und Engländer sein das gleiche. In Norwegen hat man es ge383 GÖRLACH, M.: Scots and Low German - the social history of two minority languages. In: GÖRLACH, M.(Hrsg.): Focus on Scotland. a.a.O., S.30. Abstand und Ausbau sind von einander unabhängige Kategorien, obwohl extreme Fälle von Abstand die Tendenzen des Ausbaus unterstützen können. Für ausführlichere Erläuterung siehe KLOSS, H.: Die Entwicklung neuer germanischer Kultursprachen seit 1800. a.a.O. 226 schafft, zwei Sprachen gleichwertig nebeneinander zu stellen. Schottland könnte diesem Beispiel folgen. 9. Eine Zukunft für Scots ? ( Zusammenfassung und Ausblick) Es herrscht der Glauben, es gäbe weder für Scots noch für schottisches Gälisch eine Zukunft. Es wird sogar behauptet, daß beide Sprachen bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts ausgestorben sein werden. Diese Frage kann man nun mit Rückblick auf die bisher dargelegten Punkte zu beantworten versuchen. Es ist bedauernswert genug, daß der Gebrauch von Scots in jeder Hinsicht abgenommen hat. Eine zu lange Zeit wurde es von der Kirche, Schulen und den Massenmedien ferngehalten, so daß es heute nicht mehr als eine eigenständige Sprache, sondern als ein bloßer Akzent StEs angesehen wird. Daher ist es fraglich, ob das Schottische im nächsten Jahrhundert noch unterscheidbar Schottisch (das heißt, als typisch Schottisch erkennbar) bleiben wird. Unsere Aufgabe ist nun, ernsthaft daran zu arbeiten, ob es eine Zukunft für Scots und Gälisch geben wird, und wie diese auszusehen hat. Diese Arbeit hatte zum Ziel, den Lesern zu erläutern, daß Scots eine von StE abzugrenzende, eigenständige Sprache ist. Als eine solche muß sie auch für wichtig erachtet werden. Es wurde aufgezeigt, daß Unterschiede bei den Vokalen, Konsonanten, Grammatik und Syntax, Vokabular und Idiomen bestehen. Auch Standard English (StE) hat in Schottland einen anderen Akzent und wird daher Scottish Standard English (SSE) genannt. Um die Eigenständigkeit und das Überleben der Sprache zu sichern, ist die Standardisierung des Schottischen als eine weitere notwendige Reform unumgänglich. Ist diese einmal (annähernd) vollzogen, fällt es sicherlich 384 Vgl.: KAY, B.: Scots - The Mither Tongue. a.a.O. S.151f. 227 auch den Lehrenden leichter, Scots als eigenständige Sprache zu definieren und auch zu lehren. Scots stammt nicht von Englisch ab, sondern entwickelte sich unabhängig. Daher ist es kein minderwertiger Dialekt, sondern eine eigene Sprache. Sie ist eine wichtiger Bestandteil der schottischen Identität, und ihre vielleicht bevorstehende Auslöschung ist ein ernstes nationales Problem. Daher muß der Status und das Prestige des Schottischen erhöht werden. Der gege nwärtige Zustand der einstigen Staatssprache Schottlands ist die direkte Konsequenz des Kontrollenverlustes der schottischen Bevölkerung über ihre eigene Bestimmung. Die vorwiegend politisch interessierten Literaten der Schottischen Renaissance des 20. Jahrhunderts (SR) wollten den Status von Scots aufwerten. Sie erkannten den Zusammenhang zwischen politischem und sprachlichem Nationalismus. Die SR hat uns somit gezeigt, daß tatsächlich das Bedürfnis nach einer schottischen Sprache und Literatur vorhanden ist. Hat man dieses Verlangen einmal erkannt, muß auch dementsprechend gehandelt werden. Forschungseinrichtungen müssen betrieben und kosmopolitischere Weltanschauungen geschaffen werden, um das Schottische einen ihm gebührenden Platz einnehmen zu lassen. Unterschiede und Ähnlichkeiten, Standards, Varianten und Bipolarität aller Sprachen der englischsprechenden Welt müssen sorgfältig diskutiert werden - insbesondere amerikanisches und schottisches Englisch. Ein angebrachter Ort für solch eine Konferenz wäre Schottland, da diese Varietät des Englischen oft als sehr verwandt mit sowohl dem amerikanischen Englisch als auch StE angesehen wird. Betrachtet man Scots in seiner sozialen Einbettung, so besteht die Behauptung, es existiere ein „Good“ und ein „Bad“ Scots. Die Schotten verändern ihre Sprechgewohnheiten, je nachdem, in welcher Situation sie mit welchen Dialogpartner kommunizieren (code-switching). Doch es bleibt fragwürdig, ob es das sogenannte „Good“ und „Bad“ Scots überhaupt gibt, da ein starker sozialer Druck zur Norm des StE besteht, so daß „Bad 228 Scots“ wohl keine Variante von „Good Scots“, sondern womöglich von „gutem“ Englisch sein müßte. Die Schotten haben die Stigmatisierung ihrer eigenen Sprache dermaßen in ihr Selbstbild aufgenommen, daß sie das code-switching anwenden, weil sie Scots für nicht angemessen halten. Good oder Ideal Scots wird wohl tatsächlich, wie von ihrer soziolinguistischen Geschichte und Umständen her anzunehmen, aussterben. Obwohl Scots und Bad Scots385 mit vielen Vorurteilen beladen und als nicht sozial haltbar betrachtet worden sind, ist ein bevorstehendes Aussterben gerade dieser Varianten nicht zu befürchten - sie sind sehr vital und finden als Kommunikationsmittel und in der Literatur Verwendung. Scots konnte seinen Status nach der Union mit England hauptsächlich deswegen nicht halten, weil es an Nationalismus fehlte. Die Autonomie Schottlands soll heute mitunter durch die Aufwertung von Scots vonstatten gehen, da nach Meinung vieler Patrioten das eine das andere bedingt. Die beiden Revolutionen sind zwar auch unabhängig voneinander erreic hbar, stehen aber in enger Beziehung zueinander. Nicht auszuschließen ist auch, daß manche Autoren die schottische Sprache dazu benutzen, ihre politischen Intentionen auszudrücken. Die verschiedensten Organisationen, die sich für den Erhalt von Scots, besonders in der Literatur und im Schulunterricht, einsetzen, sind auf dem Vormarsch. Es gibt Wörterbücher, welche sich auf Scots als Sprache beziehen und für den Gebrauch an Schulen eingesetzt werden können. Die Massenmedien sind ebenfalls sehr einflußreich, da sie zur Meinungsbildung beitragen. Sie lassen gleichwohl ein gesteigertes Interesse an Scots erkennen. Ständige Zunahme von schottischen Sendungen (ähnlich wie es beim Gälischen der Fall war) ist notwendig, um den Status von Minoritätensprachen zu manifestieren. Die Position einer Sprache muß zunächst gesichert, dann forciert werden. Diese Forcierung kann wahrscheinlich ohne Mithilfe des Fernsehens, des Radios und der Presse nicht 385 Der Begriff wird hier, trotz seiner umstrittenen Existenz, aufgegriffen, da er von EBENDA, S. 109, in diesem Kontext verwendet wurde. 229 vonstatten gehen. Bilinguale Magazine von Scots und Gälisch wären wünschenswert; auch auf diesem Sektor besteht eine wachsende Anzahl. Die Medien müssen das Schottische als eine Sprache darstellen, welche von der Mehrheit der schottischen Einwohner verstanden werden kann und daher auch als Kommunikationsmittel ihren Zweck erfüllt. Will man die „Reformation“ konsequent angehen, müßten auch die bereits anglisierten Ortsbezeichnungen rückgängig gemacht werden, da auch diese einen Teil des schottischen Nationalerbes darstellen. Der Tod des Schottischen wird schon seit über 200 Jahren vorausgesagt ohne jemals wirklich einzutreffen. 386 Dadurch daß Scots in den Schulen verboten, in anderen Sphären vernachlässigt und darüber hinaus auch noch sozial stigmatisiert worden ist, hatte das Schottische schon immer den Anklang „nicht salonfähig“ zu sein. Kinder bekamen diese Einstellung von ihren Eltern und Lehrern zu spüren. Und doch - die schottische Sprache hat es bisher geschafft, immer wieder neue Höhepunkte zu erreichen. Mit der heutigen neu definierten Einstellung zu Minoritätensprachen387 kann dieser lang erkämpfte Platz weiterhin eingenommen (oder sogar verstärkt) werden. Allen Unkenrufen zum Trotz stimmen aber McClure, Kay, Aitken und viele andere darin überein, daß Scots unter den richtigen Umständen in der Tat noch einmal eine Vollsprache werden könne. 388 Sie glauben an die Wichtigkeit des Bildungssystems, welches unter anderem dazu beitragen könne, Scots einen besseren Status zu verleihen, doch differieren ihre Meinungen hinsichtlich des letztendlichen Zieles dieses Aufschwungs, das heißt, ob es überhaupt sinnvoll und wünschenswert wäre, Scots als allgemeine Sprache wieder einzuführen. 386 Vgl.: Scotland - a linguistic double helix. European Bureau for Lesser Used Languages. Edinburgh 1995, S.40 387 Inzwischen ist Scots von der EU als Minoritätensprache anerkannt worden (Auskunft durch MURDOCH, S., Aberdeen University Scots Leid Quorum) und findet (neben schottischem Gälisch) Beachtung in: Scotland - a linguistic double helix. European Bureau for Lesser Used Languages. Edinburgh 1995 388 Vgl.: LORVIK, M.: The Scottish Lass Betrayed ? a.a.O., S.7 230 Wie es auch sei, das Lehren von Scots im Klassenzimmer, früher vehement verboten, wird inzwischen mit neuen Lehrmaterialien propagiert. Schulen sind grundlegend konservative Organisationen und gerade die schottischen Schulen haben die linguistischen Werte der Mittelklasse an die Zöglinge weitergegeben und, weniger erfolgreich, wollten diese Werte auch den Kindern der Arbeiterklasse vermitteln. Die Lehrer wollten die Schüler auf die Außenwelt, in der ja kein Scots, sondern „korrektes“ Englisch gesprochen wird, vorbereiten. Doch nun haben auch die Schulen die zunehmende linguistische Diversität in Augenschein genommen - „more languages are spoken in Scotland than in any previous time.“389 Gängige Unterrichtsmaterialien für schottische Schüler wurden in dieser Arbeit vorgestellt und weitere für schottische als auch für deutsche Schüler (und Studenten) vorgeschlagen. Arbeitsvorschläge zu der sozialen Komponente von Scots, zur Grammatik, zur Textanalyse und zu speziellen Dialekten wurden unterbreitet. Nicht nur das Lehren des Schottischen an Schulen, sondern auch an Hochschulen muß Beachtung finden - schließlich soll die schottische Sprache nicht nur im öffentlichen Leben (hierin sind die Gerichtshöfe als ein wertvoller Bestandteil des schottischen Erbes mit eingeschlossen) anerkannt werden, sondern auch einen wesentlichen Bestandteil der Lehrpläne an Schulen und Hochschulen darstellen. Universitäten sollten ein vom English Department abgegrenztes Department of Scottish einführen - was ja an der University of Glasgow bereits gelungen ist. Hierbei müßte gleichwohl beachtet werden, daß das Schottische (wie bereits angeführt) als ein separates linguistisches System mit einer eigenen Grammatik, Idiomen, Syntax und Orthographie betrachtet wird. Auch die Literatur muß in den Schulunterricht miteinbezogen werden. Anhand eines Fragebogens, welcher an 300 Glasgower Studenten verteilt wurde, kann man den Schluß ziehen, daß die schottischen Studenten durch ihre Sozialisation den niedrigen Status von Scots verinnerlicht haben, doch noch keine extremen Meinungen dazu gebildet haben. Ihre Antworten 389 McCLURE, J.D. Persönliche Korrespondenz mit der Verfasse- 231 lagen meist im ambivalenten Bereich; es gab wenig eigene Kommentare, obwohl die Gelegenheit hierzu bestanden hätte. Das Schulsystem kann in der Zukunft noch eine ganze Menge tun, denn es ist seine Aufgabe, der Öffentlichkeit bewußt zu machen, wie wichtig das Schottische gerade für die sich noch entwickelnden Kinder ist, und daß man keinesfalls den Gebrauch des Schottischen in Schulen verbieten darf. Dies würde wesentlich zur oben angesprochenen Meinungsbildung beitragen. Diese Arbeit zeigte ferner auf, inwiefern eine Veränderung der Darstellungsweise im schottischen Roman zu verzeichnen ist. Die Autoren sind heute mutiger als in früheren Zeiten, denn sie verwenden Scots in der schottischen Schreibweise und mit schottischer Grammatik. Manche schreiben den Roman vollständig auf Scots, während es andere auf Dialoge beschränken. Die heutigen Schriftsteller fürchten nicht mehr um ihre Autorität, wenn sie sich zur schottischen Sprache bekennen. Die Glasgow novel zeigt die spezifischen Lebensumstände und Sprache Glasgows auf. Vertreter hiervon wurden mitsamt Literaturvorschlägen genannt. Gleichwohl wurde auf die Wichtigkeit eines Nationaltheaters für Schottland hingewiesen. Auch eine solche Einrichtung würde dazu beitragen helfen, das Schottische nicht ganz in Vergessenheit geraten zu lassen und gewisse Standards zu setzen. Die verschiedenen Dialektregionen Schottlands beweisen, daß viele der schottischen Wörter bereits jetzt einer sozialen oder regionalen Limitierung unterliegen. Der schottische Wortschatz wird allerdings durch neue Wortschöpfungen mehr und mehr erweitert, obgleich viele dieser Neuschaffungen ihr Leben mehr oder weniger als „vulgarisms“390 beginnen. Die Ausdrücke multy (multi-storey-tenement), scheme (local authority housing estate), high-heid-yin (boss), henner (gymnastic feat), fantoosh (fancy), to miss oneself (to miss a treat), to be up to high doh (to be overrin 1996. 390 Vgl.: AITKEN, A.J.: Scottish accents and dialects. In: TRUDGILL, P.: Language in the British Isles. a.a.O., S.109 232 excited about something) sind beispielsweise im letzten Jahrhundert neu entstanden. Neologismen findet man noch nicht in den Wörterbüchern, und bevor sie nicht in eine Sprache fest eingebaut sind, wird man sie nicht hinzufügen. Der Autor eines Textes muß, um dem Leser die Bedeutung eines neuen oder in anderem Kontext verwendeten Wortes zu erklären, ein Glossar verwenden. Manche entwickeln auch Strategien, das schottische Vokabular zu erweitern. Sie kreieren neue Wörter durch Zusammensetzungen, figurative oder metaphorische Wörter, klangimitiernde oder auf anderen Sprachen basierende Ausdrücke. Die schottische Sprache kann sich, wie sich zeigt, den heutigen Bedürfnissen des modernen Zeitalters gut anpassen. Kay liefert einen Beweis dafür, daß die Sprache lebendig geblieben ist, indem er anführt, daß man sich auf Scots ebenso gut über aktuelle Themen wie Bankautomaten oder Safe Sex unterhalten kann. 391 Diese Sprache unterliegt Veränderungen, wie jede andere auch. Daher ist es ihren Verwendern auch möglich, für neue Entwicklungen neue Wörter zu erschaffen. Die Varianten des Schottischen innerhalb Großbritanniens sind ebenfalls thematisiert worden. Heute gibt es kein pures Schottisch mehr; es ist keine klare Grenze zwischen Scots, SSE und StE vorhanden, da alle Varianten des Schottischen schon zu sehr von der Anglisierung beeinflußt worden sind. Doch da man die Fülle der schottischen Literatur besitzt, gehört den Schotten gleichzeitig auch ein Instrument, um das schottische Vokabular und die Idiome neu zu erlernen bzw. um es der schottischen Bevölkerung sichtbar zu machen. Das triviale Argument, die Dichtung von Burns und McDiarmid sei unverständlich für heutige Leser, ist nicht haltbar, denn die Dichtung ist nur für diejenigen unverständlich, die ihre bzw. die Sprache, in der sie geschrieben wurde, nicht gelernt haben. Dies können unsere Zeitgenossen immerhin auch bei Shakespeare und älteren deutschen Dichtern nachvollziehen. Würde die schottische Sprache weiter propagiert und ältere Texte auch für den Schulgebrauch benutzt, blieben die schottischen Dichter nicht mehr länger unverständlich, sondern ihr Vokabular ginge in den Besitztum der Leser über. Es funktioniert meist nicht, eine 391 Vgl.: KAY, B.: Scots: The Mither Tongue. a.a.O., S.134 233 Sprache ganz einfach in eine andere zu übersetzen. In einer Übersetzung wird immer etwas verloren gehen, da verschiedene Konnotationen, die ein Wort vielleicht hat, nicht in einer anderen Sprache vorhanden sein können oder aber keine exakte 1:1 - Entsprechung vorhanden ist. Der übersetzte Text ist vielleicht in einem anderen Kontext oder für eine andere Zielgruppe erstellt worden und kann daher fast nie mit dem Ausgangstext gleich gesetzt werden. Gerade durch Idiome oder bestimmte Wortverbindungen, die es in einer anderen Sprache nicht gibt, wird einem (literarischen) Text sein spezieller Charakter verliehen. Jede Sprache ist „a window to the world“. 392 Als weitere Minoritätensprachen, welche in Großbritannien existent sind, wurde auf schottisches Gälisch und Irisch näher eingegangen. Um das schottische Gälisch als lebende Sprache zu erhalten, hat man wahrscheinlich auf den westlichen Inseln die größte Chance. Auch Walisisch kann man als eine Minoritätensprache Großbritanniens ansehen, doch würde eine weitergehende Analyse des Walisischen hier zu weit führen. Scots steht als eine in ihrem Status abgewertete Sprache nicht allein in Europa da. Andere Länder hatten ähnliche Probleme, die sie zum Teil auf verschiedene Art und Weise lösen konnten. Durch das Ziehen dieser Parallelen (diese Arbeit beschränkte sich in diesem Punkt auf die skandinavischen, iberischen, niederländischen und deutschen Varianten) kann man gegebenenfalls eine geeignete Lösung für das Überleben von Scots finden. Allerdings muß angemerkt werden, daß die sozialen Bedingungen, welche den Grundstein für die Entwicklung von Nynorsk und modernem Hebräisch setzten, in Schottland fehlen. Die schottische Öffentlichkeit ist unsicher im Umgang mit ihrer nationalen Sprache. 393 Die Frage, ob Scots als eigenständige Sprache überleben kann, ist sicherlich auch unter Berücksichtigung all dieser Punkte nur subjektiv zu beant392 Vgl.: EBENDA, S.188 234 worten und unterliegt bloßer Spekulation. Die Meinungen hierzu divergieren noch stärker als die zu der Eingangsfrage, ob Scots als eine eigenständige Sprache zu bezeic hnen ist. Kay beschreibt den momentanen Zustand der schottischen Sprache mit den Worten: Scots has long been a linguistic battlefield. For many folk the local dialect of Scots is literally the Mither Tongue, and is held dear as an integral part of their identity, even though they are conditioned to speak it only in certain social situations. 394 Unsere Zukunft wird gekennzeichnet sein durch weiter zunehmende Mobilität und Kontakte mit anderen Kulturkreisen, welche auch unsere Sprache beeinflussen. Broad Scots wird von äußeren Umständen beeinflußt und restringiert. Wenn diese Umstände sich verändern, kann sich die Sprache ebenfalls verändern. Wenn aber die (hier: schottischen) Sprecher zu ihrem eigenen Dialekt zurückkehren, ist es unwahrscheinlich, daß sie diesen Dialekt komplett wieder so aufnehmen, wie sie ihn ursprünglich gelernt haben, da sie nun durch diese äußeren Umstände beeinflußt worden sind. Der gesamte Kanon eines Dialektes wird demnach nicht auf die nächste Generation übertragen, wenn er von den Erwachsenen nicht vollständig benutzt wird. Die Anzahl der Gelegenheiten zum Gebrauch von Broad Scots (im Vergleich mit StE) ist so verringert worden, daß es nicht auszuschließen ist, daß StE mehr und mehr Broad Scots beeinflussen wird und letztendlich sogar ersetzen könnte. Die neu gebildeten Organisationen und der verstärkte Gebrauch von den lokalen Dialekten in der Schule versuchen, die Anzahl dieser Sprachgelegenheiten wieder zu vergrößern. Robertson drückt den momentanen Zustand des Schottischen so aus: 393 Vgl.: BAILEY, R.W.: Teaching in the Vernacular: Scotland, Schools and Linguistic Diversity. In: The Nuttis Schell. a.a.O., S.138 394 Vgl.: KAY, B.: Scots: The Mither Tongue. a.a.O., S.177 235 In the long war of the languages neither Scots nor Gaelic has been victors; only English has emerged triumphant and the other Scottish languages have been left perhaps fatally crippled. But they, along with Welsh and Irish and Gaelic, have at least survived; Cornish and Manx were wiped out. 395 Er ist sich trotz des bisherigen Überlebens von Scots nicht sicher, ob diese Sprache weiterhin eine Zukunft haben wird. Viel hängt vom Willen der Bevölkerung ab und wie alle Institutionen Schottlands antworten. Eine der Schlüsselfragen ist, wie sich wohl Englisch - vor allem amerikanisches Englisch - entwickeln wird, ob es weiter durch die Massenmedien, den Handel und den Informationsaustausch mit anderen Ländern verbreitet werden wird. Nicht nur Scots, sondern auch andere Sprachen würden dann hiervon beeinflußt werden. Im Japanischen wurden beispielsweise schon zahlreiche Ideogramme durch phonetisierte englische Wörter ersetzt. Robertson ist der Auffassung, daß auch ein reformiertes, scotophileres Bildungssystem nicht den Fortschritt oder das Aussterben der schottischen Sprache beeinflussen würde. Scots habe im Sprachgebrauch 60-70 % der schottischen Einwohner überlebt, obwohl es nicht vom Bildungssystem propagiert worden ist. Daher hat es den Anschein, daß die Kultur eines Landes nicht von Institutionen kontrolliert werden könne. Das Bildungssystem könne jedoch einen Trend schaffen, eine kulturelle Thematik aufgreifen und die Erfahrung der Heranwachsenden durch das Aufzeigen von Alternativen oder durch das Zurschaustellen der Thematiken bereichern. Similarly, the future place of English (or Englishes, because there are increasing numbers of dialect variants of English often, within their own countries, regarded as standards) in the community of the planet is ultimately unknowable. But if indigenous cultures and their languages (even German!) are to survive intact they must be che rished. English needs to be seen as visiting both potential destruction and renewal on those who use it, and admitting it into a culture in an unguarded fashion may mean the slow leaking away of an important past for the sake of an uncertain future. That was indeed the Scottish experience. 396 395 ROBERTSON, R. (SCCC). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 396 ROBERTSON, R. (SCCC). Persönliche Korrespondenz mit der Verfasserin 1996. 236 Aitken sieht die Zukunft von Scots eher pessimistisch. Er sieht es als unwahrscheinlich an, daß McClure und die - wie er sie nennt - „New Scots enthusiasts“397 die restliche, desinteressierte schottische Bevölkerung zu einer Wiederbelebung des Schottischen mitreißen können, denn sie erfordert drastische Veränderungen von linguistischen und literarischen Gewohnheiten und hätte tiefgreifende Konsequenzen für das Bildungswesen und die Medien. Er meint vielmehr, daß die schottische Sprache einer fortschreitenden Anglisierung entgegen blickt. Mit der jetzigen „Sterblichkeitsrate“ der schottischen Wörter könne gegen Ende des 20. Jahrhunderts das schottische Vokabular nicht mehr als ein solches angesehen werden. Mit jeder Generation nähme ein Drittel des noch bestehenden Vokabulars ab, da das Englische mehr und mehr übergreife. Höchstens eine Art von neuem SSE könnte für Schottland stabilisiert werden - eine neue Variante der englischen Sprache und Schrift, in der einige schottische Elemente als normal angesehen werden. R. W. Bailey erläutert Murisons pessimistischen Standpunkt: David Murison is among the most learned to present this view, and his conclusion is gloomy indeed: `the stark fact remains that the Scots language is in a bad state of decay and will assuredly pass into such a vestigial condition as to be virtually dead.´ 398 Elsewhere he declares that this form of Scots is so rapidly vanishing that `by the end of this country very little indeed will be left´. 399 If this estimate is correct, educational planners need hardly trouble themselves with Scots since the children now entering school will be leaving it just at the time this Ideal Scots has vanished from the linguistic scene. While this view is distinctly idealistic about language history, it is also - obviously - profoundly pessimistic. […] For educational pla nners, however, a language on the brink of extinction hardly merits their attention. 400 397 Vgl.: AITKEN, A.J.: Scots and English in Scotland. In: TRUDGILL, P. (Hrsg.): Language in the British Isles. a.a.O., S.531 398 MURISON, D.: The future of Scots. In: GLEN, D.: Whither Scotland ? A Prejudiced Look at the Future of a Nation. London 1971, S.171-86. Zitiert nach: BAILEY, R.W.: Teaching in the Vernacular: Scotland, Schools and Linguistic Diversity. In: The Nuttis Schell. a.a.O., S.137 399 MURISON, D.: The Guid Scots Tongue. a.a.O., zitiert nach: EBENDA, S.137 400 Vgl.: EBENDA, S.137 237 Diejenigen, die eine materialistische Sicht der Zukunft von Scots teilen, sehen ein, daß der Zustand der Sprache andere Veränderungen in der Lebensführung widerspiegelt. Der Verfall der lokalen Kulturen ist der Preis, den man für einen höheren Lebensstandard und eine Welt, die mehr und mehr zur Vereinigung neigt, bezahlen muß. Viele Leute sehen die Art, in der sich dieser Verfall vollzieht, kritisch und möchten ihn nicht als unve rmeidlich hinnehmen, wenn auch nur wenige seine Existenz gänzlich bestreiten würden. Die idealistische Sichtweise, wie z.B. Kay sie kundtut, setzt voraus, daß es die Verantwortung aller Bürger und ihrer Nachkommen sowie der europäischen Kultur im allgemeinen sei, das nationale Erbe Schottlands einschließlich der Sprache - Lowland Scots - zu bewahren. Unstimmigkeiten herrschen noch bezüglich der Frage, ob Linguisten beim Planen der Sprache einschreiten sollten oder ob es Sache der Bürger ist, die eigene Sprache zu bewahren. Kay sieht es beispielsweise als Aufgabe der Medien, diesen Willen in den Köpfen der Bevölkerung entstehen zu lassen und zu fördern. Andere, wie McClure, sehen es als Verantwortung hauptsächlich der Lehrenden an. Festzuhalten bleibt, daß die Sprache in der Form, wie sie heute existiert, noch lehrwürdig und literarisch ist, obwohl sie sich von dem historischen und literarischen Ideal (z.B. der Makkars) entfernt hat. Doch diese Entfernung ist wohl bei jeder Sprache nicht zu vermeiden und man sieht gleichwohl an neuen sprachlichen Entwicklungen (siehe der Erfolg der Glasgow writers, in der die Sprache, vor allem ihren lokalen Dialekt, eine neue Verwendung findet) sowie am wiederentdeckten Interesse (siehe die Organisationen, die sich für den Erhalt von Scots einsetzen), daß diese Sprache noch lebt und es sich lohnt, für sie zu kämpfen. Da Sprache immer lokal und funktional eingebunden ist, kann man für die Zukunft als realistisches Ziel wohl lediglich Multilingualität anstreben. Natürlich sollten die schottischen Kinder und Jugendlichen innerhalb des Schulunterrichts auch ältere schottische Werke lesen, verstehen lernen und besprechen - wie es auch im Englischunterricht der Fall ist -, doch man 238 sollte nicht versuchen, das Schottisch der heutigen Sprachverwender in die Richtung eines historisch-literarischen Ideals lenken zu wollen. Dies würde höchstens auf Widerstand und Unverständnis stoßen und wäre sowohl politisch als auch ideologisch und moralisch ve rfehlt. For we hae faith in Scotland´s hidden poo´ers The present` s theirs but a the past and future´s oors. 401 10. Literaturverzeichnis 1. ABRAHAM, W.: Terminologie zur neueren Linguistik. Tübingen 1974 2. AITKEN, A.J./ McARTHUR, T.(Hrsg.): Languages of Scotland. Edinburgh 1979 3. AITKEN, A.J.: Is Scots a language ? In: English Today ET3, Juli 1985 4. BÄHR, D.: Standard Englisch und seine geographischen Varianten. München 1974 5. BBC (Hrsg.): Education, 5-14 Television, Radio and Resources for Scottish Schools 1996/97. Edinburgh 1996 6. DEVITT, A.J.: Standardizing written English - Diffusion in the case of Scotland 1520-1659. Cambridge 1989 401 Vgl.: KAY, B.: Scots: The Mither Tongue. a.a.O., S.189 239 7. DUNN, Douglas (Hrsg.): The Oxford Book of Scottish Short Stories. Oxford 1996 8. FICHTER, J.K.: Grundbegriffe der Soziologie. Wien, New York 1970 9. 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