Februar 2012 - Neue Zürcher Zeitung
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Februar 2012 - Neue Zürcher Zeitung
Nr. 2 | 26. Februar 2012 Karl May Bestsellerautor und Hochstapler | Annette Pehnt Chronik der Nähe | Jennifer Egan Der grössere Teil der Welt | Siddhartha Mukherjee Krebs - Der König aller Krankheiten | Tony Judt Das Chalet der Erinnerung | John Mearsheimer Lüge | Weitere Rezensionen zu Michael Ondaatje, Mitt Romney, Robert Harris, Dambisa Moyo u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0NTEyMwAAGT8Twg8AAAA=</wm> <wm>10CFWMsQ6EMAxDvyiV4yYNXMcTG2JA7F0QM_8_EW67wZL1_OR17V7wy3fZjmXvCpiLurEln70wWp_IAosOEoTyg8hZZ5_-fEnUKup4HQGFGAihZR8BHcr3IRkrrdzn9QCed1a6gAAAAA==</wm> Inhalt Mit der Silberbüchse unter der Bettdecke Schwarzblau schimmerndes Haar bis weit über die Schultern, Leggins und ein Jagdrock aus Elchleder, reichverzierte Mokassins: Das war Winnetou, der stolze, tapfere, schöne Krieger. Zusammen mit seinem Blutsbruder Old Shatterhand bildete der Apachenhäuptling ein unzertrennliches Gespann: der edle Wilde und der deutsche IchErzähler – vereint gegen die Feinde der Prärie und das Übel der Welt. Howgh! Fast ein Jahrhundert lang hat Karl May (1842–1912) das Bild des Wilden Westens und des Orients geprägt. Über 200 Millionen beträgt die Auflage seiner Abenteuerromane und Reiseerzählungen. In den Niederlanden, in Tschechien, Mexiko oder Vietnam sind seine Werke bis heute populär. Dass sie einst als jugendgefährdend galten, entlockt uns nur noch ein Lächeln. Wahr ist aber auch, dass viele von uns diese Bücher unter der Bettdecke verschlangen. Nicht wenige wurden zu süchtigen Lesern, bei andern legten sie den Keim zur Neugier und zum Interesse am Fremden. Genau wie es Urs Bitterli in seinen launigen Erinnerungen beschreibt (Seite 12). Seit es «Bücher am Sonntag» gibt – seit Oktober 2007 –, finden Sie auf Seite 15 Charles Lewinskys Zitatenlese. Auch diesmal brillant und punktgenau. Nun ist die Sammlung seiner bisherigen 48 Kolumnen im Verlag NZZ Libro erschienen. Ein Objekt für Sammler, aber auch eine vergnügliche Lektüre für Neuleserinnen und -leser! Urs Rauber KarlMay (Seite12). Illustrationvon AndréCarrilho Belletristik KurzkritikenSachbuch 4 6 7 AnnettePehnt:ChronikderNähe 15 FelixMüller:DieKunstderKelten Von Gerhard Mack Lou-SaloméHeer:«DaswahreGeschlecht» 19 JohnJ.Mearsheimer:Lüge! RobertHarris:Angst HansPeterJost,ChristinaKleineidam: AlbaniainTransition1991 MichaelOndaatje:Katzentisch Von Martin Walder Von Angelika Overath Von Pia Horlacher Von Gerhard Mack Gelbbewegt.DieSchweizerischePost ab1960 Von Gabriela Weiss Von Alois Riklin Von Urs Rauber 20 ChristianHesse:AchtungDenkfalle! MarcusDuSautoy:Einemathematische MysteryTourdurchunserLeben AlexBellos:AleximWunderlandderZahlen ElisabethGusdekPetersen:DasistunserLand Von Kathrin Meier-Rust AugustFaselius:SprichwörterdesAltenRom Von Geneviève Lüscher Von André Behr 21 TonyJudt:DasChaletderErinnerung 8 JenniferEgan:DergrössereTeilderWelt Von Ina Boesch Von Simone von Büren Von Martin Zingg 22 SariNusseibeh:EinStaatfürPalästina? Von Stefana Sabin Von Kathrin Meier-Rust 23 ErikWegerhoff:DasKolosseum 9 FranzTumler:Volterra 10 SherwoodAnderson:Winesburg,Ohio 11 GüntherAnders:DieKirschenschlacht. DialogemitHannahArendt UrsRauber:Eufemia Von Charlotte Jacquemart Von Klara Obermüller MarkusMosimann,MarcLettau: DasHolzhausderZukunft Von Gabriela Weiss Von Geneviève Lüscher KurzkritikenBelletristik 24 ErnstvonWaldenfels:NikolaiRoerich 11 HansBender:AufmeineArt 25 DirkLaabs:DerdeutscheGoldrausch Von Fritz Trümpi TimButcher:AufderFährtedesTeufels Von Sabina Meier Von Manfred Papst TIM KNOX / EYEVINE / DUKAS MoriŌgai:DieWildgans Von Elfriede Ostermaier JürgLaederach:HarmfulsHölle Von Beni Bischof GiacomoCasanova:MeineFluchtausden BleikammernvonVenedig Von Manfred Papst Pulitzer-PreisträgerinJenniferEgan(Seite8). Essay 12 KarlMay,Schriftsteller Historiker Urs Bitterli erinnert sich an die Lektüre seiner Jugendromane Kolumne 15 CharlesLewinsky Das Zitat von Salman Rushdie Sachbuch 16 SiddharthaMukherjee:DerKönigaller Krankheiten Von Sieglinde Geisel 18 HenryA.Kissinger,FareedZakaria,Niall Ferguson,DavidDaokuiLi:WirdChinadas 21.Jahrhundertbeherrschen? Von Thomas Isler Von Christoph Plate 26 DambisaMoyo:DerUntergangdesWestens Von Urs Rauber DasamerikanischeBuch MichaelKranish,ScottHelman:TheReal Romney Von Andreas Mink Agenda 27 KarstenMüller:EmilNolde:Puppen,Masken undIdole Von Manfred Papst BestsellerFebruar2012 Belletristik und Sachbuch AgendaMärz2012 Veranstaltungshinweise Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) RedaktionUrs Rauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.) StändigeMitarbeitUrs Altermatt, Urs Bitterli, Andreas Isenschmid, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath, Stefan ZweifelProduktionEveline Roth, Hans Peter Hösli (Art-Director), Urs Schilliger (Bildredaktion), Felix Eberlein (Layout), Korrektorat St. Galler Tagblatt AG VerlagNZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich. Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E-Mail: [email protected] 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3 Belletristik Roman Wie Michael Ondaatje sich seine Schiffsreise als 11-Jähriger von Ceylon nach London erfindet Schicksalstage auf hoher See Michael Ondaatje: Katzentisch. Roman. Aus dem Englischen von Melanie Walz. Hanser, München 2012. 301 S., Fr. 27.90. Von Martin Walder Den Holzfäller aus dem weiten kanadischen Norden würde man ihm abnehmen. Er ist eher gedrungen, zurückhaltend, hat schräge graue Augen und einen wilden silbrigen Haarschopf mit Bart. Doch Michael Ondaatje ist holländischtamilisch-singhalesischer Abstammung «mit etwas englisch», kam jung von Ceylon nach London und lebt seit Mitte der sechziger Jahre in Toronto. Mit Margaret Atwood und Alice Munro zählt der 68-Jährige zu den bei uns bekanntesten kanadischen Autoren. Und wie um Himmels willen soll man seinen Namen nun aussprechen? «Ondaadschi», sagt er, darauf angesprochen, kurz und bündig; die Frage ist er gewohnt. Ondaadschi? «Ja, und das kam so: Meine Vorfahren stammen aus Indien. Um 1600 übernahmen die Holländer Ceylon. Die Tochter des Gouverneurs wurde krank, ein indischer Doktor heilte sie, bekam dafür auf der Insel Land – und eine holländische Frau. Als diese starb, heiratete er eine Ceylonesin, hatte mit ihr neun Kinder, blieb auf der Insel, und die Familie präsentierte sich als schöner mixed salad von Nationalitäten.» Der hollandisierte Name sei «eine Parodie auf die Herrschaftssprache», kommentiert der Autor in seinem Bericht «Es liegt in der Familie» von 1982, in dem er seinen Wurzeln in zwei Reisen nach Sri Lanka mit Lust nachforschte. Das musste er tun, «vorher hätte ich nicht über die kanadische Gegenwart schreiben können». International berühmt geworden ist Michael Ondaatje durch die Verfilmung seines Romans «Der englische Patient» (1992), und eigentlich ist das ungerecht. Sein Schreiben hätte den Film gar nicht nötig. Es ist selber schon üppiges Kino. Ist literarisches Lichtspiel von einer visuellen Präzision und metaphorischen Kraft, die süchtig machen. Seine Beleuchtung ist im Innern jenes fast ma4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 nisch beschworene chiaroscuro des Malers Caravaggio, der als Name einer Figur durch sein Werk geistert. Und sein Thema: nicht nur, aber immer wieder das über Ozeane und Kontinente geworfene und mäandernde Leben, die Migration und die Spuren und Narben, die sie hinterlässt. In «Der englische Patient» ist es der Krieg, der die Menschen versprengt und zu einer Familie von Fremdlingen und geheimen Liebenden zusammenwürfelt. Im Roman «In der Haut eines Löwen» (1987) wird das aufstrebende Toronto zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Schmelztiegel für Einwanderer aus aller Herren Ländern. Kartografie der Seele Und so hätten wir ihn denn in der multikulturellen Schublade patent versorgt? Das mag er nicht besonders: «Als Autor gehe ich von Individuen aus, von Figuren und wie wahrhaftig sie sind, nicht von Repräsentanten von etwas.» Gleichwohl ist Sri Lanka Ausgangspunkt für seine Reisen ins Fremde und Fluchtpunkt der Erinnerung zugleich geblieben. In «Anils Geist» (2000) ersparte uns Ondaatje auch nicht das schrecklich genaue, forensische Hinschauen auf die Exzesse des schlimmsten aller Kriege, des Bürgerkriegs. Im neuen Roman «Katzentisch» nun wird 1954 für drei halbwüchsige Jungen, Michael, Cassius und Ramadhin, eine Schiffsfahrt von Colombo durch den Golf von Aden, das Rote Meer und den Suezkanal nach London zum ganz konkreten «rite de passage», wenn Körper und Seele sich häuten. Das Kartografieren der Seele ist ja stets der Impuls von Ondaatjes Literatur, im Wissen, dass die Seele sich festen Triangulationspunkten, verlässlichen Höhenkurven und lückenloser Erfassung entzieht, sich eher musikalisch in ausfransenden Geschichten offenbart. Akkurat, aber flüchtig und gerade in dieser Widersprüchlichkeit unwiderstehlich – Ondaatjes Lust am Detail ist sich nie selbst genug, sondern tendiert zur poetischen Metapher. «Oronsay» heisst der Dampfer, auf dem die Buben 21 Tage verbringen. Ihnen wird an der Schwelle zum Teen- ageralter der Katzentisch zugeteilt, und da lernen sie ihre erste Lektion: «Was interessant und wichtig ist, ereignet sich in der Regel im Verborgenen, an machtfernen Orten», nicht dort, wo der Kapitän speist, «wo altvertraute Phrasen Kontinuität garantieren». Es ist das, was schon der englische Patient der Krankenschwester Hana aus den «Historien» Herodots zitiert hat: Sie «haben von Anfang an das Ergänzende zum Hauptgegenstand aufgespürt». Ergänzendes in diesem Sinne serviert uns der Erzähler namens Michael zuhauf: tief im Schiffsbauch die Pflanzengärten des Mr. Daniels, den von einem tollwütigen Hund gebissenen Millionär Hector de Silva, die klugen Bemerkungen von Miss Lasqueti, die zu ihrer Altjüngferlichkeit nicht recht passen wollen, das nächtliche Promenieren eines Gefangenen in Ketten an Deck . . . Die Buben erkunden alles, beobachten unter der Plane eines Rettungsboots hervor, schlüpfen von einem Deck zum andern. BERT HARDY / GETTY IMAGES Vieles scheint zusammenhangslos, doch alles wird ihnen bedeutsam – es hätte der Verknüpfung einiger der losen Fäden zu einem kleinen Krimi-Thrill gegen Ende des Romans gar nicht bedurft. Das geheime, geheimnisvolle Zentrum des Romans ist ohnehin Emily, Michaels ältere Cousine an Bord, die ihm die Unschuld vom Kinderauge wischt. Ondaatje evoziert das den Knaben überwältigende, bittersüsse Erlebnis dessen, was der Elfjährige in Emilys Kabine sieht, in wenigen Sätzen von wunderbarer Diskretion. Und erhascht so den einmaligen Moment, in dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig verrückt spielen und der schützende Kokon der Jugend für immer zerspringt. Dunkles Erinnern Linear in diesem Buch ist allein der Kurs der «Oronsay» durch die Meere. Nur erwarten Leser von Ondaatje ja auch keinen handfesten Plot: «Am Anfang vieler Bücher verspricht der Autor Ordnung», hiess es schon in «Der englische Patient»: «Aber Romane fingen mit Zögern oder Chaos an. Leser wussten nie recht, woran sie waren. Eine Tür, ein Schloss, ein Wehr öffnete sich, und sie stürzten hindurch». Zögern und (scheinbares) Chaos, das sich erst in einem langen Verdichtungs- und dem Film verwandten Montageprozess ordnet, sind Ondaatje poetologisches Programm. Und nirgendwo mag es adäquater sein als in diesem Psychogramm einer Adoleszenz. Die Wehre des Erinnerns öffnen sich nicht nur für den Erzähler, sondern auch uns Lesenden, und die Wasser treiben uns nicht zielstrebig flussabwärts, sondern auch abseits in die dunklen Gewässer zunächst unaufgelöster Ahnungen und Geschehnisse. Sie kreisen noch im Vergangenen und spülen uns schon vorwärts in die Rückschau aus der Zukunft, in der Konturen erhalten hat, was damals noch vage war. Denn wir, das Publikum, sollten uns jedenfalls nie für klüger halten als die Figuren, zitiert On- daatje im Roman den Filmemacher Luc Dardenne. Er selber habe kaum eine Erinnerung an seine Schiffsreise im Jahre 1954 zur Mutter nach England, sagt der Autor. Nun hat er sie – auf Anstoss seiner Kinder – im Schreiben fiktiv ausgehorcht. Wie viel Ondaatje im Erzähler namens Michael steckt, ist dabei nicht von Belang. Sein Erzählen ist ein wiederholtes, kreisendes Abtasten wie auf einem Radarschirm, und wir verstehen diese seine «schreckliche Angst beim Schreiben: Wird es eine Ordnung geben? Man hat Elemente wie Sandkörner, da eins, dort eins, oder wie Zellen, die sich vermehren und sich in der Art eines Wandgemäldes zusammenfügen». Ziemlich aufreibend und erschöpfend, verrät er im Gespräch. Zum Gewinn für uns Lesende, wenn wir denn seinen Ratschlag in «Der englische Patient» beherzigen: «Lesen Sie langsam . . . Ihr Auge ist zu schnell und nordamerikanisch!» Zweimal lassen wir uns das nicht sagen. l Ein Schiff wird kommen: Michael Ondaatjes neuer Roman handelt von einer Schiffsreise, die drei Jugendliche 1954 als Initiationsritus erleben. 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5 Belletristik Roman In «Chronik der Nähe» lotet Annette Pehnt die Schrecken der Kontaktdroge Mutterliebe aus Familiäre Gehirn- und Seelenwäsche Mutter sie schon los, damit sie Erfahrungen mit Jungen sammelt. Die Mutter will nicht als verklemmt gelten. «Habe ich dir nicht alle Freiheit gelassen», wird sie später sagen. Aber das stimmt nicht. Freiheit für Annie wäre gewesen, wenn die Mutter aufmerksamer hätte sein können. Wenn sie die Geduld gehabt hätte, zu beobachten, was das Mädchen möchte, und wenn sie es ausgehalten hätte, zu akzeptieren, dass Annie andere Vorstellungen von Freiheit hat als sie selbst. So wird Annie nicht nur zum Rauchen angehalten, sondern auch zum Geschlechtsverkehr. Und Annie ist ein braves Kind. Annette Pehnt: Chronik der Nähe. Roman. Piper, München 2012. 217 Seiten, Fr. 25.90. Von Angelika Overath Die Mutter liegt auf der Intensivstation; die Tochter besucht sie an sieben aufeinanderfolgenden Tagen, von Dienstag bis Montag. Sie plant ein letztmögliches Schöpfungswerk: die Mutter muss noch einmal erzählen. Es gibt da etwas, das zu klären ist. Immer wieder aufs Neue versucht die Tochter die Mutter zum Sprechen zu bringen. Doch die Mutter schweigt. «Sprechen Sie ruhig mit Ihrer Mutter», sagt die Krankenschwester, die die Geräte kontrolliert, «einfach reden, die hört das sicher.» Wo die Mutter die Kommunikation verweigert, muss die Tochter die Klärung selbst leisten: «Wenn du nichts sagst, mache ich es für dich.» Eine unerhörte Anrufung der Mutter Annie beginnt. Schon frühere Besuchszeiten bei Annie waren «Versuchszeiten» gewesen, geduldiges, ja flehentliches Fragen, das eine Aufklärung in Gang setzen wollte. Es scheint, als brauche das sprechende Ich, um noch als erwachsene Frau zu einer Identität zu finden, eine Einsicht in das Leben der Mutter als Tochter. Zu nah und zu unentwirrbar sind ihrer beider Dasein ineinander verwoben. Intime Bestandesaufnahme Während die Tage auf der Intensivstation nun chronologisch voranschreiten, öffnen sich Rückblenden gegen die Zeit. Verhandelt werden – in zwei voneinander abgesetzten Sprechhaltungen: Anrufung des Du und auktoriales Erzählen – zwei Mutter-Tochter-Beziehungen, die bald so fatale Ähnlichkeiten zeigen, dass der Leser sich unvermittelt in den Generationen täuscht. Das geschieht umso leichter, als allein die Mittelfigur, Annie, einen Namen erhält. Beide sie flankierende Frauen, die Grossmutter (Annies Mutter) wie ihre Tochter, haben keinen Namen. Und als Annies Tochter jetzt in der Intensivstation steht, ist sie bereits selbst Mutter zweier Töchter. Einmal wird sie, zwischen den duftenden Kinderbettchen und dem Aufbruch mit Annie zu einem gemeinsamen «honeymoon» in ein Luxushotel nach Rügen, ausrufen: «So viel Liebe im Spiel, dass es kaum auszuhalten ist.» Dass die Liebe ein schrecklicher Feind sein kann, gilt nicht nur zwischen Mann und Frau. Im Buch «Chronik der Nähe» lotet die Autorin Annette Pehnt die unabsehbaren Schrecken der Kontaktdroge Mutterliebe aus. Mütter und 6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 FELBERT + EICKENBERG / STOCK 4B Auf der Intensivstation Liebe kann feindlich sein: Annette Pehnt über zu viel MutterTochter-Nähe. Töchter lieben sich über alles und bringen sich dabei doch fast um. Annie ist während des Krieges gross geworden. Sie kennt die nackte Angst, wenn sie, allein in den nassen Luftschutzkeller eingeschlossen, schlafen muss (sie soll schon in Sicherheit sein, falls es losgeht), und die tagelange Einsamkeit, wenn sie auf die Mutter wartet, die nach Nahrung unterwegs ist. Die Mutter hamstert und tauscht, und vielleicht prostituiert sie sich für das Kind wegen ein paar Steckrüben. An der Seite dieser Löwin verblasst Annie, bevor sie erblühen kann. Die zu starke Mutter hat immer schon besetzt, was eigentlich Annies Terrain hätte werden sollen. Annie hat noch keine Periode, da schickt die Mit bewundernswerter Sensibilität skizziert Annette Pehnt seelische Verletzungen, die die Bezeichnung Missbrauch verdienen, auch wenn sie nicht justitiabel sind. Wo beginnen die Übergriffe? Wie werden sie schleichend vom Kind als normal akzeptiert? Und schliesslich ersehnt. Und gespenstisch zeigt das Buch von Annette Pehnt, dass sich die Liebesgewalt in die nächste Generation hinein fortsetzt. Über dem hilflos schreienden Baby wird auch Annie eine zu starke Mutter, die die Tochter bald mit Liebesentzug («Strafschweigen») und subtil verführender Erpressung an der Leine führt: Ich liebe dich – also bist du – also mache mich glücklich – weil nur du das kannst. Und wie einst Annie als Tochter funktionierte, reagiert nun ihr eigenes Kind. Das Tochter-Ich wird die wutstarrende Annie durch liebenden Körpereinsatz erlösen: «Mit einer Umarmung könnte ich dich befreien, mit zwei Umarmungen dich zu mir drehen, mit der dritten einen Glanz in deine Augen drücken, mit der vierten meine Wut vergessen, mit der fünften dich wieder lieben, mit der sechsten das sagen, was ich sagen muss, damit alles weitergeht: Ich hab dich doch lieb, mit der siebten dich am Hals küssen …» Und so dreht er sich weiter, dieser Liebesreigen von Gehirn- und Seelenwäsche. Keine Nähe wird nah genug sein, weil sie keine Erlösung bringt. Befreiung könnte in der emotionalen und körperlichen Distanz liegen, die diese massageseligen, inzestuösen Frauenfiguren nicht leisten können, es sei denn, es hilft ihnen der Tod. Das Buch endet mit einem bitter-schönen Bild (das nicht verraten wird). Es führt leise von der Mutter Annie zur Mutter Gottes und zitiert das alte Versprechen von Schoss, Schutz und ewiger Geborgenheit. Wer diese intime Bestandsaufnahme gelesen hat, weiss, dass auch dieses Bild eine Drohung ist. ● Thriller Wie ein Physiker und Hedgefonds-Manager mit einem Super-Algorithmus die Börse zu beherrschen glaubt – und von ihr überwältigt wird Zauberlehrling verliert seinen Besen er das thematische Engagement für gesellschaftliche Debatten, unabhängig von ihrem Verkaufspotenzial, teilt. Die Irrationalität des modernen Finanzkapitalismus, die sich mit der Rationalität zukunftsweisender Physik- und Mathematikforschungen paart, ist ja nicht gerade der Stoff, aus dem die Angstlust-Träume des Thrillerpublikums sind. Höchstens die Masters-ofthe-Universe-Phantasien der Spieler im grössten Kasino der Weltgeschichte. So einer ist auch Dr. Hoffmann, obschon kein klassischer Wall-Street-Hai mit Gecko-Allüren: Dem Cern-Physiker und Hedgefonds-Manager liegt weniger an den Milliarden, die er scheffelt, als an der Technologie, die er dafür erschafft. Er ist ein Erfinder, der eigentlich um des Erfindens willen tüftelt, nicht für einen bestimmten Zweck. Sein Milliardenvermögen ist eher ein Nebenprodukt. Doch als sein Super-Algorithmus, der die Vola- Robert Harris: Angst. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne, München 2011. 384 Seiten, Fr. 30.90. Von Pia Horlacher Albanien Zwischen Vergangenheit und Gegenwart HANS PETER JOST / CHRISTINA KLEINEIDAM Spätestens seit Polanskis Verfilmung von «Ghost» kennt man Robert Harris auch weit über Grossbritannien hinaus. Mit dem fiktiven Ghostwriter seines echten Ex-Freundes Tony Blair hatte der britische Bestsellerautor dem einstigen Strahlemann der Labour-Politik einen trüben Spiegel vorgehalten. Dass der ehemalige Journalist nicht nur politischen Scharfblick besitzt, sondern historisch und literarisch bestens geschult ist, bewiesen seine früheren Romane – und auch auf die hatte sich das Kino sofort gestürzt: «Fatherland», sein erstes Buch und gleich ein internationaler Erfolg, stellt die Frage, was aus der Welt geworden wäre, hätten die Nazis ihren Eroberungszug gewonnen; «Enigma» beschrieb die Spionageabwehr der Briten im Zweiten Weltkrieg mit einem frühen Computermodell; und die «römischen» Romane «Pompeji», «Imperium» und «Lustrum» erweckten Cicero und seine Zeitgenossen zu einem ganz neuen Leben im historischen Politthriller (ein Filmprojekt mit Polanski wurde damals zugunsten von «The Ghostwriter» auf Eis gelegt). Kein Wunder, ist auch die Verfilmung des neuen Thrillers von Harris bereits gesetzt: voraussichtlich mit «Bourne»Regisseur Paul Greengrass. Denn «Angst», Originaltitel «The Fear Index», macht seinen Titel zum Programm, und seinem Programm alle Ehre: Von der nervenaufreibenden Einführung seiner Hauptfigur, dem genialen Wissenschafter und Börsenmathematiker Dr. Alexander Hoffmann, der eines Nachts in seiner Hochsicherheitsvilla am Genfersee überfallen wird, bis zu seinem schaurigen Science-Fiction-Untergang, der noch am selben Tag die Finanzwelt mit sich reissen wird, hält uns Harris in atemloser Spannung. Dass er dabei alle Register der Thrillerzeugung zieht, ohne uns mit den Plattheiten der üblichen Effekthascherei zu verärgern, ist das eine. Dass er aber auch eine kleine Philosophiegeschichte der Angst und eine grosse Einführung in den modernen Börsenkapitalismus schreibt, Darwin die Reverenz erweist und schöne Hommagen an die unterschiedlichsten Zauberlehrlinge und ihre Schöpfer aus Literatur und Film verteilt (Mary Shelleys Frankenstein, Kubricks «Space Odyssee»-Computer HAL, Crichtons «Jurassic Park»Dinosaurier und mehr) ist das andere. Ein Zusatzgewinn, den uns wenige Bestseller-Autoren in dieser Bildungsfülle und literarischen Eleganz bieten. Eines seiner Vorbilder ist John le Carré, was man seinem Stil anmerkt. Ein anderes könnte Michael Crichton sein, mit dem tilität der Börsen, den sogenannten Fear Index, beherrschen soll, sich selbständig macht, haben wir einen weiteren Zauberlehrling, der den Besen nicht halten, die Atomspaltung nicht rückgängig, das Genom nicht ungelesen machen kann. Bis Hoffmann endlich von jener Angst eingeholt wird, die seiner Hybris hätte Schranken setzen können, ist es zu spät. Was wäre, wenn …? Wie in «Fatherland» ist das auch hier die Schlüsselfrage. Und wenn die neuen Herren des Universums äusserlich den alten NaziHerrenmenschen nicht gleichen mögen, so lässt Harris doch keinen Zweifel an ihrer geistigen Verwandtschaft: «Die Finanzmärkte sind Stiefel, die uns ins Gesicht treten», sagte er in einem Interview. Seit er die Branche für den Roman recherchiert habe, sei ihm klar, dass man vor ihr mehr Angst haben müsse als vor den Gefahren chemischer und biologischer Kriegsführung. ● Wo fahren diese Menschen hin, welche Hoffnungen nehmen sie mit? Der zerbeulte Camion ist irgendwo in den albanischen Bergen unterwegs. Die Strassen sind aufgeweicht, oft reihen sich auf ihren Seitenstreifen verrostete Autos aneinander. Das Land ist im Übergang. Vor 20 Jahren wurde das kommunistische Regime Enver Hoxhas gestürzt, seither haben die Menschen Träume von Freiheit und Wohlstand gehabt und wieder verloren. Der Zürcher Fotograf Hans Peter Jost hat beides fotografiert. Wir sehen eine verarmte Bauernfamilie auf dem einen und eine Frau, die Coca Cola verkauft, auf einem anderen Bild. Es gibt die nackte Buntheit der Roma und die Schweizer Heli- Einsätze mit Hilfspaketen, die umgenutzten und halb zerstörten Kirchen und die Kadetten der Militärschule in Tirana, die für die Söhne armer Familien die einzige Aufstiegschance bot. Die alte Zeit überlieferte ihre patriarchalen Strukturen, die neue Freiheit brachte Betonwüsten, bunte Fassaden und Satellitenschüsseln. Auf den Bildern von Hans Peter Jost und in den Texten von Christina Kleineidam treffen Gegenwart und Vergangenheit ungebremst aufeinander. Intensiv, anziehend und erschreckend zugleich. Gerhard Mack Hans Peter Jost, Christina Kleineidam: Albania in Transition 1991. Benteli, Sulgen 2011. 280 Seiten, 180 Abbildungen, Fr. 42.−. 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7 Belletristik Roman Jennifer Egan porträtiert eine Generation Vom Klang der vergehenden Zeit Jennifer Egan: Der grössere Teil der Welt. Roman. Aus dem Englischen von Heide Zeltmann. Schöffling, Frankfurt a. M. 2012. 392 Seiten, Fr. 32.90. Von Simone von Büren Bennie Salazar ist Mitte vierzig und frustriert. Seine Ehe ist gescheitert, sein sexueller Drang ist ihm abhanden gekommen, und die Bands, die er entdeckt hat, werden von den Produzenten zugunsten billiger Digitalkonserven fallengelassen. Wo sind die grossen Visionen geblieben, die er im Jahr 1979 als Punkrocker hatte? Bennie, die zentrale Figur in Jennifer Egans neuem, 2011 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnetem Roman, ist aber nicht der Einzige, dessen «Züge von einem seltsamen Erwachsensein verwässert» worden sind. Auch seine Assistentin Sasha hat das Leben gezeichnet, und sein Jugendfreund Scotty fragt, was zwischen A und B passiert ist, wobei «A ist, als wir beide in der Band und hinter demselben Mädchen her waren. B ist jetzt.» Die New Yorker Autorin Jennifer Egan thematisiert in «Der grössere Teil der Welt» das Vergehen der Zeit, das fortlaufend stattfindet, uns aber nur in bestimmten Momenten bewusst wird. Sie tut dies, indem sie Einzelschicksale mit gesellschaftlichen Veränderungen von der Hippie-Ära zur Facebook-Generation und mit Entwicklungen in der Musikindustrie vom Punkrock zur Digitalmusik verwebt. Die Handlung setzt Anfang der 70er Jahre in San Francisco ein und lässt sich ungefähr wie folgt zusammenfassen: Bennie, ein Teenager mit einer kokainschnupfenden Punkband, unterliegt in der Liebe seinem Freund Scotty, macht aber Karriere als Musikproduzent in New York. Seine Assistentin Sasha ist eine Kleptomanin, die nach einer pubertären Krise in New York studiert, wo sie den Vater ihrer Kinder trifft und mit einem Mann schläft, der Jahre darauf am Ground Zero das Comeback-Konzert des vereinsamten Scotty organisiert. Der angelt im East River, wo ein Freund Sashas ertrinkt. Bennies Frau organisiert die «Selbstmord-Tour» eines krebskranken Rocksängers, während ihr Bruder sich an einer Schauspielerin vergreift, die später zur Rehabilitierung eines völkermordenden Generals beiträgt. Brillante Zeitsprünge Die für ihre Experimentierfreudigkeit bekannte Autorin präsentiert uns diese Geschichten nicht linear, sondern beginnt kurz nach 9/11, bewegt sich zurück in die 70er Jahre, springt in die 90er Jahre und von dort in die global erwärmte Welt nach 2020. Durch diese Zeitsprünge konfrontiert Egan die draufgängerischen Jugendlichen mit ihren erwachsenen Entsprechungen: Die kalifornischen Punks werden desillusionierte Eltern in republikanischen Vororten, ihre Kinder leben im Schatten von Solarzellenfeldern und kommunizieren via Smartpads. Jennifer Egan verweilt in einem bestimmten Moment im Leben einer Figur, um dann brillant in wenigen Sätzen zu skizzieren, was mit ihr in den nächsten Jahrzehnten geschehen wird. So erfährt man im Kapitel über Sashas TeenagerKrise, dass sie in Kalifornien leben wird, nachdem sie «das College besucht und sich in New York niedergelassen hatte, nachdem sie über Facebook den Kontakt zu ihrem Freund aus College-Tagen aufgenommen und spät geheiratet und zwei HANSRUEDI GEHRING TERMITEN AN BORD Aus dem Logbuch eines schiffsArztes KRIMINAlROMAN Als die Welt von Jennifer Egans Hippie-Protagonisten noch in Ordnung war. Patti Smith bei einem Auftritt am 11. Mai 1978 in Los Angeles. Kinder bekommen hatte, von denen eins leicht autistisch war». Indem Jennifer Egan jedes der 13 Kapitel aus einer anderen Perspektive erzählt, bewirkt die 49-jährige Autorin im Leser ein Gefühl der Desorientierung. Man kann sich in der Landschaft und Stimmung des Romans nie bequem einrichten, sondern muss stets neu klären, in welcher Stadt und welchem Jahrzehnt man sich befindet und durch wessen Augen man gerade auf die Welt guckt. Man beginnt, Verbindungen zwischen den Kapiteln herzustellen, vorhergehende Episoden wieder zu lesen und immer neue subtile, witzige Bezüge zu entdecken. So wird etwa das Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit der in den jungen Bennie verliebten 16-jährigen Rhea durch die Tatsache bestätigt, dass dieser sich später an sie als «Rita» erinnert. Die Desorientierung seitens des Lesers widerspiegelt die Entfremdung, die Bernhard Falk beginnt im Hafen von Bombay eine eindrückliche Reise nach Sinn und Ziel seines Lebens. Er gerät in die Wirren rätselhafter Todesfälle, in denen er gleichzeitig ermittelt und zum Verdächtigen wird. Dabei ist die Liebesbeziehung zur Assistentin eines skurrilen Termitenforschers zunächst alles andere als hilfreich. Hansruedi Gehring erzählt in seinem neuen Buch eine Kriminalgeschichte mit unerwarteten Wendungen vor dem Hintergrund feiner, menschlicher und sympathischer Unzulänglichkeiten. <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0MzQwMQYArVLWGg8AAAA=</wm> <wm>10CFWMsQrDQAxDv8iHbEc-XI8hW8hQut9SOuf_p1y6BSR4oIf2vdjw77odn-1dCiwUDcXixWSzHqVprTMKhjCovZBz8k5_-ALNcPi4HcFMDKTQRTmhD7X7YSLd2M7v7wLI_FfOgAAAAA==</wm> Hansruedi Gehring Termiten an Bord ISBN 978-3-905910-06-3 240 Seiten. CHF 38 Wolfbach Verlag Zürich w 8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 „Man kann dieses Buch auf verschiedene Weise lesen. Einfach nur als Kriminalfall mit einem überraschenden Finale oder als Initiationsgeschichte eines Indienfahrers, der nach allen Ashrams und Gurus den Meister in sich selber findet.“ Erhard Taverna / Schweizerische Ärztezeitung Lyrische Prosa Südtiroler Schriftsteller wird neu entdeckt Reise zu den alten Etruskern 2012 – Jahr der Entscheidung Franz Tumler: Volterra. Wie entsteht Prosa. Mit einem Nachwort von Johann Holzner. Haymon, Innsbruck 2011. 87 Seiten, Fr. 14.90. MICHAEL OCHS ARCHIVE / GETTY IMAGES Von Martin Zingg Jennifer Egans Figuren angesichts der vergehenden Zeit empfinden, wenn sie plötzlich feststellen, dass die Sprache, Technologien und Bands, mit denen sie aufgewachsen sind, nicht mehr «in» sind und dass sie mit den neuen Formen nicht zurechtkommen: Die Ältergewordenen kämpfen mit den kryptischen Kürzeln in den Textnachrichten jüngerer Kollegen und regen sich auf über die digitalisierten «Musikhülsen, leblos und kalt wie die Vierecke aus Büroneon» in der Dämmerung. Powerpoint-Folien Im imposantem Resonanzraum des melancholischen Romans bedarf es mit der Zeit nur weniger Sätze, um ganze Lebensläufe zu skizzieren. Das beweist Jennifer Egan auf ganz faszinierende Weise im zweitletzten Kapitel ihres Buches, das ausschliesslich aus Powerpoint-Folien besteht. In ihrem ungewöhnlichen Tagebuch erzählt Sashas Tochter Alison hier in Stichworten, dass die Tournee des Rockstars nicht mit dessen Tod endete; dass Sashas Mann Arzt wurde, weil er ihren Freund nicht vor dem Ertrinken retten konnte; und dass ihr autistischer Bruder besessen ist von den Pausen in Rocksongs, in denen man – in analogen Aufnahmen – die Musiker atmen hört. Pausen sind zentral in Jennifer Egans dichtem, vielförmigem Text. Denn sowohl die Sprünge zwischen den Kapiteln als auch die Leerräume zwischen den Powerpoint-Folien funktionieren als Pausen und erinnern an diese anderen Pausen im Leben, die Momente des Innehaltens und Zurückblickens, in denen man dieses Summen hört: «… immer dieses Summen, das vielleicht gar kein Echo war, sondern der Klang der vergehenden Zeit.» ● «Volterra», so heisst dieser bezaubernde Text von Franz Tumler: 1962 ist er zum ersten Mal erschienen, ein Bijou der Nachkriegsliteratur, und selbst nach fünfzig Jahren wirkt diese lyrische Prosa noch immer erstaunlich frisch. Ein Paar ist gemeinsam unterwegs in Volterra, dem Ort mit etruskischer Vergangenheit. Zusammen erkunden sie die lebendige Stadt, und nicht weit davon entfernt liegt Ansedonia, eine untergegangene Stadt, eine archäologische Fundstätte. «Der Unterschied ist nicht gross», heisst es wiederholt. Gegenwart und Vergangenheit liegen nahe beieinander, und dennoch rücken beide leicht in die Ferne, wenn es darum geht, sie sprachlich zu «fassen». Der ungemein dichte Text behauptet dies nicht, sondern führt es vor und wagt eine behutsame Einkreisung. Er tastet sich voran, voller Zweifel und Skrupel, ob dem Wahrgenommenen denn zu trauen sei – und damit den Worten, die das Wahrgenommene erst freilegen und beglaubigen sollen. Die Nachprüfung einer Erinnerung erweist sich als riskant. Das Prosastück wird eskortiert von einem Werkstattbericht, «Wie entsteht Prosa», worin Tumler seine Arbeit an diesem Text beschreibt. Der Kommentar bildet mit seinem Gegenstand ein Ganzes, und dieses führt vor, wie komplex der Vorgang des Schreibens ist. Wie weit er bisweilen getrennt ist von den Absichten des Autors. Dessen Vorstellungen «werden in Wörter und Sätze gebracht; anders können sie nicht sichtbar werden; jetzt geschieht es – und sie zeigen sich nun als das, was diese Wörter enthalten». Die Mitgift der Sprache ist nicht zu umgehen. Der im Südtirol geborene Schriftsteller Franz Tumler (1912 bis 1998) ist in den letzten Jahren etwas in Vergessenheit geraten. Das ist zu bedauern, lässt sich aber auch korrigieren: Der Haymon Verlag in Innsbruck macht derzeit die wichtigsten Werke von Tumler wieder zugänglich, beispielsweise die Erzählung «Nachprüfung eines Abschieds». Und zum Vorschein kommt ein aussergewöhnlicher Erzähler, der nach frühen politischen und literarischen Irrungen einen eigenen, sehr gewinnenden Ton gefunden hat. ● CHF 26.90, gebunden, 192 Seiten 978-3-280-05447-5 <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0MzCzMAIA4DZVfQ8AAAA=</wm> <wm>10CFWMMQ6DMBAEX3TW7jp32LkyokMpIno3iJr_VwE6imlGo1mW9IKbz_xd518SeLkxEE1J99IROTUv7FNCDIF6k3REpz96A3tU1HE1Bp16kMZq7kPUoK7D6VjVyrHtfzt_8PSAAAAA</wm> «Nouriel Roubini, Marc Faber, Robert Shiller: Die Weltwirtschaft kennt viele Männer, die berühmt waren, weil sie große Krisen präzise voraussagten. Eigentlich gehörte Walter Wittmann auch in diese Reihe.» Die Zeit www.ofv.ch 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9 Belletristik Erzählungen Alltagsporträts einer amerikanischen Kleinstadt – in zwei Übersetzungen Ort der zerbrochenen Träume Sherwood Anderson: Winesburg, Ohio. Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld. Manesse, Zürich 2012. 304 Seiten, Fr. 31.50. Sherwood Anderson: Winesburg, Ohio. Aus dem Amerikanischen und mit einem Essay von Mirko Bonné. Schöffling & Co., Frankfurt a. M. 2012. 328 S., Fr. 32.90. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen viele amerikanische Schriftsteller nach Paris, um sich das europäische, das französische Lebensgefühl anzueignen und an den ästhetischen Auseinandersetzungen jener Zeit teilzuhaben. Viele von ihnen wurden zu Expatriierten wie Gertrude Stein, deren Haus in der Rue de Fleurus am Jardin du Luxembourg sozialer Treffpunkt und dichterische Werkstatt der Amerikaner war. Auch Sherwood Anderson suchte die Stein auf, als er 1921 nach Paris kam. Anders als viele ihrer Besucher – Hemingway, Fitzgerald, Kay Boyle, William Carlos Williams – war Anderson kein junger aufstrebender Schriftsteller, sondern ein etablierter Autor mittleren Alters. Es war ein Reverenzbesuch: Steins künstlich-schlichte Syntax war für die Ausformung seines eigenen Stils entscheidend. Stein ihrerseits fand, dass Anderson eine besondere Begabung für den Satzbau hatte – er könne «einen einfachen und gefühlsgetränkten Satz» schreiben. Aus solchen Sätzen, in denen die syntaktische Schlichtheit Gefühlsstürme verbirgt, bestehen die einundzwanzig Geschichten in Andersons «Winesburg, Ohio». Es sind «interlinking stories»: Geschichten, die in sich abgeschlossen und dennoch miteinander so verschränkt sind, dass sie erst zusammengenommen ihre Spannung entfalten und ein Ganzes ergeben. Das Ganze von «Winesburg, Ohio» ist ein Psychogramm des Kleinstadtlebens, das zur Chiffre Amerikas wurde. Scheiternde Lebensentwürfe Schon kurz nach Erscheinen 1919 wurde «Winesburg, Ohio» traditionsbildend. Denn darin machte Anderson den banalen Alltag einer Provinzstadt zum literarischen Motiv und die Kleinstädter zu dramatischen Figuren. In narrativer Verknappung werden ganze Lebensentwürfe und ihr Scheitern dargestellt: Ärzte, Bäcker, Lehrer, Pfarrer, Bauern, Hausfrauen. Sie haben alle eine verwundete Seele, weil sie ihre Sehnsüchte weder aufgeben noch erfüllen können. Sie finden alle den für sie richtigen Sitz im Leben nicht – sie finden ihre Wahrheit nicht und werden deshalb, wie es im Vorspann heisst, zu «grotesken Gestalten». Nur einem, dem Kleinstadtreporter George Willard, gelingt es, sich dem Grotesken zu entziehen, indem er Winesburg verlässt, um in der Grosstadt sein Glück – seine Wahrheit – zu suchen. 10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 FELIX KOCH / CINCINATTI MUSEUM / GETTY Von Stefana Sabin George Willard ist die Hauptfigur. Sein erotisches und intellektuelles Erwachen, das Entstehen seiner schriftstellerischen Neigung, der Tod seiner Mutter, schliesslich sein Aufbruch in die Welt geben eine kohärente Handlung ab. George hört allen zu, wenn sie von ihren Enttäuschungen berichten. Es ist George, der sich wie in einer Rückblende an die «grotesken Gestalten» seiner Jugend erinnert und von ihnen erzählt. Oder ist es der «Geist der Erzählung», der von den Winesburgern und ihren gebrochenen Lebensträumen erzählt? Anderson spielt mit den Gattungen – mit dem Entwicklungsroman und der Heimatgeschichte – ebenso wie mit narrativen Strategien – mit dem fragmentarischen Erzählen und der Metafiktion. Dabei sind die Geschichten einem Realismus verpflichtet, der keine Welt abbildet, sondern eine Welt schafft. Die komplexe Stimmungslage, die durch die einfache Sprache entsteht, macht Andersons Prosa zu einem Abenteuer der Übertragung. Dieses haben zwei Übersetzer gerade überstanden: Eike Schönfeld, der 2004 mit dem Heinrich-Maria-Ledig-Rowohlt-Übersetzerpreis ausgezeichnet wurde, tendiert in seiner im Manesse-Verlag erschienenen Übersetzung zu einer einfachen Sprache, die der metaphorischen Schlichtheit des Originals nahekommt. Mirko Bonné, dem 2010 der Marie-Louise-Ka- Leben und Arbeit in der amerikanischen Provinz 1920: Junge Arbeiter stellen Lautsprecher-Teile in der Crosley Manufacturing Company in Ohio her. schnitz-Preis zugesprochen wurde, pflegt in seiner bei Schöffling veröffentlichten Version eher poetisierende Ausdrücke und verleiht dem Text eine verbrämte Melancholie. Blick hinter die Idylle «Als George Willard wieder die Main Street erreichte, war es nach zehn Uhr, und es hatte zu regnen begonnen. Dreimal ging er die ganze Main Street auf und ab», übersetzt Schönfeld. Und Bonné: «Als George Willard auf die Main Street zurückkam, war es nach zehn, und es hatte angefangen zu regnen. Dreimal ging er die Main Street der Länge nach auf und ab.» Beide Übersetzungen sind dem Original treu und treffen doch die konzentrierte Einfachheit und die suggestive Spannung des Amerikanischen nicht ganz. Schönfeld nennt seine Übersetzung «Eine Reihe von Erzählungen aus dem Kleinstadtleben Ohios», Bonnés Untertitel unterscheidet sich nur durch die Wahl der Präposition: «Eine Reihe Erzählungen vom Kleinstadtleben in Ohio.» Aber der Untertitel ist eine gezielte Täuschung: Anderson stellt keineswegs die Beschaulichkeit des Provinziellen dar, sondern führt die kleinen grossen Tragödien hinter der Idylle vor. So wurde sein Winesburg, Ohio, als Ort der zerbrochenen Träume auf der literarischen Landkarte eingezeichnet. ● Dialoge Hannah Arendts erster Ehemann Günther Anders erinnert sich Fröhlich war sie und frech Kurzkritiken Belletristik Hans Bender: Auf meine Art. Gedichte in vier Zeilen. Edition Akzente, Hanser, München 2012. 112 Seiten, Fr. 18.90. Mori Ōgai: Die Wildgans. Roman. Aus dem Japanischen von Fritz Vogelsang. Manesse, Zürich 2012. 240 Seiten, Fr. 25.90. Ein halbes Jahrhundert lang hat Hans Bender die europäische Kulturszene mitgeprägt. 1954 gründete er – zusammen mit Walter Höllerer – die Zeitschrift «Akzente», die rasch zu einem der wichtigsten geistigen Foren im Nachkriegsdeutschland wurde. Daneben brachte er vielbeachtete Prosa- und Lyrikanthologien heraus. Hans Bender schrieb aber auch selbst unermüdlich, vor allem Kurzgeschichten, die seinerzeit viel gelesen wurden. Mittlerweile ist er ein Mann von 92 Jahren. Im Alter hat er sich vermehrt der Lyrik zugewandt und pflegt nun den lakonischen, lapidaren Vierzeiler. Benders oft gereimte Kurzgedichte gehen vom Alltäglichen aus und kehren zu ihm zurück. Sie sind mitunter schlicht, mitunter selbstironisch, und zollen der Vergänglichkeit auf ganz uneitle Weise Tribut. Notate ohne Prunk und Allüre, die an die Schönheit dürren Holzes erinnern. Manfred Papst Der japanische Militärarzt, Schriftsteller und Übersetzer Mori Ōgai (1862– 1922) war ein vielseitiger Intellektueller und ein weitgereister Mann. Fünf Jahre lang hatte er in verschiedenen deutschen Städten studiert, unter anderem bei Robert Koch. Sein «Deutsches Tagebuch» vermittelt ein lebendiges Bild jener Zeit. Auch einige weitere seiner Werke wurden ins Deutsche übersetzt, so der kleine Roman «Die Wildgans», der als das Meisterwerk des umtriebigen Autors gilt. Er erzählt in elegantem, elaboriertem Stil von den Liebesnöten einer jungen Frau, die sich aus finanzieller Not zur Nebenfrau eines Wucherers machen lässt, insgeheim aber einen attraktiven Medizinstudenten begehrt. 1962 erschien der zwischen 1911 und 1913 entstandene Roman erstmals im InselVerlag, nun liegt Fritz Vogelsangs Übersetzung in überarbeiteter und mit Anmerkungen versehener Fassung vor. Elfriede Ostermaier Jürg Laederach: Harmfuls Hölle. Erzählungen. Suhrkamp, Berlin 2011, 190 Seiten, Fr. 28.50. Giacomo Casanova: Meine Flucht aus den Bleikammern von Venedig. C. H. Beck, München 2012. 176 Seiten, Fr. 24.50. In den 2000er-Jahren war es eher still um Jürg Laederach, den eigenwilligen Basler Erzähler, Übersetzer, Musiker und Jazzexperten. 2009 erschienen zum Glück die «Depeschen nach Mailland», ein heiteres Buch, das den Autor im Austausch mit seinem Kollegen Michel Mettler zeigte. Nun kehrt der 1945 geborene Künstler zu jener Fabulierkunst zurück, die ihn – etwa mit «69 Arten den Blues zu spielen» (1984) – berühmt gemacht hat. Sprachartistik und Lust an der Anarchie verbinden sich in den 13 durch einen Herrn Harmful zusammengehaltenen Erzählungen. Sie gleichen in ihrer Lust am assoziativen Phantasieren den Improvisationen eines Jazzmusikers, und lassen sich nicht zusammenfassen. Aber sie halten Satz für Satz Überraschungen bereit. Bei diesem entfesselten Schreiben kann nicht alles gelingen – doch das Geglückte überwiegt. Beni Bischof Giacomo Casanovas Memoiren (1725– 1798) berichten vor allem von den erotischen Eskapaden des venezianischen Autors und Abenteurers. Noch vor diesem vielbändigen Werk schrieb er ein kleineres Buch, das sich so spannend liest wie ein Kriminalroman. Es handelt von der Flucht des gut Dreissigjährigen aus den berüchtigten Bleikammern des Dogenpalastes. Dort sass er, nachdem er 1755 wegen «Schmähung der Religion» verhaftet worden war, 15 Monate lang ein. Was in seinen Erinnerungen, die er aus der Distanz von über 30 Jahren zu Papier brachte, Erfindung und was Wahrheit ist, lässt sich kaum mehr eruieren. Schliesslich war Casanova ein begnadeter Fabulierer. Sein Erzählen fesselt durch Anschaulichkeit, Dramatik, Mutterwitz. Noch zu seinen Lebzeiten erschienen sie auch auf Deutsch. Hier liegt eine gepflegte Neuübersetzung vor. Manfred Papst Günther Anders: Die Kirschenschlacht. Dialoge mit Hannah Arendt. C. H. Beck, München 2012. 140 Seiten, Fr. 23.50. GETTY IMAGES Von Kathrin Meier-Rust Die kurze erste Ehe mit Günther Anders ist im breit erforschten Leben Hannah Arendts ein farbloser Fleck geblieben. Drei kurze Erinnerungstexte von Anders verleihen diesem Fleck nun Farbe – ob es die richtige ist, muss offen bleiben. Denn während der Philosoph, Erzähler und Zeitkritiker Anders sich auf Notizen aus dem Jahre 1929 beruft, hat er die Texte in der jetzt publizierten Form erst Jahrzehnte später verfasst, unter dem Eindruck von Arendts Tod 1975 nämlich, und sie zudem in den 80er-Jahren nochmals überarbeitet. Skepsis ist also angebracht bei diesen «Dialogen mit Hannah Arendt», die zudem Gespräche von 1929 in direkter Rede wiedergeben. Und doch – das Bild dieser lebens- und denkhungrigen jungen Arendt wirkt verführerisch echt. «Gleichzeitig profund, frech, fröhlich, herrschsüchtig, schwermütig, tanzlustig» sei sie gewesen, schreibt Anders. So könnte sie zumindest gewesen sein. Arendt war damals 23 Jahre alt, hatte gerade ihre gelehrte Dissertation über Augustinus beendet und sich, tief verwundet, aus der Liebesbeziehung mit Heidegger losgerissen. Anders, der damals noch Günther Stern hiess, war vier Jahre älter und hatte ebenfalls bei Heidegger studiert. Die beiden trafen sich in Berlin. Auf dem Balkon ihrer ersten winzigen Wohnung, beim Entsteinen von schwarzen Kirschen, hingen sie ihrer Lieblingsbeschäftigung nach: dem «Symphilosophieren» oder zusammen philosophieren, wie sie es nannten. Dabei ist es vor allem der Mann, der philosophiert, eher: gespreizte Vorlesungen hält, über das «vor-kopernikanische» Denken der Philosophen, die den Menschen noch immer ins Zentrum des Universums stellen. Die Frau hört zu, fragt, fasst klug zusammen. Was ihn – naturgemäss – entzückt, ebenso wie die «Zornesfalte zwischen ihren Brauen» oder ihr «dankbarer Blick»! Das alles widerspricht unserem Bild der grossen eigenwilligen Philosophin, doch dem realen damaligen Geschlechterverhältnis könnte es durchaus entsprechen. Eine Beziehungsskizze des AndersSpezialisten Christian Dries ergänzt Anders Texte aufs Schönste, indem sie die weiteren Lebens- und Denkwege der beiden Protagonisten sorgfältig nachzeichnet. ● 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11 Essay Am 30. März jährt sich der 100. Todestag des deutschen Bestsellerautors und Hochstaplers Karl May (1842–1912). Seine Indianer-Romane waren früher ungemein beliebt, galten aber als jugendgefährdend. Der Historiker Urs Bitterli erinnert sich an seine eigene heimliche Lektüre Geliebt, gelesen, verboten – Karl May In meiner Jugend gab es die erlaubten und die verbotenen Bücher. Die erlaubten Bücher holte ich in der Schulbibliothek oder bekam sie geschenkt. Zu ihnen gehörten, meist in «für die reifere Jugend» bearbeiteten Ausgaben, Defoes «Robinson Crusoe», Stevensons «Schatzinsel», Coopers «Lederstrumpf», aber auch SJW-Hefte mit so verheissungsvollen Titeln wie «Mit Volldampf durch fünf Erdteile». Wichtig war für mich, dass die Bücher in entlegenen Weltgegenden spielten und dass sie spannend waren. Bei den verbotenen Büchern unterschied man verschiedene Stufen der Gefährdung, denen der junge Leser ausgesetzt war. Streng verboten waren die Groschenhefte von Rolf Torring, die von den Abenteuern berichteten, die ihr Held in der weiten Welt mit zähnefletschenden Negern und heimtückisch grinsenden Chinesen zu bestehen hatte. Die Lektüre solcher unterschwellig rassistischer Literatur, die man nicht zu Unrecht, aber vielleicht mit übertriebener Ängstlichkeit als Schund bezeichnete, konnte zu einer Zeit, da Körperstrafen noch als taugliche Erziehungsmittel galten, unangenehme Folgen haben. Verboten waren bei uns auch die Bücher von Karl May. Nie vergesse ich den Ausdruck stummer Sorge auf dem Gesicht meiner Mutter, als sie mich bei der Lektüre von einem der berühmten grünen Bände mit farbigem Titelbild überraschte, die in Radebeul bei Dresden erschienen waren. Mein Vater schwieg nicht, sondern handelte. Er telefonierte dem Herrn Karl May Zu Karl May gibt es eine Reihe von Biografien. Neu erschienen sind Helmut Schmiedt: Karl May oder die Macht der Phantasie (C. H. Beck, 366 Seiten, Fr. 32.90) und Rüdiger Schaper: Karl May. Untertan, Hochstapler, Übermensch (Siedler, 238 Seiten, Fr. 28.50). Bekannt, aber nicht mehr lieferbar ist Hans Wollschläger: Karl May. Grundriss eines gebrochenen Lebens (1965). Im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft erscheinen laufend Forschungsbeiträge zu Leben und Werk; Mitarbeiter sind viele Germanisten, Theologen, Juristen und Mediziner. 12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 Dr. Dürst, unserem Deutschlehrer an der Bezirksschule. Auch der Dr. Dürst handelte. Er überprüfte von Zeit zu Zeit den Inhalt unserer Schulmappen und konfiszierte Bücher mit so geheimnisvollen Titeln wie «Im Reiche des silbernen Löwen», «Der Schut» oder «Der Schatz im Silbersee». Ich glaube nicht, dass unser Deutschlehrer das Verdammungsurteil meiner Eltern teilte, denn eine Strafe unterblieb. Die Erwachsenen erschrecken Die Karl-May-Lektüre beeindruckte uns mächtig. Des Autors bekannteste Inkarnationen, der Orientreisende Kara Ben Nemsi und der Amerikareisende Old Shatterhand, wurden zu Vorbildern. In der Freizeit übten wir uns im Spurenlesen und erschreckten die Erwachsenen, indem wir sie anschlichen und mit buchstäblichem Huronengebrüll aus dem Gebüsch hervorbrachen. Auch auf unsere Bildung blieb Karl May nicht ohne Einfluss. Man übte die Gewandtheit des Mundwerks, indem man den vollen Namen von Kara Ben Nemsis muslimischem Diener Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah möglichst rasch auszusprechen suchte. In stilistischer Hinsicht konnte man von Karl May ebenfalls einiges lernen. Beim Schreiben von Aufsätzen entging man der Qual des ersten Satzes, indem man sich von den Landschaftsbeschreibungen inspirieren liess, mit denen Karl May seine Bücher gern beginnen lässt. Das las sich dann ungefähr so: «Am Fusse des Juragebirges, da, wo sich die Aare durch weite Auenwälder ihren Weg bahnt, auf ihrem Laufe Reuss und Limmat aufnimmt und sich in scharfer Biegung dem Rhein zuwendet, bestiegen mein Freund Heinz und ich eines schönen Herbsttages das Velo …» Der Dr. Dürst wird bei der Lektüre nicht übel gestaunt haben. Warum galt die Karl May-Lektüre damals allgemein als jugendgefährdend? Gewiss nicht, weil man sein Werk wirklich kannte; denn man hätte selbst bei genauer Lektüre wenig Anstössiges, wohl aber viel moralisch Erbauliches finden können. Aber man wusste, dass Karl May mehrmals im Zuchthaus war, und das war im Urteil der streng disziplinierten Schweizer Nachkriegsgesellschaft ein nicht zu tilgender Makel. Konnte man die Jugend, so fragten sich unsere Erzieher, dem Einfluss eines «Zuchthäuslers» aussetzen? Wer die Lebensgeschichte Karl Mays nachlesen will, hat heute die Wahl zwischen den beiden Biografien von Helmut Schmiedt und Rüdiger Schaper, die zum 100. Todestag des erfolgreichsten deutschen Bestsellerautors erschienen sind. Beide Bücher stellen das Leben Mays in den Vordergrund und lassen die Werkinterpretation zurücktreten. Schmiedt bietet eine hervorragende Einführung. Er recher- «Beim Schreiben von Aufsätzen entging man der Qual des ersten Satzes, indem man sich von den Landschaftsbeschreibungen Karl Mays inspirieren liess.» chiert sorgfältig, nutzt die umfangreiche Fachliteratur mit Umsicht, urteilt nüchtern und ohne den Anspruch, eine revolutionäre Neudeutung vorzulegen. Anders Schaper. Dieser nähert sich einfühlend seinem Helden, sein Urteil ist oft intuitiv, seine Sprache zuweilen salopp. Durch gewagte Analogien und forcierte Gegenwartsbezüge versucht er, dem Leser die Neuentdeckung eines verkannten Genies zu ermöglichen. Kleinkrimineller und Hilfslehrer Beide Autoren verweilen eingehend bei Karl Mays Kindheit und Jugend, von der viel Erfreuliches freilich nicht zu berichten ist. Im Jahre 1842 in einem kleinen Dorf am Rande des Erzgebirges als Sohn eines Webers geboren, hatte Karl May früh grosse Ziele und geringe Aussichten, diese zu erreichen. Er besuchte das Lehrerseminar, war Hilfslehrer an einer Armenschule, musste jedoch die berufliche Laufbahn wegen kleiner Diebstähle und Gaunereien aufgeben. Mehrmals kam er hinter Gitter; Schmiedt spricht von «einer kriminellen Karriere mittleren Ausmasses». In den Jahren 1874 bis 1880 entwickelte sich Karl May zum Schriftsteller. Er trat in die DDP Zahlreiche Karl May-Romane wurden erfolgreich verfilmt. Im Bild Old Shatterhand (links, Lex Barker) mit Winnetou (Pierre Brice) in «Winnetou I» von Harald Reinl, 1963. 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13 Essay nen akademischen Werdegang beharrlich zu behindern, und solchen, die ihn zaghaft zu fördern suchten, wäre es unvorsichtig gewesen, den Verdacht aufkommen zu lassen, mein wissenschaftliches Interesse speise sich aus so unlauterer Quelle. Nachher, als Professor unter Professoren, stellte ich dann freilich fest, dass viele meiner deutschen Kollegen begeisterte Karl-May-Leser gewesen waren. Und es konnte durchaus vorkommen, dass diese Kollegen in gelöster Stimmung und bei einem Glase Wein sich an Hadschi Halef Omar erinnerten und dessen vollen Namen herzusagen wussten. Triviale Neigungen, zu denen sich Professoren bekennen, gewinnen bekanntlich gern den Anschein des Originellen. Mit dem Hochstapler Karl May befassen sich beide Biografen eingehend. Schmiedt spricht von «narzisstischer Identitätsstörung», und Schaper vergleicht Karl May mit Wilhelm II. und dessen Hang zur Selbstinszenierung. Hochstaplerfiguren, wirkliche wie der Hauptmann von Köpenick und fiktive wie Felix Krull, finden sich im Zeitalter Wilhelms II. in der Tat auffallend häufig, und es ist verlockend, zwischen den Lügengespinsten Karl Mays und der fatalen Neigung zum Bluff, welcher die wilhelminische Aussenpolitik charakterisierte, einen Zusammenhang zu sehen. ATELIER ADOLF NUNWARZ / BPK Vergangenheit holt Karl May ein Wie sich Karl May am liebsten sah: als Kara Ben Nemsi in einem Phantasiekostüm. Aufnahme von 1896. Dienste eines Dresdner Kolportageverlegers, verfasste Dorfgeschichten, Humoresken und erste Abenteuererzählungen. Seine Reiseberichte fanden nach 1890 reissenden Absatz, auch darum, weil der Autor in eigener Person unter den Decknamen Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand in ihnen auftrat. Um Authentizität vorzutäuschen, konsultierte Karl May Lexika sowie Wörterbücher und las Fachliteratur über die Länder, in denen seine Romane spielten. Ja er ging noch einen Schritt weiter: Karl May, der nie studiert und seine engere Heimat nie verlassen hatte, erschlich sich, über hundert Jahre vor Karl-Theodor von und zu Guttenberg, einen Doktortitel, inszenierte sich als Weltreisender von überragenden Begabungen und verbreitete in Zeitungen und in der privaten Korrespondenz die Mär langer und abenteuerlicher Aufenthalte in exotischen Weltgegenden. Was er in seiner Jugend in Ansätzen schon gewesen war, wurde er nun ganz: ein Hochstapler. Verlockungen der Ferne Zur Zeit meines Studiums an der Universität Zürich war ich der Karl-May-Lektüre längst entwachsen. Aber ich blieb der Verlockung durch die Ferne treu: Meine Autoren waren nun André Malraux, Joseph Conrad oder Graham Greene. Ganz verschwunden war Karl May aus meinem Leben nicht. Es war das grosse Verdienst unseres Professors Marcel Beck – böse Zungen meinen, es sei sein einziges gewesen –, mit seinen Studenten strapaziöse Studienreisen 14 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 in den Orient zu unternehmen, und während wir mit der keuchenden Bagdad-Bahn Istanbul zustrebten, fuhr Karl May mit. Es war auf dieser Reise, als wir in einem abgelegenen christlichen Kloster im Gästebuch den Eintrag eines wagemutigen deutschen Reisenden vom Anfang des letzten Jahrhunderts lasen: «Nach starkem Ritte hier abgestiegen». Wer unterschrieb, habe ich vergessen, aber ich bin sicher: Kara Ben Nemsi war es nicht. «Viele meiner deutschen Professoren-Kollegen waren begeisterte Karl-May-Leser gewesen, wie sie in gelöster Stimmung und bei einem Glas Wein oft einräumten.» Später, als Privatdozent an der Universität, war eines meiner Forschungsgebiete der überseeische Kulturkontakt, wie er sich in alten Reiseberichten darstellt. Es wäre verwegen zu behaupten, der Einfluss Karl Mays sei hier wirksam geworden; denn von Kulturkontakt verstand der Schriftsteller nichts und von alten Reiseberichten nur wenig. Als Privatdozent hütete ich mich im Übrigen, Karl Mays Namen zu erwähnen. Umstellt von Professoren, die mei- Im Jahre 1895 erwarb Karl May in Radebeul bei Dresden ein herrschaftliches Haus, die «Villa Shatterhand». Er hatte nun den erstrebten Wohlstand erreicht und hätte mit seiner zweiten Frau glücklich sein können. Aber nun begann sich die Kritik an seinen Reiseromanen zu häufen, und seine Vorstrafen wurden publik. Die falsche Identität, die Karl May sich gezimmert hatte, fiel in sich zusammen, und daran änderten einige touristische Reisen in den Orient und nach Nordamerika nichts. Die Bücher, die er nun schrieb, die Romane «Ardistan und Dschinnistan», «Winnetou IV» und die Autobiografie «Mein Leben und Streben» sind zwar interessante Dokumente überspannter ethischer und pazifistischer Gesinnung, vermochten aber uns junge Leser nicht mehr zu fesseln. Karl May starb im März 1912 in Radebeul, kurz nachdem er in Wien vor zahlreichem Publikum einen Vortrag zum Thema «Empor ins Reich der Edelmenschen» gehalten hatte. Adolf Hitler soll diesem Vortrag beigewohnt haben. Von Karl May sind in deutscher Sprache rund 100 Millionen Bücher verkauft worden, und es liegen Übersetzungen in etwa vierzig Sprachen vor. Wie ein Autor, der seiner eigenen Epoche so sehr verhaftet ist, diese überzeitliche Wirkung haben konnte, wissen auch seine Biografen nicht ganz zu erklären. Vielleicht müsste man Dramaturg und Psychologe in einer Person sein, um in genauer Werkanalyse darüber Aufschluss zu gewinnen, wie dieser Schriftsteller Spannung zu erzeugen wusste und wie er aus seinen Helden Wesen zu machen verstand, denen wir uns irgendwie verwandt fühlen. In der Schweiz ist der Stern Karl Mays verblasst, die Buchhandlungen halten seine Bücher nicht mehr am Lager. Vor einigen Jahren aber fand ich in der Bibliothek eines kleinen Hotels im Münstertal, eingereiht zwischen Blumenund Vogelbüchern, den Band «Durch das Land der Skipetaren». Es handelte sich um die schöne alte, in Fraktur gesetzte Radebeuler Ausgabe. Ich begann mit Genuss zu lesen, wobei ungewiss blieb, ob dieser dem Text oder der Erinnerung an meine Jugendlektüre entsprang. Ein Jahr später, als ich im selben Hotel abstieg und weiterlesen wollte, war das Buch verschwunden. Karl-May-Liebhaber gibt es also noch. l Urs Bitterli ist emeritierter Professor für neuere Geschichte der Universität Zürich. Kolumne GAËTAN BALLY / KEYSTONE Charles Lewinskys Zitatenlese Der Autor Charles Lewinsky arbeitet in den verschiedensten Sparten. Seine Zitatenlese für «Bücher am Sonntag» ist soeben als Buch «Falscher Mao, echter Goethe» bei NZZ Libro erschienen. Es gibt keinen Schriftsteller ohne fremde Einflüsse. Sie sind wichtig, weil sie einem helfen, sich zu definieren – mit ihnen und gegen sie. Je mehr man schreibt, desto mehr fallen die Einflüsse ab. Wie wenn man ein Gerüst baut, um eine Rakete zu starten: Wenn die Rakete abhebt, fällt das Gerüst ab. Salman Rushdie – Autor an Bodenstation: Roman fertig zum Start. Alle Systeme bereit. Textcomputer eingeschaltet. Korrekturprogramm auf neue Rechtschreibung umgestellt. Synonymlexikon auf Standby. – Bodenstation an Autor: Ideengenerator? – Läuft stabil auf zwölf Ideen pro Minute. – Notfallset? – Whiskyflasche aufgefüllt. – Irgendwelche letzten Worte, bevor Sie starten? – Ein kleiner Schritt für mich, ein grosser Schritt für die Literatur. – Wie bitte? – Das werde ich nach der erfolgreichen Landung sagen. In Stockholm, nicht? – Solothurn. – Na ja, immerhin ein Anfang. – Wir beginnen mit dem Countdown. Zehn, neun, acht . . . – Titelseite auf Bildschirm aufgerufen. – . . . sieben, sechs, fünf . . . – Seitennummerierung programmiert. – . . . vier, drei, zwei . . . – Countdown sofort anhalten. Mayday! Mayday! – Bodenstation an Autor: Was ist das Problem? – Autor an Bodenstation: Der Thomas Mann klemmt. Ich kann mich von der Vorlage nicht lösen. – Haben Sie versucht, mit dem Hemingway Gegensteuer zu geben? – Ja, nur löst sich jetzt auch der Hemingway nicht mehr. Ich muss dauernd an Stierkämpfe denken. – Ist Ihr Kreativbooster auf voller Power? – Meine Finger zucken schon von selber nach den Tasten. – Also alles normal. – Aber das Einflussgerüst fällt einfach nicht ab. – Sieht nach einer echten Imitationskrise aus. Wir müssen zu extremen Massnahmen greifen. Drücken Sie kurz den Bestsellerknopf. Aber wirklich nur kurz! – Harry Potter schwenkte seinen Zauberstab und . . . – Zu lang gedrückt. Bodenstation an Autor: Mission abbrechen. – Ich wiederhole: Mission abbrechen. – Schade. Und es sollte doch ein so schöner Roman werden. Kurzkritiken Sachbuch Felix Müller: Die Kunst der Kelten. C. H. Beck, München 2012. 128 Seiten, 77 Abbildungen, Fr. 13.50. Lou-Salomé Heer: «Das wahre Geschlecht». Geschlechterdiskurs im SPIEGEL. Chronos, 2012. 173 Seiten, Fr. 32.−. Die Griechen und Römer verachteten sie als Barbaren, wir bewundern ihre verschlungenen Ornamente. Die Kunst der Kelten ist so geheimnisvoll wie schön und seit Jahren en vogue. 2009 wurde sie im Historischen Museum in Bern gefeiert. Nun legt der verantwortliche Kurator Felix Müller eine Gesamtdarstellung vor. Im handlichen Taschenbuch mit vielen Abbildungen und Karten führt er in die vielschichtige Materie ein. Er geleitet die Leser nach Irland, zeigt uns Grabhügel und Herrschaftsinsignien, er lenkt den Blick auf die Einflüsse der Griechen und zeigt, wie kulturelle Impulse sich über Jahrhunderte gemischt haben. Immer wieder zeichnet er mit sicheren Strichen den weiteren gesellschaftlichen Hintergrund, auf dem die Überreste zu verstehen sind, welche Archäologen ans Licht gebracht haben. Eine Epoche wird greifbar. Gerhard Mack Anhand von 35 «Spiegel»-Titelgeschichten zwischen 1962 und 2010 untersucht Lou-Salomé Heer den Geschlechterdiskurs dieses Magazins: Covergeschichten zu den Themen Mann und Frau, Ehe, Treue, Sexualität, Emanzipation. Ausgangspunkt war ihre «Empörung und Wut» über «biologistische Erklärungen» in den Massenmedien, wie die Neuzeit-Historikerin in der Überarbeitung ihrer Lizentiatsarbeit schreibt. Dabei stellt sie fest, dass bei den Popularisierungsversuchen des «Spiegel» seit den 1990er-Jahren soziobiologische Interpretationen zugenommen hätten, was man jedoch nicht zwingend als antifeministischen Backlash verstehen müsse. Der interessierte Leser muss sich allerdings durch den einschlägigen Sozio-Psycho-Gender-Jargon kämpfen, bis er mit diesen durchaus differenzierten Erkenntnissen belohnt wird. Urs Rauber Elisabeth Gusdek Petersen (Hrsg.): Das ist unser Land. Texte von Berufslernenden. Hep, Bern 2011. 224 Seiten, Fr. 29.−. August Faselius: Sprichwörter des Alten Rom. Reprint/Primus, Darmstadt 2012. 276 Seiten, Fr. 16.30. Von den rund 230 000 Berufslernenden in der Schweiz hört man nicht viel. Umso überraschender die Texte, die 16 Schülerinnen und Schüler der Berufsschule für Detailhandel in Zürich hier vorlegen. Verfasst wurden sie auf Anregung ihrer Lehrerin Elisabeth Gusdek Petersen im Fach Gesellschaft: Es sollte jeweils ein Sachthema aus dem Unterricht wie etwa Steuern, Parteien oder Konsumverhalten mit der eigenen Herkunft und Erfahrung verknüpft werden. Albona denkt anhand des Dauerstreits ihrer kosovarischen Eltern über Konflikte nach, Lisa erklärt die Parteienlandschaft der Schweiz, indem sie in Gedanken die Partei ITS = «Immer im Trend sein» gründet, und Nazlije erklärt ihrer Cousine in Kosovo die Bedeutung ihres Schweizerpasses. Um mit den Worten zu enden: «Du siehst, ich fahre keinen Porsche, bin nicht steinreich, kann aber mit meinem Pass durch Europa reisen.» Kathrin Meier-Rust «Tempora mutantur» – die Zeiten ändern sich, heisst ein bekanntes lateinisches Sprichwort. Doch von wem stammt es? Ein Blick in August Faselius’ Buch klärt auf: Es stammt aus der Neuzeit! Die meisten anderen Zitate der Sammlung sind aber tatsächlich alt, so wie auch dieser Reprint anmutet. Das Original wurde nämlich 1859 in Leipzig gedruckt. Es enthält 1400 der bekanntesten Sentenzen in alphabetischer Reihenfolge. Faselius liefert das authentische Zitat, übersetzt es und nennt – wenn gekannt – die Herkunft. Er gibt auch einen knappen Kommentar ab, ergänzt durch ein sinngemässes Sprichwort auf Deutsch, wie es in der Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchlich war. Insofern ist sein Werk bereits wieder eine eigene historische Quelle. Ein Büchlein zum Nachschlagen und Schmökern für Lateiner wie Nichtlateiner, denen das Lesen von Frakturschrift keine Mühe bereitet. Geneviève Lüscher 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15 Sachbuch Medizin Der amerikanische Arzt Siddhartha Mukherjee entmystifiziert in seinem neuen Buch den Krebs und die Forschung dazu Jede Krankheit erzählt eine Geschichte Siddhartha Mukherjee: Der König aller Krankheiten. Krebs – eine Biografie. Vorwort Fitz Pleitgen. Dumont, Köln 2012. 760 Seiten, Fr. 34.50. Von Sieglinde Geisel Als junger Arzt habe er sich im Klinikalltag vom Krebs ebenso vereinnahmt gefühlt wie seine Patienten, erzählt Siddhartha Mukherjee. Um sich Distanz zu verschaffen, habe er begonnen, einen «Bericht aus dem Schützengraben der Krebstherapie» zu schreiben. «Doch bald bekam ich das unabweisliche Gefühl, dass ich nicht über etwas schreibe, sondern über jemanden.» Auf einmal sei es darum gegangen, «in den Geist der Krankheit einzudringen, ihre Persön- Siddhartha Mukherjee lichkeit zu verstehen, ihr Verhalten zu entmystifizieren». Entstanden ist nun eine «Biografie» des Krebs, so der Untertitel, doch dies trifft die Sache nicht ganz. Denn im Mittelpunkt des umfassend recherchierten Buchs steht nicht die Entwicklung der Krankheit, sondern unseres Verständnisses von ihr – es geht um die Beziehung zwischen Medizin und Krebs. «Medizin beginnt mit dem Erzählen von Geschichten», so Mukherjee, und in der Tat versteht er es, medizinisches Fachwissen in Geschichten zu verpacken. Er lässt Forscher, Patienten und Ärzte auftreten (auch sich selbst), nimmt uns mit ins Labor und auf Kongresse, ohne dabei die Komplexität der Materie zu leugnen. Jedes Kapitel beginnt mit einem literarischen oder philosophischen Zitat, das Gedanken antippt, die ein paar Seiten später ausgeführt werden. DEBORAH FEINGOLD / AP Krebs gab es schon immer Siddhartha Mukherjee, 42, ist Assistenzprofessor für Medizin an der Columbia University in New York, wo er sich mit der wissenschaftlichen Entwicklung der Krebsmedizin auseinandersetzt. 2011 hat der in New Delhi geborene Forscher und Publizist für sein Buch «Der König aller Krankheiten» den renommierten Pulitzer-Preis erhalten. Das «Time Magazine» nominierte den Arzt unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten. Mukherjee veröffentlicht regelmässig Beiträge in Zeitschriften und Zeitungen, ist verheiratet und lebt in New York. 16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 Im Bemühen um Narration verwendet Mukherjee Verfahrensweisen, die man aus dem «New Journalism» kennt, und er tut es so systematisch, dass man bisweilen die routinierte Hand eines Ghostwriter zu spüren vermeint. Bei jeder Gelegenheit versetzt er uns in die Rolle von Augenzeugen: «An einem Dezembermorgen im Jahr 1947 wartete Sidney Farber in einem feuchten, vier mal sechs Meter grossen Labor in Boston ungeduldig auf ein Päckchen aus New York …». Ob man solche Dramatisierungen mag, ist Geschmackssache, der fachlichen Substanz tut es jedenfalls keinen Abbruch. Anders als oft behauptet, ist der Krebs keine moderne Krankheit. Das älteste Zeugnis findet sich bereits in einem ägyptischen Papyrus von 2500 v. Chr., dort erscheint er als «geschwollene Masse in der Brust», für die es keine Behandlung gebe. Herodot berichtet von der persischen Prinzessin Atossa, die sich von einem griechischen Sklaven die Brust entfernen lässt, und von Hippokrates hat die Krankheit ihren Namen: Ein Geschwür, das Gewebe in der Brust wie mit dünnen Beinen umklammerte, liess ihn an den Krebs – kankeri – denken. Die Vier-Säfte-Lehre der Antike sah die Ursache für den Krebs in der schwarzen Galle, noch bis ins Mittelalter wurde die Krankheit mit abenteuerlichen Tinkturen und Salben behandelt. Das moderne Verständnis der Biologie des Krebses beginnt im 19. Jahrhundert mit Rudolf Virchows Erforschung der Zellteilung. Die durch die Anästhesie möglich gewordene Chirurgie wurde einen Aufruf für Krebsforschung abzu drucken, denn die «Times» könne «weder das Wort Brust noch das Wort Krebs veröffentlichen». Durch politi schen Druck entschloss sich Nixon 1971, den «Krieg gegen den Krebs» mit staat lichen Institutionen voranzutreiben. Doch nicht nur die Finanzierung war ein Problem. Die fehlende Kommunikation zwischen Forschung und klinischer Therapie verzögerte die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse ebenso wie Rivalitäten: Bis in die Sechzigerjah re hätten Chirurgen die Chemothera peuten als Konkurrenten gesehen. ANDREJS LIEINS / SCIENCE PHOTO LIBRARY Emanzipierte Patientinnen nun zur wichtigsten Behandlung – die immer radikaleren Operationen vor allem beim Brustkrebs verstümmelten die Patientinnen in heute unvorstellba rem Mass. Die Erkenntnis, dass der Krebs mit seiner Fähigkeit, Metastasen in fernen Körperregionen zu streuen, keine organische, sondern eine systemi sche Krankheit des ganzen Organismus darstellt, setzte sich erst allmählich durch. 1947 wurde die erste Chemothe rapie erprobt, an leukämiekranken Kin dern. Sie erreichte keine Heilung, nur eine Remission – die Schilderungen sol cher verzweifelten und oft aussichtslo sen Kämpfe an der vordersten Front der Forschung gehören zu den bewegends ten Passagen des Buchs. Siddhartha Mukherjee entmystifi ziert in seinem Buch jedoch nicht nur den Krebs, sondern mehr noch die me dizinische Forschung: «Eine Krankheit (…) muss zum Politikum werden, ehe sie wissenschaftlich bearbeitet werden kann.» In den frühen Fünfzigerjahren gelang es der Aktivistin Mary Lasker zu sammen mit dem Kinderpathologen Sidney Farber in den USA eine Lobby zu schaffen, und zwar in einer Zeit, in der die «New York Times» sich weigerte, Siddhartha Mukherjee schildert in seinem Buch die bewegende Geschichte der Krebsbekämpfung. Im Bild: Killerzellen des Immunsystems (orange) eliminieren Krebszellen (pink). Beim Brustkrebs führte der Feminismus auch zu einer Emanzipation der Patien tinnen, die begannen, Druck auf die Me dizin auszuüben. Sie forderten experi mentelle Behandlungen und wurden zu einem durchaus zwiespältigen Macht faktor. Als «dunkelste Stunde der Krebs medizin» bezeichnet Mukherjee die Ära der hochdosierten, offiziell nicht zuge lassenen Chemotherapie, der sich in den Neunzigerjahren 40 000 Frauen unter zogen: Die Studien aus Südafrika, auf die sich die Hoffnungen auf Heilung grün deten, stellte sich als Fälschung heraus. Bei Krebs gibt es keine einfachen Wahrheiten, das ist vielleicht die wich tigste Botschaft dieses Buchs. In Europa und den USA erkrankt statistisch jeder und jede Dritte irgendwann an Krebs – und doch ist Krebs keine Zivilisations krankheit: «Wir betrachten den Krebs oft als moderne Krankheit, weil seine Metaphern so modern sind.» Überpro duktion, Wachstum und Kontrollverlust sind die Laster der Moderne – nun keh ren sie als wuchernde Zellen wieder. Die Zivilisation führe nicht zum Krebs, so Mukherjee, sie habe ihn nur aufge deckt. Dass Krebs, nach Herzkrankhei ten, die zweithäufigste Todesursache ist, liegt nur daran, dass wir nicht mehr an Tuberkulose, Typhus oder anderen Infektionskrankheiten sterben. Krebs ist auch eine Alterserscheinung und damit keine Zivilisationskrankheit, sondern ein Wohlstandsphänomen. Nachdem jahrzehntelang trotz inten sivster Forschung kein Rückgang der Sterblichkeit durch Krebs zu verzeich nen war, hat sie von 1990 bis 2005 um 15 Prozent abgenommen. Dies hat ver schiedene Gründe: Die Abkehr vom Rau chen, Früherkennung durch Vorsorge, hochspezifische Chemotherapien und die Weiterentwicklung von Operations techniken wirken dabei zusammen. Nach heutigem Verständnis ist Krebs eine ge netische Krankheit, denn auch Umwelt einflüsse wie Zigarettenrauch erzeugen Krebs, indem sie Mutationen im Gen material von Zellen auslösen. «Krebs ist in unserem Genom eingebaut», so die Schlussfolgerung von Mukherjee. Der Krebs sind wir selbst: Er breitet sich aus, indem er die normalen Prozesse des Lebens pervertiert. Die ausser Kontrolle geratene Krebszelle imitiert die Fähig keit der gesunden Stammzelle, sich un entwegt zu erneuern: Sie tötet durch ihre Unsterblichkeit. l 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17 Sachbuch Imperien Pointierte Debatte unter US-Prominenten zur Rolle Chinas im 21. Jahrhundert Intellektuelles Quartett im Wettstreit Henry A. Kissinger, Fareed Zakaria, Niall Ferguson, David Daokui Li: Wird China das 21. Jahrhundert beherrschen? Eine Debatte. Pantheon, München 2012. 112 Seiten, Fr. 14.90. Von Thomas Isler Ist China die neue Weltmacht? Es ist nicht das erste Buch, das dieser Frage nachgeht. Aber es ist eines der unterhaltsameren – und gewiss das sportlichste. Es ist das Transskript der «Munk Debate», die am 17. Juni 2011 in Toronto vor 2700 Zuschauern geführt wurde. Tausende waren via Internet live dabei. Der Stifter der Debatte, der kanadische Minenbesitzer Peter Munk, glaubt, dass Menschen am meisten lernen, wenn sie die Gelegenheit haben, hochkarätigen Experten beim Streiten zuzuhören. Er gründete 2008 einen zweimal jährlich stattfindenden Anlass nach den Regeln der Debattierwettbewerbe, wie sie im angelsächsischen Raum als Form des Schulsports betrieben werden. In Toronto treten zwei Zweierteams – moderiert und nach klaren Spielregeln – gegeneinander an. Vor und nach der Debatte stimmt das Publikum über die These des Abends ab. Wer am meisten Zuhörer überzeugen kann, gewinnt. Wird China das 21. Jahrhundert beherrschen? Auf der Seite der Befürworter streiten an diesem Abend Niall Ferguson, Historiker von Weltrang, sowie David Daokui Li, Ökonomieprofessor in Peking und Berater der chinesischen Zentralbank. Auf der Gegenseite kämp- ARCHIV SCHWEIZERISCHE POST Die Post Gelber Riese bewegt die Schweiz Ein Brief kostete 20 Rappen, ein Paket 40 Rappen; Frauen waren nur Gehilfinnen; 4000 Poststellen zählte das Land, mindestens eine in jedem Dorf; lebende Tiere wurden mit einem Etikett versehen und versendet; Barauszahlungen von Löhnen waren die Regel, Schlangen vor den Postschaltern zu Monatsende auch; die «Neue Zürcher Zeitung» erschien dreimal täglich – das war in den 1960er-Jahren. 50 Jahre später liest man diese Geschichten im Buch «Gelb bewegt», zusammengetragen von Projektleiter Walter Knobel. Er ist der letzte Postkreisdirektor und ging Ende 2011 in Pension. Unter anderen berichten viele Zeitzeugen, wie sich die PTT zur heutigen 18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 Schweizerischen Post wandelte. Heute kostet ein A-Post-Brief 1 Franken, ein Paket 7 Franken, knapp die Hälfte der Angestellten sind Frauen, aber nur noch 2300 Poststellen zählt das Land. Zahlungen erfolgen immer öfters über E-Finance. Die NZZ erscheint einmal täglich, und die schnellen News auf www.NZZ.ch. Nur das Postauto fährt seit 90 Jahren wie eh und je über die Furka (Bild). Und noch immer warnt das Dreiklanghorn den Gegenverkehr auf den kurvenreichen Bergstrassen. Gabriela Weiss Gelb bewegt. Die Schweizerische Post ab 1960. Hrsg. Schweizerische Post. Stämpfli, Bern 2011. 269 Seiten, Fr. 48.−. fen Fareed Zakaria, Chefredaktor des «Time Magazine», sowie Henry Kissinger, ehemaliger Sicherheitsberater und Aussenminister der USA, der in den siebziger Jahren die amerikanische Öffnungspolitik gegenüber China einzufädeln geholfen hat. Ferguson eröffnet die Debatte. Natürlich werde China das 21. Jahrhundert beherrschen, so wie es als weltweit grösste Volkswirtschaft schon fast alle Jahrhunderte beherrscht habe. Ausnahmen seien nur das 19. und das 20. Jahrhundert gewesen. Er zitiert dazu maliziös Belege seiner Kontrahenten Zakaria und Kissinger. Für Ferguson hat China bereits heute mehr als nur emsige Fabrikarbeiter zu bieten: Es meldet je länger je mehr eigene Patente an. Den wichtigsten Grund chinesischer Vorherrschaft sieht Ferguson aber im Niedergang des Westens, mitverursacht durch die Finanzkrise. «Das 21. Jahrhundert wird auch deshalb von China beherrscht werden», sagt er, «weil sich ein übergewichtiges, hochverschuldetes und hypersexuelles Amerika und ein dysfunktionales Europa im Niedergang befinden.» Zakaria pariert. Etwa mit dem Beispiel Japans, von dem noch vor kurzem viele angenommen haben, es werde bald die Welt dominieren. Zakaria weist auf die abnehmende Bevölkerung Chinas hin und sagt, noch nie in der Menschheitsgeschichte habe es eine führende Weltmacht mit schrumpfender Bevölkerung gegeben. Dass China eine Wirtschaftsmacht sei und bleiben werde, bestreite niemand. Das sei aber längst noch nicht dasselbe wie eine Weltmacht, was etwa Saudiarabien beweise. Das grösste Problem Chinas werde künftig ohnehin die Einbindung seiner wachsenden Mittelschicht sein. In Taiwan oder Südkorea sei es an einem ähnlichen Punkt zu blutigen Unruhen gekommen, weil die Bevölkerung Mitbestimmung verlangt habe. All diese Fragen werden laut Zakaria China derart beanspruchen, dass dem Land für Dominanz gegen aussen jede Energie fehlen wird. Die Debatte wogt hin und her, es herrscht – vor allem zwischen Ferguson und Zakaria – kein Mangel an Spott und Stichelei. Li und Kissinger sekundieren nach Kräften. Als Li sagt, Europa solle zuerst den Haushalt in Ordnung bringen, jubelt Ferguson: «So klingt die Stimme der chinesischen Macht!» Man sollte sich besser daran gewöhnen. In einer westlichen Welt mit abgespeckten Verteidigungsbudgets könnten auch die USA nicht mehr einfach sagen: «Bis hierher und nicht weiter.» Dann folgt die Schlussabstimmung: Vor der Debatte unterstützten 39 Prozent die These von der künftigen Vormacht Chinas, 40 Prozent bestritten sie, 21 Prozent waren unentschlossen. Nach der Debatte waren nur noch 38 Prozent für die These, 62 Prozent stimmten dagegen. Gewonnen hat das Team Zakaria/Kissinger. ● Staatsführung Der amerikanische Politikwissenschafter John J. Mearsheimer hat einen Essay über Unwahrheiten in der internationalen Politik geschrieben – brisant, aber zwiespältig Dürfen Regierungen lügen? John J. Mearsheimer: Lüge! Vom Wert der Unwahrheit. Campus, Frankfurt a. M. 2011. 146 Seiten, Fr. 21.90. Respekt heischt das schmale Bändchen für die spannende Einlösung des erklärten Hauptziels: die Bereitstellung eines analytischen Rahmens, um das Problem aussenpolitischer Lügen hinsichtlich Arten, Motiven, Adressaten, Umständen, Chancen und potenziellen Kosten in den Griff zu bekommen. Der Autor füllt mit dieser kleinen «Theorie der Lüge in der internationalen Politik» eine Forschungslücke. Aufgrund des eigens zusammengestellten Inventars von rund drei Dutzend Fällen aus den letzten hundertfünfzig Jahren unterscheidet Mearsheimer fünf Hauptarten internationaler Lügen: Erstens die zwischenstaatlichen Lügen; als Beispiel nennt er Bismarcks Frisierung der Emser Depesche 1870. Zweitens die Angstmache: etwa die vier faustdicken Lügen der Bush-Administration zur Begründung des IrakKrieges 2003. Drittens die strategische Vertuschung. Dafür steht als Beispiel das Geheimabkommen über US-Atomwaffen in japanischen Häfen von 1969. Als vierte Art nennt Mearsheimer die nationalistischen Lügen und erwähnt die angebliche Flucht, aber tatsächliche Vertreibung von 700 000 Palästinensern aus Israel 1948. Und schliesslich fünftens die Völkerrechtslügen: beispielhaft die humanitäre Katastrophe der Wirtschaftssanktionen gegen den Irak 1990–2003 mit der Folge einer halben Million ziviler Opfer. Überraschend ist in der Bilanz die Feststellung, dass Lügen gegenüber anderen Staaten eher selten seien, dass dafür aber eine umso grössere Neigung bestehe, das eigene Volk hinters Licht zu führen. Das gelte besonders für Demokratien mit ehrgeizigen aussenpolitischen Zielen und der Tendenz zu selbstgewählten Kriegen in fernen Regionen. Die Mehrzahl der Beispiele betreffen die Aussenpolitik der USA. Präsidiale Rechtfertigungen Ob die «noble Lüge» John F. Kennedys zur Lösung der Kuba-Krise 1962 tatsächlich eine Lüge war, kann bezweifelt werden. Denn das Angebot, die Jupiter-Raketen aus der Türkei im Gegenzug zur Entfernung der sowjetischen Raketen auf Kuba abzuziehen, war keine Konzession, weil die Schliessung des türkischen Stützpunktes schon zuvor entschieden worden war. Kennedy hat in der Medienkonferenz nicht die ganze Wahrheit gesagt, wozu er nicht verpflichtet war. Der Fall gehört eher in die Kategorie le- RUE DES ARCHIVES / KEYSTONE Von Alois Riklin gitimen Verschweigens. Der Sachverhalt ist in einer von Mearsheimer nicht beachteten Harvarder Fallsammlung dokumentiert, zusammen mit zwei anderen, allerdings zweifelsfreien Beispielen, die in seinem Inventar fehlen: Die Verstrickung der Nixon-Administration in die chilenische Allende-Affäre 1970 und die Meineide der Hauptakteure der Iran-Contra-Affäre 1984–86 vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss während der Reagan-Ära. So schonungslos der scharfe Beobachter internationale Lügen analysiert und offenlegt, so fragwürdig sind seine freigebigen Rechtfertigungen. Mearsheimer glaubt zu wissen, dass «Regierungen aller Art» aussenpolitische Lügen als nützliche Mittel der Staatskunst betrachteten und manchmal sogar als «moralische Pflicht» empfänden. Aber nicht nur die Regierungen und Politiker dächten so, vielmehr hielten «die meisten Menschen» das Lügen für einen festen Bestandteil der internationalen Politik. Sie verstünden sehr wohl, dass sich Regierungen zum Nutzen des eigenen Landes so verhalten würden. Im Gegensatz zur Innenpolitik und den meisten anderen Lebensbereichen würden Lügen in der Aussenpolitik allgemein als «akzeptabel», «selbstverständlich», unter Umständen als «klug», «notwendig», ja sogar als «tugendhaft» angesehen. Mearsheimer wird nicht müde, diese seine Botschaft mantramäs- Zwischen «nobler Lüge» und legitimem Schweigen: John F. Kennedy unterzeichnet die Erklärung zur Blockade Kubas am 29. Oktober 1962. sig zu wiederholen. Handkehrum mutiert die angebliche Überzeugung anderer zu seiner eigenen. Es gebe «gute», «zwingende», «sehr vernünftige» oder gar «sinnvolle» strategische Gründe, das eigene Volk zu belügen, die Verbündeten zu täuschen und das Völkerrecht zu brechen. Für den Frieden verheerend Massstab zur Legitimierung aussenpolitischer Lügen ist nach Auffassung Mearsheimers das nationale Interesse. «Wo es um die Aussenpolitik geht, entschuldigt der Erfolg die Lüge, oder der Erfolg macht sie zumindest erträglich.» Unentschuldbar sind Lügen, die dem nationalen Interesse schaden. Schädlich war im Urteil Mearsheimer die lügnerische Angstmache zur Ausweitung des Vietnam-Krieges (1964) und zur Auslösung des Irak-Krieges (2003), weil beide Kriege in ein «Desaster» führten. Trotz dieser Desaster mutmasst Mearsheimer, es werde kaum lange dauern, bis die USA einen neuen «Kreuzzug» begännen. Mearsheimer gilt als Begründer des sogenannten «offensiven Neorealismus». Meines Erachtens ist diese nationalegoistische Staatsräson-Ideologie einer «moralfreien» utilitaristischen Erfolgsethik jedoch für Frieden und Gerechtigkeit auf Erden verheerend. ● Alois Riklin ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft der Universität St. Gallen. 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19 Sachbuch Zahlenlehre Von Denkfallen, Irrtümern und einer Reise durch das Reich der Mathematik Die Krux mit der Wahrscheinlichkeit Christian Hesse: Achtung Denkfalle! Die erstaunlichsten Alltagsirrtümer und wie man sie durchschaut. C. H. Beck, München 2011. 224 Seiten, Fr. 25.90. Marcus Du Sautoy: Eine mathematische Mystery Tour durch unser Leben. C. H. Beck, München 2011. 318 Seiten, Fr. 28.50. Alex Bellos: Alex im Wunderland der Zahlen. Berlin Verlag, Berlin 2011. 480 Seiten, Fr. 34.50. Von André Behr DENIS DOYLE / GETTY IMAGES Mathematisches Denken durchzieht die Kulturgeschichte der Menschheit seit den Anfängen. Es begann mit dem Studium von Zahlen, geometrischen Figuren und Körpern und ist heute als Werkzeug in allen naturwissenschaftlichen Disziplinen unabdingbar. Auch im Alltag benutzen wir dieses Werkzeug jeden Tag, manchmal allerdings äusserst fehlerhaft. Insbesondere scheint uns Menschen jeglicher Sinn für Statistik und Wahrscheinlichkeiten abzugehen. Bestimmt dieser Makel nur unser Verhalten beim Lotto oder Roulette, ist er zu verkraften, versucht man uns jedoch politisch gefärbte Statistiken unterzujubeln, oder erhalten wir gar eine Krebsdiagnose, wird es ernsthafter. Spätestens dann kann Christian Hesses Buch «Achtung Denkfalle» helfen, das uns in die «Stochastik» genannte Kunst des Vermutens einführt. Mit luziden Argumenten leuchtet der Autor die «kognitive Kampfzone» der Mittelwerte, des folgerichtigen Schliessens und des Entscheidens, der kuriosen Zufälle oder 20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 stehen die «Millennium-Probleme», für deren Lösung das Clay Mathematics Institute in Cambridge, Massachusetts, im Jahr 2000 je eine Million Dollar auslobte. Da der Russe Grigorij Perelman inzwischen eines davon enträtselt hat, blieben Sautoy noch fünf, was angesichts des Reichtums an vermittelten mathematischen Ideen kaum auffällt. Das Millennium-Problem, dessen Lösungsversuche zum Teil mit Wahrscheinlichkeitstheorie zu tun haben, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Zu bewältigen sind die sogenannten NavierStokes-Gleichungen. Sie beschreiben Turbulenzen in Flüssigkeiten und Gasen, aber niemand weiss, ob sie überhaupt lösbar sind. Du Sautoy gibt sie am Ende des Kapitels auf zwei Zeilen wieder, zuvor erzählt er jedoch sehr lebendig und verständlich, wie Mathematiker immer wieder Methoden erfunden haben, um mit verlässlichen Voraussagen zu glänzen. In der Astronomie etwa zur Berechnung von Kalendern oder zur Frage, ob die Erdbahn um die Sonne stabil ist, in der Biologie zur Modellierung von Populationsentwicklungen und im Sport zur Berechnung der Flugbahn eines Fussballs, was immer aktuell wird, wenn ein Cristiano Ronaldo zu einem seiner gefürchteten Freistösse anläuft. Ursache-Wirkungs-Beziehungen aus – mit viel Esprit und über zehn Kapitel in «Feierabendlänge», denn Hesse schreibt gerne und gut, vor allem abends nach getaner Arbeit an der Uni Stuttgart. So diskutiert er beispielsweise den Test auf Prostatakrebs (PSA). Man weiss, dass ein Prozent aller 60-jährigen Männer, die sich Vorsorgeuntersuchungen unterziehen, an diesem Krebs leiden. Der PSA-Test wiederum hat eine Trefferwahrscheinlichkeit von 80 Prozent. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein positiv Getesteter krank ist? Entgegen unserer Intuition verschlechtert ein positives PSA-Resultat die Wahrscheinlichkeit, Prostatakrebs zu haben, nur geringfügig. Sie beträgt lediglich 3,9 Prozent, was leider selbst manchen medizinischen Fachleuten nicht bewusst ist. Verflixter Testfehler Hesse vermittelt dieses erstaunliche Resultat sehr plausibel. Da es 20-mal wahrscheinlicher ist, dass der Test einen Fehler begeht als dass der Getestete Prostatakrebs hat, weist ein positives Ergebnis auch mit viel grösserer Wahrscheinlichkeit auf einen Testfehler hin, als auf Krebs. Genau berechnen kann man die Prognose, wenn man gelernt hat, zwischen bedingten und unbedingten Wahrscheinlichkeiten zu unterscheiden. Das Thema Stochastik taucht auch in Marcus du Sautoy’s mathematischer «Mystery Tour» auf. Wie Hesse trägt der 46-jährige Oxforder Professor seinen Stoff in Form von Geschichten vor, die man einzeln lesen kann. Im Fokus Wohin der Fussball fliegt, lässt sich nicht exakt voraussagen. Cristiano Ronaldo von Real Madrid bei einem seiner gefürchteten Freistösse, hier gegen Olympique Lyon am 10. März 2010. Mit den Zahlen um die Welt Weder das Verhalten eines fliegenden Fussballs noch das von Luftströmungen an Tragflächen eines Flugzeugs lassen sich heute genau voraussagen. Das ist ein ernsthaftes Problem, denn in den bei vielen Phänomenen wichtigen NavierStokes-Gleichungen steckt Chaos, wodurch ein kleiner Fehler in approximativen Lösungen gewaltige Auswirkungen auf das Ergebnis haben kann. Insofern, schliesst du Sautoy seinen Exkurs, enthalten diese Gleichungen den Schlüssel zur Voraussage der Zukunft. Reisen im wörtlichen Sinn hat der englische Journalist Alex Bellos für sein Buch «Alex im Wunderland der Zahlen» unternommen, die ihn zu verschiedenen Protagonisten der Mathematik unterschiedlichster Couleur auf der ganzen Welt führten. In Japan besuchte er etwa einen Wettbewerb, wo Kinder mit ihrem Können auf dem japanischen Rechenbrett Soroban brillierten, in Deutschland die Weltmeisterschaft im Kopfrechnen, in London den Urheber der Sudoku-Manie. In Indien ging Bellos den Spuren der indischen Mathematik nach, in New York interviewte er ein Brüderpaar, das mehrere Rekorde zur Berechnung der Zahl Pi hält. Zwischendurch tischt er etwas viel «Wunder» auf, aber auch diese Reportagen haben das Potenzial, Begeisterung für das Werkzeug Mathematik zu wecken. ● Autobiografie Der britische Historiker Tony Judt hat ein heiteres Buch über sein langsames Sterben geschrieben Tony Judt: Das Chalet der Erinnerung. Hanser, München 2012. 224 Seiten, Fr. 26.90. Von Ina Boesch Die Nächte waren am schlimmsten. Tagsüber konnte er jemanden bitten, einen Arm oder ein Bein in eine andere Position zu bringen, doch nachts lag er «reglos wie eine moderne Mumie». Der britische Historiker Tony Judt litt an der tödlichen Krankheit ALS, einer neuromuskulären Störung, bei der alle Muskeln allmählich ihren Dienst versagen. Er spürte, charakteristisch für die Krankheit, keine Schmerzen und blieb wahrnehmungsfähig. Während der zwei Jahre, in denen er zuerst einen, zwei Finger nicht mehr bewegen konnte, dann ein Bein und schliesslich alle Glieder, fand er zunehmend Trost in den eigenen Gedanken. Und als er eine Technik fand, um seine Erinnerungen zu ordnen, wurden auch die Nächte lichter. Zu seinem Gedächtnisort, in dem er nachts seine Gedanken deponieren, neu anordnen oder zurechtrücken konnte, machte er ein Chalet in der Schweiz. Als er 2008 die Diagnose erhielt, kam ihm ein Hotel in Chesières im Waadtland in den Sinn, in dem er als Zehnjähriger einen Urlaub verbracht hatte und das bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterliess. Dieses Hotel im Chaletstil wurde zu seinem Speicher der Erinnerungen. Jede Nacht kehrte er nach Chesières zurück, um dort seine Erinnerun- gen räumlich so zu organisieren, dass er sie am nächsten Tag diktieren konnte. Eine Veröffentlichung war anfangs nicht geplant, glücklicherweise konnte ihn ein Freund, der Historiker Timothy Garton Ash, dazu überreden. Herausgekommen ist ein heiteres und tröstliches Buch mit autobiografischen Vignetten. Ein persönliches Buch über die europäische Nachkriegszeit. Diese Epoche hat den 1948 Geborenen schon als Historiker beschäftigt: Mit seinem Buch «Die Geschichte Europas von 1945 bis zur Gegenwart» ist Judt einer breiten Öffentlichkeit bekannt geworden – schon dort hat er die Bedeutung des Raums betont. In seiner Autobiografie «Das Chalet der Erinnerungen» geht er von konkreten Erfahrungen aus, die er in kleine Essays verwandelt: über die Städte London, Paris und New York; über das Zugund Busfahren und die Langsamkeit; über Israel und den Zionismus; über die Linke und die 68er; über das Bildungssystem in den USA; über Intellektuelle und Aussenseiter. So nimmt er einen beispielsweise in die Küche seiner osteuropäisch-jüdischen Grossmutter mit, kontrastiert deren Kochkunst mit der damaligen «Ödnis der traditionellen englischen Küche» und erklärt, warum indisches Essen einen Teil der britischen Identität ausmacht. Prägnant seine Schilderung, wie das rassistische, selbstgefällige Verhalten israelischer Offiziere aus ihm, dem Juden und Zionisten, einen Antizionisten machte, und glasklar die Analyse, warum die Juden die «unnachsichtigsten Kriti- LÉON GIMPEL / SOCIÉTE FRANÇAISE DE PHOTOGRAPHIE / ULLSTEIN Letzte Gedanken Chesières-sur-Ollon (VD): der gedankliche Ort, an dem Tony Judt seine Erinnerungen festmacht. ker» ihrer selbst sein müssen. Witzig die Episoden aus seiner Studentenzeit in Cambridge, gescheit seine daraus folgernde Kritik am britischen Bildungssystem. Berührend sein offenherziges Bekenntnis, dass er aufgrund einer kränkenden Erfahrung als Historiker beschloss, Tschechisch zu lernen, und einleuchtend die Folgerung, dass er wegen dieser Hinwendung zu Osteuropa ein anderes Bild von Westeuropa gewann. Ab und an schwingt in den Erinnerungen eine gewisse Nostalgie mit, manchmal zeigt er auch den Moralfinger, und es ist unerklärlich, warum er, ein Liebhaber und Kenner unseres Landes, der Schweiz die Kuckucksuhr und Lederhosen andichtet. Doch diese Einwände können der Qualität seines poetischen Vermächtnisses nichts anhaben. Tony Judt starb am 6. August 2010 in New York. ● Porträt Aus dem exotischen Leben einer Weltrekordhalterin im Dauerbügeln Powerlady und Selbstdarstellerin Urs Rauber: Eufemia. Indianisches Kraftwerk am Uetliberg. Xanthippe, Zürich 2012 (ET: 1. März). 130 S., Fr. 34.–. Von Charlotte Jacquemart Lachen, Bewunderung, Zweifel: Alle diese Gefühle löst die Lektüre dieses Büchleins aus. Der Titel «Eufemia – indianisches Kraftwerk am Uetliberg» erschliesst sich einem nicht sofort. Was soll ein indianisches Kraftwerk sein? Der Autor und «NZZ am Sonntag»-Redaktor Urs Rauber legt ein gelungenes Porträt über eine Frau vor, die von Costa Rica in die Schweiz kam und in Zürich am Fusse des Uetliberg einem Vulkan gleich einiges in Bewegung setzte und immer noch setzt. Als Leserin kann man sich der Faszination, welche Eufemia ausstrahlt, nicht entziehen. Und trotzdem schätzt man sich glücklich, dass der Autor auch die Frage nach der Selbstinszenierung stellt. «Mutter Teresa oder Powerlady mit Hang zur Selbstdarstellung?» Wohl von beidem etwas. Dem Spass an der Lektüre tut dies keinen Abbruch. Eufemia Stadler, 1956 geboren, kommt 1982 der Liebe wegen in die Schweiz. Vieles, was sie tut, tun andere auch: Auswandern, Marathon laufen, Unternehmen gründen, ein grosses Herz für Mitmenschen entwickeln. Anderes tut nur Eufemia: Sie hält den Guinness-Weltrekord im Dauerbügeln, hat eine Niere gespendet und steckt die zwei MillionenFranken-Erbschaft ihres Ehemannes in eine therapeutische Hausgemeinschaft. Der Bügel-Weltrekord, für den Eufemia 555 Hemden an einem Stück faltenfrei in zweieinhalb Tagen und Nächten, ohne Unterbruch, glättet, illustriert am besten, wofür die Frau steht und wieso der Autor sie als «Kraftwerk» bezeichnet: Die Costaricanerin ist zäh, ausdauernd, willensstark, mitunter stur. Sie lässt sich kaum je von einer Idee abbringen. Bügeln erlernt sie erst 1997 – zwei Jahre bevor sie den ersten Weltrekord aufstellt. Die kleine Frau braucht kaum Schlaf, und Rückschläge sind für sie nur ein Grund, weiterzumachen. Da der quirlige Wirbelwind viele Aktivitäten parallel ausübt, ist ein gewisses Chaos im Alltag fast nicht zu umgehen. Wenigen geht dies auf die Nerven, viele bewundern sie dafür – Eufemias Familie fügt sich. Die Mutter tut viel Gutes. Dass sie auch darüber spricht und gern im Rampenlicht steht, nehmen sie auf sich, wenn auch mit unterschiedlicher Begeisterung. Ihre Tochter Ixchel: «Ich finde gut, dass sie sich engagiert. Dass nun aber auch ein Buch über sie erscheinen soll, macht mich ehrlich gesagt etwas skeptisch (. . .) Muss man denn alle privaten Sachen über sie wissen?» Eufemia freue sich halt, zur «Cervelat-Prominenz» zu gehören, findet dagegen ihr Ehemann. Für die Leser lohnt sich das vorübergehende Eintauchen in den oft schräg anmutenden Lebenslauf allemal. ● 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21 Sachbuch Nahostkonflikt Der Jerusalemer Philosoph Sari Nusseibeh sucht nach dem Ausweg aus der Sackgasse Plädoyer für einen binationalen jüdischen Staat Plädoyer für eine Zivilgesellschaft in Nahost. Antje Kunstmann, München 2012. 256 Seiten, Fr. 25.90. Von Klara Obermüller Allein schon das Fragezeichen im Titel ist eine Provokation. Und wenn dies von einem Mann kommt, der die Al-QudsUniversität präsidiert und einmal Stadthalter der PLO in Jerusalem gewesen ist, dann hat es besonderes Gewicht. Sari Nusseibeh weiss das und wirft dieses Gewicht in die Waagschale, wenn er den Versuch unternimmt, den völlig festgefahrenen Friedensprozess im Nahen Osten in neue Bahnen zu lenken. Nichts geht mehr zwischen Israeli und Palästinensern. Und wenn nichts mehr geht, gilt es, so Nusseibeh, ein Gedankenexperiment zu wagen und das Undenkbare zu denken. Die Fragen, die er sich und seinen Landsleuten stellt, lauten: Wozu ein eigener Staat? Um welchen Preis? Und macht er angesichts der von Israel geschaffenen Tatsachen überhaupt noch Sinn? Abschliessende Antworten hat auch Nusseibeh nicht. Aber er zeigt Optionen auf, analysiert sie und begründet, was für und was gegen sie spricht, um schliesslich einen Vorschlag auf den Tisch zu legen, der so kühn ist, dass er ihn selbst als «anstössig» bezeichnet. Der Vorschlag geht so: Israel annektiert die besetzten Gebiete endgültig, die Palästinenser akzeptieren, dass der Staat Israel jüdisch bleibt, und erhalten im Gegenzug sämtliche bürgerlichen, nicht aber die politischen Rechte. «Damit», so Nusseibeh, «wäre der Staat jüdisch, das Land hingegen binational, und es würde für das Wohl aller Araber in diesem Land gesorgt.» Es spricht tiefe Resignation aus diesen Worten. Auch Nusseibeh hatte einmal auf einen eigenen Staat gehofft und alles getan, um dieses Ziel zu erreichen. Aber er hat auch die Gewalt erlebt, die dem Friedensprozess immer wieder im Wege stand. Und er hat zusehen müssen, wie Politiker ans Ruder kamen, die alles, nur nicht das Wohl der eigenen Bevölkerung im Sinne hatten. Es ist deshalb schierer Pragmatismus, wenn er jetzt zum Schluss kommt, dass eine Zwei-Staaten-Lösung, wie die Oslo-Verträge sie in Aussicht gestellt hatten, un- Der Nahostkonflikt ist weiterhin ungelöst, das Nebeneinander von Palästinensern und Israeli schwierig. JIM HOLLANDER / EPA Sari Nusseibeh: Ein Staat für Palästina? realisierbar geworden ist. Dass er mit seinem Vorschlag eines föderalen Regierungssystems in einem binationalen Land sowohl gegenüber den Palästinensern wie gegenüber den Israeli einen schweren Tabubruch begeht und beiden Seiten grosse Kompromissbereitschaft abverlangt, ist ihm klar, dass seine Idee weitgehend utopisch ist, ebenfalls. Angesichts der israelischen Siedlungspolitik und der enormen Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten sieht er jedoch keinen anderen Weg, seinen Landsleuten dereinst ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit zu ermöglichen. Um dies zu verdeutlichen, stellt er seinem «Plädoyer für eine Zivilgesellschaft im Nahen Osten» einen kurzen Abriss der Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis heute voran und verleiht damit seinem Lösungsvorschlag jene historische Tiefenschärfe, ohne die er nicht zu verstehen ist. Dass er in seine Überlegungen stets auch ethische, politologische und staatsphilosophische Erörterungen einfliessen lässt, ehrt ihn. Wissenschaftsjargon und Theorielastigkeit nehmen seinem Plädoyer jedoch viel von seiner Schlagkraft. Nusseibeh ist ein Aufklärer und ein Humanist, der, statt auf Gewalt, auf Empathie und die Überzeugungskraft von Ideen setzt. Ein politischer Charismatiker wie sein Vorbild Mahatma Gandhi ist er leider nicht. Daher steht zu befürchten, dass sein Plädoyer ohne konkrete Wirkung bleibt und sein Kompromissvorschlag weder bei der einen noch bei der anderen Seite auf Zustimmung stösst. ● Bauen Punkto Energiesparen liegt das Holzhaus vor hochtechnologischen Minergie-Bauten Wohnliche Wärme Markus Mosimann, Marc Lettau: Das Holzhaus der Zukunft. Ökologisch bauen mit menschlichem Mass. Rotpunkt, Zürich 2012. 319 Seiten, Fr. 36.-. Von Gabriela Weiss Ein Haus bauen? Nie. Und dann passiert es doch – die Skeptiker bauen. Die einen haben ein schmales Budget, die anderen sind gerade beim konventionellen Hausbau auf die Nase gefallen, wieder andere suchten eigentlich den zentrumsnahen Altbau. Sie alle bauten aber ein Holzhaus, mal abgelegen weit im Grünen, mal auf kleinem Raum in städtischem Gebiet. Es ist ihr persönliches Traumhaus geworden. Schnickschnack fehlt. Muss ein zweites Badezimmer wirklich sein? Reichen nicht auch 100 Quadratmeter? Was brauchen wir wirklich zum Leben? Es sind Fragen, welche sich nicht 22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 anhand eines Katalogs für Bodenplatten beantworten lassen. «Das Holzhaus der Zukunft»: In seiner ausgeklügelten Variante heizt ein Holzofen in der Mitte des Hauses alle Räume, keine Radiatoren, keine Lüftung. Und trotzdem – oder gerade deswegen – sprechen die Bewohnerinnen und Bewohner von wohnlicher Wärme. In ihrem Buch bringen die beiden Autoren Markus Mosimann, Holzhaus-Bauer aus Bern, und Marc Lettau, Journalist beim «Bund», auf den Punkt, worauf es vor allem ankommt: auf Gemütlichkeit, ein angenehmes Wohnklima, gute Nachbarschaft. Zum selbstverständlichen Rest gehört der niedrige Energieverbrauch. Das ideale Holzhaus kann punkto Energieverbrauch mit Minergie-Bauten locker mithalten. Bei der verbauten grauen Energie lassen Holzhäuser in der Regel konventionelle Bauten weit hinter sich. Was heute verbaut wird, so stellen die beiden Autoren fest, habe mit sorgsamem Umgang von Ressourcen wenig zu tun. Ein Niedrigenergie-Haus verbraucht zwar im Betrieb kaum Energie. Jene Energie aber, welche in die Herstellung der Baumaterialien gesteckt wurde, könne die Betriebsenergie über den Lebenszyklus eines Hauses um ein Vielfaches übersteigen. Dem werde heute viel zu wenig Beachtung geschenkt, schreiben sie. Ihre Lösung: möglichst wenig Technik, möglichst viele natürliche nachhaltige Materialien aus der Region. «Das Holzhaus der Zukunft» ist nicht nur ein Wegweiser für Bauwillige und Holzliebhaber; es verweist auch auf einen alternativen Weg in eine nachhaltige Energiezukunft, ohne auf Wohnkomfort zu verzichten. Die im Buch beschriebenen Skeptiker – «Ich baue nie» – sind auf ihrem Weg zum Eigenheim zu Überzeugungstätern geworden. ● CLAUDIO CASSARO / SCHAPOWALOW Architekturgeschichte Das berühmteste Bauwerk Roms, das Kolosseum, hörte mit dem Ende der Antike nicht auf zu existieren; es diente als Wohnhaus, Bühne und Sakralort Neues Leben blüht aus der Ruine Erik Wegerhoff: Das Kolosseum. Bewundert, bewohnt, ramponiert. Wagenbach, Berlin 2012. 240 S., Fr. 35.50. Von Geneviève Lüscher Wer heute Rom besucht, kommt am Kolosseum nicht vorbei. Auch wenn die Antike nicht besonders interessiert, der mächtige Rundbau am Ende der Via dei Fori Imperiali ist ganz einfach nicht zu übersehen. Zur Touristenkulisse verkommen, garniert mit Gladiatoren in Theaterkostümen, die als Fotosujets ihr Geld verdienen, könnte einem das stolze Monument fast leid tun. Erstmals in seinem Leben spielt es eine Statistenrolle, isoliert, vom Puls der Stadt abgeschnitten, mehr tot als lebendig. Das muss nicht so bleiben. Betrachtet man seine bewegte Vergangenheit, so scheint es fast sicher, dass auch das Kolosseum früher oder später wieder ein Eigenleben entwickeln wird. Der Vergangenheit hat sich der Architekturhistoriker Erik Wegerhoff gewidmet; an der ETH Zürich hat er eine Dissertation zum nachantiken Kolosseum geschrieben. Die Stadtrömer gingen nach der Antike wenig zimperlich mit altem Gemäuer um. Die Bauwerke wurden geplündert, umgebaut, umfunktioniert oder sich selbst überlassen. Vieles zerfiel, aber dem Koloss halfen die schiere Masse der verbauten Steine und seine Mächtigkeit zu überleben. Seine ursprüngliche Funktion als Theaterort, wo Mensch und Tier in grausamen Spielen zum Gaudi der Zuschauer dahingemetzelt wurden, war aber im Zeitalter des aufkommenden Christentums nicht mehr gefragt. Aus den folgenden zahlreichen Umnutzungen erwiesen sich laut Wegerhoff drei als besonders erfolgreich: Erstens die ab dem 6. Jahrhundert erfolgte Umwandlung der Gewölbe des Amphitheaters in Wohnungen, Läden und Werkstätten. Gleichzeitig installierte eine der bedeutendsten römischen Adelsfamilien, die Frangipane, hier einen befestigten, palastartigen Wohnsitz. Das Kolosseum befand sich an einer für die Kirche strategisch eminent wichtigen Stelle, nämlich in der Mitte zwischen Lateran und Vatikan. Wollte der Papst von der einen Kirche zur anderen, musste er am Rundbau vorbei. Was lag für die Kirche näher, als sich langsam, aber stetig in dessen Besitz zu bringen. Im 15. Jahrhundert war es so weit: Die Reste des Kolosseums gehörten der Kurie. Vor Ostern kommt der Papst Im 16. Jahrhundert nutzte die Kirche ihre Deutungshoheit und verwandelte das Kolosseum zuerst in eine Landschaft der Evangelien, in der vor eindrücklicher Kulisse Passionsspiele veranstaltet wurden; später erinnerte man sich wieder der in Vergessenheit geratenen Märtyrer, die in der Arena ihr Leben lassen mussten, und plante eine mächtige Märtyrerkirche, die aber nie realisiert wurde. Ausgeführt wurde lediglich ein Kreuzweg im Innern, der die Metamorphose der Ruine in einen christlichen Kultort besiegelte. Davon zeugt noch heute der alljährliche Auftritt des Papstes vor dem Kolosseum an Karfreitag. Eine dritte bedeutende Anverwandlung ereignete sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts mit den Bildungsreisenden der «Grand Tour». Das Kolosseum galt ihnen als malerischer Höhepunkt. Sie erkannten in den überwachsenen Mauern neu eine arkadische Landschaft und glaubten sich – besonders bei nächtlichen Besuchen im Mondschein – in eine Idealantike zurückversetzt. Gleichzeitig fühlten sie aber auch die Vergänglichkeit allen menschlichen Strebens – Erhabenheit und Tod, Mythos und Menschenwerk waren hier auf eindrückliche Weise vereint. Die Reisenden bewunderten nicht nur das Gemäuer. Die mikroklimatischen Bedingungen boten über 250 Pflanzen Raum, so dass diese selbst zur touristischen Attraktion wurden. Eine bunte Flora umhüllte die Mauersteine und verhalf dem Monument je nach Jahreszeit zu einem neuen Kleid. Der Kreuzweg hingegen verlor an Bedeutung. Papst Pius VII. veranlasste deshalb Anfang des 19. Jahrhunderts erste Aufräumarbeiten. Napoleon setzte sie fort; ihm ging es allerdings um die Befreiung des antiken Monuments vom Christentum. Auch erste Ausgrabungen fanden statt, sie raubten dem Bauwerk – zum Entsetzen der Reisenden – jede malerische Anmutung, jede poetische Qualität. Das Ende der weltlichen Herrschaft des Papstes und die neuen nationalstaatlichen Ideen gingen einher mit einem archäologisch-wissenschaftlichen Denken, welches das Bauwerk von Grund auf «reinigte». Man glaubte, mit dem Nationalstaat die nachantike Geschichte überwunden zu haben. Der Bau wurde bis auf seinen Kern von Schutt, Erde, Vegetation und sämtlichen mittelalterlichen Einbauten befreit, auch die Kreuzwegstationen fielen. Tote Touristenattraktion Heute steht das Kolosseum so da, wie es nie war – ein purifiziertes, isoliertes Pseudoartefakt, von dem sorgfältig jedes Leben ferngehalten wird. Von den durch Wegerhoff beschriebenen Aneignungen ist kaum noch etwas sichtbar. Dem Massentourismus tut das keinen Abbruch. Der Individualtourist kann sich mit Wegerhoffs Buch die bewegte Geschichte hinter der kahlen Fassade jetzt wenigstens vorstellen. Der schmucke Reiseführer der andern Art ist die gelungene Umwandlung einer wissenschaftlichen Studie in ein Buch für die breitere Leserschaft. Würden doch vermehrt Dissertationen diesen Weg gehen! Die Spezialisten kommen nicht zu kurz. Ein umfangreicher Anmerkungsapparat, eine Literaturliste und gleich mehrere Register ermöglichen eine Vertiefung des Themas. Einziger Wermutstropfen sind die bisweilen etwas dunklen Illustrationen. ● 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23 Sachbuch Biografie Erstmals wird das turbulente Leben des russischen Malers und Sektenführers Nikolai Roerich (1874–1947) beleuchtet Auch die Sowjets führte er an der Nase herum Ernst von Waldenfels: Nikolai Roerich. Maler, Magier, Abenteurer. Osburg, Berlin 2011. 560 Seiten, Fr. 36.90. Von Sabina Meier Zu den Grammophonklängen von Wagners «Parzival» brach die Expedition im April 1927 von der Mongolei nach dem geheimnisvollen Tibet auf, dem damals unzugänglichsten Land der Welt. Leiter der Expedition war der russische Maler Nikolai Roerich, der sich zum Guru einer mystischen Lehre ernannt hatte. Nichts weniger als die Begegnung mit den weisen Mahatmas, die die Welt im Geheimen regierten, und die Gründung eines eigenen Reiches waren ihm prophezeit worden. Doch es kam anders. Die Tibeter stoppten die seltsame Karawane und zwangen sie zur Ausreise. Sie misstrauten der «roten» Expedition aus der Sowjetunion. Dem Meister der Maskierung Nikolai Roerich widmet sich erstmals auf Deutsch eine ausführliche Biografie, die den penetranten Künstler nicht gerade mit Samthandschuhen anfasst. Der in der Mongolei lebende Journalist Ernst von Waldenfels stützt sich auf Archivmaterial und neue russische Publikationen und sein Interesse gilt klar dem politischen Hintergrund aller Unternehmungen Roerichs. Das tut der allzu mystisch verdunkelten Persönlichkeit gut. Nur sind der geschwätzige Stil und die vielen Abschweifungen oft ähnlich verwirrend wie der rätselhafte Nikolai Roerich selbst. Künstler, Guru, Scharlatan: Nikolai Roerich (rechts) um 1922/23, mit seinen Gönnern, dem Ehepaar Louis und Nettie Horch, die er später betrogen hat. Nikolai Roerich (1874–1947), Sohn aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie in Sankt Petersburg, stilisierte sich schon als junger Mann zum Propheten des Schönen und lehnte alles Abstrakte ab. Seine frühen erfolgreichen Ölbilder waren inspiriert von der Märchen- und Mythenwelt des alten Russland, sie zeigten Waräger und Wikinger, Einsiedler, Klöster und heidnische Götter. Der arbeitsame Künstler machte sich auch als Bühnenbildner einen Namen, sogar das berühmte Ballett «Le sacré du printemps» von Strawinski geht auf Roerichs Idee zurück. Dank seinem Talent, sich bei Förderern und Mäzenen einzuschmeicheln, brachte er es bis zum Staatssekretär, was am Zarenhof dem Rang eines Generals gleichkam. Parallel zu der steilen Karriere geriet Nikolai Roerich in den Bann des Okkultismus. Seine Bilder zeigten die typische theosophische Vermischung mehrerer Religionen, zum Bei24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 CREDIT ??????????????? Prophet des Schönen spiel malte er eine Gottesmutter mit tibetischen Gesichtszügen in einer Kirche in Smolensk. Doch dann zwangen Revolution und Bürgerkrieg die Familie nach New York in die Emigration. Dort drohte Roerich der soziale Abstieg, hätte nicht sein Charisma ihm eine Schar glühender Anhänger verschafft. Diese trafen sich zu spiritistischen Séancen, in denen sie automatisch zeichneten und schrieben und Tische durch die Luft flogen. Den Kern der Gemeinschaft bildeten die nebulösen Botschaften des spirituellen Führers Mahatma Morya, die von Roerichs Frau Helena übermittelt wurden. Für Aussenstehende war es offensichtlich, dass die dunklen Prophezeiungen Moryas in archaischem Russisch als die Stimme Helenas zu erkennen waren. Einer der Jünger des Gurus war der schwerreiche Börsenmakler Louis Horch. Er finanzierte Roerichs Museum und Kunstschule in New York, für die er 1929 sogar einen Wolkenkratzer baute, und die jahrelangen Reisen in Indien, der Mongolei und China. Allerdings liess er sich die Schulden peinlich genau quittieren und als es später zum Bruch zwischen Guru und Banker kam, wurde Roerich in Amerika mehrfach verurteilt. Aber da war er schon auf seinen Landsitz im idyllischen Kullutal in Nordindien entwischt, wo er 1947 von Heimweh geplagt verstarb. Dem Grössenwahn verfallen Roerich war ein Meister der Netzwerke und Imagepflege für seine grössenwahnsinnigen Projekte. Für seine Expeditionen in den 1920er Jahren führte er die um Zentralasien rivalisierenden Grossmächte an der Nase herum. Bei den Briten gab er sich als Amerikaner aus, bei den Sowjets als buddhistischer Kommunist. Als ihm die Briten den Weg in das geschlossene Tibet versperrten, wollte er Tibet auf einer alten Pilgerroute von Norden her erreichen. Aber dazu musste man sich mit den Sowjets gut stellen. Also mobilisierte er in Moskau gewisse okkulte Kreise in der Geheimpolizei, die seine Ideen protegierten. Um den Sowjets Sympathien vorzuheucheln, schrieb er sogar sein Testament um und vermachte ihnen seinen Nachlass. Was er selbstverständlich später wieder rückgängig machte. Solche Vermischungen von politischen und privaten Absichten waren für Nikolai Roerich charakteristisch. Eine weitere geniale PR-Idee war der sogenannte Roerich-Pakt, eine internationale Konvention zum Schutze von Kulturgütern im Kriegsfall. Kulturhistorische Denkmäler sollten mit einem vom Künstler entworfenen Zeichen analog dem Roten Kreuz geschützt werden. Die Kampagne fand nach den Verwüstungen des Ersten Weltkriegs grossen Widerhall. Sie trug dazu bei, dass Anfang der 30er Jahre in allen europäischen Ländern und in vielen Staaten Lateinamerikas Roerich-Gesellschaften gegründet wurden. Roerichs weltweite Anhängerschaft, meist aus höheren Schichten, machten ihn zu einem bestens vernetzten Mann. Als etwa die britischen Behörden ihn aufgrund seines Doppelspiels mit den Sowjets nicht mehr nach Indien lassen wollten, entfachte er weltweit einen Sturm der Empörung. Wegen der schlechten Presse knickte das Empire schliesslich ein und duldete Roerich fortan in Indien. Dies alles nur als Scharlatanerie abzutun, wird dem Phänomen Roerich wohl auch nicht gerecht. Schliesslich haben nur wenige Künstler gleich zwei Einzelmuseen, das zweite ist in den 1990er Jahren in Moskau eröffnet worden. Vielleicht kann man Roerichs Existenz am ehesten als Kunstwerk sehen. Er setzte seine private Kunstwelt vehement öffentlich durch – die Kosten hatten andere zu tragen. ● Zeitgeschichte Dubiose Geschäfte der deutschen Treuhandanstalt im Zuge der deutschen Wiedervereinigung Rabiate Liquidierung der DDR Dirk Laabs: Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand. Pantheon, München 2012. 384 Seiten, Fr. 24.50. «Abwickeln» lautete das Zauberwort – der Verkauf und die Liquidierung der DDR-Betriebe lief an der Schwelle zur deutschen Wiedervereinigung auf Hochtouren. Im Ergebnis ist das bekannt: Die DDR wurde im Zuge der Wiedervereinigung von westdeutschen und -europäischen Firmen quasi zum Nulltarif aufgekauft. Detaileinsichten in die Verhandlungs- und Verkaufsumstände sowie Hintergründiges zu den Drahtziehern in den jeweiligen Geschäftsnetzwerken fehlen bis heute jedoch weitgehend. Umso verdienstvoller ist darum Dirk Laabs detaillierte Untersuchung zu diesen Abwicklungsvorgängen, die einem Wirtschaftskrimi gleichkommt. Laabs interviewte dazu um die 100 Zeitzeugen und vertiefte sich in die zeitgenössische Berichterstattung, während ihm der Zugriff auf amtliche Dokumente verwehrt wurde. Sein Buch schliesst denn auch mit einem Appell um Aktenfreigabe an das Bundesfinanzministerium: Es sei an der Zeit, mit Fakten zu belegen, dass tatsächlich alles mit rechten Dingen zugegangen sei, wie dies die Treuhandanstalt und die damalige Bundesregierung stets versichert hätten. Derweil kommt Laabs zum entgegengesetzten Schluss: Mit rechten Dingen ging es ganz und gar nicht zu. Die vom DDR-Ministerrat eingesetzte Treuhandanstalt sollte eigentlich das Volkseigentum der DDR verwalten und in Kapitalgesellschaften umwandeln. FRIEDER BLICKLE / LAIF Von Fritz Trümpi Hier wurde die DDR «abgewickelt»: Die deutsche Treuhandanstalt in Berlin, August 1991. Damit nahm die Regierung eine Forderung der Bürgerrechtsbewegung auf, allerdings in verdrehter Weise: Während diese das entstaatlichte Volkseigentum mittels Anteilsscheinen unter der Bevölkerung verteilen wollte, operierte die Anstalt dahingehend, dass sie ehedem volkseigene DDR-Firmen zu Schleuderpreisen an Westunternehmen verhökerte. Der Erlös sollte in die Konkursmasse des ostdeutschen Staates fliessen. Stadtdessen landeten jedoch Gelder in Millionenhöhe in den Taschen gewiefter Treuhand-Mitarbeiter und ihrer Komplizen – am Ende überwogen bei der Treuhand nicht die Gewinne, sondern die Schulden. Das weitgehende Fehlen von Kontrollen war dafür ebenso mitverantwortlich wie ein von immenser Hektik geprägtes Chaos in der Treuhandanstalt selbst. «Ihr handelt mit so etwas Ähnlichem wie Frischgemüse», zitiert Dirk Laabs den Generalbevollmächtigten der Treuhand, Norman van Scherpenberg, in einer Ansprache an deren Mitarbeiter. Wenn man die Unternehmen einige Monate liegen lasse und auf bessere Angebote warte, könne es sein, dass man am Ende weniger Geld bekomme, weil der Wert des Unternehmens in der Zwischenzeit rapide gesunken sei. Wer schneller verkaufte, kassierte darum saftige Prämien. Dies setzte eine immense wirtschaftskriminelle Energie frei, die Dirk Laabs akribisch aufspürt. Anhand zahlreicher Beispiele legt Dirks Laabs dar, in welchem Ausmass sich diese wo und von wem ausgehend verbreitete. Mit dem Aufdecken der Treuhand-Veruntreuer lässt er es aber nicht bewenden. Er nimmt auch die westdeutsche Regierung und ihre Behörden nochmals genau unter die Lupe – ihnen war auch finanzpolitisch jedes Mittel recht, die Einheit möglichst rasch und um jeden Preis zu vollziehen. Neben Helmut Kohl und seinem Umfeld lässt Laabs weitere bis heute wohlbekannte Namen in durchwegs unrühmliche Erscheinung treten: Horst Köhler etwa meinte als Staatssekretär zu bevorstehenden Firmenschliessungen zynisch, es müsse «auch mal gestorben werden können». Und auch Thilo Sarrazin zog am gleichen Strick: Als Referent des Finanzministeriums arbeitete er schonungslos darauf hin, den Ostdeutschen die Bedingungen für die Einheit zu diktieren. Wie sich diese sodann aus ökonomischer Sicht vollzog, und wie sich glücksritterliche Trittbrettfahrer der Wiedervereinigung im Windschatten westdeutscher Spitzenpolitiker auf Kosten der DDRBevölkerung eine goldene Nase verdienten, davon handelt im Kern dieses überaus lesenswerte Buch. ● Reisebericht Auf den Spuren von Graham Greene durch Sierra Leone und Liberia Wandern in Westafrika Tim Butcher: Auf der Fährte des Teufels. Zu Fuss durch Sierra Leone und Liberia. Malik, München 2011. 383 Seiten, Fr. 32.90. Von Christoph Plate Tim Butcher ist wieder gewandert. Und er hat ein Buch darüber geschrieben. Diesmal ging es von Freetown durch die Wälder Sierra Leones, Guineas und Liberias bis nach Monrovia. Interessant war ihm diese Reise, weil sie durch Gebiete führte, in denen bis vor kurzem Bürgerkriege herrschten. Und weil 74 Jahre zuvor der britische Schriftsteller Graham Greene mit seiner Cousine Barbara die gleiche Strecke gegangen war. Butcher verehrt Graham Greene, der Freetown ein literarisches Denkmal mit dem Roman «Das Herz aller Dinge» gesetzt hat. Und auch Tim Butcher ist nicht irgendwer: Zwanzig Jahre lang war er Journalist, zuletzt als Afrika-Korrespondent des «Daily Telegraph». Dann unternahm er zu Fuss und auf Kähnen eine Durchquerung der Demokratischen Republik Kongo. Vor 60 Jahren waren solche Fahrten kein Problem, heute sind sie praktisch unmöglich, weil es kaum noch Strassen gibt. Über diese wagemutige Reise durch das kongolesische Herz der Finsternis schrieb Butcher ein kluges und mitreissendes Buch, das unter dem reisserischen Titel «Blood River» ein Bestseller wurde. Sehr geschickt ver- knüpft er in dem 2007 herausgekommenen Reisebericht eigene Grenzerfahrungen mit der Geschichte des Landes. Er wirkt dabei immer grundehrlich, wenn er über sich selbst, seine kleinen Freunde und grossen Ängste schreibt. Tim Butchers neues, von Klaus Pemsel vorzüglich übersetztes Buch muss sich unweigerlich an dem alten messen lassen. Und es reicht nicht daran heran. War der Bericht über den Kongo noch voller Mysterien, der den Leser mitnahm auf eine Exkursion durch ein Land, dessen Provinzen in Vergessenheit geraten, ist das neue Werk zwar ein ausgezeichnet geschriebenes Geschichtsbuch über Sierra Leone und Liberia. Aber die Reise durch unwirtliches Gebiet ist nur das Vehikel dafür. ● 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25 Sachbuch Globalisierung Die Londoner Ökonomin Dambisa Moyo skizziert die Zukunft des Westens Schwellenländer auf dem Vormarsch Dambisa Moyo: Der Untergang des Westens. Haben wir eine Chance in der neuen Wirtschaftsordnung? Piper, München 2012. 304 Seiten, Fr. 32.90. Von Urs Rauber Dambisa Moyo, 1970 geboren in Sambia, wurde 2009 vom «Time Magazine» zu einer der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt gekürt. Im gleichen Jahr wurde die in Oxford und Harvard promovierte Makroökonomin vom Weltwirtschaftsforum Davos zu den «Young Global Leaders» gezählt. Bekannt wurde sie mit dem Bestseller «Dead Aid» (2009), mit dem ausgerechnet sie als Afrikanerin ein Ende der Entwicklungshilfe forderte. Im neusten Buch nimmt sich die telegen und eloquent auftretende Publizistin, die heute in London lebt, den Umbruch der Weltwirtschaftsordnung vor. Ähnlich wie Niall Ferguson diagnosti- ziert sie nach einer 500-jährigen Dominanz des Westens ein Nachlassen der wirtschaftlichen Potenz der USA und noch stärker Europas, die auf eine Schwächung der drei Faktoren Kapital, Arbeitskraft und Technologie zurückzuführen sei. Diesen Niedergang, der durch die Finanz- und Verschuldungskrise von 2008 verschärft worden sei, beschreibt Moyo anhand zahlreicher Beispiele: etwas ausufernd und nicht frei von Wiederholungen. Das nicht immer ganz konsistent aufgebaute Buch ist für Nicht-Ökonomen eher anspruchsvoll zu lesen. Gleichzeitig vollziehe sich seit knapp fünfzig Jahren «Der Aufstieg der Anderen», wie es der Journalist Fareed Zakaria im gleichnamigen Buch nennt, auf das sich die Autorin ebenfalls stützt. Die Anderen: das sind in erster Linie China sowie Indien, Brasilien und Russland – die BRIC-Staaten. Diese Schwellenländer praktizieren eine Art staatlich gelenkten Kapitalismus, mit dem politisch gewünschte Massnahmen viel effizienter umgesetzt werden können, weil verzögernde demokratische Einflussmöglichkeiten fehlen. Im Schlusskapitel skizziert Moyo vier Szenarien, mit denen der Westen der für ihn gefährlichen Entwicklung begegnen könne: 1. Der Westen gibt bis 2050 seine wirtschaftliche Führungsrolle ab und wird von den genannten vier Schwellenländern abgelöst. 2. Die USA behalten auf Jahrzehnte hinaus weiter ihre Vormachtstellung. 3. Die USA (und in geringerem Ausmass Europa) fahren ihre Schulden zurück, machen den Arbeitsmarkt produktiver und investieren in Technologien. 4. Die USA erklären ihren Bankrott als Voraussetzung für einen wirtschaftlichen Neustart. Damit würde auch China seine riesigen Kredite in den USA verlieren und in seiner wirtschaftlichen Entwicklung gebremst. Auch wenn die Autorin zum Schluss etwas vage bleibt, scheint für sie das dritte Szenario das einzig wünschbare. ● Die PowerPoint-Präsentation war gnadenlos: Laut Erhebungen nehmen Wähler Mitt Romney als glatt und unaufrichtig wahr, als kalten Geschäftsmann und prinzipienlosen «FlipFlopper», der seinen Kern hinter einer Maske opportunistischer Phrasen verbirgt. Verantwortlich für diese Analyse waren nicht etwa Wahlstrategen von Newt Gingrich, der Romney derzeit mit allen Mitteln um die Nominierung der Republikaner für die US-Präsidentschaft bringen will. Nein – die Präsentation stammt vom politischen Berater Alex Castellanos und entstand Anfang 2007 im Auftrag Romneys, der sich damals auf seine erste Präsidentschaftskandidatur vorbereitet hat. Das ist in The Real Romney (HarperCollins, 400 Seiten) von Michael Kranish und Scott Helman nachzulesen, der ersten seriösen Biografie des 1946 geborenen Geschäftsmannes und Politikers. Die Autoren sind Reporter beim «Boston Globe» und greifen in ihrer sorgfältig recherchierten und ausgewogenen Darstellung auf die Arbeit ihrer Redaktion zurück, die Romneys Karriere seit den 1980er Jahren begleitet hat. Im Januar erschienen, wird das Buch in den amerikanischen Medien ausgiebig als zuverlässige Quelle zitiert. Alex Castellanos geniesst im konservativen Lager einen exzellenten Ruf als Analytiker. Laut Kranish und Helman hat er Romneys politische Angreifbarkeit treffend mit «drei M» beschrieben: «Millionär, Mormone, Massachusetts». Dass sein Vermögen, sein Glaube und seine Amtszeit als Gouverneur der demokratischen Hochburg Romneys 26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 26. Februar 2012 BRIAN SNYDER / REUTERS Das amerikanische Buch Suche nach Mitt Romneys Kern Mitt Romney im Wahlkampf, Januar 2012. Unten die Autoren Michael Kranish (o.) und Scott Helman. Gegnern auch in diesem Wahlkampf Munition liefern, bestätigt die Analyse von Castellanos. Für Kranish und Helman demonstriert die Episode aber auch imponierende Stärken Romneys: Ebenso intelligent wie diszipliniert, geht er Problemen systematisch auf den Grund und ist fähig, aus Fehlschlägen zu lernen. Dies hat Romney nach einem Studium an der Jus- und Wirtschaftsfakultät der Harvard University zu einer steilen Karriere bei der ConsultingFirma Bain und deren Investment-Ableger Bain Capital in Boston verholfen. Seine Lernbereitschaft wird im laufenden Wahlkampf bestätigt. Hat er sich 2007/08 in Widersprüche über Positionswechsel in ethischen Fragen wie Abtreibung und Schwulenehe verstrickt, so konzentriert sich Romney heute erfolgreich auf seine wirtschaftliche Kompetenz. Das Buch zeigt aber auch, dass der Sohn des Auto-Managers und Politikers George Romney die Last der «drei M» nicht wirklich abschütteln kann. Mitt Romney stammt aus einer elitären Mormonen-Familie. Er hat seiner Kirche als Missionar in Frankreich und danach als Bischof in Boston gedient. Da die christlichfundamentalistische Basis der Republikaner die Heiligen der letzten Tage als sinistren Kult betrachtet, muss Romney seine Religion aus taktischen Gründen aus der politischen Debatte heraushalten. Dies kann ihm jedoch leicht als Heimlichtuerei ausgelegt werden. Seine Flexibilität als Gouverneur von Massachusetts und sein Erfolg bei Bain lassen die Autoren feststellen, dass Romney flexibel praktische Ziele verfolgt und ideologische Positionen wechselt, wenn ihm dies als sachdienlich erscheint. Kranish und Helman erklären dies glaubwürdig mit Romneys Verehrung für seinen Vater. Der ältere Romney war als Gouverneur der demokratischen Hochburg Michigan eine führende Figur des um 1960 noch starken moderaten Flügels der Republikaner. Er ist 1968 bei seiner Bewerbung um die Präsidentschaft an unvorsichtigen Äusserungen über den VietnamKrieg gescheitert. Laut den Reportern will Mitt Romney die Niederlage seines Vaters wettmachen, hat daraus jedoch die Lektion gezogen, seine Gefühle hinter einer kühlen Fassade zu verbergen. Doch nun könnte gerade diese Maske Romney erneut die Präsidentschaft kosten. ● Von Andreas Mink Agenda Emil Nolde Puppenzauber in leuchtenden Farben Agenda März 2012 Basel Dienstag, 6. März, 20 Uhr Marc Krebs: Lovebugs – Coffee and Cigarettes. Buchvernissage in der «Garage», Binningerstrasse 14. Thalia, Tel. 061 264 26 55. Mittwoch, 14. März, 19 Uhr Christian Müller, Daniel Straub: Die Befreiung der Schweiz. Buchpräsentation. Raum für Kunst und Literatur, Totengässlein 5. Info: www.kunst-literatur.ch. Mittwoch, 21. März, 19 Uhr ANDREAS RASMUSSON Sigrid Combüchen: Was übrig bleibt. Ein Damenroman. Lesung, Fr. 17.–. Literaturhaus, Barfüssergasse 3, Tel. o61 261 29 50. Bern Dienstag, 6. März, 19 Uhr NOLDE STIFTUNG SEEBÜLL Susan Boos: Fukushima lässt grüssen. Buchpräsentation. Frauenraum, Reitschule, Neubrückstrasse 8. Dienstag, 13. März, 20 Uhr Zahlreiche dieser Bilder sind derzeit (bis 28. Mai 2012) in einer Ausstellung in Hamburg zu sehen. Ein reich illustrierter Katalog begleitet die Schau. Unser Bild zeigt das Ölgemälde «Puppen, Blumen und Papagei» aus dem Jahr 1912. Manfred Papst Karsten Müller (Hrsg.): Emil Nolde: Puppen, Masken und Idole. Ernst-Barlach Haus/Corso, Hamburg 2012. 192 Seiten, farbig illustriert, Fr. 36.90. Zürich Bestseller Februar 2012 Montag, 5. März, 20 Uhr Belletristik Sachbuch 1 Dtv. 588 Seiten, Fr. 17.90. 2 Diogenes. 309 Seiten, Fr. 27.90. 3 Carl’s Books. 412 Seiten, Fr. 19.90. 4 Nagel & Kimche. 394 Seiten, Fr. 27.90. 5 C. H. Beck. 402 Seiten, Fr. 25.90. 6 Deuticke. 205 Seiten, Fr. 25.90. 7 Blanvalet. 510 Seiten, Fr. 22.90. 8 Heyne. 1055 Seiten, Fr. 29.90. 9 Kiepenheuer & Witsch. 181 Seiten, Fr. 27.50. 10 Ullstein. 381 Seiten, Fr. 31.50. 1 Hanser. 246 Seiten, Fr. 21.90. 2 Riva. 176 Seiten, Fr. 15.90. 3 Bertelsmann. 701 Seiten, Fr. 35.50. 4 Riva. 200 Seiten, Fr. 14.90. 5 Hanser. 447 Seiten, Fr. 34.90. 6 Orell Füssli. 208 Seiten, Fr. 29.90. 7 Piper. 400 Seiten, Fr. 35.90. 8 Faro. 172 Seiten, Fr. 34.90. 9 Fischer. 188 Seiten, Fr. 27.50. 10 Droemer/Knaur. 250 Seiten, Fr. 30.50. Jussi Adler-Olsen: Das Alphabethaus. Paulo Coelho: Aleph. Jonas Jonasson: Der Hundertjährige. Milena Moser: Montagsmenschen. Catalin D. Florescu: Jacob beschliesst zu lieben. Daniel Glattauer: Ewig Dein. Sandra Brown: Sündige Gier. Stephen King: Der Anschlag. Julian Barnes: Vom Ende einer Geschichte. Michael Theurillat: Rütlischwur. Mittwoch, 14. März, 20 Uhr Peter Bieri: Wie wollen wir leben? Lesung, Fr. 15.-. Stauffacher Buchhandlungen (s. oben). Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens. Barney Stinson: Das Playbook. Walter Isaacson: Steve Jobs. Barney Stinson: Der Bro Code. Patrick-Leigh-Fermor-Abend mit Gabriele von Arnim. Fr. 18.– inkl. Apéro. Literaturhaus, Limmatquai 62, Tel. 044 254 50 00. Dienstag, 13. März, 20 Uhr Steven Uhly: Adams Fuge. Lesung, Fr. 18.- inkl. Apéro. Literaturhaus (s. o.). Samstag, 17. März, 13.30 Uhr Buchvernissage: Sepia. Kurzgeschichten aus der Schweiz, und Lesung von Jürg Seiberth: Kollers Handschuh. Kulturhaus Helferei, Kirchgasse 13. Vorverkauf: [email protected]. Dienstag, 20. März, 20.30 Uhr Esther Girsberger: Eveline WidmerSchlumpf. Arne Dahl: Gier. Lesung mit Apéro, Fr. 15.-. Orell Füssli am Bellevue, Theaterstrasse 8, Tel. o848 849 848. Remo H. Largo: Jugendjahre. Donnerstag, 22. März, 20 Uhr Tomas Sedlacek: Die Ökonomie von Gut und Böse. Martin Ott: Kühe verstehen. Gerald Hüther: Was wir sind und was wir sein könnten. Petra Bock: Mindfuck. Erhebung Media Control im Auftrag des SBVV; 14. 2. 2012. Preise laut Angaben von www.buch.ch. SARA AMALD Der norddeutsche Maler Emil Nolde (1867–1956) ist vor allem berühmt für seine Bilder von blühenden Gärten in leuchtenden Farben. Weniger bekannt ist, dass er auch ein begeisterter Sammler war. Er trug Schnitzereien aus Afrika zusammen, Terrakotten aus China, auch Nippes, Tiere und Heilige, Kunst und Kitsch. Es blieb indes nicht beim Sammeln. Zwischen 1911 und 1929 malte und zeichnete er die Fundstücke. Katharina Zimmermann: Der Amisbühl. Buchvernissage mit Schubert-Liedern. Stauffacher Buchhandlungen, Neuengasse 25/37, Tel. 031 313 63 63. Frank Goosen: Sommerfest. Lesung, Fr. 28.–. Kaufleuten, Festsaal, Pelikanplatz 1, Tel. 044 225 33 77. Bücher am Sonntag Nr. 3 erscheint am 25. 3. 2012 Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60 oder E-Mail [email protected]. Oder sind – solange Vorrat – beim Kundendienst der NZZ, Falkenstrasse 11, 8001 Zürich, erhältlich. 26. Februar 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27 «Gottfried Schatz ist ein begnadeter Erzähler.» St. Galler Tagblatt Zaubergarten Biologie Wie biologische Entdeckungen unser Menschenbild prägen <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0MzQ1NAAAuTVj-A8AAAA=</wm> <wm>10CFWMMQrDMBAEX3Rid-U7n6IyuDMuQno1xnX-X0VOl2IZGIbd9-4Fvz234729OoHFjUHn9M2L1ugpFSxrhxgC9ZhoNbO2v97AFhV13I1BUw-GKa1iJH1Q98N0SmX5nNcXTVM3cYAAAAA=</wm> Spannende Geschichten um biologische Phänomene und deren Bedeutung für unsere Kultur. Mit einem Vorwort von Rolf Zinkernagel. ISBN 978-3-03823-753-2 Fr. 32.– (UVP) Feuersucher Die Jagd nach den Rätseln der Lebensenergie. Jenseits der Gene Essays über unser Wesen, unsere Welt und unsere Träume. Schatz verwebt die Geschichte seines wechselvollen Lebens mit der Schilderung einer Jahrhundertentdeckung. Ein fesselndes Buch. Wer bin ich? Woher kommen wir? Was bestimmt unser Fühlen und Denken? Schatz erzählt uns die Geschichte des Lebens und unseres Körpers. ISBN 978-3-03823-677-1 Fr. 34.– (UVP) ISBN 978-3-03823-780-8 Fr. 32.– (UVP) www.nzz-libro.ch