zum PDF - Uwe Appold

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Uwe Appold
Bilder zur Musik von Johann Sebastian Bach
2012 - 2014
Uwe Appold
Partiten
15 Bilder zu den Solopartiten für Violine
von Johann Sebastian Bach
2012 – 2014
Mit Farbe musizieren, mit Musik malen
Es geschah im Jahr 1956, als ich in meiner Heimatstadt Wilhelmshaven ein einschneidendes musikalisches Erlebnis hatte, das mein Leben begleiten sollte. Grau war die
Stadt, geschunden und zertrümmert in den Bombenangriffen bis 1945. Mir waren damals die Baulücken in den Straßen ebenso verdrießlich wie ein schadhaftes Gebiss.
Sonnabends hatte ich Orgelkonzerte in der Banter Kirche gehört, von der Renaissance
bis zur Romantik: Hieronymus Praetorius, Jan Pieterszoon Sweelink, Johann Sebastian
Bach, Buxtehude, Pachelbel, Nikolaus Bruhns, Händel, Brahms, Josef Rheinberger.
Manchmal hielt es mich vor Begeisterung kaum auf der harten Kirchenbank.... Kantor
Georg Hackstette spielte jede Woche ein Konzert auf der Alfred-Führer-Orgel, die 1953
geweiht worden war. 1955 hatte ich begonnen, Kontrabass zu lernen; Musik auf einem
Saiteninstrument war mir nicht fremd. Damals ahnte ich noch nicht, dass der Kontrabass mein Leben begleiten sollte wie das Klavier. Acht Jahre hatte ich bis 1956 bereits
Klavierunterricht bei einer Klavierlehrerin und zwei Klavierlehrern genossen. Das jährliche öffentliche Vorspielen inmitten anderer Eleven hatte mir Freude bereitet. Für mich
war klar: Ich werde Musiker. Durch allerlei Hilfsarbeiten hatte ich so viel Geld verdient,
um mir ein Abonnement für die Sinfoniekonzerte leisten zu können, die ich regelmäßig
in meinem Konfirmandenanzug besuchte. Was für ein reiches Leben mit Beethoven,
Brahms, Mozart, Tschaikowski und den anderen Komponisten, deren Werke in dem seit
einem Jahr wieder aufgebauten Theater aufgeführt wurden! Oft hatte ich die Augen geschlossen, nicht nur, weil dann die Wolken von Parfum -meistens Tosca- der Nachbarinnen besser auszugrenzen waren, sondern weil ich dann nicht auf den Dirigenten sehen musste, der klein und kugelig wie ein Irrwisch mit großen Gesten auf dem Podest
herum sprang, bis er schließlich schweißnass den Schlussapplaus entgegen nahm. Elly
Ney erlebte ich in einem von Beethovens Klavierkonzerten. Souverän vergriff sich die
weißhaarige Dame zu meinem Erstaunen, die Hitler vorgespielt hatte, in den Oktaven.
Und dann geschah eines Abends das, was ich womöglich Robert Schumann und Johannes Brahms zu verdanken hatte. Das Sinfonieorchester hatte einen neuen Konzertmeister gewählt, der sich mit einem Solostück für Violine vorstellte. Das Wort Partita
hörte ich an diesem Abend zum ersten Mal, ich konnte nichts damit anfangen. Der
Hauptvorhang war geöffnet, Stühle und Pulte der Musiker, die Pauken unbesetzt im Hintergrund vor dem schwarzen Aushang, fünf Kontrabässe schräg auf Hockern. Kein Musiker im schwarzen Frack war zu sehen, nicht das A der Oboe zu hören, das die Violinen aufgriffen, um die Instrumente zu stimmen. Kein Posaunist, der den Zug seines Instrumentes bemüht hin und her schob, um ihn geschmeidig zu machen, kein Tubist, der
mit vollen Backen in sein vom Instrument gelösten Kesselmundstück blies, um es zu
erwärmen. Kein Pauker, der mit Schlägeln leise grollend die optimale Stimmung der
Kesselpauken heraus zu finden versuchte, kein Trompeter, der immer wieder ein hohes
C anblies, um beim H zu scheitern.
Stattdessen betrat ein freundlicher Mittdreißiger - also ein alter Mann- das Proszenium
mit einer Geige in der linken Hand, in der Rechten einen Bogen. Machte eine knappe,
angedeutete Vorbeugungsgeste mit dem Kopf. Das Publikum applaudierte höflich, als
er sich die Violine unter das Kinn klemmte, für einen Augenblick beide Arme senkrecht
hängen ließ, so dass ich als jugendlicher Kontrabassist befürchtete, das Instrument
würde ihm herunter fallen.
Mit beherzt forciertem Abstrich des Bogens begann er die Chaconne von Johann Sebastian Bach im ersten Takt mit einem reinen d-Moll Akkord, setzte punktiert die Quinte
als 5. Ton im Aufstrich vor einen erweiterten Akkord, führte die Basslinie von d nach cis,
um mit vier folgenden Abstrichbewegungen des Bogens überraschende Akkorde in das
Halbrund des Theaters zu streichen. Schon die ersten vier Takte hatten mich meiner
Realität enthoben, alles war in mir Klang, der im ruhigen Schreiten der Akkorde und Figurationen sich für immer in mein Gedächtnis einbrannte. Chaconne: Chaconne. Mehrstimmigkeit auf vier Saiten! Wie ist das realisierbar? Später fand ich die Antwort. Eine
bestimmte Technik mit mäßig gespannten Haaren des Bogens ermöglicht es, diese
Technik wurde im Barock entwickelt (Bariolagespiel). Alles besteht aus der Balance
vom Druck auf den Bogen und der zu überwindenden Haftreibung der kolophonierten
Haare auf den Saiten, die im Barock aus gedrehtem Katzendarm bestanden. Die Bogenhaare schmiegen sich dabei an die Saiten. Vierstimmige Akkorde werden im sog.
Arpeggio gespielt, das erfordert das kurze Anspiel der Bassstimme, worauf unmittelbar
der Dreiklang folgt.
Ich hatte das Empfinden, Violine zu sein, in deren Anatomie die Noten eingeprägt wurden. Sechszehntelnoten stürmen auf mich ein, gefolgt von Akkorden – arpeggio ausgeführt - die mich in Sicherheit wägten. Plötzlich, nach Folgen aberwitziger Zweiunddreißigstelnoten sprang das d-Moll nach strahlendem D-Dur, um plötzlich wieder in Moll
einzumünden. Irgendwann endete das Tongewitter auf einem einfachen unschuldigen
Ton, einem d, gespielt mit einer langen, leise verklingenden Fermate. In dem aufbrandendem Applaus saß ich unbeweglich, war nicht fähig, die Hände zum Applaus zu bewegen. Ich hatte mir Stille gewünscht. Stille für Johann Sebastian Bach, Stille für das
Können des Konzertmeisters, Stille für den letzten Ton.
Eine Partita (ital. „partire“/teilen) ist der einzelne Satz einer Tanzfolge oder einer Reihe
von Variationen. Ab dem 17 Jh. wurden Partiten als Instrumentalstücke komponiert.
Die Chaconne ist ein Tanz aus Südamerika, der durch die Gitarrenmusik zunächst nach
Spanien gelangte und in Italien und Frankreich der Passacaglia sehr nahe kam. In beiden Ländern wurde die Chaconne verschieden auskomponiert. Sehr entscheidend dabei ist die Behandlung der Bassstimme als melodisches Element. Italienische Komponisten verwendeten die Bassstimme in einem streng ausgeführten Ostinato, wobei sich
die Bassfigur ständig wiederholt. Französische Komponisten behandelten den Bass frei
und teilweise ungebunden. Heinrich Ignatz Biber (1644 – 1707), Dietrich Buxtehude (ca.
1637 – 1707) und Johann Sebastian Bach orientierten sich an der italienischen Gepflogenheit der Bassführung, in der Form jedoch griffen sie die französische Disposition auf.
In 256 Takten hat Bach seine Chaconne angelegt. Einfache musikalische Gestaltungen
(Diatonik) und Halbtöne(Chromatik) treffen auf Gegensätze von Moll und Dur, gebrochene Akkorde, Mehrstimmigkeit und Tonleitern ähnliche Bewegungen (Skalen) verdichten sich zu einem einmaligen Werk, das eine außerordentliche Herausforderung für
die Wiedergabe ist.
Die Komposition ist in drei Teile gegliedert: Moll/Dur/Moll. Der ostinat angelegte Bass
wird in 64 Variationen durch die Töne d-c-b-a geführt. Diese als Lamentobass bezeichnete Figur ließ vermuten, dass Johann Sebastian Bach die Chaconne als Klagelied für
seine verstorbene Frau komponierte, die 1720 eine Woche vor Rückkehr nach einer
zweimonatigen Dienstreise verstorben war. Er fand bei seiner Rückkehr nur ihr Grab
vor.
Der sich wiederholende Bass wird überführt in Folgen von absteigenden Halbtönen, die
nach der Vorstellung des Barocks Schmerz, Leid und Trauer ausdrücken. Souverän
handhabt Bach die Komposition nach seiner Vorstellung: Tempi und Harmonien werden
in den durchgeführten Harmonien verkürzt, auch die Zahl der Variationen wird in den
einzelnen Teilen eingeschränkt. Im ersten Moll-Teil sind es 34 Variationen, im zweiten
Dur-Teil 19, im letzten Moll-Teil sind nur noch 12 komponiert.
Johannes Brahms wurde 1890 eine Handschrift der Solopartiten vorgelegt, er war begeisterter Sammler von Autographen. Er schrieb darüber eine Klavierfassung für die
linke Hand. Robert Schumann war es, der zu den Partiten eine Klavierstimme komponierte, weil er annahm, dass ihnen eine Begleitung fehle. So wurden die über 100 Jahre
in Vergessenheit geratenen Kompositionen wieder bekannt.
Das alles wusste ich beim ersten Hören der Chaconne natürlich nicht, aber sie hat mich
59 Jahre mehr oder weniger intensiv begleitet, bis ich die Komposition 2012 in der Marien-Kirche in Flensburg wieder aufgeführt hörte. Zu meinem 50. Ausstellungsjubiläum
hatte ich meine Bilder zum Hohenlied in den zwei Innenstadtkirchen erstmalig ausgestellt. Während einer der Veranstaltungen zur Ausstellung tanzte ein Ballet in der Kirche, wobei die Chaconne von einer Violinistin gespielt wurde. Schon bei den ersten 4
Takten war mir klar: Ich musste die Solopartiten malen. Alle drei. Es duldete keinen Aufschub. Mir war deutlich, dass ich bis zum letzten Pinselstrich an den Bildern permanent
in den Tönen von Johann Sebastian Bach leben würde, die mir Gideon Kremer – wann
immer ich wollte – zuverlässig und beherzt von der CD im Atelier aufspielen würde.
15 Bilder hatte ich zu malen. Zu klären waren zu Beginn des Prozesses die Formate
und die Größe der Malflächen. Nach dem Notenstudium entschloss ich mich zum Querformat, das als Format für die Landschaft gilt. Da hinein plante ich die Chaconne als
Hochformat, das eine Zäsur in die bewegte Notenlandschaft darstellt. Ich entschied
mich für ein gewohntes Formt von 80 x 100 cm, die Malfläche der Chaconne beträgt 135
x 100 cm. Rechnet man bei einem Format von 1 Meter Breite auf jeder Seite 40 cm Abstand zum Nachbarbild, dann werden als Hängefläche für die 15 Bilder 30 Meter benötigt. Gerne hätte ich größere Bilder geplant, allein die praktischen Erwägungen einer
Präsentation des Werkes hielten mich davon ab.
Dann setzte für mich eine ungewöhnliche Arbeitsweise ein: Leinwand für Leinwand füllte ich durch Bewegungen des Pinsels nach der Musik in verschiedenen, lasierenden
Übermalungen mit Farbe. Immer wieder übermalte ich den Pinselduktus, schuf überraschende Beziehungen zur Musik, wann immer ich wollte, stoppte ich das vehemente
Spiel Gidon Kremers auf Knopfdruck mit der Fernbedienung des CD-Players. Nie zuvor
hatte ich beim Malen Musik gehört. Meine Bilder entstehen in der Stille.
Von jeder Komposition übertrug ich die Taktzahl (ohne Wiederholungen) in gleichen
Flächen auf die Leinwand. Der Partita h-Moll näherte ich mich vorsichtig, bemüht, ein
„Notenbild“ entstehen zu lassen, das nicht als grafisches Element die auf 5 Linien gedruckten Noten wiedergibt, sondern versucht, die Musik Bachs als Bewegung auf der
Leinwand und in der Tiefe der Farbschichten zu spiegeln. Ungewöhnlich an der Partita
h-Moll ist, dass Bach allen 4 Teilen – Allemande, Courante, Sarabande und dem Tempo
die Borea – je eine Variation (Double) angefügt hat, was die Komposition der ersten 4
Bilder bestimmt. In die vorgegebenen Taktflächen setzte ich Textilschnipsel, die ich aus
vorgefärbtem Nessel ausschnitt. Zunächst begnügte ich mich mit den mehrstimmigen
Akkorden, die ich akzentuierend in die Malerei einfügte. Besonders deutlich wird das bei
dem 3. Bild mit der schwermütig klingenden Sarabande. Die Variationen gestaltete ich
in hellen, quirligen Farben.
Bild für Bild näherte ich mich über die linear angelegte Wiedergabe des Notenbildes
einer vertiefenden Verdichtung und Ausprägung der auf- und absteigenden Melodien.
Ganz deutlich ist am Arbeitsprozess bei der Partita d-Moll die Hinführung zur Chaconne
als Höhepunkt nachzuvollziehen. Note für Note habe ich aus farbigem Nessel ausgeschnitten und auf die Leinwand geklebt. Die Bildkomposition der Chaconne ergibt sich
aus der Dreiteilung der Musik Moll/Dur/Moll.
Die Partita E-Dur vermittelt eine vollkommen eigene Anmutung. Die Note für Note, Takt
für Takt ausgeschnittenen Textilschnipsel vermitteln Bewegungen und Gegenbewegungen bachscher Kompositionstechnik, die oszillierend, schwingend und schwebend das
wiedergeben vermag, was Gideon Kremer in seinem mutigen Spiel überraschend für
den Hörer seinem Instrument entlockt.
Zwei Jahre Musik von Johann Sebastian Bach. Im Atelier, auf Autobahnen, Hotelzimmern. An einem Sommertag hielt ich in Angeln im Angesicht der Ostsee an einer Koppel, auf der Angeliter Rinder sattbraunrot wiederkäuend dösten. Junge Kälber umstanden die Muttertiere. Ich stellte den Motor aus, Autodach und alle Scheiben waren geöffnet. Ich brachte den CD-Player des Autoradios auf volle Lautstärke und spielte den Kühen die Partiten vor. Sommerkonzert. Das hätte Gidon Kremer sicherlich gefallen. Bei
der 1. Partita kamen die Kälber langsam näher, hörten die für sie ungewöhnlichen Klänge. Bei der 2. Partita standen die Kühe auf, hörten auf, wiederzukäuen. Als die Chaconne erklang, standen alle Tiere am Zaun und sahen mich bewegungslos an durch das
geöffnete Fenster. Nur gelegentlich wedelte ein Kuhschwanz. In den Pausen zwischen
den einzelnen Stücken hörte ich eine Feldlerche singen. So einfach kann manchmal
das Leben eines Malers sein, der seinen Jugendtraum malt.
Gleichwohl waren die Bilder eine große Herausforderung an Konzentration und Ausdauer. Als ich alle Bilder im Atelier nebeneinander auf Staffeleien gestellt hatte und sie
zum ersten Mal zusammen sah, war mir klar: Jederzeit würde ich den Zyklus wieder
malen, wenn ich es nicht bereits getan hätte. Gibt es zwei enger geschwisterlich verbundene künstlerische Disziplinen wie Musik und Malerei?
Notenbeispiele und Bilder
Die Allemande ist melodisch und rhythmisch reich gegliedert, sie wirkt überraschend
frisch bizarr durch polyphon komponierte Akkorde. In der Variation des Themas (Double) fließen gleichmäßig Sechzehntelnoten in ständiger Auf- und Abwärtsbewegung.
Partita I, h-Moll, BWV 1002
Allemande / Double
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm, 2012
Bild 1
Die Courante ist im ¾ Takt geprägt durch einheitliche auf- und absteigende Bewegungen der Achtelnoten. Die im schnellen Tempo (Presto) gespielte Variation dazu vermittelt eine Geläufigkeit des Spiels, die an Tonleitern erinnert.
Partita I, h-Moll, BWV 1002
Courante / Double
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm, 2012
Bild 2
Schwermütig, beinahe elegisch erklingen die bis zu vierstimmigen Akkorde der Sarabande in gemessen langsamem Tempo. Dabei kann die Oberstimme aufsteigen, während die Bassstimme abwärts geführt wird (S. Takt 12), was eine besondere Herausforderung an den Spieler darstellt. Das nachfolgende Double mutet wie Erlösung an, wenn
das Thema in gleichmäßigen Achteltriolen aufgelöst wird.
Partita I, h-Moll, BWV 1002
Sarabande / Double
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm, 2012
Bild 3
Mehrstimmig und entschlossen beginnt mit dem Tempo di Bourrée der 4. Satz der 1.
Partita. Prägnante 4 / 4 Thematik gibt eine Struktur vor, die im anschließenden Double
in dynamische Achtelnoten übergeht. Die Einstimmigkeit dieses Satzes wird lediglich in
den Takten 23-26 und im Takt 39 durch eine sechzehntel – Figur unterbrochen. (Notenbeispiel ab Takt 12)
Partita I, h-Moll, BWV 1002
Tempo di Bourrée / Double
Acrylfarbe, Textilien
80 x 100 cm, 2012
Bild 4
Im ruhigen 4 / 4 Metrum strömen Melodiegedanken, immer wieder akzentuiert durch
Triolen und Zweiunddreißigstelnoten. Die Folgen von Auf- und Abwärtsbewegungen
schaffen eine innerlich verklärte Anmutung, die in dem vierstimmigen Schlussakkord
festlich einmündet. Das Intervall b / cis im ersten Takt findet sich in der 4. Invention von
J. S. Bach in den ersten beiden Takten wieder.
Partita II, d–Moll, BWV 1004
Allemande
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm, 2012
Bild 5
Die Courante ist gekennzeichnet durch wechselnde Beziehungen zwischen den prägenden Triolen und Punktierungen, die immer wieder den schwebenden Dreierrhythmus
unterbrechen und dadurch reizvoll machen.
Im ersten Takt erklingt ein reiner d-Moll Akkord, dessen Grundton in der ersten Triole
um einen halben Schritt auf cis geführt wird, um mit dem nächsten Intervall auf den Ton
b zu steigen. Diese Tonfolge erklingt bereits im vorher gehenden Satz der Allemande.
Partita II, d-Moll, BWV 1004
Courante
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm, 2012
Bild 6
Am Hof Ludwig XIII (1601 – 1643) entwickelte sich aus der ursprünglich schnellen
Sarabande ein langsamer eleganter ¾ taktiger Tanz, etwa in der Form eines langsamen
Menuetts. Dem deutlich ausgeprägten Schreitrhythmus setzt Bach ausdrucksvolle
Motive entgegen. Es scheint, als fände die Chaconne als Schlusssatz der 2. Partita in
der Sarabande ihren Ursprung. Die Komposition der Sarabande folgt dem barocken
Regelwerk:
-
Die zweite Zählzeit ist gekennzeichnet durch:
Harmoniewechsel
Punktierung
Verzierung
Untergruppen zu je zwei Takten
Auch die Form entspricht der gewohnten 8-taktigen Struktur einer Sarabande. Zwei
wiederholte Teile mit 8 und 16 Takten bereiten ein 4taktiges Nachspiel vor, das den
Charakter der Sarabande aufgibt. Die „petite reprise“ des letzten Taktes erinnert durch
die Viertelnote und die halbe Note an das Kompositionsschema „Kurz-lang“.
Partita II, d-Moll, BWV 1004
Sarabande
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm
Bild 7
Die Gigue oder Giga ist gekennzeichnet durch lebhafte Spielfreude. In die 12/8tel Takte
hat Bach beinahe durchgehend 24 16tel Noten komponiert, sie eilen in drängenden Bewegungen auf und ab. In diesem Satz sind dynamische Zeichen wie forte und piano
vorgegeben, die bei der nachfolgenden Chaconne fehlen.
Partita II, d-Moll, BWV 1004
Gigue
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm
Bild 8
Das Thema der Chaconne folgt den aus dem Lamentobass (d-c-b-a) abgeleiteten Harmonien. Daraus hat Bach 8taktige Themen entwickelt, die in 34 Variationen eingebunden sind, untergliedert in acht 4taktige und sechsundzwanzig 8taktige Varianten. Der
Anfang und das Ende der Komposition sind keine Variationen, sondern eigenständige
Melodien. Die ersten 131 Takte sind in Moll angelegt, es folgen 76 Takte Dur, danach
enden 49 Takte wiederum in Moll. Rhythmische Erregungen, Doppelgriffe, Akkordbrechungen und einfache melodische Melodien schaffen enorme Spannungsbögen.
Partita II, d-Moll, BWV 1004
Chaconne
Acrylfarbe, Textilien
135 x 100 cm
Bild 9
Auffallend ist, dass die Standartsätze Allemande, Courante und Sarabande nicht komponiert sind. Bach scheint sich mit der 3. Partita an der Form der Suite orientiert zu haben, die er frei umsetzt. Die Suite (frz. „Abfolge) bezeichnet einen Zyklus von Instrumental- oder Orchesterstücken, die ohne größere Pausen aufgeführt werden. Bach beginnt mit einem Vorspiel – Preludio -, wie er es häufig für seine Orgelkonzerte getan hat.
Das Preludio im ¾ Takt beginnt in hoher Lage, die Bewegungslinie steigt ab bis zum
Grundton e, um sofort wieder aufzusteigen. Der Satz versprüht Energie und Lebensfreude.
Partita III, E-Dur, BWV 1006
Preludio
Acrylfarbe, Textilien
80 x 100 cm
Bild 10
Im 17./18.Jh war in der Normandie die Loure als Sackpfeife bekannt. Der nach dem Instrument benannte Tanz wurde in wiegendem Ernst, Würde und Feierlichkeit ausgeführt. Musiziert und getanzt wurde im ¾ oder 6/4 Takt. Die langsame Gigue oder Gigue
lente hatten große Ähnlichkeit mit der Loure. Bach komponierte den Satz zwei- oder
dreistimmig.
Partita III, E-Dur, BWV 1006
Loure
Acrylfarbe, Textil
80 x 100 cm
Bild 11
Die im 4/4 Takt komponierte Gavotte in Rondoform klingt freudig bewegt auf. Der höfische Tanz stammt aus dem 17./18. Jh. Garot (frz) ist ein Neckname für die Alpenbewohner aus den Pays de Gap (Dauphiné), dort entstand der Tanz. Bach verwendet in
dem Satz das Hauptthema, um die mehrteilige Form durchzugliedern. Nach der schweren Loure verweist die Gavotte auf die Suitenform als Aufführung mehrerer Sätze.
Partita III, E-Dur, BWV 1006
Gavotte
Acrylfarbe, Textil
80 x 120 cm
Bild 12
Menuett (frz. Menuet/menu pas: kleiner Schritt) ist ein beliebter Gesellschaftstanz aus
dem 17./18.Jh. im Dreivierteltakt (Tripeltakt). Ruhig und gelassen erklingen die Themen
der beiden Menuette.
Bemerkenswert für die Spieltechnik sind die bis in den nächsten Takt hinein zu haltenden Noten im Menuett II.
Die Komposition des Bildes ergibt sich aus den beiden vorgegebenen Menuetten.
Partita III, E-Dur, BWV 1006
Menuet I, Menuett II
Acrylfarbe, Textilien
80 x 100 cm
Bild 13
Die Bourée entstand als höfischer Tanz bereits im 16. Jh. und entwickelte sich als
Volkstanz in Zentralfrankreich. Die Bezeichnung leitet sich ab vom „pas de Bourée“
(Bourée-Schritt). Im 2/2 Takt komponiert klingt die Anmutung der 3.Partita lebhaft auf.
Auch bei diesem Satz finden sich dynamische Zeichen wie forte und piano, die vermutlich nicht von Johann Sebastian Bach stammen.
Partita III, E-Dur, BWV 1006
Bourée
Acrylfarbe, Textilien
80 x 120 cm
Bild 14
In stringenter Einstimmigkeit führt Bach seine musikalischen Gedanken aus. Auffällig ist
die Wiederholung der Figur im 6. Takt, die Gideon Krämer wie ein Echo spielt, vermutlich hat Bach das so gewollt. Es ist die einzige Wiederholung in dem ganzen Satz, wodurch ihr besondere Bedeutung zukommt.
Das lebhafte Tempo im 6/8 Takt löst die 3. Partita im Schlusston e als Viertelnote ohne
Fermate beinahe beiläufig auf.
Partita III, E-Dur, BWV 1006
Gigue
Acrylfarbe, Textilien
80 x 100 cm
Bild 15
Partita I, h-Moll, BWV 1002
Bildausschnitte, Farbauszüge
Allemande / Double
Courante / Double
Sarabande / Double
Tempo di Bourrée / Double
Partita II, d-Moll, BWV 1004
Allemande
Courante
Sarabande
Gigue
Chaconne
Partita III, E-Dur, BWV 1006
Preludio
Loure
Gavotte en Rondeau
Menuet I, Menuet II
Bourrée
Gigue
Johann Sebastian Bach
Am 31. März 1685 wurde Johann Sebastian Bach in Eisenach als Sohn des Stadtpfeifers geboren. Es ist davon auszugehen, dass er von Kindheit an das Geigenspiel erlernte. Bis zu seinem Tode am 28.Juli 1750 in Leipzig umfasst sein Werk über 1000 Kompositionen. Zu Lebzeiten war er bekannt als Organist und Virtuose, seine Werke waren
jedoch in der Öffentlichkeit nicht so präsent wie heute. Sie wurden nach seinem Tode
kaum noch gespielt. Erst als Felix Mendelssohn Bartholdy 1829 die Matthäus-Passion
aufführte, kam es zu einer Renaissance bach’scher Werke.
Anhalt-Köthen war eines der vier anhaltinischen Fürstentümer. Bach war von 1717 –
1723 im Dienst beim Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen, am 7. August 1717 wurde er
zum Kapellmeister ernannt. Als Director derer Cammer-Musiquen stand er 17 Musikern
vor, die teilweise aus der aufgelösten Kapelle König Friedrich Wilhelm I (1688-1740)
stammten. Etliche der Musiker waren ausgewählte Solisten im Dienst eines Cammermusicus. Die Kapelle erhielt neue Instrumente, Bach wurde im fürstlichen Auftrag 1719
nach Berlin geschickt, um ein Cembalo einzukaufen. Dort begegnete er dem Markgrafen Christian Ludwig (1677 – 1734). 1721 widmete Bach ihm ältere und neuere Kompositionen, die später als Brandenburgische Konzerte bekannt wurden.
Am Hof des Fürsten wurden die Gottesdienste nach reformiertem Bekenntnis gefeiert,
das hatte Einflüsse auf die Musik Bachs. 1720 fuhr Johann Sebastian Bach mit dem
Fürstenhof auf eine zweimonatige Dienstreise. Als er zurück kehrte, erfuhr er, dass seine Frau Maria Barbara kurz zuvor gestorben war. Es wird angenommen, dass der Tod
seiner Frau Anlass war, die Chaconne zu komponieren. Die Reinschrift der Sonaten und
Partiten für Violine wurde 1720 ausgeführt. Vermutlich entstanden einige der Stücke
bereits in Weimar zwischen 1713 – 1714. Die Partita in d-Moll und die in h-Moll dürften
aufgrund kompositorischer Merkmale nicht vor 1717 – 1718 entstanden sein, die Partita
in E-Dur nicht vor 1719. Solomusiken für Violine waren im 17. und 18. Jh. nicht ungewöhnlich. So hatte Johann Paul von Westhoff bereits 1696 Sechs Suiten für Violine solo
heraus gegeben, die Bach bekannt gewesen sein dürften. Der Bedarf an instrumentaler
Musik an den Höfen war groß.
Entweder hat Bach die Uraufführung selber gespielt, oder es waren Musiker aus der
fürstlichen Kapelle in Köthen. Die als Sei solo a violino senza basso accompagnato bezeichneten Kompositionen stellten nicht nur für den Komponisten, sondern stellen noch
heute für jeden Violinisten eine der kammermusikalischen größten Herausforderungen
dar. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Brief von Carl Philipp Emanuel Bach,
in dem er über seinen Vater berichtet: In seiner Jugend bis zum ziemlich herannahen-
den Altar spielt er die Violine rein und durchdringend und hielt dadurch das Orchester in
der größeren Ordnung, als er mit dem Flügel hätte ausrichten können. Er verstand die
Möglichkeiten aller Geigeninstrumente vollkommen. Dies zeige seine Soli für die Violine
und für das Violoncell ohne Bass…1
Quelle: Dominik Sackmann: Warum komponierte Bach die Sonaten und Partiten für Violine solo BWV 1001 -1006?
In: www.theaterforum.ch/uploads/media/Vortrag_Dominik_Sackmann.pdf
1
Brief von Carl Philipp Emanuel Bach an Forkel(1774), in: Bach-Dokumente III, Dokumente zum Nachwirken Johann Sebastian Bach 1750-1800. Hrsg. Hans-Joachim Schulze, Kassel, Bärenreiter, 1984, Nr.801, S. 285
Uwe Appold©
Flensburg
Februar 2014