Auf Klassenfahrt.

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Auf Klassenfahrt.
S
LE &
CHU
JOB
N o 0 4 / 1 2 -------------- j e t z t . d e
Auf Klassenfahrt.
HAGEBUTTENTEE, AUSBÜXEN UND DIE LETZTE REIHE IM BUS –
EIN HEFT ÜBER DAS VERREISEN MIT DER SCHULE.
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Recruiting
Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn man etwas lernen will, muss man sich auch mal an Orten
umsehen, die etwas abseits der gewohnten Pfade liegen. Deshalb gibt
es Klassenfahrten. Sie sollen konkret und erlebbar machen, was
Schulbücher nur auf Bildern zeigen. Sie können aber noch mehr: Viele
wichtige Dinge des Lebens macht man zum ersten Mal auf der
Klassenfahrt, ein Bett beziehen zum Beispiel oder knutschen (Seite
48). Man lernt für sein Leben. Und ganz nebenbei können Klassenfahrten natürlich auch ziemlich Spaß machen. Deshalb haben wir
dieses Klassenfahrt-Heft gemacht.
Eine Reise hat immer drei Teile, und dementsprechend ist dieses Heft
gegliedert: in das Davor, beginnend mit der Auswahl des Reiseziels
(Seite 10) und dem Packen (Seite 4); in das Dabei, mit einer Reise
nach Berlin aus Schüler- und Lehrersicht (Seite 16), einer Diskussion
zwischen Klassenfahrtprofis (Seite 28) und der Geschichte einer
Familie, die eigentlich immer auf Klassenfahrt ist; und in das Danach,
wenn man Verluste bemerkt (Seite 53) oder sich noch mal an die
Highlights erinnert (Seite 44).
Deine jetzt-Redaktion wünscht gute Reise!
INHALT
COVER VON ROBIN KRANZ / FOTO & VOLKER HOBL / STYLING
4
Einpacken! Drei Koffer, die gleich auf Reisen gehen.
10
Aussuchen! Ein Blick in Kataloge für Schüler und Lehrer.
12
Setzen! Nur: wohin? Eine Typologie der Busreisenden.
16
Blickwinkel Eine Fahrt, zwei Perspektiven. Unterwegs in Berlin.
26
Poster Zehn besondere Herbergen und Hostels.
28
Reiseleiter Vier Klassenfahrtprofi s diskutieren.
34
Doppelleben Nach der Uni ist hinter der Rezeption.
Duales Tourismus-Studium.
38
Schulland-Daheim Wohnen, wo andere hinreisen.
44
Storyboard Das perfekte Abifahrtvideo!
48
Ewigkeit Die wichtigsten Dinge lernt man abseits
des Klassenfahrtprogramms.
52
Sammelseite Schöne Sachen für müde Heimkehrer.
53
Rätsel Vergessliche und ihre Verluste.
54
Reise-Rap K.I.Z. über Klassenfahrten.
ich
„Das Abi habe
in der Tasche –
Und die Karriere auch.“
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Von lUKAs GAnsTeReR / FOTOS
Du kannst
einpacken!
Wie einfach Verreisen doch wäre, müsste man
nicht vorher seinen Koffer füllen! Was muss mit
auf die Klassenfahrt, bei der man sowieso
nicht genau weiß, was einen erwartet? Und was
nimmt man mit auf den London-Trip nach
dem Abi? Ein Blick in drei Taschen, die gerade
für die Abreise gepackt werden.
4 jetzt S C H U LE & JO B N o 0 4 /1 2
Teo aus Wien ist 16 Jahre und fährt
nach Berlin. Skateboard, Sonnenbrille, Spielkarten, mobile Boxen
und Kopfhörer – für die Freizeit hat
er das Wichtigste dabei. Dazu kommen ein universal einsetzbarer Kleiderhaufen, Süßigkeiten für die Zugfahrt, Stifte, eine Taschenlampe und
ein Leatherman – den kann man ja
immer gebrauchen. Ausnahmsweise
hat Teo auch Zahnpflege-Artikel dabei: „Normalerweise nehme ich nie
eine Zahnbürste und Zahnpasta mit,
die kaufe ich immer vor Ort. Dann
muss ich nicht so viel schleppen.“
jetzt SC H UL E & J O B N o 0 4 / 1 2 5
AnToniA, 17 Jahre, fährt nach Italien, in die Nähe von Neapel. Erstes
eindeutiges Anzeichen, dass es sich
um einen Mädchenkoffer handelt:
Die Klamottenauswahl ist deutlich
größer als die von Teo. Weitere ganz
klare Hinweise: Bodylotion (Aftersun, in Italien brennt die Sonne),
Haarbürste, Pille und Blasenpflaster
für die High-Heels-geplagten Füße.
Das Portemonnaie ist gut gefüllt, die
Bahncard liegt bereit. Und Filme für
die analoge Fotokamera hat Antonia
vorsorglich auch eingekauft.
6 jetzt S C H U LE & JO B N o 0 4 /1 2
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auch für einen fairen Umgang mit Bewerbern und Mitarbeitern. Ganz egal, welchen
Geschlechts. Wenn wir also die männliche Form von Personenbezeichnungen verwenden,
geschieht dies lediglich aus Gründen des Leseflusses.
Clemens, 18 Jahre, fährt nach
dem Abi mit ein paar Kumpels für
fünf Tage nach London. Da muss
man gut aussehen; die Kleiderauswahl hat lange gedauert, und die
T-Shirts hat Clemens nicht nur einfach wild in den Rollkoffer gestopft,
sondern einigermaßen sauber gefaltet. Das Hostel hat er schon im Voraus gebucht, den Reiseführer nimmt
er trotzdem mit, er hat ihn von seinen
Eltern bekommen. Und, sehr umsichtig: Clemens hat jetzt schon an den
Kater gedacht und prophylaktisch
eine Schachtel Aspirin eingepackt.
Darunter: ein Päckchen Kondome.
8 jetzt S C H U LE & JO B N o 0 4 /1 2
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VON JULIANE FRISSE / TEXT
Drinks oder
Olivenöl?
Die Reiseziele mögen dieselben sein. Wie sie in Katalogen
angepriesen werden, kommt auf die Zielgruppe an.
E
ine Klassenfahrt ist eine Reise, auf die
man sich sehr freuen könnte – hätten nicht
die mitfahrenden Lehrer das Programm zusammengestellt. Denn was Schüler wollen
und was Lehrer, das unterscheidet sich sehr.
Wie sehr, sieht man, wenn man einen Katalog
für Abifahrten und einen für Studienreisen
durchblättert – viele Lehrer lassen Klassenfahrten von Reiseveranstaltern teilweise oder
komplett organisieren.
Im Angebot: Partygarantie für die einen,
Rundumbildungsprogramm für die anderen.
„Partyclubs nur für Abi-People“ gibt es etwa
bei ruf Abireisen; im Preis inklusive sind zudem „landestypische alkoholische Getränke“
– jedenfalls zu bestimmten Tages- und Nachtzeiten. Exzessive, aber billige Feierei scheint
überhaupt das wichtigste Kriterium zu sein:
„Bei uns zahlt ihr in den meisten Diskotheken keinen Eintritt“, verspricht Jam! Reisen
– und noch ein bisschen mehr: „Wir mögen
die Party nicht erfunden haben, aber wir haben sie perfektioniert.“
10 jetzt S C H U L E & JO B N o 0 4 /12
In Lehrerkatalogen ist oft von „Studienreisen“
statt von Klassenfahrten die Rede: Hier soll
eben in erster Linie der Unterricht außerhalb
der Klassenzimmer fortgesetzt werden. Wenn
dabei ein Anbieter pseudojugendlich eine
Fahrt nach „trendy“ Amsterdam mit den Museen der Stadt und deren „Kultstatus“ bewirbt, soll das wohl den bildungsbefl issenen
Begleitern suggerieren, dass auch die Schüler
schon längst dem Besuch im Rijksmuseum
entgegenfiebern.
Es lohnt sich, auch als Schüler einen Blick in
einen solchen Katalog zu werfen. Dort fi nden
sich nämlich super Argumente, um die Lehrer davon zu überzeugen, dass die nächste
Stufen- oder Kursfahrt unbedingt Richtung
Partydestination gehen muss: Auf Mallorca
kann man schließlich auch traditionelle Olivenölmühlen besichtigen, in der Nähe von
Lloret de Mar gibt es ein sehenswertes Benediktinerkloster. Und in Rimini kann man zumindest einen Schnupperkurs Italienisch belegen.
DIE SCHNIPSEL STAMMEN AUS KATALOGEN VERSCHIEDENER REISEANBIETER. JUGENDTOURS UND
CTS REISEN WOLLEN LEHRER BEGEISTERN, JAM! REISEN WERBEN UM FEIERWILLIGE ABITURIENTEN.
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Betreff: Ausbildung
Die Schule ist bald geschafft.
Was könnte danach kommen?
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JOANNA SWISTOWSKI / ILLUSTRATIONEN
Abgefahrene
Typen.
Eine Klassenfahrt beginnt nicht erst, wenn man das
Zimmer in der Jugendherberge bezogen hat –
die Anfahrt gehört dazu! Schon im Bus zeigt sich schnell,
wer vor Ort nachts die Lehrer wach hält.
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DER ZIMPERL
So ist er: Der Zimperl hat schon Heimweh, wenn er aus
der Haustüre tritt. Im Bus ist ihm erst zu warm, dann zu
kalt, und dann muss er ganz dringend mal auf die Toilette.
Weil die Raststätte aber noch ein Stück entfernt ist und
der Fahrer nicht einfach an der Autobahn anhalten kann,
darf der Zimperl als Einziger die Reisebustoilette benutzen, die eigentlich immer abgeschlossen und nie in Gebrauch ist. Der Zimperl hat von allen Schülern das größte
Lunchpaket dabei, weil er auf fast alle Lebensmittel allergisch ist und seine Mutter ihm extra viel von den Sachen
eingepackt hat, die er verträgt. Davon würde er nie etwas
abgeben, schließlich kann er auch von anderen nichts annehmen. Aber eigentlich möchte sowieso niemand etwas
von seinem Essen haben, weil das, was da in der Brotbox,
der Kekstüte und der Alufolie liegt, irgendwie ganz seltsam grau und gesund aussieht.
Seine Erwartungen an die Klassenfahrt: „Ich hab ein
bisschen Angst, dass meine Kügelchen gegen Bauchweh
nicht reichen, weil die Packung schon halb leer ist. Manchmal hilft dagegen auch frische Luft, aber draußen bekomme ich halt so schnell Heuschnupfen und Sonnenbrand.“
Auf dem Zimmer: Zieht er seine eigene Bettwäsche auf
und packt als Einziger seinen Koffer aus und den Inhalt in
den Schrank. Zwischendurch kommt es zum Streit mit den
Zimmergenossen, weil der Zimperl wegen der Pollen nicht
bei offenem Fenster schlafen will und außerdem Angst
hat, dass die angebrochenen Süßigkeitentüten Ameisen
anlocken.
Auf der Rückfahrt: Wird ihm übel vom Jugendherbergsfrühstück (zu viel Weißmehl, zu viel Zucker im Früchtetee), und er provoziert einen Notstopp, nachdem schon
etwas danebengegangen ist, der Geruch durch den Bus
wabert und alle jammern und die Nase rümpfen.
DER EINSAME BUSWOLF
So ist er: Der einsame Buswolf ist leider auch sonst eher
einsam. Im Bus aber besonders. In der Klasse ergibt sich
aus der U-förmigen Tischkonstellation, dass keiner allein
sitzt. Ist die Klasse zu Fuß unterwegs, mäandert er durch
die Gruppe, und in der Pause stellt er sich halt irgendwo
dazu oder bleibt etwas länger als nötig auf der Toilette. Im
Bus aber wählen alle schnell ihren Lieblingsklassenkameraden als Sitznachbarn, und dann ist die Sitzordnung für
die nächsten Stunden unverrückbar. Da fällt ein leerer
Platz sehr auf. Darum stellt der einsame Buswolf einfach
seinen Rucksack direkt neben sich, damit es nicht aussieht, als wolle niemand neben ihm sitzen, sondern so, als
lege er darauf gar keinen Wert.
Seine Erwartungen an die Klassenfahrt: „Sieben Tage
kriege ich schon irgendwie rum.“
Auf dem Zimmer: Steht er am Morgen extra früh auf, um
vor allen anderen mit Waschen und Zähneputzen fertig zu
sein, und passt nachts auf, dass er immer mit dem Gesicht
zur Wand schläft. Er ist der Einzige aus der Klasse, neben
dessen Bett Bücher liegen.
Auf der Rückfahrt: Sitzt der einsame Buswolf neben dem
Hampler. Das hat die Lehrerin so bestimmt, damit sich
keiner der Hampler-Kumpels dort hinsetzt und die zusammen doch wieder nur Unfug machen.
DER HAMPLER
So ist er: Der Hampler verhält sich stets, als wäre er ein
Affe im Zoo und der Bus sein Käfig. Er rennt den Gang auf
und ab, klettert auf die Sitze und über die Rückenlehnen
und schafft es mindestens einmal, die Sprechanlage des
Fahrers zu benutzen und sehr laut „Anabel hat gefurzt!“
zu rufen. In Ermangelung eines Balls wirft er einem Kumpel in der letzten Reihe seinen Turnschuh zu und trifft dabei die Petze der Klasse am Kopf. Die Standpauke der
Klassenlehrerin perlt am Hampler allerdings ab wie Wasser an Teflon, und darum hängt er kurze Zeit später schon
wieder am Gepäckfach, bis die Plastikverkleidung einen
Riss bekommt. Danach schämt er sich doch ein bisschen
und spielt eine halbe Stunde schweigend Nintendo DS, bevor er weiterhampelt.
Seine Erwartungen an die Klassenfahrt: „Bis Mitternacht
wach zu bleiben ist echt das Coolste, das ich mir vorstellen
kann!“
Auf dem Zimmer: Ist immer was los. Vor allem die beliebtesten Mädchen der Klasse und der eine Junge, der
die tragbaren Boxen dabeihat, sind hier zu fi nden. Ab Tag
zwei gibt es deshalb auch regelmäßig Besuch von der
Klassenlehrerin.
Auf der Rückfahrt: Hat der Hampler einen dicken Verband um den Fuß und zwei aufgeschlagene Knie. Den
Nintendo DS hat die Klassenlehrerin einkassiert, darum
liest der Hampler die Zeitschriften der Girls und macht
Witze darüber (fi ndet sie in Wirklichkeit allerdings superinteressant).
jetzt SC H U L E & J O B N o 0 4 / 1 2 13
DAS FAULTIER
DER LEHRERLIEBLING
So ist er: Für den Lehrerliebling gibt es nur einen Platz im
Bus – den ganz vorn auf der Beifahrerseite. Angeblich,
weil ihm weiter hinten schlecht wird und weil man vorn so
gut aus der Frontscheibe schauen und die Straße sehen
kann. In Wirklichkeit will der Lehrerliebling vor allem
mit der Klassenlehrerin reden, die auch vorn sitzt und Wache hält, sie über das Programm der kommenden Woche
ausfragen und selbst eifrig Pläne schmieden. Er hat nämlich schon viel über das Reiseziel Cochem an der Mosel
nachgelesen und weiß, wo die Schiffe auf dem Fluss geschleust werden, welche Tiere es im Tierpark Klotten gibt
und wie die Römer früher in der Gegend gelebt haben. In
seinem Brustbeutel hat er ein Kärtchen mit Notfalltelefonnummern, das er stolz allen herzeigt, und seine Schuhe
(atmungsaktiv! Fußbett!) hat er extra für die Klassenfahrt
neu bekommen.
Seine Erwartungen an die Klassenfahrt: „Ich will ganz
viel lernen und die Tiere im Tierpark fotografieren und
mit einem Schiff fahren und den Motorraum sehen, weil
ich mich nämlich für Motoren interessiere, und hoffentlich
wird mein Geld nicht gestohlen, da muss man ja aufpassen
als Tourist!“
Auf dem Zimmer: Sorgt er dafür, dass jeden Abend
pünktlich zur Bettruhezeit die Lichter gelöscht werden.
Das funktioniert aber nur, weil die anderen ihm einen Vogel zeigen, das Zimmer verlassen und er allein im Dunkeln bleibt.
Auf der Rückfahrt: Sitzt er beleidigt irgendwo im hinteren
Mittelfeld, weil der Zimperl nach seiner Übelkeitsattacke
von der Lehrerin nach vorn gesetzt und herzlich bemuttert
wird. Da zählt das Argument, ihm könnte weiter hinten
doch auch schlecht werden, nicht mehr. Und dann wird
ihm noch nicht mal schlecht.
14 jetzt S C H U L E & JO B N o 0 4 /12
So ist er: Na ja, faul halt. Oder zumindest schläfrig und
träge. Sobald der Bus fährt und seine Insassen sanft hin
und her wiegt, nickt das Faultier ein. Von einem Schüler
mit Faultierqualitäten gibt es nach Klassenfahrten immer
sehr viele Fotos, auf denen man sieht, wie er mit an die
Scheibe gelehntem Kopf (manchmal mit dem extra mitgebrachten Reisekissen dazwischen) und sehr weit geöffnetem Mund im Sitz hängt. Manchmal dekorieren die Mitschüler ihn auch oder stecken etwas in seinen Mund,
wovon er aber meistens aufwacht. In kurzen Wachphasen
schaut er verträumt-abwesend aus dem Fenster, und wenn
er dann wieder im Land der Träume weilt, kann er sicher
sein, dass mindestens ein Freund mit den Worten „Mann,
jetzt lass den doch mal!“ seinen Schlaf verteidigen wird.
Leider verpasst er die Rast, weil er zu spät aufwacht, und
kann die letzte halbe Stunde der Fahrt dann doch nicht
mehr schlafen, weil er mal muss.
Seine Erwartungen an die Klassenfahrt: „Hoffentlich
wandern wir nicht so viel.“
Auf dem Zimmer: Braucht er morgens zu lang und ist
abends als Erster wieder drin und im Schlafanzug. Ist ja
auch anstrengend, so eine Klassenfahrt.
Auf der Rückfahrt: Schläft er.
DIE GIRLS
So sind sie: Die Girls sind zu zweit. Immer. Und überall.
Sie tragen die gleichen Klamotten, machen sich die gleichen Frisuren, sie essen sogar das Gleiche. Darum müssen
sie im Bus auch unbedingt nebeneinandersitzen und haben ihre Zimmerkonstellation mit drei anderen Mädchen,
die sie „ganz okay“ fi nden, schon mal festgemacht, damit
sie bloß nicht getrennt werden. Während der Fahrt teilen
sie sich die Ohrstöpsel ihres MP3-Players, lesen gemeinsam in Zeitschriften und machen die darin befi ndlichen
Psychotests zu den Themen „Bist du eine gute beste
Freundin?“ oder „Welcher süße Star passt zu dir?“. Beim
Verlesen des Ergebnisses quieken die Girls und halten
sich dabei die Hände vor den Mund. Ihr Doppelsitz wird
innerhalb der mehrstündigen Fahrt zu einer Art Festung,
in die niemand vordringen kann – sie verhängen sogar die
Lücken zwischen ihren Rückenlehnen und den Vordersitzen mit Tüchern, damit bloß keiner heimlich durchschaut.
Ihre Erwartungen an die Klassenfahrt: „Wenn wir den
ganzen Tag und die ganze Nacht zusammen sind, werden
wir sicher noch bessere superbeste Freundinnen!“
Auf dem Zimmer: Ist die ersten drei Tage alles in Ordnung. Dann kippt die Stimmung langsam, weil die eine zu
lange im Bad braucht, die andere zu unordentlich ist und
die übrigen Mädchen im Zimmer vom Zickenkrieg genervt sind.
Auf der Rückfahrt: Gibt es wieder festungsartige Doppelsitze, Haareflechten und Gekicher – bloß dass jedes der
Girls jetzt eine andere Sitznachbarin und superbeste
Freundin hat.
Vorstellungsgespräche enden
bei uns oft im
Krankenhaus.
Gesundheit wird auch am Arbeitsmarkt immer wichtiger:
So hat etwa jeder achte Arbeitnehmer in Baden-Württemberg
bereits eine Karriere in der Gesundheitsbranche eingeschlagen.
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16 jetzt s C H U L e & Jo B N o 0 4 /12
Wenn Lehrer und Schüler zusammen unterwegs sind, sind das zwei
Reisen in einer. Für die Lehrer heißt Klassenfahrt Verantwortung,
Organisation, der ewige Spielverderber sein. Für die Schüler nicht
nur Urlaub und Spaß – sie müssen auch ein Stück Freiheit abgeben.
Wir sind mit einer Stuttgarter Klasse nach Berlin gereist, um eine
Studienfahrt von beiden Seiten zu betrachten.
Geteilte
Stadt.
Von DaViD Schelp / TexT & Fabian Zapatka / FoTos
jetzt sC H U L e & J o B N o 0 4 / 1 2 17 Klaus Schellhaas, 45, Lehrer für Deutsch, Englisch und Gemeinschaftskunde am Evangelischen Mörike-Gymnasium in Stuttgart: „Als Lehrer
darfst du kein ängstlicher Mensch sein. Wer anfängt, sich zu viele Gedanken zu
machen, kann direkt zu Hause bleiben. Wenn etwas schiefgeht, kriegen zuerst wir
auf den Deckel. Es braucht nur einer vors Auto zu laufen – nicht auszudenken,
was da los ist. Mein schlimmster Albtraum wäre der Tod eines Schülers auf Studienfahrt. Auch Drogenmissbrauch und dass die Schüler zu viel trinken sind so Ängste.
Bisher ist aber immer
alles gut gegangen.
Der Konflikt zwischen Lehrern und Schülern lässt sich in zwei Ziffern und drei Buchstaben auf den
Damit das so bleibt,
Punkt bringen: 23 Uhr. Für die einen verbindet sich damit die Hoffnung auf ein bisschen Ruhe nach
haben wir da ganz
einem Tag voller S-Bahn-Fahrten und Diskussionen mit 78 oft übellaunigen Halbstarken. Für die
klare Regeln aufgeanderen der Ärger über eine verpasste Nacht in der Stadt, die vielen derzeit als das Feierzentrum
stellt: Rauchverbot,
Europas gilt. 22:55 Uhr, ein warmer Juliabend. Die Jahrgangsstufe I des Evangelischen MörikeAlkoholverbot, um
Gymnasiums Stuttgart steht vor ihrem Hotel unweit des Bahnhofs Zoo, ihnen gegenüber Klaus
23 Uhr sind alle auf
Schellhaas, der das Programm der kommenden Tage diktiert: Museen, Mahnmale, Minigolf. „Und
den Zimmern. Wir
morgen geht es um 7:30 Uhr los“, ruft Schellhaas, „also seht zu, dass ihr rechtzeitig ins Bett kommt,
glauben natürlich
damit ihr es vorher zum Frühstück schafft.“ Einige der Schüler sind bereits 18, andere haben die
nicht, dass sich alle
Volljährigkeit fast erreicht. Will man sich in diesem Alter sagen lassen, wann man im Bett zu liegen
daran halten werden.
hat, wie viele Zigaretten man rauchen und was man trinken darf? Einige aus der Gruppe scheinen
Wir waren ja auch
das nicht zu wollen. „Heute Nacht geht es in die Stadt, dann kriegst du richtig gute Bilder“, raunen
mal jung.“
sie dem Fotografen zu, bevor sie im Hotel verschwinden.
Mittwochmorgen, kurz vor 7 Uhr. Mit müden Augen drängen die Schüler in den Speisesaal und
stellen sich an, um Nuss-Nougat-Creme und Pflaumenmus aus Stahlspendern auf Brötchen zu
drücken. Trotz aller schlechten Absichten sind sie gestern doch im Hotel geblieben. „Weggepennt.“
Ärger gab es trotzdem.
Schellhaas: „Wir
hatten Schwierigkeiten, weil in einem
Zimmer keine Ruhe einkehren wollte. Die Jungs sind durchs Fenster aus dem
ersten Stock gestiegen. Der Hotelwachmann hat uns das gemeldet, und wir haben
für Ruhe gesorgt. Alles nicht so wild eigentlich, aber leider war bei den Schülern
wenig Einsicht da. Wir haben ihre Eltern angerufen. Wenn noch etwas ist, fahren
sie nach Hause. Auf eigene Kosten.“
Till Holzapfel, 17:: „Wir wollten nur schnell eine rauchen. Aus dem Haupteingang konnten wir ja nicht gehen, weil es nach 23 Uhr war. Nachdem der Wachmann uns erwischt hat, haben die Lehrer sich direkt vor unserer Tür postiert. Wir
durften nicht mal mehr raus, um uns ein Wasser an der Hotelbar zu kaufen.“
18 jetzt s C H U L e & Jo B N o 0 4 /12
Mittwoch, 7:35 Uhr. Mit der S-Bahn-Linie 7 geht es in Richtung Regierungsviertel. Ab 9 Uhr steht
Schellhaas: „Für
eine Führung durch den Bundestag auf dem Programm, danach ein Besuch in der Abgeordnetenmich als Politiklehrer
kantine. Mittagessen im Zentrum der Macht.
ist es ein Highlight,
einmal im Reichstag zu sein. Das letzte Mal war ich als Student mit Freunden in
Berlin, Silvester 1989. Die Grenze war damals auf, aber die Mauer stand noch.
Mit Hammer und Pickel haben wir geholfen, sie einzureißen. Für mich ist es spannend, Berlin ungeteilt zu erleben, als Hauptstadt. Mir ist es wichtig, dass die Schüler mit eigenen Augen sehen, wo die Politik gemacht wird, und es nicht nur in
Schulbüchern lesen.“
Mittwoch, 14:13 Uhr. Ernüchtert sitzen die Schüler auf den Stelen des Holocaust-Mahnmals in der
Nähe des Brandenburger Tors. Der Besuch im Bundestag war weniger aufschlussreich als erhofft.
Auf das Essen im Paul-Löbe-Haus mussten sie über eine halbe Stunde warten. Nun knallt Sommersonne auf müde Köpfe, das macht es auch nicht besser. „Sie sind genervt“, sagt Schellhaas. Ein
Kollege nickt: „Nach dem Essen war es wirklich schwierig, sie wieder zusammenzubekommen. Wie
eine Schafherde.“ Man müsse nun aufpassen, dass sich niemand verdünnisiere, sagt Schellhaas.
Florian „Flo“ SchusWir sollten
ter, 17: „Wir
ja eine Abgeordnete
treffen, aber die hatte im Endeffekt keine Zeit für uns. Stattdessen hat uns eine
Frau erzählt, wie der Adler im Plenarsaal aussieht und auf was für Stühlen die
Abgeordneten sitzen. Dann durften wir hoch in die Kuppel gehen. Der Blick auf
Berlin war schön. Aber es wäre auch gut gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie
es im Reichstag läuft.“
Till: „Wer hat etwas zu sagen, wer bestimmt, wie ein Gesetz aussieht, wie ist es,
über Monate Wahlkampf zu führen? Darüber hätte ich gern mit ein paar Politikern gesprochen. Ich hätte sie gefragt, was sie den ganzen Tag treiben und wie viel
sie mit den Menschen zu tun haben, die sie repräsentieren.“
16:20 Uhr. Nach dem Besuch im Mauermuseum am Checkpoint Charlie, das Emily, 17, später als
„sehr textlastig und sehr verkramt“ beschreibt, haben die Schüler den Nachmittag frei und bestimmen selbst, wohin es geht.
20 jetzt s C H U L e & Jo B N o 0 4 /12
TEAMPLAYER GESUCHT.
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Emily Seger, 17: „Ich war die meiste Zeit mit Lexi unterwegs. Aus dem Reiseführer habe ich schon im Zug das Jüdische Museum und die Gedenkstätte Deutscher
Widerstand rausgesucht, in der es um Menschen geht, die etwas gegen Hitler getan haben. Na ja, shoppen waren wir auch, am Alex und am Ku’damm. Es gibt
hier mehr kleine, stylische Geschäfte, nicht nur die großen Ketten. Die Leute sind
hipper, alternativer und jünger. Stuttgart ist dagegen schon so eine kleine Bonzenhochburg. Auf der
Straße siehst du vor
Mittwoch, 17:52 Uhr. Treffpunkt Spreeufer. Stadt und Fluss leuchten, aber die Gruppe kann das
allem alte Menschen
Nachmittagslicht nur kurz genießen. Stattdessen geht sie ins „D light“, eine Disco für Schulgruppen.
in Polohemden.“
Beginn der Party: 18 Uhr. Ende der Party: 22 Uhr. Zwischendrin darf niemand das „D light“ verlassen.
Ein Mitarbeiter der Disco stimmt die Jahrgangsstufe I auf die Feier ein. Dann nennt er „die wichtigsten Regeln“ des „D light“: „Keine Waffen, keine Drogen!“ Er sagt das in bedeutungsschwerem, verschwörerischem Ton. Ein bisschen klingt er, als wolle er etwas als aufregender und verruchter beschreiben, als es dann tatsächlich ist. Die Schüler ziehen die Augenbrauen hoch. Dann stellen sie
sich in die Schlange vor dem Eingang. Von drinnen dringen Sommerhits in den Friedrichshainer
Frühabend.
Alexandra „Lexi“
Claus, 17: „Die Idee
mit der Kinderdisco
ist ja süß und sicher
lieb gemeint von den Lehrern. Aber dass wir hier eingesperrt sind? Das kann
doch nicht gut gehen. Warum besuchen wir nicht einen richtigen Club? Ich hätte
gar nichts dagegen, zusammen mit den Lehrern zu feiern. Hauptsache, wir sitzen
nicht um 23 Uhr auf unseren Hotelzimmern fest – oder hier. Ich fi nde es sehr
schade, dass wir in einer Stadt sind, in der wir nachts so viel erleben könnten, es
aber nicht dürfen.“
Klaus Schellhaas und seine Kollegen haben sich unterdessen in die „Lehrerlounge“ gesetzt. Wer
dort hineinblickt, sieht Pädagogen mit langen Gesichtern auf zerkratzten Bierbänken warten. Wer
hinausschaut, sieht 13-Jährige unter einer Lichtorgel tanzen. Die Schüler vom Mörike sieht er nicht.
Sie stehen vor dem „D light“ im Raucherbereich, der von einem Bauzaun begrenzt wird. „Stuttgart ist
viel geiler als Berlin“, singen einige, bis ein Security-Mitarbeiter sie über den Zaun anherrscht, dass
sie gefälligst aufhören sollen, auf den Stehtisch zu trommeln, um den sie sich drängen.
22 jetzt s C H U L e & Jo B N o 0 4 /12
Till: „Mir geht es körperlich schlecht, weil ich hier sein muss. Eben habe ich mich
an einer Glasscherbe geschnitten und den Türsteher gefragt, ob ich rausdarf, zu
einem Arzt. Er hat mir ein Pflaster gegeben. Dann hat er gesagt, ich soll weiterfeiern. Sie haben auch einen Security-Mann hinter dem Zaun postiert, der jeden
abfängt, der abhauen möchte. Das Schlimme ist, dass sie juristisch auf der sicheren
Seite sind. Wir haben einen Vater angerufen, der Anwalt ist, doch der konnte
uns auch nicht helfen – er sagt, müsNach einer Weile gesellen sich Klaus Schellhaas und eine Kollegin zu den Schülern. Sie rauchen
sen bleiben.“
und diskutieren mit ihnen und hören sich an, was das Problem ist. Die Schüler wirken besänftigt.
Schellhaas: „ManchVielleicht ging es ihnen weniger um schlechte Musik und mehr darum, ernst genommen, gefragt zu
mal muss man sich
werden.
als Lehrer erklären.
Wir dachten, es sei eine gute Idee, in den Club zu gehen, und da lagen wir falsch.
Das habe ich den Schülern auch gesagt. Außerdem: Es gibt immer Dinge, die einem
keinen Spaß machen, die man dann aber trotzdem ertragen muss. Mir fiel das hier
auch nicht leicht.“
Donnerstagmittag, Berlin-Hohenschönhausen. Nachdem die Gruppe das Museum in der ehemaligen Stasi-Zentrale besucht hat, führt ein Zeitzeuge sie nun durch die Gedenkstätte des früheren
Untersuchungsgefängnisses der Staatssicherheit in Hohenschönhausen. Geschichtsunterricht aus
erster Hand.
Till: „Er saß selbst
hier ein, weil er auf
der Flucht aus der
DDR gefasst wurde.
Er hat uns alles erklärt: wie es sich angefühlt hat, in einem Stasi-Knast zu sitzen,
und mit welchen Techniken sie ihm die richtigen Antworten entlocken wollten.
Besonders traurig fand ich, dass er sich mit der Zeit sogar ein wenig mit seinem
Vernehmer angefreundet hat, weil er sonst niemanden zum Reden hatte.“
Emily: „Wir sind auch in die Zellen im Keller gegangen. Die Häftlinge haben ihn
U-Boot genannt: kein Licht und enge Räume, in denen es dröhnt wie in einem
Maschinenraum. Ich habe noch nie ein Gefängnis von innen gesehen. Als ich im
U-Boot stand, musste ich mir vorstellen, wie schrecklich es wäre, bleiben zu müssen.“
jetzt sC H U L e & J o B N o 0 4 / 1 2 23 Simon*: „So gegen
2 Uhr sind wir aus
dem Haupteingang
spaziert und haben
uns in den erstbesten Nachtbus gesetzt. Wir haben versucht, in einen Club zu kommen, aber der war
zu teuer, und sie haben die Ausweise kontrolliert. Stattdessen sind wir in einer
Bar gelandet. Ein Typ kam an unseren Tisch und hat gelallt, dass wir uns gehen
lassen sollen. Da sind wir lieber gegangen. Wir haben noch einen Döner auf der
Warschauer Brücke gegessen, um 5 Uhr waren wir im Hotel. Berlins Nachtleben
ist cool, aber ich glaube, es ist cooler, wenn man 18 ist.“
Freitagmorgen. Als die Schüler ihre Hotelzimmer räumen, sind die Augen noch mal kleiner als am
Vortag. Die Bootsfahrt um die Museumsinsel erleben einige nur ein paar Minuten lang im Wachzustand. Dann gibt die Box, aus der vorher die Witze des Kapitäns schepperten, ihren Geist auf. Jetzt
gibt es nichts mehr, was die Schüler am Einschlafen hindert. Auf die Reling gestützt, döst auch Flo
– zwei Stunden bevor er seinen Rollkoffer in den Zug nach Stuttgart wuchten wird, dem Ende der
Berlin-Fahrt entgegen.
Till: „Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich
ganz froh, dass wir
jetzt gleich zurückfahren. In Berlin
haben wir schon anders gelebt als zu Hause. Immer hatten wir Programm, nie konnten wir ausschlafen. Ich freue mich auf mein gemütliches Bett und auf die Freiheit, es zu nutzen,
wann ich will: 23 Uhr, ich bitte dich. Mich hat die Fahrt trotzdem vorangebracht:
Ich habe noch mehr Lust bekommen, nach dem Abi nach Berlin zu ziehen und
hier Design zu studieren.“
Schellhaas: „Ich
Ich bin hin- und hergerissen, wie ich die Fahrt bewerten soll. Ich
hatte schon den Eindruck, dass die Atmosphäre gut war. Aber das, was ich so ein
richtiges Studienfahrt-Feeling nenne, das ist irgendwie nicht aufgekommen. Die
Schüler haben sich in kleine Grüppchen aufgeteilt, mit der Gemeinschaft war es
schnell vorbei. Der Hauptgrund, warum ich Klassenfahrten mache, ist, dass ich
die Schüler dabei von einer anderen Seite kennenlerne: als Privatmenschen. Das
ist auch für die Zukunft wichtig, wir haben ja noch ein Jahr bis zum Abi. Ich sage
es immer so: Mit wem ich auf Studienfahrt ein Bier getrunken oder eine Zigarette
geraucht habe, der pinkelt mir nicht mehr ans Bein. Inwiefern das dieses Mal geklappt hat, wird sich wohl erst in Stuttgart zeigen.“
24 jetzt s C H U L e & Jo B N o 0 4 /12
* Name voN der redakTioN geäNderT.
Der letzte Abend in Berlin. In einer Bar haben die Schüler auf ihren Abschied angestoßen und Burger
gegessen. Nur mit Verspätung schaffen sie es ins Hotel, nach 23 Uhr also. Ein Unwetter hat die
Rückfahrt verzögert, Handyfotos, die sie Klaus Schellhaas geschickt haben, belegen das. „Ihr seid
ja ein paar Weicheier, dass euch das bisschen Regen stoppt“, sagt Schellhaas zu den tropfenden
Schülern. Dass sie nicht sofort in ihren Zimmern verschwinden, bemängelt er dafür heute nicht.
Noch eine Weile sitzen die Schüler im Hotelflur. Aus den Zimmern, deren Böden mit Sneakern, leeren Wasserflaschen und Socken bedeckt sind, kommt leise Musik, als die verworfenen Fluchtpläne
wieder auf den Tisch kommen und konkreter werden.
„Was ich hier lerne? Dass ich nie auslerne.
Weil es beim BR täglich etwas
Neues zu entdecken gibt.“
Manuela Bienas, Auszubildende
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werden an verschiedenen Standorten in München zahlreiche Programme für Hörfunk, Fernsehen und Internet produziert. Hierzu gehören
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26 jetzt S C H U L E & JO B N o 0 4 /12
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Von chriStian helten, charlotte haunhorSt / interVieW & Juri GottSchall / fotos
Profis
unter sich.
Was ist Ihnen von Ihren eigenen Klassenfahrten früher in Erinnerung geblieben?
Rotraut Drexler, Köchin im Schullandheim Bairawies: So viele Klassenfahrten
gab’s früher nicht. Meine einzige Klassenfahrt auf der Realschule ging nach Kaltern,
und wir haben einen Tag lang einen Ausflug
nach Venedig gemacht. Venedig war so heiß!
Durst haben wir gehabt! Der Getränkestand
dort war teuer, und wir hatten wenig Geld.
Aber es gab einen Melonenstand. Den haben
wir gestürmt, Melonen konnten wir uns nämlich leisten. Aber das war eine andere Zeit!
Wer ist denn früher schon weggefahren?
28 jetzt s C h u l e & Jo b n o 0 4 /12
Fridolin Talmann, Realschullehrer aus
Augsburg *: Deswegen gab es ja diese Lehrund Studienfahrten. Weil die Leute und die
Kinder früher nie weggekommen sind. Es
gibt ja auch heute streng genommen keine
Klassenfahrten. Es gibt sogenannte Lehrund Studienfahrten. Das ist genau das Problem heute: Diese Fahrten sind nicht mehr so
sinnvoll, weil die Kinder mit den Eltern zum
Teil an ganz andere Ziele reisen. Damals war
der Gardasee schon toll, und wenn es nach
Frankreich ging, war das eine Sensation.
Nick Scharif, früher Busfahrer, heute
Vertriebsleiter des Reiseunternehmens
Alpetour: Ich habe sehr viele Klassenfahrten gemacht. Angefangen hat’s schon in der
fünften Klasse im Gymnasium – mit einer
Kennenlernfahrt.
Drexler: Was für ein Jahrgang sind Sie?
Scharif: 1976.
Drexler: Ja, das ist schon ganz was anderes.
Scharif: Später sind wir jedenfalls noch im
Skilager gewesen, es gab eine Fahrt zu den
Besinnungstagen, dann in der Kollegstufe in
jedem Leistungskurs eine Kursfahrt. Wobei
die Kollegstufenfahrt die nachhaltigste war.
Wir hatten einen Lateinlehrer, der mit 70
Jahren noch im Dienst war. Der war Latein-
* name Von Der reDaKtion geänDert.
Sie kennen die Verstecke im Jungszimmer und haben schon
Schüler vor der Festnahme retten müssen: Ein Lehrer, ein
Busfahrer, eine Köchin und eine Herbergsleiterin legen ihr
geballtes Wissen über Klassenfahrten auf den Tisch.
Wir haben Vier eXperten über Klassenfahrten DisKutieren lassen. zu sehen sinD trotzDem nur Drei:
rotraut DreXler, stefanie zimmer unD niCK sCharif (V.l.). Der lehrer beKam naCh Dem interVieW Keine genehmigung
seines sChulleiters für Das gespräCh. Deshalb möChte er anonym bleiben.
lehrer aus Leidenschaft. Der ist mit uns nach
Sorrent gefahren. Das war gewaltig, was der
alles geboten hat.
Für Sie war also tatsächlich das Programm
wichtig? Die bleibenden Momente bei uns
sind etwas anderer Natur. Da geht es eher
um Klamottentauschen oder das Nachbarzimmer voller Italienerinnen.
Scharif: Klar, so was ist auch nicht ausgeblieben. Nur das andere hat mich im Nachhinein mehr beeindruckt.
Talmann: Das Halligalli wurde diskret abgedeckt. Aber solche Lehrer wie Ihrer haben
mich auch geprägt. Die konnten auch die
Dinge super rüberbringen und haben Begeisterung geweckt. Aber das Interesse ist heute
nicht mehr so da.
Drexler: Das würde ich nicht sagen. Es
kommt auf die Orte an. Es gibt Orte, die eine
Bereicherung sind. Mein Mann ist Oberstufenkoordinator und fährt auf Klassenfahrten,
und da fahre ich seit 34 Jahren mit. Letztes
Jahr waren wir in Bilbao. Wir waren in Tallinn und in Riga. Die Schüler waren jedes
Mal begeistert, weil sie da sonst nicht hingefahren wären.
Stefanie Zimmer, Leiterin der Jugendherberge Possenhofen: Ich habe keine Studien-
fahrten mitgemacht. Ich kann mich jedoch
an einen Schullandheim-Aufenthalt in der
sechsten Klasse erinnern: Jugendherberge
Nördlingen, totales Klischee: Das Essen
war furchtbar, zu trinken nur Hagebuttentee, es gab einen Riesenschlafsaal, und die
Hausmutter war ein Drachen. Wir mussten
den Schlafsaal kehren, und wenn wir das
morgens nicht bis halb neun getan hatten,
dann hat’s gezischt.
Gibt’s den Hagebuttentee heute eigentlich
immer noch überall?
Talmann: Natürlich!
Zimmer: Man kann ihn sich nehmen. Wir ha-
jetzt sC h u l e & J o b n o 0 4 / 1 2 29
ben heißes Wasser und verschiedene Teesorten im Beutel. Aber es steht nicht mehr wie
früher auf jedem Tisch eine Kanne mit dubiosem, süßem Hagebuttentee.
Warum eigentlich ausgerechnet Hagebuttentee?
Scharif: Wahrscheinlich war der am günstigsten.
Drexler: Jetzt gehört der Hagebuttentee zu
den teuersten Teesorten. Der günstigste war
schon immer der Pfefferminztee. Das ist auch
heute noch so.
Scharif: Die Verpflegung hat sich ja gewaltig
verändert. Selbst die einfachen Jugendanlagen
in Italien bieten heute vier verschiedene Teesorten an. Zu meiner Zeit gab es beim Klassenausflug Nutella, einen Bierschinken, den
eh keiner gegessen hat, und noch ein bisschen
Käse. Heute gibt es Buffets wie in einem
Viersternehotel.
Zimmer: Wir wollen halt, dass die Kinder was
essen und satt werden. Mit einer billigen Sorte Wurst funktioniert das nicht.
Was ist das beliebteste Essen auf Klassenfahrten?
Talmann: Schnitzel mit Pommes, oder?
Zimmer: Wir haben keine Fritteuse, bei uns
sind es deshalb Spaghetti Bolognese. Nudelgerichte generell.
Scharif: Ja, Pasta oder Pizza sind auch meiner Erfahrung nach sehr beliebt.
Drexler: Bei uns sind es Pfannkuchen oder
Kaiserschmarrn –
weil die Mamas ja
keine Mehlspeisen
mehr zubereiten.
Für Schüler ist die
Zimmerverteilung
der erste wichtige
Moment auf der Klassenfahrt. Für Sie auch?
Zimmer: Die Lehrer fragen in aller Regel
vorher nach der Zimmerverteilung, um das
zu Hause auszukaspern. Denn das ist oftmals
ein harter Kampf. Aber leider machen es
nicht alle so. Dann gibt es böse Zickenkriege.
Drexler: Tragödien!
Zimmer: Solche Außenseiterszenen spielen
sich bei uns in der Halle ab, wenn der Lehrer
sagt: „Nun verteilt euch mal auf die Zimmer.“
Da werden die Schlüssel gegriffen, und alle
sind ganz schnell weg. Häufig bleiben dann
ein paar Mädchen übrig. Die stehen da ganz
schüchtern, Kopf gesenkt, und wenn man sie
fragt, was mit ihnen ist, sagen sie: „Uns will ja
keiner.“ Das ist wirklich schlimm. Oder die
Kinder streiten sich in der Halle laut. Da werden die einzelnen Mädels dann lauthals ausgegrenzt – das sind für mich die schlimmsten
Stadt ist, glaube ich, Amsterdam.
Situationen. Oft schau ich dann,
Talmann: Dort habe ich gar keiob ich noch ein Zimmer habe,
ne schlechten Erfahrungen geaber leider ist das selten der Fall.
macht. Die Jungs sind in die
Drexler: Wir stellen manchmal
Strip-Bars im Rotlichtviertel und
ein Zusatzbett ins Zimmer, dain die Coffeeshops überhaupt
mit der übrig Gebliebene doch
nicht reingekommen. Da musste
noch bei den anderen sein kann.
ich mich gar nicht anstrengen,
Talmann: Ich kann mich auch an
das haben die Holländer ganz alSzenen erinnern, in denen ich unlein geregelt.
ter riskantem Einsatz der körperDrexler: Ich fand Malta am
lichen Unversehrtheit Streitereien schlichten musste. Man muss Stefanie Zimmer, 46, ist schwierigsten. In jedem zweiten
Diplom-sozialpäDaHaus ist eine Kneipe, die Insel ist
so was einfach vorher regeln. Bei
gogin unD leitet Die
JugenDherberge in
vollkommen überschwemmt von
mir machen die Schüler das vorpossenhofen am
Jugendlichen, und der Alkohol ist
her selber – von Lostrommeln
starnberger see.
erstaunlich billig. Das ist eine
halte ich nichts.
Sollen denn Klassenfahrten nicht auch zu- ganz gefährliche Kombination. Das war das
einzige Mal, dass ich jemanden nach Hause
sammenschweißen?
Talmann: Ja. Ich finde Kennenlernfahrten schicken musste.
mit der fünften Klasse sehr sinnvoll. Dass die Es gibt ja auf jeder Fahrt ein Partyzimmer.
Schüler Gruppenverhalten lernen. Wenn Weiß man vorher, welches Zimmer das sein
man das gleich am Anfang macht, hat man wird?
Talmann: Man ahnt es. Bei uns ist Bettruhe
später keine Probleme mehr.
Zimmer: Viele Klassen buchen ein Pro- um 22 Uhr – und dann bin ich mindestens bis
gramm, um den Klassenzusammenhalt zu um zwei Uhr oder drei Uhr auf dem Gang
trainieren. Erlebnispädagogisch, naturpäda- und patrouilliere.
Und dann müssen Sie die Jungs aus den
gogisch und so weiter.
Mädchenzimmern einsammeln?
Klingt wie ein Training für Manager ...
Zimmer: Ja, so ähnlich. Aber es hat eine Wir- Talmann: Umgekehrt. Die Mädchen wollen
kung, wenn Erlebnispädagogen die Außen- eher ins Jungszimmer als andersrum.
seiterprobleme ansprechen und sie mit den Zimmer: Ja, das ist in allen Altersgruppen so.
Vor allem, wenn es erst so langsam losgeht
Schülern bearbeiten.
Talmann: Bei sol- mit dem Interesse am anderen Geschlecht.
chen Fahrten fahre Da schotten sich die Jungs noch ab, die Mädich besonders gern chen sind schon weiter und sagen: „Oh, intermit. Die großen essant, Jungszimmer!“
Au sla ndsfa h r ten In höheren Klassen gibt es manchmal Paare.
mache ich nicht so Wie gehen Sie damit um?
gern. Weil ich kei- Drexler: Die sind da vernünftig und schlane Lust mehr habe, morgens um drei Uhr fen schön in ihrem eigenen Bett.
zwei Polizisten mit schussbereiter Maschi- Talmann: Man weiß natürlich nicht immer
nenpistole in einer fremden Sprache zu erklä- genau, was da sonst so passiert. Aber die Pärren, dass meine Schüler dem Mädchen nicht chensachen regeln die nicht in einem Gemeinschaftszimmer.
an die Wäsche gegangen sind.
Und wenn die Jungs und Mädchen einander
Gibt es Ziele, die Sie nicht so gern mögen?
Talmann: Berlin und Prag machen jedes Mal nachts doch noch besuchen – ist das Standardversteck da immer noch der KleiderÄrger.
Drexler: In Berlin kommt es drauf an, in schrank?
Drexler: Bei uns gibt es gar keine Kleiderwelcher Ecke du wohnst.
Scharif: Die ländlichen Ziele sind meistens schränke, sondern nur Regale. Kleidereinfacher. Da sind die Herbergen ein biss- schränke sorgen nur für Müll.
chen abgeschiedener, und wenn die Schüler Talmann: Zuerst schaue ich unters Bett! Da
nicht so schlau sind, vorher dran zu denken, hab ich auch schon mal jemanden gefunden.
können sie vor Ort gar keinen Alkohol kau- Der Balkon ist ein beliebtes Versteck. Oder
fen. Die sind ja auch faul und fragen dann: das Dach. Wenn das Zimmer im ersten Stock
„Du, Busfahrer, kannst du uns noch schnell ist und vielleicht noch eine Dachrinne vorzum Supermarkt fahren?“ Und das kann handen – da geht oft was. So was sehe ich alder Lehrer dann steuern. Die gefährlichste lerdings eher von außen. Die Schüler wissen
„Die Mädchen wollen
ins Jungszimmer.
Nicht andersrum.“
30 jetzt sC h u le & Jo b n o 0 4 /12
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auch schon, dass ich draußen mit der großen
Taschenlampe entlanggehe und aufs Dach
leuchte. Allerdings wird das mit dem Verstecken im Laufe der Woche besser. Der Montag
ist immer der schlimmste Tag ...
Drexler: Nein! Der Dienstag! Dienstags ist
es immer am dollsten.
Talmann: Ja, das stimmt eigentlich. Montag
ist für die Schüler noch alles neu, sie kennen
sich nicht so aus. Am Dienstag denken sie bereits, sie seien die Herren des Hauses. Mittwoch werden sie dann schon müde, und Donnerstag machen wir meistens eh einen bunten
Abend. Freitag auf dem Rückweg schlafen
dann alle.
Zimmer: Von den Nächten finde ich immer
Montag und Donnerstag am schlimmsten.
Scharif: Vermutlich weil die Schüler am
Donnerstag sicher wissen, dass sie nicht mehr
heimgeschickt werden können.
Talmann: Man muss halt durchgehend Programm machen, dann werden die Schüler
schon müde.
Scharif: Wenn ein Lehrer sich Mühe gibt und
auf die Schüler eingeht, dann wird die ganze
Klassenfahrt ein viel größerer Erfolg. Leider
resignieren viele Lehrer, für die ist eine Klas-
Beispiel niemals rechnen konnte,
senfahrt eine Qual. Das merkt
erweist sich dann auf einmal als
man schon im Bus. Da sitzen in
toller Handwerker. Diese Seite
den ersten zwei Reihen die Lehwürden die Lehrer in der Schule
rer, dann bleiben vier Reihen
nie zu Gesicht bekommen. Im
leer, und dann kommen erst die
Gegenzug erleben auch die SchüSchüler. Wenn ich anbiete, deren
ler die Lehrer mal privat.
Musik anzumachen, wiegeln die
Also hat man dann als Lehrer
Lehrer sofort ab. Oder – das ist
nach so einer Fahrt ein anderes
der andere Fall – sie bitten extra
Verhältnis zu den Schülern?
um besonders viele Filme, damit
Talmann: Ja, aber das kann posidie Schüler ruhig sind. Oder wir
machen eine Dolomitenrundfahrt, rotraut Drexler tiv und negativ sein. Die größten
ist haus- unD
und ich fahre die vielen Pässe, und WirtsChaftsleiterin Rabauken erweisen sich auf der
die Schüler haben die Vorhänge zu- im sChullanDheim Klassenfahrt dann als ganz wunbairaWies bei
gezogen und schauen Videos. Dann baD tölz. ihr mann derbar, und die Musterknaben
ist lehrer an
knallen durch.
sage ich immer zu den Lehrern: „Wir
einem münChner
hätten uns auch vom Hotelier einen gymnasium, mit ihm Drexler: Manchmal werden die
Pkw leihen können, und dann hätte unD seinen sChülern Schüler sogar richtig anhänglich
fährt sie seit 34
auf den Fahrten.
ich Sie allein durch die Gegend geJahren auf
Klassenfahrt.
Talmann: Die Umstellung zurück
fahren.“
zum Schulalltag ist oft nicht leicht.
Für Schüler ist eine Klassenfahrt
eben auch eine Möglichkeit, Grenzen aus- Auf der Fahrt ist man eine verschworene Gemeinschaft, und danach ist der gute Onkel
zutesten.
Drexler: Na ja, aber für Lehrer ist es doch wieder der strenge Lehrer. Das fällt auch den
auch ein Erlebnis. Viele Lehrer lernen ihre Schülern schwer.
Schüler auf einer Klassenfahrt ganz neu ken- Was gehört zur Grundausstattung auf einer
nen. Der Maxi, der in der Schule sonst zum Klassenfahrt?
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Weil der Himmel uns braucht!
Drexler: Gute Nerven.
Talmann: Bundeswehrerfahrung. Man muss
innerhalb von einer Stunde Schlaf das nachholen können, wofür Normalsterbliche fünf
Stunden brauchen.
Drexler: Eine Reiseapotheke.
Talmann: Und Programmalternativen. Da
muss ich jetzt mal eine Lanze für die Busfahrer brechen: Ihr wart für mich immer der dritte Mann. Ihr habt immer gute Vorschläge
eingebracht, das muss ich hoch loben!
Scharif: Nett, dass Sie das sagen. Aber meistens werden wir eher wie Menschen zweiter
Klasse behandelt. Wie der Depp vom Dienst.
Das liegt allerdings auch oft am Auftreten
der Busfahrer gegenüber den Schülern. In
unserer Firma habe ich deshalb eine Weiterbildungsakademie für Busfahrer gegründet.
Gemeinsam mit Profis üben wir unser Auftreten und beseitigen ungute Muster, die sich
im Umgang miteinander allmählich eingeschlichen haben.
Was für Muster sind das?
Scharif: Beispielsweise ist es ja normal, dass
der Busfahrer die Koffer einlädt, dem Lehrer
die Hand schüttelt und dann losfährt. Erst
außerhalb der Stadt nimmt er das Mikro in
ter Prozentsatz der Klasse mindie Hand und sagt: „Servus, ich
destens mitfahren muss. Wenn
bin der Erwin, das und das dürft
das nicht klappt, wird die Fahrt
ihr und das und das nicht.“ Das
abgeblasen.
ist schlecht, denn da ist der Erwin
Warum dürfen so viele Schüler
bereits für alle nur noch der Busnicht mitfahren?
fahrer. Bei uns stellt sich der ErTalmann: Religion, Familienwin vor der Abfahrt vor, erklärt
situation, die Finanzen. Manche
die Sicherheitseinrichtungen und
Eltern wollen sich nicht outen und
die Strecke und sagt auch ein
zugeben, dass sie nicht genügend
paar Worte zu sich. Ähnlich wie
Geld für die Fahrt haben.
im Flugzeug also. Dadurch entnick Scharif, 36,
Drexler: Das stimmt. Bei uns brinsteht eine bessere Bindung zwiist Vertriebsleiter
gen die Kinder oft ihr Bettzeug
schen Fahrer und Schülern.
beim gruppenreiseunternehmen
selbst mit. Ein Kind hatte mal BettWas ist mit Kindern, die nicht auf
alpetour. naCh
zeug dabei, das nur noch aus LöKlassenfahrt mitkommen?
seiner lehre zum
büroKaufmann
chern und Fäden bestand. Die LehTalmann: Kommt darauf an, warstuDierte er
um sie nicht mitkommen. Wenn das VolKsWirtsChaft rerin hat danach zu uns gesagt:
unD fuhr
„Nun versteh ich erst, warum die
Geld zu Hause nicht reicht, springt
nebenher bus.
immer solche Schwierigkeiten hat,
der Elternbeirat ein, und es gibt
Schulsachen zu bezahlen.“ In der
auch viele andere Töpfe, aus denen
man Geld für so was bekommt. Wenn sich ein Schule können die Kinder das noch irgendSchüler vor der Abreise zum Beispiel das wie übertünchen, aber auf den Fahrten
Bein bricht oder Ähnliches, muss er am Un- kommt es dann raus. Und dann kann man ja
auch helfen.
terricht einer anderen Klasse teilnehmen.
Drexler: Der umgekehrte Fall ist, dass zu
wenige Kinder mitfahren können. Die Schulleitung schreibt häufig vor, dass ein bestimm-
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34 jetzt S C H U L E & JO B N o 0 4 /12
Zwei
Leben.
VON DAVID SCHELP / TEXT
Nach jeder anstrengenden Woche Unterricht folgt
für Sina Klug eine Woche im Hotel. Aber nicht
zur Erholung: Sie bedient Leute, die auf Klassenfahrt oder im Kurzurlaub hier wohnen. Die Arbeit
ist der praktische Teil ihres dualen Studiums.
G
efühlt sind es 30 Sekunden, in denen die
Studentin Sina zur Rezeptionistin Frau Klug
wird. Studentin Sina trägt ein blaues Sommerkleid mit weißen Punkten, als sie durch
die Lobby eines Berliner Hotels huscht und
in der Küche verschwindet. Frau Klug trägt
ein schlichtes, schwarzes Shirt, als sie kurz
darauf aus der Küche tritt. Daran steckt sie
ein Namensschild, „Sina Klug. Rezeption“
steht darauf. Erst dann nimmt sie die Schulklasse aus Koblenz in Empfang, die gerade
eincheckt.
Der Rollenwechsel ist für Sina Klug, 23 Jahre
alt, inzwischen Routine geworden. Seit fast
drei Jahren ist sie Studentin und Hotelangestellte in einem. An der Internationalen Berufsakademie in Berlin studiert sie Betriebswirtschaftslehre mit der Spezialisierung auf
Hotel- und Tourismusmanagement. Ein dualer Studiengang: In Vorlesungen bekommen
jetzt SC H U L E & J O B N o 0 4 / 1 2 35
Klug und ihre Kommilitonen Wissen vermittelt, das sie dann in Ausbildungsbetrieben
erproben sollen, in Restaurants, riesigen
Fastfood-Ketten oder, wie Klug, in Hotelunternehmen.
Über 61 000 Studierende sind in Deutschland
in duale Studiengänge eingeschrieben. Der
berufsnahe Mix aus Studium und Ausbildung
lockt mit der Aussicht auf gut bezahlte Stellen nach dem Abschluss. Die Ausbildungsbetriebe betrachten ihn ihrerseits als Chance,
Führungskräfte heranzuziehen.
Sie übernehmen Studiengebühren und zahlen häufig schon während des Studiums ein Gehalt.
Doch auch für die Studenten ist
der Preis für diese Vorteile hoch.
Familie, Freizeit und Freunde
müssen für die Dauer des Studiums meist hintenanstehen.
Als Sina Klug 2009 nach Berlin kommt, liegen zwei Jahre als Animateurin und Segellehrerin in Ferienclubs auf den Kanaren hinter ihr. Sie möchte Tourismus studieren, mit
viel Praxisbezug. „Ich wollte anwenden, was
ich lerne“, sagt sie, „und nicht irgendwas auswendig lernen.“ In wöchentlichem Wechsel
besucht Klug seither die Berufsakademie und
verschiedene Häuser des Hotelunternehmens
Meininger.
Im Hotel verbringt sie ihre Tage anfangs vor
allem hinter der Rezeption und in der Küche.
„Wenn ich den siebten Tag in Folge Teller gespült und mir gedacht habe, dass ich ein Einser-Abi habe und studiere, war das manchmal
ziemlich frustrierend.“ Erst mit der Zeit werden die Aufgaben anspruchsvoller. Klug organisiert Events der Marketingabteilung und
hilft bei der Eröffnung neuer Hotels. Immer
intensiver wird sie nach und nach ins Unternehmen eingebunden.
An der Akademie belegt sie parallel Fächer
wie Statistik, Rhetorik und Tourismusrecht.
Die Kombination von Praxis und Theorie gefällt ihr, auch die Themenvielfalt. Sie mag es,
das alles zu verzahnen.
80 Stunden Uni und 80 Stunden Hotel stehen
monatlich auf ihrem Lehrplan, Lernen und
Wochenendschichten exklusive. Von 40 Studenten sind sechs Semester später noch 20
übrig. Einige haben hingeschmissen, andere
Teller spülen trotz EinserAbitur: „Das war ziemlich
frustrierend.“
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02.08.2012 11:29:32
wurden von ihren Betrieben gekündigt, weil
sie deren Erwartungen schlicht nicht mehr
erfüllen konnten.
Man müsse das alles schon wirklich wollen,
sagt Klug. „Ich persönlich arbeite gern hart
und viel, ich möchte keinen Montag-bis-Freitag-9-bis-18-Uhr-Job, in dem immer alles
gleich bleibt.“ Das habe sie von ihrem Vater
geerbt, der auch viel arbeitet. Ihre Mutter
hingegen ist traurig, weil sie die Tochter nur
selten sieht, und auch Freundschaften haben
unter ihrem dualen Studium gelitten. Nur
echte Freunde verstehen es, wenn man siebenmal hintereinander absagt. Auch das hat
Klug gelernt.
In ein paar Tagen hat sie ihren letzten Arbeitstag im Hotel, auch ihre Bachelorarbeit
hat sie abgegeben. Nur wenige Prüfungen
und die mündliche Verteidigung fehlen zum
Abschluss. Jetzt, wo das Ende so nahe ist,
freut sich Sina auch auf ruhigere Zeiten. Wie
sie das sagt, klingt es ein bisschen wie ein Geständnis.
Sie hätte auch bei der Hotelkette bleiben
können. „Ich hatte ein sehr gutes Jobangebot
von meinem Betrieb, sie haben um mich gekämpft.“ Trotzdem hat sie abgelehnt. Den
Rest ihres Lebens im Tourismus zu arbeiten,
das kann sie sich heute nicht mehr vorstellen.
„Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass mir etwas fehlt. Auch wenn das vielleicht doof
klingt: Ich möchte etwas Gutes machen, etwas verändern. Ich glaube, das könnte ich
besser im Kulturbereich und würde dann
mehr hinter dem stehen, was ich tue.“
Klugs Schicht hinter der Rezeption endet
bald, doch Feierabend hat sie nicht. Sie muss
lernen – und ihren Umzug vorbereiten: nach
Friedrichshafen. Dort wird sie einen Master
in Communication & Cultural Management
beginnen, sobald sie in Berlin fertig ist. Ein
ganz normales Studium. „Ein bisschen war es
an der Berufsakademie ja wie in der Schule“,
sagt Sina Klug. „Ich hatte einen festen Stundenplan und durfte vielleicht ein-, zweimal in
sechs Semestern zwischen Kursen wählen.
Sonst war alles vorgeschrieben.“ Sie möchte
nun zwei Jahre lesen, forschen, ihren Horizont erweitern. „Alles nachholen“, sagt sie.
Dann verschwindet sie im Berufsverkehr. Sie
trägt wieder ihr gepunktetes Sommerkleid.
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Schullandheim.
Sie wohnt dort, wo andere nur fünf Tage Abwechslung vom
Alltag suchen: Jessica ist in einem Schullandheim in einem
winzigen Dorf aufgewachsen. Ihre Familie führt das Haus
seit Generationen. Deswegen hat die 16-Jährige anderen
Gleichaltrigen einiges voraus.
Seit Jessica denken kann, gibt es bei ihr zu
Hause das gleiche Essen: montags Spaghetti
Bolognese, dienstags Geschnetzeltes mit
Spätzle, mittwochs Gulasch mit Nudeln, donnerstags Blätterteigstrudel mit Spinat-FetaFüllung und am Freitag Schinkennudeln.
Jessicas Eltern führen das Schullandheim
Endlhausen. Das kleine Dorf liegt im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und ist so
winzig, dass es nicht einmal einen WikipediaEintrag darüber gibt. Für andere Kinder ist
der Ausflug in diese Einöde eine seltene Abwechslung vom Schulalltag, ein paar Tage
raus aus der Stadt, aufs Land, in die Abgeschiedenheit. Jessica ist hier aufgewachsen.
Abgeschiedenheit, Dörflichkeit, Schullandheimessen – das ist ihr Alltag. Ihr Zuhause.
Jessica ist 16 Jahre alt. Sie sagt: „Das mit dem
Essen ist schon okay, da sind ja überall Nudeln mit dabei. Nudeln gehen immer. Wenn
ich, wie heute, keine Lust auf Gulasch habe,
mach ich Ketchup drüber.“ Jessica ist gerade
aus der Schule gekommen, hat ihren Roller in
der Einfahrt geparkt und sitzt in Bikerjacke,
Bikerboots und einer mit Stars and Stripes
bedruckten Leggins am Tisch der hellen
Landheimküche. Sie wirkt älter, als sie ist,
und ein bisschen, als müsse man sich anstrengen, sie zu beeindrucken. Wird man früher
erwachsen, wenn man jede Woche von frem-
den, stets wechselnden Gesichtern umgeben
ist? In jedem Fall entwickelt man eine besondere Sicht auf Menschen und das Leben an
sich.
Die Mittagszeit ist gerade vorbei, die Klasse,
die gerade zu Gast ist, zur Wanderung aufgebrochen. Es ist still in dem 300 Jahre alten
Bauernhaus. Vom Hof hört man nur das Geplapper und Gequäke von Jessicas jüngsten
Brüdern. Aus der Küche, wo ihre Oma und
Uroma gerade das Geschirr vom Mittagessen
aufräumen, dringt leises Klappern. Hinter
Jessica hockt ihre Mutter, Andrea Calcagno,
36, auf einer Stuhllehne. Sie trägt ein locker
sitzendes Longsleeve und abgewetzte Jeans.
Mit ihrem italienischen Mann Franco führt sie
nun schon seit gut zwölf Jahren das Schullandheim. Sie selbst ist auch hier aufgewachsen.
Die meisten Schullandheime werden von
Catering-Services versorgt oder beschäftigen
Angestellte, die abends wieder nach Hause
gehen. Im Landheim Endlhausen ist das anders. Seit 85 Jahren gehört es zum Wittelsbacher-Gymnasium in München und ist immer
in Familienhand geblieben. Die Calcagnos
wohnen im linken, neueren Teil des zweistöckigen Hauses. Außer im Winter und in den
Ferien reisen Woche für Woche Schüler an,
fünfte bis elfte Klasse. Feierabend gibt es für
die Familie nicht. Wenn irgendetwas ist, wer-
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nocH HErrscHt ruHE im unordEntlicHEn mädcHEnzimmEr und im EssEnsraum.
das wird sicH scHnEll ändErn, wEnn diE scHülEr von dEr wandErunG zurückkommEn.
in dEn fEriEn Hat JEssica das GanzE Haus für sicH allEin.
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den sie herausgeklingelt. Und irgendetwas ist
immer. Der private Bereich der Calcagnos
vermischt sich mit dem Landheim. Andrea
hebt einen ihrer quengelnden zweijährigen
Zwillinge auf ihren Schoß. „Mein und Dein
gibt es gar nicht bei uns. Wenn ich fürs Landheim was brauche, eine Wärmflasche oder ein
Fieberthermometer, dann hole ich es von uns
oben, und wenn ich mal die Kaffeemaschine
von unten brauche, hole ich sie mir halt hoch.“
Wanderungen, Specksteinschnitzen und bunte Abende zwischen stets wechselnden Gesichtern gehören für Jessica und ihren achtjährigen Bruder Maurizio genauso zum
Alltag wie in der Küche zu helfen und Hausaufgaben zu machen.
Wenn montags um zehn der Bus vor dem
Haus hält, um gut dreißig Schüler und zwei
Lehrer auszuspucken und sie erst am Freitag
um zwei wieder einzusammeln, weiß Mutter
Andrea schnell, ob Maurizio mit den Schülern spielen darf oder nicht. „Je nachdem, wie
die in der ersten Stunde ihre Zimmer beziehen und wie sie miteinander umgehen, ist für
mich klar, ob er ein Go kriegt oder nicht.“ Fällt
innerhalb von zwanzig Minuten das zehnte
Schimpfwort, kriegt er keines.
Das lernt man, wenn man ständig mit neuen
Gruppen fremder Jugendlicher konfrontiert
wird: Gruppendynamik in Rekordzeit zu beobachten und zu durchschauen. Jessica bestätigt das. „Die brauchen nur aus dem Bus zu
steigen, und man sieht sofort, wer das gemobbte Kind der Klasse ist.“ Als kleines
Mädchen hat sie sich immer zu den Außenseitern gesetzt. Die waren froh, dass da auch
noch andere Kinder waren. Kinder, die sie
nicht geärgert, sondern sich für sie eingesetzt
haben. Jessica kennt auch das Gegenteil: Je
älter sie wird, desto öfter sind gleichaltrige
Schülerinnen eifersüchtig, dass die Jungs
auch mit ihr ihre Späße machen.
Normalerweise fangen Kleinkinder früh an
zu „fremdeln“. Bei den Calcagno-Kindern
war das anders. Sie wurden oft schon morgens in der Früh von Schülern in den Kindergarten getragen, mittags wieder abgeholt und
auf den Schultern mit zum Wandern und zum
Spielen genommen. Kontakte mit Menschen
zu schließen war für Jessica nie ein Problem.
Heute interessiert sie sich zwar nicht mehr
dafür, überall mitzugehen. Die Fähigkeit, offen und ohne Schüchternheit auf Menschen
zuzugehen, ist ihr geblieben. „Wenn ich im
Urlaub bin oder irgendwo, wo ich niemanden
kenne, dann dauert es keine halbe Stunde, bis
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ich neue Leute kennenlerne.“ Was Jessica mit
16 Jahren an Sozialkompetenz gelernt hat,
lassen andere sich später an der Universität in
Soft-Skill-Kursen beibringen.
Von der Küche aus tritt man direkt in den
Speisesaal, ein L-förmiges Esszimmer mit
Kachelofen, der den gesamten rechten Teil
des Landheims heizt. Hier stehen mittags
und abends die Schüler Schlange, um sich in
der Küche Essen zu holen. Die Decken sind
niedrig im alten Bauernhaus, und bei jedem
Schritt knarzen die Dielen. An den Wänden
hängen Heiligenbilder und vergilbte Fotos,
etwa vom Oberstudienrat Forster, Lehrer am
Wittelsbacher-Gymnasium und Landheimbetreuer von 1964 bis 1989.
Das ganze Haus wirkt wie das Setting für die
Verfilmung eines Erich-Kästner-Romans,
oben bei den Jungs reihen sich dicht an dicht
einfache Metallpritschen, unten in den Mädchenzimmern stehen alte Stockbetten aus
Holz. Die Betten und Wände sind an einigen
Stellen so dicht bekritzelt, dass man beinahe
kein Holz mehr darunter erkennt. Unzählige
Telefonnummern stehen an den Bettkanten
und Deckenbalken. Einen davon hat Jessicas
Mutter „freigegeben“ zum Bekritzeln, was
daraufgemalt wird, darf stehen bleiben. Die
Schüler malen die anderen Wände trotzdem
voll. Oft müssen sie vor der Abreise schrubben, denn Andrea kennt jede Ecke und weiß
genau, was schon dort stand und was nicht.
Manchmal bekommt sie dann Sätze zu hören
wie: „Für so etwas habe ich zu Hause eine
Putzfrau.“ Wenn die Schüler unhöflich werden, warnt Andrea ihre eigenen Kinder:
„Wagt niemals, euch so zu benehmen.“ Jessica haben diese Erfahrungen geprägt. Wenn
sie selbst im Schullandheim oder bei Freunden zu Gast ist, nimmt sie die Rolle der Strengen ein, die zu Respekt und Ordnung aufruft.
„Ich bin immer die, die alles im Ruder hält, die
wie selbstverständlich den Tisch abräumt oder
sagt: Macht eure Betten, macht nichts kaputt.“
Wenn in den Ferien oder in der Winterzeit
kein Betrieb ist, ist das Schullandheim seltsam leer. „Ich sitze da, und das Haus ist tot“,
sagt Andrea. Meistens lässt die Familie dann
den Fernseher laufen und in anderen Zimmern das Radio. Die plötzliche Einsamkeit
hat auch ihre Vorteile: Im Speisesaal werden
große Familienessen aufgetischt, und wenn
Jessica und ihre Freunde aus München oder
Wolfratshausen am Wochenende mal in
Endlhausen und Umgebung weggehen und
danach keiner mehr heimfahren kann, werden schnell ein paar Betten für alle bezogen.
Jessicas Lieblingszimmer ist in den besuchsfreien Zeiten das „Föhnzimmer“. So nennen
die Calcagnos ein holzvertäfeltes Zimmer im
ersten Stock, in dem sich nichts als eine riesige Spiegelwand und viele Steckdosen finden.
Nach dem Duschen laufen die Mädchen die
Holztreppe in den ersten Stock hinauf, stecken ihre Föhne ein und trocknen sich hier die
Haare. „Aber wenn niemand da ist, habe ich
das Zimmer für mich allein. Dann steht hier
mein ganzes Kosmetikzeug“, sagt Jessica.
Jessicas Freunde finden es cool, dass sie im
Landheim lebt. Sie fragen manchmal: „Jessi,
wann gibt es wieder eine Landheimparty?“
Dann kann man Billard und Tischtennis spielen, kickern und danach übernachten. Es
spricht sich schnell in der Gegend herum,
wenn eines der Schullandheimkinder einlädt.
Einmal standen fast 200 Leute vor der Tür.
Deshalb werden die Feiern immer seltener.
So schlimm findet Jessica das nicht. Denn
während der Partys bleibt sie sowieso immer
in der Rolle der Aufpasserin. „Wenn sich da
nur jemand auf die Kante vom Billardtisch
Du arbeitest nicht für jeden?
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setzt oder man sieht, dass da jemand sein Bier
abgestellt hat, kriege ich kurzfristig einen
Herzinfarkt.“
Den Landheimbetrieb später übernehmen,
wie es schon ihre Oma und ihre Mutter getan haben, will Jessica nicht. Sie möchte weg
vom Land, in die Stadt, vielleicht ins Eventmanagement. Und ihre Mutter Andrea findet
das gut. „Ich erwarte von meinen Kindern
gar nichts. Ich sage ihnen immer: Lernt was
Anständiges, damit ihr hier rauskommt. Man
gewöhnt sich zu schnell daran und fährt sich
dann fest.“
Bald ist Abendessenszeit. Draußen ist der
Himmel weiß, durch die offenen Türen weht
eine lauwarme Abendbrise. Andrea und Jessica stehen nebeneinander im Türrahmen.
Wenn es nicht so blöd klingen würde, könnte
man sagen, dass die beiden eher wie gute
Freundinnen wirken als wie Mutter und
Tochter. Viel mehr bekommt man aber den
Eindruck, dass es in dieser Familie gar nicht
so sehr um Kategorien wie Mutter, Tochter
oder Freundin geht. Es geht darum, stets
aufmerksam und respektvoll miteinander
umzugehen, ganz egal, wer das Gegenüber
sein mag.
Es rumpelt im Haus. Die Schüler kommen
von der Wanderung zurück. Auf dem Küchentisch ist ein Abendbrotbuffet gedeckt,
die ersten Kinder stehen vor der Tür vom
Speisesaal in die Küche Schlange. Andrea
greift zur Glocke, schüttelt sie einmal, und
dann stürmen die Kinder hinein.
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VON CHRISTINA WAECHTER / TEXT
So sieht’s aus.
00:00
Auf schwarzem Hintergrund fährt grasgrüne Comic-SansSchrift von links nach rechts ins Bild: „Die Abifahrt der K12
der Friedrich-Bonhoeffer-Gesamtschule in Mannheim 2011 –
unzensiert“. Dazu kommt aus dem Off das Klavier-Intro des
Coldplay-Gassenhauers „Clocks“.
03:28
Innenaufnahme eines spartanisch eingerichteten Vierbettzimmers. Auf einem der Hochbetten hat sich die Partyfraktion eingerichtet und die Zweiliterflaschen mit Billig-Alk ausgepackt. Die
Tür geht mit einem Rumms auf – herein springt ein halb nackter
Abiturient, der beim Anblick der Kamera sofort wieder Reißaus
nimmt. Gackerndes Gelächter und Schreie: „Der Matze! Ist so!
Krass!“
44 jetzt S C H U L E & JO B N o 0 4 /12
Von der Abireise erzählen? Pah! Heute kann jeder mit dem Handy filmen
und die selbst geschnittene Doku auf Youtube stellen. Nur laufen diese Filme
immer gleich ab. Das Storyboard zum typischen Abifahrtsvideo.
00:24
Die Kamera schwenkt über Hinterköpfe von jungen Menschen,
die in einem Reisebus sitzen. Der Kameramann spricht einen
Jungen an und fragt, was ihm gerade durch den Kopf geht. Der
Junge ruft: „Gei-jel! Die Abifahrt ist ja wohl definitiv jetzt schon
Legende!“ Kurze Schnitte im Rhythmus der Musik zeigen weitere Hinterköpfe im Bus beim konspirativen Saufen. Vor dem
Busfenster sieht man eine deutsche Ausfallstraße vorbeiziehen.
03:48
Nächster Tag. Die Kamera zeigt verquollene Gesichter beim
Scheibletten-Frühstück mit Eistee aus dem Tetrapak. Es werden die Abenteuer der letzten Nacht in allen Details ausgebreitet. Dann besprechen sie die Pläne für den kommenden Tag.
Die zwei Allermutigsten haben schon ein erstes Konterbier geöffnet und prosten dem Zuschauer zu.
02:26
Schnitt, Musikwechsel. Billiger Bumstechno. Das zeigt an: Jetzt
wird’s ernst, man ist am Ort des Geschehens angekommen,
einem typischen Pauschaltouristenort im Süden. Die Kamera
schwenkt einmal mehr wild herum, diesmal, um dem Betrachter
in allen Facetten zu zeigen, wie das Hotel von außen aussieht
und wie viel Gepäck „die Jessy“ dabeihat.
04:20
Auf der Busfahrt zum obligatorischen Besichtigungstermin ist
Zeit, erste Einschätzungen über das Hotel, den Service, das
Urlaubsziel und die Stimmung einzuholen. Allgemeiner Tenor
bei den Befragten: Alles ist total super beziehungsweise geil.
Nur das vegetarische Frühstücksangebot wird kritisiert – zu
wenig, und nichts ist frisch.
jetzt SC H U L E & J O B N o 0 4 / 1 2 45
05:06
Zeitsprung. Es ist früher Abend, die Kamera zeigt im Zeitraffer
vier Jungs, die sich vor dem kleinen Spiegel in ihrem Zimmer die
Haare in Form gelieren. Dabei lassen sie eine Flasche kreisen
und freuen sich sichtlich.
09:15
Abspann: Noch einmal die besten Szenen zusammenschneiden (Wie der Matze reingekommen ist! Wie der Busfahrer so
krass bremsen musste! Wie die Janine auf dem Parkplatz
kotzen musste!), dazwischen immer wieder eingeblendet eine
Totale des Hotels im Sonnenuntergang. Und ein Foto von der
finalen Getränke-Strichliste, auf der zu sehen ist, wie viele Liter
Bier, Wein und Wodka Bull auf der Reise vertilgt wurden.
46 jetzt S C H U L E & JO B N o 0 4 /12
05:20
Wir sehen zur Begleit-Techno-Hitmusik (David Guetta feat.
Akon „Sexy Bitch“) eine Diashow von Partyfotos. Mädchen
prosten mit Cocktails in die Kamera, Jungs tanzen im Schaum,
Mädchen schauen mit Schnute in die Kamera, Jungs schauen cool in die Kamera, ein Mädchen übergibt sich auf dem
Parkplatz. Ein schlafender Junge wird am Körper mit Edding
bemalt, auf einem Bett liegen ein Junge und ein Mädchen eng
umschlungen, während drei kichernde Jungs durch die geöffnete Tür schauen.
12:02
Zu „It’s Raining Men“ von den Weather Girls läuft auf schwarzem Grund von links eine Schrift ins Bild: „Die Abifahrt der K12
der Friedrich-Bonhoeffer-Gesamtschule in Mannheim 2011 –
hier wurden Legenden geschmiedet. Wir sehen uns wieder –
keine Frage! Euer Matze und Tom.“
06:20
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Der nächste Tag. Unter einer Markise haben sich die Überlebenden des Massakers versammelt und erzählen vom legendären und besten Abend, den sie jemals erlebt haben. Einer
hat sogar „was gehabt“ mit einer Einheimischen. Es werden
Wunden in die Kamera gehalten, die man sich am Vorabend
beim Versuch, das Stockbett zu erklimmen, geholt hat.
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48 jetzt s c h u l e & Jo b n o 0 4 /12
Von nadJa ScHlÜter / teXt & Joanna SWiStoWSki / illustration
Klassenfahrt
für immer.
Das Programm einer Studienfahrt ist
voller wertvoller Programmpunkte, die
den Unterricht sinnvoll ergänzen
sollen. Doch die wirklich wichtigen Dinge
lernt man abseits der vom Lehrer
vorgesehenen Ausflüge – zum Beispiel
nachts auf den Fluren des Schullandheims.
Das nackte Bett war beängstigend. Zu Hause kümmerte
sich Mama darum, dass dort, wo ich schlief, alles sauber
und flauschig war. Hier, in der Jugendherberge, war Mama
nicht dabei. Ich war zehn Jahre alt, auf meiner ersten
Klassenfahrt und das obere Hochbett neben dem Fenster
des Viererzimmers war meines und musste bezogen werden. In meiner Erinnerung habe ich mich mehrfach im
Spannbettlaken verfangen und den Bezug erst einmal auf
links über die Decke gezogen (oder die Decke in den auf
links gedrehten Bezug gestopft). Unsere Klassenlehrerin
zeigte uns schließlich hilfreiche Tricks, und als meine
Mutter mir irgendwann einmal erklären wollte, dass man
am besten die Arme in den umgestülpten Bezug steckt,
die Ecken der Decke fasst und dann alles ineinanderschüttelt, da wusste ich schon längst Bescheid. Gelernt
auf der Klassenfahrt. Wie so vieles, was nicht auf dem
Lehrplan der Schule, aber irgendwo auf dem Lehrplan
des Lebens steht.
Klassenfahrten sind dazu da, dass die Schüler etwas lernen. Auf dem Ijsselmeer das Segeln und wie man als
Team Hand in Hand arbeitet. In Oberstdorf das Skifahren und wie dynamisch eine Gruppe ist. Und in Paris etwas über Kunst und Kultur und wie man gemeinsam ein
Referat über die Mona Lisa hält. Das sieht das pädagogisch wertvolle Programm so vor. Doch die wirklich wichtigen Unterrichtsstunden der Klassenfahrt werden nachts
jetzt sc h u l e & J o b n o 0 4 / 1 2 49
die berühmteste Klassenfahrt deutschlands ist das trainingslager der fuSSballnationalMannScHft: fußballer verdienen
viel geld und fahren teure autos – trotzdem gibt es
im leben eines Profikickers Parallelen zu dem
eines neuntklässlers. Vor allem dann, wenn die
nationalmannschaft ins trainingslager fährt. das
nämlich ist nichts anderes als eine Klassenreise.
Klar sind da unterschiede: es gibt training statt
museumsbesuch, luxushotel statt Jugendherberge und zum essen riesengarnelen statt riesenschnitzel. den fußballtross zieht es in die
natur. neuntklässler wollen nach berlin.
aber es überwiegen die gemeinsamkeiten. die
reisegruppe umfasst hier wie dort 20 bis 30 leute;
es gibt den lehrer (löw), schüler (spieler) und
begleitpersonal – wobei die Profis beim betreuungsschlüssel dank ärzten, fitnesstrainern und
Köchen besser abschneiden. für beide gruppen
gilt: wer sich vorab mies präsentiert, darf nicht
mit (wird nicht nominiert); wer sich danebenbenimmt, der muss früher heim (stefan effenberg).
das iPhone ist auch bei den Profis das wichtigste
gepäckstück, und in sachen spaß kann es eine
zweier-wg mit schweini und Poldi mit dem wildesten zehnerzimmer aufnehmen. apropos wild:
wer zu spät ins bett geht, bekommt ärger. wenn
er erwischt wird. nicht nur schüler sind meister
im ausbüxen: sepp maier und uli hoeneß etwa
entflohen 1974 der kasernenartigen, streng bewachten sportschule malente. in tiefer nacht
machten sie sich auf die 100 Kilometer lange
reise nach hamburg zu ihren frauen. weil zu
betrunken, mussten sie für die hinfahrt einen
sicherheitsbeamten um dessen auto und chauffeursdienste bitten. auf dem rückweg fuhr maier.
leider war die fußbremse jetzt kaputt, weshalb
der torwart im morgentraining kurz nach seiner
rückkehr kaum einen ball fassen konnte. zu sehr
schmerzten die blasen an den fingern, vom ewigen ziehen der handbremse.
heute versucht der Verband, lagerkoller erst gar
nicht aufkommen zu lassen. dfb-organisationschef georg behlau sagt: „wir drängen zu nichts,
schaffen aber angebote.“ dazu zählen Kanutouren, fahrradausflüge oder ein formel-1-besuch
wie zuletzt in monaco. und die frauen dürfen inzwischen öfters im hotel übernachten.
Von florian HaaS
50 jetzt s c h u l e & Jo b n o 0 4 /12
Klassenfahrten enden nicht, wenn
die schulzeit hinter einem liegt. wenn
SebaStian MadSen, 31, sänger und
gitarrist der band madsen, auf tour
geht, fühlt sich das oft ganz ähnlich
an: „unsere rituale beim tourstart? einsteigen
und bier trinken. die freude loszufahren ist eine
ähnliche wie die, die wir hatten, wenn es damals
auf Klassenfahrt ging. es ist, als wären wir wieder
teenager. und genau wie teenager machen wir
auf tour viel Quatsch. das wird mit der zeit immer schlimmer. man erlebt ja irgendwie jeden tag
das gleiche, schläft viel, hängt durch. dabei entwickelt sich ein ganz eigener humor, viele bandinsider werden geboren. in einer eingeschworenen gemeinschaft kann man natürlich viel mehr
gas geben. man fühlt sich freier – so wie früher,
in den grüppchen, die sich auf Klassenfahrt bildeten. ich bin zum beispiel kein großer freund
versauter witze, aber auf tour erzähle ich schon
mal welche. das gehört zur abflachung auch
dazu: die Verhaltensregeln des alltags werden
missachtet. zudem fehlt uns heute ja der lehrer. unser tourleiter guckt zwar, dass zur abfahrt
alle rechtzeitig im bus sind, behält den überblick
und übernimmt viel organisatorisches. aber er
ist nicht da, um auf uns aufzupassen. das müssen wir schon selbst. auf tour muss man immer
auch ein bisschen disziplin beweisen. Jeden tag
saufen ist einfach nicht drin. dafür fallen andere
Pflichten weg – im gegensatz zur Klassenfahrt.
ich bin zwar immer gern in museen gegangen,
schon damals. nur wenn ich es musste, wenn es
also ein fester Programmpunkt war, hatte ich oft
keinen bock. heute entscheide ich allein, was ich
zwischen den Konzerten mache. und nicht mal die
empfinde ich als Pflicht. sie machen mir ja spaß.‟
Protokoll: erik brandt-Höge
in den Zimmern des Schullandheims abgehalten, in der
Freizeit auf dem Weg durch die fremde Stadt oder morgens, wenn sechs Leute hintereinander durchs Bad müssen. Die Geschichte der Mona Lisa und ihr geheimnisvolles Lächeln hat man nach einer Woche wieder vergessen,
aber all die Dinge, die nicht im Programm stehen, die
bleiben. Ich beziehe mein Bett noch heute so, wie ich es
auf meiner ersten Klassenfahrt gelernt habe.
Ein sehr wichtiges Klassenfahrtlehrstück war das Austüfteln der Zimmerkonstellationen. Am liebsten wollte
man natürlich mit denen Schlafplatz und Badezimmer
teilen, neben denen man auch in Deutsch und Sachkunde
saß und mit denen man sich nachmittags zum Radfahren
traf. Mit den Freunden eben. Aber manchmal gab es in
den Zimmern mehr oder weniger Betten, als man Freun-
Leseförderung
de hatte. Dann musste man Kompromisse eingehen, sich
von einer Freundin trennen oder akzeptieren, dass die,
mit der man gerade zerstritten war, in der kommenden
Woche nachts die gleiche Luft atmen würde wie man
selbst. Sich arrangieren muss man heute immer noch. Ob
in der Referatsgruppe an der Uni, im Job, auf Fortbildung
oder auch bloß im Auto der Mitfahrgelegenheit – man
kann sich nicht immer die besten Freunde als Gesellschaft aussuchen. Wenn man es doch kann, hat man in
den Tagen in der Jugendherberge sicher noch eine weitere
Sache gelernt: Der beste Freund in Sachkunde und beim
Radfahren ist nicht zwangsläufig auch der beste Freund
im Badezimmer. Man lernt einzuschätzen, wer sich in
welcher Situation wie verhalten wird und in welchen Situationen man daher gut zusammen funktionieren wird und
in welchen eben nicht.
Überhaupt das Zusammensein: Es gibt kein Umfeld, in
dem man besser die ersten Versuche in partymäßigem
und verliebtem Zusammensein machen kann als auf einer
Klassenfahrt. Ein Haufen pubertierender und (in den meisten Fällen) gemischtgeschlechtlicher Schüler, die durch
täglichen gemeinsamen Unterricht schon ganz ordentlich
aneinander gewöhnt sind, haust auf einmal Wand an
Wand. Nachts schleicht man dann natürlich durch die
Flure, und die Mädchen verstecken sich im Jungszimmer
im Schrank, wenn der Klassenlehrer kommt. Danach sitzt
man im Schlafanzug im Kreis, nippt an seinem ersten Alkoholmischgetränk, einer legt seine leere Mixery-Flasche
in die Mitte, und schon übt man sich in Teenager-Partyspielen, die man noch oft wird spielen müssen und für die
es immer gut ist, eine besonders kesse Frage oder kreative
Aufgabenstellung in der Hinterhand zu haben. Dann gerät man auch noch irgendwie neben den süßesten aller
Klassenkameraden, kuschelt (sitzend!) ein bisschen in
seinem Bett, bis alle anderen kichernd den Raum verlassen – und ehe man sich versieht, hat man das erste Mal
unbeholfen geknutscht. Das hat das pädagogische Programm ganz sicher nicht vorgesehen. Pädagogisch
wertvoll ist es doch.
Jede Klassenfahrt, egal in welchem Alter, ist voller erster
Male. Das erste Mal ohne Eltern verreisen und an Heimweh leiden. Das erste Mal das Bett machen. Das erste Mal
sein Geld selbst verwalten. Das erste Mal knutschen. Das
erste Mal in einer fremden Stadt am Abend allein unterwegs sein und sich mit seinem Schulenglisch durchschlagen. Und wenn ab dem Teenageralter der Lehrer, der
schützend seine Hand über die Köpfe und Bettlaken hält,
nicht mehr gern gesehen ist, wird die Klassenfahrt zu einem mehrtägigen Lehrgang darin, sich von der Aufsicht
durch Autoritäten zu befreien und ihre Verbote zu umgehen: länger aufbleiben, Alkohol trinken und rauchen, das
andere Geschlecht besuchen, die Freizeit ausdehnen.
Denn nirgends gilt die Regel „Verbote sind dazu da, gebrochen zu werden“ mehr als auf einer Klassenfahrt. Und
gerade wenn man diese Regel befolgt, lernt man besonders viel. Segeln muss man ja nicht unbedingt können.
Knutschen und sich mal was trauen aber schon.
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EINKAUFSWAGEN
Wenn man von der Klassenfahrt zurückkommt, heißt es erst mal: Wunden lecken
und den körperlichen Idealzustand wiederherstellen. Und dann: Aus Fehlern
lernen und sofort die Dinge besorgen, die in den vergangenen Tagen schon ziemlich
praktisch gewesen wären. Die Rückkehrer-Einkaufsliste.
Erst mal: Du stinkst, weil ihr auf eurer Italien-Fahrt zwar viel Lambrusco,
aber wenig Seife gesehen habt. Außerdem waren die Duschen in eurer
Pension in Rom ständig chiuso. Aber egal, das mediterrane Flair kannst
du nachduschen, denn dieses Waschgel kommt aus Kalifornien, ist voll mit
italienischer Zitrone und sieht besser aus als alles, was Papa im Badezimmerregal hat. (heldenlounge.de, 17,50 Euro)
Der Kater geht nicht weg? Alles tut weh? Stilvoll bekämpft man derlei vage
Übelkeiten seit 1931 mit Alka-Seltzer. Angeblich hilft aber auch Ausschlafen. Und ein bisschen frische Luft. Sagt jedenfalls deine Mutter.
Auf der Busfahrt haben alle mit ihren kleinen Ohrstöpseln rumgefummelt?
Das geht beim nächsten Mal auch ein bisschen opulenter – für Einzelgänger
in der letzten Reihe hat Verstärkerlegende Marshall Kopfhörer gebaut: groß,
eckig, schwarz und mit dem wichtigsten Rock-Logo der Welt. (Gesehen bei
amazon, 80 Euro)
Das Beste am Achtbettzimmer in den Schweizer Alpen waren noch die
Wolldecken? Die gibt’s auch in Neu und noch ganz ohne den typischen
Beigeschmack. (fair-kaeuflich.de, 95 Euro)
Auf Klassenfahrten und unter den Schweizer Wolldecken geschehen
auch viele hochinteressante zwischenmenschliche Dinge. Wieder daheim sitzt man dann da mit seinem angeknabberten Herz und weiß nicht,
wie’s weitergeht. Vielleicht mit einer Postkarte, die einfach alles klarstellt?
(etsy, adammcohn, ca. 7 Euro)
Du hast mit deinem Handy Hunderte Fotos gemacht, und dann wurde es am
letzten Abend gestohlen. Schöner Mist. Für das nächste Mal gibt es diese
ganz neu entwickelte Polaroidkamera. Die ist zwar mittlerweile digital,
spuckt aber immer noch wie früher das Foto gleich aus. Nur den Eltern
eine Beruhigungs-SMS schicken kann man damit nicht. (Vorbestellbar auf
store.polaroid.com, ca. 150 Euro)
Stadtsouvenirs können übrigens auch gut aussehen und einen Zweck
haben. Wer bei der nächsten Kunstgeschichte-Fahrt nach Paris mal zwei
Stunden Zeit hat, sollte beim kleinen Musik- und Modelabel Kitsuné sein
Taschengeld verbraten, zum Beispiel für ein Parisien-T-Shirt, das sich
ganz ohne Touri-Verdacht tragen lässt. (kitsune.fr, 65 Euro)
VON MAX SCHARNIGG / TEXT
52 jetzt S C H U L E & JO B N o 0 4 /12
RÄTSEL
Diese Schüler haben eines gemein: ihre Vergesslichkeit.
Aber wer hat auf der Klassenfahrt welchen Gegenstand liegen gelassen?
VON KIM KEIBEL / FOTOS
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Bei der Planung für dieses Heft hätten wir übrigens fast das Rätsel vergessen. Wir haben
es zum Glück rechtzeitig gemerkt. An die Lösung haben wir natürlich auch gedacht. Du
findest sie online unter jetzt.de/vergessen.
jetzt SC H U L E & J O B N o 0 4 / 1 2 53
VON FELIX KRÜGER / FOTOS
Klassenfahrt.
Die Hausaufgabe ist, ein’ Aufsatz zu verfassen,
die meisten von uns haben die Hauptstadt noch nie verlassen,
dreißig Atzen, und sie alle gehn auf Klassenfahrt
mit einem Affenzahn Richtung Nachbarstaat,
die Lehrer gucken, ob ich Waffen in den Taschen hab,
denken, die Jugendherberge wird zu nem Massengrab,
fürchten ein Attentat, sind mit dem Feind allein,
sie kenn’ die Rütli-Schule, kenn’ Columbine,
doch mich noch nicht, ich box den Dorfpolizist,
häng die Bauern auf, nehm das Ortsschild mit,
Handy-Kamera an, wir stürmen dieses Kuhkaff,
der erste Hinterwäldler denkt, er ist Tupac,
ich rede mit Händen, damit der Horst mich versteht,
danach geht es ab in die Dorfdiskothek,
grabsch den Bauernfotzen ans Hinterteil,
ein Bett im Kornfeld ist immer frei.
ACHTUNG, ACHTUNG,
RAUS AUS DEM KLASSENRAUM,
OB LEHRER, STREBER ODER KLASSENCLOWN,
REIN IN DEN SCHULBUS, AUF ZUR JAGD,
HURRA, HURRA, ES IST KLASSENFAHRT!
Die Berliner Rapper von K.I.Z. drücken sich gerne sehr
direkt aus und bedienen sich eines Vokabulars, das man
vor Lehrern oder im Bewerbungsgespräch besser tief in
der Wortschatztruhe vergräbt. Der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien mag diese Direktheit nicht immer gefallen, wenn aber Musiker wie K.I.Z. einen Rapsong
mit dem Titel „Klassenfahrt“ schreiben, darf der in diesem
Heft aus rein dokumentarischen Gründen nicht fehlen.
DAS IST KEIN AUSFLUG, DAS IST EIN RAUBZUG,
DEIN BUNDESLAND IST IN UNSRER HAND,
REIN IN DEN SCHULBUS, AB ZUR JAGD,
HURRA, HURRA, ES IST KLASSENFAHRT!
Raus aus der Herberge, hier fühl ich mich wohl,
ich bin der King aus Berlin, du der Anton aus Tirol,
das ist echt ne schöne Landschaft,
doch hier riecht es so komisch,
Kuhmist oder weil der Holzmichl tot ist?
Erklärt mir mal, wieso ihr rote Haare habt,
egal, ab auf den Heuboden, Paarungsakt,
wir tragen Nike Air Max, ihr tragt Holzschuhe,
der Feuerwasserverkauf ist eine Goldgrube,
die Lehrer wolln zurück nach Hause, los, auf sie,
Meuterei auf der Bounty,
Untertupfi ngen, Buxtehude, Remscheid,
ein kleiner Schritt für uns, ein großer für die Menschheit.
Musik: Mach One (copyright control)
Text: Tarek Ebéné, Nico Seyfrid, Maxim Drüner
Mit freundlicher Genehmigung von: Edition Royalbunker / Melodie der Welt / Mach One
IMPRESSUM jetzt SCHULE&JOB Eine Verlagsbeilage der Süddeutschen Zeitung im September 2012 Verlag Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8,
81677 München, Tel. 0 89 / 21 83 - 0 Chefredakteur Kurt Kister Verantwortlich im Sinne des Presserechts Dirk von Gehlen Redaktion Christian Helten
Art Director Joanna Swistowski Schlussredaktion Isolde Durchholz Anzeigen (verantwortlich) Jürgen Maukner
Kontakt Tel. 0 89 / 21 83 - 82 73, [email protected] Anzeigenpreise unter http://mediadaten.sueddeutsche.de/sonderthemen/jetzt_schulejob_unijob
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