Quelle: Heimatspiegel
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Heimatspiegel Illustrierte Beilage zum «Zürcher Oberländer» Nr.12/Dezember 1987 Redaktion: Antonio Conesi Auf den Spuren jenes Wetzikers, der das Kaba-Schloss entwickelte Fritz Schori ein vergessener Erfinder Die Pfahlbauer, die vor Jahrtausenden die Gestade des Pfäffikersees im Gebiet des heutigen Robenhausen besiedelten, kannten bereits durch Riegel verschliessbare Türen für ihre Hütten; das belegen Funde, die in der einstigen Pfahlbausiedlung getätigt wurden. Es ist wohl ein kurioser Zufall der Geschichte, dass fast an derselben Stelle, nur einige tausend Jahre später, ein Tüftler namens Fritz Schori ein Schlosssystem erfand, das weltweit Furore machen und die Schweiz zu den führenden Schlossbauer-Nationen aufrücken lassen sollte. Die Rede ist vom System «Kaba», welches der Leiter des Wetz iker Werkes der Firma Bauer AG am 28. Juli 1934 zum Patent anmeldete. Der Erfinder Fritz Schori ist zwar schon seit über 40 Jahren tot, doch sein Patent lebt weiter, nicht zuletzt in der Wetziker Bauer Kaba AG, die durch das «Kaba»-System Weltruhm erlangte. sie war damals rechtlich noch nicht selbstständig - hatte sein «Sicherheitsschloss mit flachem Stechschlüssel» allerdings schon fast ein Jahr zuvor zum Patent angemeldet, und zwar am 28. Juli 1934 um «12 ¼ Uhr». Harte Zeiten auch in Wetzikon Der Tüftler in seinem Reich. «Bei den mittelst flacher Stechschlüssel bedienbaren Schlössern (unter der Marke (Yale bekannt) ist der Schlüssel in Bezug auf das Schlüsselloch nur in einer einzigen Lage in dasselbe einführbar, was in gewissen Fällen nachteilig empfunden wird. Um diesen Nachteil zu beheben, besitzt bei dem den Erfindungsgegenstand bildenden Sicherheitsschloss mit flachem Stechschlüssel das Schloss in einer Querebene zum Schlüsselloch eine links- und eine rechtsseitig zu diesem angeordnete Gruppe von Zuhaltungen, und es sind beide Breitseiten des Schlüsselschaftes zum Zusammenwirken mit den Zuhaltungen ausgebildet, das Ganze derart, dass der Schlüssel zwecks Einstellung der Zuhaltungen, nach Belieben in zwei um 1800 zueinander versetzten Lagen in das Schlüsselloch eingeführt werden kann.» Mit diesen Worten umschreibt das vom Eidgenössischen Amt für Geistiges Eigentum am 17. Juni 1935 mit der Nummer 176292 ausgestellte Hauptpatent die Erfindung Fritz Schoris. Der Leiter der zur Bauer AG in Zürich gehörenden Schlossfabrik in Wetzikon - Zu diesem Zeitpunkt konnte der damals 44jährige Fritz Schori sicher noch nicht erahnen, was seine Erfindung dereinst bewirken würde. Dass der Markenname «Kaba» (KAssen BAuer) zunächst in der Schweiz, dann aber auch in immer mehr Ländern der Welt zum Inbegriff des Sicherheitsschlosses überhaupt werden würde, davon konnte der Erfinder nicht einmal träumen. Denn es waren harte Zeiten damals: Die Weltwirtschaftskrise, ausgelöst durch den New Yorker Bankenkrach von 1929, hatte tiefe Wunden auch in das Wirtschaftsleben der Schweiz gerissen; im nördlichen Nachbarland begann bereits wieder die unheilvolle Entwicklung, die die Welt in einen neuen, noch schlimmeren Krieg stürzen sollte. Auch in der Schlossfabrik in Wetzikon, wo der gelernte Präzisionsmechaniker Fritz Schori aus Biel als «Meister» und später als Betriebsleiter arbeitete, standen die Verhältnisse nicht zum besten. Diese Schlossfabrik war aus der damaligen Stickerei Linsi an der Chratzstrasse entstanden. Die im Ersten Weltkrieg stark in die Krise geratene Zürcher Schlosserei und Kassenfabrik Bauer AG hatte im Zuge des Wiederaufbaus ins Zürcher Oberland expandiert und 1924 in Fritz Schori einen tüchtigen Chef für das Wetziker Werk gefunden. In einem Brief an seinen Vater schrieb Fritz Schori bereits 1926: «Geschäftlich habe ich, trotz der sehr flauen Zeit für unsere Branche, sehr viel zu tun, da die Neueinrichtungen immer noch andauern und fortwährend neue Schlösser von mir konstruiert werden müssen.» Aus demselben Brief geht hervor, dass die Schlossfabrik Wetzikon damals offenbar mit fremden, gesperrten Patenten aus Deutschland arbeitete: «Herr Rickenbach (der damalige Direktor der Bauer AG in Zürich; Red.) Fritz Schori (Mitte) blieb auch als Direktor im Herzen ein Arbeiter. erklärte mir, dass wenn sie jetzt meine Schlösser, es sind jetzt im ganzen neun deutsche Patente, nicht hätten, sie gezwungen wären, die Fabrik zu schliessen.» Fritz Schori war also schon damals, noch einige Jahre vor dem ganz grossen Wurf, ein Erfinder, ein Tüftler, der immer wieder neue Systeme konstruierte, die auch zu wirtschaftlichen Erfolgen führten. Im Nachruf auf den am 20. September 1945 verstorbenen Fritz Schori - die Notiz erschien im «Freisinnigen», dem heutigen «Zürcher Oberländer» - ist folgendes zu lesen: «Von Beruf ursprünglich Mechaniker, begann er schon frühzeitig. sich auf das schöpferische Konstruktionsfach zu verlegen, und noch in jungen Jahren gelang ihm dabei als erstem die Erfindung des Metallspritzverfahrens.» Doch alle neuen Erfindungen, auch jene des späteren Kaba-Schlosses, führen nicht zum Erfolg, wenn die Rahmenbedingungen und das konjunkturelle Umfeld nicht stimmen. Und davon konnte damals, in den späten zwanziger und dreissiger Jahren, wohl nicht die Rede sein. Am Tag, als Fritz Schori seine neueste Erfindung, eben das Kaba-System, zum Patent anmeldete, durfte er wohl seinen persönlichen Erfolg mit seiner Familie teilen; doch dem neuartigen Schlosssystem stand die harte Bewährungsprobe auf dem Markt erst noch bevor. Das Schloss - eine uralte Sache Fritz Schori hat - wie man heute salopp sagen würde - mit dem Kaba-System nicht das Schloss neu erfunden. Auch das Zylinderschloss, auf dem das Kaba-System basiert, gab es zu Fritz Schoris Zeiten schon seit rund 60 Jahren. Schoris Leistung bestand vielmehr darin, eine Anzahl bekannter Techniken in der Schlossbauerkunst in einer Weise zu kombinieren, die nicht nur eine neue Generation des Zylinderschlossbaus einläutete, sondern auch ein deutliches Mehr an Qualität und Sicherheit gegenüber den bestehenden Systemen brachte. Blenden wir zunächst zurück in die uralte Geschichte des Schlossbaus. Das Bedürfnis des Menschen, sein Eigentum vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen, ist wohl so alt wie die Menschheit selber. Aus Pfahlbaufunden in Robenhausen wissen wir, dass bereits die Menschen der prähistorischen Zeit primitive, aber wirkungsvolle Riegelsysteme kannten, mit denen sie die Türen ihrer Hütten verschliessen konnten. Bereits recht raffinierte und sichere Schlosssysteme kannten die Agypter und vor allem die Römer. Interessant an der Geschichte des Schlosses ist die Tatsache, dass sich uralte Schloss- und Schliessformen jeweils über die Jahrhunderte gehalten haben, obwohl die «technische Entwicklung» bereits Neueres und Wirkungsvolleres hervorgebracht hatte. So finden sich noch heute beispielsweise in Alphütten Riegelsysteme, die jenen der Robenhauser Pfahlbauer nicht unähnlich sind. Bedeutende Fortschritte machte die Schlossbauerkunst im Mittelalter; in diese Zeit fällt die Erfindung der «altdeutschen SchlossDer Autor dieser Ausgabe Thomas Illi ist Redaktor am «Zürcher Oberländer» Blick in den Maschinensaal der Wetziker Schlossfabrik an der Chratzstrasse. Bemerkenswert sind die Transmissionsantriebe. falle», deren Riegel mittels Federdruck in steter Verschlussposition gehalten wird und nur mit einem Drehschlüssel zurückbewegt werden kann, sowie die Entstehung des sogenannten « Eingerichte», einer kunstvollen Konstruktion, die erstmals die Bezeichnung «Sicherheitsschloss» überhaupt verdiente. Die Entwicklung zum modernen Sicherheitsschloss bahnte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an und setzte sich im 19. Jahrhundert fort: Die Konstruktionen namentlich englischer Schlossbauer Joseph Harron und Jeremia Chubb sind die bekanntesten Namen - forderten immer wieder Vertreter der Einbrecherzunft heraus, die Geheimnisse der neuen Systeme zu knacken, nicht selten auch mit grossem Erfolg. Der Amerikaner Linus Yale schliesslich war es, der eine völlig neuartige Entwicklung einleitete: Yale lehnte seine Erfindung ausgerechnet an eines der ältesten Schlosssysteme überhaupt, an das ägyptische Fallstiftriegelschloss, an und konstruierte das erste Zylinderschloss. Dieses Yale-Schloss - der Sohn des Erfinders entwickelte es schliesslich zur Serienreife hatte gegenüber konventionellen Schlössern gewaltige Vorzüge: Erstmals eröffnete damit ein Schliesssystem eine Unzahl von Schliessvarianten, sogenannten Permutationsmöglichkeiten; erstmals ermöglichte das Yale-System sogenannte Schliesspläne, die Möglichkeit also, einzelne Schlösser einer Schliessanlage (zum Beispiel für ein Mehrfamilienhaus) zugänglich zu machen, andere dagegen nicht. Und schliesslich war ein weiterer Vorzug des Yale-Systems ein rein praktischer: Durch die Trennung von Schliesssystem und Riegelkonstruktion fiel der Schlüsselhalm, der manchen Schlüsselbund zur «Eisenwarenhandlung» machte, praktisch dahin. Die letzte wichtige Erfindung vor der Entwicklung des Kaba-Systems ist jene des Deutschen Theodor Kromer (Freiburg im Breisgau) im Jahre 1871; Kromers System «Protector» arbeitete mit Doppelbart-Schlüssel und galt als absolut einbruchsicher, wenigstens für Rechtsbrecher, die nicht über industrielle Gravier- und Fräswerkzeuge verfügten. Mit einer vereinfachten, aber ebenso sicheren Weiterentwicklung des Kromer-Systems, allerdings unter dem Markennamen «Perfector», trat schliesslich auch die «Spezialfabrik für Geldschrank- und Sicherheitsschlösser, Bauer AG» in Erscheinung. Noch im Jahre 1931, während die Entwicklungsarbeiten am neuen Kaba-System vermutlich schon recht weit gediehen waren, lesen wir in einem Bauer-Katalog: «... haben uns nicht ruhen lassen, zu versuchen, ein Sicherheitsschloss zu bauen, das so beschaffen ist, dass es jeglichen gewaltsamen Aufsperrversuchen trotzt, und endlich ist es uns nach langjährigen Bemühungen gelungen, die Aufgabe, die wir uns gestellt haben. restlos zu lösen.» Bezog sich diese Äusserung vielleicht nicht unbewusst schon auf die Neuerfindung? Das Kaba-Schloss Fritz Schoris Dreh-Zylinderschlösser, wir haben es gesehen, gab es schon längst, als Meister Fritz Schori sein Kaba-System erfand. Und trotzdem war seine Konstruktion etwas völlig Neues. Für den Laien besteht der augenfälligste Unterschied zum damals bereits weltbekannten Yale-System darin, dass der Schlüssel statt Bartzähnen lochartige Vertiefungen im Schlüsselblatt aufweist, und dass er in zwei entgegengesetzten Lagen in das Schlüsselloch eingeführt werden kann. Beim Kaba-System bestimmt die Zahl der Vertiefungen - die der Einstellung der Zuhaltungen dienen - die Anzahl der möglichen Schliessvarianten (Permutationen). In Fritz Schoris Erstkonstruktion waren es acht solcher Vertiefungen - daher der Name «Kaba 8», die in zwei Reihen angeordnet waren. Die Rückseite des Schlüssels enthält selbstverständlich die identische Anordnung von Vertiefungen, nur gegengleich angelegt. Das «Kaba-8-System liess in seiner Urform bereits 130000 Permutationen zu, in einer Weiterentwicklung sogar schon 1,9 Millionen Permutationen. Der erst seriengefertigte Kaba-8-Schlüssel trägt unter der Laufnummer «102» die Permutationsreihe «1, 3, 4, 2, 1, 2, 3, 4». Es ist durchaus denkbar, dass dieses Schloss in einem Gebäude aus den dreissiger Jahren heute noch existiert! Relativ bald nach der Markteinführung wurde der Schritt zum System «Kaba 10» unternommen. Die nunmehr zehn Vertiefungen respektive Zuhaltungen erlaubten bereits 44 Millionen Permutationen, mehr als zehnmal die damalige Bevölkerungszahl der Schweiz. Allerdings muss hier gleich einschränkend festgehalten werden, dass die theoretische Zahl der möglichen Permutationen in der Praxis nicht erreicht werden kann. und zwar deshalb nicht. weil ja in vielen Fällen nicht individuell verschiedene Schlösser montiert werden, Das Kaba-Schlosssystem (Stand: 1937) und seine Bestandteile. sondern ganze Schliesssysteme. So beansprucht beispielsweise eine Schliessanlage für ein Mehrfamilienhaus eine ganze Permutationsgruppe für sich, obwohl nur einige wenige Schlösser installiert werden. Die übrigen Permutationen dieser Gruppe dürfen natürlich aus Sicherheitsgründen nicht für andere Schlösser verwendet werden. weil dann ein solcher Schlüssel beispielsweise als Passepartout für besagtes Mehrfamilienhaus oder wenigstens als Haustürschlüssel von unbefugter Hand benützt werden könnte. Entwicklung noch längst nicht abgeschlossen Eine Weiterentwicklung des Systems von Fritz Schori erfolgte erst rund 20 Jahre nach dessen Tod, nämlich Mitte der sechziger Jahre. Das zu diesem Zeitpunkt neu eingeführte System «Kaba 20» wies als Neuerung zu Schoris System - auf dem es jedoch beruht - vier statt nur zwei Stiftreihen für die Zuhaltungen auf. Für die theoretisch möglichen Schliessvarianten bedeutet das die bereits unvorstellbar grosse Zahl von rund einer Milliarde Permutationen. Gleichzeitig wurde als weitere sicherheitstechnische Neuerung parallel zur Lancierung des «Kaba-20»-Systems der LegitimationsNachweis für den Bezug von Nachschlüsseln eingeführt: Für jedes ausgelieferte Schloss wurde eine Adress- und Unterschriftenkarte geführt, die ein unbefugtes Erstellen von Nachschlüsseln verunmöglichte. Damit war aber die Weiterentwicklung von Schoris Idee noch längst nicht abgeschlossen: 1978, also vor rund 10 Jahren, lancierte die mittlerweile als eigenständige Aktiengesellschaft umstrukturierte Bauer Kaba AG in Wetzikon das System « Kaba Star» mit der astronomischen Permutationszahl von 25 Billionen theoretischen Schliessvarianten: Mit diesem System könnte nicht nur ein guter Teil der Bevölkerung anderer Planeten ausgestat- tet werden; die neuartige, computergesteuerte Stufenfräsung des Schlüsselblattes ermöglichte beim System «Kaba Star» erstmals die wirkungsvolle Verschleierung der Schliesskombination. Mit dem Jahr 1984 schliesslich läutete Bauer Kaba das Elektronik-Zeitalter im Schliesswesen endgültig ein. Chronik der Firma Bauer und der Schlossfabrik in Wetzikon 1862 Gründung der Schlosserei und Kassenfabrik in Zürich (Stampfenbachstrasse; Inhaber: Franz Bauer) 1864 Feuerprobe an einem selbsthergestellten Panzerschrank 1889/90 Bau der Fabrik an der Nordstrasse 1891-1900 Fabrikation von Metzgerei-Maschinen 1908 Namensänderung auf «Franz Bauer Söhne AG) nach dem Tod des Inhabers 1913 Beginn der Stahlmöbelfabrikation («Staba») 1914 Kriegsausbruch mit anschliessender Krise; Produktion wird fast eingestellt 1915 Gründung der Aktiengesellschaft Bauer AG; Verwaltungsratspräsident: Leo Bodmer 1918 Kauf der Stickerei Linsi AG in Wetzikon; Einrichten einer Schlossfabrik 1924 Eintritt von Fritz Schori als Chefin Wetzikon 1934 Erfindung des Kaba-Schlosses 1943 Ausbau der Schlossfabrik in Wetzikon 1961 Landkauf in Kempten; zweiter Ausbau der Schlossfabrik in Wetzikon 1966 Bau einer Kassenfabrik in Rümlang ab 1968 Gründung verschiedener Tochtergesellschaften im Ausland 1973/74 Bau der neuen Schlossfabrik in Kempten 1974 Umwandlung der Bauer AG in eine Holding; Verselbständigung der Schlossfabrik in Wetzikon zur Tochtergesellschaft Bauer Kaba AG 1987 Erweiterungsbau in Kempten Ein Erfinder wehrt sich für seine Erfindung Dank dem Kaba-Schloss von Fritz Schori das ist unbestritten - hat die Bauer AG und später die als Bauer Kaba AG verselbständigte Wetziker Schlossfabrik Weltruhm erlangt. Wenige Jahre nach der Erfindung des Systems durch den Wetziker Betriebsleiter stand der wirtschaftliche Erfolg der Kaba-Schlösser aber auf der Kippe. Wie ein Brief Schoris an den damaligen Verwaltungsratspräsidenten Leo Bodmer vom 10. Dezember 1936 belegt, ist es wohl der Hartnäckigkeit des Chefs in Wetzikon zu verdanken. dass die Produktion der KabaSchlösser überhaupt weitergeführt wurde. 1936 war für die Bauer AG und für die Wetziker Schlossfabrik ein Krisenjahr; über wesentliche Verluste, die damals sogar einen Lohnabbau in Erwägung ziehen liessen, lesen wir an anderer Stelle. Aus besagtem Brief Schoris an Bodmer geht nun hervor, dass die Schlossfabrik in Wetzikon kurz nach Beginn der Serienfertigung der Kaba-Schlösser die Fabrikation eines «Oricop-Apparates» aufnehmen musste, ein Projekt, gegen das sich Schori zur Wehr gesetzt hatte, weil er an dessen Tauglichkeit zweifelte. Leider wissen wir nicht, was es mit besagtem «Oricop-Apparat» auf sich hatte: Über Schoris Bedenken... «schenkte man mir kein Gehör und es wurde weiter gearbeitet und zwar in einem Tempo, dass die Schlossfabrikation zum Stoppen kam. Die Leute (die Geschäftspartner der Bauer AG; Red.) hatten dann kein Geld zum Bezahlen und so fiel die ganze Sache in‘s Wasser. Nach meinen Berechnungen war die Angelegenheit für die Firma ein Schaden von nahezu 70000 Frk., abgesehen von der Zeit, die wir für die Kabafabrikation eingebüsst hatten.» In seinem Brief stellt Fritz Schori nicht nur in Abrede, dass die Verluste der Bauer AG auf das neue Kaba-System zurückzuführen seien, sondern er beklagt sich auch darüber, dass ...«eigentümlicherweise bei einer Neufabrikation, die von Aussen kommt, stets die Mittel zur Verfügung gestellt werden, um Maschinen anzuschaffen, wozu gegen bei Eigenkonstruktionen mit den bestehenden Maschinen gearbeitet werden sollte.» Das als Weltneuheit präsentierte mechatronische System «Kaba Nova» war die Vervollkommnung eines bereits im Jahre 1981 mit «Kaba Cosmos» vorgestellten intelligenten Schliesssystems, das neue Perspektiven vor allem für Schliessanlagen in Hotels und Gewerbebetrieben eröffnete: Die Zutrittsberechtigung konnte nunmehr auf einfachste Art und Weise erteilt oder entzogen werden, und zwar durch blosse Änderung des elektronischen Codes. Doch all diese neuen Systeme konnte Meister Fritz Schori bestimmt noch nicht vorausahnen: für ihn galt es zunächst einmal, seine Erfindung in wirtschaftlichen Erfolg für sein Unternehmen umzusetzen. Wohl eines der ersten Serien-Kaba-Schlösser Durchbruch erst nach dem Weltkrieg Dass die Erfindung Fritz Schoris in den dreissiger Jahren wie eine Bombe auf dem Markt eingeschlagen habe, kann man wahrlich nicht sagen. Noch überschwemmten billigere Importschlösser aus dem Ausland den Markt; der Vorsprung der neuen Kaba-Schlösser blieb trotz den höheren Qualitäts- und Sicherheitsstandards lange Zeit ein rein technischer. Ironischerweise kam der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges dem Marktdurchbruch des Systems zu Hilfe: Mit der Umklammerung der Schweiz durch die Achsenmächte ab 1940 versiegte der Import von Schlössern vor allem aus Amerika praktisch völlig. Interessant ist übrigens, wie die weltpolitische Lage noch vor Ausbruch des Weltenbrandes sich auf die Produktewerbung der Bauer AG niederschlug. So lesen wir beispielsweise in Zeitungsinseraten aus dem Jahre 1936 folgende Werbeslogans: «Zum Schutz des Schweizerhauses! Nur ein gutes Türschloss kann dafür in Frage kommen.» Oder: «Alle Schweizerkräfte müssen zusammenhalten! Deshalb bevorzugen Architekten bei ihren Neubauten, die Schlosser- und Schreinermeister für den Abschluss von Türen und als Möbelver- Inseratewerbung fiir das Kaba-System aus dem Jahr 1936: man beachte die politische Komponente! Lohnabbau in Wetzikon Die Stickerei Linsi in Wetzikon und spätere Bauer-Schlossfabrik. schlüsse das neuzeitliche vorzügliche Sicherheitsschloss KABA.» Den eigentlichen Durchbruch seines Systems aber durfte Fritz Schori - er verstarb am 20. September 1945, also unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges - nicht mehr erleben. Die Nachkriegszeit mit der bald einsetzenden Hochkonjunktur brachte einen gewaltigen Bauboom mit sich: denkbar günstige Zeiten für eine Schlossfabrik. Die erhöhte Mobilität der Menschen tat ein übriges, um das KabaSystem in bisher noch nicht erschlossenen Gegenden der Schweiz und des Auslandes bekannt zu machen: Der Siegeszug des Systems war nicht mehr aufzuhalten. Im Herzen ein Arbeiter geblieben Was wissen wir aber heute über den Menschen Fritz Schori? Es ist erstaunlich. wie wenig Material über diesen Tüftler und Erfinder noch vorhanden ist, und selbst die Menschen, welche ihn noch gekannt und mit ihm zusammengearbeitet haben, können nach rund 40 Jahren nurmehr ein unvollständiges Bild über seine Persönlichkeit zeichnen. Die Schlossfabrik nach der ersten Erweiterung 1943 Fritz Otto Schori - wie er mit vollem Namen hiess - wurde am 14. März 1890 in Biel geboren, wo er auch Primarschule und Progymnasium besuchte. Seine Lehre als Präzisionsmechaniker absolvierte er bei einer Firma für Uhrenbestandteile. Fritz Schori gehörte noch zu den Handwerkern, die nach der Lehre auf die Wanderschaft, die «Walz» gingen. Aus dieser Zeit ist nur bekannt, dass er einige Zeit in Genf arbeitete und später nach Biel zurückkehrte, und zwar zur Firma Omega, wo er als Leiter der mechanischen Abteilung bereits seine erste KadersteIle antrat. Um das Jahr 1912 - Schori war also erst 22 Jahre alt - verliess er Biel, um bei der Firma Bucher-Guyer in Niederweningen eine neue Stelle anzutreten (diese Station im Leben Schoris ist allerdings in Quellen nicht gesichert). 1924 wurde Fritz Schori von der Firma Bauer AG an der Nordstrasse in Zürich als «Werkführer» - andere Quellen sprechen von «Meister» - für die Schlossfabrik in Wetzikon engagiert: die ersten Monate verbrachte Schori jedoch zwecks Einarbeitung im Firmensitz in Zürich. Noch vor dem Eintritt in die Firma Bauer hatte Schori geheiratet. Wie hart die dreissiger Jahre auch für die Gemeinde Wetzikon und insbesondere für die Schlossfabrik der Bauer AG waren, belegt ein Brief des Betriebsleiters Fritz Schori an seine Vorgesetzten in Zürich vom 12. August 1936. In dem Schreiben versuchte Schori offensichtlich, die Geschäftsleitung von einem geplanten Lohnabbau bei der Wetziker Belegschaft abzubringen, nachdem schon im Februar 1933 eine Lohnkürzung vorgenommen worden war. Schori schrieb damals wörtlich: «Von den Hilfsarbeitern sind die meisten über 10 Jahre im Betrieb und haben durch Fleiss und Anpassung an die ihnen übergebenen Spezialarbeiten den heutigen Lohn erreicht, d. h. im Februar 1933 ist ihnen der Lohn um 20 Rp. per Stunde gekürzt worden. Wenn Sie nun beabsichtigen, einen allgemeinen Lohnabbau durchzuführen so möchten wir Sie darauf aufmerksam machen, dass das Existenzminium bei einem verheirateten Arbeiter einem Stundenlohn von Fr. 1.15 entspricht. Notstandsarbeiter erhalten in hiesiger Gemeinde einen Std. Lohn von Fr. 1.10. Wir müssen damit rechnen, dass bei einem weiteren Lohnabbau die besten Arbeiter sich bei der Konkurrenz melden. Dies ist uns nach dem letzten Lohnabbau zu Ohren gekommen.» Schori selber blieb von den krisenbedingten Sparmassnahmen der Firma Bauer AG auch nicht verschont. Am 16. Januar 1937 erhielt er nämlich folgenden Brief aus Zürich: «Was Ihre Gratifikation anbelangt, so hätte ich Ihnen und den anderen Herren gerne eine solche offiziell von der Firma zukommen lassen, das Resultat des abgelaufenen Geschäftsjahres ist aber derart schlecht, dass die Möglichkeit dazu leider nicht vorhanden war. Es ist dies ein Grund mehr dafür, dass wir uns alle mit grösstem Eifer daran machen müssen, künftig bessere Verhältnisse zu schaffen und ich erwarte hierfür Ihre volle Unterstützung.» Nur einmal in den Ferien Die Schlossfabrik nach der zweiten Erweiterung 1961. und zwar eine gewisse Liddy Bauer (die Namensgleichheit mit der Familie seines zukünftigen Arbeitgebers ist purer Zufall). Als die Familie Schori im Herbst 1924 nach Wetzikon versetzt wurde, waren die Kinder Fritz und Myrtha schon neun respektive sieben Jahre alt; Tochter Lilly kam erst in Wetzikon im Jahre 1925 zur Welt. Obwohl ihm dieser Titel nie offiziell verliehen wurde, genoss Fritz Schori in Wetzikon das Ansehen eines Direktors. In diversen Zeitungsnotizen - unter anderem auch im «Freisinnigen» - wurde seine Funktion auch mit «Direktor» bezeichnet. Gesichert ist, dass Fritz Schori im August 1941 - also vier Jahre vor seinem Tod und nach I7jährigem Wirken als Chef in Wetzikon - zum Prokuristen befördert wurde; Fritz Schori als leidenschaftlicher Angler - hier während seiner einzigen Ferien am Walensee. einen Direktor kannte die Firma Bauer damals nur am Hauptsitz in Zürich, und zwar ab August 1941 in der Person von Willy Baur. Die Diskrepanz zwischen der grossen Verantwortung, die in Wetzikon auf Schori lastete, und der relativ geringen Stellung in der Firmenhierarchie ist denn auch eine mögliche Erklärung dafür, dass es zwischen Schori und seinen Vorgesetzten in Zürich immer wieder zu Spannungen kam. Die zumeist auf dem Korrespondenzweg geführten Auseinandersetzungen betrafen etwa die Produktion in Wetzikon, Fragen rund um die Belegschaft oder Liefertermine. Aus diesen Briefen ist zu entnehmen, dass Schori durchaus seine Meinung zu vertreten und auch durchzusetzen verstand. Von seiner Tochter Lilly Schmocker-Schori die heute in Biel lebt, wissen wir, dass Fritz Schori ein unermüdlicher Schaffer war, der fast nur für seine Arbeit lebte. Die Familie Schori wohnte damals in der Fabrik an der Chratzstrasse. und hier in Schoris Büro reifte auch die Entwicklung des Kaba-Systems. Schori selbst schreibt in einem Brief: «Die neuen Schlosskonstruktionen, die alle patentjert werden konnten... sind alles Erzeugnisse von mir, die ich bis spät in die Nacht nach der Arbeitszeit schuf. Dass die überaus grosse Freude an meinem Beruf sowie ein gewisser Idealismus mir die Kraft gab, unentwegt so zu arbeiten, sei nur nebenbei bemerkt. Obwohl Schori in Wetzikon «Direktor» genannt wurde, war er im Herzen immer ein Arbeiter geblieben. Er konnte es beispielsweise nicht leiden, wenn man abschätzig von den «Büetzern» sprach. Dementsprechend galt er auch als überaus fortschrittlicher und liberaler Vorgesetzter, gewissermassen als Bindeglied zwischen der Arbeiterschaft und der Geschäftsleitung in Zürich. Dieser Stellung entsprach im übrigen auch sein militärischer Rang: Als Wachtmeister bei den Radfahrern (mit vielen Aktivdiensttagen im Ersten Weltkrieg in Pruntrut) verstand er es wohl, seine Untergebenen zu motivieren und gleichzeitig gegenüber «oben) eine gewisse Selbständigkeit zu bewahren. Fritz Schori hatte in seiner Stellung kaum Freizeit; dementsprechend wissen wir heute wenig über allfällige Hobbys des Erfinders. Der früher aktive Turner, Velorennfahrer und Sänger musste sich als Fabrikchef darauf beschränken, zu Hause mit seiner Familie hin und wieder zu musizieren. Wenn er doch einmal etwas freie Zeit hatte, zog es den Heimweh-Bieler «ein richtiger Bielersee-Bub» an den Pfäffikersee. wo er gerne angelte. Die Anglerleidenschaft war es denn auch, die ihn bewog. ein einziges Mal (!) in die Ferien zu fahren. Seine Tochter Lilly weiss zu berichten, dass ihr Vater das Anglerzeug zusammenpackte, um eine Woche Ferien am Walensee zu verbringen. Fritz Schori sei aber schon nach drei Tagen wieder nach Wetzikon zurückgekehrt, weil er sich gelangweilt habe ohne seine Arbeit. Die ihm arbeitsvertraglich zustehende Ferien- und Freizeit nutzte Schori im übrigen für Vorträge und Weiterbildungsreisen im In- und Ausland. Über Fritz Schoris Krankheit, der er schliesslich am 20. September 1945, erst 55jährig erlag, wissen wir wenig. Obwohl er früh wusste, dass es gesundheitlich nicht gut um ihn stand, und obschon er sich mehrmals in ärztliche Behandlung und sogar ins Spital begeben musste, erfüllte Fritz Schori seine Aufgabe bis zuletzt. Der «Freisinnige» schrieb am 21. September 1945 in einem kurzen Nachruf: «Trotz seiner schweren Krankheit wirkte er bis zum letzten Tag unermüdlich für seine Firma, die mit dem Personal durch den Hinschied des hervorragenden Mannes einen nicht zu ersetzenden Verlust erlitten hat.» Quellen (Text und Bilder): Chronikstube Wetzikon Firmenarchiv der Firma Bauer Holding AG (Zürich) Firmenarchiv der Firma Bauer Kaba AG (Wetzikon) Archiv der Wirtschaftsredaktion des «Zürcher Oberländers» Privatsammlung von Frau Lily Schmokker-Schori (Biel) Unter verdankenswerter Mithilfe von Gottlieb Wenk (Wetzikon) früher Prokurist der Bauer Kaba AG «Unvergesslich» heisst es auf Fritz Schoris Grabstein.