Interview mit Youngho Kim – Welt am Sonntag 19.10

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Interview mit Youngho Kim – Welt am Sonntag 19.10
58 STIL
W E LT A M S O N N TAG N R . 4 2
S
WARENWELT
Wow!
Von kopflos bis schief
gewickelt: Neue
Produkte, die das
Leben besser machen
Ausgewählt von Clark Parkin
Kopflos: Vase
aus der Serie
„Top Girls“ von
Maria Volokhova.
volokhova.com
usanne und Christoph
Botschen sitzen noch beim
Frühstück in ihrem Hotel
in Paris. Die Gründer des
Münchner Designerstores
Theresa und des Onlineshops mytheresa.com
sind für die Modewoche angereist. Es
wird erst mal der letzte Geschäftstrip
nach Paris sein. Sowohl die Boutique als
auch den Onlineshop haben sie für 150
Millionen Euro an den US-Konzern Neiman Marcus Group verkauft, zu dem
auch das Designermodehaus Bergdorf
Goodman in New York gehört. Es ist eine
Zäsur in der Geschichte eines deutschen
Luxusunternehmens, das längst den internationalen Markt erobert hat. Susanne
und Christoph Botschen könnten unterschiedlicher kaum sein. Sie modevernarrt
und dominant im Auftreten. Er der ruhige Zahlenexperte. Die perfekte Ergänzung, wie sie selbst finden.
„Wir sind
eine Ikone“
SUSANNE: Unsere Wege haben sich
schon zum dritten Mal gekreuzt. Vor etwa 15 Jahren war Schulman bei Yves Saint
Laurent für den Vertrieb zuständig. Damals war Tom Ford gerade Chefdesigner
geworden, ein wichtiger Moment. Als das
Label eine Münchner Verkaufsstelle suchte, wollte die Gucci-Gruppe, die heute
Kering heißt und zu der Yves Saint Laurent gehört, es einer Mitstreiterin geben.
Sie führte damals die Münchner GucciBoutique als Franchise-Partnerschaft.
Aber Schulman sah sich Theresa an und
entschied sich, uns das Label zu geben.
Und vor ein paar Jahren, da war er CEO
von Jimmy Choo, wollten wir die Marke
ebenfalls im Onlineshop vertreiben. Auch
das hat geklappt. Es besteht wirklich eine
positive Verbindung zwischen uns.
Mytheresa.com, einer der wichtigsten
Onlineshops für Designermode, hat den
Besitzer gewechselt. Die Gründer Susanne
und Christoph Botschen erklären, warum
Wie wird sich die Einzelhandelsbranche Ihrer Meinung nach entwickeln?
CHRISTOPH: Ich bin der festen Überzeugung, dass Einzelkämpfer wie wir, Familienunternehmen, weniger werden.
Stattdessen werden Onlinestores, große
Monobrand-Boutiquen und vertikale
Ketten dominieren, ob im Luxusbereich
oder im kommerziellen Bereich.
SUSANNE: Ich sehe das nicht so
schwarz. In den Großstädten und an Ferienorten werden Multibrand-Boutiquen
weiterhin florieren.
VON SILVIA IHRING
Perspektivisch: „Plexi
Drawing“ von Alex Hartley.
Schätzpreis bis 3500 Euro, Los
51am 29.10. bei Lempertz.com
Konfrontativ:
„T Square“
Armreif von
Tiffany aus
Weißgold um
4850 Euro,
tiffany.de
Seitenverkehrt: „Vogue Hommes,
Palazzo di Giustizia, Milan“
von Vanessa Beecroft. Schätzpreis
bis 2500 Euro, Los 61,
am 29.10. bei Lempertz.com
Nostalgisch:
Dampflock als Abendtasche,
Entwurf von Pharrell Williams
für Moynat 10.000 Euro,
moynat.com
Götterdämmerung
Fortsetzung von Seite 57
Young-Ho Kim, der sich schon im Alter
von 21 Jahren den fünften Dan im
Taekwondo erkämpfte, hat sich sein ganz
eigenes Yoga zurechtgebastelt. Abwehrstellungen aus dem Kampfsport gehören
ebenso dazu wie dynamische AshtangaÜbungen und die Ausrichtungsprinzipien
des Anusara. Andernorts übliche Guruund Götterbildchen hat er aus dem Studio verbannt. „Was soll ein Affengott
da?“, fragt er. Kein Buddha, nirgends.
Auch das oft obligatorische Om wird bei
ihm nicht gesungen: „Soll erst mal jemand nachweisen, dass das ein Urlaut
ist.“ Zur Begleitung seiner Stunden spielt
er elektronische Musik und Hip-Hop:
„Hauptsache, es macht Freude.“ Ab
nächstem Jahr wird er in seinem Studio
auch Aerial Yoga anbieten, eine Methode,
die mit einem Artistiktuch arbeitet, das
von der Decke hängt. „Ich bin Pragmatiker durch und durch. Ich bin ja fast Maschinenbauingenieur.“ Fast. Kurz vor
dem Diplom brach er sein Studium ab,
um nur noch Yoga zu machen. Bestärkt
hatte ihn Oshos Buch „Mut. Lebe wild
und gefährlich“. Damals war Kim 24. Will
man von dem inzwischen 38-Jährigen
wissen, wer ihn auf seinem Yogaweg beeinflusst habe, antwortet er ausweichend: „Ich halte nichts von Namedropping. Und auch nicht davon, die Asche
der Ahnen anzubeten. Tradition ist gut,
aber man darf ihr nicht blind vertrauen,
wie das in asiatischen Kulturen gelehrt
wird. Ich stelle lieber viele Fragen und
experimentiere.“
Dass er die Webseite „meisterkim.de“
betreibt, liege nur daran, dass Deutsche
seinen Vornamen nur schwer richtig aussprechen könnten. „Das ist keck gemeint
und klingt für mich eher nach Kfz-Meister.“ So wie sich in seiner Definition Guru nicht wirklich nach Guru anhört. „Für
mich ist das einer, der mit Freunden auf
Man könnte sich vorstellen, dass besonders die Ladenmitarbeiter Angst
davor haben, dass die Boutique am
Ende doch geschlossen wird.
SUSANNE: Genau. Aber wir und die
Amerikaner konnten unseren Leuten
glaubhaft vermitteln, dass alles so bleiben wird wie bisher. Am Ende des Tages
hat Neiman Marcus uns gekauft, weil wir
so sind, wie wir sind.
CHRISTOPH: Sie glauben an die Kombination aus On- und Offline. Sie haben das
Besondere an unserem Unternehmen verstanden, und sie werden daran nichts ändern. Genauso wenig, wie sie beim Kauf
von Bergdorf Goodman etwas geändert haben. Bergdorf Goodman ist eine Ikone. Ich
will nicht sagen, dass wir eine Ikone sind ...
SUSANNE: Doch, wir sind eine Ikone.
Zumindest in Europa.
CHRISTOPH: Da sehen Sie den Unterschied zwischen uns (lacht). Der nächste
Schritt ist es, die Internationalisierung
weiter voranzutreiben. Wir sind kein Familienunternehmen mehr, sondern eine
große Firma. Aber wir liegen in professionellen Händen. Neiman Marcus macht allein in Amerika einen Umsatz von 1,1 Milliarden Dollar nur im Onlinebereich.
STEPHANIE FÜSSENICH
Oberschichtig:
Portugieser
Yacht Club
Chronograph
mit kautschukbeschichtetem
Edelstahlgehäuse
von IWC,
12.500 Euro
Was hat sich noch verändert, seit Sie
1987 Theresa eröffnet haben?
CHRISTOPH: Es gab noch nicht diese
riesigen Konzerne wie heute, à la Kering
und LVMH. Dadurch war es für uns viel
leichter, einen Multibrand-Shop von sehr
hoher Qualität aufzubauen. Wenn heute
jemand bei null anfangen würde, mit derselben Mischung an Marken, wie wir sie
haben ... Das ist gar nicht machbar. Sie
bekommen die Sachen einfach nicht.
SUSANNE: Erst mal sind die wichtigen
Städte heute schon mit Geschäften besetzt. Wenn Sie nun doch einen schönen
Laden irgendwo eröffnen und Sie möchten Saint Laurent anbieten, dann verlangt das Label, dass Sie noch andere,
gleichwertige Marken auf dem Floor führen. Das bedeutet, Sie brauchen unglaubliche Budgets und sehr viel Platz.
SUSANNE UND
CHRISTOPH
BOTSCHEN
VON MÜNCHEN IN
DIE MODEWELT
Susanne und Christoph Botschen eröffneten
„Theresa“ 1987 und spezialisierten sich gleich
auf internationale Designermode. 2006 folgte
der Launch des eigenen Onlineshops
mytheresa.com. Nach dem Verkauf werden sie
als Mitglieder des „Advisory Boards“ die Entwicklung des Unternehmens mitbestimmen.
Was glauben Sie, hat den Erfolg Ihrer
Shops ausgemacht?
SUSANNE: Wir haben nie nur nach dem
lokalen Kunden geschaut. Es ging immer
um die Frage, was macht die Mode, was
den Zeitgeist aus? Vor 27 Jahren haben
wir unser Geschäft mit Kleidern von Dolce & Gabbana eröffnet. Damals haben uns
Domenico Dolce und Stefano Gabbana ihre Sachen noch selbst in einer kleinen
Wohnung außerhalb Mailands verkauft.
Mit welchen Gefühlen denken Sie
heute an die Vergangenheit zurück?
SUSANNE: Es war irre schön. Mein
Mann hat die Buchhaltung gemacht, war
quasi seine eigene Sekretärin. Ich habe
nachts ausgezeichnet und tagsüber verkauft. So haben wir unser Unternehmen
„from scratch“ aufgebaut. Mein Mann
hat oft mit mir gehadert, können wir
nicht mal Geld verdienen ...
CHRISTOPH: ... zur Abwechslung mal ...
SUSANNE: ... weil ich immer das gekauft habe, und manchmal auch zu viel,
von dem ich dachte, das sei jetzt richtig.
Nach den 80ern kam die Grunge-Phase.
Das habe ich körperlich gespürt, die
musste ich mitmachen. Aber da brachen
natürlich die Umsätze ein.
men auf einmal Interessenlagen zusammen, mit denen wir vorher nicht gerechnet hatten. Dann überlegt man sich, in
welchem Stadium des Lebens stehen wir
eigentlich? Wir befinden uns auf dem
Höhepunkt. Und wir stehen nicht mit
dem Rücken zur Wand, was sehr wichtig
ist. Wir mussten das alles gar nicht machen. Am Ende haben wir mehr verkauft,
als wir ursprünglich wollten.
SUSANNE: Es wäre vielleicht alles ganz
anders gelaufen, wenn unsere Kinder Interesse für das Geschäft gezeigt hätten. Wir
haben einen Sohn und eine Tochter. Er ist
22 und studiert International Business.
Auch unsere Tochter hat Business studiert
und ihren Master in Marketing gemacht.
Ich glaube, beide Kinder haben ein paar
Gene von uns geerbt und wollen später
lieber ihr eigenes Ding machen.
Kannten Sie eigentlich Joshua Schulman, den Präsidenten von Bergdorf
Goodman und der Neiman Marcus
Group, bereits vor dem Deal?
Grunge war nichts für die Münchner
Hautevolee?
SUSANNE: Es war überhaupt nicht
kommerziell. Dieser Lagen- und Löcherlook, orthopädisch aussehende Schuhe ...
Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob
sich das verkaufen wird. Es war einfach
richtig für meinen Laden.
einer Reise zu einem Ort ist, an dem er sendes Bedürfnis danach erkennen, beim
zuvor schon war und jetzt auch noch zu- Yoga zur Ruhe zu kommen. „Yoga ist
doch kein Spaßfitnesstrend wie Zumba“,
fällig eine Taschenlampe dabeihat.“
Vielleicht sehen sie so aus wie Young- sagen sie – und befeuern mit ihrem
Ho Kim, die neuen Gurus, die Meister des Wunsch nach mehr Tiefe selbst einen
Feelgood-Abenteuer-Yogas, denen stren- neuen Trend. Eine der erfolgreichsten
ge Traditionalisten vorwerfen,
das yogische Erbe zu verjuxen.
Dabei war schon die körperbetonte Variante, die im 20. Jahrhundert aus Indien ihren Weg
in den Westen fand, keine jahrtausendealte Tradition, sondern eine Neuinterpretation.
Historisch lässt sich der Dogmatismus kaum begründen. In
vielen Städten der Welt brummen heute Studios, die von der
Einrichtung her an DesignhoYogalehrer der DFB-Elf:
Yogapragmatiker:
Patrick Broome
Young-Ho Kim
tels erinnern (Betontresen, Regenduschen), in denen es vor
allem um fröhliches, gemeinschaftliches Work-out geht und die stren- Yogabewegungen der vergangenen Jahre
gen Lehrer von einst, die ihre Schüler so- nennt sich Yin Yoga, wobei Yin für das
gar ohrfeigten, längst vergessen sind.
Weibliche steht, für Passivität, für LosZugleich lässt sich gerade unter altge- lassen. Satt yangmäßig vor sich hin zu
dienten Yogis und Yogalehrern ein wach- schuften, halten hierbei Schüler Stellun-
gen lange, bei denen man wenig bis keine
Muskelkraft braucht. Die Dehnung wird
allein durch die Schwerkraft des Körpers
vertieft. Es gibt inzwischen spezielle YinStudios, noch öfter nehmen Lehrer anderer Stilrichtungen Yin-Übungen mit in
ihr Repertoire. Auch Patrick
Broome führt Yin als Einfluss
auf, genauer einen Lehrer namens Biff Mithoefer, der unter anderem Märchen in der
Stunde erzählt: „Im Moment
arbeite ich sehr psychologisch im Unterricht, ich rege die Schüler an, sich selbst
zu beobachten, auch Teile,
die sie sonst nicht beachten,
wie Wut, Verzweiflung.“
Nach einem traditionellen Jivamukti-Work-out, um warm
zu werden, wird bei ihm nun
ausführlich nachgespürt.
„Die Fixierung auf den Körper, die wir
noch häufig im Yoga finden, die bringt einen nicht tiefer“, sagt Broome. „Vom
Körper brauchen wir uns nicht befreien,
nur vom Verstand, der uns immer in die
Vergangenheit oder die Zukunft führt,
den können wir in Bewusstheit umwandeln, die uns auf das Jetzt fokussiert.“
Hier und jetzt kann einem auffallen,
dass das Patrick Broome Yogastudio
München genauso heißt. Entgegen yogischen Prinzipien wird missgünstig in der
Yogawelt getratscht, seine Jivamukti-Abkehr sei doch nur eine spektakuläre
Selbstmarketingaktion. Broome beteuert
allerdings, er werde jetzt nicht versuchen, sich als Marke zu verkaufen: „Ich
werde ganz sicher keine Patrick-BroomeYogamethode begründen.“ Auszahlen
würde es sich vielleicht. Zur allerletzten
Jivamukti-Fortbildung mit ihm reisten
vergangenes Wochenende eigens Schüler
aus Paris und Sydney nach Berlin.
Vielleicht ist nach dem Guru einfach
nur vor dem Guru. In der Jivamukti-Bibel mit dem Titel „Yoga der Befreiung“
(und einem Vorwort von Anhänger
Sting) steht die Weisheit eines indischen
Gurus, der einem Schüler dessen drei
Aufgaben erklärt. „Die erste war es, mich
zu finden. Die zweite, mich zu lieben. Die
dritte, mich zu verlassen.“
Wie ist der Deal überhaupt zustande
gekommen? Wussten Sie von vornherein, dass Sie das Unternehmen mit
der Boutique verkaufen würden?
SUSANNE: Erst mal ist diese Entscheidung nur im Hinblick auf das Online-Geschäft gereift. Eben weil Mytheresa.com
komplett aus dieser Familienstruktur herausgewachsen war.
CHRISTOPH: Seit 2010 hatten wir bereits einen Finanzinvestor aus München.
Das sind immer Ehen auf Zeit, und so
zeichnete sich langsam ab, dass es da einen Wechsel geben würde. Wir sind
dann in den Markt gegangen, und da ka-
Sind Sie traurig über die Entscheidung Ihrer Kinder?
SUSANNE: Beide haben früh signalisiert,
dass sie nicht in die Branche wollen. Und
um diesen Job zu machen, braucht man
einfach die Passion für die Mode.
INSIDEYOGA.DE
Schief gewickelt:
asymmetrischer
Trenchcoat von Lahssan
um 770 Euro bei
net-a-porter.com
WELT AM SONNTAG: Der Verkauf
Ihrer Unternehmen an die Neiman
Marcus Group kam ziemlich überraschend und hat für Wirbel auch in
der internationalen Modebranche gesorgt. Wie haben Sie sich nach der
Entscheidung gefühlt?
SUSANNE: Das war bei uns beiden unterschiedlich. Unser Unternehmen ist unser Lebenswerk. Wir sind zwar glücklich
und, ich muss sagen, auch stolz, vor allem
auf den Käufer. Aber irgendwie hat es sich
für mich mehr wie mein Baby angefühlt,
weil ich diese Passion für Mode habe. Für
mich war es ehrlich gesagt nicht einfach.
CHRISTOPH: Mir fiel es leichter. Aber
was mir wichtig war, ist, dass beide Unternehmen bestehen bleiben. Der Store
in München und der Onlineshop. Sie
werden in die Zukunft geführt, mit den
Mitarbeitern, mit denen wir jahrelang
zusammengearbeitet haben.
REBECCA RANDAK
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