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Vorläufiges Buchmanuskript „Der Himmel stand still“ - Geschichten über das Ertrinken Das Buch des Bremers Rolf Lüke (Herausgeber) beschreibt Entstehungsgeschichten, Ursachen, auch sehr persönliche Erfahrungen und Folgen aus tödlichen und nicht tödlichen Ertrinkungsunfällen. Es sind Protokolle der Hilflosigkeit und der Verzweiflung, aber auch der Menschlichkeit und der Hoffnung. Etwa dann, wenn sich Betroffene engagieren, wenn sie die Verantwortlichen in die Pflicht nehmen, auch um den Tragödien einen Sinn zu geben. Ergänzt werden die Geschichten durch Tipps von A bis Z für einen sicheren Badeurlaub in Europa. Im Teil 2 (nicht enthalten) weist der Autor nach, dass mit realisierbaren Maßnahmen eine Reduzierung der Ertrinkungszahlen in Europa um mindestens 30 Prozent machbar ist. Statistisch gesehen ertrinken in Europa jeden Tag 100 Menschen. Allein in Deutschland gibt es jährlich zwischen 400 und 600 tödliche Ertrinkungsunfälle. Bei Kindern ist Ertrinken nach Verkehrsunfällen die zweithäufigste unfallbedingte Todesursache. Bei Erwachsenen über 50 Jahre steigt die Zahl der Opfer seit einigen Jahren kontinuierlich an. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es weltweit pro Jahr ungefähr 400.000 Menschen, die im Wasser ums Leben kommen. Achtzig Prozent aller Badeunfälle im Meer, in Seen, Flüssen, Schwimmbecken und Teichen könnten durch bessere präventive Maßnahmen verhindert werden. Rolf Lüke ist Strandsicherheitsexperte, Gründer der Organisation Blausand.de und des Webportals www.blausand.de für Reisen, Freizeit und Badesicherheit in Europa. Seine Schwester ertrank 1999 in Spanien. Der Autor hat 600 Strandabschnitte in Europa untersucht und bewertet, hält Vorträge zur Sicherheit im Badeurlaub und führt Risikobewertungen sowie Unfallanalysen durch. Er verfügt über eine 40jährige Berufserfahrung, unter anderem als Marketing- und Touristikexperte, Geschäftsführer des Bundesverbandes Verwaiste Eltern in Deutschland und als Unternehmensberater für Non ProfitOrganisationen. Blausand.de gibt den monatlichen „Newsletter gegen das Ertrinken“ heraus. Der Autor hat in Zeitungs-, Fernseh- und Radioberichten (Stern, Focus, taz, Die Zeit, Planetopia, Talkshow im NDR, Markus Lanz im ZDF) als Autor und Gesprächspartner für Badesicherheit mitgewirkt und im Mai 2008 die Foto-Installation 100EACHDAY mit einhundert blau eingefärbten Urlaubern als Metapher für einhundert Ertrinkungsopfer pro Tag in Europa durchgeführt. 2009 wurde Rolf Lüke für den Bremer Bürgerpreis nominiert. Ab 2010 verleiht Blausand.de jährlich die Awards für die „Strände des Jahres“ in Deutschland. Weil Rip-Strömungen (Rip Currents) für die meisten Badeunfälle im Meer ursächlich sind, sollen die Erkenntnisse des International Rip Current Symposiums, das Mitte Februar 2010 in Miami (USA) stattfinden wird, für dieses Buch im Teil 2 Berücksichtigung finden. Geplant ist die endgültige redaktionelle Fertigstellung im März 2010. Vorläufiges Manuskript zum Buch „Der Himmel stand still – Menschen berichten über das Ertrinken“ Autor: Rolf Lüke | Werderstr. 39/41 | 28199 Bremen | Mobil 0172/4003073 Mail: [email protected] | Web: www.blausand.de, www.beachsafety.eu 1 TRAUER Rolf Lüke: Der Himmel stand still Seite 4 Diane Unkert: Unser kleiner Stephan, für immer schlafend Seite 14 Susanne Frerix: Nach einer halben Stunde konnte er nicht mehr Seite 17 Ulla Suck: Erinnerung und ein Stück Menschlichkeit Seite 18 Brigitte Flanagan: Strandtag Seite 20 Evelyn Wagner: Eiseskälte Seite 24 Özkan Arslan: Narbe in der Seele Seite 28 Elisabeth Seitz: Chiamo il soccorso 113 Seite 34 Andrea Goebel: Ungleicher Kampf Seite 36 Hans-Jürgen Christ: Er hatte noch so viel vor Seite 41 Wolfgang und Ingrid Scheffelmeier: Nein, das ist ein Irrtum. Nicht Sammy Seite 49 Ronald Schmid: Vom traurigen Umgang mit der Trauer Seite 55 Kathrin Böhler: Otto, der Schneeleopard Seite 59 Tipps von „Ärzte“ bis „Baywatch“ Seite 68 ÄNGSTE Johannes Schultz: Aus, dachte ich, gleich ist es aus Seite 75 Antje Wiederhold: Im Meer mag ich nicht mehr schwimmen Seite 78 Klaus Schäfer: Playa Muerte Seite 79 Tipps von „Begrüßungstreffs“ bis „Erste Hilfe-Kurse“ Seite 81 GEFAHREN Eva Schabedoth: Never trust the sea Seite 89 Heinz Kirchner: Schutzengel Seite 90 Thomas Birker: Ein müdes Danke. Das war´s Seite 91 Wilfried Wittstruck: All inclusive!? Seite 92 Jo-Ann Hüls: Zweiter Geburtstag Seite 93 Tipps von „Ersthelfer“ bis „Griechenland“ Seite 95 AUGENZEUGEN Ines Heckmann: Toller Hecht Seite 99 Guido: Alles falsch gemacht Seite 101 Karlheinz Schmitt: Kaum einer rettet dich Seite 102 Stefan Bauer: Sinnlose Tragödie Seite 104 Claudia Stellmacher: Wir haben unser ganzes Leben miteinander verbracht Seite 105 Tipps von „Grüne Flagge“ bis „No risk, no fun“ Seite 109 GESCHENKTE LEBEN Karl-Heinz Fucker: nie erfahren, wer sie waren Seite 115 Norbert Mertens: Nessi Seite 116 Jürgen Kosian: Wasserwand Seite 118 Tipps von „Notruf“ bis „Schwimmflügel“ Seite 122 HOFFNUNG Jochen Börner: Alles, was bleibt… Seite 128 Claudia Neumann: Lebenslänglich Seite 133 Hans Heinrich Tietje: Der schönste Sommer meines Lebens Seite 135 Tipps von „Senioren“ bis „Zehn Irrtümer“ Seite 137 Pressestimmen zu Rolf Lüke Seite 146 Autoren Seite 147 2 Bildnachweise: Coverdesign: Ulli Muhl. Foto mit Genehmigung der Associacao para a Promocao de Securanca Infantil, Portugal Seite 1 Aktion „100EACHDAY“ der Organisation Blausand.de mit einhundert blau eingefärbten Menschen, die 2008 am Platja Migjorn (Formentera, Spanien) gegen 100 Ertrinkungsopfer pro Tag in Europa demonstrieren. Foto: Martin Herrmann Seite 1 „Blue Beach Session“, Bodypainting gegen das Ertrinken, Platja Illetas, Formentera, Spanien, 2005. Bodypainterin: Michaela Zeng, Foto: Ulli Muhl Seite 6 „Sonne für Beate“, Platja Migjorn, Formentera. Spanien. Objekt: Max Bernhardt, Jan Jagersma. Foto: Raphael Böckenholt Seite 12 „Liebe Lisa“ von Verena, 8 Jahre alt Seite 65 Familie Kosian. Foto: Hamburger Abendblatt Seite 118 „Serie Schwimmer“ von Andreas Krohm, der in Brühl (Rheinland) lebte und im Oktober 2008 bei einem Badeunfall in der Türkei ertrank. Kunst und Kultur an Rhein und Erft, Brühl, www.einfachblau.de Seite 146 Die Rechte der weiteren Bilder liegen beim Herausgeber und bei den Autoren. Webseiten der Autoren: www.blausand.de www.hilfe-bei-reiseunfaellen.de www.lariada.de www.widesky.de www.lichtblickverein.de www.ronald-schmid.de 3 Rolf Lüke Der Himmel stand still Dieses verdammte Meer. Es lockt und verschlingt. Aber es kann nicht anders. Sein Wasser will permanent wieder zurück. 150 Meter Richtung Meer wird es am Wegfließen gehindert. Sandbänke, Buhnen und Felsen verkleinern den Aktionsraum für das bewegende Chaos. Über Wasser sorgen Wellen für Spaßfaktoren. Unten für unkalkulierbares Risiko. Wenn es dann zerstört, weint der Himmel. Das Meer, das meine Schwester Beate aus Hamburg und Corinna aus Hannover ertrinken ließ und das Leben ihrer Familien und Freunde schlagartig und für alle Zeiten veränderte, liegt zwei bis drei Flugstunden, eine Schiffsstunde und dreißig Fahrradminuten von zu Hause entfernt. Bis Algerien, steht auf einem hölzernen Wegweiser, sind es 139 nautische Meilen übers Meer. Die Schiffsstunde über das Meer zwischen Ibiza und Formentera kann auch doppelt so lange dauern, wenn das Wasser wütetet und die Seelenverkäufer mit den Namen Joven Dolores und Illa Formentera die schmale Schiffsroute zwischen den engen Felsformationen im Freo, das ist die kurze und kritische Teilstrecke zwischen den beiden Inseln, unbedingt meiden sollten und sich erst später an die Insel heranpirschen können. Danach sind die meisten von ihnen, besonders die Urlauber, grün und weiß im Gesicht. Aber erst mal ist alles wieder in Ordnung. Richtig passiert ist hier zwischen beiden Inseln noch nie was. Insulaner und Urlauber haben ein Schiff um sich herum und einen mit allen Meereswassern gewaschenen Schiffsführer an Bord. Das Meer rund um die Insel Formentera ist der wichtigste Teil eines Urlaubstraums. Insulaner und Besucher haben Superlative wie Karibik im Mittelmeer und El Último Paraiso erfunden, um das kleine Eiland zu würdigen. Und erstmal die Strände. Die Insel hat sie nach den wohlklingenden Inselwinden benannt. Migjorn, Tramuntana, Levante. Der Strand. an dem das Unglück am 18. September um kurz vor vier am Nachmittag passiert, heißt Platja Migjorn. Das Meer ist der Platz für Schönheit, Faszination, Erholung, Bewegung, Spaß. Und Verzweiflung. Wenn das Meer mit uns gnadenlos und zerstörerisch umgeht, wenn aus einem Urlaubstraum ein blanker Alptraum wird. Wenn es sich Urlauber schnappt, die dem Meer nie was getan haben. Sie trotzdem mit aller Kraft vereinnahmt, erst in Angst und dann in Panik versetzt, ihnen ihre Kräfte raubt, sie hinauszieht und zum Schluss auch noch am Atmen und Schreien hindert. 4 Der schöne Name des Windes Das alles geschieht manchmal zur selben Zeit am selben Strand. Als Beate und Corinna ertrunken waren und ihre geborgenen Körper noch lange am Wasser liegen mussten, solange, bis der Friedensrichter sie für den Transport in die Friedhofskapelle freigegeben hatte, bevor sie mit dem Schiff nach Ibiza gebracht wurden, schwimmen andere Urlauber im Wasser mit dem schönen Namen des Windes. Für 190 spanische Peseten verkauft Lothar, wenn die deutschen Urlauber auf der Insel sind, seine Formentera-Zeitung. Alles steht drin, was zu einer guten Ferien- und Inselzeitung gehört. Deshalb hat Lothar mit Dr. Luis Martin Soledad, den Inselarzt, der Insulaner und Feriengäste seit den siebziger Jahren medizinisch versorgt, die wöchentliche Inselkolumne Gesund im Urlaub vereinbart. Insektenstiche. Quallen. Durchfall. Seekrankheit. Sonnenbrand. Ertrinken. Mit Ertrunkenen hat Dr. Luis oft zu tun. In diesem Jahr sind es schon fünf Urlauber. Fast alle ertranken sie an derselben Stelle. Am 11. September ist die Saison eigentlich schon fast zu Ende, als der Arzt in der FormenteraZeitung über das Thema Beatmung schreibt: "Wenn Ihre Bemühungen erfolgreich sind", schreibt Dr. Luis, "wird der Halbertrunkene bald wieder zu Bewusstsein kommen. Später kann ihn ein Arzt mit Sauerstoff und Medikamenten versorgen". Über dem Artikel in Lothars Inselzeitung steht die Überschrift: "Sie können gut schwimmen, aber weiß das Meer das auch?" Mit Meer meint Dr. Luis eigentlich den Strand am Es Arenals an der Platja Migjorn. Diese Stelle ist die Inselbucht mit den meisten Opfern. Genau genommen ist es der gefährlichste Strand der Balearen. Nicht nur wegen seiner unsichtbaren morphologischen Bedingungen unter Wasser. Auch wegen einiger Inselfreaks, die "ihr" Paradies nur ungern durch socorristas bewacht sehen möchten. Auch wegen der vielen Angehörigen, die still leiden. Deren Trauer und Verzweiflung die Inselverwaltung nur selten erreichen. Weil keiner Druck macht, gibt es hier keine Bewachung. Nicht einmal Rettungsringe, keine Notruftelefone. Warnung vor den Piraten Bei auflandigem Südwind hängt manchmal eine kleine rote Warnflagge unterhalb der Piratenflagge am Piratabus. Viele Urlauber sind der festen Überzeugung, die Flagge sei gewissermaßen eine Warnung vor den Piraten, nicht vor den Strömungen. Beate hat Mitte September nur kurze Zeit frei. Sie arbeitet am Hamburger Flughafen, hat gerade ihr 25-jähriges Lufthansa-Dienstjubiläum gefeiert. Ein Freiflug auf dem weltweiten Streckennetz als Dank für ein Vierteljahrhundert Firmentreue ist ihr nicht sonderlich wichtig. Ihre Rennstrecke Hamburg - Ibiza - Formentera umso mehr. Flieger, Taxi, Schiff, Taxi, Flieger. Selten für eine Woche. Oft nur für 3 Tage. Es ist auch schon vorgekommen, dass Beate bis zum Mittag Dienst hat und am nächsten Tag um 5 14 Uhr wieder zur Arbeit erscheint. Zwischenzeitlich war sie in Spanien, auf den Balearen. Auf Formentera. Am 17. September will sie wieder hin, am 19. zurückfliegen und ein Seminar in Seeheim Nähe Frankfurt besuchen. Der Flughafen Ibiza hat keine Schließfächer und keine Gepäckaufbewahrung. Ihre Reisetasche, die sie für das Seminar benötigt, lässt sie am Condor Schalter. Am frühen Nachmittag kommt Beate auf der Insel an, fährt sie weiter zum Hostal Es Arenals, wo sie die wenigen Stunden bleiben will. Den frühen Abend verbringt sie in einem kleinen versteckten Kiosk, im El Pelayo im westlichen Teil der Platja Migjorn am Es Mal Pas, fährt später in die Fonda Pepe, wo ich sie treffe, als ich mit Uwe, Ulli, Schoppi und anderen Freunden am großen Tisch im Restaurant links hinter dem Tresen sitze. Wir verabreden uns für den nächsten Tag. So, wie man sich im Urlaub nachts eben verabredet. An der Platja Migjorn. Am Es Arenals. Irgendwann am Nachmittag. Wahrscheinlich am Piratabus. Bei Kilometer 11 kommen Inselbesucher über steinige unbefestigte Sandwege zum kleinen Parkplatz direkt am Strand, hinter dem der Piratabus steht. In den siebziger Jahren, als Hippies und Pink Floyd, Dylan, King Crimson und Chris Rea die Insel besuchen, gründet Pascual seine Bar in einem alten Bus. Im November 1983 schaltet sich die Inselverwaltung ein, der Bus muss verschwinden und wird durch eine Holzbude ersetzt. Ende der achtziger Jahre kommt Pascual mit Edith aus Deutschland zusammen, die mit in die Strandbar einsteigt. Seitdem ertrinken in jeder Saison Urlauber auch vor den Augen von Edith und Pascual. Auch Gäste vom Piratabus. Einer von uns würde hier nie schwimmen Antonio kümmert sich an diesem Septembertag um Strandliegen und Sonnenschirme am Es Arenals. Der Insulaner hat viele Ertrinkungsunfälle hautnah miterleben müssen. Besonders dann, wenn der Wind auflandig in Richtung Strand bläst, versucht er, die bekloppten Touristen, so nennt er die Unverbesserlichen hinter vorgehaltener Hand, vor den Strömungen zu warnen. Dann wirbelt mit seinen Armen durch die Luft. "Die Leute sind verrückt und leichtsinnig", sagt Antonio, "wenn mehr als einer ins Wasser geht, kommen zehn andere hinterher. Einer von uns würde hier nie schwimmen." Der 18. September ist einer dieser Tage mit auflandigem Wind. Als Edith und Pascual gegen Mittag zum Parkplatz kommen, sehen sie das gefährliche Wasser. So wie die Wellen ans Ufer rollen, laden sie geradezu dazu ein, im Meer zu schwimmen. Edith und Pascual wissen es besser. Sie hissen unterhalb ihrer Piratenflagge ihre kleine rote Warnflagge. In der Hoffnung, dass die Bedeutung ihren Gästen klar ist. Dies ist aber nur selten 6 so, weiß Edith. Immer wieder wird sie gefragt, was die rote Flagge an dieser Stelle bedeuten soll. Kurz nach zwei sitzen Nicole und Bettina am Piratabus. Edith sagt ihnen, wie gefährlich das Baden heute ist. 9.9.99. Das magische Datum Corinna und Björn wohnen in Garbsen bei Hannover. Der 9.9.99 ist für sie mehr als ein magisches Datum. Es wird der schönste Tag ihres Lebens. Sie heiraten, tragen sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Ihre Hochzeitsreise geht vier Tage später nach Ibiza. "Ein kleiner Ausflug", sagt der Reiseleiter zum Hochzeitspaar, "würde euren Urlaub abrunden. Am besten fahrt Ihr an den schönsten Strand der Balearen. Zum Es Arenals." Am 18. September fährt das junge Paar von Ibiza nach Formentera. Kurz nach drei am Nachmittag springen sie ins Wasser. Nur wenige Meter vom Ufer entfernt werden sie von den hohen Wellen umgeworfen, Corinna und Björn sind seit neun Tagen verheiratet. Sie genießen das Leben in den sich laut brechenden Wellen. Corinna ist eine gute Sportlerin, Rettungsschwimmerin. Weil September auf Formentera als Monat der Individualisten gilt, ist die Platja Mitjorn unterhalb vom Restaurant Flipper und vom Hostal Es Arenals gut besucht. Das Wasser ist 23 Grad warm. Das einzig Herbstliche ist, dass die Sonne früher untergeht. In drei Monaten ist Weihnachten, denke ich. In der Bucht baden jetzt fünfzig Kinder und Erwachsene. Die meisten davon vorn im flachen Wasser. Es Arenals an der Südküste Formenteras ist ein paradiesischer Strandabschnitt mit Buhnen, einer vorgelagerten Sandbank, schönen Felsen und mit häufigen auflandigen Winden. Der Wind bringt die Wassermassen auf den Strand, die beim Zurückfließen ins Meer von den "Schikanen", von Felsen und Buhnen abgelenkt werden und sich auf kleinstem Raum ihre Wege suchen. Ihre unsichtbare Energie entwickeln. Bis 150 Meter vor dem Strand, hier fließen die Massen dann wieder zurück und entwickeln ihr eigenes Chaos. Unerkannt von den arglosen Urlaubern. Manchmal als todbringende Naturgewalt. Dass der Wind schon in den Tagen davor auf Süd gedreht hat und dadurch starke Rückströmungen entstehen, wissen die Urlauber nicht. Manche wollen sie es auch gar nicht wissen. Fast zeitgleich werden Corinna und Björn die Beine weggezogen. Beide verschwinden unter den hohen Wellen und werden fünfzig Meter weit hinaus gerissen. Manchmal kommen sie nach oben. Jetzt mischen sich in die Geräusche der sich brechenden Wellen die Schreie von Corinna. Manuela sitzt mit ihrem Mann Vicente auf der Terrasse der Flipper-Bar. Es ist Samstag. Wochenende. Sie sind zum Paellaessen eingeladen. Auch Manuela, seit 1992 arbeitet sie als Reiseleiterin auf Formentera, wird immer wieder mit dem Thema Ertrinken konfrontiert, obwohl sie in den Willkommensgesprächen regelmäßig auf 7 Strömungen und Bedeutung von Flaggen hinweist. Schon in Manuelas erster Saison geht ein Urlauber, armamputiert, schwimmen und gerät in eine der gefürchteten Strömungen. Seine Frau versucht, ihn zu retten. Beide ertrinken. Nie wird Manuela den Tag vergessen, an dem sie die Sachen des ertrunkenen Ehepaares, das später die letzte Reise ohne Begleitung antreten muss, zusammengepackt hat. Ausweise, Kleidungsstücke, Bücher, Zahnbürsten. Schmerzhaft fühlend, dass alles dies nie wieder gebraucht werden würde. Zwei Jahre später muss sie zusammen mit ihrer italienischen Kollegin die herzzerreißenden Tränen eines 10-jährigen Jungen miterleben, dessen Vater beim Versuch, ihn, seinen Sohn, zu retten, ertrinkt. Im selben Jahr stirbt ein Kleinkind in einem Hotelpool der Insel, im gleichen Alter wie Manuelas Tochter. Die Eltern sitzen auf der Terrasse der Poolbar und entdecken ihr Kind erst, nachdem es still direkt neben ihnen untergegangen ist. Geckos und Amsterdam Das Alarm- und Rettungssystem auf Ibizas kleiner Schwester Formentera ist nicht gerade unkompliziert. Die Alarmrufe unter 112 werden für alle Baleareninseln zentral nach Palma auf Mallorca weitergeschaltet. Und die nicht immer reibungslos funktionierende Mehrsprachigkeit ist nicht selten mit Zeitverzögerungen verbunden. Die Disponenten von "UnoUnoDos" fragen nach dem Standort, der bei Hunderten von Balearenstränden nicht immer eindeutig ist, informieren die Rettungsstelle auf einer der vier Baleareninseln. Und im Bedarfsfall auf Formentera oder Ibiza einen Helikopter, dessen Standort Ibiza ist und der zwischen 6 und 10 Minuten zum Arenals-Strand auf Formentera braucht. Für Irritationen und deshalb nicht selten auch für Verzögerungen sorgen gleich zwei Telefonnummern für Notfälle. 112 und 061. Beate genießt die wenigen Stunden, die ihr am Strand bleiben. Sie liegt auf ihrem mit Geckos verzierten blauen Strandtuch. Vor ein paar Tagen ist Amsterdam, der neue Roman von Ian McEwan, auf Deutsch erschienen. Eine Freundin, Buchhändlerin, hatte Beate das Buch mit auf die Insel gegeben. Trotz der lauten Wellen hört sie die panischen Schreie aus dem Meer. Langsam legt Beate ihr Lesezeichen, ein abgerissenes Stück aus einer Packung After Eight, in ihr Taschenbuch. Ohne ein einziges Wort zu sagen, geht sie in Richtung Wasser, läuft in die Wellen hinein. Keiner hindert Beate daran. Sie wird hinausgetragen, kommt nicht gegen die Strömung an, kann nicht mehr zurückkommen. Beate kann auch nicht kontrolliert zu Corinna schwimmen. Sie wird Spielball derselben Wasserbewegungen, mit denen Corinna, die jetzt vielleicht noch fünf oder zehn Meter von ihr entfernt ist, gleichzeitig kämpft. Ein einziges Mal, sagt später eine Augenzeugin, sind Beates blonde Haare noch zu sehen. Dr. Luis hat an diesem Sonnabend Wochenenddienst und wird um kurz nach 15 Uhr alarmiert. Der Inselarzt befindet sich im Centre Salud, einer kleinen Krankenstation zwischen den Inselorten San Francisco und La Sabina. Bis zur Unfallstelle am Strand fahren der Arzt und sein Assistent mit heulender Sirene. Sie brauchen genau 7 Minuten. Corinna liegt am Strand, direkt zwischen dem Restaurante Es Arenals und dem Meer. Dr. Luis kommt schnell zu der Erkenntnis, dass seine Hilfe zu spät kommt. Corinna ist tot. 8 In diesem Augenblick erreicht ihn die Nachricht, dass fünfzig Meter entfernt in Richtung Piratabus eine zweite Frau liegt. Ich gehe vom Piratabus in Richtung Restaurant Es Arenals. Nach zweihundert Metern hinter einem kleinen Felsen an der Flipper-Bar erkenne ich die Bucht vor dem Restaurante Es Arenals und vielleicht hundert Menschen. Hier aus der Entfernung sieht es so aus, als wenn alle regungslos am Strand stehen. Ich zögere. Bin für einen Augenblick unfähig, weiterzugehen und mein Herz schnürt sich ein. In diesem Moment läuft Tilman auf mich zu und zeigt schräg hinter sich auf das Meer: "Beate ist da draußen". Da draußen? Beate??? Intuitiv renne ich zum Piratabus zurück, sehe Nicole und Bettina. „Da draussen…“, sage ich beunruhigt und schon leicht verzweifelt. Nicole Bettina und ich laufen am Restaurant Flipper vorbei und erreichen eine Person am Strand, die zwischen schreienden Menschen liegt. Ein Fünkchen Hoffnung Warum ich ahne, dass da gerade eine Katastrophe passiert, mit der ich zu tun haben werde, weiß ich bis heute nicht. Als ich mich dieser Person nähere, wird mir mit jedem Meter klarer, dass dies mich sogar direkt betrifft, dass das alles mit Urlaub nichts mehr zu tun haben würde, das da etwas Schlimmes passiert ist oder passieren wird. Noch Jahre später fragt ich mich immer wieder: Wieso hast du das nicht nur geahnt, wieso hast du das gewusst? Gewusst! Es hätte hunderte Andere betreffen können, wieso deine Schwester, wieso dich? Aber Beate liegt nicht regungslos da, sie bewegt sich! Ihr Brustkorb bewegt sich. Eine Frau sitzt am Kopfende von Beate und versucht, sie mit Mund-zu-Mund-Beatmung zu reanimieren. Ich nähere mich mit lähmendem Entsetzen. Und dem Gefühl: MACH WAS. IRGENDWAS. In dem Moment kommt der Arzt, zusammen mit einem Helfer, der Sauerstoff und Adrenalin aus dem Koffer reißt, während Dr. Luis mit der Herzdruckmassage beginnt. Jetzt, so kommt es mir für eine Sekunde in den Sinn, ist alles getan. Wiederbelebung, Medikamente. Das nährt ein Fünkchen Hoffnung. Beate bewegt sich. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich. Ich knie am einzigen freien Platz rund um den Körper meiner Schwester, an Beates Füssen und halte sie fest. Jetzt habe ich wieder eine lebendige Verbindung zu ihr. Einmal, nach zwei oder fünf Minuten, keiner weiß es, schließe ich, während ich leise und stille Gebete zum Himmel schicke, die Augen und stoße meinen Kopf auf den Sand neben Beate. Um den völlig hilflosen Versuch zu machen, endlich wieder mit der Erde in Verbindung zu kommen. Warum Beate, was hat sie getan, warum ich, warum so urplötzlich, warum jetzt, warum diese Zumutung, lieber Gott im Himmel. Und ich sitze hier im Paradies, das bis jetzt eines war. Kann nichts tun, kann nur beten. Den Kopf in den Sand stecken? Die Assoziation, die durch mein Gehirn rast, ist kaum zu ertragen. Den Arzt fragen, wage ich nicht. Nicht jetzt. Ich will Dr. Luis nicht ablenken. Den Helfer fragen, das will ich auch nicht. Vielleicht weiß der gar nicht, wie es um Beate steht. 9 Und wenn Beate schon tot oder nicht mehr zu retten ist: Will ich es jetzt wissen? Nein. Weil spätestens dann der böse Traum zur grausamen Realität werden kann. Und wenn das Leben durch den Tod wirklich so radikal belastet werden muss, dann, bitte lieber Gott, lass uns wenigstens etwas Zeit. Irgendwann sind die chaotischen Gedanken und Gefühle zwischen Hoffnung, Panik und von Minute zu Minute stärker aufkeimender realer Verzweiflung nicht mehr auszuhalten, so dass ich den Helfer, der ja direkt neben mir kniet, jetzt doch leise frage, was los ist. Kurz nachdem ich das Gesicht meiner Schwester gesehen habe. Beate sieht nicht lebendig aus. Beim kurzen Blickkontakt mit dem Helfer packt mich erneut die nackte Angst. Erfahrung, um diese unwirklichen Geschehnisse einzuordnen, habe ich nicht. Außer meinem Vater, fast zwanzig Jahre ist das her, und meinem Bruder, der fast auf den Tag genau vor fünf Jahren starb, habe ich nie einen sterbenden oder toten Menschen gesehen. Auch nicht nach einem Verkehrsunfall. Auch nicht einen Ertrunkenen. Carolin und Torsten sitzen mit ihren Söhnen Moritz und Niklas, 5 und 3 Jahre alt, im Restaurant Flipper. Moritz und Niklas sind Nichtschwimmer, die nur mit Schwimmflügeln ins Wasser kommen. Heute aber besser nicht, denkt Carolin, die andere Schwimmer direkt vor sich sieht. Wie kann ein Mensch, denkt sie sich, bei diesem Wetter überhaupt baden gehen. Als sie nach links sieht, registriert sie eine Traube von Menschen am Strand. I n den darauf folgenden Minuten überschlagen sich die Informationen. Da drüben ist eine Frau ertrunken, sagen vorbeigehende Urlauber. Zwei Frauen sind tot, heißt es. Andere sind sich sicher, dass gerade vier Menschen im Meer gestorben sind. Die ganze Wahrheit Wie lange der Kampf um Beates Leben jetzt schon dauert, dafür habe ich kein Gefühl. Im Zeitraffer entstehen lebendige Bilder aus dem Leben meiner Schwester. Beate in ihrem und meinem geliebten Hamburg an der Elbe, in Verona, Aida, in der Arena, in Australien, Beate mit Max, ihrem Sohn, Beate am Gleitschirm, beim Segelfliegen, Beate auf Formentera, in der Fonda Pepe, bei Felix, bei Yvonne, in der Casa de suenós. Zu dieser geballten Lebendigkeit im Zeitraffer passt alles außer Sterben. Nach vielleicht einer halben Stunde steht der Arzt auf. Weil ich immer noch am Boden sitze, habe ich die horizontale Handbewegung des Arztes, von der Bettina später berichten wird, nicht wahrgenommen. Der Helfer stellt an einer der beiden Seiten von Beate eine Strandliege als Sichtschutz auf und deckt sie mit einem Tuch ab. Dann bittet Dr. Luis mich zu einer anderen Strandliege direkt neben Beate und misst meinen, ausgerechnet meinen Blutdruck, von dem ich nicht erfahren werde, ob dieser bedrohlich war. Wahrscheinlich hat der Inselarzt nur gemessen, weil er überhaupt etwas tun wollte. Obwohl ich eine stark eingeschränkte Wahrnehmung der Geschehnisse um mich herum habe, erreichen mich von irgendwo her die Fragen von Dr. Luis. 10 Ob Beate verheiratet war, ob sie Kinder hatte, ob die Eltern noch leben. Ja, antworte ich mechanisch in der Gegenwartsform. Sie ist verheiratet. Hat einen Sohn. Max. Mutter lebt. Allein. Ist 77 Jahre alt. Manuela und Vicente sehen die Menschentraube links unter ihrem Tisch in der Flipper-Bar und erfahren, dass zwei Personen im Wasser um ihr Leben kämpfen. Jetzt fordert eine Stimme endlich die Schwimmer auf, das Wasser sofort zu verlassen. Manuela kann sich später nicht mehr erinnern, ob der Rettungshubschrauber schon da war, als die Ertrinkenden noch um ihr Leben kämpften oder ob er später eintraf. Sie erinnert sich nur daran, dass jemand die Schwimmer aus dem Hubschrauber aufgefordert hat, das Wasser zu verlassen. Als Vicente den Arzt und später auch den Friedensrichter unten am Strand sieht, wissen er und Manuela, dass das etwas Fürchterliches zu bedeuten hat Vielleicht, sagt Dr. Luis zu mir, sei es besser, unserer Mutter nicht gleich die ganze Wahrheit zu sagen. Vielleicht sollte ich ihr sagen, dass Beate schwer verletzt sei. Erstmal. Dieser Rat, den ich als geradezu abstrus empfinde, löst eine Art vorübergehender Ernüchterung bei mir aus. Weil ich jetzt einen Zugang, eine kleine Vorahnung habe, was auf mich zukommen wird. Weil ich mich vielleicht etwas entlasten kann, wenn ich etwas von dem machen kann, was ich machen muss. Weil ich aus der schrecklichen Situation ein bisschen in die Zukunft flüchten kann. Gleichzeitig wird mir klar, was jetzt zu tun ist. Ohne schon zu wissen, wie es zu tun ist. Ich beginne, zu funktionieren. Max ist mit seinem Vater irgendwo in Holland. Mutter wohnt allein. Inzwischen hat sich Björn so gerade noch retten können. Aber ein junger Holländer, der sich in die Wellen gestürzt hatte, um Beate zu helfen, wäre beinahe selbst ertrunken. Er kämpft sich mit allerletzter Kraft aus der Strömung heraus und wird auf eine Liege gelegt. Bettina sieht sein Gesicht und wird später sagen, dass sie diesen Anblick in ihrem ganzen Leben nie vergessen wird. Der Arzt versorgt den Geretteten mit Sauerstoff, und der Holländer beginnt, wieder selbständig zu atmen. Er wird mit dem Hubschrauber in das Krankenhaus Cán Misses auf Ibiza geflogen. Von der Flipperbar aus bemerken Torsten und Carolin hundert Meter entfernt im Wasser einen Mann, der mit den Armen rudert, der auf sich aufmerksam machen will. Der eindeutig in Not sein muss. Torsten rennt zum Piratabus und fragt nach einem Seil, mit dem er sich beim Retten sichern kann. Er bekommt es, sucht sich einen weiteren Helfer, der das Seil festhält, bindet es sich um den Körper und schwimmt zu dem Mann, der sich dem Strand inzwischen auf 60 Meter genähert hat. Der Schwimmer, ein deutscher Urlauber, wird später zu Torsten sagen, er sei gar nicht in Not gewesen. Habe gar nicht um Hilfe gebeten. Carolin, hochschwanger, sie erwartet ihr drittes Kind, verfolgt die Rettungsaktion ihres Mannes vom Strand aus. Ob sie in diesem Moment in Sorge um Torsten war, daran kann sie sich später nicht erinnern. Sie hat das in diesem Moment wohl ausgeblendet. Sie hat ihm einfach vertraut Die Meldung, eine weitere Person sei gesichtet worden, die hundert Meter vom Strand entfernt im Meer zu ertrinken drohe, erreicht den Hubschrauber noch in der Luft. Der Pilot fliegt zurück 11 zum Strand. Er fliegt niedrig, kann aber niemanden entdecken. Der Schwimmer sei von einem mutigen anderen Urlauber gerettet worden, heißt es später. Andere Urlauber erzählen sich abends in der Kneipe Fonda Pepe, dass es am Nachmittag in der Bucht von Es Arenals fünf Menschen gegeben habe, die gerettet wurden, weil andere ihr Leben für sie riskierten. Als Dr. Luis mit den Angehörigen noch bei den Opfern ist, die Rettungsbemühungen für andere Menschen noch andauern, nachdem der Krankenwagen heranrollt, danach zweimal der Leichenwagen, der Rettungshubschrauber gerade weg ist, Panik und Geschrei noch in der Luft hängen und die Guardia Civil Badegäste anweist, nicht ins Wasser zu gehen, stürzen sich andere Urlauber wieder in die Wellen und schwimmen raus. Bettina fährt mich mit meinem Wagen in mein Inselhaus am Salzsee. Es ist an der Zeit, zu telefonieren. Beim Wählen habe ich für einen kurzen Augenblick das Gefühl, ich müsse jetzt die Last, die nicht mehr auszuhalten ist, auf mehrere Schultern verteilen. Mein Handy findet Max und seinen Vater auf dem Ijsselmeer beim Segeln in Holland. Im Auto ist mir klar geworden, dass ich meine Mutter nicht anrufen darf. Mein Bruder Uwe in Bremen fährt zusammen mit Freunden nach Osnabrück und überbringt die Nachricht. Später kommt die Guardia Civil in mein Haus. Man will meine Unfallschilderung in der Polizeistation von San Francisco protokollieren. Psychisch überleben Wieder gibt es für mich etwas zu tun. Auch am nächsten Tag. Stundenlang bis zur Erschöpfung telefonieren. Mit Inselfreunden reden. Ziellos über die Insel fahren. Psychisch überleben. Der immer wiederkehrende Versuch, auch nur ansatzweise irgendetwas für das reale Leben zu begreifen, misslingt. Zeitung lesen. Nachdem mich Freunde vorsichtig auf den Artikel hingewiesen haben, sehe ich auf der Titelseite der Sonntagsausgabe vom "Diario de Ibiza" am nächsten Tag das Bild von Beate im Zinksarg am Strand. Unter dem Bild steht aber der Name von Corinna. "Präzise", diesen Gedanken kann ich einfach nicht wegschieben, "war die Tageszeitung der Pityusen selten". Zwei Tage später ist das Wetter noch immer stürmisch. "Der Himmel weint", sagen meine Inselfreunde. Das erste frühe Schiff von Formentera nach Ibiza fällt aus. Ich fahre um 10 Uhr, um mit dem Beerdingungsinstitut zu sprechen. Der Konsularbeamte auf Ibiza lässt sich den Personalausweis von Beate aushändigen. Das Institut weist darauf hin, dass bis zur Überführung nach Deutschland noch Wochen vergehen können, weil Beate nicht auf Ibiza, nur auf Mallorca eingeäschert werden kann. 12 Wenn das Meer eine Seele hätte Die Rückfahrt nach Formentera am Nachmittag, es ist noch genauso stürmisch wie am Morgen, dauert endlos lang, weil sich das Schiff mal wieder auf der weniger riskanten und längeren Strecke der Insel nähert. Als das Schiff den Hafen endlich erreicht, fahre ich mit Spellmann, meinem Entlebucher Sennenhund, zur Bucht von Es Arenals. Spellmann hat vor den kleinen Wellen mehr Angst als Menschen. Ein paar Meter vor ihm war die Schwester seines Herrchens gestorben. Das wusste er nicht. Aber er spürte, dass da was Schlimmes passiert war. Erst jetzt klingt der Sturm langsam ab. Das Meer, in dem Beate und Corinna Stunden vorher gestorben sind, tut so, als wenn es niemals und Niemandem etwas Böses antun könnte. Wenn das Meer eine Seele hätte, denke ich, würde es jetzt nicht so unbeteiligt tun. Zwei Wochen später findet Beate Ihre letzte Ruhe auf dem Voxtruper Friedhof in Osnabrück. Auf ihrem Grab liegt Sand vom Formenterastrand, darauf Formenteramuscheln. Auf den ersten Blick erscheint dieses Stückchen Erde wie eine kleine Urlaubsidylle. 13 Diane Unkert Unser kleiner Stephan, für immer schlafend. Mein Mann und ich lernten uns 1984 kennen. Es war Liebe auf dem ersten Blick. Wir haben uns heute noch sehr lieb und ich bin froh, dass ich ihn habe, denn eine Flut von Schicksalsschlägen holte uns ein. 1985 schlug das Schicksal das erste Mal zu. Unser Sohn Christian kam schwerstbehindert zur Welt. Die Ärzte schlugen uns vor Christian in einem Pflegeheim unterzubringen. Nein, das wollten wir absolut nicht, unseren kleinen unschuldigen Jungen weggeben, kam nicht in Frage. Heute ist Christian 24 Jahre alt und lebt in einem Behindertenheim mit gleichaltrigen Mädchen und Jungen zusammen. Dort bekommt er seine Pflege, die wir ihm zu Hause rund um die Uhr nicht mehr hundertprozentig geben können. Wir besuchen ihn regelmäßig und haben ihn sehr lieb. Im Mai 1988 wurde ich wieder schwanger. Diesmal wurde ich während der Schwangerschaft gründlicher untersucht. Unser Kind wird gesund zur Welt kommen, versicherte uns der behandelnde Arzt. Im Februar 1989 wurde Matthias geboren. Das war eine große Freude, doch nur für kurze Zeit. 9 Wochen nach der Entbindung war ich bei der der Mütterberatung. Alles war solange bestens, bis die Ärztin Matthias auf den Rücken drehte. Matthias lief blau an. In diesem Moment bekam ich Angst, furchtbare Angst. Unser kleiner Schatz musste sofort ins Krankenhaus. Dort stellte man mehrere Löcher in seinem kleinen Herzen fest. Die Herzvorwand fehlte ganz. Matthias bekam in der Charité eine Behelfsoperation, die aber nur zwei Jahre wirksam ist. Am 29. Januar 1992 um 17.30 Uhr schien für uns die Zeit still zu stehen. Matthias überlebte die Korrekturoperation nicht. Er starb im Alter von 3 Jahren. Es gibt nichts Schlimmeres auf dieser Welt, als ein Kind zu verlieren. Die Trauer tut weh und hält ein Leben an. Irgendwann reifte in uns der Wunsch, ein Kind zu adoptieren. Ein langer bürokratischer Weg. Wir gingen diesen Weg. Im Jahre 1993, zwei Wochen vor Weihnachten, holten wir unseren kleinen eine Woche alten Stephan nach Hause. Nun wird alles gut. Auch wir haben etwas Glück in diesem Leben verdient. Unser Glück wurde im Sommer 2000 wieder von einer Minute zur anderen zerstört. Wir hatten unseren Urlaub auf Djerba gebucht. Unser sechsjähriger Sohn Stephan sollte im September eingeschult werden. Wir schenkten ihm eine Vorschulreise. Große Augen machte unser Sohn, als wir mit ihm im Reisekatalog blätterten. „Oh, ein super Spielplatz“, sagte unser Schatz. Außerdem eine Kinderbetreuung. Alles schien perfekt. Der Slogan „ Mit ITS auf Nummer sicher“ lies uns nicht zögern, diese Reise zu buchen. Es sollte eine ganz besondere Reise werden. Stephan wollte das große, weite Meer sehen und auf Kamelen reiten. Djerba, das wird ein toller Urlaub. 14 Es wurde die letzte Reise für Stephan. Stephan schwärmte: “O, Mama und Papa, hier ist es schön und alles für mich“! Der vorletzte Tag brach an. Tagesausflug mit Kinderbetreuung. Um 10 Uhr brachte ich Stephan zum Sammelpunkt. Eine halbe Stunde später sah ich unseren kleinen Jungen das letzte Mal lebend. Zwischen 12 und 12.30 Uhr muss Stephan ertrunken sein. Keiner weiß, wie er vom Nichtschwimmer ins Schwimmerbecken gelangte. Die Betreuerinnen gaben Stephan keine Schwimmflügel. Angeblich gab es nicht genug, so dass nicht alle Kinder entsprechend gesichert waren. Die Betreuerinnen gaben uns keine Auskunft und der Reiseveranstalter schirmte die beiden Betreuerinnen vor uns ab. Versprach uns unbürokratische Hilfe, doch die bekamen wir nicht. Man ließ uns auch nicht zu unserem Kind. Man setzte uns am nächsten Tag in den Flieger. Ohne unser Kind flogen wir zurück nach Deutschland. Alle Urlauber um uns herum waren glücklich. Mein Mann und ich ertranken im Schmerz. Immer wieder fragen wir uns: Was müssen wir noch ertragen? Nein, das ist nicht alles, noch viel mehr muss man ertragen. Zu Hause angekommen, riefen wir in der Klinik an. Wir brauchen dringend Hilfe. Am anderen Ende der Telefonleitung nahm man uns nicht ernst, man glaubte, ich mache einen schlechten Scherz. Ich fing bitterlich an zu weinen und man schickte uns dann einen Notarzt. Eine Woche später kam unser Stephan in einem Zinksarg nach Deutschland. Zwei Stunden stand unser Junge auf der Rollbahn. Wie vergessenes Gepäck. Unser Seelsorger war so wütend darüber und wollte Stephan selber am Flughafen abholen. Vor der Trauerhalle brach ich zusammen. Ich weiß nicht wie ich hinein kam. Da lag, für immer schlafend, unser kleiner Stephan. Wie unser Sohn in den Schwimmbereich gelangt ist, konnte im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren nicht aufgeklärt werden. Ein Ermittlungsverfahren gegen die zwei Betreuerinnen wegen Verdachts der fahrlässigen Tötung wurde eingestellt. ITS zahlte keine Bestattungskosten und von unbürokratischer Hilfe spürten wir nichts. So reichten wir mit Hilfe eines Anwalts im Jahr 2000 eine Zivilklage gegen den Reiseveranstalter ein. Im Jahr 2003 dann das Urteil. Die Richter sprachen uns sämtliche Schadenersatzansprüche und ein angemessenes Schmerzensgeld zu. ITS ging in Berufung, die sie 2004 zurücknahm. Das Urteil vom Landgericht Köln wurde somit rechtskräftig. Ein Berufungsverfahren beim Oberlandesgericht Köln blieb uns erspart. Manchmal denke ich, ich habe keine Tränen mehr, in mir ist es so trocken wie in einer Wüste. Es fällt mir sehr schwer, diese Zeilen zu schreiben, es zerreist mir das Herz vor Schmerzen, doch es ist für mich sehr wichtig, dass andere Menschen wissen, was einem in der eigentlich schönsten Zeit des Jahres Furchtbares passieren kann. Damit man sich vor solchen Schlampereien schützen kann. 15 P.S.: Familie Unkert hat im August 2002 ein kleines Mädchen, damals 3 Monate alt, zu sich genommen. Im Mai 2006 wurde Melanie von Familie Unkert adoptiert. 2008 trat Melanie in einen Schwimmverein ein, lernte dort schwimmen und machte 2008 ihr Schwimmdiplom im Kindergarten. 2009 hat sie sich im Schwimmkurs für das Schwimmabzeichen Pingo-Bronze qualifiziert. Im nächsten Jahr will sie das Seepferdchen Bronze schaffen. Melanie weiß, dass ihr Adoptivbruder Stephan ertrunken ist. Und wie wichtig es ist, schwimmen zu lernen. 16 Susanne Frerix Nach einer halben Stunde konnte er nicht mehr Mein Vater ist am 27. September 2004 durch eine Unterströmung in Andalusien an der Costa de la luz vor dem Hotel Barrosa Garden ertrunken. Es war weit und breit kein Rettungsring , kein Boot, keine Strandaufsicht oder sonst irgend etwas vorhanden. Laut Angaben meiner Mutter war auch keine rote Flagge gehisst. Die "Rettungshelfer" haben fast 60 Minuten gebraucht, um überhaupt zu erscheinen...solange hat mein Vater nicht durchgehalten. Eine ausgebildete Rettungsschwimmerin war in seiner Nähe, konnte aber nicht helfen, weil kein Rettungsring zu finden war und sie sonst mit ertrunken wäre. Sie hat noch versucht, mit ihm seitlich aus der Strömung heraus zu schwimmen, aber nach einer halben Stunde konnte er nicht mehr. Zwei weitere Urlauber wurden am gleichen Tag in letzter Minute gerettet und kamen ins Krankenhaus. Am nächsten Tag ist dann wieder eine junge Frau ertrunken. Meine Mutter hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass wenigstens die anderen Urlauber und die neu ankommenden Gäste gewarnt wurden. Es wäre doch eigentlich die Pflicht der Reiseveranstalter gewesen, vor diesen Strömungen zu warnen. Mein Vater war auch nur etwa 80 Meter im Meer und ein guter Schwimmer. 17 Ulla Suck Erinnerung und ein Stück Menschlichkeit „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, nur fern, tot ist nur, wer vergessen wird.“ Dieser Spruch von Immanuel Kant klebt auf der ersten Seite meines Abschiedstagebuchs von meinem Vater Erich Suck. Er ertrank in einer Unterströmung am 10. Oktober 2003 auf Mallorca. Am Platja de Muro. Mehrmals schon waren er, seine Frau und drei andere Ehepaare in Can Picafort. Sie freuten sich auf erholsame Tage im Herbst und waren alle am selben Tag angekommen, Erich wollte mit seinem Freund gegen vier Uhr nachmittags Uhr nur kurz „das Wasser testen“. Er kannte den Strand, wusste aber nichts von Unterströmungen, die zu bestimmten Zeiten bei bestimmten Windverhältnissen auftreten können. Gegen 21.30 Uhr klingelt bei mir zu Hause das Telefon. Ich dachte mir, das ist Erich. Er ruft immer am ersten Abend an, sagt, dass sie gut angekommen sind. Aber nein, es ist eine Dame, eine Reiseleiterin, die muss mir eine traurige Mitteilung machen … ich bin wie in Trance, das kennt man doch nur vom Film! Ich frage, was passiert sei. „Ihr Vater ist ertrunken“. Wie ein Paukenschlag sitzen diese Worte, er war doch fit, ein umsichtiger Mensch, selber Reiseleiter von Postseniorengruppen. Alles rattert im Kopf, was ist mit meiner Mutter, sie wurde im Krankenhaus behandelt, hat einen Schock, ich kann sie sprechen, sie bekommt kaum Worte heraus. Ich sage, dass ich so schnell wie möglich komme. Am nächsten Tag fliege ich von Frankfurt aus nach Palma de Mallorca, werde von dort abgeholt und zum Hotel gebracht, treffe meine Mutter. Sie ist eingefallen im Gesicht, hat ein großes blaues Auge. Als sie merkte, dass meinem Vater etwas passiert war, ist sie in der Aufregung vor eine Absperrung gelaufen. Sie kann sowieso ganz schlecht sehen. Hilflosigkeit, Erstarren. Ich muss ihr helfen, muss stark sein. Es ist Samstag, bis zum Montag wird wahrscheinlich nichts passieren, Sepp, der Freund meines Vaters, der vor dem Ertrinken gerettet werden konnte, liegt noch im Krankenhaus. Wenn die Behörden wieder aufhaben, muss ich mit meiner Mutter nach Inca, in die Bezirkshauptstadt, ich muss zur Polizei und wir können meinen Vater dann vielleicht noch sehen nach der Obduktion. Im Hotelzimmer sehe ich die Sachen meines Vaters, den Bademantel, das Waschzeug, die Jacke, die an der Garderobe hängt, ich schaffe das alles nur mit Beruhigungsmitteln – sage mir, du musst stark sein… Sonntag lasse ich mir die Stelle zeigen, wo mein Vater ertrunken ist – ich fasse es nicht, ein harmloser Strand – ohne Wellen – ganz ruhig, ganz nah am Hotel. Was war da los – es sind Absperrungen da für Tretboote, haben die auch eine Bedeutung für Schwimmer, wo ist der Wachturm der Badeaufsicht? Ich finde nur einen umgefallenen weißen Hochsitz in den Dünen – aber kein Mensch ist dabei. Mein Spanisch reicht aus, um den Taxifahrer zu befragen, der meine Mutter und mich am Montag nach Inca bringt, „Si, aqui es un playa pelligrosso“, sagt er mir. Warum wissen das die Einheimischen, aber nicht die Touristen… ich kann es nicht glauben. 18 Was nun kommt, darauf bin ich überhaupt nicht vorbereitet. In der Gerichtsmedizin gibt es einen Raum, wo ich mit meiner Mutter warte, ich lenke sie ab, rede mit ihr, frage sie, wo genau sie sich zum ersten Mal trafen, mein Vater und sie… Er lud sie ein ins Riesenrad…. Wir können kommen. In einer Blechwanne auf Rädern- oder einem Zinksarg wird er reingefahren, ein Tuch bis zum Hals – sonst sieht er aus, als schliefe er… zwei alte Männer stehen an den Rädern. „War es das Wasser?“, frage ich, „Si“, meine Mutter weint. Ich kann nur kurz stammeln „Danke, danke für alles, was du für mich getan hast.“ Ich bin nicht vorbereitet auf Abschied, ich kann es nicht begreifen, bin gelähmt. Warum Erich, warum er – ein liebevoller, sozial engagierter, lebensfroher Mensch…. Aber wir müssen noch zur Polizei, eine Aussage machen, ob mein Vater krank war, ob er Medikamente nahm. Meine Mutter verneint, nur Cholesterintabletten, und die hat er an dem Tag bestimmt vergessen. Wir bekommen den Ehering, den man ihm abgezogen hat. An der Innenseite noch voller Sand, der kommt vom dem Runterziehen durch die Wellen da rein, denke ich mir. Will nicht weiterdenken, will es mir nicht vorstellen, doch kommen die Gedanken, was hat er gedacht? Musste er lange kämpfen… Meine Mutter und ich fliegen am nächsten Tag nach Deutschland, man sagt uns, dass es noch etwa 10 Tage dauert, bis der Leichnam nach Deutschland überführt werden wird. Wir werden zu Hause noch viel regeln müssen. Ein Bus holt uns ab – wir sind die einzigen an diesem Hotel – der Fahrer weiß Bescheid, ein Mallorquiner, er umarmt meine Mutter, mir schenkt er ein Bonbon „Solano–lemon“. Das trage ich auf jeder Reise bei mir. Es ist ein Stück Erinnerung und ein Stück Menschlichkeit. 19 Brigitte Flanagan Strandtag Mein irischer Mann Liam und ich lebten 30 Jahre in der Nähe von Köln, seine Eltern und Geschwister in Dublin. Liam pflegte die familiären Bande, da ihm seine Familie und auch sein Heimatland sehr wichtig waren. In Irland wurde seit einigen Jahren massiv für türkische Ferienimmobilien in den Medien geworben, die großen Appartementblocks in Alanya wurden von der irischen Firma IPI gebaut und vermarktet. So kauften sich auch seine ältere Schwester und ihr Mann im Jahre 2006 eine Ferienwohnung an der „türkischen Riviera“ und luden uns zum gemeinsamen Urlaub dorthin ein. Nach anfänglichem Zögern stimmten wir zu. Mein Mann und ich wollten eine Woche bleiben – für Sonntag 10. Juni war der Rückflug gebucht. Meine Schwägerin und ihr Mann kamen bereits am 1. Juni 2007 aus Dublin zu uns und wir verbrachten noch zwei Tage in unserem Heimatort in der Nähe von Köln. Unsere Tochter fuhr uns dann am Abend des 3. Juni 2007 zum Bahnhof, von wo aus die Regionalbahn zum Flughafen nach Köln-Bonn fährt. Als wir auf den Zug warteten, fotografierte sie uns. Es sollte das letzte Mal sein, dass sie ihren Vater lebend sah. Wir flogen einige Stunden später dann mit German Wings nach Antalya und kamen um etwa 3 Uhr morgens dort an. Wir wurden mit einem Minibus ins zwei Stunden entfernte Alanya zu der in den „Sultan Appartments“ gelegenen Wohnung im Stadtteil Oba gefahren. Wir verbrachten wunderschöne Urlaubstage mit Wochenmarktbesuch in Oba (riesiges Angebot an frischem Obst und Nüssen) Schwimmen im wunderschönen warmen Mittelmeer, Besichtigung der Stadt Alanya mit ihren freundlichen Bewohnern und den vielen Bazaren. Wir ließen uns zu einer Schiffstour rund um den in Meer stehenden Felsen mit der Burg von Alanya überreden, machten einen Tagesausflug mit Besichtigung einer großen Höhle und fuhren zum Fluss „Dimschai“. Als Attraktion liegen auf diesem Fluss Pontons, die zu flachen Speisetischen und Ruhebänken umfunktioniert werden. Das Essen auf diesem Flussrestaurant dauert Stunden und ist köstlich. Im Anschluss daran wären wir noch gerne an „unserem“ Strand schwimmen gegangen, aber das Meer war an diesem Tag zu rau zum Baden. Dies erfuhr ich durch einen älteren Mann, indem wir uns durch Gesten verständigten. So wurde dann der nächste Tag, ein Donnerstag, als „Strandtag“ eingeplant. Am Vormittag mieteten wir uns Strandliegen und Sonnenschirme und machten es uns bequem. Das Meer schien immer noch etwas unruhig zu sein – es war jedoch zu dem Zeitpunkt niemand in Reichweite, den man hätte fragen können. Mein Schwager und ich gingen also ins Wasser. Mein Mann hatte seine Digitalkamera mitgebracht und wollte erst einmal seinem Hobby nachgehen und Fotos schießen. Kurz nachdem ich ins Meer gegangen war, spürte ich den Sog des Wassers ins offene Meer, der mich erschreckte, und ich beschloss, an Land zu gehen. Mein Schwager schwamm eine ganze Weile, ehe er das Wasser verließ. Für den nächsten Tag, Freitag, hatten wir ein „Türkisches Bad – Hamam“ im nahe gelegenen Hotel gebucht. Wir genossen die ausgiebigen Prozeduren und fühlten uns wie neugeboren. Inzwischen war es schon 16 Uhr und wir schlenderten zur Wohnung 20 zurück und holten unsere Badesachen. Wir wollten die wenigen verbliebenen Urlaubstage noch intensiv mit Schwimmen nutzen. Wir gingen also auf der Uferpromenade entlang und sahen aufs Meer hinunter. Es waren nur leichte Wellen zu sehen, die auf Laien absolut harmlos wirkten. Mein Mann und mein Schwager gingen gemeinsam ins Wasser, meine Schwägerin machte es am Strand bequem und ich ging ebenfalls schwimmen. Plötzlich spürte ich wieder, ähnlich wie am Vortag, wie eine Unterströmung mich ins Meer hinausziehen wollte. Ich hatte keine Lust, diesen unheimlichen Nervenkitzel noch einmal zu fühlen und verließ das Wasser. Inzwischen war es 18 Uhr und es befanden sich nur noch einige wenige Menschen im Wasser. Ich drehte mich suchend nach meinem Mann um und sah ihn in 20 Metern Entfernung im Meer schwimmen, mein Schwager schwamm zu dem Zeitpunkt noch einige Meter weiter draußen. Plötzlich hörte ich meinen Mann laut um Hilfe rufen – in Bruchteilen von Sekunden schoss mir durch den Kopf, dass das nicht die Realität sein konnte, dass er nicht ernsthaft in Schwierigkeiten war. Ich drehe mich zum Strand um und rief ein, zwei Mal um Hilfe. Dann sprang ich sofort wieder ins Wasser und schwamm auf meinen Mann zu. Ich erreichte ihn bereits nach einigen Minuten (hatte mich die Strömung raus getrieben?) und schrie ihn an, er solle sich zusammenreißen und wir würden jetzt gemeinsam zurück ans Ufer schwimmen - aber ihn hatte wohl schon die Kraft verlassen. Zu stark war der Kampf gegen der Sog ins offene Meer, der nun auch mir schwer zu schaffen machte. Endlich erreichten uns einheimische Helfer, die meinen Mann unter die Arme packten. Sie hatten ebenfalls schwer, mit der Unterströmung zu kämpfen. Als wir endlich den Strand erreichten, war mein Mann bewusstlos. Keiner der Anwesenden kannte sich in Erster Hilfe aus, laienhafte Wiederbelebungsversuche scheiterten. Wenn jetzt professionelle Hilfe und Rettungsmittel am Strand gewesen wären, hätte er sicher noch eine Überlebenschance gehabt. Es verstrichen nochmals kostbare Minuten, ehe die Männer meinen Mann den Strand hinauf zur Straße trugen. Endlich kam der Krankenwagen und fuhr mit ihm davon. Meine Schwägerin, Schwager und ich saßen plötzlich in einem Taxi und fuhren quer durch die Stadt hinterher. Als wir endlich am Krankenhaus ankamen, wurde mein Mann, mit einem weißen Leinentuch abgedeckt, auf einer Trage an uns vorbei geschoben. Man bedeutete uns, dass er nicht mehr zu retten gewesen sei. Ich konnte das nicht begreifen! Kein Mensch, der solch eine schreckliche Situation nicht selber erlebt hat, kann nachvollziehen, in welch schockartigen Zustand ich mich befand. Es war die Hölle! Im Polizeiwagen mussten wir zur Wohnung fahren und unsere Pässe holen. Anschließend wurden wir zu einem großen Friedhof gefahren, wo sich eine Kühlhalle befand. Dorthin hatte man die Leiche meines Mannes gebracht. Plötzlich erschienen Journalisten von der örtlichen Zeitung und Mitarbeiter eines türkischen Fernsehsenders und baten um ein Interview. Sie sagten, dass es sehr wichtig sei, dass die Öffentlichkeit über die fehlenden Sicherheitsvorkehrungen an den Stränden informiert werde. Mein Mann sei nicht das erste Ertrinkungsopfer. In den vergangenen Wochen seien schon drei Schwimmer vor der Küste von Alanya ums Leben gekommen und die Politiker müssten endlich handeln. Nach anfänglichem Zögern erklärte sich mein Schwager bereit, ein Interview vor laufender Kamera zu geben. Zwei Tage später war in den örtlichen Zeitungen zu lesen, dass mein Mann nicht das einzige Ertrinkungsopfer in der türkischen Ferienmetropole Alanya war. Sie berichteten, dass allein im Juni 2007 nur in dieser Region drei Personen im Meer ertrunken waren. Zwei von ihnen 21 Touristen, der dritte Ertrunkene ein türkischer Jugendlicher. Andere Zeitungen schrieben von durchschnittlich drei Ertrinkungstoten pro Woche allein im Bereich Alanya. „Nun wird endlich diskutiert: Wo sind die Rettungsschwimmer?“ fragen die Zeitungen. “Die Badegäste an den Stränden warten“, so die örtlichen Medien, “gespannt darauf, wann sich das endlich einmal ändert”. Einheimische Leser meldeten sich zu Wort. Zitat: „Es werden keine Sicherheitsvorkehrungen gegen derartige Gefahren getroffen. Wenn das hier so weiter geht, werden wir noch viele Menschen verlieren. Es sind dringend Maßnahmen notwendig“. Ich wurde noch in derselben Nacht von einem Staatsanwalt verhört. Anwesend waren eine Dolmetscherin und die Ärztin, die meinen Mann untersucht hatte und als Todesursache „Ertrinken“ in den Papieren vermerkt hatte. Die Dolmetscherin riet mir, keinerlei Zweifel am Unfallhergang aufkommen zu lassen, um den Verdacht eines eventuellen Fremdverschuldens nicht aufkommen zu lassen, da sonst die Leiche meines Mannes obduziert werden würde. Das hätte bedeutet, dass sie erst Wochen später zur Überführung nach Deutschland freigegeben worden wäre. Eine Schreibkraft führte Protokoll. Später wurden meine Schwägerin, mein Schwager und ich auf einer Polizeiwache ein weiteres Mal verhört. Die Dolmetscherin leitete alle nötigen Formalitäten zur Überführung meines Mannes in die Wege und beschwor uns, nach Deutschland zurückzufliegen, um die Beerdigung vorzubereiten. So trat ich am Sonntagmorgen den Rückflug nach Deutschland an – ohne meinen Mann stattdessen flogen nun seine Schwester und Schwager mit mir. Mit Hilfe meiner beiden trauernden Kinder bereiteten wir alles für seine Beerdigung vor. Mein Mann wurde schon am darauf folgenden Dienstag nach Deutschland überführt. Ich begleitete den Mitarbeiter vom Beerdigungsinstitut, als er den Sarg am Köln-Bonner Flughafen abholte. Die Beerdigung fand genau eine Woche nach seinem Ertrinkungstod statt. Es war eine große Beerdigung, da mein Mann bei Freunden und Kollegen sehr beliebt und geschätzt war. Auch seine Geschwister mit Ehepartnern und Kindern kamen aus Irland angereist. Ich war überwältigt von der großen Anteilnahme, die meine Kinder und ich erfuhren. Als der Alltag wieder einkehrte, konnte ich den Leidensdruck, unter dem ich stand, kaum ertragen. Es gab für mich nur zwei Alternativen: entweder meinem Leben ein Ende setzen oder kämpfen. Ich wählte das zweite und suchte Hilfe bei Freunden und durch das Internet. Mir wurde immer mehr bewusst, dass mein Mann noch leben würde, wenn es am Strand Warnungen vor den Strömungen und Sicherheitsvorkehrungen gegeben hätte. Die Dolmetscherin, zu der ich nach wie vor Kontakt hatte, riet mir, an den Landrat von Alanya zu schreiben und ihn um die Einführung von Sicherheitsmaßnahmen am Strand zu bitten. So kam ich auf die Idee, alle Menschen, die uns kondoliert hatten, um solch ein Schreiben, adressiert an den Landrat, zu bitten. Ich erhielt im Laufe der folgenden Wochen über 130 Briefe und zwei große Unterschriftenlisten. Einen großen Teil der Briefe ließ ich ins Türkische übersetzen. Außerdem informierte ich die Öffentlichkeit. Die Fernsehsender RTL, der WDR und der MDR zeigten Berichte und Interviews, die deutsche Presseagentur DPA schrieb einen Namensbericht und auch die Hürriyet schrieb einen Artikel auf ihrer Titelseite über den schrecklichen Ertrinkungstod meines Mannes und meine BittbriefKampagne an den Landrat. Dieser Artikel erschien auch in der Ausgabe für die Türkei selbst. 22 Einige Tage danach rief mich die Dolmetscherin an und erzählte aufgeregt von dem Aufruhr in Alanya, den ich durch die Berichte in den Medien verursacht hätte. Plötzlich wurde jegliche Schuld am Tod meines Mannes auf das Heftigste verneint. Kurze Zeit nach diesem Aufruhr in Alanya wurden jedoch plötzlich Warnschilder in türkischer, deutscher, russischer und englischer Sprache mit folgendem Text am Strand aufgestellt: „Seien Sie bitte bei zu starken Strömungen extrem vorsichtig“, „Nach dem Genuss von Alkohol ist das Schwimmen gefährlich“, „Bei hohen Wellen und starkem Wind bitte nicht schwimmen“, Bitte begleiten Sie Ihre Kinder beim Schwimmen im Meer“. Die örtliche Presse lobte die Aktion und sprach von einem ermutigenden Anfang, um weitere Ertrinkungsopfer zu verhindern und deutete an, dass im nächsten Jahr noch mehr Schilder aufgestellt würden. Eine Zeitung schrieb “Nach dem Aufstellen der Warnschilder wurden im Bereich Alanya keine Todesfälle durch Ertrinken registriert." Das kann meiner Ansicht nach jedoch nur ein kleiner Anfang sein. Der Tourismus in Alanya hat in den letzten Jahren rasant zugenommen und ist zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden. Es müssen daher dringend Maßnahmen für die Sicherheit der Badetouristen ergriffen werden, wie in vielen Ländern üblich: Ausgebildete Rettungsschwimmer, die an zum Baden ausgewiesenen Strandabschnitten täglich ihren Dienst tun, Warnflaggen, Notfallausrüstung wie Auftriebskörper, Seile, Rettungsboot. Über das Internet habe ich mehrere betroffene Familien kennen gelernt, die im Urlaub ebenfalls einen Familienangehörigen durch Nachlässigkeit und Sorglosigkeit der Verantwortlichen am Urlaubsort verloren haben. Sie haben mir sehr durch Zuhören und Anteilnahme in langen Telefongesprächen in dieser schweren Zeit geholfen. Einige von ihnen hatten vor Jahren den Verein gegründet „Hilfe bei Reiseunfällen e.V.“ Sie rieten mir, Kontakt zu einem Rechtsanwalt in der Türkei aufzunehmen, der schon in mehreren ähnlich gelagerten Fällen tätig war. Nach reiflicher Überlegung habe ich vor einigen Monaten diesen Anwalt beauftragt und Klage wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Gemeinde bzw. den türkischen Staat vor dem Gericht in Antalya eingereicht. Ich bin nämlich inzwischen davon überzeugt, dass sich nur durch den Druck einer gerichtlichen Auseinandersetzung etwas zum Positiven ändern wird. Bei uns in Deutschland habe ich mich der Organisation für Badesicherheit in Europa, Blausand.de, angeschlossen. Hier geht es in erster Linie um Prävention. Auch an deren Aktion 100EACHDAY auf Formentera im Mai 2008 nahmen meinen beiden erwachsenen Kinder und ich teil, malten uns blau an und ließen uns mit 97 Gleichgesinnten am Strand fotografieren. Vor einigen Monaten absolvierte ich einen „Ersthelferkurs“ beim Roten Kreuz, wo und unter anderem gelehrt wird, wie man eine bewusstlose Person wiederbeleben kann. Als nächstes trainiere ich nun für das „Deutsche Rettungsschwimmerabzeichen“. Hier lernte ich in Theorie und Praxis, wie ein hilfloser Mensch im Wasser richtig abschleppt und an Land gebracht wird. Den Bronze-Schein habe ich vor kurzem schon erworben In meinem Alter keine leichte Angelegenheit. Der unnötige Ertrinkungstod meines Mannes wird mich für den Rest meines Lebens beschäftigen. Ich kann und werde deshalb nicht aufhören, mich für Präventionsmaßnahmen, wann und wo immer es mir möglich ist, einzusetzen. 23 Evelyn Wagner Eiseskälte Wir waren bis zum Sommer 2001 eine glückliche und zufriedene Familie. Mein Mann und ich hatten schon einige Schicksalsschläge zu bewältigen, doch die Geburt unseres ersten Sohnes 1989 und die Geburt unserer Zwillinge 1990 brachte wieder Sonne in unsere Herzen. 1993 zogen wir mit unseren drei Jungs in unser halbfertiges Eigenheim. Nach und nach wurde ein Zimmer nach dem anderen renoviert und unsere Kinder konnten ihre Zimmer beziehen. Heute ist ein Zimmer menschenleer. Alles steht so, wie es Philipp vor unserem Griechenlandurlaub verlassen hat. Auf dem Schreibtisch liegen Bücher, die er noch lesen wollte; Bilder, die nicht mehr ausgemalt werden; Kreuzworträtsel, die er nicht mehr lösen wird. Unter dem Schreibtisch stehen sein Bücherranzen und seine Fußballschuhe. Unsere Kinder wollten fliegen und auch am Anfang des neuen Schuljahres von einem tollen Urlaub in der Schule erzählen. Auch wir wollten unseren Jungs nach 11 Jahren endlich einen Urlaub bieten. Und so buchten wir im Januar 2001 über den Reiseveranstalter I T S unsere erste 14tägige Reise ins griechische Ouranoupolis auf der Kloster - Halbinsel Athos ins Hotel Aristoteles. In der Nacht vom 26. zum 27. Juli kamen wir an. Vor unserer Ferienwohnung die Hotelattraktion: eine riesige Wasserrutsche. Unsere Jungs waren begeistert. Heute höre ich sie noch sagen: “Oh, da dürfen wir doch auch mal rutschen!“ Wir erfuhren von der Reiseleiterin der ITS, dass man sich die Armbändchen in der Hotelrezeption oder direkt an der Rutsche kaufen könnte. Wir erfuhren aber nicht, dass die Rutsche ohne Baugenehmigung und ohne Abnahme errichtet wurde. Außerdem erfuhren wir nichts von den bereits geschehenen Unfällen durch die Rutsche. Am 1. August planten wir den versprochenen Rutschtag. Das Tagesticket kostete umgerechnet 9 DM pro Person. 14.30 Uhr. Philipp und seine Brüder liefen nach einer zweistündigen Rutschpause wieder zur Rutsche, um noch einmal richtig Spaß zu haben. Heute noch sehe ich die letzten bewegenden Bilder von unserem Philipp, wie er zufrieden und glücklich in Richtung Rutsche marschierte. Nach zehn Minuten verspüre ich eine innere Unruhe. Ich nehme meine Kamera, sage zu mir: Was ist los mit dir? Wir sind doch im Urlaub und alles ist bestens. Wir sind alle gesund und haben es doch gut. Trotz innerer Unruhe schieße ich noch zwei Fotos von der Hotelanlage und laufe dann meinen Jungs nach. Philipps Zwillingsbruder kommt schreiend auf mich zu. „Der Philipp, der Philipp!“ Erschöpft bricht er vor mir zusammen. In mir bricht ein Vulkan aus. Ich bekomme kaum Luft. 24 Meine Zwillinge in Not: Wo laufe ich zuerst hin? Eine aufmerksame Urlauberin kümmert sich sofort um meinen erschöpften Eric und ich renne ohne Schuhe den Schotterweg zum Auslaufbecken der Wasserrutsche. Philipp liegt bewusstlos am Beckenrand. Bevor ich zu ihm kann, reiße ich mich von einer Urlauberin los, die mich an beiden Armen so fest hält, dass ich sie anschreien muss: “Lassen sie mich sofort los, ich will zu meinen Kind!“ Die Rettungsschwimmerin hockt in Wadenhöhe von Philipp und hält sich beide Hände vor ihr Gesicht. Ich knie mich zu meinem Kind nieder und vertraute Worte gehen mir durch den Kopf, die mir mein Mann vor Jahren ans Herz legte. „Du kannst niemals in der Not unseren Kindern helfen, wenn du die Nerven verlierst.“ Also reiße ich mich zusammen und zwinge mich, richtig zu reagieren. Philipp atmet nicht, kein Puls. Sein rechter Arm von der Schulter bis zur Hand ist dunkelblau. Ein runder Abdruck zieht sich über die Schulter. Wie eine Abschnürung. Eine Erklärung für diese schwere Verletzung habe ich in diesem Moment nicht. Ich beatme ihn. In dem Moment kniet sich mein Mann zu uns nieder. Mit Hilfe eines deutschen Urlaubers versucht er vierzig Minuten lang unser Kind zurück ins Leben zu holen. Endlich, endlich ein Arzt, jetzt wird alles wieder gut. Weitere 15 Minuten vergehen, endlich ein Krankenwagen. Jetzt wirst du wieder gesund. Mit Martinshorn rasen wir in das „Gesundheitszentrum“. Eine Stunde. Im Krankenwagen nichts. Keine medizinischen Geräte, einfach nichts, wie ausgebrannt. Mein kleiner Sohn ist tot. Ich habe es schon an der Rutsche gefühlt, dass wir ihn verloren haben. Doch ich will nicht, dass er geht. Bleib doch bei uns, mein kleiner Engel. Wir wollen doch noch Urlaub machen. Später am Abend, als ich aus dem Gesundheitszentrum zurückkomme, erfahre ich die schreckliche Wahrheit. Von unseren beiden Söhnen, die versucht hatten, ihren Bruder aus dem Ansaugrohr zu befreien. Die Kraft unserer beiden Jungen reichte nicht aus, Philipp aus dem Sog zu befreien. Philipps großer Bruder wurde beim Rettungsversuch selber von einem ungesicherten Nebenrohr verletzt. Von Urlaubern herbeigerufenes Personal riss Philipp mit aller Kraft zu Dritt vergeblich aus der tödlichen Falle. Ohne vorher die Pumpen abzustellen Philipp wird zur Gerichtsmedizin nach Thessaloniki gefahren. Der Gerichtsmediziner schreibt später in seinen Obduktionsbericht: keine äußere Verletzungen, Tod durch Ertrinken. Der 1. August endet für meine Familie und mich bei der Polizei in Ouranoupolis mit einem vierstündigen Verhör. Weg hier, ich ersticke. Die griechische Luft kann ich nicht mehr einatmen. Aber ich muss atmen, ich muss meine Kinder zurück nach Deutschland bringen. Am nächsten Morgen sitzen wir in einem Taxi, was uns zum Flughafen nach Thessaloniki fährt. Griechische Musik. „Nein, mach sie endlich aus“ hätte ich am liebsten zu dem Taxifahrer gesagt. Doch ich bleibe stumm. Auf dem Weg zum Flieger versagen mir immer wieder meine Beine. Mein ganzer Körper schmerzt. Nein, ich bin nicht tot. Wenn man tot ist, spürt man keinen Schmerz. Ich bin eine 25 lebende Tote. Jemand muss uns mit einer Fernsteuerung bewegt haben, denn wir kommen am Abend des 2. August 2001 zu Hause an. Nein, nicht ausruhen. Wir müssen Anzeige erstatten wegen fahrlässiger Tötung. Philipp kommt nach Hause. Er wird am 4. August in einem Zinksarg von Thessaloniki nach Deutschland überführt. Im deutschen Obduktionsbericht stehen detailliert seine schweren Verletzungen am rechten Arm. Die deutsche Staatsanwaltschaft leitet Ermittlungen gegen unbekannt ein. Wir fordern Gerechtigkeit, wir haben es unserem Philipp an seinem Totenbett versprochen und dieses Versprechen werden wir halten. Mit Gegendruck arbeite ich gegen meinen seelischen und körperlichen Schmerz. Ich ziehe mir einen dicken Schutzmantel an und beginne zu kämpfen. Bisher waren wir schon drei Mal in Griechenland. Ich bin mir sicher: Wenn wir nicht zusammen mit unseren Anwälten gekämpft hätten, wäre Philipps Akte in Griechenland schon in den Archiven verschwunden. Doch die griechische Staatsanwaltschaft erhebt Anklage. Hotelbetreiber, Rutschenbetreiber und die Rettungsschwimmerin werden vor Gericht stehen. Wir mobilisieren Zeugen und fliegen im September 2003 mit weiteren zehn Personen und auf eigene Kosten zum Strafprozess nach Griechenland. Von 43 angesetzten Gerichtsverhandlungen an diesem Donnerstag, haben wir die Nummer 40. Es kommt zu keiner Verhandlung. Die Richterin vertagt auf den folgenden Montag. Beim Aufeinandertreffen mit den Angeklagten schaue ich ihnen immer wieder in die Augen. Suche auch in ihnen einen Funken Trauer oder zu mindestens etwas Anteilnahme. Doch nichts von alledem, eine Eiseskälte strahlen sie aus. Teilweise machen sie sich sogar über uns lustig, auf üble Art und Weise. Was wollt ihr hier? Vor Gericht habt ihr keine Chance. Wir werden euch vor Gericht zertreten wie harmlose Insekten. Ihr selbstsicheres Auftreten macht mir Angst. Doch wir werden wiederkommen. Die Vertagung bedeutet für uns, unsere Heimflüge umzubuchen. Innerhalb von fünf Minuten wird an diesem Montag das Verfahren auf Juni 2004 vertagt. Die Staatsanwaltschaft in Deutschland hat die Ermittlungen gegen den Geschäftsführer des Reiseveranstalters im Januar 2003 eingestellt. Heute wissen wir, dass unser Sohn nicht das erste Opfer an dieser Rutsche war. Aus diesem Grund ist es für uns nicht nachvollziehbar, warum die Staatsanwaltschaft nicht tiefgehender ermittelt hat. Aus der Ermittlungsakte geht hervor, dass sich auch Erwachsene beim Eintauchen in das zu niedrige Auffangbecken der Rutsche schwer verletzt haben. Außerdem ist während des Rutschens ein Kind aus der Rutschbahn geworfen worden. Ein zehnjähriger Junge wurde vier Tage vor Philipps Unfall mit seinem Knie angesaugt. Er konnte seinen Oberkörper über Wasser halten und somit nach Hilfe rufen. Die Eltern alarmierten die Betreiber, doch man schloss die Rutsche nicht und nahm die Verletzungen und sogar den Tod weiterer Urlauber in Kauf. 26 Die Rutsche ist wieder in Betrieb, so als wäre nie etwas passiert. Schutzgitter hat man nach dem Tod unseres Sohnes angebracht. Die Angeklagten in Griechenland versuchen, die eigentliche Todesursache zu vertuschen, und der Reiseveranstalter ist der Meinung, dass nur uns die Schuld trifft. Wir, die Eltern, haben die Aufsichtspflicht verletzt. Wir zerstören die schöne Welt der Reisewerbung, wenn wir in der Öffentlichkeit Missstände ansprechen. Man hat unserer Familie die Lebensfreude genommen. Wir müssen den Verlust und die plötzliche Trennung von unserem kleinen Sohn täglich aufs Neue ertragen. Meine beiden Söhne, die den Tod ihres Bruders hautnah miterlebten, haben ihre Kindheit verloren und keine Zukunftspläne. Wir leben seit dem 1. August 2001 in einer dunklen Trauerhöhle. Wir wissen, dass kein Gericht unseren Sohn wieder nach Hause kommen lässt. Aber wir wissen auch: Ohne gerechtes Urteil werden wir den Tod unseres Kindes niemals verarbeiten können. Jede Stunde trauert irgendwo auf unserer Erde eine Mutter um ihr Kind. Oft sind wir gegen Krankheit ohnmächtig. Auch Umweltkatastrophen können wir kaum entgegentreten. Doch der Fahrlässigkeit der Reiseveranstalter können wir den Kampf ansagen. Und genau das werden wir tun. Wir werden weiter kämpfen und funktionieren, damit dieses unerträgliche Leid anderen Familien erspart bleibt. 27 Özkan Arslan Narbe in der Seele Liebe Kirsten, vielen Dank für Deine Antwort. Ich hoffe, dass es Deinem Handgelenk bald besser geht und die Entzündung bald verheilt ist. Lass Dir ruhig Zeit mit dem Brief, Deine Gesundheit soll nicht darunter leiden. Die Frage, wie es passiert ist, löst bei mir keine guten Gefühle aus, ich musste erstmal den richtigen Moment abpassen, um die Sache noch mal zu erzählen. Aber mir hilft es wirklich am meisten, mit Leuten darüber zu reden, die auch betroffen sind. Die Schwester eines türkischen Freundes hier in Trier hatte Selbstmord begangen... Der Erfahrungsaustausch mit ihm war sehr wichtig. Meine andere Schwester tauscht sich in einer Trauergruppe mit Betroffenen aus... Weißt Du, der Bruder von Herbert Grönemeyer ist ja Arzt, auch ein beliebter Arzt, ökologisch und links denkend, soweit ich weiß, und der hat in einem Interview mal etwas gesagt (das Interview habe ich auch hier irgendwo in dem Wust in meinem Zimmer, in dem ich gerade schreibe, gelagert), in dem Interview antwortet er auf die Frage, wie er denn gerne sterben möchte: „Umfallen und tot“. So war es bei meiner Schwester leider nicht. In dem Moment, in dem ich das las, dachte ich: So wäre es eigentlich am besten, man bekommt gar nicht mit, dass man stirbt, du fällst einfach um und es ist aus. Wie Du schon in Deiner Mail sagtest: Es ist täglich präsent. Und ich glaube auch nicht, dass es irgendwann einmal aufhören wird. Vergleiche gehen etwa in die Richtung: „Wie eine Narbe auf der Haut, ist dies eine Narbe in der Seele. Sie ist immer da.“ Und vielleicht kennst Du das von Narben auf der Haut: Wenn man gestresst ist oder es einem gerade nicht gut geht, dann schmerzen oder jucken sie... Ich selbst vergleiche die Lage aber eher mit einer Amputation, wiederum eine Amputation in der Seele. Es fehlt einfach irgendetwas, meine Schwester, mit der ich groß geworden bin und sie wird von nun an immer fehlen. Ganz schlimm ist es, wenn ich Frauen oder Mädchen sehe, die ihr ähnlich sind. Einmal habe ich nur im Vorbeigehen ein vielleicht neunjähriges Mädchen an einem Fenster gesehen und sie sah meiner Schwester, so wie sie als Kind war, total ähnlich und in solchen Momenten möchte und kann ich die Tränen auch nicht zurückhalten. Noch schlimmer geht es natürlich meiner Mutter, die eine ihrer Zwillingstöchter verloren hat (kein Kind der Welt sollte vor seinen Eltern sterben) und natürlich dem anderen Zwilling, Perihan, die mit vor Ort war, als ihre Schwester Neslihan starb: Das ganze geschah im letzten Sommer (Mitte Juli). Als ich in Paris war, erzählte mir Nesli noch, dass sie ein Auslandssemester in Spanien plant (sie hatte vorher schon in Spanien gearbeitet). Berauscht von dem Aufenthalt in Paris, erzählte ich ihr natürlich, wie wichtig es wäre, ein oder zwei Auslandssemester zu machen... Sie fuhr los... Ich hörte einige Zeit nichts mehr von ihr. Das letzte Mal sprachen wir über die Abgabe einer Seminar-Arbeit für die Europa-Uni Frankfurt/Oder (wo sie studierte), deren Rest sie noch in Spanien fertig stellte. Nach ein paar Tagen schickte ich ihr eine SMS, auf die ich nur sehr spät eine Antwort erhielt. Ich hatte damals – ich weiß noch genau, wie ich in meiner leeren Dreizimmerwohnung hockte – ein 28 ungutes Gefühl. Normalerweise antwortete sie sehr zügig. Später sollte ich erfahren, dass eine Party dafür verantwortlich war... Das Erasmus-Semester war vorüber, und bevor es zurück nach Deutschland gehen sollte, wurde noch ein Strand-Aufenthalt eingeplant, dazu reiste Peri aus Deutschland an. Ich hatte das alles noch von Perihan mitbekommen. Ich dachte, Peri fährt mit anderen Leuten zu Nesli, doch sie fuhr allein. Hätte ich gewusst, dass Peri sie allein besucht, hätte ich vielleicht mehr Warnungen rausgeschossen, denn erfahrungsgemäß kommt es immer zu Zankereien und Reibereien zwischen uns Geschwistern, so auch zwischen Peri und Nesli. Als sie ankam, haben sie überlegt, ob sie Neslis in Spanien lebenden Freund besuchen oder zu zweit an einen anderen Strand fahren. Sie entschieden sich für das Letztere und fuhren an einen Strand in der Nähe von Barbate (nahe Cádiz). Den Tipp dazu hatte Nesli von Studis aus Córdoba (Sitz der Partner-Uni) bekommen. In Barbate (genauer: am Strand von Canos de Mecca) zelteten sie und entschieden sich an einem Strand zu baden, der angeblich nicht so sehr von Touris belagert wird. Sie fanden einen, an dem kein übermäßiger, massenhafter Menschenandrang herrschte. Peri erzählte mir, dass dann folgendes geschah: Bei der Suche nach dem Strand kam es wohl zu einer kleinen Meinungsverschiedenheit. Peri wollte wohl – nachdem sie schon länger in der Hitze liefen – dass man sich nun einfach an irgendeinem Strand niederlasse und Nesli unbedingt den abgelegeneren finden von dem ihr berichtet wurde..., welchen sie dann ja auch fanden... Sie setzten sich an den Strand. Zuerst ging Peri schwimmen. Es war wohl windig, wenn nicht sehr windig an diesem Tag. Peri kam wieder zurück. Nesli fragte sie, wie das Wasser wäre, sie antwortete: „Es geht“ oder „Ist gut“. Nesli ging ins Wasser. Sie kam nie wieder zurück. Als Nesli ins Wasser ging, hatten sich die Gemüter schon wieder abgeregt. Es lag wohl kein Streit mehr in der Luft. Meine Schwestern sind beide, wie ich, kurzsichtig: Nachdem Nesli in Richtung Wasser gegangen war, las Peri ein Buch – ohne dabei ihre Brille aufgesetzt zu haben. Sie hatten sich ganz tief im Strand positioniert, also weiter weg vom Wasser, dort saß jetzt auch Peri. Was ich jetzt schreibe, weiß ich nur aus spanischen Zeitungsberichten: Während sie im Wasser schwamm, erfasste sie eine Strömung (laut Aussage des Honorarkonsuls sterben dort jährlich rund sechs Menschen aufgrund der dort herrschenden Strömungen). Meine Schwester kämpfte laut Augenzeugenberichten um ihr Leben – 15 Minuten lang. Leute versammelten sich auf einem Felsen, von dem aus sie Neslihan beobachten konnten. Jemand rief den spanischen Notdienst an („110“). Ein Anderer wollte hineinspringen, um ihr zu helfen, wurde jedoch von einer weiteren Person daran gehindert, damit er sein eigenes Leben nicht gefährden würde. Es vergingen mehr als 30 Minuten, bis Personal von Rettungsdiensten überhaupt eintraf. Insgesamt 45 Minuten vergingen, bis ein Hubschrauber kam. Neslihan war zu dem Zeitpunkt schon untergegangen. Die Siesta beginnt in Spanien ja um 14 Uhr, das war ungefähr der Zeitpunkt, an dem das Unglück geschah. Perihan bemerkte dann den Pulk von Menschen. Als sie sich der Szenerie näherte, umringten sie die Strand-Menschen. Sie wurde von der Polizei befragt, man fragte sie nach Daten und den ganzen Formalia, die Polizisten ja stets gepflegt aufnehmen, sie fragte die Polizei, warum sie nichts machten (die Bullen hatten meiner Ansicht nach Neslihan schon zu diesem Zeitpunkt aufgegeben). Sie flippte total aus, wurde mit Spritzen ruhig gestellt. Augenzeugen sagen in 29 Zeitungsberichten aus (ich zitiere sinngemäß): „Dies war ein Tod, der einfach verhindert werden konnte.“ Oder: „Dies war ein Tod, der umsonst geschah“/“Dies war ein Gratis-Tod“. Wortwörtlich: „Fue una muerta gratuida.“ Als ich die Umstände, wie es zu ihrem Tod gekommen war, erfuhr, hing ich an einem Telefon in Barbate. Es war, als ob sie nochmals starb. Ich war nicht da gewesen, um sie da raus zu holen oder zu sagen: Geh lieber nicht bei diesem Wind schwimmen. Einen Tag nachdem es geschah, rief mich Perihans Ex-Freund an. Ich fuhr gerade im Zug von Luxemburg nach Trier. Er machte irgendwelche Andeutungen. Ich schrie ihn an, er solle endlich auf den Punkt kommen. Ich legte auf und machte das, was ich auch jetzt gerade mache, ich weinte. Irgendjemand im Zug kam zu mir und fragte, was los sei. Ich sagte, meine Schwester ist ertrunken, obwohl die Telefonstimme mir gesagt hatte, sie werde nur vermisst. Ich war auf die Knie gefallen, presste den Kopf in den Sitz und heulte. Der Typ legte seine Hand auf meinen Rücken. Es tat so gut, in diesem Augenblick, die Wärme eines anderen Menschen zu spüren, ich beruhigte mich wieder. Das Gesicht des jungen Typen habe ich weder zu diesem Zeitpunkt noch danach je gesehen. Als wir aus dem Zug stiegen, fragte er noch, ob ich klar käme und ich bejahte ohne ihn anzusehen - in diesem Augenblick konnte ich einfach nichts sehen, denn tausende anderer Bilder schossen mir durch den Kopf, die sich alle um nur eine Frage drehten: Ist das, was mir da eben am Telefon umständlich mitgeteilt wurde, tatsächlich passiert? In Trier angekommen ging ich auf dem Bahnsteig auf und ab, hin und her und redete mir zu, dass es nicht wahr ist, dass es nicht geschehen ist, dass alles nur ein Missverständnis war oder dass sie gerettet werden würde... Irgendwelche Bundesgrenzschutzbullen meinten dann noch, meine Personalien überprüfen zu müssen... In derselben Nacht flog ich noch nach Spanien zu Perihan ins Hotel, wo man sie einquartiert hatte. Auf dem Weg dorthin hatte ich Hoffnung, vielleicht passiert ja doch noch ein kleines Wunder und sie lebt noch. Ich konnte die Tränen nicht unterdrücken, egal ob im Taxi oder im Flugzeug... Als ich im Hotel ankam, war Peri ziemlich niedergeschlagen. Neslis Freund war eingetroffen und sie saßen zusammen im Hotelzimmer. Sie waren schon ziemlich resigniert, ich hatte die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, irgendwelche Gerüchte darüber, dass Menschen drei Tage im Wasser überleben könnten, kursierten. In dem kleinen Hotel Galia war normaler Betrieb, niemand, der sich hinsichtlich der Geschehnisse um irgendetwas zu kümmern schien. Ich fuhr mit Peri und dem Freund in seinem alten, rostigen Pick Up mit bellenden Hunden im Nacken zum Ort des Geschehens. Dort angekommen, traute ich meinen Augen nicht: Hier war gestern meine Schwester ertrunken, ein Mensch hatte sein Leben gelassen – und es herrschte ganz normaler Strand-Betrieb. Von Polizei oder Security nichts zu sehen. Wir trafen auf zwei britische Surfer, die uns von Hubschraubern erzählten, die am Vortag über dem Strand-Abschnitt kreisten. Im Nachhinein erfuhr ich, – erst nach massivstem Nachfragen – dass ein Hubschrauber aus der Luft den Körper meiner Schwester sichtete, die Rettungskräfte aber angeblich nichts unternehmen konnten, weil die Stelle, an der ihr Körper gesichtet wurde, unzugänglich gewesen sei. Ich suchte den Strand ab. Ich blickte auf das offene, weite Meer hinaus. Nach einiger Zeit, „bauten“ der Freund und meine Schwester (die immer noch sehr angeschlagen war und das nochmalige Aufsuchen des Unglücksorts tat sein Übriges dazu) erst mal „Einen“. Ich wollte jedoch nicht aufgeben. Wir fuhren zurück und ich war voller Empörung, weil hier absolut nichts 30 geschah, um meine Schwester zu retten (oder auch nur den Hauch einer Anstrengung in diese Richtung zu unternehmen). Ich sorgte für ein wenig Trubel und Alarm, als wir wieder im Hotel ankamen. Kurze Zeit später kreuzten der Psychologe Juan (der eigentlich Kinderpsychologe ist), ein Mensch von den Behörden und zwei Frauen aus dem Frauenhaus (sie hatten meine Schwester Perihan betreut) auf. Sie redeten irgendetwas davon, dass „alles Menschenmögliche getan werden würde“, dass „Schiffe, Polizei, Armee, Militär“, dass „freiwillige Helfer, Surfer“, dass all diese Menschen nach meiner Schwester suchen würden. Ich traute niemandem über den Weg: Der Typ von den Behörden, ein junger Kerl, kurz gewachsen, mit kurzem, buschigem Haar, faselte uns irgendetwas davon, dass er beim 11. September in New York dabei gewesen wäre, dass er wisse, wie wir fühlten, gab sich als Katastrophen-Profi... Ich sagte nur: „Führt mich dahin, wo die Suchaktionen stattfinden. Ich will es mit eigenen Augen sehen.“ Der Behörden-Fuzzi stimmte mir zu und sagte, er arrangiere dies mit der Polizei. Irgendwann fuhr ich dann mit zwei jungen Polizisten und dem Behörden-Freak in einem Jeep, angeblich zu dem Ort, an dem Suchaktionen stattfänden. Auf dem Weg merkte ich, dass wir lediglich zu dem Unglücks-Ort fuhren, den ich ja bereits zuvor besucht hatte. Wir kommunizierten die ganze Zeit auf Englisch. Sie wussten nicht, dass ich auch Spanisch konnte. In Ordnung, ich gebe zu, nach unseren drei Jahren Schulspanisch bei Frau Wahl und Herrn Dudda, ist mein aktives Spanisch nicht mehr so gut. Das passive Verstehen ging aber noch, zudem wollte ich unbedingt verstehen, was sie sagten. Während ich aus dem Fenster guckte und es so aussah, als ob ich geistesabwesend in Gedanken versunken war, konzentrierte ich mich angestrengt. Auf der Fahrt bekam ich mit, wie der Behörden-Fuzzi einen der Polizisten fragte, ob er nicht noch Kollegen hinzu rufen könne (damit es – wie als aktueller Beweis für Suchaktionen – nach mehr Polizei-Wirbel aussehen würde). Er tat dies per Funk. Nur kurze Zeit später kamen sie hinzu, überholten uns, und der Behörden-Typ sagte mir (auf den vorbeifahrenden Polizeiwagen zeigend): „Siehst du, die da vorne, die suchen auch schon den ganzen Tag nach deiner Schwester“. Ich kam mir verarscht vor. Wir kamen da an, wo ich kurz zuvor schon mit Peri und dem Freund gewesen war. Ich sagte: „Hier ist nichts, hier sucht niemand nach meiner Schwester.“ Er sagte: „Doch, doch!“, gestikulierte und versuchte, zu beschwichtigen. Wir waren bereits aus dem Jeep gestiegen. Einer der Polizisten zog – nach einem Zusprechen durch den Behörden-Menschen – ein Fernglas hervor. Im Auto sitzend, durch die dreckige Windschutzscheibe hindurch, glotzte der fettleibige Bulle auf das Meer hinaus. „Siehst du“, sagte der Behörden-Mensch, „die suchen mit modernster Technik nach deiner Schwester.“ Ich kochte. Ich musste mich arg zusammenreißen, damit ich nicht explodierte. Ich fragte: „Wo sind die Menschen und Schiffe, die angeblich nach meiner Schwester suchen? Bringt mich dahin wo die Suchaktionen stattfinden!“ Wir fuhren wieder mit dem Jeep los, die anderen Kollegen verabschiedeten sich. Ich war wütend und sie spürten es. Ich sagte nichts mehr und guckte nur noch aus dem Fenster des fahrenden Jeeps. Man ließ mich wissen, dass wir zu den Rettungsschwimmern fuhren. Wir gelangten zu einem kleinen Häuschen, es war heiß - die Sonne brannte. Ich erblickte ein paar dickliche Gestalten, ein paar ältere und zerbrechlich wirkende Figuren. Es waren die Rettungsschwimmer. Ich dachte mir nur: Das kann nicht wahr sein! Die hätten meine Schwester im Notfall an diesem Strand retten sollen? Da schwimme ich ja selbst schneller... Ich ließ meiner Wut jetzt freien Lauf und teilte dem Behörden-Arsch mit, dass ich ihm kein Wort glaube und dass ich nur das glaube, was ich mit meinen eigenen Augen sehe. Bisher hatte ich von einer Suchaktion nichts gesehen – und so sollte es auch bleiben. Der Behörden-Mann sagte mir, die Schiffe seien weit draußen und man könne sie nicht sehen, außerdem suche man aufgrund der Strömung auch eher an anderen Orten. Er gab mir ein Fernglas und ich schaute auch noch durch, 31 gleichzeitig denkend: Was mache ich gerade bloß! Mir blieb nur übrig, zu hoffen, dass er nicht log. Ich bin mir heute aber sicher, dass damals nichts oder nicht viel passierte. Ich habe nie irgendetwas von irgendwelchen Suchaktionen gesehen. Wir fuhren wieder zurück. Lange Zeit sagte niemand irgendetwas. Dann brach der Behördenmann das Schweigen. Die beiden Polizisten unterhielten sich nun angeregt mit dem Vertreter der örtlichen Behörden über meine Schwester, mich und mein Verhalten: Sie waren sich alle einig, dass meine Schwester tot sei und einen eventuelle Suche sinnlos. Danach brach die Diskussion ab und sie schwiegen wieder – so lange, bis wir wieder am Hotel ankamen. Die beiden Frauen aus dem Frauenhaus waren furchtbar nett. Eine Mutter und ihre Tochter. In die Tochter hätte ich mich sogar verlieben können, hätte ich sie unter anderen Umständen kennen gelernt. Die Mutter sprach Deutsch. Sie erzählten uns abermals dieselbe Soße, wie wir sie schon den ganzen Tag über gehört hatten: Jeder tue alles, alles was nur menschenmöglich sei. Mit dem Honorarkonsul hatte ich bereits direkt nach meiner Ankunft einmal telefoniert: Er sagte mir glasklar, dass mit dem Tod meiner Schwester zu rechnen sei. An jenem Strand sterben ja seinen Angaben zufolge sechs Menschen im Jahr. Die Leute verließen wieder das Hotel. Es wurde Nacht, nichts war klar. Ich wollte es immer noch nicht glauben. Ich schlief vielleicht eine oder zwei Stunden – doch ich schlief mit der Gewissheit ein, dass ich hier niemandem glaube. Irgendwann, nach sieben Uhr, fing ich an, mich ans Telefon zu hängen. Ich rief jeden an, der mir als Hilfsperson für diese Situation in den Sinn kam. Ich wusste, dass Bilal (ein Freund aus der Zeit des Jura-Studiums) sehr gut Spanisch spricht. Ich erreichte ihn nicht in Berlin und rief deshalb seine Eltern im Schwabenland an. Irgendwann hatte ich ihn an der Strippe. Er sollte allen noch mal deutlich mitteilen, dass ich nicht überzeugt davon war, dass hier Suchaktionen ordentlich durchgeführt werden würden. Er redete mit den Frauen aus dem Frauenhaus, ich telefonierte parallel mit zwei Telefonen, rief unentwegt alle erdenklichen Leute an und überlegte, wie ich erzwingen könnte, die Suchaktionen zu sehen oder gar an ihnen teilzunehmen... Irgendwann rief mich Bilal an und erzählte mir etwas von einem Zeitungsbericht einer spanischen Zeitung. Es ging um die genauen Umstände ihres Todes. Ich hörte zu. Ich fing an, am Telefon zu heulen und zu schluchzen, wie gesagt, es war, als ob sie noch mal gestorben ist, denn ich erfuhr, dass man sie leicht hätte retten können, wenn ein deutliches Warnschild, das vor den Strömungen warnt, also ein Hinweis auf Todesgefahr, gegeben wäre oder die Rettungskräfte rechtzeitig eingetroffen wären oder die Suchaktionen (soweit es sie gegeben hat) nicht so schlampig verlaufen wären. Ich war wutentbrannt. Und wenn der Behörden-Arsch noch einmal aufgetaucht wäre, dann hätte er was erleben können. Ich war bereit, ihn in der Luft zu zerreißen. Doch er ließ sich nicht mehr blicken. Freunde in Trier schalteten das Auswärtige Amt, Botschafter und irgendwelche Hilfsorganisationen ein, weil wir keine „offizielle“ Unterstützung vom Honorarkonsul erfuhren. Er sagte mir, ich könne nicht an Suchaktionen teilnehmen. Ich rief Leute von der Presse an, die ich kannte. Ich war soweit, mir einen privaten Hubschrauber mit Piloten zu mieten, weil die Wahrscheinlichkeit, dass sie lebte, immer geringer wurde. Er sollte aber rund 8000 Euro kosten, die ich nicht hatte. Mein Onkel und mein Cousin machten Druck über die Behörden in der Türkei... Ein anderer Verwandter schaltete einen Diplomaten in Frankreich ein...Irgendwann bekam ich dann einen Anruf vom Botschafter, der mir, nachdem ich ihn mit einer Reihe von Argumenten in die Enge 32 getrieben hatte, etwas davon erzählte, dass es von meiner Schwester fahrlässig gewesen sei, bei der am damaligen Tage herrschenden Windstärke schwimmen zu gehen... Es war klar: Die Offiziellen wollten den Ball so flach wie möglich halten. Die Einzigen, die uns während der ganzen Zeit mit Herz und Seele unterstützten, waren Antonio (der Hotelbesitzer), Juan und die beiden Frauen aus dem Frauenhaus. Antonio rief für uns immer bei der Polizei an und fragte nach Neuigkeiten. Die Frauen aus dem Frauenhaus zitierten einen Polizeibeamten zu uns, der uns persönlich über die Suche Auskunft geben sollte (von ihm kam z.B. das Detail, dass ein Hubschrauberpilot den sich nicht mehr bewegenden Körper meiner Schwester gesichtet hatte, die Rettungskräfte aber angeblich nicht eingreifen konnten). Am dritten Tag klopfte es irgendwann an unserer Hotelzimmertür. Der Freund war nach dem ersten Tag schon abgereist, Peri hatte wiederholt Zusammenbrüche erlebt. Antonio reichte mir das drahtlose Telefon in die Hand, eine Frauenstimme fragte mich nach den Farben des Badeanzugs Neslihans, ich fragte Perihan nach den Farben. Ein Fischerboot hatte sie rund 80 Kilometer entfernt in dem Ort Cádiz gefunden – so sagte man es uns. Ich legte auf. Antonio lächelte und bedeutete, dass wir uns jetzt doch befreit fühlen müssten. Ich schaute ihn an und schloss die Zimmertür. Meine Schwester Perihan guckte mich an, setzte sich wieder auf die Bettkante, schaute auf den Boden. Ich fuhr nach Cádiz (auch das war mit Komplikationen verbunden), identifizierte sie (eine seltsam unvergessliche Zeitspanne, der Körper sah noch „fit“ aus, es war nicht zu fassen!) und wir bestatten sie in der Türkei. Ich habe an dieser Stelle mal die Geschichte abgekürzt. Ich erzähle demnächst mal mehr zu der Frage, wie es passiert ist und wie es weiter ging, denn das Ganze dauert selbstverständlich bis heute an. Wenn Du magst – ich wäre echt sehr froh –, wenn Du über Carolin erzähltest..., obwohl es schon 10 Jahre her ist...Aber Du musst natürlich nicht, wenn Du nicht willst oder kannst. Werde erst mal wieder gesund und viel Erfolg noch bei der Dissertation (Thema?)... Bis bald, Özkan 33 Elisabeth Seitz Chiamo il soccorso 113 Mein Mann und ich hatten vor, vom 13. bis 31. Oktober 2003 einen gemeinsamen Urlaub auf Sizilien zu verbringen. Am 13. Oktober flogen wir nach Palermo (Italien) und bezogen Quartier auf dem Campingplatz "Camping degli Ulivi", der in Sferracavallo nahe bei Palermo liegt. Am Donnerstag, den 16. Oktober planten wir, auf den Monte Pellegrino zu fahren. Während der Fahrt Richtung Monte Pellegrino suchten wir eine Bar für das Frühstück. Dabei sahen wir, dass am Strand von Mondello zwei Männer in den Wellen badeten. Wir beschlossen, nach einem kleinen Frühstück das Gleiche zu tun und erst danach zum Monte Pellegrino aufzubrechen. In einer Bar in Mondello tranken wir Cappucino und aßen ein Cornetto. Dann packten wir die Badesachen, die im Auto mit dabei waren, und gingen zum Strand. Wir hatten Ausweise und Geldbeutel dabei, deswegen wollten wir abwechselnd schwimmen. Mein Mann, der im Urlaub immer Tagebuch führte, beschrieb den Morgen am Campingplatz, das Frühstück in Mondello und maß bereits am Strand um 9.30 Uhr den Luftdruck. Er war Vermessungsingenieur und interessierte sich stets für das Wetter. Kurz danach ging mein Mann als Erster ins Wasser. Er lief durch das seichte Wasser, durchschritt die ersten kleinen Wellen und fing an zu schwimmen. Ich blieb mit unseren beiden Taschen und seinen Kleidern am Strand zurück, krempelte meine Hosenbeine hoch und lief durch das seichte Wasser. Mein Mann bewegte sich vom Strand weg. Plötzlich kam eine Welle, schwappte über meine Beine und durchnässte meine Hose oberhalb der Knie. Ich war überrascht von der Heftigkeit, ging rückwärts aus dem Wasser heraus, nahm schnell beide Taschen und die Kleidung meines Mannes, um sie vor dem Wasser in Sicherheit zu bringen. Sofort schaute ich nach meinem Mann. Ich sah, dass er relativ weit draußen war und mit den Armen heftig schwamm. Ich bekam ein ungutes Gefühl, winkte mit den Armen und rief: "Hey, Roland, … schwimm nicht so weit raus!" Mein Mann hörte mich nicht und reagierte auch nicht. Ich sah, dass sich ihm eine brechende Welle näherte. Sein Kopf wurde vom Wasser überspült, dann sah ich ihn wieder. Eine zweite Welle näherte sich. Ich bekam Angst, fing an zu rufen und zu schreien. Direkt hinter mir befand sich eine Bar, an der sich drei Männer aufhielten. Einer kam auf mich zu und fragte was los ist. Ich erklärte ihm, dass da draußen mein Mann schwimmt und ich Angst um ihn hätte. Nachdem die zweite Welle über meinen Mann geschwappt war, sah ich ihn nicht mehr. Ich hatte inzwischen riesige Angst. Nach wenigen Augenblicken, in denen mein Mann nicht wieder auftauchte, sagte der Mann von der Bar: "Chiamo il soccorso 113!" ("Ich rufe den Notruf!"). Ich nickte und sagte: "O.k! D'accordo!" ("Ich bin einverstanden!"). Einige Minuten darauf waren mehrere Polizisten am Strand. Einer nahm mir das Fernglas ab, das mein Mann in seiner Tasche mitführte und mit dem ich inzwischen nach ihm suchte. Der Polizist drängte mich zurück und schaute selbst mit dem Fernglas. Mehrere der Polizisten telefonierten mit den Handys. Ich fragte, was jetzt geschieht, ob zum Beispiel ein Rettungsschiff kommt. Am unteren Ende des Strandes waren zwischenzeitlich mehrere Wellenreiter ins Wasser gegangen. Ich hatte den Eindruck, dass der Polizist in ihre 34 Richtung sah. Dann sagte er: Ein Helikopter wird kommen. Erneut sagte ich "o.k". Ich machte mir Hoffnungen. Ich dachte, mein Mann ist ein Bergsteiger, er ist hart und geschickt, er treibt irgendwo im Wasser und kommt wieder zurück an Land. Bojen im Wasser hielt ich für seinen Kopf. Es war nun ungefähr eine halbe Stunde vergangen. Trotz der Hoffnungen war mir bewusst, was dies bedeutete. Plötzlich gingen die Polizisten in Richtung Wellenreiter. Mich drängten sie erneut zurück. Ein Mann, der am Strand war, blieb an meiner Seite. Die Wellenreiter bückten sich und ich sah, dass einer eine Person, die im Wasser trieb, unter den Achsel zu fassen suchte. Der Wellenreiter stürzte vom Brett, die Person entglitt ihm wieder. Der Wellenreiter stieg erneut auf sein Brett, wieder bückten sich zwei Wellenreiter ins Wasser. Polizisten waren ebenfalls zu der Stelle geeilt und liefen durch das seichte Wasser. Gemeinsam borgen sie meinen reglosen Mann. Es war inzwischen gut nach 10:40 Uhr. Ich fing an, auf meinen Mann zuzulaufen. Ich hatte erst einen kleinen Teil des Weges zurückgelegt, als die Ambulanz mit quietschenden Reifen vorfuhr, mehrere Personen aus dem Wagen sprangen, zu meinem Mann liefen, sich um ihn kümmerten und wenige Minuten darauf eine Decke über ihn breiteten. Ich war im Schockzustand. Danach begann das Warten auf den Amtsarzt und das Verhör durch die Polizisten. Eine Deutsch sprechende Dame, die früher am Goetheinstitut gearbeitet hatte, und ein Mann, der am Empfang des Palace-Hotels in Mondello arbeitet und mit einer Deutschen verheiratet war, kümmerten sich um mich. Die Amtsärztin kam nach etwa zweieinhalb Stunden. Der leitende Polizist erklärte mir, mein Mann sei ertrunken. Danach nahmen mich die Polizisten mit zum Commissariato Mondello, um den Bericht aufzunehmen. Die Nacht musste ich nicht auf Campingplatz verbringen, sondern konnte bei der Deutsch sprechenden Dame in der Wohnung bleiben. Mein Mann wurde am späten Abend zum Friedhof Cimitero dei Rotoli (Palermo) gebracht. Polizisten bauten das Zelt auf dem Campingplatz ab und brachten es mir. Die Mutter und ein Bruder meines Mannes sowie meine beiden Brüder kamen nach Palermo. Vom Bürgermeister von Palermo und seinem Büro erhielten wir alle große seelische, organisatorische und finanzielle Unterstützung. Wir konnten bereits am Samstag, den 18. Oktober gemeinsam nach München zurückkehren. Die Leiche meines Mannes wurde nach Frankfurt geflogen und anschließend mit dem Auto nach München gefahren. 35 Andrea Göbel Ungleicher Kampf Ich frage mich oft, warum ich nichts gespürt habe, als meine Schwester verzweifelt um ihr Leben gekämpft hat. An dem Tag an dem es passierte, ging ich zur Arbeit wie jeden Tag, beschäftigte mich mit Problemen, die keine waren und sprach mit Menschen, die ich nicht kannte. Als ich noch glaubte, es wäre ein Tag wie jeder andere, ertranken meine Schwester Nicole und ihr Freund Frank in den Fluten des Atlantiks an der Westküste Fuerteventuras. In den letzten Wochen vor ihrem Urlaub stand meine Schwester beruflich unter Dauerstress. Sie war bei Siemens Mobile als Teamassistentin tätig. Siemens hatte gerade seine Handysparte an den taiwanesischen BenQ-Konzern verkauft. Alle arbeiteten mit Hochdruck an einer reibungslosen Übergabe, ohne zu ahnen, dass sie in weniger als einem Jahr ohne Jobs auf der Straße stehen würden. Wie sich später herausstellte, hatte Siemens seine verlustreiche Handysparte ohne Sicherheiten und tragfähige Konzepte an BenQ verramscht und die berufliche Existenz seiner Mitarbeiter skrupellos aufs Spiel gesetzt. Die fragwürdigen Geschäftspraktiken von Siemens im Zusammenhang mit der Abstoßung der Handysparte und der schonungslose Umgang mit den eigenen Mitarbeitern, die zuvor noch weit reichende finanzielle Zugeständnisse zur Rettung ihrer Arbeitsplätze gemacht hatten, beschäftigten monatelang die Presse. Am Ende stand die Vernichtung von rund 3300 Arbeitsplätzen in Deutschland. Von alldem ahnte meine Schwester nichts, als sie sich entschloss, dem stressigen Berufsalltag für ein paar Tage den Rücken zu kehren. Kurz entschlossen buchte sie für sich und ihren Freund eine 10-tägige Urlaubsreise nach Fuerteventura in den Ferienort Costa Calma an der Ostküste der Insel. Der Job ließ ihr kaum Zeit für Besorgungen. Irgendwo fanden sich noch Reste von Sonnenmilch aus dem vergangenen Urlaub, Bikinis wurden quasi im Vorbeigehen gekauft, in der Hoffnung, sie mögen schon irgendwie passen. Dann war es endlich soweit. Ich sehe sie noch heute gelöst und voller Vorfreude in der Küche unserer Eltern stehen, als Frank sie abholte. Meine Mutter ging noch mit nach draußen und winkte ihnen nach, als sie mit dem Wagen davonbrausten. Einen Tag vor dem Unglück erhielt ich eine E-Mail von ihr, die sie vom Internet-Terminal des Hotels aus abschickte. Sie war begeistert von dem Urlaub, schwärmte vom tollem Wetter und endlos langen Stränden. Sie erzählte davon, was sie schon alles unternommen hätten. Mit dem Katamaran seien sie um die Küste geschippert, hätten faul auf dem Sonnendeck gelegen und zwischendurch im Meer gebadet. Auch Jet-Ski seien sie gefahren. Einmal habe sie sogar einen fliegenden Fisch gesehen. Dass sie ihren Urlaub in vollen Zügen genossen hat und in ihren letzten Tagen glücklich war, gibt uns ein wenig Trost. Als das Telefon klingelte und mein Vater am Apparat war, ahnte ich, dass etwas passiert sein musste. Mein Vater ruft sonst nie an. Wegen seiner Schwerhörigkeit macht er ums Telefon seit langem einen großen Bogen. Er bat mich nach Hause zu kommen, wollte aber nicht sagen, warum. Als ich bei meinen Eltern ankam, empfingen mich mein Vater und zwei Polizeibeamte. Meine Mutter war einkaufen. Ich hörte sie später draußen mit einer Nachbarin sprechen, nichts ahnend, was sich drinnen in der Wohnung abspielte. Es war so, wie man es aus einschlägigen 36 Kriminalfilmen kennt, nur dass es kein Film war, sondern Realität. Die Beamten sagten, dass sie uns eine traurige Mitteilung machen müssten. Nicole und Frank seien gestern auf Fuerteventura bei einer Wanderung von Wellen ins Meer gerissen worden und ertrunken. Ihre Dienststelle sei vom Bundeskriminalamt und dieses wiederum von der Deutschen Botschaft über die Todesfälle informiert worden, verbunden mit der Bitte, die Angehörigen zu benachrichtigen und diese zu ersuchen, sich um die Einzelheiten der Rückführung zu kümmern. Weitere Details seien ihnen nicht bekannt. Dann gingen sie und ließen uns fassungslos in einem Alptraum zurück, der bis heute andauert. In uns keimte die Hoffnung auf, dass hier eine Verwechselung vorliegen musste. Irgendjemand hatte sich geirrt und die falschen Personalien durchgegeben. Während bei uns die Verzweiflung umging, lagen Nicole und Frank bestimmt irgendwo am Strand und ahnten nichts von dem, was hier vorging. Eines Tages würden wir gemeinsam über diesen Irrsinn lachen und uns wundern, was heutzutage in der Welt so alles möglich ist. Doch insgeheim wussten wir, dass wir uns etwas vormachten. Es war jetzt an der Zeit, zu handeln. Bereits am nächsten Tag flog ich mit meinem Lebensgefährten nach Fuerteventura, um zu erfahren, was genau passiert war. Am Flughafen empfing uns eine Mitarbeiterin des deutschen Reiseveranstalters, bei dem meine Schwester die Reise gebucht hatte. Uns wurde ein Zimmer im selben Hotel zur Verfügung gestellt, in dem Nicole und Frank untergebracht waren. Der Weg zu unserem Zimmer führte vorbei an der großen Poollandschaft des Hotels. Überall begegneten uns fröhliche, braun gebrannte Menschen und ich glaubte, jeden Moment Nicoles Gesicht irgendwo in der Menge zu entdecken. Auf unseren Wunsch hin vermittelte man uns ein Gespräch mit zwei Zeugen, die den Vorfall beobachtet hatten und bereit waren, mit uns zu sprechen. Man organisierte darüber hinaus ebenfalls auf unseren Wunsch - eine Fahrt zur Unglücksstelle und vereinbarte einen Termin mit dem pathologischen Institut zur Identifizierung der Leichen. Wir fuhren zunächst zur Unfallstelle. Der Weg dorthin führte wenige Meter hinter Costa Calma durch eine wüstenähnliche Landschaft zur Westküste. Kurz vor der Ankunft blieb der Jeep mit durchdrehenden Reifen im Sand stecken. Dem Fahrer gelang es nicht, das eingegrabene Fahrzeug frei zu fahren. Wir ließen es stehen und folgten dem angedeuteten Trampelpfad durch den Sand hinunter zur Westküste. Es war Ebbe. Das Meer war zwar wild und schlug schäumend gegen die Küste, reichte aber längst nicht an den Platz hinauf, an den wir standen. Man zeigte uns die Stelle, an der es passiert sein sollte. Hier soll es gewesen sein? An diesem harmlos anmutenden Platz? Das Meer lag tief unter uns. Zu weit weg, als dass es uns gefährlich werden könnte. Wie konnte es sein, dass meine Schwester an diesem Ort von einer Welle überrascht und ins Meer gerissen wurde. Wir baten unsere Begleiter, uns allein zu lassen und starrten lange Zeit aufs Meer hinaus. Wir warfen ein paar Blumen hinab in die schäumenden Wellen. Später gingen wir zum Fahrzeug zurück und versuchten ein letztes Mal, den Jeep aus den 37 Sandmassen zu befreien. Ohne Erfolg. Unsere Begleiter versuchten über Handy, Hilfe herbeizurufen. Aber es gestaltete sich sehr schwierig, in dieser abgelegenen Gegend eine Netzverbindung herzustellen. Endlich gelang der Kontakt und man vereinbarte einen Treffpunkt kurz vor Costa Calma, mehrere Kilometer von unserem Standort entfernt. Wir wanderten schweigend durch die Wüste. Ich hätte die Sahara und die Wüste Gobi gleichzeitig durchqueren können, ohne dass es mir etwas ausgemacht hätte. Irgendwann sahen wir aus der Ferne ein Fahrzeug, das auf uns wartete und uns nach Costa Calma zurückbrachte. Die beiden Augenzeugen erwarteten uns bereits und blickten uns verunsichert entgegen. Sie hätten nicht mit uns sprechen müssen. Ich rechne es ihnen hoch an, dass sie es getan und sich unseren Fragen gestellt haben. Aus ihren Erzählungen und den Dingen, die wir später noch erfuhren, ergab sich folgendes Bild: Der Ausflug zur Westküste war vom deutschen Reiseveranstalter über einen Aushang im Hotel angeboten worden. Interessenten konnten sich bei der Reiseleitung anmelden. Rund 50 Teilnehmer fanden sich am Morgen des besagten Tages am vereinbarten Treffpunkt an der Rezeption des Hotels ein, um zur gemeinsamen Wanderung aufzubrechen. Die Führung der Gruppe übernahm ein Mitarbeiter des Reiseunternehmens, der in der Hotelanlage als Sportanimateur tätig war. Die 12-kilometerlange Wanderung sollte etwa 2 1/2 Stunden dauern und vom Hotel zur gegenüberliegenden Seite der Insel führen. Rechtzeitig zum Mittagessen wollte man wieder zurück sein. Die Gruppe ging vermutlich den gleichen Weg, den wir zuvor mit dem Jeep zurückgelegt hatten. Sie durchquerten die wüstenähnliche Landenge, die man - wie ich später las - den Istmo de la Pared nennt und erreichten die Westküste gegen 11 Uhr Ortszeit. Anders als bei unserem Aufenthalt herrschte zu diesem Zeitpunkt Flut; das Meer war deutlich wilder und reichte viel höher an die Küste heran. Der Tourleiter gab ihnen 15 Minuten Zeit für eine Rast. Danach wollte man den Rückweg nach Costa Calma antreten. Die Leute zerstreuten sich daraufhin an der Küste, um das spektakuläre Panorama mit ihren Kameras festzuhalten. Meine Schwester sah die Welle nicht kommen. Sie stand mit dem Rücken zum Meer, um sich von ihrem Freund fotografieren zu lassen. Die Welle riss sie von den Beinen und drohte sie über den Küstenrand ins Meer zu ziehen. Frank warf die Kamera beiseite, stürzte zu ihr und ergriff sie. Bevor sie sich in Sicherheit bringen konnten, wurden sie von einer weiteren Welle überrollt und ins Meer gerissen. Von den Wellen umher geworfen; hielten sie sich noch eine Zeit lang an den Händen, wurden aber bald von der gewaltigen Brandung auseinander gerissen und gegen die Klippen geschleudert. Meiner Schwester wäre es fast gelungen, sich aus den Wassermassen zu befreien. Mit letzter Kraft schaffte sie es, sich an den rutschigen Klippen festzuklammern und daran hochzuklettern. Doch der Atlantik war nicht bereit, sie frei zu geben. Die Wellen brandeten unaufhörlich gegen die Küste und rissen sie zurück ins Meer. Als die Kraft sie verließ, zog die Strömung sie hinab in die Tiefe und trug sie hinaus aufs offene Meer. Von den vielen Menschen, die ihren Überlebenskampf vom Küstenrand aus beobachtet haben, hat kein einziger den Mut und die Kraft gefunden, ihr zur Hilfe zu kommen. Bis es endlich jemandem gelang, mit seinem Handy eine Netzverbindung zur Außenwelt herzustellen, war es für eine Rettung längst zu spät. Es dauerte fast zwei Stunden, bis erste Rettungskräfte vor Ort waren. Während Frank noch an der Unfallstelle geborgen werden konnte, war meine Schwester durch die Strömung abgetrieben worden. Hubschrauber suchten nach ihr 38 und fanden sie schließlich sechs Stunden später eineinhalb Seemeilen vom Unglücksort entfernt. Der von den Zeugen geschilderte Ablauf der Wanderung und die chaotischen Verhältnisse am Unfallort warfen eine Vielzahl von Fragen in uns auf. Was hatte eine Gruppe Pauschalurlauber an diesem abgelegenen, augenscheinlich gefährlichen Ort überhaupt zu suchen? Wussten die Leute um die Gefährlichkeit dieses Ortes? Waren sie vorher über die Gefahren aufgeklärt und gewarnt worden? Warum hatte der Tourleiter keinerlei Notfallausrüstung dabei? Dass sich diese Fragen auch das spanische Amtsgericht auf Fuerteventura stellte und inzwischen eine Untersuchung gegen den Wanderführer eingeleitet hatte, erfuhren wir erst, als wir bereits nach Deutschland zurückgekehrt waren. Im Obduktionssaal des Inselkrankenhauses erhielten wir schließlich die traurige Gewissheit, dass es sich bei den Verunglückten um meine Schwester und ihren Freund handelte. Bis zuletzt hatten wir uns an der Hoffnung festgeklammert, dass sich doch noch alles als riesengroßer Irrtum herausstellen würde. Aber die Realität holte uns ein und zerstörte den letzten Funken Hoffnung. Wir erledigten die notwendigen Formalitäten, um Nicole und Frank nach Hause zu holen und flogen zurück nach Deutschland. Unsere Suche nach Antworten führte uns in den darauf folgenden Jahren auf eine zermürbende Odyssee durch die Instanzen spanischer und deutscher Gerichte. Es dauerte allein ein Jahr, bis es uns mit Hilfe spanischer Anwälte gelang, Einsicht in die Gerichtsakten zu nehmen und Einzelheiten des gegen den Wanderführer eingeleiteten Strafverfahrens in Erfahrung zu bringen. Es stellte sich heraus, dass die Wanderung in ein Küstengebiet führte, das in der Region als hochgefährlich bekannt ist. Wegen seiner unkalkulierbaren Risiken wird dieser Küstenabschnitt, dem man den klangvollen Namen "Agua Liques" gegeben hatte, selbst von Einheimischen gemieden. Viele Menschen hatten dort im Laufe der Jahre ihr Leben verloren. Das Gericht warf dem Wanderführer vor, seine Sorgfaltspflichten verletzt zu haben, in dem er die ahnungslosen Urlauber in diese gefährliche Gegend brachte, ohne sie über die Risiken aufzuklären. Er hatte nicht verhindert, dass sich die Reisegäste der Küste näherten, um dort zu fotografieren und trug darüber hinaus auch keinerlei Ausrüstung bei sich, um im Notfall selbst Rettungsmaßnahmen einzuleiten zu können. Dies alles war für uns unbegreiflich. Die Wanderung war doch schließlich nicht von irgendwem, sondern von einem renommierten deutschen Reiseveranstalter angeboten worden, der in seinen Katalogen eine professionelle Reisedurchführung und die Sicherheit seiner Reisegäste garantiert. Darf man sich dann nicht darauf verlassen, dass die angebotenen Ausflüge ungefährlich sind, von qualifiziertem Personal durchgeführt und für Notfälle entsprechende Vorkehrungen getroffen werden? Nicole und Frank hatten jedenfalls darauf vertraut und mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen. Wir erstatteten Strafanzeige und reichten gleichzeitig Zivilklage gegen den Reiseveranstalter ein, um ihn für den Tod meiner Schwester und ihres Freundes zur Verantwortung zu ziehen. Seit dem tragischen Unglück sind inzwischen vier Jahre vergangen. Das Strafverfahren gegen den Animateur wurde in zweiter Instanz eingestellt. Ebenso das auf unsere Strafanzeige eingeleitete staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführer des Reisekonzerns. Wir brauchten drei Anwälte, zwei Übersetzer und eine gute Rechtsschutzversicherung, um in zweiter Instanz wenigstens einen Vergleich mit dem 39 Reiseveranstalter zu erzielen. Am Ende ist die Gerechtigkeit dabei auf der Strecke geblieben. Diese Erzählung ist meiner Schwester Nicole und ihrem Freund Frank gewidmet, der unter Einsatz seines Lebens versuchte, sie zu retten. 40 Hans-Jürgen Christ Er hatte noch so viel vor Robert, positiv, lebensfroh und sportlich, liebte die körperliche Bewegung. So spielte er seit seinem 6. Lebensjahr Fußball und genoss diesen sportlichen Wettkampf genauso wie die Kameradschaft im Team – und dies all die Jahre hindurch bis zu jenem schlimmen 16. September im Jahr 2008. Daneben fand er genügend Zeit für Schwimmen, Ski fahren, Squash, Fitness und – in der jüngsten Zeit – die Teilnahme an mehreren Marathon-Läufen. Sport bedeutete für ihn Spaß und Entspannung. Ein wesentlicher Teil in seinem Leben waren für ihn seine Familie und seine Freunde. Mit seinen Freunden wurde, so oft es ging, gemeinsam etwas unternommen, und wenn es sich bei den Marathon-Läufen einrichten ließ, dann lief er sie im Team wie 2007 beim Quelle ChallengeTriathlon in Roth, wo er bei der Staffel den Part des Läufers übernahm. Genauso wichtig war für Robert seine Familie. Trotz Beruf und immer knapper werdender Zeit kam er gern nach Hause. Robert war ein Mensch voller Lebensfreude und Zuversicht. Das meiste war ihm leicht gefallen im Leben, alles lief gut und alles war schön, zu schön… Nach seinem Examen als Diplom-Kaufmann arbeitete er bei KPMG als Wirtschaftsprüfer und im Juli 2008 hatte er beschlossen, sich zur Steuerfachprüfung anzumelden und im Anschluss daran die Prüfungen zum Wirtschaftsprüfer abzulegen. Das – so war ihm klar - bedeutete, dass er neben seiner Tätigkeit für KPMG - im kommenden Jahr die restliche Zeit für Prüfungsvorbereitungen benötigen würde. Deshalb beschloss er kurzfristig, schnell noch einmal in den Urlaub zu fahren - um “Kraft zu tanken“, wie er sagte. Im nächsten Jahr würde er dafür keine Zeit haben. So kurzfristig jemanden aus dem Freundeskreis zu finden, der mitfahren konnte, war schwierig. Er hatte auch seine Schwester gefragt und es gelang ihr, sich für diese Reise frei zu nehmen. Urlaubsreise in die Dominikanische Republik Am 7. September 2008 war es soweit. Mit dem Reiseveranstalter ITS Billa Reisen, Wien - einem Tochterunternehmen der Rewe Touristik GmbH Deutschland - flogen unser Sohn und unsere Tochter in die Dominikanische Republik nach Puerto Plata. In Cabarete im Hotel „Viva Wyndham Tangerine“ wollten Sie sich 14 Tage entspannen. Schnell fand sich eine Gruppe von jungen Leuten und man genoss die Zeit miteinander. In der zweiten Woche buchten unser Sohn und unsere Tochter den Tagesausflug zur Insel Saona. Der Veranstalter dieses Tagesausflugs war die „GO Caribic S.A.“. Wie auch ITS Billa Reisen, ist GO Caribic S.A. ebenfalls ein Tochterunternehmen der Rewe Touristik GmbH Deutschland und als solches der Vor Ort - Dienstleister für die zur Rewe Touristik Gruppe gehörenden Reiseveranstalter. In den Reiseunterlagen unserer Kinder ist GO Caribic S.A. ausdrücklich als „Zielgebietsbetreuung“ genannt. Unsere Kinder hatten ein gutes Gefühl. 41 „Trauminsel“ Saona Der Ausflug fand am 16. September 2008 statt und etwa 14 Personen nahmen teil. Zuerst flog die Gruppe in den Süden der Dominikanischen Republik, besuchte ein verlassenes Künstlerdorf und setzte danach mit einem so genannten Speedboot mit zwei schweren Außenbordmotoren zu einem Strand an der „Trauminsel“ Saona über. Dort am Strand gab es zur Mittagszeit ein Picknick und anschließend freie Zeit zum Schwimmen, Schnorcheln und Sonnenbaden. Um 14.45 Uhr wollte man sich wieder am Strand treffen, um mit einem großen Katamaran zurück zum Festland zu fahren. Das Wetter war herrlich und die Stimmung gut. Im Wasser direkt am Strand ankerten Motorboote. Neben und zwischen ihnen schwammen und schnorchelten Ausflügler der verschiedensten Nationalitäten. Etwas weiter draußen ankerten die Katamarane, die nicht so dicht an das Ufer fahren konnten. Da unser Sohn beabsichtigte, Schnorcheln zu gehen, begleitete Antonio, der Reiseleiter, ihn zu einem Verkaufsstand, wo er sich eine Schnorchel-Ausrüstung ausleihen konnte. Kurze Zeit danach kam unser Sohn noch einmal kurz zu seiner Schwester zurück, um ihr etwas Wechselgeld zu geben, das er nicht mitnehmen wollte. Ein österreichisches Ehepaar und ein deutscher Ausflugsteilnehmer trafen ihn dann noch einmal, als er langsam ins Wasser watete. Wie vereinbart, traf man sich um 14.45 Uhr am Strand. Schließlich wartete man nur noch auf unseren Sohn. Aber er kam nicht. Während die übrigen Ausflugsteilnehmer zu dem wartenden Katamaran gebracht wurden, suchten unsere Tochter (nachdem sie mit einem Anruf bei der Vorgesetzten des Ausflugsleiters dafür gesorgt hatte, dass die Suche nicht abgebrochen wurde) zusammen mit dem Ausflugsleiter und dessen Freundin sowie mit 2 oder 3 weitere Personen nach unserem Sohn, indem sie mit dem Speedboot langsam die Küste links und rechts des Strandes abfuhren. Ungefähr um 17.30 Uhr fanden sie unseren Sohn. Er lag am Grunde des klaren türkisfarbenen Wassers in ungefähr 1,5 bis 2 Metern Tiefe. Die Küstenwache brachte den Leichnam unseres Sohnes in die Provinzstadt Higuey, und unsere Tochter sowie der Ausflugsleiter mit seiner Freundin übernachteten dort in einem Hotel. Dieser Ausflug beendete das viel versprechende Leben eines jungen Mannes und zerstörte ein glückliches Familienleben. Ergreifend auch der Bericht eines der Ausflugsteilnehmer, der – zusammen mit anderen Teilnehmern - auf unsere Tochter traf, nachdem sie alle vom Ausflug zurück an Land gekommen waren: Unsere Tochter weigerte sich, mit den anderen Ausflugsteilnehmern zurück zum Flughafen zu fahren. Sie wollte in dem Ort bleiben, wo ihr Bruder von der Küstenwache zur Aufbewahrung hingebracht werden sollte. Sie hatte einen Schock. Sie schrie. Der betreffende Ausflugsteilnehmer forderte den Ausflugsleiter auf, für ärztliche Betreuung zu sorgen. Andere Ausflugsteilnehmer schlossen sich dem an. Der Ausflugsleiter versprach es. Fakt ist, dass nichts dergleichen geschah, auch später nicht. 42 Die Nacht im Hotel und auf der Polizeiwache Dem schlimmsten Nachmittag ihres Lebens folgte für unsere Tochter die schlimmste Nacht ihres Lebens: Sie musste uns über dem Tod ihres Bruders, unseres Sohnes, informieren. Nach einer furchtbaren durchwachten Nacht allein in ihrem Hotelzimmer in Higuey verbrachte unsere Tochter den nächsten Tag zusammen mit dem Ausflugsleiter und dessen Freundin fünf oder sechs Stunden auf der örtlichen Polizeistation, wo ein Protokoll über den Tod unseres Sohnes erstellt werden sollte. Die Polizei sprach nur Spanisch, das Protokoll wurde in Spanisch verfasst und so war der einheimische Ausflugsleiter der direkte Gesprächspartner der Polizei. Als unsere Tochter während der Erstellung des Berichtes informiert wurde, dass sie das Protokoll unterschreiben solle, bat sie darum, dass man es ihr ermögliche, Freunde in Deutschland anzurufen, die fließend Deutsch und Spanisch sprechen (Mittels einer Email- oder Fax hätte man den Betreffenden den Bericht zumailen oder zufaxen können. Evtl. hätte auch ein Anruf und Vorlesen am Telefon genügt). Der Ausflugsleiter lehnte diese Bitte ab. Deshalb hat unsere Tochter das Protokoll nicht unterschrieben. Wieder in ihrer Hotelanlage angekommen, unterstützten zwei junge Frauen, die sie dort kennen gelernt hatte, unsere Tochter. Unter anderem besorgten sie ihr Schlaftabletten. Am 20. September kehrte unsere Tochter aus der Dominikanischen Republik zurück. Wie reagierte der Reiseveranstalter? Kurz gesagt: Er reagierte gar nicht. Nach dem schrecklichen Tod unseres Sohnes haben wir von den zur Zeit des tödlichen Unfalls verantwortlichen Touristik-Organisationen nichts gehört. Kein Anruf, keine Kondolenz, nichts. Nachdem weitere Wochen vergangen waren, ohne dass sich der verantwortliche Reiseveranstalter auch nur einmal gemeldet hat, fingen wir an zu begreifen, dass der Reiseveranstalter schlicht ‚abgetaucht‘ war und hoffte, sich auf diese Weise mit diesem unangenehmen Thema nicht weiter befassen zu müssen. Unser erster Brief – Der Geschäftsführer von ITS BILLA REISEN wusste von nichts Zweieinhalb Monate nach dem furchtbaren Unglück schrieben wir einen Brief an die Geschäftsleitung der REWE Touristik GmbH in Köln und an deren lokales in der Dominikanischen Republik tätige Tochterunternehmen GO Caribic S.A., das den so tragisch verlaufenen Tagesausflug durchgeführt hatte. Einige Tage später, am 3.12.2008, erhielten wir einen Anruf von dem Geschäftsführer des Reiseveranstalters ITS Billa Reisen, Wien. Also von demjenigen Reiseveranstalter innerhalb der REWE Touristik Gruppe, über den unser Sohn und unsere Tochter die Reise gebucht hatten. Zu unserer Fassungslosigkeit zeigte sich der Geschäftsführer erstaunt über diesen schrecklichen Unglücksfall. Er nahm an, sagte er, unser Sohn sei ertrunken. Ihm sei „aus der Karibik“ nichts anderes gemeldet worden. Abgesehen davon, dass wir hierdurch gelernt haben, dass ein ertrunkener Tourist seinem Reiseveranstalter nicht einmal eine Beileidskarte wert ist, ist diese Aussage nicht glaubhaft. 43 Schon bei der Bergung der Leiche unseres Sohnes war klar, dass ein Motorboot unseren Sohn überfahren haben muss. Ein Großteil des linken Armes fehlte ihm. Einige der Ausflugsgäste erfuhren dies schon von der Besatzung des Katamarans (die wohl über Funk mit der Küstenwache in Verbindung stand) als dieser mit den Ausflüglern von Saona zum Festland zurückkam. Ebenso haben dies die Piloten, die die Ausflügler zurück nach Cabarete gebracht haben, in klarer Weise signalisiert. Die Ausflugsgäste können beides jederzeit bezeugen (die in der Dominikanischen Republik und in Deutschland durchgeführten gerichtsmedizinischen Untersuchungen haben diese Unfallursache dann bestätigt). Sehr nachdenklich stimmt in diesem Zusammenhang, was einer dieser Ausflugsteilnehmer weiter berichtete. Zu der Aussage, dass es einen tödlichen Unfall eines Schnorchlers mit einem Motorboot gegeben habe, erklärte seine Reiseleiterin (Dieser Ausflugsteilnehmer war in einem anderen Hotel untergebracht, er hatte seine Reise in die Dominikanische Republik ebenfalls bei einem Reiseveranstalter der REWE Touristik Gruppe gebucht und seine Reiseleiterin gehörte deshalb auch diesem Unternehmen an): „Alles Quatsch, der junge Mann ist zu weit raus geschwommen und ertrunken.“ Eine offene Kommunikation findet nicht statt Im Telefongespräch vom Anfang Dezember versprach der Geschäftsführer von IST Billa Reisen, ab jetzt „engen Kontakt“ zu halten. Allerdings – außer, dass wir eine kurze Mail erhielten mit Hinweis auf fehlende behördliche Dokumente - geschah fast 2 Monate nichts. Ende Januar 2009 schrieben wir einen Brief an ITS Billa Reisen. Mit eindringlichen konkreten Fragen. In einer kurzen formalen Antwort ging die Geschäftsführung in keiner Weise auf diese Fragen ein. Wir schrieben noch einmal und wieder erhielten wir ein Schreiben, das inhaltlich abermals in keiner Weise auf unsere Fragen einging. Wir stellten fest, wie naiv wir gewesen waren. Seitens des Reiseveranstalters gibt es – die Empfehlung seiner Juristen ist offensichtlich - nur eine Priorität: Nichts tun bzw. alles unterlassen, was in irgendeiner Form dazu beitragen könnte, Verantwortung für das Geschehene übernehmen zu müssen. Das hat eine so hohe Priorität, dass jegliche sinnvolle Kommunikation unterbleibt. Ehrlichkeit, Anstand und Fairness bleiben auf der Strecke. Auf dieses Schreiben antworteten wir nicht mehr. Es kamen danach einige weitere kurze Schreiben von der Geschäftsleitung von ITS Billa Reisen, die inhaltlich nichts aussagten und lediglich auf die noch ausstehenden behördlichen Dokumente verwiesen. Als dann der Obduktionsbericht aus der Dominikanischen Republik und – nach Schließung der Akten - der Bericht der Deutschen Staatsanwaltschaft vorlag, kam am 4.6.2009 ein Schreiben von der „Rechtsvertretung“ von REWE Touristik Austria. Von diesem Rechtsvertreter wurde uns kurz und lapidar mitgeteilt, dass das Schließen der Akte unseres Sohnes bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth bedeute, „dass die Strafbehörde weder gegen eine bestimmte Person noch gegen Unbekannt einen konkreten Verdacht auf Begehung einer strafbaren Handlung besitzt“, dass die Bemühungen seiner Mandantschaft, die Ereignisse aufzuklären, leider keinen Erfolg hatten und dass er uns im Namen seiner Mandantschaft nochmals aufrichtiges Beileid und tief empfundenes Mitgefühl versichern solle. Das offensichtliche Warten auf die behördlichen Dokumente – deren Inhalt vorhersehbar war – und die Argumentation in dem Anwaltsschreiben legen nahe, dass die Art und Weise, wie man uns gegenüber reagieren wollte, ebenso von vorn herein feststand wie der Inhalt dieses Schreibens. 44 Unser Familienleben Unser Familienleben ist nur noch ein Schatten dessen, was es einmal war. Zu groß sind die Trauer und die Verzweiflung. Robert nicht mehr bei uns zu haben, hinterlässt ein so riesiges Loch in unserer Mitte, dass wir Schwierigkeiten haben, ins Leben zurückzufinden. Sein Zimmer bei uns im Haus ist noch in dem Zustand, in dem es vor dem schrecklichen Geschehen war. Ebenso seine Dateien und Fotos, die er auf unserem Rechner gesichert hatte und die Emails, die er uns geschickt oder von uns erhalten hat. Und wenn wir beim Suchen in den Emails nur etwas zurückblättern, stoßen wir auf Mails wie „Hallo Mama“ und „Hi Papa“.... Ich bin inzwischen der katholischen Kirche beigetreten. Während ich bisher keiner Kirche angehörte, waren meine Frau und die Kinder katholisch. Zu der Entscheidung gibt sicher nicht viel zu erklären. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat die Akten nicht deshalb geschlossen, weil es keinen Verdacht gibt, sondern nur deshalb, weil – wie sich zeigte - die Behörden der Bundesrepublik Deutschland keinen Zugriff auf die polizeilichen Ermittlungen in der Dominikanischen Republik haben. Der Verdacht der fahrlässigen Tötung ist nach wie vor gegeben, ebenso der Verdacht auf grobe Fahrlässigkeit durch Unterlassen. Und diese Fahrlässigkeit ist es, die uns nicht zur Ruhe kommen lässt. Damit meinen wir nicht – bzw. nicht nur - den Führer des Bootes, das den tödlichen Unfall verursacht hat, sondern wir meinen vor allen Dingen die Verhältnisse, die an jenem Strand von Saona herrschten, als dort der tödliche Unfall geschah. Verhältnisse, die einen solch schrecklichen Unfall erst möglich machten. Unsere Tochter und andere Teilnehmer des schlimmen Ausfluges haben an jenem Nachmittag an diesem Strand eine Reihe von Fotos gemacht. Und diese Fotos zeigen ein chaotisches Durch- und Nebeneinander von Schwimmern, Schnorchlern und Motorbooten. Bei derartigen Verhältnissen an einem Badestrand kann es nur eine Frage der Zeit sein, bis etwas passiert. Es war eines unserer Hauptanliegen von Anfang an, dass hinsichtlich der Sicherheit an jenem Strand von Saona - und natürlich an Stränden mit einer ähnlichen Problematik – substantielle Verbesserungen stattfinden. Damit solch furchtbare Unglücke künftig möglichst nicht mehr passieren. Nach einem Telefongespräch zwischen den Anwälten reagierte die der Reiseveranstalter, indem er über seinen Anwalt erstmals eine Stellungnahme auch inhaltlicher Art abgab. In dieser Stellungnahme legt er dar, dass der betreffende Strandabschnitt behördlich zum Badebetrieb freigegeben ist. Außerdem sind seinem Schreiben Fotos des Strandabschnittes beigefügt, die zeigen sollten (wörtlich): „..dass der strandnahe Wasserbereich weitläufig mit einer Schwimmleine gegen das freie, dem Bootsverkehr dienende Wasser abgesperrt ist. Das Überfahren derselben durch Motorboote ist aus technischen Überlegungen ebenso auszuschließen …. wie die unwillkürliche Überquerung der Grenze durch die Schwimmer.“ Die Fotos sind zumeist aus der Luft aufgenommen und wahrscheinlich um 06:30 am Morgen. Sie zeigen einen menschenleeren Strand. Die Argumentation erweckt den Eindruck einer heilen Welt: Hier die Motorboote, dort die Schwimmer. Nur: Das stimmt so nicht. Die Bilder von dem menschenleeren Strand haben mit der Wirklichkeit nichts gemein. Es ist unglaublich, entweder hat sich bei REWE Austria Touristik niemand die Mühe gemacht, das Schreiben des Anwaltes zu prüfen, bevor es rausging, oder man 45 weiß wirklich nichts von den Verhältnissen vor Ort. Selbstverständlich gibt es an diesem Strand Motorboote auf beiden Seiten der „Schwimmleine“. Es gibt Lücken in der Bojenkette, extra damit die Motorboote – natürlich sollten sie das langsamer tun - bis ans Land fahren können, um die Touristen dort (fast) trockenen Fußes absetzen zu können, sie von dort zurück zu einem Katamaran zu bringen oder um - im Falle der Einheimischen - ihre Waren zu seinem Verkaufsstand zu bringen. Um es ganz klar zu sagen: Es herrschte ein reger Motorboot-Verkehr innerhalb des durch die weißen Bojenkette markierten Bereiches. In einem Bereich, in dem geschwommen und geschnorchelt werden soll. Mit anderen Worten: Es herrscht dort ein chaotisches Durch- und Nebeneinander von Motorbooten, Schwimmern und Schnorchlern. Nicht nur unsere Tochter sondern auch die anderen Teilnehmer des Ausfluges können das bestätigen. Wie man den Strand sicherer machen kann Die Fotos, die unsere Tochter und andere Ausflugsteilnehmer an jenem schlimmen Nachmittag am Strand von Saona machten, belegen chaotischen Zustände. Der strandnahe Badebereich muss weitläufig mit einer Bojenkette gegen das freie, dem Bootsverkehr dienende Wasser abgesperrt sein. Aber diesmal konsequent! Ohne Lücken für die Boote: Der Strand, an dem bisher die Ausflüge stattfanden, befindet sich eine in das Meer hinausführenden Folge von Steinen, die vielleicht die Reste einer Mole darstellen, Er ist jetzt nur für die Badegäste reserviert und mit einer durchgehenden lückenlosen Bojenkette abgesichert. Auf der anderen Seite der zerfallenen Mole - im Vordergrund - sieht man den Bereich, an dem die Motorboote anlegen. Das Prinzip einer solch klaren Trennung der Bereiche für Schwimmer/Schnorchler einerseits und Motorboote andererseits lässt sich in abgewandelter Form auch auf andere Strände übertragen. Wie könnte das furchtbare Unglück geschehen sein? Angesichts der chaotischen Situation an jenem Dienstag am Strand von Saona und angesichts dessen, was an jenem Tag Furchtbares passiert ist, sind es immer wieder verzweifelte Fragen wie die folgenden, die einem durch den Kopf gehen: • • • • • Wer kontrolliert, ob die Motorboote innerhalb des durch die Bojen abgegrenzten Bereiches die dort vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit einhalten? Was passiert, wenn ein Speedboot mit zwei schweren Außenbordmotoren ‚nur‘ Schrittgeschwindigkeit fährt und jemand gerät in die Schrauben? Macht sich jemand Gedanken darüber, dass der Bootsführer bei vielen Motorbooten hinten sitzt. und dass er das, was vor ihm geschieht. nur unvollständig überblickt? Einzelne Schwimmer oder Schnorchler nimmt er eventuell gar nicht wahr. Wer garantiert, dass die Motorboote – wenn sie aus dem durch die Bojen markierten Bereich hinausfahren – nicht schon 4 oder 5 Meter vorher „Gas geben“‘? Wer kontrolliert das? Was geschieht, wenn der Bootsführer des Motorbootes, das auf der Bojenkette „ankert“, den Motor anwirft, um dort wegzukommen, falls sich inzwischen ein Schnorchler genähert hat? 46 • • • Warum lässt man es überhaupt zu, dass Motorboote mit teilweise sehr schweren Außenbordmotoren durch extra offen gelassen Lücken in den für Schwimmer und Schnorchler freigegebenen Bereich einfahren dürfen? Macht sich niemand Gedanken darüber, dass Schwimmer - aber insbesondere Schnorchler, deren Wahrnehmung im Wesentlich nach unten gerichtet ist - es eventuell gar nicht merken, wenn sie den für sie freigegebenen Bereich verlassen. Nämlich wenn sie sich innerhalb einer der Lücken befinden, die die Bojenkette hat. Über die Deutsche Botschaft in Santo Domingo erfuhren wir, dass es für diesen Strand keinen so genannten ‚Strandverantwortlichen‘ gibt. Warum nicht? Folgt man diesen Gedankengängen und Fragen, so wird deutlich, wie unfallträchtig die Situation an diesem Strand an jenem Nachmittag war (und falls nichts verändert wurde, heute noch ist). Wenn ein Reiseveranstalter seine Ausflugsteilnehmer an einen solchen Strand bringt und Ihnen dort Schwimmen und Schnorcheln gestattet, dann ist „fahrlässig“ aus unserer Sicht eine viel zu milde Bezeichnung für ein solches Verhalten. Es ist ein Verbrechen. Der Fundort von Roberts Leiche In der Stellungnahme des Anwaltes von REWE Austria Touristik heißt es „….ist abzuleiten, dass sich dieser (Robert Christ) zum Unfallzeitpunkt weit außerhalb des abgesperrten Bereiches befunden haben muss, weil allenfalls mit einer küstenparallelen Strömung, nicht aber mit einer ablandigen, zu rechnen ist. Die Markierung des Fundortes liegt zwar außerhalb des von den Bojen eingegrenzten Bereiches, aber wiederum nicht so weit, als dass der Unfall nicht innerhalb des freigegebenen Bereiches hätte stattfinden können. Wir glauben nicht, dass er sich zum Unfallzeitpunkt außerhalb des durch die Bojen abgegrenzten Bereiches aufhielt. Unsere Tochter war dabei, als unser Sohn gefunden wurde. Hier ihre Aussagen: „Ja, der Fundort lag außerhalb des durch die Bojen abgegrenzten Bereiches. Aber nur etwa 30 bis 50 Meter vom Ufer entfernt und ca. 100 Meter links von der Mitte des Sandstrandes an dem wir gepicknickt hatten.“ Das ist nicht weit entfernt von dem eingegrenzten Bereich. Und bis hierher hätte ihn leicht die Strömung mitnehmen können. Auch wenn sie im Wesentlichen küstenparallel verläuft. Eine minimale ablandige Komponente hätte genügt. Außerdem könnte er allein schon durch den Sog eines fahrenden Bootes oder durch seine verzweifelten Schwimmbewegungen im Todeskampf seinen Standort bewegt haben. Und es kommt noch etwas anderes hinzu: Wir kennen unseren Sohn und können eines mit Gewissheit sagen: wenn - wie von den übrigen Ausflugsgästen bestätigt - der Ausflugsleiter davor gewarnt hat, den durch Bojen abgegrenzten Bereich zu verlassen, dann wird unser Sohn es auch nicht getan haben. Schließlich hat er sich mit dem Ausflugsleiter nicht nur länger unterhalten, sondern jener hat ihn noch zu dem Geschäftsstand geführt, wo er sich die Schnorchelausrüstung ausleihen konnte. Unser Sohn war nie leichtfertig und ging nie unnötige Risiken ein. Nur um zwei Beispiele zu geben: wenn er mit Freunden abends wegging, war es üblich, dass sich einer von ihnen bereit erklärte, nicht zu trinken und als er mit Freunden einen Urlaub in Spanien verbrachte, hielt er sich zurück und stieg nicht - wie Freunde von ihm –hinunter in die Gassen von Pamplona, um sich von den Stieren jagen zu lassen. Er war immer vorsichtig. Beides, die Aussagen unserer Tochter und die Tatsache, dass wir unseren Sohn gut genug kennen, um sagen zu können, dass er gefährliche Risiken nicht einging, beides gibt uns die Gewissheit, dass wir sagen können: unser Sohn hat den abgegrenzten Bereich mit Sicherheit 47 nicht verlassen. Jedenfalls nicht bewusst (falls er durch eine der Lücken in der Bojenkette etwas nach außerhalb gelangt ist). 48 Wolfgang und Ingrid Scheffelmeier Nein, das ist ein Irrtum. Nicht Sammy Als für Sammy die Zeit gekommen war, entweder den Wehrdienst oder den Zivildienst anzutreten, entschied er sich, etwas Sinnvolles und nicht Langweiliges zu machen. Wo er auch der Allgemeinheit, dem Staat dienen konnte. Durch einen ortsansässigen Freund, dessen Vater bei der Marine war und ihm begeistert erzählte, was man alles bei der Marine erleben kann und wo man überall in der Welt herumkommt, war er nicht mehr davon abzubringen, seinen Wehrdienst bei der Marine abzuleisten. Nach der Grundausbildung in Eckernförde ging es dann nach Wilhelmshaven auf die Fregatte Mecklenburg-Vorpommern. So lernte er die nördlichen Länder kennen, aber auch den Süden und es ging sogar auch nach Ägypten. Er war begeistert dabei, wurde Hauptgefreiter als Funk- und Fernmeldetechniker. Zum Schluss seines Wehrdienstes war noch eine Fahrt nach Australien geplant. Dies wurde aber durch den Anschlag auf das World Trade Center in den USA geändert. Es gab zwei Möglichkeiten, die restlichen zwei Monate an Land zu verbringen: Herumzusitzen oder noch ein Manöver auf der Ostssee mitmachen, was aber die Verlängerung des Wehrdienstes bedeutete. Der Wunsch seiner Freundin und auch unser Drängen, den Wehrdienst zu beenden, trugen keine Früchte. Sammy wollte an dem Manöver Strong Resolve (starke Entschlossenheit) teilnehmen. So etwas wollte er sich nicht entgehen lassen, 40 000 Soldaten, 144 Kriegsschiffe aus Europa und den USA. Am 6. März 2002 befand sich die „Mecklenburg-Vorpommern“ in der Ostsee im Verbund mit den Fregatten „Cumberland“ und „Edinburgh“. An diesem Tag hatte die „Cumberland“ drei Besatzungsmitglieder der „Mecklenburg-Vorpommern“ zu einem Besuch eingeladen. Den drei Besten von 240 Mann wurde diese Ehre zuteil. Am frühen Morgen wurden Kai Nieschwitz, Stefan Paul und Sammy per Boot auf die „Cumberland“ gebracht. Der Rücktransfer war für 16.30 Uhr geplant. Da sich die Wetterbedingungen aber verschlechterten, entschied man sich, den Transfer auf 14.45 Uhr vorzuverlegen. Zu diesem Zeitpunkt herrschte eine Windstärke von 7, die Lufttemperatur betrug 4,5 Grad, die Wassertemperatur 3° und die Wellenhöhe lag bei zwei Metern. Als die Zeit gekommen war, legte das Schnellboot, nachdem es Ladung zur „Edinburgh“ gebracht hatte, an der „Cumberland“ an. Dabei drückte der Steuermann das Schnellboot an die Bordwand der Fregatte. Die drei Matrosen hatten in der Zwischenzeit ihre Schlechtwetterkleidung, Schwimmweste mit integriertem Multifaseranzug angelegt. An Bord des Schnellbootes befanden sich der Steuermann und die Bugfrau. Beide waren mit einem Neoprenanzug ausgerüstet, welche einen exzellenten Schutz bieten. Vorschriften der englischen Marine schreiben vor, dass bei plus 15 Grad Neoprenanzüge zu tragen seien. Diese Vorschriften gibt es bei der deutschen Marine nicht. Während das Schnellboot an der Bordwand mit der Gummiwulst „klebte“, fuhr die „Cumberland“ mit nur einer Bordwelle, um Sprit zu sparen. Am Achterdeck der Fregatte, das ziemlich tief liegt, ist es möglich, ebenerdig in das Schnellboot zu steigen. 49 Weil aber die “Cumberland“ mit nur einer Bordwelle fuhr, hatte dies zur Folge, dass sie sich hob und wieder senkte, wodurch das an der Bordwand liegende Schnellboot mit nach unten gezogen wurde. Da es jedoch über keinen Kenterbügel verfügte, kippte es um. Alle fünf Insassen fielen ins kalte Wasser. Der Steuermann geriet unter das Schnellboot, konnte sich aber durch das Luftablassen der Schwimmweste unter dem Boot befreien und auf das Boot retten. Die restlichen Verunglückten waren noch dicht beieinander und hielten sich gegenseitig fest. Dabei bemerkten sie, dass Stefan Paul sich nicht mehr bewegte. Er war durch den Sturz ins kalte Wasser mit dem Kopf zwischen die Schwimmweste geraten, die durch eine Salztablette im Wasser automatisch aufgeblasen wird. Stefan Paul gelang es nicht, sich aus dieser Situation weder nach unten noch nach oben zu befreien und er ertrank beim Sturz ins kalte Wasser. Schauer überkam die anderen drei Verunglückten, als sie merkten, dass Stefan Paul sich nicht mehr regte und ertrunken sein musste. Kurze Zeit später wurde er von dem Rettungsboot der Edinburgh geborgen und anschließend für tot erklärt. In dem Bericht des Ermittlungsausschusses der englischen und der deutschen Marine vom 14. März 2002 gaben die Engländer rückhaltlos alle Fehler zu. So hatte der 1. Offizier, der die „Cumberland“ zum Zeitpunkt des Unfalls steuerte, keine Brückenerlaubnis und der Kommandeur der „Cumberland“ hatte keine Befehle erlassen, wer welches Kommando hatte. So herrschte auf der „Cumberland“ Chaos. Das Aufzeichnungsband wurde verkehrt eingelegt, die Ausgucke waren nicht ausreichend besetzt. Zwischenzeitlich hatte die „Cumberland“ die Mannüber-Bord-Rolle ausgelöst, Warnsignale und Leuchtfeuer abgegeben, was auch von der „Mecklenburg-Vorpommern“ wahrgenommen wurde. Da die „Cumberland“ Befehlshoheit hatte, kam die Anweisung, dass alle Fregatten drehen und zur Unglückstelle zurückkehren sollten. Die Kehrtwendung der „Cumberland“ verlief aber schwierig und dauerte auch viel zu lange, was von der Mecklenburg-Vorpommern besorgniserregend registriert wurde. Die drei Zurückgelassenen entschieden sich, zum umgekippten Schnellboot zu schwimmen, was jedoch wegen der Strömung nicht gelang. Bei den Verunglückten geht man davon aus, dass die Überlebenszeit der Höhe der Wassertemperatur entspricht. also bei 3 Grad Wassertemperatur drei Minuten Überlebenszeit. Ebenfalls chaotisch ging es auf der „Mecklenburg-Vorpommern“ zu. Die Mann-über-Bord-Rolle wurde nicht ausgelöst. Man informierte sich gegenseitig. Nachdem Minuten vergangen waren und die Mannschaft im Motorrettungsboot saß, stellte man fest, dass der Rettungssanitäter noch nicht da war. Diesen konnte man mit dem Mikrofon nicht erreichen, da es unter den Decks keine Lautsprecher gab, was die Suche verschlechterte. Kapitän und Offiziere lernen während ihrer Ausbildung, was bei Verunglückten im kalten Wasser passiert. Und dass jede Sekunde zählt. Nachdem jemand ins kalte Wasser fällt, erlebt er erst einmal einen Kälteschock. Dies löst eine Stressreaktion aus, was Auswirkungen auf Kreislauf, Atmung und Handlungsfähigkeit hat. Am gefährlichsten ist die Auswirkung auf die Atmung. Einatmen kann, wenn sich die Atemöffnungen unter Wasser befinden, den Ertrinkungstod einleiten. Die Handlungsfähigkeit ist extrem eingeschränkt. Kaltes Wasser senkt die Körperkerntemperatur, was letztlich auch zur Unterkühlung und zum 50 Tod führt. In der Phase des Kälteschocks nimmt die motorische Fähigkeit schnell ab, die Greifmuskulatur verhärtet sich und die Kälte treibt die Schmerzempfindlichkeit ins Unermessliche. Und auch die Gischt ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Atmet man den wasserhaltigen Nebel ein, dringen diese Wassertropfen in die Lunge, kann man nicht mehr richtig durchatmen und man ertrinkt sozusagen über Wasser. Kapitän und Offiziere lernen dies in der Grundausbildung im Marinezentrum. Während Stefan Paul und Kai Nieschwitz das Überlebenstraining absolviert hatten, wurde dies Sammy nicht zuteil. Dieses Überlebenstraining ist nicht zwingend vorgeschrieben. Durch jahrelanges Training war den Vorgesetzten bekannt, dass man den integrierten Schwimmanzug im Wasser nicht anziehen und das Spraycap nicht überziehen kann, schon gar nicht auf hoher See. Wie die Marine selbst zugibt, ist dieser Schwimmanzug auch nicht dafür entwickelt worden, sondern nur für einen so genannten „geordneten Untergang“. Man muss ihn vorher anziehen. Auf der Brücke der „Mecklenburg-Vorpommern“ war man sich der Todesgefahr, in der die Verunglückten schwebten, sehr wohl bewusst, denn nach dem Unfall wurden die Minuten, die seit dem Unfall vergangen waren, laut gezählt. In der Zwischenzeit war die Mannschaft im Motorrettungsboot einsatzbereit. Die „Mecklenburg-Vorpommern“ hatten diesen Kutter der „Cumberland“ angeboten. Auch machten sich Rettungsschwimmer bereit. Warum diese allerdings nicht zum Einsatz kamen, ist unklar. Ein Hubschrauber der Lancaster, der sich im Einsatz befand, bot seine Hilfe an, war aber immer noch 20 Minuten vom Unfallort entfernt. In der Zwischenzeit waren die „Cumberland“ und die anderen Fregatten am Unfallort eingetroffen und „stellten“ sich als Wind- und Wellenschutz vor die Verunglückten. Jetzt schwammen die Ertrinkenden auf die „Cumberland“ zu. Seile wurden heruntergelassen, von denen sich Kai Nieschwitz und Sharp je eins greifen konnten. Weiter heißt es: „Bedauerlicherweise war für Scheffelmeier kein Seil mehr vorhanden“. Kai Nieschwitz wurde mit starker Unterkühlung geborgen, Sharp blieb unverletzt. In der Zwischenzeit war eine erhebliche Zahl von Personen auf den Oberdecks erschienen, um sich das Szenario anzusehen. Der Schiffsarzt der „Mecklenburg-Vorpommern“ hatte eine Kamera bei sich und filmte das Geschehen. Als der Oberbootsmann der „Mecklenburg-Vorpommern“ der Brücke signalisierte, das „gut Lee“ sei und er auf den Befehl zum Herunterlassen des Bootes benötigte, kam keine Antwort. Dies wiederholte sich zweimal. Auch der 1. Offizier stand mit geballter Faust hinter dem Kapitän: „Herr Kommandant, ich empfehle Ihnen, das Boot runter zu lassen.“ Der Kapitän reagierte nicht. Stattdessen brach er eine bereits begonnene Rettungsaktion ab. Das Schnellboot der „Mecklenburg-Vorpommern“, dessen Bordladekran defekt war; vorher nicht repariert werden konnte, aber mit einer Ausnahmegenehmigung versehen war, wurde auch nicht zum Einsatz gebracht, was jedoch im Seenotfall erlaubt war. Der Kapitän der „Mecklenburg-Vorpommern“ tat nichts, um seinen Leuten zu helfen. Stattdessen wartete er auf den Hubschrauber. Und obwohl die Mannschaften der „MecklenburgVorpommern“ und der “Cumberland“ die Anweisung bekamen, Sammy zu beobachten, verloren sie ihn aus den Augen. 51 Keiner bemerkte, dass die „Cumberland“ abdriftete, wegsegelte. Dadurch geriet Sammy um den Bug der “Cumberland“ auf das offene Meer. Nach 36 Minuten hatte man ihn dann gefunden und der Windenmann der Hubschrauberbesatzung versuchte, im Wasser den Hubschrauberstropp über Sammys Schwimmweste zu stülpen, was aber nicht gelang. Auch das Aufschneiden der Schwimmweste misslang, weil dem Windenmann durch die Kälte das Messer aus der Hand fiel. Er musste nochmals in den Hubschrauber, um ein anderes Messer holen. Dann zog man Sammy senkrecht nach oben, was auch zum Bergungstod führen kann. Auch die medizinische Behandlung auf der „Cumberland“ verlief nicht ohne Probleme. Da kein Erwärmungsgerät für Infusionen zu Verfügung stand, musste eine andere Lösung gefunden werden. 2 Stunden verbrachte man mit Wiederbelebungsversuchen, bis man auch Sammy für tot erklärte. Am 21. Mai 2002 gab die Marine bekannt, dass ein SAR-Hubschrauber der Marine, der 15 Minuten über See entfernt war, nicht angefordert worden war und der Kommandant der Mecklenburg-Vorpommern es unterlassen hatte, sein einsatzbereites Motorrettungsboot als zusätzliches Rettungsmittel zu Wasser zu bringen, was nach den Umständen möglich, zumutbar und geboten gewesen wäre. Drei Fregatten brachten es nicht fertig, in einem Manöver mit dem Namen „Starke Entschlossenheit“ fünf Verunfallte lebend zu bergen. Ingrid Scheffelmeier: „Mama, mach dir keine Sorgen, ich sitze im Funkerraum, da kann mir nichts passieren“. Diese Worte höre ich noch immer, es war eines der letzten Telefongespräche, die wir führten, kurz vor Samuels Tod. An diesem Abend des 6. März 2002, als uns die Nachricht überbracht wurde, „Es tut mir leid, ihr Sohn ist tödlich verunglückt“, war der erste Gedanke: Nein, das ist ein Irrtum. Nicht Sammy. Als die ersten Tage und Wochen unter Schock vergangen waren und ich so langsam wieder zu denken anfing, kreisten die Gedanken nur um eins, „Da stimmt etwas nicht“. Sammy hätte seine Rettungsweste „lax“ angezogen. Über die Medien wurde dies so von Staatsanwaltschaft und Marine verbreitet. Durch dieses „lasche“ Anziehen sei er ertrunken und er sei selber Schuld. Die Marine hatte auch noch andere Varianten parat. So soll er an Stimmritzenkrampf, dann an Unterkühlung gestorben sein. Es dauerte Monate, Monate von Wut und Verzweiflung, bis durch die Recherchen meines Mannes die Wahrheit ans Licht kam. Es war sehr grausam, die internen Berichte zu lesen, was sich bei dem misslungenen Rettungsmanöver alles abgespielt hatte. Alles lief schief. Es tat mir bis in die Seele weh, zu wissen, Sammys Neoprenanzug, den er zum Surfen immer an hatte, hing in seinem Zimmer. Als er über Bord ging, hatte er keinen Kälteschutz, nur diese popelige, billige, nichts taugende Schwimmweste mit „integriertem Kälteschutz“, so bezeichnet dies die Marine. Wie muss er gelitten haben in diesem eiskalten Wasser. Er hat gewunken und geschrien. Kameraden standen an der Reling, er wurde gefilmt. Bei diesem Gedanken wird man wahnsinnig und krank. Sammy hat gekämpft bis zum Schluss. Sie verloren ihn aus den Augen, obwohl der Befehl erging, ihn zu beobachten. Er ist abgetrieben, hilflos, allein. Das muss man sich mal vorstellen. Ich kann den erstaunten, ungläubigen Blick in seinen Augen sehen, „Warum hilft mir denn keiner?“, als er im Leebereich der „Mecklenburg-Vorpommern“ war, „warum holt ihr mich 52 verdammt da oben nicht raus?“ Sekunden und Minuten vergingen, die zur Ewigkeit wurden, bis seine Sinne schwanden, er keine Kraft mehr hatte und ein Organ nach dem anderen versagte. Über 20 Minuten die Hölle. Mein Sammy, der sehr sportlich war, der bei Sturm surfte, der Vollblutbiker, der beim Basketball um jeden Sieg kämpfte, auch wenn das Spiel verloren schien. Er, der alles plante in seinem Leben, nichts dem Zufall überließ, hat verloren gegen die Kälte, gegen das Wasser, gegen unfähige Vorgesetzte der „Mecklenburg-Vorpommern“. Aber keiner seiner Vorgesetzten hat ja Schuld, „Es war ja alles nur eine Verkettung von unglücklichen Umständen“, so die Staatsanwaltschaft, die nicht willens war, gegen die Vorgesetzten der Marine zu ermitteln. Schuld allein soll der sein, der tot ist und sich nicht mehr wehren kann: Sammy. Wolfgang Scheffelmeier: Am Abend des Unfalls auf der Ostsee saß ich mit meiner Frau vor dem Fernseher, da ich mich für die Politik, das Tagesgeschehen und für die Bundeswehr interessierte. Dann kam die Meldung aus Afghanistan, dass drei deutsche Soldaten durch eine Bombe getötet worden seien. Ich sagte dann noch zu meiner Frau: „Diese Schweine werden die Schuld wieder auf die Jungs schieben“. Keine drei Stunden später klingelte es an der Haustür. Zwei Polizisten und ein Pfarrer standen vor der Tür. Da wusste ich sofort, dass etwas Tödliches passiert war. Ich fragte: „Was ist mit meiner Tochter?“ Mehrmals. Schweigen. Dann kam die Antwort: „Nicht Ihre Tochter, sondern ihr Sohn ist bei einem Bootstransfer ertrunken.“ Mehr wolle der Kommandeur uns am nächsten Tag berichten. Dieser kam dann auch mit dem Pfarrer, der die vorbildliche Fürsorge und Garantenpflicht der Bundeswehr gegen seine Untergegebenen in den Vordergrund stellte. Der Kommandeur versprach uns eine lückenlose Aufklärung durch die Marine, was jedoch nicht geschah. Ich konnte nicht glauben, dass Sammy tot sein sollte. Erst wenn ich ihn vor mir habe und sehen würde. Beim Abschied sagte ich den Herren:“ Sollte es ein Unglück sein, ist das schlimm genug, und wir müssen es als höhere Gewalt und Gottesfügung hinnehmen. Sollte ich aber feststellen, dass Ihr Scheiße gebaut habt, dann könnt Ihr was erleben.“ Es dauerte Tage, bis Sammy bei uns ankam und wir ihn beerdigen konnten. Beileidsschreiben, Anrufe und jedem die gleiche Story erzählen. Wir wollten mit der Beerdigung alles abschließen, für uns alleine sein. Fragen quälten einen, die Nacht wurde zum Tag und der Tag verging, bis man dann mal erschöpft schlief. Die folgenden Wochen waren auch eine Hölle für unsere Ehe. Ich dachte, jetzt ist alles kaputt. Kaum ein Wort fiel. Man schlich aneinander vorbei. Meine Frau bekam starke Beruhigungstabletten und war wochenlang krank. Tod, Beerdigung, die ganze Abwicklung waren Neuland. Trauer, Tränen und Hilflosigkeit. Gedrückte Stimmung bei den Kindern und Sammys Freundin. Keinem konnte ich was Gutes sagen, „wird schon wieder“, „Kopf hoch“, denn ich konnte mir meine Frage ja auch nicht beantworten, die Frage „Warum, wozu, warum Sammy?“ 14 Tage später habe ich dann einen Anwalt mit der Sache betraut, um Informationen zu bekommen. Tage später wurde von der Staatsanwaltschaft und der Marine in Oldenburg eine 53 Pressekonferenz abgehalten (wozu wir nicht eingeladen wurden) und in einer spektakulären Show wurde den Journalisten irgendetwas vorgeführt und erklärt. Die Aussage von Staatsanwaltschaft und Marine war, die Jungs hätten Ihre Schwimmwesten nicht richtig angezogen, seien ertrunken und selber Schuld. So belog man uns und die Öffentlichkeit. Zorn kam in mir auf. Immer die gleiche Masche. Keiner der Vorgesetzten der Marine war Schuld. Die Soldaten sind selber Schuld an ihrem Tod. Idioten, die ihre Schwimmwesten nicht richtig angezogen hätten. Diese Gemeinheit stachelte mich an, vor allem aber, dass Sammy über 20 Minuten im eiskalten Wasser um sein Leben gekämpft hatte. So war ich es ihm auch schuldig, die Schuldigen zu suchen und vor Gericht zu bringen. In einem Klageerzwingungsverfahren wurde die Staatsanwaltschaft, die nicht willens war, gezwungen, Anklage gegen den Kapitän zu erheben, wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung. Dies wurde dann durch das Landgericht Oldenburg durch einen politischen Deal eingestellt. Durch die Schuldzuweisung hatte uns auch die Bundeswehr auf den restlichen Beerdigungskosten sitzen lassen. Da es uns nie ums Geld ging, forderten wir jetzt diese Zahlung und Schadensersatz. Doch kein Gericht war bis heute bereit, einen fairen Prozess mit Zeugen und Gutachtern zu führen. Der Staat kann es nicht zulassen, dass die Mängel der Fregatten der Bundesmarine zu Tage treten. Trotz allem habe ich bis heute eines erreicht, dass Bootstransfers mit Neoprenanzügen stattfinden, dass sie neue Schwimmwesten bekommen haben, ob tauglich, weiß ich nicht. Die Bordladekräne wurden kostspielig ausgetauscht. Ein Marinebefehl wurde erlassen, wie Verunfallte und Schwerstverletzte aus dem kalten Wasser geborgen werden müssen und wie danach die medizinische Versorgung zu erfolgen hat. Und es wird ein Stresstraining für Kapitäne und Offiziere absolviert, wie bei Unfällen zu reagieren ist. Ein Dorn im Auge aber bleiben immer noch die Motorrettungsboote, mit denen man weiterhin unterwegs ist. Diese wurden in den 90er Jahren von der Marine vor Helgoland getestet und zum Boardingeinsatz für untauglich erklärt Und es muss aufhören mit der Soldatenverdummung in der Marineschule in Neustadt-Holstein, den Soldaten vorzugaukeln, die Schwimmweste mit Kälteschutzanzug könne man im Wasser anziehen. Dafür kämpfe ich, dass nicht nur die Marine, sondern auch die gesamte Bundeswehr ihrer Fürsorge und Garantenpflicht gegenüber ihren Untergebenen nachkommt. Und dass Verletzte, Geschädigte und auch Hinterbliebene mehr als ausreichend versorgt und entschädigt werden. 54 Ronald Schmid Vom traurigen Umgang mit der Trauer Die deutschen Reiseveranstalter bieten weit überwiegend gute Produkte an. Tritt dennoch einmal ein Reisemangel auf, wird er – zumindest von den seriösen Veranstaltern – soweit wie möglich noch vor Ort beseitigt. Ist das nicht möglich, wird dem sich berechtigterweise (!) beschwerenden Reisenden nach der Rückkehr von der Reise meist ein kulantes Angebot zur Minderung des Reisepreises unterbreitet. Diese Art von modernem Beschwerdemanagement ist weitgehend Standard und das ist gut so. Denn dadurch werden nicht nur unnötige, oft langwierige und gelegentlich auch teure Rechtstreitigkeiten vermieden; ein solches Beschwerdemanagement dokumentiert zugleich eine vorbildliche Kundenorientierung und damit Kundenbindungswillen. Die Praxis beweist täglich, dass es funktioniert: Wer von seinem Vertragspartner fair und gut behandelt wird, ist gerne bereit, sich auch künftig wieder auf eine vertragliche Beziehung einzulassen. Diese positive Einstellung scheint sich aber bei einzelnen Reiseunternehmen oft schlagartig zu ändern, wenn die Reise nicht nur geringfügig beeinträchtigt wird, sondern ein gravierendes Ereignis zu einer schweren Körperverletzung oder gar zum Tod eines Reisenden geführt hat. Warum das so ist, ist – zumindest für Außenstehende – unerklärlich. Beispiele, die gerade traurige (Reise-)Rechtsgeschichte geschrieben haben bzw. schreiben werden, sollen erhellen, was ich meine: Im Jahr 2000 und 2001 sind nach meiner Kenntnis (mindestens) vier Kinder während eines Pauschalreise-Urlaubes tödlich verunglückt. Sie sind unter Aufsicht von Betreuern des Reiseveranstalters beim Baden oder bei der Nutzung einer Wasserrutsche in Swimmingpools ertrunken bzw. dort oder auf einem Segelschiff durch einen Stromschlag getötet worden. Ein Fall wird gerade vor dem LG Düsseldorf verhandelt; in einem anderen hat das LG Köln den Eltern ein (m. E. bescheidenes) Schmerzensgeld in Höhe von je 20.000 EUR zugebilligt. Eine dritte Klage vor dem LG Köln ist gerade in Vorbereitung. Im Oktober 2002 zogen sich drei Kinder im Alter von vier, sechs und neun Jahren auf Teneriffa beim Baden in einem Hotel-Swimmingpool schwere Hautverletzungen zu, weil die fünffache der an sich empfohlenen Menge Chlor dem Wasser zugeführt worden war. Die Kinder mussten eine Hauttransplantation über sich ergehen lassen. Die Mutter der Kinder hat eine Klage gegen den englischen Reiseveranstalter und den Hotelbetreiber eingeleitet. Schlimm ist schon, dass die Betroffenen in solchen Fällen überhaupt gezwungen sind, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. In welchem guten Licht hätte der Reiseveranstalter des vor dem LG Köln verhandelten Rechstreites gestanden, hätte er den Betrag, den zu zahlen er nach Monaten heftiger Auseinandersetzung mit seinem früheren Kunden verurteilt wurde, freiwillig und gleich – verbunden mit dem Ausdruck des Bedauerns – unbürokratisch zur Verfügung gestellt. So steht er als Verlierer auf breiter Front da: Für die Prozessbeobachter und die Medien, weil er den Rechtstreit verloren hat; für die Reisenden und die Öffentlichkeit (und das ist das Potenzial der künftigen Reisekunden!), weil er das ihm entgegengebrachte Vertrauen nicht erfüllt hat. Schlimmer aber noch ist, wie gelegentlich manche Beklagte menschlich sensible Schadensfälle bearbeiten oder von ihren Anwälten bearbeiten lassen. Zugegeben: Das Bestreiten aller Behauptungen eines Klägers gehört grundsätzlich zur handwerklich ordentlichen Arbeit eines 55 Anwaltes. Doch sollte in besonderen Fällen auch die Bearbeitung eine besonderere, d. h. sensible, sein. Einfühlsamkeit, Anstand und eine gewisse Rücksichtnahme sollten eigentlich immer, bei Tod oder schwerer Körperverletzung aber unbedingt mehr als sonst beachtet werden! Daher verbietet es sich m. E., beim Tod eines Menschen durch einen eigentlich nicht zu bestreitenden Stromschlag ein bloßes Herzversagen als mögliche alternative Ursache zu diskutieren, wenn es dafür keinen ernsthaften Hinweis gibt. Das ist nicht nur, aber gerade auch bei einem 14-jährigen Kind ebenso taktlos wie etwa das Bestreiten, dass für das Opfer eine Grabstätte eingerichtet wurde, weil die eingereichte Rechnung für einen Grabstein kein Datum trägt! Warum aber verhalten sich einige Reiseveranstalter so bzw. warum lassen sie eine entsprechende Fall-Bearbeitung überhaupt zu? Ist der Verdrängungsmechanismus Ursache? Ist das allein mit „instinktivem Abwehrmechanismus“ bei großen Schäden zu erklären, aus Angst, generöse Hilfsmaßnahmen würde als Anerkennung der Haftung angesehen? Oder fehlt einfach das Wissen um die Vorteile eines guten Krisenmanagements? Wie immer das auch erklärt werden mag – Fakt ist, dass sich bei derartigen Reaktionen oft aus einer menschlichen Katastrophe in der Folge auch eine juristische entwickelt. Als Anwalt, der vielen Hinterbliebenen nach Unfällen während Reisen beigestanden hat, kann ich nur feststellen: Geschädigte Reisende oder deren Hinterbliebene, die sich entschließen anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen und den Rechtsweg zu beschreiten (u. U. mit Hilfe von fragwürdig handelnden US-Anwälten) sind nicht etwa von sich aus „wütende Kläger“; sie werden meist erst dazu gemacht – durch den gelegentlich wenig sensiblen Umgang Dritter mit ihren Problemen. Zunächst denken die Opfer bzw. die Hinterbliebenen gar nicht daran, einen Anwalt zu beauftragen und zu klagen. Sie wollen nicht mehr als vernünftig betreut und mit ihrem Schicksal nicht alleine gelassen werden. Aber was erleben sie? Die zunächst sicher aufrichtige Anteilnahme degeneriert nicht selten nach einiger Zeit erkennbar zur Pflichtübung. Spätestens nach einigen Tagen (wenn die Presse nicht mehr berichtet) finden die Opfer und Hinterbliebenen immer weniger Verständnis und Unterstützung; sie werden dann zunehmend mit ihrem Schmerz und ihrer Hilflosigkeit sich selbst überlassen. Kurze Zeit darauf wird ihnen dann noch per Formbrief in gutem Behördendeutsch mitgeteilt, ihre „Schadensmeldung“ werde „vom zuständigen Versicherungsunternehmen unter der Schadensnummer XY bearbeitet“. Als „Höhepunkt“ dann oft ein mehrseitiger Fragebogen verschickt, der nicht selten auch Fragen enthält, die ein Mindestmaß an Taktgefühl vermissen lassen. Spätestens jetzt beschleicht die Opfer und Hinterbliebenen das Gefühl, dass ihr berechtigtes Anliegen nur noch formaljuristisch und versicherungstechnisch als Schadensakte verwaltet wird. Die oben genannten aktuellen Fälle reihen sich da nahtlos ein in die Erfahrungen, die andere Reisende machen mussten bei Unfällen in Kaprun oder im Jamtal, bei Terroranschlägen auf Djerba und Bali oder in Ägypten, bei Flugzeugabstürzen (Birgenair, Concorde, Luxair), um nur einige Beispiele zu nennen. Das kann und vor allem muss unbedingt vermieden werden. Schmerzensgeldforderungen von Hinterbliebenen sind meist nichts anderes als das verständliche Verlangen eines Geschädigten nach Genugtuung für den Verlust eines geliebten Menschen. Und da die Staatsanwaltschaften und die Strafgerichte meist nicht handeln können oder wollen, sucht sich dieses Verlangen ein Ventil: So werden Hinterbliebene zugänglich für den Ruf nach zivilrechtlichen Sanktionen mit Strafcharakter. Sehr hohe Schmerzensgeldforderungen sind also nicht etwa Ausdruck von Raffgier, sondern des durch Wut und Ohnmacht verstärkten Verlangens, ein (tatsächlich oder vermeintlich) Verantwortlicher, der anderen Schmerz zugefügt hat und strafrechtlich nicht belangt werden kann, möge wenigstens selbst Schmerz empfinden, und sei es nur monetär. Ob solche Forderungen letztendlich Aussicht auf Erfolg haben oder 56 nicht, spielt für die Opfer oder die Hinterbliebenen dabei zunächst nicht die Rolle: Sie sind Ausdruck ohnmächtiger Wut. Und die veranlasst Opfer und Hinterbliebene dann, nach jedem juristischem Strohhalm zu greifen und zu versuchen, ihr Recht anderweitig geltend zu machen. Und weil das deutsche Schadensersatzrecht nach klassischer deutscher Doktrin und auch nach der jüngsten Reform, das zwar einem Verletzten, nicht aber den Hinterbliebenen eines Getöteten einen eigenen vertraglichen Schmerzensgeldanspruch gewährt, ebenfalls versagt, darf nicht wundern, dass viele Hinterbliebene den Lockrufen bestimmter „Star-Anwälte“ seien es nun deutsche oder solche aus den USA – erliegen, selbst wenn diese Ansprüche in Aussicht stellen, die nicht oder nur schwer zu realisieren sind. Um nicht missverstanden zu werden: Ich will mit diesem Beitrag keineswegs die Luftfahrtunternehmen und Reiseveranstalter oder die von ihnen beauftragten Anwälte pauschal verdammen, sondern durch das Bewusstmachen eines gerne verdrängten Problems meinen Beitrag zu einer Lösung leisten. Dem sollen die folgenden Überlegungen dienen. 1. Wer die oben aufgezeigten Zusammenhänge kennt, muss mit mir eine neue „Kultur“ im Umgang mit den Geschädigten und Hinterbliebenen fordern bzw. wenigstens ein offenes Ohr dafür haben. Die ja weit überwiegend schon gut praktizierte Kundenorientierung muss gerade bei Personenschäden im Rahmen einer Pauschalreise in einem besonders ausgeprägten Maß zum Ausdruck kommen! Nicht die undifferenzierte Abwehr von Ansprüchen ist die richtige Haltung, sondern die aktive Mitarbeit und Hilfe bei der Aufklärung von Unfällen! Dies könnte z. B. geschehen, indem freiwillig, sofort und unbürokratisch ein namhafter Betrag an die schadensersatzberechtigte Person zur Befriedigung ihrer unmittelbaren wirtschaftlichen Bedürfnisse gezahlt wird. Weitere Hilfe kann gewährt werden, indem ein Strafverfahren im Urlaubsland, das ein Opfer oder ein Hinterbliebener anstrengt, aktiv unterstützt, vielleicht sogar mitfinanziert wird und kostenlose Flüge und Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden, um den Hinterbliebenen die Teilnahme an den Gerichtsverhandlungen zu ermöglichen, und ähnliche Unterstützungsmaßnahmen. Wenn das schon nicht menschlichem Mitgefühl entspringt, sollten wenigstens nüchterne kaufmännische Überlegungen greifen: Solche Hilfestellungen kosten den Reiseveranstalter in der Regel nichts, verfügt er in der Regel doch über freie Kapazitäten auf den von ihm gecharterten Flugzeugen und in den von ihm angemieteten Hotels. Und auch eine mehr psychologische Schwelle sollte von demjenigen nicht übersehen werden, den nur wirtschaftliche Überlegungen überzeugen: Wer klagt schon gegen denjenigen, der einem in schwerer Zeit aktiv Hilfe und Unterstützung gewährt hat? Die Schadensregulierung darf nicht, jedenfalls nicht allein, der Rechtsabteilung eines Versicherungsunternehmens oder deren Prozessbevollmächtigten überlassen werden. Zwar regeln auch diese „kundenorientiert“ – nur: aus deren Verständnis ist „Kunde“ nicht der geschädigte Reisende, sondern der Luftfrachtführer oder der Reiseveranstalter. Und dessen „Interesse“ wird von einem Versicherungsunternehmen nach meinen Erfahrungen häufig rein wirtschaftlich interpretiert, und weniger unter dem Gesichtpunkt von Kundenbindung und Public Relations des versicherten Unternehmens. Daher werden in erster Linie auch nur versicherungstechnisch optimale Lösungen gesucht. Dass die Abwendung eines wirtschaftlichen Schadens dem Unternehmen aber möglicherweise einen Imageschaden zufügt, bleibt dabei oft eher außer Betracht. Eine Einschränkung will ich gerne machen: Die Übertragung der Regulierung eines Personenschadens auf die Rechtsabteilung eines Schadensversicherers kann dann erfolgen, wenn im Reiseunternehmen ein Krisenkonzept erstellt wurde und anwendet wird und das beauftragte Versicherungsunternehmen dieses zu berücksichtigen sich verpflichtet hat. Ich appelliere daher dringlich an alle, die mit Personenschäden im Rahmen einer Pauschalreise befasst werden, den Umgang mit den Hinterbliebenen zu überdenken und die bei einfachen 57 Reisemängeln ja schon überwiegend gut gelebte „Philosophie“ der Kundenorientierung auch bei schweren Körperverletzungen und Todesfällen konsequent fortzuführen. Im eigenen Interesse, aber auch in dem der gesamten Reiseindustrie! Denn: „Verbitterte Opfer und Hinterbliebene verursachen oft lang anhaltende Imageschäden“. 2. Und ich rege an, darüber nachzudenken, ob die Tourismusindustrie für den Fall von Personenschäden nicht im Einzelfall oder besser ständig einen Ombudsmann berufen sollte, an den sich Opfer und Hinterbliebene vertrauensvoll wenden können. In einigen europäischen Ländern, wie z. B. der Schweiz, hat sich die Einrichtung eines ständigen Ombudsmanns auch für die Reiseindustrie längst bewährt. Der Ombudsmann kann, weit über die reine „Schadensbewältigung“ hinaus, Geschädigte betreuen, ihnen helfen, sie versorgen und so zum guten Image der ganzen Reisebranche beitragen. Die Möglichkeit der Einschaltung eines Ombudsmannes hat den weiteren, und zudem unschätzbaren Vorteil, dass die Opfer bzw. deren Hinterbliebene und die für einen Schaden möglicherweise verantwortlichen Unternehmen nicht auf Konfrontation gehen (müssen), sondern weiter miteinander sprechen können – ein Bedürfnis, das ich auf beiden Seiten unterstelle. Und es dürfte den Reiseveranstaltern auch die Sorge auch genommen werden, Hilfen und Unterstützungen, die aus humanitären Aspekten gewährt werden, würden in der außergerichtlichen Streitschlichtung oder gar vor Gericht als Schuldanerkenntnis bewertet werden. 3. Sicher ist es auch wert, darüber nachzudenken, ob nicht ein „ständiger Opferfonds“ eingerichtet werden sollte, der berechtigte Forderungen von Opfern, die bei einer Flug- oder Pauschalreise einem terroristischen Anschlag verletzt oder getötet werden, und deren Hinterbliebenen erfüllen könnte und Opfern bzw. deren Hinterbliebenen nicht das Gefühl geben würde, Bittsteller zu sein. Ein solcher Fonds ließe sich schnell ausreichend speisen, wenn wenigstens jeder Urlaubs- und Flugreisende, eventuell aber auch Reiseveranstalter und Fluggesellschaften, einen kleinen Obolus (z. B. 1 Euro oder auch nur 50 Cent pro Reise oder Flug) zahlen würden. Bei Millionen von Urlaubs- und Flugreisen, die jährlich verkauft und durchgeführt werden, käme da schnell ein beträchtlicher Betrag zusammen, der völlig ausreichen würde, im Schadensfall Opfern bzw. deren Hinterbliebenen, die nicht anderweitig Kompensation erlangen können, zu helfen. Damit wären zwar zugegeben die Individualreisenden nicht erfasst, und schon gar nicht die Opfer anderer Gewalttaten, die grundsätzlich genauso schutzwürdig sind. Doch wäre mit einem Opferfonds für Flug- und Pauschalreisende ein Anfang gemacht, ein Problem zu lösen. Und es könnte ein weiteres Argument zugunsten der Reiseveranstaltung sein. 58 Kathrin Böhler Otto, der Schneeleopard Karfreitag, 10. April 2009, drei lange Arbeitstage stehen mir bevor. Lisa, 12 Jahre, ist bereits seit einigen Tagen mit meiner Freundin Irmgard, ihrer Tochter Salka und ihrem Paddelverein an der Ardèche in Südfrankreich. Klara, 11, und Nico, 9, sind heute Mittag, nachdem Klara ihr bronzenes Töltabzeichen auf dem Islandpferdehof erfolgreich bestanden hat, mit dem Papa nach Hanau zu Oma gefahren. Ich hatte den Tag bei meiner Freundin Nicole und meinem Patenkind Sarah verbracht und für mich stand für den Abend essen, Sachen packen, Duschen und gemütlich Lesen auf dem Programm. Gerade hatte ich noch mit meinem Freund telefoniert, der sich 300 Kilometer entfernt auf einem Trainingslager befand, und ihm noch gesagt, wie sehr ich mich darauf freue, mit ihm demnächst einmal in Urlaub zu fahren. Wir beendeten unser Gespräch, weil es an meiner Haustür klingelte. Eine befreundete Nachbarin, Elisabeth, stand vor der Tür, ich bat sie mit rein, im Esszimmer sagte sie mir, ich solle mich setzen, Irmgard hätte sie angerufen. Sofort wusste ich, dass etwas mit Lisa war. Ich fragte, ob sie verletzt sei und Elisabeth sagte mir, nein, sie ist tot. Einen Moment war ich wie gelähmt und konnte außer nein, nein, nein nichts sagen. Dann rief ich meinen Freund an und sagte, du musst kommen, Lisa ist tot. Anschließend sagte Elisabeth, dass ich nach Frankreich fahren müsste, wenn ich sie noch mal sehen wollte, da der Sarg am nächsten Morgen 10 Uhr, versiegelt werden sollte. Sofort rief ich René wieder an und sagte, er müsse nicht nur herkommen, sondern wir müssten auch nach Frankreich fahren. Er sagte, er würde gleich losfahren. Elisabeth fragte, wen ich noch informieren wollte und mir war klar, dass ich es Boris, Lisas Vater nicht am Telefon sagen konnte. Also rief ich kurzerhand meine Eltern an, schockte sie mit der Todesnachricht und sagte, sie müssen sofort nach Hanau fahren, um Boris und den Kindern die Nachricht zu überbringen. Danach galt es, die Dinge für die Reise zu organisieren. Wie auch immer habe ich irgendwie funktioniert. Duschen war wichtig und Elisabeth sagte, ich solle dies tun und dann packen, für ein paar Tage, solle in Lisas Zimmer gehen und noch etwas von ihr mit nehmen, was ich ihr in den Sarg legen könnte. Ich suchte Otto, ihren Schneeleoparden, fand ihn nicht und dachte, sie hat ihn bestimmt mit nach Frankreich genommen. Zwischendurch sms an Nachbarin Kiki, die noch einen Schlüssel hatte und das letzte Wochenende unsere Katze versorgt hatte: muß nach frankreich, bitte katze füttern, lisa ist tot. Kurz darauf stand Kiki bei mir im Flur, fassungslos. Kikis Mutter kam und sagte, sie koche erstmal ne große Kanne Kaffee, die wir sicherlich bräuchten. Elisabeth sagte, dass wohl noch jemand von der Botschaft kommen wolle. Um mir die Todesnachricht auf offiziellem Wege zu überbringen. Jetzt erledigte ich noch einige Telefonate, erst die Johanniter, für die ich zeitweise tätig bin, da sie einen Auslandsrückholdienst haben. Kurz darauf Rückruf von Joe, dass sie keine Toten transportieren. Aber der ADAC würde so etwas übernehmen. Der Anruf dort war ein erschreckendes Beispiel für Callcenter-Servicefloskeln runterspulen statt zuhören. Bei der Telefonnummer für Notfälle im Ausland kam das bekannte “für soundso drücken sie bitte die Taste xy“. Nach nochmaligem Weiterdrücken hatte ich tatsächlich eine 59 Dame am Telefon, das war ja schon mal was. Ich teilte ihr mit, dass meine Tochter ertrunken sei und ich gerne wüsste, wie sie hierher gebracht werden könnte. Die Dame hatte irgendein Verständnisproblem, so dass ich ihr mehrfach erklären musste, dass meine Tochter in keinem Krankenhaus liegt, ich nicht weiß, was für Verletzungen sie hat, dass das auch jetzt egal sei, da sie ja tot sei. Nach fünfmaligem „Meine Tochter ist tot“ hat die Dame es dann begriffen, gesagt, sie werde alles in die Wege leiten und man würde mich in Kürze anrufen. Anschließend hat sie sich noch für meinen Anruf bedankt. Meine inzwischen anwesende Tante, Cousine und Irmgards Mann konnten sich darüber mehr aufregen, als ich es zu dem Zeitpunkt konnte. Ich habe mich diesbezüglich noch mal beim ADAC gemeldet, denen der Vorfall äußerst unangenehm war. Ansonsten wurde der Rücktransport einwandfrei abgewickelt. Dann kamen zwei Herren von der Polizei, die mir die Telefonnummer der Botschaft in Frankreich gaben, und als sie merkten, dass ich ganz gut versorgt war, sind sie auch wieder gegangen. Endlich kam René und nach kurzer Pause starteten wir in Richtung Südfrankreich. Tausend Kilometer lagen vor uns. Weder Boris noch die Kinder wollten mit nach Frankreich. Die Botschaft rief an und sagte, dass Lisa Dienstag obduziert werden würde und der Leichnam bis dahin beschlagnahmt sei. Und um sie sehen zu können, bräuchte ich eine Sondererlaubnis von der Staatsanwaltschaft. Und dort wäre erst morgen früh wieder jemand zu erreichen. Ich dachte, sollte da irgendjemand jetzt ein Problem draus machen, werde ich unfreundlich, aber richtig. Die ganze Fahrt über konnte ich nicht fassen, was passiert war. Ich habe immer gesagt: Sag, dass das nicht wahr ist, sag, dass wir irgendwo hin fahren, wo es schön ist. Die ganze Fahrt über konnte ich nicht glauben und fassen, was passiert war. Es war die schlimmste Reise meines Lebens. Oberhalb des Canyons machten wir kurz Halt. Morgendämmerung- und eine wunderschöne Landschaft lag vor unseren Augen. Nächster Halt: Pont dÀrc. René wollte sehen, wie hoch das Wasser steht, er konnte sich das alles nicht erklären, er kennt den Fluss seit 28 Jahren und wusste, wie gut Lisa paddelt. Auch hier konnte man nur staunen, wie wunderschön die Natur dort ist. René schleppte einen riesigen Stein zum Auto, ich wollte gerne einen von dort haben. Dann fuhren wir zum Campingplatz. Vor dem Gelände lief Dominik aus dem Verein herum. Und als ich ihn sah und in die Arme nahm, wusste ich, dass Lisa wirklich tot ist. Hier konnte auch René das erste Mal weinen. Es begann zu regnen, und alle Menschen auf dem Campingplatz, egal ob es welche waren, die ich kannte oder andere, wussten, was passiert war. Und man sah es ihnen auch an. Es war schrecklich, sie alle zu sehen, noch schlimmer war es mit den Leuten, die ich persönlich kannte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich müsste sie alle trösten. Man bot uns Essen und Trinken an, aber ich habe keinen Bissen herunter bekommen. René sprach mit den anderen, Dominik und ich packten Lisas Sachen zusammen und brachten sie zum Auto. Auch hier war Otto, der Schneeleopard, nicht zu finden. 60 Um acht Uhr konnten wir endlich zur Polizei, um die Sondererlaubnis der Staatsanwaltschaft zu beantragen. Etwas später kam Madeleine aus Luxemburg zum Dolmetschen dazu, wir mussten noch einige Angaben machen. Die Polizisten waren sehr freundlich und fragten zuerst, ob ich einen Arzt bräuchte oder Medikamente, aber ich wollte dies so und nicht halb betäubt durchstehen. Dann äußerte ich den Wunsch, zu der Stelle gehen zu dürfen, an der sie ertrunken war und man wollte sich darum kümmern, dass einige Polizisten mit uns hingehen würden. Nach unserer Aussage erfuhren wir, dass wir Lisa um 11 Uhr sehen durften. Zurück zum Campingplatz, man hatte uns einen Wohnwagen bereitgestellt, damit wir uns zurückziehen konnten. Susanne, die als Betreuerin mit in Frankreich war, lies mich keine Minute aus den Augen und war die ganze Zeit an meiner Seite und mir eine große Hilfe. Um 11 Uhr konnten wir dann in Begleitung der Polizei zum Bestatter. Ich gab ihm Lisas neuen Bikini, ihr in Frankreich gekauftes Kleid und die zwei Teddys, die ich mitgebracht hatte. Ich bat René, er möge mich bitte festhalten, wenn wir jetzt zu ihr gehen würden. In dem kleinen Raum in gedämpftem Licht lag sie da, als schliefe sie. Zu diesem Zeitpunkt war sie noch keine 24 Stunden tot. Auf der linken Wange hatte sie eine Schürfwunde, aber das sah so aus, als hätte sie einen kleinen Unfall beim Toben gehabt. Wir hielten uns minutenlang in den Armen und schauten sie an. Dann machte ich noch zwei Fotos und wir gingen hinaus. Am Campingplatz angekommen, haben wir kurz geschlafen. Gegen 14 Uhr wollten die Beamten kommen, um mit uns in die Schlucht abzusteigen. Nach 20 Minuten Fahrt hielt der Bus und wir begannen mit dem Abstieg, der fast 40 Minuten dauerte. Unten angekommen, war dort eine große steinige Sandbank, vor dieser floss die Ardèche ganz ruhig dahin. Nur am anderen Ufer kräuselte sich das Wasser an einigen Stellen und dort sei sie ertrunken, sagte man uns. Sie sei dort gekentert, wie gelernt aus ihrem Boot und muss dann von der Strömung mitgerissen worden sein und hat sich dann mit der Schwimmweste in einem Steinloch (Syphon) festgeklemmt. Wir sind eine Weile dort geblieben. Die Polizisten haben sich im Hintergrund gehalten und uns die Zeit gelassen, die wir brauchten. Dann kam der Aufstieg, und ich weiß bis heute nicht, wie ich da wieder hoch gekommen bin, nach einer Nacht ohne Schlaf, ohne Essen und in gruseliger Verfassung. René, Dominik und Normen, auch aus dem Verein, haben einige Steine mit nach oben geschleppt. Danach sind wir noch eine Weile am Campingplatz geblieben und gegen Abend haben wir uns zusammen mit Dominik auf den Rückweg gemacht. Inzwischen war es Ostersonntag und jetzt gab es viele Dinge zu regeln. Zum Bestatter, die Pfarrerin informieren, Anzeigen aufgeben, die Lehrer informieren. Gegen Nachmittag kamen die Kinder. Meine Eltern waren schon seit Samstagabend hier. Und Otto, der Schneeleopard, war auch hier. Meine Mutter hatte ihn in Lisas Zimmer gefunden. Leute kamen und gingen, dass Telefon stand nicht mehr still. Freundinnen von Lisa waren hier. Blumen, Karten, kleine Geschenke, liebe Gesten, tröstende Worte, Umarmungen, Hilfsangebote aller Art. Es ist unglaublich, wie viel Gutes uns in dieser Zeit widerfahren ist. 61 Am Dienstag nach Ostern, am Tag der Obduktion, kam eine Karte von Lisa an, worin sie schreibt, wie schön es dort ist, wie viel Spaß sie haben und wie wunderschön der Pont dÁrc sei. Mit einer anderen Farbe hat sie die Adresse geschrieben und noch „Ich vermisse dich“ dazu geschrieben. Das war für mich sehr merkwürdig. Sie war öfter unterwegs und hatte so etwas bisher noch nicht geschrieben. Ihre Schulfreundin Judith kam auch zu Besuch, sie spielt wunderschön Geige, ich fragte sie, ob sie für Lisa bei der Trauerfeier etwas spielen möchte. Nach einigem Überlegen wollte sie dies gerne tun und wusste auch schon, was: Lisas Lieblingslied von Avril Lavigne, Slipped away. Dieses Lied hat die Sängerin für ihren verstorbenen Großvater geschrieben. Dass gerade ein Lied, das vom Tod handelt, Lisas Lieblingslied war, war erstaunlich für mich. Wusste sie, dass sie gehen musste? Später erzählt Irmgard, dass die beiden Mädchen auf der Fahrt nach Frankreich das Lied ins Deutsche übersetzt haben. Freitag, eine Woche nach ihrem Tod, wurde sie überführt. SWR3 hat ein Lied für sie gespielt, aber nur mit dem Hinweis, dass Mama die Lisa grüßt, die auf dem Rückweg von Frankreich ist. Die Dame am Telefon war auch zutiefst betroffen. Samstagvormittag konnten wir dann zu ihr. Der Vater der Kinder wollte erst nicht, dass Klara und Nico noch mal zu ihr gehen. Nico hat direkt nach ihrem Tod gesagt, er möchte sie auf jeden Fall sehen und Klara war Anfangs noch unschlüssig, ist aber dann doch am Sonntag zu ihr gegangen. Zuerst bin ich allein mit meinen Eltern hineingegangen. Als ich sie dort liegen sah, sah sie nicht mehr aus, als schliefe sie. Irgendwie sah sie fertig, vollendet aus, so reif und irgendwie tot. Als ich nach einer Weile hinausging, um Nico zu holen, er hat mit Freunden draußen gewartet, war es nicht die Mutter, die ihren Sohn hineinführte, nein es war Nico, der fest meine Hand nahm und zielstrebig an ihren Sarg ging. Meine Mutter hat ihm dann gesagt, er dürfe sie auch berühren, was er dann auch getan hat und auch darauf bestand, dass ich ein Foto von ihm und Lisa machte. Es waren ganz besondere Momente dort am Sarg und Nico konnte auch schwer gehen. Irgendwie machte es den Eindruck, er wolle sich am liebsten dazulegen und mit ihr eine CD hören oder so. Auch ich konnte mich in den Tagen schwer trennen und der veralterte Brauch der Totenwache bekam an diesen Tagen eine neue Bedeutung für mich. Auch ein Freund der Familie empfand dies so und sagte, er möchte am liebsten einen Stuhl nehmen und sich neben sie setzen. Sonntags ist dann auch Klara mit zu Lisa gegangen. Am Montag vor der Beerdigung kamen noch viele Freunde aus der Schule und Bekannte und Verwandte, um Abschied von ihr zu nehmen. Dienstags waren wir dann das letzte Mal bei ihr und es war dann auch Zeit, Abschied zu nehmen. Zuletzt haben René und ich uns von ihr verabschiedet. Meine Eltern waren jeden Tag dort und haben die Menschen, die Lisa sehen wollten, begleitet und meine Mutter hat allen eine ganz besondere Begegnung mit einem toten Menschen ermöglicht. Unser Bestatter hat sich auch mehrfach bei mir bedankt, dass ich so vielen Menschen diese Begegnung ermöglicht habe. Er kennt aus seiner langjährigen Tätigkeit viele Situationen, wo Eltern ihren Kindern nicht erlaubt haben, ein verstorbenes Familienmitglied zu sehen und Jahre später diese Eltern ihm mitteilen, wie sehr sie dies bereuen, da die Kinder ihnen Vorwürfe deswegen machen. Auch Lisas Vater äußerte ja, dass er dies nicht möchte, da die 62 Kinder durch so eine Begegnung traumatisiert werden könnten. Ich sagte ihm darauf, dass es wohl kaum ein größeres Trauma gäbe, als die große Schwester zu verlieren und dass ich keine Kind zwingen werde, aber es ihnen ermögliche, wenn sie dies wollen. Den Beerdigungstermin setzten wir auf den 22. April fest. Das war der dritte Schultag, nach den Osterferien. Alle drei Klassenlehrer kamen noch in den Osterferien zu uns und wir überlegten gemeinsam, wie Klara und Nico am besten in der Schule mit dieser Situation umgehen könnten. Am ersten Schultag trafen sich Mittel- und Oberstufenschüler in der Aula, wo sie über Lisas Tod informiert wurden. Die unteren Klassen haben es von ihren Klassenlehrern erfahren und Lisas Klasse wurde bereits in den Ferien informiert. Meine Kinder besuchen die Waldorfschule, und was auch von Seiten der Schule und der Elternschaft an Anteilnahme kam, war überwältigend. Für Klara und Nico stand fest, dass sie auch am Montag zur Schule gehen wollten und ich glaube, es war auch so das Beste für sie. Ich habe sie hingefahren und bot an, eine Weile zu bleiben, aber im Kreise ihrer Freunde sagten beide irgendwann, dass ich ruhig fahren könnte. Die Trauerfeier war, wenn man das vom Anlass her überhaupt behaupten darf, wunderschön. Jeder, der in die Trauerhalle kam, konnte sich ein Teelicht nehmen und es vorne auf ein großes Brett in Herzform stellen, so dass nachher ein leuchtendes Herz vor dem Sarg und dem Blumenmeer stand. Die Trauerfeier begann mit einem Lied, welches Yannis (Lisas Geigenlehrer) auf Lisas Geige für sie spielte, er war extra früher aus Griechenland gekommen, damit er für Lisa spielen konnte. Auch Judith hat das Lied Slipped Away gespielt, von ihrem Vater an der Orgel begleitet. Unsere Pfarrerin, die Lisa seit dem Kindergarten kannte, war selber so betroffen, dass ihr teilweise die Stimme versagte. Währendessen lief vor der Glasfront der Kapelle ein Eichhörnchen über die Äste der Fichte und schaute interessiert zu. Dies haben viele der Kinder gesehen und später gesagt, dass wäre, als hätte Lisa vorbeigeschaut. Dann folgte der schwere Weg zum Grab. Für die Kinder gab es rote Herzluftballons und in dem Moment, wo der Sarg in die Erde gelassen wurde, ließen die Kinder die Luftballons steigen. Ich weiß nicht, wie viele Menschen dort waren, unser Bestatter sprach von mehr als 300. Der Zug der Menschen, die kamen, hörte nicht auf. Es war schwer, ich war am Ende meiner Kräfte, aber es war auch schön zu spüren, wie viele Menschen Anteil nehmen und welche Kreise Lisa in ihrem kurzen Leben gezogen hatte. Zwei Tage später gab es in der Schule noch eine Abschiedsfeier für Lisa. Ihr Klassenlehrer erzählte von ihr, eine Mutter berichtete von der Zeit in Frankreich, ihre Klasse hat für sie gesungen, das Lehrerkollegium auch. Judith hat noch mal für sie das Lied gespielt. Ein Baum stand dort, der für sie anschließend gepflanzt worden ist. Achim, der Hausmeister, baute eine Bank, die am Baum stehen wird. Dafür haben wir einen Baumstamm aus dem Brühler Schlosspark bekommen. Dort gibt es zum einen wunderschöne Bäume und Lisa ist oft dort gewesen. Klara und Nico haben sich ganz bald wieder an ihren Alltag gehalten und sich nach wie vor mit Freunden getroffen, auch hier gab es von den Familien immer viel Unterstützung. Oft halten sie sich in ihrem Zimmer auf, spielen mit ihren Sachen, Klara zieht gerne etwas von ihr an und Nico nimmt mal ihren Schmusebär mit in sein Bett. Barry, unser Hund, hat auch gleich gemerkt, dass was nicht stimmt, hat mich keine Minute aus den Augen gelassen und ist, obwohl normalerweise verboten, in die obere Etage, um jede Nacht vor meinem Bett zu schlafen. Tagelang hat er Lisas Tigertatzenpantoffel im Maul getragen und mit dem Kopf darauf geschlafen. Lisa hat, seit der Hund bei uns ist, jeden Abend für ihn einen Segen gesprochen, so wie es die Großeltern immer mit ihr gemacht haben. 63 Inzwischen sind sieben Monate vergangen. Meine Arbeit im Kletterwald schaffe ich gut, auch dank meiner unglaublich tollen Chefs, die viel Anteilnahme und Verständnis für mich haben. Nebenberuflich gebe ich Erste Hilfe Kurse, diese sind für mich oftmals sehr schwer, denn wenn es um das Thema Reanimation oder Ertrinken geht, kommen immer wieder Bilder hoch, wo ich mir Lisa vorstelle. Hoffe, dass es mit der Zeit irgendwann besser gehen wird. Um Lisas Tod herum gibt es eine Menge Dinge, die sehr seltsam sind. Lisa hat im März noch den Film Twilight gesehen, im Vorfeld gab es mit Papa noch große Diskussionen. Nachdem ich mich mit Kritiken und dem Inhalt beschäftigt hatte, habe ich ihr erlaubt, den Film zu sehen. Als ich vor der Beerdigung in ihrem Zimmer auf der Suche nach etwas war, was ich ihr noch in den Sarg legen könnte, fand ich einen aus einem DIN A4 Blatt gebastelten Briefumschlag: Vorne stand AN: dann drei Zeilen Gekritzel, auf der Rückseite: ABS: und wieder drei Zeilen Gekritzel….dann war ein rundes Siegel darauf gemalt. In dem Umschlag befand sich ein DIN A4 Blatt, welches viele Male zerknüllt und viele Male glatt gestrichen worden war. Auf dem Blatt stand in großer Schrift, diagonal über das Papier der Satz: Die Ewigkeit beginnt jetzt, ganz klein stand irgendwo Twilight. Als wir uns Samstag auf dem Rückweg von Frankreich nach Deutschland befanden, überlegte ich auf der Fahrt Texte für die Todesanzeige. Mein erster Gedanke war: Nichts ist mehr wie es war. Nachdem ich den Zettel fand, schaute ich mir am PC den Trailer des Filmes an. Einer der ersten Schriftzüge dort war: nichts ist mehr wie es war und der letzte war, die Ewigkeit beginnt jetzt. Mitte März diesen Jahres hatte Lisa auf der Fulda einen Unfall beim Paddeln, von den Wasserverhältnissen her war es zum Teil schwieriger als die Ardèche. Hier war sie etwa 10 Minuten bis zum Hals im eiskalten Wasser und sehr unterkühlt, so sehr, dass ihre Beine in der Anfangszeit taub waren, so dass man den Rettungsdienst alarmiert hatte. Nachdem sie sich etwas erholt hatte, brauchte sie nicht in Krankenhaus und kam abends munter und fröhlich mit René zu mir nach Hause. In den folgenden Tagen habe ich mich öfter mit ihr über den Unfall unterhalten und darüber, ob sie Angst hätte und ob sie nach Frankreich will. Frankreich musste sein, unbedingt. Da gab es nichts für sie. Mittwochs am Bootshaus habe ich mich auch noch mit ihrem Trainer unterhalten, der mir auch noch mal sagte, dass die Situation dort schon ernst gewesen sei und er hoffe, dass ich jetzt nicht ängstlich bin und ihr die Fahrt nach Frankreich verbiete. Ich war nicht ängstlich und hatte auch ein gutes Gefühl, sie fahren zu lassen. In ihrem Zimmer fand ich auch einen Brief an ihre Freundin Judith, den sie kurz vor ihrer Fahrt nach Frankreich geschrieben haben muss. Im Brief erzählt sie Judith in allen Einzelheiten von dem letzten Trainingstag in Brühl. Daraus hervor ging dann, dass sie in Michael (18) verliebt ist. Der ahnte nichts davon und ich habe ihm ein paar Tage nach der Beerdigung von dem Brief erzählt. Seitdem ist er oft bei uns und es hat sich eine wunderbare Freundschaft entwickelt. Sowohl mit den Kindern als auch mit mir. In den Tagen nach ihrem Tod und auch lange nach der Beerdigung, ja und auch jetzt noch sind immer wieder Menschen da und man spricht über Lisa. Erinnert sich, lacht über irgendwelche Begebenheiten mit ihr oder weint, wenn uns danach ist. Was viele Leute immer wieder erwähnen, ist Lisas Leichtigkeit. Einige sagen, sie sei immer wie ein Engel gewesen. Einer meiner Chefs hat auch immer gedacht, Klara sei die Älteste gewesen und nicht Lisa. Klaras Klassenlehrer, der auch Lisa unterrichtet hat, erzählte, dass er immer den Eindruck gehabt hat, dass Klara der Lisa die ganze „Erdenschwere“ abgenommen hätte. Meine Freundin Irmgard erzählte schon all die Jahre, die unsere Kinder sich kannten, dass Lisa wie eine 64 kleine Elfe war, so leicht und gänzlich unbeschwert. Theresa, ihre große Paddelschwester, erzählt mir immer wieder, wie glücklich Lisa an der Ardèche war und dass sie nur gelacht hätte. Yannis, ihr Geigenlehrer, hat, nachdem Lisa angefangen hatte Geige zu spielen, ein paar Wochen später zu mir gesagt, er wüsste nicht was es sei, aber Lisa sei anders als die anderen Kinder. In ihrer Klasse war sie auch recht beliebt, ihr Lehrer sagte, sie sei immer fröhlich gewesen, sogar bei Mathe. Auch die Eltern ihrer Freundinnen erzählten, dass, wenn die Mädchen zusammen waren, es oft Streit gab, wer neben Lisa beim Essen sitzen durfte und vor allem, wer neben ihr schlafen durfte. Eine Mutter erzählte, es sei so gewesen, dass die Kinder vielleicht unbewusst ahnten, dass sie nicht so viel Zeit mit Lisa hätten. Ich erinnere mich noch an den Morgen, an dem Lisa nach Frankreich gestartet ist. Klara und Nico wollten sie in den Arm nehmen und ihr einen Kuss auf die Wange geben. So haben sie sich normalerweise nicht verabschiedet. Lisa hat sich wie immer geziert und aus den Umarmungen gewunden. Warum haben sich die beiden gerade da so von ihr verabschiedet? Als Lisa ertrank, waren all die anderen Kinder und Jugendlichen und Erwachsenen am anderen Flussufer an auf einer Sandbank und haben die ganzen vergeblichen Rettungs- und Reanimationsversuche mit angesehen. Das jüngste Kind war Verena, 8 Jahre alt. Theresa hatte an dem Tag Geburtstag. Verenas Papa hat Lisa unter Wasser aus der Schwimmweste geschnitten. Unsere Familien kennen sich seit sieben Jahren. Zu den meisten, die mit waren, habe ich noch Kontakt, und es gibt da immer noch viel zu verarbeiten. Lisas Freunde vom Paddeln haben Klara und Nico liebevoll in den Kreis mit aufgenommen und auch Schulfreundinnen von Lisa verabreden sich jetzt mit Klara. Lisa wäre am 26. Juli 2009 dreizehn Jahre alt geworden. An diesem Tag kamen auch viele Menschen her und haben dafür gesorgt, dass es irgendwie ein schöner Tag wird. Meine Familie, Freundinnen aus der Schule, ihre Freunde vom Paddeln und Freunde von mir sind gekommen. Theresa hat mir auch von den Stunden auf der Sandbank erzählt. Einige saßen dort, haben nur geweint. Andere haben nur auf den Ort des Geschehens geschaut und wieder andere haben gebetet. Der Himmel war bedeckt und irgendwann, so erzählt Theresa, kam die Sonne durch die Wolken und sie sagt, es wäre in dem Moment so gewesen, als hätte sich für Lisa das Himmelstor geöffnet. Vor wenigen Wochen hat Lisas Religionslehrerin meiner Mutter erzählt, dass sie in der letzten Stunde vor den Osterferien das Abendmahl durchgenommen hätten und sie es mit den Schülern auch anschließend zelebriert hätte. Sie erinnert sich noch genau, dass Lisa in dieser Stunde auffällig aufmerksam am Unterricht teilgenommen hätte. Später, als sie von Lisas Tod erfuhr, bekam diese Aufmerksamkeit eine andere Bedeutung. Anfang November bin ich mit René für ein Wochenende an die Ardèche gefahren. Er fuhr dort mit seinem Zweierpartner den Kanu-Marathon. Ich bin zu dieser Reise mit sehr gemischten Gefühlen gestartet und war mir überhaupt nicht sicher, wie mir diese Tage dort unten bekommen würden. 65 Im Nachhinein kann ich nur sagen, dass ich sehr froh bin, dort gewesen zu sein, dort, wo Lisa so glücklich war. Auch ich liebe Südfrankreich seit meiner Kindheit und hatte zeitweilig sogar vorgehabt dort für immer zu leben. Gewohnt haben wir außerhalb von Vallon, aber wir waren an dem Campingplatz, wo sie war, waren auf einem benachbarten Campingplatz, wo der Bonner Verein ein Olivenbäumchen für Lisa gepflanzt hatte. Es trug bereits die ersten kleinen Früchte. Samstag war dann der Marathon und ich durchfuhr mit dem Auto die herrliche Landschaft um die Schlucht herum. René und Normen haben Samstagabend Pläne geschmiedet, wie sie mich zu der schlecht zugänglichen Stelle bringen könnten. Sonntags sind wir dann mit einiger Kletterei und Paddelei zu der Sandbank gekommen, also ans gegenüberliegende Ufer, der Stelle, wo sie ertrank. Da der Fluss zu der Zeit sehr wenig Wasser hatte, ragten mehr Felsen aus dem Wasser als am Osterwochenende und wir konnten erahnen, unter welchem Felsen sie geklemmt hatte. Es waren schwere Minuten, aber ich habe mich ihr dort noch mal ganz anders nah gefühlt. Es tat irgendwie gut, dort zu sein und ich weiß, ich bin nicht zum letzten Mal dort gewesen. Das nächste Mal möchte ich auch an das andere Ufer, dorthin wo sie reanimiert wurde. Auch Lisas Geschwister möchten gerne mal nach Vallon. Nicht alle Menschen um mich herum können verstehen, dass ich dorthin gefahren bin. Irgendjemand sagte vor der Reise, ob ich das denn wirklich machen wolle, da würde mich doch alles wieder an sie erinnern. Daraufhin habe ich gesagt, hier erinnert mich doch sowieso jeden Tag alles Mögliche an sie. René hat kurz nach ihrem Tod Lisa-Aufkleber drucken lassen und alle aus ihrem Verein haben sich einen auf ihre Boote geklebt. Auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus anderen Vereinen, die Lisa kannten, wollten welche haben. In diesem Jahr ist die gesamte JuniorenNationalmannschaft der Wildwasserkanuten mit Lisa-Aufklebern auf dem Boot gestartet. Theresa ist bei den Junioren-Weltmeisterschaften gestartet und stand im Teamwettkampf ganz oben auf dem Treppchen. Zur Siegerehrung wollte sie ein Foto von Lisa mitnehmen, was man ihr leider nicht erlaubte. Denn jedes Rennen, welches sie fährt, so Theresa, fährt sie für Lisa. Ihre Schulfreundin Swaantje hat beim Forstpraktikum einen Baum für Lisa gepflanzt. Und auch daheim bei ihr im Garten gibt es ein Lisabäumchen. Recht bald nach Lisas Tod habe ich auch René wieder zu seinen Rennen begleitet. Vom Start bis zum Ziel ist meistens recht viel Rummel. Anfangs habe ich oft lange Spaziergänge mit Barry gemacht, flussabwärts, wo es ruhig war. Es war merkwürdig: wenn ich eine Pause gemacht habe, um mich ans Ufer zu setzen, konnte ich nicht an Stellen sitzen, wo das Wasser ruhig floss, sondern an Stellen, wo sich das Wasser gekräuselt hat. Ähnlich wie an der Ardèche. Die Elternschaft aus Klaras Klasse hat sich überlegt, dass uns jedes Elternhaus reihum etwas Kleines schenkt, so kommt dann ab und an ein kleiner Gruß ins Haus. Mal eine Kerze, Honig, Blumen, ein paar liebe Zeilen, ein Seidentuch, Blumenzwiebeln und vieles mehr. Es sind so viele Menschen, die auch jetzt noch so teilhaben an unserem Schmerz, unserem Leben. Ohne all diese Menschen und vor allem ohne René, unsere Freunde und meine Familie hätte ich oft nicht gewusst, wie es weitergeht. Irgendwie sind wir von all dem durch die Zeit getragen worden. Es wird immer die Frage nach dem Warum bleiben. Aber es gab so viele Merkwürdigkeiten um ihren Tod, dass man sich fast fragen muss: Sollte das so sein? Was für mich auf jeden Fall ein Trost ist, dass ich weiß, dass Lisa nur glücklich war. Und das, wenn Theresa und die anderen von der Ardèche erzählen, bis zu letzten Minute. Zudem habe ich mein Kind gesehen, konnte mich noch einmal von Lisa verabschieden und weiß, dass sie nicht 66 leiden musste. Die Obduktion hat ergeben, dass sie durch einen Kälteschock bewusstlos geworden ist und keinen Todeskampf zwischen den Steinen durchlitten hat. Ich konnte mein Kind bis zum Grab begleiten. Ich frage mich manchmal, was machen denn die Eltern, deren Kinder einfach verschwinden? Oder Eltern, deren Kinder einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sind? Ich denke, mit Lisas Tod kann man irgendwann, irgendwie klarkommen, aber diese Eltern? Meine Nachbarin Elisabeth hat vor sieben Jahren ihre älteste Tochter verloren, sie starb an einem bösartigen Gehirntumor. Das Kind über Monate hinweg leiden zu sehen, war schrecklich. Da fragt man sich doch auch, warum muss das kleine Mädchen so leiden? Es ist so viel passiert im letzten halben Jahr und ich bin gespannt, was noch durch Lisas Tod bewirkt wird. Dieses kleine Mädchen hat in ihrem kurzen Leben solche Kreise gezogen, es ist unglaublich. Auch ihre Freundinnen kommen noch zu uns und ich finde das gut so. Oder sie fragen nach Fotos und die sollen sie gerne haben. Es ist schön, zu wissen, dass Lisa nicht vergessen ist. In ein paar Tagen beginnt die Adventszeit, Nicos Geburtstag steht vor der Tür, dann Weihnachten. Feste, die ab jetzt anders sein werden. Und wohl eher schwer als schön. Ich denke, es wird immer schwer bleiben. Der Schmerz wird uns ein Leben lang begleiten. Vergessen werden wir Lisa nie, sie wird uns weiterhin begleiten und in Gedanken bei uns sein. Immer wieder wird man denken, was sie jetzt täte, der erste Freund, Abitur, Führerschein. Ich denke, es wird immer wieder Kummer und Tränen geben, aber ich glaube, dass ist auch gut so und man sollte es zulassen. Sowieso finde ich, sollte jeder, der trauert, das auf seine Art tun dürfen, ohne sich von Anderen oder der Gesellschaft etwas vorschreiben zu lassen. Es kamen Leute zu mir, die sagten: Ich finde das so klasse, wie du das machst. Ich kann nur sagen, ich weiß nicht, ob das gut ist, ich versuche nur, es für uns so zu machen, wie ich glaube und hoffe, dass es gut für uns ist. Auch Klara und Nico sind mir eine große Hilfe und ein guter Grund, nicht völlig zu verzweifeln. Allein deshalb muss man weitergehen und das ist auch gut so. Mein größter Wunsch ist es, mit René und den Kindern einen Weg zu finden, dass wir trotz des großen Verlustes weitergehen, zusammen. Zu versuchen, nach vorne zu schauen und auch die schönen Seiten des Lebens wieder wahrnehmen und erleben können. 67 Tipps von „Ärzte“ bis „Baywatch“ Ärzte Bis vor wenigen Jahren mussten Sie sich vor dem Urlaub von Ihrer Krankenkasse eine Bescheinigung für den Versicherungsschutz ausstellen lassen. Heute ist Ihre Versicherungskarte zu einer Europäischen Krankenversicherungskarte geworden. Denn in der Europäischen Union gilt seit Anfang 2006 die so genannte European Health Insurance Card (EHIC), die von der gesetzlichen Krankenkasse an die Versicherten vergeben wird. Neben den EU-Staaten gilt sie auch in Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz. Vor Beginn der Behandlung im Ausland wird wie in Deutschland die Karte beim Arzt abgegeben. Allerdings kann es vorkommen, dass die Karte nicht von allen Ärzten akzeptiert wird. Dann müssen Sie zahlen und sich die Kosten zu Hause von ihrer Krankenkasse erstatten lassen. Das wird auch meist kein Problem sein. Probleme können dabei auftreten, wenn der Arzt im Ausland Privatsätze abrechnet, denn bei gesetzlich Versicherten erstattet Ihre Kasse in der Regel nur den einfachen Satz. Die Lösung: Schließen Sie eine Auslandsreisekrankenversicherung ab, denn sie übernimmt die Kosten, die über die EHIC nicht abgedeckt sind, also auch die Kosten, die entstehen, wenn im Ausland ein Arzt nur privat abrechnet. Bei der Wahl der Versicherung sollten Sie darauf achten, dass in den Leistungen auch ein Rücktransport nach Deutschland eingeschlossen ist, der aber medizinisch notwendig sein muss. Rücktransporte zählen nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Die Kosten für die Versicherung sind bezahlbar. Sie liegen bei etwa 20 Euro. Wenn Sie das Glück haben, mehrmals im Jahr verreisen zu können, schließen Sie die Versicherung am besten für ein Jahr ab. Vergleichen Sie die Angebote von Krankenkassen, Reiseclubs und Versicherungsgesellschaften. Aids In Urlaubsländern außerhalb Europas ist die Gefahr, sich mit HIV anzustecken, wesentlich größer als bei uns. Sex ohne Kondom, verunreinigte Injektionsnadeln oder medizinische Instrumente und teilweise auch noch verunreinigte Blutprodukte sind typische Übertragungswege. Gefahr besteht besonders in Ländern mit schlechten hygienischen Bedingungen. Auf Zahnbehandlungen, Tätowierungen und Piercings sollte dort verzichtet werden. Auch Rasiermesser und Zahnbürsten sollten nicht mit anderen geteilt werden. An ihnen können kleinste Blutreste haften. Ist eine medizinische Behandlung im Urlaub unbedingt notwendig, muss darauf geachtet werden, sterile Nadeln und getestete Blutprodukte zu verwenden. Airlines Das gefährlichste am Fliegen ist die Autofahrt nach Hause, sagen die Piloten. Fliegen ist eine der sichersten Möglichkeiten der Fortbewegung. Sie können in Europa in jedes Flugzeug steigen, entspannen und sich auf Ihren Urlaub freuen. Zwischen Linien- und Charterfluggesellschaften gibt es in punkto Sicherheit, wenn überhaupt, nur marginale Unterschiede. Machen können Sie sowieso nichts. Alkohol Von Genuss beim Sundowner bis zur Flat Rate Party, bis der Arzt kommt – die Bandbreite des Alkoholkonsums ist vielfältig. Alkohol gehört für die meisten Menschen zum gelungenen Urlaub 68 wie gutes Essen, neue Eindrücke, vorübergehender Abschied vom Alltagsstress und wie das Baden und Schwimmen. Leider passen aber Schwimmen und Alkohol überhaupt nicht zusammen. Und was sich etwa in Es Arenals auf Mallorca oder in Lloret de Mar an der spanischen Costa Brava („Lloret geht nie ins Bett“) an Saufpartys abspielt, ist manchmal erstaunlich. Diese Locations seien aber nur stellvertretend für viele andere Trinkplätze im Urlaub genannt, wo volle Dröhnung und Komasaufen ebenfalls alltäglich sind. Es ist wohl so, dass Jugendliche überfordert sind und mit den Anforderungen in Schule, Beruf, in der Familie und unter ihresgleichen nicht mehr zurecht kommen, im Urlaub einfach nur noch vergessen und grenzenlos leben und erleben wollen. Der Bielefelder Jugendsoziologe Klaus Hurrelmann betreibt Ursachenforschung: „Aus ihrem Ohnmachtsgefühl heraus suchen die Jugendlichen nach dem Kick, der ihnen sonst im Leben fehlt.“ Die Kontrollen in den Ferienzentren sind auch – den Promillegrenzen zum Trotz - mal so und mal so. Wer Urlaub auf der kleinen Baleareninsel Formentera macht, hat so gut wie nie etwas zu befürchten, solange er nicht mindestens eine Stunde lang Schlangenlinien fährt oder in einen Unfall verwickelt wird. Und wer nachts auf der spanischen Insel in den Leihwagen oder auf den Roller steigt, muss nach unseren Erfahrungen ernsthaft damit rechnen, dass kaum einer nüchtern ist oder weniger als 0,5 Promille in sich hat. An europäischen Stränden kann sowieso jeder so viel in sich reinschütten wir er und sie wollen. Vollrausch kann man nicht verbieten. Natürlich soll auch im nächsten Sommer alles anders werden. Mehr Polizei, mehr Strandbewachung, mehr Präsenz, mehr Prävention. Allzu oft sind es aber nur Lippenbekenntnisse. PR-Ankündigungen kosten wenig, Sicherheit kostet viel. Ansauganlagen Ansauganlagen in Schwimmbädern sind verantwortlich für mehrere Badeunfälle, mehrere davon mit tödlichem Ausgang. Auszug aus den Horrormeldungen: In letzter Sekunde war ein Mädchen im niederrheinischen Issum dem Tod durch Ertrinken entronnen. Die Zwölfjährige war mit ihren Haaren unter Wasser gezogen worden. Badegäste bemerkten die verzweifelte Situation des Kindes und schnitten ihm die Haare ab. In Gummersbach war ein Mädchen bei einem ähnlichen Unfall ertrunken. Auch dort hatten sich die Haare des Kindes in der Sauganlage des Schwimmbades verfangen. Aufblasbares Viele meinen: Je größer die Luftkammern der Delphine, Krokodile und Dinosaurier sind, desto sicherer sind Kids und Jugendliche im Wasser. Das ist ein gefährlicher Irrtum. Der einzige Vorteil: Sie oder Ihre Kinder werden eher gesehen. Ansonsten ist nicht nur der Spaß, auch das Risiko groß. Auch dann, wenn der Gegenstand mehrere aufblasbare Kammern hat. Ende Juli 2007 wurden am Strand von Thiessow an der Südküste der Insel Rügen fünf Menschen vor dem Ertrinken gerettet, unter ihnen vier Kinder und Jugendliche. Die Kinder waren bei stark ablandigem Wind mit zwei nicht seefesten Schlauchbooten auf das Meer hinausgetrieben worden. Etwa zur gleichen Zeit war ein zweites Schlauchboot in größerer Entfernung von der Küste gekentert. Die Besatzung des auf der Greifswalder Oie stationierten Seenotkreuzers „Bremen“ konnte die 14 und 15 Jahre alten Jugendlichen in letzter Minute aus dem Wasser bergen. Sie wurden mit starker Unterkühlung in ein Krankenhaus geflogen. 69 Susanne Woelk von der Aktion „Das sichere Haus“, im Nebenberuf Schwimmlehrerin, gibt Tipps: “Luftmatratzen und Schwimmtiere sind dann gefährlich, wenn die Kinder selbst noch nicht schwimmen können. Luftmatratzen und Schwimmtiere verführen dazu, sich in tiefem Wasser sicher zu fühlen. Wenn Kinder dann aber beim Toben von der Luftmatratze herunterfallen, können sie ganz schnell ertrinken. Und darin besteht die Gefahr. Bei den Schwimmtieren kommt noch hinzu, dass sie insgesamt instabil und auch oft so geformt sind, dass Kinder leicht herunterrutschen können. Dadurch ist die Gefahr noch ein wenig größer als bei einer Luftmatratze Sicheres Badespielzeug in dem Sinne gibt es nicht. Da muss man eindeutig vor warnen. Gerade wenn die Kinder, wie schon erwähnt, noch nicht schwimmen können. Es sollten daher immer Erwachsene dabei sein, wenn die Kinder sich in freien Gewässern mit Badespielzeug befinden. Zusätzlich sollten die Kinder noch Schwimmflügel tragen, damit sie, wenn sie von dem Spielzeug herunterfallen, nicht sofort untergehen. Zu warnen ist vor sehr dünnem Plastik, da dieses auch sehr leicht kaputt gehen kann. Ganz im Gegensatz zu einer festen Luftmatratze, die oft noch einmal zusätzlich beschichtet ist. Kinder können erst dann richtig schwimmen, wenn sie ihr Freischwimmer-Abzeichen abgelegt haben. Die erste Schwimmprüfung, das Seepferdchen, zeigt nur, dass ein Kind in einem stillen Gewässer eine 25 Meter-Bahn bewältigen kann. Von sicherem Schwimmen kann man erst beim Freischwimmer sprechen. Und auch dann sollten die Kinder nie alleine mit dem Schwimmspielzeug ins Wasser gelassen werden.” Aufsichtspflicht „Eltern haften für ihre Kinder“, steht am unbewachten Badesee. Fachleute können darüber nur mit dem Kopf schütteln, denn diese "Drohung" ist rechtlich unwirksam. Eltern haften für ihre Kinder nur dann, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Sie müssen auf ihre minderjährigen Kinder aufpassen. Ertrinken ist für Kinder die zweithäufigste unfallbedingte Todesursache nach Verkehrsunfällen. Das Alter des Kindes ist ebenso entscheidend wie der individuelle Entwicklungsstand. Kleine Kinder brauchen mehr Aufsicht als größere und normal entwickelte Kinder kann man eher alleine lassen als Kinder, die verhaltensauffällig oder in ihrer Entwicklung noch nicht so fortgeschritten sind. Kinder müssen aus zwei Gründen beaufsichtigt werden: Um sie vor Schäden zu bewahren und um andere Personen vor Schäden zu bewahren. Generell ist die Aufsichtspflicht erfüllt, wenn, so interpretieren Juristen, mit “vernünftiger Voraussicht” versucht wird, Schäden zu vermeiden. Dabei spielt die Umgebung eine entscheidende Rolle: Welche Gefahren drohen? Im Haus ist es so, dass Kinder nicht auf Schritt und Tritt überwacht werden müssen. Ein vierjähriges Kind darf alleine in seinem Zimmer spielen, ohne dass die Eltern es ständig überwachen müssen. Am Badesee, am Hotelpool und am Meer müssen Kinder permanent beaufsichtigt werden und haben immer alle Augen verdient. Auswärtiges Amt Reisewarnungen vom Auswärtigen Amt sind oft keine wirkliche Orientierung für Reisende. Basis sind, sagt der Tourismusexperte Karl Born von der Fachhochschule Harz, "Wirtschaftsbeziehungen zu anderen Ländern zu pflegen und nicht, Urlauber vor einem Gefahrengebiet zu warnen.“ Wenn überhaupt, erlasse das Auswärtige Amt Reisewarnungen "immer erst dann, wenn schon etwas passiert ist." Nicht nur Born fordert neutrale Reisewarnungen eines unabhängigen Gremiums, um die "Abhängigkeit des Auswärtigen Amtes von der Tourismusindustrie zu überwinden". 70 Badeseen Seen und Flüsse sind mit 4 von 5 Ertrunkenen die gefährlichsten Badestellen in Deutschland. Und gerade diese riskanten Gewässer sind fast immer unbewacht. Die Anwesenheit von Rettungsschwimmern ist hierzulande immer die Ausnahme, nicht die Regel. Badeseen sind auch nur kinderfreundlich, wenn sie bewacht sind. Das ist zu oft nicht so. Badeverbotsschilder, die von den Kommunen statt wirksamer Absicherung oder Präsenz von Rettungsdiensten aufgestellt werden, sind keine Lösung. Die Überfüllung der Badestellen stellt ein zusätzliches Risiko mit der Konsequenz steigender Unfall- und Ertrinkungszahlen dar. Grund für Unfälle bei Kindern ist meist die Verantwortungslosigkeit der Eltern. Deshalb unbedingt und immer auf Kinder achten und sich über die Bewachungssituation und die Bewachungszeiten (oft nur am Wochenende und während der Schulferien) informieren! Badetipps Eigentlich ist es keine gute Idee, so viel Tipps zu geben. Einfacher wäre ein Satz: "Baden und Schwimmen sind gefährlich." Die Gefahren im Wasser sind aber leider etwas komplexer und wir meinen, dass sie benannt werden müssen. Deshalb: Wenn Sie die Tipps für mehr Badesicherheit beachten, sind Sie gut auf einen unbeschwerten Badeurlaub vorbereitet. • • • • • • • • • • • • • • Respektieren Sie das Meer, die Kraft und die Unberechenbarkeit des Wassers. Sie können vielleicht gut schwimmen. Aber weiß das Meer das auch? Don´t swim alone! Gehen Sie nie allein schwimmen! Einsamkeit im Wasser ist riskant. Es gibt eine Häufung von Ertrinkungsunfällen zu Beginn des Urlaubs. Also ist am ersten Urlaubstag besondere Vorsicht geboten. Ruhen Sie sich nach beschwerlicher Autofahrt oder nach einem Flug erst aus, bevor Sie den Badespass genießen. Schwimmen Sie möglichst nur an bewachten Badestellen und prüfen Sie vorher, wo Sie im Notfall Hilfe erhalten. Bevor Sie schwimmen, machen Sie sich mit Ihrem Strand oder dem Badesee vertraut. Fragen Sie Einheimische, Hotelpersonal, Reiseleiter oder Rettungsschwimmer nach den Bedingungen und nach möglichen Gefahren. Beachten Sie die Warnflaggensysteme und informieren Sie sich über deren Bedeutung. Bei "Roter Flagge" ist das Baden - auch bei ruhigem Wasser und strahlender Sonne lebensgefährlich, weil Sie die Gefahren (etwa die Rip-Strömungen) nicht erkennen können. Auch wenn andere Menschen schon im Wasser sind: Verzichten Sie auf das riskante Vergnügen. Ausgelassene Ferienstimmung und Alkohol machen gute Laune. Führen aber auch zur Einschränkung Ihrer Konditionierung und zur Überschätzung der eigenen Kräfte. Bitte nicht mit vollem Magen ins Wasser gehen. Der Mensch wird nach dem Essen träge und es fehlt dann in kritischen Situationen die nötige Kraft. Sie sollten nur ins Wasser gehen, wenn Sie sich fit fühlen. Das gilt besonders für Seniorinnen und Senioren und für Menschen mit chronischen Beschwerden, insbesondere bei Herz- und Kreislaufproblemen und für Diabetiker. Schwimmen Sie nicht zu weit raus und nur in abgeteilten Schwimmbereichen. Schon ein Krampf kann gefährlich sein, wenn Sie sich nirgendwo festhalten können oder keinen Grund unter den Füssen haben. Wasser übt auf fast alle Kinder eine magische Anziehungskraft aus. Lassen Sie Ihre Kinder nie, erst recht nicht mit Luftmatratzen und Gummitieren allein und ohne Aufsicht 71 • (auch nicht in Strandnähe) baden. Kinder verlieren im Wasser schnell die Orientierung und können auch in knietiefem und scheinbar ungefährlichem Wasser in lebensbedrohliche Situationen kommen. Wenn Sie einen Schwimmer in Not sehen, sollte Sie nie ins Wasser gehen, bevor Sie eine Rettungskette (Notruf, Aufgabenverteilung) organisiert haben und nur dann, wenn Sie sich die Rettung körperlich zutrauen. Bringen Sie sich nicht in Gefahr und denken Sie unbedingt daran, einen Auftriebskörper (schwimmender Gegenstand) mitzunehmen. Diesen sollen Sie dem Schwimmer aus sicherer Entfernung zureichen und so eine Umklammerung vermeiden. Schwimmen Sie den Ertrinkenden von hinten an und retten Sie - wenn mehrere Personen in Not sind - von "außen nach innen". Die wichtigsten Tipps sollten Sie ich auf jeden Fall merken: Nur an bewachten Stränden ins Wasser gehen, nicht allein schwimmen und immer auf Ihre Kinder achten. Badezeiten Sie kennen Badezeiten vielleicht von den ostfriesischen Inseln, die durch Ebbe und Flut bestimmt werden. Sie ahnen es sicher schon: Unsere unmissverständliche Empfehlung ist die strikte Einhaltung der angezeigten Termine für Ihren sicheren Badespass innerhalb der Badezonen. Ansonsten gilt, dass es in Europa fast nie festgelegte Bewachungszeiten gibt. Sie sollten sich wenn der Badeabschnitt überhaupt bewacht wird - bei den Rettungsschwimmern darüber informieren, wann die Stationen besetzt sind, in welchen Monaten, zu welchen Tageszeiten. Die Warnflaggen sind kein Garant für vorhandene Strandbewachung, auch dann nicht, wenn die grüne Flaggenfarbe gehisst ist. An deutschen Badestellen, die von Wasserrettungsdiensten bewacht werden, können Sie nur an den Wochenenden und während der Schulferien mit Bewachung rechnen, die durch eine Vereinsflagge auf dem Wachturm signalisiert wird. DLRG, Wasserwacht & Co. begründen die unterschiedlichen Bewachungszeiten mit den vom Wetter und der Frequentierung der Badestelle abhängigen Anforderungen. Auch die Frage der Haftung spielt eine Rolle für die nicht veröffentlichten Bewachungszeiten. Badezonen „Papa, was bedeuten denn die rot-gelben Flaggen“, fragt in einem Beitrag auf der Webseite der DLRG Björn seinen Vater. "So wie Björn", schreibt die größte Wasserrettungsorganisation der Welt weiter, "geht es vielen Kindern und Erwachsenen, wenn sie die Flaggen in den unterschiedlichen Farben am Meer sehen." Wie wahr. Die Frage des Jungen nach der Bedeutung der Flaggenfarben ist mehr als berechtigt, denn die so genannte "Badezonenkennzeichnung" in Rot-Gelb soll ganz unterschiedliche Informationen vermitteln und sorgt schon allein deshalb zunehmend für Irritationen unter Wasserrettern, Urlauben und Freizeitsuchenden. Vor allen in europäischen Urlaubsländern, die die neuen Regelungen nicht selten kopfschüttelnd zur Kenntnis genommen 72 und deshalb in einigen Fällen vorerst auch lieber bei der "alten" Regelung (Grün, Gelb und Rot) bleiben wollen. Solange einzelne "Farben" gehisst werden, ist die Sache eindeutig: eine gelbe Flagge signalisiert Gefahr, Rot bedeutet Badeverbot. So weit, so gut. Schwieriger wird es bei einer rot/gelben Flagge. Einerseits dient diese als Begrenzung für den Schwimmbereich und als Zeichen dafür, dass hier Wassersportgeräte verboten sind, andererseits soll Rot/gelb signalisieren, dass der Strand bewacht ist. Alles klar? Wer die Kennzeichnung in sorgloser Urlaubslaune auf Anhieb vollständig versteht, hat einen Preis verdient. Nichts gegen die Reduzierung von Schildern und Flaggen, aber: wieso man nun exakt dieselben Farben für Gefahr und Verbot auch als Hinweiszeichen für Begrenzung und Bewachung verwendet, bleibt rätselhaft und trägt eher zur allgemeinen Verunsicherung bei. Signale und Flaggenfarben müssten in ihrer Bedeutung klar zuzuordnen und vor allem unmissverständlich sein. Wir hoffen auf eine kritische Überprüfung der Kennzeichnungen, bevor diese europaweit und endgültig zum Einsatz kommen. Balearen, Spanien Nicht mal die Hälfte aller Balearenstrände ist bewacht. Welche es sind, weiß der Urlauber oft erst, wenn er da ist. Vor Jahren haben Mitarbeiter der Balearenregierung versucht, gefährliche Balearenstrände zu identifizieren und dabei drei Fragen zu stellen: Wo liegen und baden sehr viele Menschen? Wo gibt es bekannte Gefahren wie Rip-Strömungen? Und Wo sind Menschen ertrunken? Besonders an Ost- und Südküste der Insel Mallorca und am Es Arenals / Platja Migjorn der Insel Formentera bestehen Gefahren durch Strömungen bei auflandigen Winden. Irritierend ist, dass es zwei Notrufnummern (112 und 061) gibt und die unzureichende Koordination mehrfach Zeitverzögerungen mit lebensbedrohlichen Folgen verursacht hat. Verstärkt werden inzwischen auch private Rettungsorganisationen eingesetzt, die häufig mit argentinischem Personal arbeiten. Die Notrufzentrale 112 befindet sich in Palma de Mallorca. Von hier werden die Rettungseinsätze für Mallorca, Menorca, Ibiza und Formentera koordiniert. Im Notfall kann von jedem Handy über die Notrufnummer 112 (ohne Vorwahl) mehrsprachig Hilfe angefordert werden. Unser Test im Mai 2008 war allerdings negativ: Fünf Versuche mit der dringenden Bitte nach einem Englisch sprechenden Partner endeten in der Endlos-Warteschleife. Auf den Balearen ertrinken pro Jahr bis zu 30 Menschen. Balkone Mit einer konsequenten Maßnahme sorgen Sie in Ihrem Urlaubsdomizil dafür, dass Ihre Kinder – besonders wichtig ist das in Bettenburgen ohne Sicherung von Fenstern und Türen - sicher sind: Nie allein lassen. Auch nicht für kurze Zeit. Schwierig kann es auch werden, wenn Sie auf der Brüstung Ihres Balkons in der 12. Etage abfeiern. Dann können Sie nur noch hoffen, dass direkt unter den Balkon ein riesiger und nicht zu flacher Swimmingpool gebaut wurde. Das aber ist nur selten der Fall. Baywatch 73 Baywatch wurde zur erfolgreichsten US-Fernsehserie des 20. Jahrhunderts, die in 144 Ländern ausgestrahlt wurde. Der Erfolg der Water-Soap beruht größtenteils auf dem Ideal einer vor Gesundheit und Tatendrang strotzenden Jugendlichkeit und auf der Mitwirkung seinerzeit wirksamer Sexsymbole wie David Haselhoff, Pamela Anderson oder Carmen Electra, die für amerikanisch eingefärbte Erotik in den Serien sorgten. Schön wäre es schon, wenn die gelegentlich als Badehosenfraktion verspotteten ehrenamtlichen deutschen Wasserretter, die oft so gar nichts "baywatchmässiges" haben, wenigstens etwas von diesem Leitbild hätten. Dann würden sie vielleicht nicht nur dann beachtet werden, wenn sie gebraucht werden. Und das Interesse, sich ausbilden und einsetzen zu lassen, wäre wohl auch größer. 74 Johannes Schulz Aus, dachte ich, gleich ist es aus Meine Eltern kamen 1955 nach Düsseldorf, mich als 12-jährigen im Gepäck. An einem dieser schönen Samstagnachmittage im Herbst machten wir Picknick am Rheinufer. Zum ersten Mal sah ich den großen mächtigen Fluss, dessen Strömung unterbrochen wurde durch so genannte Buhnen, die quer zum Fluss ungefähr 15 Meter ins Wasser hineingebaut wurden. Innerhalb dieser Buhnen sah man keine Strömung, das Flusswasser stand hier ruhig im Gegensatz zur Fahrwasserstraße, die eine kräftige und sichtbare Strömung zeigte. So einen riesigen Fluss hatte ich nie zuvor gesehen. Es war überhaupt alles neu für mich: die große Stadt, die völlig unbekannten Straßenbahnen, Rolltreppen in den Kaufhäusern. Ich kam aus dem kleinen Städtchen Hof an der Saale zum ersten Mal ins Rheinland. Hof lag damals im „Zonengrenzbereich“, die DDR direkt vor der Tür. Da lernte man als Vierjähriger Skifahren, Frösche fangen in der Saale und Kühe melken auf den benachbarten Bauernhöfen oder schnell mal die Demarkationslinie zur DDR überschreiten und sich dabei sehr mutig vorkommen. Erfahrung mit Wasser? Keine. Es gab nur die Saale, ein friedlicher, ruhiger Fluss. Meine Welt war der Stadtrand von Hof: Wiesen, Wälder, Truthähne, Fuchs und Hasen direkt vor der Haustür. Es war fast ein Landleben, das bis dahin die Kindheit geprägt hatte. Und nun diese riesige Stadt. Nein, ich hatte keine Angst. Es war alles viel zu aufregend: diese großen Alleen, diese langen Straßenbahnfahrten zur Schule, während ich zuvor jeden Tag durch grüne Auen, an einem Bach entlang zu Fuß zur Schule ging, zwischendurch Beeren pflückte, Blutegel fing und sie dem Schulnachbarn aufs Heft klebte oder den Ameisen zusah und mich fragte, wie sie in dem Gewusel überlebten und überlegte, ob man tote Vögel beerdigen müsse und wenn ja, mit Holzkreuz oder nicht. Nun stand ich vor diesem großen Fluss, dessen anderes Ufer unendlich weit erschien, nicht erreichbar, denn ich hätte ja die Wasserstraße durchqueren müssen, die voller Schiffe war: Kohle wurde da transportiert, Stahlträger, Container, Grubenholz. Eigentlich passierten die schweren Schiffe ganz gemächlich. Ich sah ein paar geübte Schwimmer, die in die Strömung gingen, so dass sie an die Rheinkähne in greifbare Nähe herankamen. Und tatsächlich, mit schnellem Griff klammerten sie sich an der niedrigen Schiffswand fest, die kaum 30 cm aus dem Wasser ragte, wenn das Schiff schwer beladen war, und zogen sich an Bord. Kein Kapitän hatte das gern und bevor der fluchend und schreiend sie zur Rede stellen konnte, waren sie mit großem Sprung wieder im Rhein verschwunden auf dem Weg zum nächsten Kahn. Das sah ich mit Bewunderung und Begeisterung. Tja, schwimmen müsste man können. Ich konnte Skifahren. Das nützte im Augenblick wenig. Also betrachtete ich mir diese sportlichen Klimmzüge der Schwimmer, die auf ihre Weise an Bord gingen, voller Neid, aber mit großem Vergnügen. Dabei ging ich langsam weiter ins Wasser innerhalb zweier solcher Buhnen. Das war ja nicht gefährlich. Hier stand das Wasser ruhig. 75 Allmählich ging mir das Wasser bis zum Bauch und dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Ich rutschte auf einem Stein weg, verlor das Gleichgewicht, fiel bis zum Hals ins Wasser und ruderte mit den Armen, um mich wieder aufrichten zu können. Als ich Grund unter den Füßen spürte, schaute nur noch mein Kopf aus dem Wasser. Ich strampelte mit Armen und Beinen. Das Ufer kam deswegen nicht näher, sondern ich spürte die kreisende Strömung innerhalb der Buhnen, die mich unweigerlich hinauszog in den Rhein. Was tun? Ich war völlig hilflos und auf einmal wie gelähmt: das Wasser hatte mich in seiner Gewalt. Es gab kein Entkommen. Ich tauchte unter, ein Mal, zwei Mal. Beim zweiten Auftauchen sah ich die Baumallee am Rheinufer. Zum Hilfe schreien hatte ich längst keine Luft mehr. Dafür schoss mir ein einziger und merkwürdigerweise völlig ruhiger Gedanke durch den Kopf: Das ist also der letzte Anblick, den du von der Welt hast: die schöne Rhein-Allee. Gleich ist alles vorbei, gleich bin ich tot. Ich tauchte ein drittes Mal auf, hatte keine Luft mehr, ging unter: AUS, dachte ich, gleich ist es aus. In dem Moment packt mich etwas, zieht mich nach oben. Ich schnappe krampfhaft nach Luft. Der erste neue Gedanke: Du wirst gerettet. Irgendwo hatte ich mal gehört, dass Ertrinkende sich voller Angst an den Retter klammern und den damit in große Gefahr bringen. Also: Auf keinen Fall Anklammern, einfach geschehen lassen, was passiert. Und wirklich, es passierte etwas, das Ufer kam näher, ein Mann hatte mich gepackt und schwamm mit mir fest im Griff ans Ufer. Als das Wasser nur noch bauchtief war, ließ er mich behutsam los, damit ich Grund bekam. Jetzt erst stellte ich fest, mein Retter hatte nur ein Bein und hüpfte an Land, während ich völlig benommen ihm folgte, danke sagte und ziemlich bleich und erschöpft zu meinen Eltern zurückging. Natürlich keinen Ton von diesem Ereignis sagte, das mich nur knapp dem Tod entkommen gelassen hatte. Dass das alles stillschweigend vorübergehen sollte, war nur ein frommer Wunsch. Der einbeinige Retter war mir auf Krücken gefolgt und erzählte meinen Eltern, was sich ereignet hatte und mahnte sie, doch besser auf mich aufzupassen, zumal ich nicht schwimmen könne. Meine Eltern waren völlig entsetzt, meine Mutter schloss mich in die Arme. Mich, dieses Kind, das sie mühsam durch die Kriegswirren gerettet hatte, mit vielen Entbehrungen durchgefüttert hatte, während andere Kinder vor Hunger starben. Und auf einmal war mein Tod ganz nah – kaum 12 Jahre danach. Mein Vater dagegen gab mir eine vehemente Ohrfeige, schimpfte und sagte: Das ist wieder mal deine typische Schlampigkeit, in den Tag zu träumen; statt Bilder malen, solltest du lieber was Gescheites lernen. Na ja, ich lernte darauf als erstes im Hallenbad Schwimmen. Die Angst vor dem Wasser ist aber bis heute geblieben. Wenn mir mal zufällig das Wasser beim Schwimmen im Meer über den Kopf schlägt, bekomme ich Panik. Und wenn ich mal mehr als 10 Meter weit ins Meer will und dabei den Meeresgrund verliere, dann nehme ich mir eine Holzpalette mit, die ja an Mittelmeerufern immer wieder angeschwemmt werden, um mich dran festhalten zu können, falls ich plötzlich im Wasser Angst bekomme. Diese Angst sitzt so tief drin; die hat kein Schwimmkurs beseitigen können. Tauchen ist für mich nach wie vor Horror, obwohl doch damals der letzte Anblick der Welt, die Bäume der Rheinallee ein ganz ruhiger war: das Bild vom einfachen Tod. Meine junge Seele hat die Angst einfach vertrieben – aber nur für den Moment! 76 Der Schock fürs Leben kam später. Heute hänge ich trotzdem an der See, liebe die Unendlichkeit des Meeres, aus dem alles kommt, aus dem alles Leben entstand, begrüße das Wasser wie eine Freundin, solange es ruhig plätschert und solange ich meine Holz-Palette in der Nähe weiß. Aber tief drinnen in der Seele habe ich Respekt davor. Erst recht, wenn es sich ungestüm zeigt, voll unsäglicher Kraft, zerstörerisch sogar, unhaltbar ist und alles zerbricht, was ihm in die Quere kommt. Dieses Meer, aus dem alles Leben kommt, nimmt auch alles Leben wieder in sich zurück. Diese Angst lässt mich behutsam mit Wasser umgehen. Auch wenn Bert Brecht mal geschrieben hat: „…dass das weiche Wasser in Bewegung stets den harten Stein besiegt! Du verstehst, das Harte unterliegt.“ Statt Bilder zeichnen, was mir mein Vater damals als lebensfern vorwarf, habe ich am Ufer des Meeres, an der Nordspitze von Formentera, dem Wasser ein Denkmal aus Steinen entgegengesetzt, das bis heute, seit 1992, dem Wasser trutzt, sogar dem Sturm standhält. Manchmal erschlägt der Blitz einen großen Steinturm dort. Dieses Denkmal habe ich La Riada (Sturmflut, Überschwemmung) genannt. Das Wasser tut meinen Steinskulpturen aber nichts an. Seitdem ist das Meer mein Freund, solange es mich nicht anbrüllt, anspritzt, antost und im Sturm auf mich einschlagen will. Dann weht die rote Fahne an den Stränden. Dann bewundere ich die Kraft der Wasser-Macht. Ihr anvertrauen wollte ich mich nie. 77 Antje Wiederhold Im Meer mag ich nicht mehr schwimmen Ich bin in Litauen am Kurischen Haff fast ertrunken. Hätte mein Mann mich nicht rausgezogen und wären nicht zufällig zwei deutsche Ärzte am Strand gewesen, die dort Urlaub gemacht haben, wäre jede Hilfe zu spät gekommen. Sie haben mich zu dritt wiederbelebt und ich bin dort in ein Krankenhaus gekommen. Ein Freund von uns, mit dem wir dort im Urlaub waren, ist auch Arzt und Russe, er hat mich im dortigen Krankenhaus betreut und versorgt. Ich bin 12 Stunden später mit dem ADAC-Jet nach Hause geflogen worden, weil sie im Krankenhaus nicht in der Lage waren, mich künstlich zu beatmen und die Gefahr zu groß war, dass meine Atmung wieder aussetzt. Heute geht es mir wieder gut. Im Meer mag ich aber nicht mehr schwimmen. Ich kann mich an den ganzen Hergang nach wie vor nicht erinnern. Ich weiß nur, dass an diesem Tag endlich schöne Wellen waren und ich mich gefreut habe, zu baden. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, dass das mir passiert ist und nicht meiner 12-jährigen Tochter oder meinem 10-jährigen Sohn. Die Unterströmung war an diesem Tag wohl sehr stark. Und ich muss es wohl nicht mehr geschafft haben, wieder ans Land zu kommen. Mein Mann wollte mir helfen, sah mich rufen, bekam mich aber erst aus dem Wasser, als ich bewusstlos war. Es war ein bewachter Strand. Es gab Rettungsschwimmer, es gab Wachtürme. Aber leider sehr weit auseinander und irgendwie haben sie das ganze dann doch nicht mitbekommen, erst dann, als die drei mich wiederbelebt haben. Wir sind eigentlich auch keine schlechten Schwimmer, machen viel Urlaub an der Nordsee, aber ich glaube, ich habe diese Unterströmung sehr unterschätzt und niemand hat uns gewarnt. Leider fahren wir dieses Jahr wohl nicht groß weg. Und schon gar nicht nach Litauen, auch wenn es dort wirklich wunderschön ist. Und das Meer lädt dort einfach zum Baden ein. 78 Klaus Schäfer Playa Muerte Es wird mir ewig in Erinnerung bleiben, Urlaub auf Fuerteventura, November 1995, in Deutschland ist es nass und kalt, auf Fuerteventura herrscht ständig ein angenehmer Frühsommer, dessen Temperaturen durch den unablässigen Wind von der See erträglich gehalten werden. An der Ostküste gab es weite Sandstrände, die von Klippen umgeben waren und am Sotavento surften wir bei ständig ablandigen, zum Teil sehr kräftigen Winden den ganzen Tag. Mit einem Mietwagen machte ich an einem Tag über endlose Schotterpisten einen Ausflug bis zur südwestlichen Spitze der Insel. Dort fanden sich sehr breite und unberührte Sandstrände, die vom offenen Atlantik her mit großen bis zu drei Meter hohen Wellen beaufschlagt wurden. Der Strand fiel deutlich schräg wie eine Rampe ab und führte offensichtlich nach 10 bis 15 Metern in tieferes Wasser. Aufgrund der langen und beschwerlichen Anfahrt waren kaum andere Personen zu sehen, vereinzelt saßen Personen am Strand und sonnten sich. Niemand war im Wasser. Nach halbstündigem Sitzen in der Sonne war mir trotz Wind warm geworden und es reifte der Entschluss: Jetzt ab in das Wasser. Sicher war die Brandung beeindruckend, schien aber am Auslauf der mächtigen Gischt zumindest für ein Sitzbad oder ein Umspülen der Waden geeignet. Angesichts der wenigen anderen nur am Strand sitzenden Personen traf ich die Entscheidung, dass es sich im Gegensatz zu mir um vermutlich schlechte Schwimmer und Hasenfüße handeln musste. Schließlich besaß ich das Rettungsschwimmabzeichen in Gold und hatte umfangreiche Erfahrungen mit Wasser als Schwimmer, Schnorchler, Taucher, Surfer, Segler und Bootfahrer. Langsam und vorsichtig betrat ich die abfallende Rampe des Strandes. Die erste Welle umspülte mit einer mächtigen Gischt meine Beine. Und während ich noch von der Kraft dieser Gischt überrascht und beeindruckt war, überrannte mich eine zweite Welle bis zur Bauchnabelhöhe, riss mich um, schleuderte mich Richtung Strand, um mich dann im Bodenbereich wie ein Riesenstaubsauger unter der Gischt in das tiefere Wasser zu ziehen. Gegen diese Kräfte war jeder Widerstand zwecklos, so dass ich mich Luft anhaltend mitziehen ließ. Beim Auftauchen konnte ich vor der nächsten gewaltigen Gischt nur kurz Luft holen und tauchte in die nächste bereits anrollende Gischtfront, die sich mehr als einen Meter hoch über die Wasserfläche erhob. Dabei bemerkte ich eine extrem starke Strömung unter der Oberfläche, die mich rasant weiter in die Brandungszone zog. Mir war klar, dass ich mich in einer lebensgefährlichen Situation befand. Nur keine Panik jetzt. Gut, dass reichlich Erfahrung im Umgang mit Wasser vorlag, ansonsten wäre die Panik unweigerlich ausgebrochen. Die aufkeimende Angst, und die gebe ich zu, wurde durch rationales Überlegen klein gehalten. Erst einmal mit der Strömung raus aus der Brandung, dann parallel zum Strand weg von der Strömung, um dann an einem günstigen Zeitpunkt mit der Brandung an einer geeigneten Stelle wieder den Strand zu erreichen. Soweit der Plan. 79 Die Umsetzung gestaltete sich schwierig, da ich noch zwei weitere Brecher untertauchen musste, um dann relativ leicht seitlich aus der immer noch merkbaren Strömung heraus zu schwimmen. Der Abstand zum Strand betrug etwa 75 Meter. Das Wasser war saukalt und nicht so angenehm wie an den Badestränden der Ostküste Fuerteventuras. Lange würde ich es bei den Temperaturen nicht aushalten können. Mit diesem Zusatzproblem hatte ich nicht gerechnet. So hielt ich mich parallel zur Küste und trieb langsam in nördliche Richtung, immer die Wellenkämme als Ausguck für eine günstige Fluchtposition nutzend. Nach etwa 10 Minuten ergab sich eine verminderte Brandung und ich konnte die Wellen bezüglich Abstand und Geschwindigkeit abschätzen. Vor einer Welle nahm ich kraulend Tempo auf, und es gelang mir, mit der dann brechenden Welle in der Gischt bis an das Ufer zu gelangen. Dabei hielt ich mich an der Oberfläche der Gischt, hatte aber Mühe, nicht herumgewirbelt zu werden. Am Ufer angelangt, krallte ich mich dann mit Händen und Füßen in den schrägen Sand; und fast hätte das Wasser mich erneut zurückgezogen. Erschöpft kroch ich auf den sicheren Strand und legte mich auf den Rücken. Das gerade Erlebte zog in Gedanken an mir vorbei. Das war also eine „Unterströmung“ und vom Strand aus sah das Meer durchaus nicht ungefährlich aus, im Wasser aber war es geradezu die Hölle gewesen. Einige der Anwesenden kamen zu mir und wollten offenbar den „Irren“ sehen, der da durch die Brandung geschwommen war. Zwei Einheimische sprachen vom „playa muerte“, dem Todesstrand, und sagten, dass in jenem Jahr dort angeblich schon mehrere Personen ertrunken seien. Warnschilder, Notrufmöglichkeiten oder gar eine Wasserrettung, niente, rein gar nichts. Dafür aber die Erkenntnis, dass ich mich gehörig verschätzt hatte und dass ich vermutlich nur mit großem Glück dem Ertrinkungstod entkommen war. 80 Tipps von „Begrüßungstreffs“ bis „Erste Hilfe-Kurse“ Begrüßungstreffs Sie haben eine Pauschalreise gebucht, aber wollen mit den „Rahmenbedingungen“ so wenig wie möglich zu tun haben. Begrüßungstreffs? Das Gläschen Sekt können Sie ja wohl gerade noch selber zahlen und die Ausflugstouren sind ja eher was für „Pauschies“. Dazu gehören Sie natürlich nicht. Sie sollten den inzwischen oft gut ausgebildeten, kompetenten und landeskundigen ReiseleiterInnen eine Chance geben. Und vielleicht hat Ihr Veranstalter ja auch etwas im Programm, was auch auf Ihre Bedürfnisse ausgerichtet ist. Oder Sie erfahren etwas über einen ganz neuen Trödelmarkt, von dem Sie trotz intensiver Vorbereitung noch nichts gehört hatten. Vergessen Sie aber bitte nicht, zu fragen, welche Strände vor der Hoteltür bewacht sind, welche speziellen Gefahren und welche Flaggenfarben es gibt. Wenn Sie keine oder nur ausweichende Antworten bekommen, verstehen wir, wenn Sie die Beteiligung an diesen Veranstaltungen in Zukunft anderen Urlaubern überlassen. Bewachungszeiten Immer wieder fällt auf, dass die Stationen der Wasserretter nicht eindeutig als besetzt oder geschlossen erkennbar sind – zumal die Türme und Häuser gelegentlich eher Festungen gleichen (wohl aus Angst vor Vandalismus). Oft haben wir deshalb vorgeschlagen, statt eines kleinen Fähnchens als Zeichen für Anwesenheit der Rettungsschwimmer die Bewachungszeiten an die Station zu schreiben und in den regionalen Tageszeitungen zu veröffentlichen. Das passiert aber so gut wie nie, und wir vermuten dahinter die Absicht der Rettungsorganisationen, sich bei nicht besetzten Stationen im Fall von Unfällen schadlos halten zu wollen. Zu Lasten der Strandbesucher, wie wir meinen. Dass Bewachungszeiten und deren klare Ansagen eine segensreiche Angelegenheit sein können dafür sind die ostfriesischen Inseln der beste Beweis. Auf Wangerooge und Co. dürfen die Leute eben nur unter Aufsicht baden und werden nach Ende der Badezeit aus dem Wasser gepfiffen. Resultat: Die Zahl der Badetoten an Nord- und Ostsee sind vergleichsweise gering. Blaue Flagge Es gibt inzwischen 3500 ausgezeichnete Strände und Häfen. Die ausgezeichneten Strände werben auch damit, dass diese nicht nur sauber, sondern auch sicher sein sollen. Zugegeben: Viele der mit der "Blauen Flagge" ausgezeichneten Strände sind auch bewacht, aber eben nicht alle. Denn auch dann, wenn keine adäquate Zahl von Rettungsschwimmern vorhanden ist oder der Strand unbewacht ist, reicht das Vorhandensein von Rettungsmitteln und Erste-Hilfe-Material aus, um in den Genuss der werbewirksamen Verleihung zu kommen. Also ist die Blaue Flagge eine Mogelpackung, weil nur bewachte Strände als sicher bezeichnet werden können. Frühestens 2012 will die Dachorganisation in Kopenhagen die Kommunen verpflichten, zwingend Wasserrettungsdienste als Kriterium für die Verleihung festzulegen. Blutspenden 15.000 Blutspenden werden jeden Tag allein in Deutschland benötigt, bei Unfällen, Krankheiten und Operationen. Vielleicht sind auch Sie auf den besonderen Saft irgendwann mal dringend 81 angewiesen. Dafür könnten Sie eigentlich in guten Zeiten etwas von ihrem Blut verschenken. Es kostet einen kleinen Pieks und etwas Zeit: Wenn Sie als Erstspender 18 bis 59 alt sind, gelten Sie als Idealspender. Frauen können bis 4 Mal, Männer bis 6 Mal im Jahr spenden. Sie werden nebenbei auf Infektionskrankheiten getestet und erhalten einen Unfallhilfe- und Blutspenderpass. Buddy-Prinzip Den Begriff kennen Sie vielleicht. Es ist eine der wichtigsten Grundregeln beim Tauchen und sagt aus, die Unterwasserwelt nie allein zu besuchen, weil man dann immer einen direkten Begleiter hat, zu dem man unter Wasser Kontakt halten kann und der es seinerseits ebenso hält. Warum nicht auch beim Schwimmen über Wasser? Sie könnten sich bei Krämpfen gegenseitige Hilfestellung leisten, den Partner bei Verletzung oder Bewusstlosigkeit sicher an Land zurück bringen oder ärztliche Hilfe herbeirufen, beim Hängen bleiben in Hindernissen den Partner anleiten, wie er sich selbst befreien kann und vor allem in Angstsituationen beruhigend wirken. Taucher machen es mit ihrem "Buddy-Prinzip" vor und sind durch gemeinsames Tauchen fortschrittlicher als Schwimmer, weil sie damit auf viele Wassergefahren besser vorbereitet sind. Nie allein zu schwimmen, ist ein Tipp für Ihren Badeurlaub, der wichtig sein kann, wenn Sie plötzlich Schwierigkeiten bekommen. Sie erfahren, wie schön das Schwimmen mit Ihrem Partner, Ihrer Familie oder Ihren Freunden sein kann. Und wie sicher Sie sich dabei zu Recht fühlen können. Im Wasser einsam zu sein ist riskant. Bußgelder Die Obergrenze für allgemeine Verkehrsverstöße ist vor einigen Jahren von 1000 auf 2000 Euro angehoben werden. Wer vorsätzlich rast oder drängelt, könnte künftig bis zu 2000 Euro zahlen. Wer mit Alkohol oder Drogen am Steuer erwischt wird, muss sich auf eine Strafe von bis zu 3000 Euro einstellen. "Nur wenn es im Portemonnaie wirklich wehtut, werden Verkehrsrowdys ihr Verhalten ändern", begründete der ehemalige Verkehrsminister Tiefensee die Maßnahmen. Warum. so fragen wir uns, haben sich die Wasserrettungsorganisationen in Europa bisher nur selten für Maßnahmen vergleichbarer Art stark gemacht? Nur in Frankreich und Portugal werden bisher Strafen bei Verstößen gegen Baderegeln verhängt. Menschen, die Badeverbote missachten oder unter Alkohol oder Einfluss anderer Drogen schwimmen gehen, gefährden andere Menschen gleichermaßen, wenn diese retten wollen und - nach Expertenmeinungen in mindestens zehn Prozent aller Fälle - selber ums Leben kommen. Bundesländer In Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg ertrinken die meisten Menschen, ermittelte die DLRG. Die Gesellschaft listet auch die Ertrinkungszahlen pro 100.000 Einwohner in den deutschen Bundesländern auf, was aussagekräftiger ist. Demnach baden Menschen in Mecklenburg-Vorpommern am gefährlichsten. Checkliste für Eltern und Familien Lassen Sie Kinder nur an offiziellen und bewachten Badestellen schwimmen und erkundigen Sie sich bei den Wasserrettungsorganisationen nach den Bewachungszeiten. Faustregel: Außerhalb der Sommerferien können sie nur an Wochenenden mit Bewachung rechnen. In Deutschland sind 82 die so genannten "wilden Badestellen" viel riskanter als die Strände an Nord- und Ostsee. Ihre beiden Augen gehören am und im Wasser immer Ihren Kindern, die Sie nie aus den Augen lassen dürfen. Ertrinken passiert schnell und leise. Baden und Schwimmen in Flüssen ist riskant, weil es hier neben unbefestigten Ufern auch Strömungsgefahren, unerwartete Tiefen, plötzliche Veränderungen der Wassertemperatur und vorbeifahrende Schiffe geben kann, die riskante Sogwirkungen verursachen. Sprechen Sie mit Kindern und Jugendlichen darüber und sensibilisieren Sie Ihre Familie. Sorgen Sie als verantwortungsbewusste Eltern dafür, dass Ihre Kinder ab einem Alter von vier Jahren Schwimmen lernen. Neben den Schwimmfähigkeiten bekommen Kinder ein natürliches Verhältnis zum Wasser. Checkliste für Schwimmer Baden und schwimmen Sie nur an bewachten Badestellen. Diese sind um ein Vielfaches sicherer Schwimmen Sie nicht allein. Machen Sie das "Buddy-Prinzip" der Taucher zum Ihrem Sicherheitsprinzip beim Schwimmen. Schwimmen Sie nicht zu weit raus und nur in abgeteilten Schwimmbereichen. Schon ein Krampf kann gefährlich sein, wenn Sie sich nirgendwo festhalten können oder keinen Grund unter den Füssen haben. Flüsse, die fast immer unbewachten und gefährlichsten Badestellen in Deutschland, sind tückisch, weil Sie gegen die Fließgeschwindigkeit auch als guter Schwimmer selten anschwimmen können und Schiffe ein zusätzliches Risiko darstellen. Inzwischen ist jeder zweite Ertrunkene in Deutschland älter als 50 Jahre. Passen Sie besonders auf sich auf, wenn Sie älter oder nicht ganz gesund sind, sich nicht fit fühlen und auch dann, wenn Sie Alkohol getrunken oder viel gegessen haben. Springen Sie nie von Brücken, auch wenn es nicht ausdrücklich untersagt ist. Checkliste für Ersthelfer Wenn Sie jemanden im Wasser vermissen oder ein Mensch zu ertrinken droht, müssen Sie sofort die Rettungskette in Gang setzen und dafür sorgen, dass 112 und Wasserrettungsdienst (falls vor Ort) alarmiert werden. Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Ertrinkungsprozesse sind zeitkritisch. Handeln Sie ruhig, aber verlieren Sie keine Sekunde Zeit. Delegieren Sie die sofortige Alarmierung an einen anderen Strandbesucher, damit Sie mit anderen Besuchern das Wasser absuchen können. Die "fünf Ws" für den Notruf unter 112 lauten: Wo geschah es? Was ist passiert? Wie viele Verletzte? Welche Art von Verletzungen? Warten auf Rückfragen! Suchen Sie den Vermissten möglichst nur zusammen mit anderen Besuchern und mit Auftriebskörpern und Seilen. Denken Sie als Ersthelfer an Ihre Eigensicherung. Nähern Sie sich dem Verunglückten vorsichtig von hinten. Denken Sie an die Risiken entstehender Panik bei einem Ertrinkenden, der Sie mit nach unten ziehen kann. Sprechen Sie 83 mit ruhigen Worten auf ihn ein. Verlieren Sie keine Zeit damit, Wasser aus dem Körper des Verunglückten zu entfernen. Beginnen Sie oder jemand der anderen Strandbesucher sofort mit Wiederbelebung, wenn der Verunglückte ohne Bewusstsein und ohne Atmung ist: 30 Mal Druckmassage, 2 Mal Beatmung, im Wechsel. Sie müssen so lange ohne Unterbrechung wiederbeleben, auch durch gegenseitiges Abwechseln, bis der Rettungsdienst eintrifft oder der Verunglückte das Bewusstsein wiedererlangt hat. Costa Blanca Die Costa Blanca Rundschau (für die spanische Küste zwischen Valencia und Alicante) berichtete in ihrer Internet-Ausgabe ("Mörderisches Meer") im Juni 2006 – der Hochsommer hatte noch gar nicht begonnen - über eine große Zahl an Badetoten an Spaniens westlicher Küste. Am Strand Arenales del Sol bei Elche war gerade ein 71-jähriger Deutscher ertrunken. Die rote Flagge hatte er ignoriert. Vier Tage zuvor war an gleicher Stelle ein 40-jähriger Ekuatorianer ertrunken. Zuvor wurde in El Campello ein 20-jähriger Guineaner aufs Meer hinausgezogen. Er konnte erst mehrere Tage später tot geborgen werden. Tödliche Badeunfälle gab es 2006 außerdem in Torrevieja, Elche, El Campello und Benidorm. In Dénia fand ein Surfer am vergangenen Wochenende die Leiche eines 34-jährigen Mannes; und auch im nahe gelegenen Oliva wurde ein 65-Jähriger tot aus dem Wasser geborgen. Am häufigsten traf es die Gemeinden El Campello, Alicante, Elche, Santa Pola, Guardamar, Torrevieja und Orihuela - sprich: den gesamten südlichen Teil der Costa Blanca. „Die neuralgischen Punkte in Elche sind die Strände von La Marina und El Rebollo", warnt RettungsKoordinator Rubén García. Dänemark Im August 2005 wurde wie in jedem Jahr über tragische Badeunfälle in Dänemark berichtet, bei denen Kinder, aber auch Erwachsene ums Leben gekommen sind. Nach Angaben der Behörden waren 2005 in Dänemark bis zum August bereits 14 Menschen ertrunken - so viele wie im gesamten Jahr 2004. Nach jedem der traurigen Todesfälle melden sich Kritiker zu Wort und weisen darauf hin, dass es an dänischen Stränden unzureichenden Einsatz von Rettungsschwimmern gibt – meist folgten Reaktionen von Bürgermeistern oder anderen Repräsentanten der Kommunen und Orte, wo Menschen ertrunken sind, dass auch Rettungsstationen – wahrscheinlich – die Unfälle nicht hätten verhindern können. Ganz unrecht hatten die Vertreter der Kommunen sicher nicht, die gerne Badeunfälle vermeiden möchten, die leider an den lang gestreckten, oft relativ wenig frequentierten jütischen Westküstenstränden ebenso passieren wie an stark bevölkerten Stränden in der Nähe der Städte. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Es gibt in Deutschland in fast allen Badeorten an der Nord- und Ostsee deutlich gekennzeichnete bewachte Badestrände, an denen ausgebildete Rettungsschwimmer die Badegäste im Auge behalten. Die bewachten Strandabschnitte erhöhen den Sicherheitsstandard. Doch das kostet Geld. Und da liegt in Dänemark der Haken – man ist hierzulande stolz und froh darüber, dass der Besuch der Strände kostenlos ist. In Deutschland müssen die Besucher der Strände Kurtaxe zahlen, wenn sie den Strand besuchen wollen. Mit den Einnahmen aus der Kurtaxe wird übrigens auch der 84 Rettungsdienst finanziert. Es sieht nicht so aus, als wenn man sich in Dänemark zur Erhebung von Kurtaxe entschließen will. Doch trotzdem sind Forderungen an die Fremdenverkehrsorte berechtigt, wenigstens die Information der in- und ausländischen Strandgäste über die Gefahren zu verbessern. Im Oktober 2005 berichtet der Norddeutsche Rundfunk, dass es weiterhin keine Lebensretter an der Westküste Dänemarks geben werde. Hier machen jährlich hunderttausende Deutsche Urlaub. Rettungskräfte waren von verschiedenen Stellen gefordert. Begründung des Bürgermeisters von Blavandshuk: Lebensretter würden den Urlaubern "nur Sicherheit vorgaukeln". Im Bericht des Radiosenders wurde weiterhin darauf hingewiesen, dass es Lebensretter in Dänemark weiterhin nur auf Seeland geben werde. Dort machen vorwiegend Dänen Urlaub. In Sandbänken entstehen gelegentlich Löcher oder Rinnen, durch die das Wasser mit einer RipStrömung zurück zum Meer fließt. Dänen nennen diese Stellen „Hestehuller“ (Pferdelöcher). Diese befinden sich oft auch dort, wo das Wasser ganz ruhig und verlockend wirkt und sind in unserem nördlichen Nachbarland das größte Risiko beim Badeurlaub. Die Webseite vom Dänischen Badesicherheitsrat macht diese Gefahr - auch in deutscher Sprache - zum Thema und gibt wichtige Tipps zur Sicherheit im Sommer und zum Thema Eisgefahren im Winter. Defibrillator Ein Defibrillator kann durch gezielte Stromstöße Kammerflimmern bei Herzstillstand beenden. Defibrillatoren gibt es auf Intensivstationen, in Notarztwagen und Arztpraxen, seit einigen Jahren auch in vielen öffentlich zugänglichen Gebäuden und Orten für eine Anwendung durch medizinische Laien. Das Zeitfenster für die Rettung ist bei einem Kammerflimmern äußerst eng. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Jede untätige Minute ohne Defibrillation vermindert die Überlebenschancen um 10%. Nach 5 Minuten treten bereits die ersten irreparablen Hirnschäden ein. In Deutschland dürfte es inzwischen 25.000 “Defis” an öffentlichen Plätzen geben. An Badestellen gibt es auf jeden Fall zu wenig Geräte, auch an den Stränden der europäischen Urlaubsländer gibt es eine eindeutige Unterversorgung der auch von Laien zu bedienenden Lebensretter. Ein Grund ist der Widerstand der ärztlichen Standesorganisationen. Aus gegebenem Anlass weisen wir aber darauf hin, dass Defis nicht nur angeschafft, auch gewartet werden müssen. Der Defibrillator, der sein Dasein jahrelang in einem MallorcaRestaurant in Strandnähe fristet und dessen Batteriecheck noch nie durchgeführt wurde, bringt im Notfall gar nichts. Weit mehr als 75% der Betroffenen, sagen US-Studien, könnten mit Hilfe eines Defis schadensfrei gerettet werden. Wäre es deshalb nicht sehr sinnvoll, die Verbreitung dieses technischen Lebensretters zu forcieren? Die Björn-Steiger-Stiftung, bekannt geworden durch die Schaffung einer einheitlichen Notrufnummer und Notrufsäulen an Autobahnen, engagiert sich für dieses Ziel. Dunkelziffer 85 Fast unmöglich ist es, die Zahl der Ertrinkungsopfer in europäischen Ländern zu ermitteln. Die Weltgesundheitsorganisation sprechen von jährlich zwischen 35.000 und 40.000 Opfern in Europa, das sind statistisch gesehen 100 Menschen, die jeden Tag im Wasser ums Leben kommen. Völlig ausgeschlossen ist es, festzustellen, wieviel Fast-Unfälle passieren. Etwas besser einzuschätzen ist der Anteil der Menschen, die meist durch unprofessionelles Verhalten bei einem Rettungsversuch im Wasser ertrinken. Vermutlich jeder zehnte Laienretter kommt dabei ums Leben. England In England ist eine insgesamt gute Bewachungsqualität durch die "Royal Life Saving Society" gewährleistet, die die Präsenz von Rettungsdiensten und die Ausstattung mit modernem Rettungsmaterial mit großem Engagement betreibt. Erste Hilfe Jeden Tag benötigen in Deutschland weit mehr als eintausend Verkehrsunfallopfer dringend medizinische Hilfe. Der Notarzt aber ist in Ballungsräumen bestenfalls in sieben, acht Minuten, bei Unfällen in ländlichen Gebieten meist erst nach einer knappen Viertelstunde vor Ort. Bis dahin sind die Menschen am Unfallort auf sich selbst angewiesen: auf die Hilfe von unverletzten Mitreisenden oder zufällig vorbeikommenden Passanten. Und die sind in der Regel hoffnungslos überfordert mit der Situation. "Wir sehen es einfach zu selten, dass die Menschen vor Ort mehr machen als Händchenhalten. Das ist zwar besser als nichts, aber wir würden uns doch deutlich mehr wünschen", sagt Jörg Benecker, Notarzt am Unfallkrankenhaus Berlin. "Wenn wir eintreffen, ist bis dahin wenig passiert. Die Leute stehen hauptsächlich aufgeregt herum." Jörg Benecker hat eine Checkliste für Ersthelfer am Unfallort erarbeitet - keinesfalls als Ersatz für den Erste-Hilfe-Kurs gedacht, den jeder in gewissem Abstand wiederholen sollte. Und auch nicht mit dem Anspruch der Vollständigkeit für jede mögliche Facette eines Unfallgeschehens. Wer aber wenige, entscheidende Dinge beherzigt und den gesunden Menschenverstand anwendet, kann viel bewirken: 1. Eigensicherung Wird oft nicht beachtet und führt schnell zu Folgeunfällen, gerade in der dunklen Jahreszeit mit schlechten Sicht- und Straßenverhältnissen. Das eigene Auto mit ausreichend Abstand vor der Unfallstelle abstellen, Warnblinkanlage einschalten und das Warndreieck aufstellen - auf Autobahnen mindestens 100 Meter entfernt. 2. Überblick verschaffen Wie viele Menschen sind verletzt? Sind weitere Helfer in der Nähe? Droht ein Auto zum Beispiel an einer Böschung abzustürzen? Rettungsdienst alarmieren. 3. Wärme spenden Unfallopfer kühlen schnell aus, Körpertemperatur und Überlebenschance aber hängen eng zusammen. Wer auskühlt, blutet mehr, erleidet im weiteren Verlauf schneller Lungen- und Nierenversagen, lässt sich wegen der größeren Gerinnungsstörung des Blutes schlechter operieren. Also: Verletzte nicht ausziehen, sondern mit zusätzlicher Jacke oder einer Wolldecke warm halten. 86 4. Psychische Betreuung Händchenhalten und beruhigendes Reden sind wichtig. Unfallopfer müssen das Gefühl haben, nicht allein zu sein. Sonst können sich zum Beispiel eventuelle Schockzustände verschlimmern. 5. Stabile Seitenlage Ist jemand bewusstlos, aber Atmung und Kreislauf sind eindeutig vorhanden (das heißt: jemand redet zwar nicht, stöhnt aber vielleicht und atmet vernünftig), dann sollte man diesen Menschen in die stabile Seitenlage bringen. 6. Wiederbelebung Sind Atmung und Kreislauf nicht vorhanden, müssen Wiederbelebungsmaßnahmen eingeleitet werden. Das ist praktisch nur im Erste Hilfe-Kurs zu erlernen. 7. Rettung aus dem Auto Zunächst: Das Auto brennt nicht, es läuft kein Benzin aus, das Auto steht sicher (hängt also nicht über die Leitplanke) und die Insassen sind eingeklemmt, aber bei Bewusstsein. Alles so belassen, Wärme spenden, Wunden versorgen. Läuft Benzin aus, brennt das Auto oder muss ein Insasse wiederbelebt werden: Menschen aus dem Fahrzeug transportieren. Vorsicht vor nicht ausgelösten Airbags: Hängt der Airbag auf einer Seite aus dem Lenkrad oder Armaturenbrett und auf der anderen Seite nicht, kann dieser bei leichten Berührungen nachträglich auslösen. Daher möglichst von der Seite an den verletzten Insassen heran, auf der der Airbag bereits ausgelöst hat. Zur Not Scheibe einschlagen - aber nicht direkt neben dem Gesicht der Insassen. Und: Zündschlüssel herumdrehen und Motor abstellen. Ganz wichtig: Keine Angst vor Explosionen. Autos explodieren im Allgemeinen nicht, die Tanks sind heute gut gedämmt und haben Überdruckventile. 8. Wunden versorgen Kopfplatzwunden und Schnittwunden sind mit die häufigsten Verletzungen bei Autounfällen. Verbandskasten öffnen, Aidshandschuhe überziehen, Verbandspäckchen aufreißen, komplett auf die Wunde drücken und warten, bis die Profis in wenigen Minuten vor Ort sind. Es macht keinen Sinn, sich mühsam an kunstvolle Kornährenverbände aus dem Erste-Hilfe-Kurs erinnern zu wollen. 9. Motorradhelm abnehmen Ist ein verunglückter Motorradfahrer wach und klar, wird er sich den Helm selber abnehmen. Ist er bewusstlos und es ist nicht klar festzustellen, ob er noch atmet, dann muss der Helm runter: Mit Helm kann niemand beatmet werden. Und sollte sich das benommene Unfallopfer erbrechen, droht die Gefahr der Erstickung. 10. Schock Wenn jemand anfängt wegzutreten: Füße hoch. Egal, ob der Kreislauf nur wegen des erlittenen Schrecks oder auf Grund von Blutverlust absackt. So wird eine ausreichende Versorgung der lebenswichtigen Organe - Herz, Hirn - mit Blut sichergestellt. Typische Kennzeichen sind: Angst, Haut blass, kalt und schweißnass, Zittern, später Teilnahmslosigkeit. Erste Hilfe- Kurse Jeder Sekunde zählt, wenn es um den Ernstfall geht. Auf der Landstrasse, im Haushalt, am Strand. 80 Prozent aller Deutschen haben mal einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert, im Schnitt ist das aber 15 Jahre her. Fazit: Nur jeder Zehnte kennt sich in Deutschland mit Erster Hilfe aus. Um diese Zahl nach unten zu bekommen, ist ein Abschied von der "10 Doppelstunden“ - Strategie eine wichtige Voraussetzung. Begünstigt wird dieser Trend durch das erklärte Ziel, 87 Rettungsmaßnahmen so einfach wie möglich zu gestalten und dadurch wertvolle Zeit zu sparen. Wir möchten Ihnen deshalb die von deutschen Hilfsorganisationen, zum Beispiel von ASB, Deutsches Rotes Kreuz, Malteser, DLRG und Johanniter angebotenen Auffrischungskurse "Fit in Erster Hilfe", Zeitbedarf 1 bis 2 Stunden. 88 Eva Schabedoth Never trust the sea Meine Freunde und ich machen sehr häufig in der Bretagne Urlaub, und was wir dort jedes Jahr an Idiotie erleben, ist einfach unfassbar. Da schwimmen Leute in felsigen Buchten mit extrem heftiger Brandung und bei starkem auflandigen Wind außerhalb der engen, markierten und bewachten Zone und müssen von den bedauernswerten Bewachern buchstäblich einzeln aus dem Wasser gefischt werden - nicht einmal, sondern fortwährend. Auch gern gesehen: bei schnell abfließendem Wasser kilometerweit vom Ufer entfernt lustig in Prielen rum plantschen und sich dann wundern, dass man nicht mehr herauskommt. Überhaupt scheinen wir regelmäßig die einzigen zu sein, die sich vor dem Baden einen Tidenkalender besorgen und örtliche Ausgänge zur Strömungssituation an den Stränden zur Kenntnis nehmen - und wir sind allesamt das, was man gute bis sehr gute Schwimmer nennt... Allerdings muss ich zugeben, dass zumindest in meinem Falle ein entsprechendes Erlebnis in meiner Studentenzeit ausschlaggebend für ein verantwortlicheres Verhalten gewesen ist: eine sonnige, sehr friedlich aussehende, kleine Bucht unweit von Cap Fréhel, nur sanfte Wellen, kein nennenswerter Wind. Ich schwamm drauflos, bevor ich merkte, dass eine sehr kräftige Strömung mich ernsthaft an der Rückkehr zum Ufer hinderte. Zum Glück hatte ich irgendwann mal einen entsprechenden DLRG-Lehrgang mitgemacht. Ich geriet nicht in Panik, sondern habe es in mühsamer, fast eine ganze Stunde dauernder "Kleinarbeit" geschafft, wieder zurückzukommen. Das war mir fortan eine Lehre: never trust the sea - auch wenn sie vollkommen harmlos aussieht. 89 Heinz Kirchner Schutzengel Ende Juli 2008 war ich (57 und sportlich) mit meiner Frau auf Usedom, gerade als die Tage so heiß waren. Wir sind jeden Tag in Bansin am FKK-Strand gewesen. Kann sein, dass es dort war, wo der Junge ertrunken ist, aber der Strand ist ja lang, vielleicht war das auch woanders. Jedenfalls ist der dortige FKK-Strandabschnitt nicht bewacht. Obwohl dort Hunderte Menschen – viele Familien - baden. Bewacht wird nur Textil, ist mir auch schon andernorts aufgefallen. In diesem Strandabschnitt steht allerdings eine Notrufsäule. An allen Tagen dieser 30. Kalenderwoche stand der Wind auflandig, schöne Wellen, warmes Wasser. Phantastisch. Eine etwa 30 Meter vorgelagerte Sandbank mit hüfttiefem Wasser gibt dort Sicherheit. Auch dahinter geht’s nicht gleich steil in tieferes Wasser. Alles easy also. Nix da. Wohl eine Viertelstunde im Wasser. Plötzlich Waschmaschine, direkt hinter der Sandbank. Ich werde in die Wellen gezogen, der Grund ist weg, bekomme ein ganz seltsames Gefühl, obwohl ich wirklich gut schwimme und tauche. Ich merke, dass ich mit Schwimmbewegungen gar nicht mehr gegen an komme und bekomme Schiss, keine Panik, noch nicht. Meine Frau ist noch auf der Sandbank. Ich rufe ihr zu, sie solle zurückgehen, hier werde es kritisch. Sie hörts nicht, die Wellen sind zu laut. Im nächsten Moment wird sie schon von der Sandbank gespült, in meine Richtung, ist aber nicht irritiert, hat immer noch Spaß. Mir gelingt es, zu ihr hin zu kommen, sie zu packen und Richtung Sandbank zu schieben. Das ist so unglaublich schwer, weil man ja keinen Widerstand hat. Nach mehrmaligen Versuchen hat sie wieder Boden unter den Füßen, geht etwas zurück und beobachtet mich. Ich selbst nutze jede Wellenaufwärtsbewegung zum Paddeln und Absurfen. Das geht unheimlich in die Arme. Dann bin ich auch wieder auf der Sandbank. Habe wohl Glück gehabt, dass ich aus dieser Stelle getrieben wurde. Ganz eigenartig dabei: Man sieht den Strand, die Leute, alle toben und juchzen. Alles total normal. Keiner bemerkt Dich und Du bist am Kämpfen und denkst, das kann es jetzt gewesen sein. Wir verließen dann das Wasser und ich sagte einem Mann, der direkt am Strand vor mir stand, er solle seine Kinder, die vielleicht 20 Meter von mir entfernt im Wasser tobten, weiter zurückholen, wir hätten grad große Probleme gehabt. Er schaute mich ungläubig an und ging dann zu ihnen, holte sie aber nicht zurück. Die DLRG-Fahne (wohl 500 Meter entfernt) war übrigens Gelb-Rot. Ich glaube, es war dort nur eine Stelle, die nur einen Moment kritisch wurde. Aber das kann ja reichen. Ich habe mich hinterher gefragt, ob ich mir das nur eingebildet habe, ob ich nur eine zu große Fantasie gehabt habe. Zumal meine Frau es nicht so dramatisch empfunden hat wie ich. Wie auch immer, vergessen werde ich das so schnell nicht. Den nächsten Tag haben wir an einer anderen Stelle gebadet und sind nur vor der Sandbank geblieben, obwohl die Wellen längst nicht mehr so wuchtig waren. Ach ja: Meine Frau hatte vor vielen Jahren mal bei Hvide Sande in Dänemark eine ähnliche Situation: der Kies unter ihren Füßen im flachen Wasser – eigentlich sogar ganz am Rand - wurde weggesogen, sie landete dann von der nächsten Welle auf dem Hintern und wurde ins Wasser gezogen, der Badeanzug füllte sich mit Kies und zog sie – ganz schwer jetzt – runter. Ich konnte sie grad noch packen und sie sich vom Kies befreien. Es passiert eben nicht nur anderen was. Ganz ohne Schutzengel geht’s wohl generell nicht. 90 Thomas Birker Ein müdes Danke. Das war´s Vor einigen Jahren habe ich am „Piratabus“ auf Formentera einer Mutter von zwei Kindern das Leben gerettet und wäre fast noch mit abgesoffen. Sie trieb etwa 300 Meter entfernt vom Strand und schrie um Hilfe. Kein Schwein, und das sage ich auch in Bezug auf die Strandaufsicht, auch nicht die anderen Gäste, haben darauf reagiert. Ich war in Ihrer Nähe, aber außerhalb der Strömung und bin direkt los. Gott sei Dank ist keiner von uns in Panik geraten. Wir haben aber gemerkt, wie die Strömung uns an den Füssen nach hinten zog und dass wir gar nichts mehr machen können. Ich habe nur noch gedacht: "Scheiße, was passiert denn jetzt, war´s das?". So etwa 300 Meter sind wir parallel den Strand entlang getrieben, bis meine Zehenspitzen auf einen Sandbank hängen geblieben sind. So konnte ich Kraft tanken, das hat uns das Leben gerettet. Ihr Mann stand dann am Strand, hat auf uns gewartet und, anstatt uns entgegen zu kommen und seiner entkräfteten Frau zu helfen, hat er sie erst mal kräftig zusammengeschissen. Ein müdes Danke. Das war´s. Ich saß da erst mal 2 Stunden alleine mit meinen Gedanken, bis meine Freunde auftauchten. Stinksauer war ich dann und habe die Frau gefragt, ob alles in Ordnung wäre, ihren Mann, ob er uns nicht gesehen und warum er uns nicht geholfen hätte? "Ja“, aber blablabla.... Sie saßen später noch am Piratabus, aber, noch mal darauf angesprochen, geschweige denn mal ein Bier ausgegeben, is´ nicht. Die Geschichte kennen nur meine besten Freunde, noch nicht mal meine Eltern. Später erfuhr ich noch, dass die Frau gar nicht mehr wusste, wie sie aus dem Wasser gekommen ist. Ich weiß aber noch alles. 91 Wilfried Wittstruck „All inclusive!?“ „And let yourself be pampered“ – mit dieser Verlockung treten nicht wenige Reiseveranstalter und Hoteliers an ihre Kunden heran. Und gerade dieses Umsorgtwerden von der Ankunft am Urlaubsort ab an bis zur Abreise ist es, was viele Reisende schätzen und nach ihrer Rückkehr begeistert erwähnen. Wer wollte solchen Verwöhnangeboten denn auch widerstehen und warum sollte das, was einschränkungslos als perfekt erlebt, überhaupt kritisch gesehen werden? Unter bestimmten Voraussetzungen könnten allerdings die Urlauber, ohne dass sie selbst es beabsichtigten und auch der Reiseveranstalter nicht, den Urlaub zu einem „riskanten“ Unternehmen gemacht haben. Und zwar dann, wenn sie es zuließen, dass ein „All inclusive“-Urlaub bei ihnen die Erwartung beförderte, rundum, gleichsam in Gänze ver- und umsorgt, beobachtet, geradezu „bewacht“ zu werden. Eine These: Wenn hohe Produktqualität und -sicherheit gewährleistet und entsprechend beworben werden, kann sich entsprechend die Kundenaufmerksamkeit, d.h. die Selbstaufmerksamkeit reduzieren. Es wird, weil Menschen Menschen sind, nicht auszuschließen sein, dass sich eine Steigerung des Vertrauens zu dem Abstraktum „All inclusive“ dermaßen einstellt, dass Gefahren sogar in Bereichen außerhalb der vertraglich abgesicherten deshalb ausgeblendet werden, weil sie stillschweigend als durch Dritte beherrscht unterstellt werden. Denn wenn – wie im Prospekt versprochen – Bett und Büffet einwandfrei, sogar herausragend sind, liegt der Gedanke nicht fern, es müsste gleich der ganze Urlaubsort einschließlich angrenzender Berge, Meere und Seen, Wälder und Wüsten ein recht üppiges, im Reisepreis inkludiertes Wohlfühlarrangement sein – was allenfalls ein bisschen Magendrücken bei übermäßigem Genuss verursachen könnte. Welcher Urlauber möchte, umschmeichelt und eingehüllt von „Wellness“ und „Fitness“ in tatsächlichem und übertragenem Sinn, noch von Gefahr für Leib und Leben reden und hören? Schnell wird dann wirksam, was mit Subjektivität der Weltbetrachtung gemeint ist: Der Mensch hört und sieht, was er sehen und hören will. Und ohne es zu wollen oder so zu wollen, hat er die Bedeutung des Begriffs „All inclusive“ überdehnt. Das Ganze ist natürlich in erster Linie ein psychologischer Effekt: Ich gebe, indem ich „überschüssiges“ Vertrauen erzeuge, mehr Verantwortung an einen Anderen ab, als diesem recht ist und recht sein kann. Nicht auszuschließen ist, dass so die ganz natürliche Umsicht, die im Alltag präsent ist und dort als Wahrnehmung der eigenen Obliegenheiten verstanden wird, im Urlaub mindestens partiell und zeitweise verloren geht. Ob hier vom Verlust von SelbstAchtsamkeit gesprochen werden kann? Das moderne Individuum ist eigentlich eines, das sein Glück auch auf Machens-, mitunter auf Selbstmächtigkeitserfahrungen gründet. Warum sich also im Urlaub freiwillig und umfänglich in einen anderen Zustand begeben und zu viel Sorge um eigenes Wohlergehen abgeben? Und: Wenn Bertolt Brecht gar das Achtgeben auf einzelne Regentropfen empfiehlt, um wieviel mehr müsste ein Ozean dazu veranlassen? 92 Jo-Ann Hüls Mein zweiter Geburtstag 17. Juli 1981. Diesen Tag werde ich nie mehr in meinem Leben vergessen. Unser allererster Familienurlaub auf Formentera im Sommer dieses Jahres wäre beinahe mein allerletzter Urlaub geworden. Wir freuten uns so sehr darauf, mein Mann, unsere kleine Tochter, damals noch ein Kindergartenkind, meine Schwiegermutter und ich. Mit einem Mietauto fuhren wir an die Cala Mitjorn, um dort zu baden. Das Wetter war herrlich warm. Es wehte ein leichter angenehmer Wind, blauer wolkenloser Himmel. Ein Traumtag. Der Strand war unbewacht. Es weht keine Flagge und es deutete nichts darauf hin, dass es hier gefährlich sein könnte. Wir dachten darüber auch gar nicht nach. Zunächst gingen mein Mann, unsere Tochter, meine Schwiegermutter und ich ins knieseichte Wasser und machten Wellenhüpfen - das war herrlich. Ich konnte gar nicht genug davon bekommen. Während meine Familie zu unserem Rastplatz am Strand zurückging, hüpfte ich mit großem Vergnügen weiter zwischen den Wellen hin und her. Plötzlich hatte ich keinen Boden mehr unter meinen Füssen und wurde ins Meer hinausgetrieben. Ich versuchte, an den Strand zurück zu schwimmen. Es gelang mir nicht. Jede Welle trug mich einen Meter in Richtung Strand und gleich wieder drei Meter in Richtung Meer hinaus. Ich konnte nicht tauchen. Ich hatte Angst. Einige Männer, die in der Nähe Wasserball spielten, entdeckten mich in meiner ausweglosen Situation. Einer schwamm auf mich zu. Er tauchte durch die Wellen. Ich umklammerte ihn voller Panik. Wir gingen beide unter und er bekam Angst und warf mich in hohem Bogen in Richtung Strand. Dabei löste sich mein Bikinioberteil - das sah mein Mann, der mich vom Strand aus beobachtete. Er dachte, der Mann hätte mich belästigt, rannte ins Wasser und schwamm so schnell er konnte, auf mich zu - er tauchte auch. Mein Mann war als Rettungsschwimmer ausgebildet - er konnte sehr gut schwimmen und tauchen. Ich kämpfte gegen die Wellen, versuchte, in Richtung Strand zu schwimmen, wusste nicht mehr, atme ich Luft oder schlucke ich Wasser, sah den Himmel und sah die Wellen. Ich wurde durcheinander gewirbelt von jeder Welle. Wenn ich oben auf dem Wasser war, sah ich meine Tochter und meine Schwiegermutter am Strand liegen. Mein Leben lief ab wie ein Kurzfilm. „Ich ertrinke und niemand merkt es.“ dachte ich. Inzwischen war mein Mann bei mir angelangt. Er erzählte mir später, ich hätte aschgrau ausgesehen mit weit aufgerissenen Augen. Todesangst. 93 Mein Mann versuchte, mit mir in Richtung Land zu schwimmen. Wir schafften es nicht. Am Strand entdeckte ein aufmerksamer Beobachter unsere aussichtslose Situation und er ließ 16 (!!) Personen eine Kette bilden: Alle hielten sich an den Händen fest. Und so wurden wir an Land geschleust. Ich habe diesen Moment nicht bewusst erlebt. Ich war bewusstlos: Aber ich lebte. Mein Mann machte sofort Wiederbelebungsversuche. Es kam sehr viel Wasser aus meinem Mund. Ich lebte, konnte es kaum fassen, war gerettet, weinte vor Glück, Erschöpfung, Fassungslosigkeit, Dankbarkeit. Mein Mann weinte auch. Abends dann ins Es Pujols, dort wohnten wir in der kleinen einheimischen Bar „Tres Ermanos“, sprachen wir darüber. Die Inhaber dieser kleinen Bar, die „drei Brüder“ waren Fischer und kannten die Situation. Wussten auch, dass jedes Jahr viele an diesem Strand den Tod des Ertrinkens sterben. An die Öffentlichkeit gelangte von all dem nichts. Meine nächtlichen Albträume dauerten viele, viele Wochen. Ich träumte oft von über mir zusammenschlagenden Wellen, ertrank fast jede Nacht beinahe im Traum und wachte schweißgebadet, nach Luft ringend und zitternd auf. Der 17. Juli wird jedes Jahr gefeiert - als zweiter Geburtstag. Ich bin meinem Mann und den 16 Menschen, die die lebensrettende Kette bildeten und deren Namen ich leider nicht kenne, unendlich dankbar. Mittlerweile sind Jahrzehnte vergangen. Ich bin seit dieser Zeit nie mehr im Meer geschwommen, lediglich am Strand entlang gelaufen. 94 Tipps von „Ersthelfer“ bis „Griechenland“ Ersthelfer Sie geraten zufällig in eine Notfallsituation – und schon sind Sie Ersthelfer oder „First Responder“. Wenn Sie jetzt panisch reagieren, sind lebensgefährdende Fehler vorprogrammiert. Wenn Sie stattdessen besonnen, zügig und planvoll handeln, ist die erste Voraussetzung für professionelle Hilfe schon gegeben. Wenn Sie also etwa als Ersthelfer in einen Verkehrsunfall verwickelt werden, sollten Sie für die Absicherung der Unfallstelle sorgen und andere Personen mit einsetzen, ohne ihr eigenes Leben zu gefährden. Wenn jemand zu ertrinken droht, sollten Sie mit anderen Menschen eine so genannte Rettungskette bilden, einen Notdienst alarmieren und erst dann helfen, wenn Sie sich dies zutrauen und mit den nötigen Rettungsmitteln ausgerüstet sind. Der Hauptgrund für die sofort notwendige Alarmierung ist ein drohender Herzstillstand: Man geht davon aus, dass mit jeder Minute, in der ein Herzstillstand nicht behandelt wird, die Chancen für eine erfolgreiche Reanimation um 10% sinken, nach ca. 10 Minuten besteht daher kaum noch Hoffnung, den Patienten erfolgreich zu reanimieren. Bei einer Verzögerung von Eintreten des Ereignisses bis zum Notruf von mindestens 2 Minuten, der Dauer für die Einsatzdisposition und den Alarm plus die Anfahrtszeit kommt man da leicht in Bereich von nicht weniger als 7 Minuten (vor allem im ländlichen Raum kommt man sogar häufig auf eine Anfahrtszeit von über 10 Minuten). Das bedeutet eine Überlebenschance des Patienten von nur 30% (vorausgesetzt, es werden keinerlei Erstmaßnahmen vorgenommen), obwohl die gesetzliche Hilfsfrist eingehalten wurde. Eine Reanimation kann daher oft schon nach 5 Minuten eingeleitet werden. Im Endeffekt also eine größere Überlebenschance von 20% - wenn nicht sogar noch höher. Europäische Union Informationen über Wassergefahren, Warnflaggensysteme an Europas Badestränden spielt bisher bei der Europäischen Union (EU) eine untergeordnete Rolle. Die Bremer Europaabgeordnete Karin Jöns setzt sich auf Anregung von Blausand.de seit Jahren für mehr Strandsicherheit in Europa ein und hat 2005 eine Anfrage bei der Europäischen Kommission gestellt. Marcos Kyprianou (zypriotischer EU-Kommissar) antwortete im Namen der Kommission, dass der Kommission die Bedeutung angemessener Maßnahmen zur Verhütung des Ertrinkens in Badegewässern bewusst sei, diese Angelegenheit jedoch in erster Linie in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten auf der betreffenden Ebene liege und schrieb: “Gegenwärtig erhebt die Europäische Kommission keine systematischen EU-weiten Informationen über das Risiko zu ertrinken, entsprechende Risikobewertung und Präventivmaßahmen. Allerdings werden der Öffentlichkeit einige Informationen von verschiedenen Arten von Organisationen, vor allem von Nichtregierungsorganisationen wie Blausand.de und einigen einzelstaatlichen Lebensrettungsorganisationen zur Verfügung gestellt. Die Kommission plant zurzeit, Initiativen zu ergreifen, um die Wissensgrundlage in Bezug auf Produkt- und Dienstleistungssicherheit zu verbessern. Solche Initiativen können auch dazu beitragen, die statistischen Informationen der EU über das Ertrinken zu verbessern.” Fähren 95 Mein Gefühl auf Überfahrten vom Festland auf Inseln war oft: besser nicht so genau hinschauen. Es ist zum Glück immer gut gegangen. Die Zahl der Seelenverkäufer im Mittelmeer scheint sich inzwischen allerdings eher etwas zu reduzieren. Vielleicht zeigt die Kritik der ADAC-Tester in den letzten Jahren Wirkung. Das Reisen mit einer Fähre in Europa wird sicherer. Das ist die erfreuliche Botschaft, die das Ergebnis des Tests 2006 ergeben hat. Von den 30 getesteten RoRo-Passagierfähren fiel nur eine mit der Note mangelhaft durch. Eine Tendenz, die sich bereits in den Vorjahren angedeutet hat. Flüsse Ob Rhein, Mosel, Weser oder Elbe: die Gefahren sind weitestgehend die gleichen. Und die Unfälle häufen sich: Von mindestens 606 Ertrinkungsopfern im Jahr 2006 ertranken nach Zahlen der DLRG allein 227 Menschen in Flüssen. Damit sind die fließenden Gewässer in Deutschland nach Seen und Teichen die zweitgefährlichsten Unfallorte für den Badespass. Geschwindigkeit und Kraft der Strömung im Fluss hängen wesentlich vom Wasserstand, aber auch vom Flusslauf ab. Hohe Pegelstände bedeuten eine hohe Fließgeschwindigkeit. Im Rhein beispielsweise stemmt sich auch ein kräftiger Erwachsener nicht mehr gegen die starke Strömung, wenn er in brusttiefem Wasser steht. Und das gilt schon für normalen Wasserstand! In Kurven drängt die Strömung nach außen. Schwimmer dürfen die Strömung nie unterschätzen! Wer von ihr abgetrieben wird, sollte auf direktem Weg das ihm nahe Ufer anschwimmen. Gegen den Strom zurück zu schwimmen gelingt vor allem in den großen Flüssen auch trainierten Schwimmern nicht. Der Kraft raubende Versuch wird bei Erschöpfung schnell lebensbedrohlich. Unzählige Berufs- und Frachtschiffe befahren die großen Binnenwasserstraßen. Die Fahrrinne wird durch grüne und rote Bojen markiert, und muss nicht immer unbedingt durch die Flussmitte verlaufen. Diese Fahrrinne ist aufgrund sehr hoher Gefahr für Schwimmer absolut tabu! "Dickschiffe" erzeugen einen starken Sog, der Menschen unerbittlich unter das Schiff, oder in die Schiffschraube zieht. Frachtschiffe können nicht, wie ein PKW, auf wenigen Metern eine Vollbremsung machen. Bis zum Stillstand legt das Schiff bis zu einem Kilometer zurück. Dann sind im Sommer zahlreiche Sportboote und Yachten unterwegs, die von mal mehr, mal weniger erfahrenen Freizeitkapitänen gesteuert werden. Manchmal ist es mit deren Fähigkeiten und Vernunft schlecht bestellt. Statt in Fahrtrichtung zu blicken, wird am Bordradio hantiert oder der Bootsfahrer ist sonst irgendwie abgelenkt. Schon wird ein Schwimmer übersehen. Wo reger Sportbootverkehr herrscht, ist also besondere Vorsicht wichtig. Schwimmer sollten immer mit Fehlverhalten von Sportbootfahrern rechnen. Frankreich In Frankreich gibt es vor allem Gefahren durch starke Atlantikwellen und besonders durch Strömungen. Besonders riskant sind die Strömungsgefahren in den Prielen. Hier kommen die meisten Menschen ums Leben. Der rauhe Atlantik vermittelt vielen Urlaubern mehr Respekt vor den Gefahren als das Mittelmeer. In Frankreich besteht ein gutes Ausbildungsniveau der staatlichen Rettungsschwimmer. Es werden professionelle Rettungsmittel eingesetzt. Die Rettung aus der Luft ist an der Atlantikküste gut ausgebaut. Die Warnhinweise an der Atlantikküste sind ebenfalls als gut zu bezeichnen. Frankreich hat sich auf die Wassergefahren durch Wind und Wellen eingestellt. Allgemeine Risiken: In der Vergangenheit gab es Aktivitäten organisierter Banden, teilweise mit 96 Betäubungsgas. Gewarnt wird vor Übernachtungen auf Rastplätzen an französischen Autobahnen - insbesondere in der Nord-Süd Richtung Südfrankreich-Spanien. Auf Korsika ist nach Aufhebung der Waffenruhe der korsischen Separatisten die Zahl der Sprengstoffanschläge gestiegen. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Paris, Tel. (01) 53834500, europaweite Notrufnummer: 112 (Handy und Festnetz), oder national: Polizei 17, Unfallrettung 15. Fuerteventura, Spanien An der Nordküste bei Corralejo werden Schwimmer oft von Surfern aus bedrohlichen Situationen gerettet. Agualique ist riskant, eine Küste, vor der selbst die Einwohner von Fuerteventura großen Respekt haben. Hier prallen die Wellen mit großer Kraft auf die felsige Küste. Jedes Jahr sterben hier selbst erfahrene Personen wie beispielsweise Fischer. Gartenteiche Nahezu jeder Gartenteich ist gefährlich für Babys und Kleinkinder. Sie können schon in einer Wasserhöhe von nur zwanzig oder dreißig Zentimetern ertrinken, auch wenn sie in dieser Wasserhöhe längst stehen könnten. Nicht nur Kinder im Krabbelalter sind davon betroffen, auch Vierjährige sind schon im flachen Gartenteich ertrunken. Das plötzliche Eintauchen selbst in flaches Wasser löst bei den Kindern meistens eine Schockreaktion aus. Die Stimmritze im Rachenraum schließt sich, die Atmung wird dadurch unmöglich, das Kind erstickt im Wasser. Mediziner sprechen vom so genannten "trockenen Ertrinken". Deshalb gilt: Gartenteich, Regentonne und Planschbecken stellen für Kinder eine enorme Gefahrenquelle dar. Ertrinken ist die zweithäufigste Unfallart bei Kindern. Viele Eltern und Gartenteichbesitzer sind sich dieser Problematik nicht bewusst, weil sie davon ausgehen, dass ein dreijähriges Kind in einem Wasser, das ihm nur bis zu den Knien geht, nicht ertrinken könne. Das aber ist leider doch der Fall und kommt immer wieder vor! Die Folgen eines solchen Unfalles können binnen weniger Minuten dramatische Formen annehmen. "Einmal untergetaucht, sind Kleinkinder infolge ihres schweren Kopfes und der noch ungeübten Muskulatur auch bei geringer Wassertiefe nicht mehr in der Lage, ihren Kopf eigenständig aus dem Wasser zu ziehen. Sie gehen hilflos unter. Meist passieren derart tragische Unfälle bei Stürzen in Biotope oder beim Baden, wenn die Kleinen auch nur wenige Minuten unbeaufsichtigt sind", weiß Rupert Kisser, Leiter des Institutes "Sicher Leben". Eine der wichtigsten Maßnahmen, um vor allem Kleinkinder vor den Gefahren offenen Wassers zu schützen, ist die richtige Absicherung. Auch scheinbar harmlose Biotope bergen Gefahren. Ein Kleinkind kann schon bei einer Wassertiefe von nur 10 cm ertrinken. "Damit die Kleinen gar nicht erst auf die Idee kommen können, ins glitzernde Nass zu tapsen, gehören Schwimmbäder und Biotope hinter einen ausreichend hohen Zaun. Beim Biotop besteht durch die vielen Pflanzen und Tiere eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass Kinder beim Schauen das Gleichgewicht verlieren und hineinfallen", warnt ein Experte und klärt über die Sicherung von Pool, Badeteich und Biotop auf, die in einer stabilen Abdeckung oder einem Unterwassergitter (engmaschiges Eisengitter 10 cm unter der Wasseroberfläche) besteht. Kleinkinder dürfen in der Nähe von Gewässern nie unbeaufsichtigt gelassen werden. Kinder strampeln nicht, sondern fallen in eine Panikstarre, sobald der Kopf unter Wasser ist. Ertrinken ist leise und geht schnell. Bei einem Badeunfall entscheiden wenige Minuten über Leben, Wachkoma und Tod. 97 Gewitter Es gibt bei drohendem Gewitter und bei Blitzen noch weitere Möglichkeiten, sein Leben zu schützen als sich von Bäumen (egal ob Buche oder Eiche) fernzuhalten: Nie aufrecht stehen, besser mit geschlossenen Beinen in hockender Stellung verweilen. Gehen Sie weg von Gewässern und hohen Standorten wie Bergen, meiden Sie Metall (Sportgeräte, Regenschirme, Handys), suchen Sie eine Hütte, ein Haus oder ein Auto auf (Faradayscher Käfig, der elektrische Felder und Wellen ablenkt), halten Sie zu Metallzäunen und Wäldern 3 Meter Abstand ein, setzen Sie sich nicht mit anderen Personen zusammen und zählen Sie die Sekunden zwischen Blitz und Donner und teilen Sie diese durch 3 (20 Sekunden sind 6,7 km). Lebensgefahr besteht bei 10 Sekunden und weniger. Baden und Schwimmen und Duschen am Strand sind natürlich auch ein Tabu. Gran Canaria Die Urlauberinsel Gran Canaria ist geprägt von Traumstränden unterschiedlicher Art: von keinen Badebuchten, die man nur mit dem Schiff oder anstrengende Fußwege erreichen kann (Playa de Güigüi im Westen) bis hin zum endlos langen Strand an der größten Sandfläche der Insel (Dunas de Maspalomas und die Strände von Maspalomas sowie die Playa del Inglés). Die größten Badegefahren haben mit dem Alter der deutschen, englischen und skandinavischen Urlauber zu tun. Gran Canaria hat eine Urlauberstruktur, die meist aus 40 bis 70-jährigen besteht. Diesen Risikogruppen wird viel zu wenig Beachtung geschenkt. Der größte Strandabschnitt Gran Canarias wird in der Hochsaison im Sommer von bis zu 100.000 Urlaubern besucht. Genau dann sind die Unzulänglichkeiten besonders deutlich: Um bei dieser massenhaften Urlauberflut schnelle Rettung zu gewährleisten, müsste sich professionelle Hilfe und Ausrüstung, also auch ein Defibrillator, direkt am Strand befinden. Das ist nicht der Fall. Griechenland Besondere Strömungsgefahren gibt es in der Ägäis durch starke auflandige Winde (Meltemi). Die kleineren Strände der zahlreichen Inseln sind nicht bewacht, und man kann froh sein, wenn im Notfall überhaupt medizinische Hilfe zur Verfügung steht. Warnhinweise außerhalb der Hotelanlagen sind selten, die Rettungsanfahrten dauern oft zu lange. Auf Kreta gilt die Nordküste als gefährlich. Politische Risiken: In Athen ist es in letzter Zeit zu vereinzelten, politisch motivierten Anschlägen gegen staatliche Einrichtungen und Einzelpersonen gekommen, die sich jedoch nicht gegen Touristen oder touristische Einrichtungen gerichtet haben. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Athen, Tel. 2107285111, Polizei, Unfallrettung / Notarzt (auch mobil): 112 98 Ines Heckmann Toller Hecht Vor einigen Jahren reiste ich per Motorrad durch Spanien und Portugal. An der Algarve gönnte ich mir eine Auszeit und ergatterte das letzte Zimmer eines großen Hotels mit eigenem Strandabschnitt. Der Strand war sauber und obwohl das Wasser wegen der frühen Jahreszeit noch relativ kühl war, tummelten sich Kinder und Unerschrockene am Ufer. Der heftige Wind wirbelte die Sandkörnchen auf und das Meer war entsprechend aufgewühlt. Schaumgekrönte Wellen türmten und überschlugen sich tosend. Auf hölzernen Türmen am Strand hielten Rettungsschwimmer Ausschau nach Unvorsichtigen. Ich war davon überzeugt, dass die Rettungsschwimmer einen ruhigen Tag haben würden, denn freiwillig würde wohl keiner im aufgepeitschten Meer schwimmen. Ich hatte kaum zwei, drei Seiten meines Buches gelesen, als aufgeregtes Rufen zu vernehmen war. Die beiden Rettungsschwimmer sausten von ihrem Hochsitz, rannten durch den Sand und rissen sich dabei die Hemden vom Leib. In einiger Entfernung im Meer lugte ein heller Kopf hervor, immer wieder von den Wellen überschlagen. Ab und zu tauchte zaghaft ein bleicher Arm auf, dann war nichts mehr zu sehen. Die Schwimmer waren sehr schnell, erreichten die Dame und schleppten sie aus dem Meer. Eine sofortige Reanimation rettete ihr das Leben. Natürlich lockt eine solche Aktion jede Menge Schaulustiger an. Ein Mann fiel mir auf. Er trug eine auffällige Badehose. Nach einiger Zeit war die fast Ertrunkene mit einem Riesenschreck, doch wohlbehalten, wieder auf ihrer Liege und die Schaulustigen verzogen sich. Nicht einmal eine halbe Stunde später stürzten sich die Lebensretter erneut ins tosende Meer. Dieses Mal zogen sie den Mann mit der auffälligen Badehose heraus, der nur kurz zuvor als Schaulustiger die fast Ertrunkene gesehen hatte. Zwar musste der Mann nicht reanimiert werden, hatte aber jede Menge Wasser geschluckt und hustete quälend. Wer weiß, was ihn dazu gebracht hatte, sich oder der Dame zu beweisen, was er für ein toller Hecht ist. Ich war jedenfalls über soviel Dummheit und Leichtsinn entsetzt. An diesem Nachmittag saß ich vier Stunden am Strand. Während dieser Zeit bargen die Rettungsschwimmer sechs Personen aus dem Meer. Keine der Personen war unter Dreißig. Das Verhalten der Schwimmer war also weder mit jugendlichem Übermut, dem kindlichen Unterschätzen der Gefahr oder dem Überschätzen der eigenen Kräfte zu erklären. Erschreckenderweise handelte es sich um Erwachsene, die - selbst nachdem sie die Gefahren an beinahe verunglückten Personen gesehen hatten – töricht das 99 Schicksal herausforderten. Ich frage mich nur: Hätten die Betroffenen bei gleichem heftigen Wellengang, aber ohne Rettungsschwimmer ihr Leben ebenso unbedacht riskiert? Oder lag es daran, dass Publikum am Strand zuschaute? Meine Bewunderung gilt jedenfalls keiner der ignoranten Personen, die sich unnötig in Lebensgefahr gebracht haben, sondern uneingeschränkt den Rettungsschwimmern, ohne die es an diesem Nachmittag möglicherweise sechs Tote gegeben hätte. 100 Guido Alles falsch gemacht Es war 2001. Meine Freundin und ich lagen mit noch einem weiteren Pärchen an der Son Moll Bucht auf Mallorca. Grüne Fahne, das Meer sehr ruhig. Auf einmal sah ich, wie die beiden Rettungsschwimmer an der Son Moll sehr aufgeregt zum Strand rannten und einer auch immer mal wieder zurückkam. Nach zwei bis drei Minuten bin ich mal hinterher, um zu gucken, was denn da los ist. Am Strand lag eine leblose Person und die beiden versuchten, die Dame, ungefähr 19 Jahre alt, zu reanimieren. Zur Erklärung: ich habe einen vierwöchigen Rettungshelferlehrgang belegt und weiß, wovon ich spreche. Also: die beiden haben alles falsch gemacht, was man bei einer Mund zu Mund - Beatmung und bei einer Herzmassage falsch machen konnte: Kopf nicht überstreckt... falscher Rhythmus... Habe den beiden dann zu verstehen gegeben, dass die da weg sollen. Also hab ich mich an die Person begeben. Zum Glück kannte sich noch eine Person am Strand richtig mit der Reanimation aus. Ganze 30 Minuten hat es gedauert, bis Rettungssanitäter vor Ort waren. Sind gaaanz gemütlich über den Strand gelaufen. Zwischendurch hab ich mich während der Massage mal umgeguckt und die Leute am Strand gefragt, ob nicht mal einer helfen könnte, den Freund wegnehmen und so was. Die haben alle nur doof weggeguckt oder ängstlich zur Seite. Soviel auch zur Zivilcourage!!! Die Dame hat es übrigens nicht überlebt, war bestimmt schon tot, als sie aus dem Wasser kam. Also kurz gesagt: Die Jungs da am Strand können gar nichts. 101 Karlheinz Schmitt Keiner warnt dich, kaum einer rettet dich Wir kamen erstmals Ende Oktober 1974 nach Formentera. Die Insel und die Badestrände waren menschenleer. Ahnungslos haben wir stundenlang in hoher Brandung gebadet. Drei Jahre später, 1977, kamen wir, bereits zum vierten Mal, so gegen 10 Uhr an den Nacktbadestrand Llevante. Einige, die wir vom Sehen her kannten, saßen am Ufer. Vor ihren Augen gingen wir ins Wasser und waren sofort derart weit vom Ufer entfernt, dass wir nur mit großer Mühe und völlig erschöpft wieder zurückkamen. Die Nackten am Ufer hatten zwar auch zuvor schon die stark ablandige Strömung erfahren, hielten es aber nicht für nötig, uns zu warnen. Gegen 11 Uhr hörten wir Hilfeschreie, eine Frau trieb draußen im Wasser. Die Playboys, die sonst immer den ganzen Tag über ihre schönen Körper zur Schau stellten, sprangen aus dem Wasser! Die Strandbewohner stellten sich taub. Obwohl ich kein guter Schwimmer bin, konnte ich die Hilferufe nicht überhören und habe die Frau trotz Wellengang und ablandiger Strömung aus dem Wasser geholt. Nun lag sie am Strand, bewusstlos, röchelnd mit Schaum vor dem Mund. Keiner der Umstehenden wusste, was nun zu machen sei. Nach ungefähr einer halben Stunde atmete sie Gott sei Dank wieder. Zwischenzeitlich war auch ein Urlauber-Motorboot gefunden, was sie auf direktem Weg nach Ibiza ins Krankenhaus brachte. Sie hat es überlebt und ich bekomme immer noch Weihnachtspakete von ihr. Unsere Erkenntnisse daraus: Keiner warnt dich, kaum einer rettet dich, keiner kann dir nach der Rettung situationsgerecht helfen. Wir waren insgesamt 15 Mal auf Formentera. Fast immer nur am Llevante-Strand, Letztmals 1997, denn damals fanden wir am dritten Urlaubstag schon morgens einen Ertrunkenen (Kundige sagten, es sei schon der 20. in diesem Jahr) und an zwei aufeinander folgenden Tagen retteten einige Männer (nach reichlichem Zögern) ein deutsches Mädchen (ungefähr 20 Jahre, Leistungsschwimmerin) und einen Italiener vor dem sicheren Ertrinken. Danach saßen wir nur noch mit Herzklopfen am Strand und beobachteten, wie ständig Urlauber kamen, die oft auch trotz unserer Warnungen ins Wasser gingen. Seither haben wir Formentera von unseren Urlaubszielen gestrichen, weil wir aus Altersgründen keinen Hilferufenden mehr retten können und nicht zusehen wollen, wie Badeurlauber ertrinken, nur weil keiner der Verantwortlichen es auch nach Jahrzehnten nicht für nötig findet, sie auf die Gefahren eindringlich hinzuweisen. Wir haben das ZDF und den Stern angeschrieben und um ihre Hilfe gebeten. Ergebnis gleich null. 102 In Teneriffa (Puerto de la Cruz, Playa Jardin) ist das perfekt organisiert: Situationsgerecht aufgezogene Flaggen und, immer anwesend, auch bei roter Flagge, ein spanischer Lebensretter, der die "Lebensmüden" sofort zurückpfeift und im Notfall auch schnell aus dem Wasser holt. Dass Deutsche auf Formentera Hilfe organisieren müssen, finden wir erbärmlich. Wir haben die Situation nochmals mit folgenden Erkenntnissen und Vorschlägen diskutiert: Menschen ertrinken primär nicht wegen der Brandung, sondern weil sie von ablandigen Strömungen abgetrieben werden, ohne dass sie das realisieren. Zu realisieren, dass man abgetrieben wird, ist auch ziemlich schwierig. An "unserer Bucht" ist ein großer Felsvorsprung ins Wasser. Wenn man nun ins Wasser steigt, kann man sich die Stelle, wo es zu tief wird und man schwimmen muss, gut merken und sieht dann auch, wie schnell man sich davon entfernt. Ohne einen derartigen Punkt in der Nähe und senkrecht vom Strand entfernt, wird es schwierig. Aber dafür sollten ja auch die Fahnen und Wächter sorgen. Ideal wäre es, wenn man erreichen könnte, dass in jedem Zimmer, egal ob Hotel, Appartement oder Privatunterkunft eine mehrsprachige Info hängt, die auf die Gefahren hinweist. Zusätzlich sollten auch noch die Reiseleiter in ihrer Ankunftsinfo als Erstes darauf hinweisen und nicht nur ihre Ausflüge aufdrängen. Wenn einer über die Situation informiert ist und trotzdem ins Wasser geht, muss er dumm oder lebensmüde sein. 103 Stefan Bauer Zeuge einer sinnlosen Tragödie Am 12. Januar 2004 wurden meine Frau und ich Zeuge einer absolut sinnlosen Tragödie am Strand von Tazacorte, La Palma, Kanarische Inseln. Es war ein herrlicher, sonniger Tag. Der Atlantik glänzte trügerisch ruhig in der Sonne. Ich war dabei, mich auszuziehen, da beobachtete ich, wie drei Personen am Strand unter mir vorbeischlenderten. Sie gingen in scheinbar sicheren Abstand zum Wasser, 10 Meter unter mir vorbei, als sie von einer plötzlich auftretenden Riesenwelle erfasst wurden und zu Boden sackten. Ein junger Mann neben mir und ich erkannten die Situation sehr schnell und eilten sofort zur Hilfe. Ich griff sofort nach einer der beiden Frauen und zog sie aus dem Wasser, wegen der starken Unterströmung hatten wir erhebliche Mühe bei der Rettung. Ich lief sofort wieder Richtung Wasser und wollte der nächsten Person helfen, doch die enormen Wassermassen, die aus dem steilen Sandstrand zurück strömten, waren zu stark. Eine riesige Welle türmte sich vor uns auf und riss uns mit. Mit letzter Kraft konnte ich mich aus den Fluten befreien und fiel benommen auf den Boden. Der andere Helfer konnte sich und eine der Verunglückten ebenfalls in Sicherheit bringen, aber eine Person fehlte. Inzwischen waren weitere Touristen herbeigeeilt, und als die Wellen endlich wieder schwächer wurden, konnte die dritte Person geborgen werden. Die ältere Frau wurde leblos aus dem Wasser geborgen. Viele herbeigeeilte Touristen, darunter auch eine Ärztin, versuchten alles, um der Frau zu helfen. Leider dauerte es mindestens 30 Minuten, bis die Notärzte eintrafen. Zu lange, die Frau überlebte nicht. Am ganzen Strand war keine Aufsicht oder Wasserwacht mit lebensrettendem Gerät, einziger Hinweis auf die Gefahr war ein kleiner, ausgeblichener roter Fetzen auf einem Masten, einfach zu wenig, um ahnungslose Touristen auf die Gefahr auf dem mehrere hundert Meter langen Strand hinzuweisen. Der Atlantik war vor und nach dem Unglück minutenlang völlig ruhig, die Frau bewegte sich in scheinbar sicherem Abstand zum Wasser, in solchen Fällen müssen die Touristen einfach auf die Gefahr aufmerksam gemacht werden. Am nächsten Tag kehrte ich noch einmal an den Unglücksort zurück und konnte es einfach nicht fassen, an derselben Stelle vergnügten sich Touristen bei selben Bedingungen wie am Tag zuvor. Niemand hatte sie gewarnt. Die Ignoranz der dortigen Behörden kann ich mir nicht erklären, zumal dort, wie ich später erfuhr, schon öfter Touristen ertrunken sind. Diesen Bericht werde ich an alle betreffenden Institutionen weiterleiten, in der Hoffnung, damit vielleicht etwas bewegt werden kann, Menschen mehr auf Menschen achten und Ignoranz bzw. Unfähigkeit von Behörden nicht noch weitere sinnlose Tragödien zulassen. 104 Claudia Stellmacher Wir haben unser ganzes Leben miteinander verbracht Am Hauptstrand in Westerland auf Sylt, vor dem Seeblick. Wunderschönes Strandwetter, tolle Wellen, Wind aus Westen. Wir haben gerade noch in Höhe Seeblick einen Strandkorb bekommen, denn wir sind erst spät losgekommen. Leider war nichts mehr am bewachten Badestrand frei. Aber der Weg ist ja nicht so weit, wenn man ins Wasser möchte. Es flattert die gelbe Flagge, das bedeutet, dass nur an bewachten Strandabschnitten gebadet werden darf, dabei sind die Wellen gar nicht so groß. Mit den Kindern gehen wir ins Wasser, kämpfen mit den Wellen und genießen das Spiel mit den Meergewalten. Danach wärmen wir uns im Strandkorb wieder auf, die Kinder sind netterweise unterwegs und holen Kaffee. Wir liegen im Strandkorb, plötzlich höre ich eine helle Stimme „Hilfe!“. Aha, Kinder beim Spielen, denke ich, kurz darauf höre ich wieder einen Hilferuf, Sekunden später darauf „Hilfe“ von einer männlichen Stimme. Christian, mein Mann, und ich schauen uns an, stehen auf und schauen, was dort unten, 50 Meter von uns entfernt, im Wasser passiert. Christian geht, wie an Fäden gezogen, hinunter zum Strand, direkt ins Wasser und hilft einem Mann, sofort danach holt er zusammen mit einem 17 oder 18 Jährigen noch einen weiteren Mann aus der Strömung. Beide sind um die 60 und völlig erschöpft. Der Junge trägt darauf das Kind, das um Hilfe gerufen hatte, aus dem Wasser, als ich mich endlich entschlossen habe, auch einzugreifen. Eine Frau wird aus dem Wasser geführt, ich renne und schwimme zu ihr hin, ergreife ihre Hand und ziehe sie mit einem anderen Mann zusammen aus dem Wasser. Am Wasserrand liegt ihr Mann, schwer atmend. Er hat einen Herzschrittmacher und muss erst wieder zu Atem kommen. Auch er wollte helfen und brauchte selbst Hilfe. Nachdem sich alle ein wenig beruhigt haben und klar ist, dass niemand mehr unmittelbar gefährdet ist, gehen wir, völlig erschöpft und emotional tief bewegt, wieder zum Strandkorb. Eine ältere Dame spricht uns an und fragt, warum wir geholfen und wo wir die Hilfeschreie gehört hätten. Sie ist erstaunt, als wir ihr erzählen, dass wir direkt von Strandkorb gekommen sind, denn sie sagt, sie war auch im Wasser und habe nach den Hilferufen versucht, Leute, die weiter unterhalb am Strand gelegen haben, zur Unterstützung zu bewegen. Sehr aufgewühlt sitzen wir im Strandkorb. Die Kinder, die Kaffee geholt hatten, können das eben Erlebte kaum begreifen, so friedlich ist die Szenerie jetzt wieder. Immer wieder schweifen unsere Blicke beunruhigt auf das Meer. Wir können gar nicht begreifen, was für ein Drama sich eben abgespielt hatte. Etwas später werden zwei Mädchen im Teenageralter von einem Rettungsschwimmer an Land geholt, beide sind zu erschöpft, um sich an das Board zu klammern. Sie werden von ihrem schimpfenden Großvater in Empfang genommen. Es ist 15 Uhr. Beachball am Strand, immer wieder unterbrochen durch den besorgten Blick aufs Meer, das wir jetzt mit anderen Augen anschauen. 105 Richtig entspannen können wir uns alle nicht. Zu gegenwärtig ist die Gefahr, die hinter der Strandidylle lauert. Immer wieder gehen Kinder alleine ins Wasser. Mauritz, 9 Jahre alt, warnt zwei kleine Mädchen, die gehen gleich wieder aus dem Wasser. Ein Seniorenpaar geht ins Wasser, Christian und Mirek (12) unterbrechen das Spiel, gehen hin und warnen die beiden vor der Strömung. Der Mann, fünf Meter weiter draußen, winkt seine Frau ins Wasser. Sie folgt zögerlich, bleibt aber ziemlich dicht am Wassersaum. Ihr Mann schwimmt etwa 10 Meter raus, zwei Surfer sind recht dicht bei ihm, verlassen aber kurz darauf das Wasser. Plötzlich wirkt der Mann angespannt. Mauritz sagt: „Sein Gesicht ist wie ein Hummer“, so dass wir beschließen, Hilfe von den Rettungsschwimmern zu holen. Mirek rennt irrsinnig schnell zum bewachten Badestrand, als Christian dann meint, ein leises „Hilfe“ von dem Mann, der immer noch ruhige Schwimmbewegungen ausführt, zu vernehmen. Er rennt Mirek hinterher, da er befürchtet, dass Mirek nicht ernst genug genommen werden könnte. Ein anderer Mann steht schon bei den Rettungsschwimmern und weist auf die Not des Senioren hin. Die Frau ist mittlerweile aus dem Wasser und ruft: „Hilfe, mein Mann ertrinkt!“. Ich renne zu ihr hin und sage ihr, dass schon jemand unterwegs sei. Ihr Mann hält sich auf der Stelle und ich signalisiere ihm, wild gestikulierend, dass er nach rechts mit der Strömung schwimmen soll. So hüpfe ich zwischen Wasser und seiner Stoßgebete in den Himmel schickenden Frau hin und her, versuche sie zu beruhigen, nehme sie in den Arm, winke dann wieder ihrem Mann und brülle ihn an. Versuche, die Entfernung von 20 Metern und der lauten Brandung zu überschreien. Endlich kommt der Rettungsschwimmer von links mit seinem gelben Board zu dem Mann. Aber der ist bereits vornüber ins Wasser gekippt. Die Frau in meinen Armen ist verzweifelt, ich versuche ihr zu erklären, dass der Retter gewiss noch zeitig da sein wird und ihrem Mann geholfen werden kann. Die Frau ruft immer wieder: „Er stirbt, er stirbt, lieber Gott, lass ihn nicht sterben“ und ich sage: „Er wird es schaffen, das schafft man, auch wenn man kurz unter Wasser ist“. Als der Retter versucht, ihn auf das Board zu ziehen, gleitet er völlig leblos immer wieder vom Brett. Der Schwimmer überlässt das Board sich selbst und zieht den Mann in der Rückenlage aus dem Wasser. Dann liegt er völlig erschlafft im Sand, sein Gesicht ist violett-grau verfärbt und er zeigt keinerlei Lebenszeichen. Sofort beginnt sein Helfer, ihn zu reanimieren. Ein anderer Rettungsschwimmer, der sich vollständig seiner Sachen entledigt hatte, rennt ins Wasser und holt das Board wieder an Land. Seine Sachen drückte er Christian im Vorbeirennen in die Hand, ebenso wie sein Handy, um einen Notruf abzusetzen. Christian reicht mir das Handy und rennt zum Wasser, um einen etwa sechsjährigen Jungen aus dem Wellen zu ziehen, der zu seinem Vater will. Ich wähle 112, dort sagt der Mann am anderen Ende der Leitung, dass schon ein Notruf zu derselben Sache, so habe ich ihn verstanden, eingegangen sei und gerade bearbeitet würde. Ich sehe im Wasser den Vater des Kindes – das Kind selber habe ich gar nicht wahrgenommen - und brülle ins Handy: „Oh Gott, da ist noch einer im Wasser“. Mittlerweile hat sich eine Traube von Helfern um den Mann und die Helfer gebildet. Seine Füße liegen am Meeressaum. Er sieht so tot aus, aber unermüdlich bekommt er Atemspende und Herzmassage. Seine Frau sitzt verzweifelt zwei Meter weiter daneben auf dem Board der Schwimmer. Bei ihr ist eine sehr nette und kompetente Frau, die beruhigend auf sie einredet und 106 sie dazu bewegt, die Schwimmsachen auszuziehen und sich abzutrocknen. Verzweifelt sagt die Frau „Wir haben unser ganzes Leben miteinander verbracht.“ Die andere Frau fragt, ob sie jemanden anrufen möchte und sie erwidert: „Anrufen tut man, wenn jemand tot ist“. Ich hocke mit Shirt, Hose und Handy des Schwimmers daneben und fühle mich so hilflos und überflüssig, völlig überfordert mit der ganzen Situation. Das Ehepaar ist in guten Händen, um die Frau wird sich gekümmert, um ihren Mann auch. Mittlerweile wird er bebeutelt und auch ein Defibrillator ist eingetroffen, so dass er geschockt werden kann. Um die Helfer hat sich eine Gruppe von Gaffern versammelt. Kinder in der ersten Reihe. Immer wieder gehe ich zu Christian und meinen Kindern. Bitte sie wegzuschauen, sie haben eh zu viel gesehen. Eine vermeintliche Ewigkeit verstreicht bis zum Eintreffen des Rettungswagens, bis dahin Beatmung, Herzmassage, Erbrechen und die bange Frage, ob es doch noch einen Hoffnungsschimmer gibt. Ich kann mich nicht mit den Kindern zurückziehen, denn immer noch halte ich die Sachen des Schwimmers in der Hand, der kleine bärtige Mann kniet unermüdlich arbeitend – tapfer – neben dem Opfer, splitterfasernackt. Endlich wird dieser in den Rettungswagen verfrachtet, ich übergebe die Klamotten und das Handy und wir gehen zurück zum Strandkorb. Mit Blaulicht fährt der Wagen davon, vielleicht ein Hoffnungsschimmer, denn wenn jemand tot ist, gibt es kein Blaulicht. Die Frau wird von zwei jungen Polizisten weg begleitet, wahrscheinlich, um ihre Sachen zusammen zu suchen. Aufgewühlt, den Tränen nahe. Erste Versuche, sich an das Geschehene heranzutasten. Mauritz weint, Mirek ist bemüht tapfer und berichtet von zwei kleineren Jungs, die er auch noch aus dem Wasser gezogen hat. Kurze Gespräche mit den Strandkorbnachbarn und das dringende Bedürfnis, ganz schnell nach Hause zu gehen. Als wir zuhause ankommen sind und Christian seine Sachen gepackt hat - er muss am nächsten Tag arbeiten und deshalb den Zug bekommen - sehen wir den Rettungshubschrauber am Himmel und ich sage zu meiner Familie: „Jetzt bringen sie ihn bestimmt aufs Festland.“ Am Abend bin ich dann mit den Kindern noch mal zum Strand gegangen, um Rosen dort abzulegen, wo sich das furchtbare Drama abgespielt hat. Nach dem Vorfall vom Sonntag bin ich am Montag mit meinen Kindern losgegangen, um bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt, die Bürgermeisterin oder irgendjemanden zu stellen, damit aufgeklärt wird, was am Vortag passiert ist. Auf der Wache wurde ich von einem jungen Beamten abgewimmelt, ich meine, es war sogar einer der beiden, der die Frau des Opfers begleitet hat. Der Polizist sagte, dass der Mann leben würde. Und dass ich nicht einfach so alle anzeigen könne, gegen wen sie denn da ermitteln sollten... Mir ging es in erster Linie darum, dass es nicht sein kann, dass man an einem wunderschönen Sonntagnachmittag, 200 Meter von der Bewachung entfernt, in der Hauptsaison am vollen Hauptstrand von Westerland ertrinken kann. Der Beamte schickte uns zum Ordnungsamt, dort sollten wir unsere Geschichte loswerden. Für mich war es wichtig, dass meine Kinder - nach dem Schock vom Vortag - sehen, dass man etwas 107 unternehmen kann, dass man nicht so hilflos ist, wie es erst den Anschein hat. Also gingen wir zum Ordnungsamt. Eine halbe Stunde waren wir zu Fuß unterwegs. Dort wollte uns wieder keiner haben, niemand unsere Geschichte anhören. Man schickte uns zur Kurverwaltung. Dort landeten wir schließlich bei dem Leiter der Personalabteilung Sylt Tourismus Service, der behauptete, von dem Vorfall nichts zu wissen und sich dann aber bereit erklärte, ein Gespräch mit dem Chefschwimmmeister zu arrangieren. Weiterhin erklärte er, dass seit 10 Jahren niemand mehr vor Sylt ertrunken sei. Am Montagabend gingen wir auf einen Vortrag von Manfred Winkler, Rettungsschwimmer, der über seine Rettungen im Jahre 2003 berichtete. Er nahm auch Bezug auf die Rettung vom Vortage und die chaotischen Zustände, die durch die Strömung entstanden seien und berichtete, dass der Mann ausgeflogen wurde und nun in Flensburg im Koma liege, wohl ohne Hoffnung. Weiterhin sagte er, dass dieser Tag der Schlimmste seit Jahren gewesen sei und sie etliche Menschen aus der Strömung und dem Meer hätten retten müssen. Dann kam er auf die Rip-Strömung vor Sylt zu sprechen, hier nennt man sie Treckerströmung. Ich fahre seit 40 Jahren nach Sylt in den Urlaub, Treckerströmung, und wie man sich darin verhalten kann, hatte ich noch nie gehört. Herr Winkler erwähnte auch die Gefahr durch die Buhnen vor Westerland, die das Entstehen der Strömung begünstigen. Und dass man diese für etwa 10.000 Euro entfernen lassen könne. Vor Kampen (so ein Zufall) sei das bereits passiert. Mit vielen neuen Informationen ging ich am nächsten Tag in das Gespräch mit den Herren von der Tourismus GmbH. Nun musste ich den Chefschwimmmeister davon überzeugen, dass es nicht um Kritik an der Arbeit seiner Rettungsschwimmer gehe, denn die haben wir wirklich als kompetent und hervorragend erlebt, sondern um grundsätzliche Fehler im System. Erschwert wurde das Gespräch durch die Ausführungen, dass der Mann vom Vortag ja gar nicht tot sei und der Badeunfall deshalb passiert sei, weil der Mann einen Herzinfarkt erlitten habe und deshalb nicht ertrunken sei. Das entkräftete die Dringlichkeit meiner Argumente. Möglich nach dem Stand meiner Information, für den Mann und seine Frau aber völlig unwichtig. Aber für die Statistik ist es ja anscheinend wichtig, denn die bleibt so sauber. Für mich stinkt die ganze Sache zum Himmel. Das System von Schweigen und Verdrängen scheint auf der Insel gut zu funktionieren und ich hatte den Eindruck, man war recht froh, dass ich dann am Mittwoch wieder abgereist bin. Man wird so ein bisschen auf die hysterische Schiene geschoben. Diese Vorgeschichte erklärt auch, warum die Vorfälle vom 26. Juli 2009 keinerlei Erwähnung im Sylter Anzeiger gefunden haben. Der Mann ist zwei Tage später in Flensburg verstorben. 108 Tipps von „Grüne Flagge“ bis „No risk, no fun“ Grüne Flagge Nach wir vor existiert diese Farbe an Europas beflaggten Badestränden, obwohl die Empfehlungen für die Strandsicherheit bereits seit mehreren Jahren die Abschaffung der grünen Flagge beinhalten. Und dies völlig zu Recht. Die Farbe grün im Flaggensystem suggeriert eine scheinbare Sicherheit, die es im Wasser nicht geben kann. Erschwerend kommt hinzu, dass es noch Strandabschnitte gibt, an denen die grüne Flagge gehisst wird, die aber überhaupt nicht bewacht sind! Manchmal bleibt die Flagge auch über Nacht hängen, wenn das Wetter am Vortag in Ordnung war. Am nächsten Tag ist dann das Wasser gefährlich, die grüne Flagge hängt, bis die Strandaufsicht oft erst am späten Vormittag kommt. Fazit: Die grünen Flaggen müssen endlich verschwinden! Helikopter Die schnellen und flexiblen Luftfahrzeuge sind ein optimales Beförderungsmittel für Notfallmediziner und werden in immer mehr Ländern erfolgreich bei der Wasserrettung eingesetzt, zumal Ertrinken ein extrem zeitkritischer Prozess ist. Bei einem Bewusstlosen mit Herzstillstand sinkt die Überlebenschance pro Minute um jeweils etwa zehn Prozent. Ein Halbertrunkener ohne Helikopterhilfe mit lebensrettendem Defibrillator an einem schwer zugänglichen Naturstrand hat nur selten eine Überlebenschance. Holland Die westfriesischen Inseln und das Ijsselmeer gelten als gefährlich, die Gezeitenströmungen bei Einsetzen der Ebbe an der Nordsee sind auch hier nicht ohne Risiko. Bewachung durch die Strandwacht und Warnhinweise in Form von mehrsprachigen Info-Tafeln sind zufriedenstellend. In Holland ist das Ertrinken bei Kindern die unfallbedingte Todesursache Nummer 1. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Den Haag, Polizei und Unfallrettung: 112 (auch mobil). Hotelpools Hotelpools sind deshalb nicht risikolos, weil viele Eltern mit permanenter Bewachung durch das Hotelpersonal rechnen, was selten der Fall ist. Die wichtigste Empfehlung: Erst einmal die Bewachungssituation überprüfen, die Hinweisschilder lesen und die Kids nie aus den Augen lassen. Wo sind die Rettungsringe zum Zuwerfen? Wo befindet sich die Erste Hilfe - Ausrüstung? Die meisten Badeunfälle ereignen sich in den Swimmingpools von Hotels und Wohnanlagen, berichtet Inselradio Mallorca in seiner Internet-Ausgabe. Italien Ausbildung und Ausstattung der Rettungsdienste (besonders an der italienischen Adriaküste) sind zufriedenstellend. Die Koordination der Rettungsdienste besonders außerhalb der beliebten Urlaubszentren und an den süditalienischen Stränden lässt aber zu wünschen übrig. Außerdem gibt es auch hier zu wenig Rettungsschwimmer bei überfüllten Strandabschnitten während der Hochsaison. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Rom, Tel. 06492131, Polizei 112 (auch mobil), 109 Unfallrettung 118. Kälteschock Ende April 2007 in Deutschland: Heißes sommerliches Wetter und Lust zum Baden in Gewässern, die sich noch gar nicht aufgeheizt haben konnten. 13 bis 15 Grad. Für einen gesunden Menschen oder einen Sportler ist ein Bad in einem 15 Grad kalten Wasser kein Problem. Für einen Kreislaufschwachen oder Kranken allerdings schon: Es kann zu Krämpfen, Kreislaufversagen und zuletzt zu einem Herzstillstand kommen. Wir raten zur Vorsicht: Nie irgendwo hineinspringen, wenn Sie nicht wissen, wie kalt das Wasser tatsächlich ist und sich langsam abkühlen, um keinen Kälteschock zu erleiden. Ein derartiges Ereignis könnte auch einen Krampf im Kehlkopfbereich auslösen, das in weiterer Konsequenz zur Bewusstlosigkeit und zum Ertrinkungstod führen kann. Gerade bei Abkühlungen an Bächen oder Teichen sollte darauf geachtet werden, nicht allein zu schwimmen, damit im Notfall ein Helfer zur Stelle ist. Kanarische Inseln Im deutschen Winter gelten die Kanarischen Inseln als ideales Reiseziel für Badeurlaub und TShirt-Wetter. Wassertemperatur: mindestens 18 Grad. Massen von Urlaubern meist mittleren Alters erholen sich vom trüben Wetter in Deutschland. Die Strände laden entweder zum Sonnenbaden, zu ausgiebigen Spaziergängen oder auch zu einem verlockenden Sprung in die Fluten ein. Die Kanarischen Inseln sind eine ideale Lösung für einen Strand- und Sonnenurlaub in der deutschen Nebensaison. Die gute Alternative zwischen zeitraubenden Fernflügen und den zwischen November und Mai nicht gerade sommerlich warmen Balearen. Kinder Der amerikanische Wasserrettungsexperte Frank Pia hat in einem Interview, das ich vor einigen Jahren mit ihm in New York führte, das oft verkannte Phänomen des "silent drowning" (stilles Ertrinken) beschrieben, das hauptsächlich für Kinder gilt. "Ich bin überzeugt davon, dass es bei Menschen im Wasser einen großen Irrtum in der Bewertung von drohenden Ertrinkungsgefahren gibt. Menschen ist der Unterschied zwischen dem Verhalten von Personen, die Badespass haben und denen, die Probleme im Wasser haben und aktuell ertrinken, nicht bewusst. Die übliche Vorstellung ist, dass ein Schwimmer in einer Notsituation dadurch auf sich aufmerksam macht, indem er um Hilfe ruft und entsprechende Zeichen gibt. Dieses Szenario kennen Menschen vor allem aus Filmen und aus dem Fernsehen. Ein Mensch, der ertrinkt, ist aber in der konkreten Gefahrensituation überhaupt nicht mehr fähig, zu schwimmen und sich über Wasser zu halten - und als Nichtschwimmer war er noch nie in der Lage dazu! Die ertrinkende Person kann also nicht um Hilfe rufen, weil sich in diesem Moment Mund und Nase ständig entweder unter Wasser befinden oder über der Wasseroberfläche sind, um Luft zu inhallieren und zu atmen! Der Ertrinkende hat also weder Zeit noch Ressourcen, um durch Hilferufe auf sich aufmerksam zu machen. Dieser Mensch kann im Überlebenskampf nicht um Hilfe rufen, weil die Natur ihn instinktiv zwingt, an der Wasseroberfläche zu bleiben, um zu versuchen, seine Atmungsorgane einzusetzen. Das Fatale in dieser Situation ist, dass dieser 110 Kampf sehr kurz ist. Denn er dauert in den meisten Fällen nur zwischen 30 und 60 Sekunden, bevor der Mensch untergeht und ertrinkt“. Kinderfreundlich (oder familienfreundlich) Es gibt kaum ein Prädikat, das in der Tourismuswerbung öfter verwendet wird als der Begriff "kinderfreundlich". Gemeint ist damit oft nur, dass der Strand flach abfällt. Das aber reicht für die Sicherheit Ihrer Kinder nicht aus. Erkundigen Sie sich und seien Sie lieber skeptisch. Nur dann, wenn ein Strandabschnitt auch bewacht ist, kann er als kinderfreundlich bezeichnet werden. Das entlastet Sie als Eltern natürlich nicht von der Verpflichtung zur permanenten Beobachtung Ihrer Schützlinge. Übrigens gilt zwingende Bewachung durch Sie und durch Wasserretter natürlich auch für Strände, die mit dem ebenfalls überstrapazierten Begriff "familienfreundlich" bezeichnet werden. Laienretter Retter können auch Sie werden, wenn Sie am Badestrand anderen Menschen in Not helfen wollen und müssen. In dieser Situation ist Vorsicht geboten: Nach Aussagen von professionellen Wasserrettern kommt jeder zehnte Laienhelfer ums Leben, weil die Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet werden, die Voraussetzungen für sinnvolle Hilfe nicht gegeben sind und Retter denselben Gefahren (etwa durch Unterströmungen) wie der Verunglückte ausgesetzt sind oder Opfer der Panikreaktionen des Schwimmers werden können. Setzen Sie also immer zuerst eine so genannte Rettungskette in Bewegung. Panik ist ein großer Feind von professionellem Verhalten. Bitte bleiben Sie ruhig. Delegieren Sie Aufgaben an andere Strandbesucher! Sorgen Sie mit Hilfe anderer >>Strandbesucher für Alarmierung. Als Laienretter sollten Sie geübt sein und nie - vor allem nicht im Meer mit drohenden RipStrömungen - ohne ein Hilfsmittel (Boot, Auftriebskörper) ins Wasser gehen. Falls Sie sich die Rettung nicht zutrauen, veranlassen Sie die Rettung durch andere Personen. Spielen Sie nicht den Helden! Beruhigen Sie den Gefährdeten und bringen Sie ihn nach Möglichkeit mit Stützung des Kinns an Land. Retten Sie - falls sich mehrere Personen in Not befinden - immer von "außen nach innen". Beziehen Sie andere anwesende Personen in die weitere Versorgung mit ein. Ist die Person bewusstlos, überprüfen Sie Puls und Atmung, führen Sie falls erforderlich Herzdruckmassage und Mund-zu-Nase-Beatmung durch. Ist die Person bei Bewusstsein, bringen Sie sie in die stabile Seitenlage und wickeln Sie sie wegen der Gefahr der Unterkühlung in eine Decke - auch bei hohen Temperaturen. Lanzarote, Spanien Eigentlich ist das Baden und Schwimmen an der gesamten Nordwestküste aufgrund der extrem gefährlichen Strömungen nur Lebensmüden zu empfehlen. Die Famara-Bucht ist zu jeder Jahreszeit und auch bei schönem Wetter lebensgefährlich. An den Stränden von Puerto del Carmen sind die Strömungen meist geringer, Wind und Wellen 111 sind nicht sehr kräftig, so dass man die meiste Zeit relativ gefahrlos baden kann und hier auch mit Kindern gut aufgehoben ist. Aber es gibt doch Zeiten mit ungünstiger Wetterlage. Beachten Sie - wie immer - daher auf jeden Fall die Warntafeln und die Flaggen: grün bedeutet unbedenklich, orange steht für Gefahr, rot bedeutet absolutes Badeverbot. La Palma, Spanien Zusätzlich zu den beschriebenen Gefahren auf den Kanarischen Inseln gibt es auf La Palma gelegentlich Riesenwellen am Strand, die - man kann es kaum glauben - sogar Spaziergängern zum Verhängnis werden können. Zitat eines Beobachters: „La Palmas Brandung gehorcht keinen Fähnchen, ob sie nun blau, grün oder rot sein mögen. Das Meer ist sich hier nur selbst Rechenschaft schuldig und fragt nicht nach menschlichen Gesetzen. Es mag viele Stellen auf der Welt geben, an denen das Schwimmen hin und wieder tückisch ist. Auf La Palma kann jedoch bereits ein Strandspaziergang bei ruhiger Brandung unvermittelt tödlich enden." Im Januar 2004 wurde ein Spaziergang am Strand von Tazacorte zur tödlichen Falle. Eine plötzlich auftretende Riesenwelle erfasste bei ruhiger See drei Menschen. Zwei konnten von beherzten Urlaubern gerettet werden, für eine Person kam jede Hilfe zu spät. Mallorca, Spanien Neun Millionen Menschen kommen in jedem Jahr auf die nach wie vor beliebteste Ferieninsel deutscher Pauschalurlauber. Für die meisten von ihnen gibt es neben Sonne, Erholung, Spaß, "Sex, Drugs und Ballermann" einen weiteren Grund, warum sie hier Urlaub machen: Baden an einem der 175 Strände. Bewachung gibt es an den stark frequentierten Stränden, allerdings ist während der Hauptsaison das Verhältnis zwischen der Zahl der Strandbesucher und der Zahl der Rettungsschwimmer unausgewogen. Irritierend ist auch, dass es für den Notfall zwei Notrufnummern gibt (112 und 061). Hier hat es in der Vergangenheit Koordinationsprobleme und zeitliche Verzögerungen gegeben. Der im Sommer stark frequentierte Naturstrand "Es Trenc" im Süden Mallorcas ist deshalb gefährlich, weil er nicht bewacht ist und sich der Unfalldienst erst einmal durch das Naturschutzgebiet begeben muss. Angesichts der zeitkritischen Prozesse bei Ertrinkungsunfällen hat dies in den letzten Jahren immer wieder zu tödlichen Unfällen geführt. Mallorca-Police Bei Nutzung eines Mietwagens sind in vielen Urlaubsländern die Deckungssummen der Versicherer deutlich geringer als in Deutschland. Während hierzulande der Gesetzgeber einen Mindestschutz für Personen in Höhe von 2,5 Millionen Euro verlangt und für Sach- oder Vermögensschäden 500.000 bzw. 50.000 Euro, so belaufen sich die Versicherungssummen in vielen anderen Ländern nur auf Bruchteile dieser Beträge. Und das heißt nichts anderes als: Im Falle eines Falles übernehmen die örtlichen Versicherer nur diese Mindestleistungen – alles andere zahlt der Tourist aus eigener Tasche. Gerade nach Unfällen mit schwerwiegenden Personenschäden können so schnell existenzbedrohende Forderungen auf den Unfallverursacher zukommen.“ Die Versicherung heisst im Fachjargon Excedentenversicherung, bekannter ist sie aber unter dem Namen „Mallorca-Police“. Bei dieser Police handelt es sich um eine Zusatzversicherung speziell für Mietwagen, -motorräder und -mopeds während des Urlaubs im europäischen Ausland. Sie lässt sich beim Versicherer für die Dauer zwischen einem und zwölf Monaten erwerben und kostet monatlich rund 20 Euro. Eine Erweiterung ist lediglich einmal jährlich für die Dauer von 112 drei Monaten möglich. Die Kosten für die Erweiterung belaufen sich auf etwa 30 Euro. Bei einigen deutschen Kfz-Versicherern ist dieser Zusatzschutz bereits in der normalen KfzHaftpflicht enthalten. In diesem Fall ist eine weitere Versicherung überflüssig. Sie sollten prüfen, bei welchem Versicherer sie ihre Kfz-Haftpflichtversicherung inklusive Mallorca-Police zu den besten Konditionen bekommen. Mietwagen Die Bilanz der ADAC-Tester war erschreckend: Von 61 überprüften Stationen in sechs Urlaubsländern sei jeder fünfte Anbieter durchgefallen, berichtete der Autoclub. Jedes vierte Auto habe erhebliche Mängel gehabt, jedes zehnte Auto sei zudem nicht mehr verkehrssicher gewesen und hätte nicht vermietet werden dürfen. Zu bemängeln seien auch der Versicherungsschutz und der Service am Kunden. Kindersitze würden beispielsweise oft als überflüssig angesehen. Knapp 50 Prozent der Stationen hätten allerdings "gut" bis "sehr gut" abgeschnitten. Unterwegs waren die Tester auf Korfu, Sardinien, Korsika, Gran Canaria, Ibiza und Zypern, dem spanischen sowie griechischen Festland und in der Türkei. Sie mieteten inkognito bei international bekannten sowie regionalen und lokalen Anbietern Fahrzeuge für einen Tagesausflug einer vierköpfigen Familie mit Kleinkind. Mittels Checkliste wurde der technische Teil des Fahrzeugs, etwa Fahrwerk, Lenkung, Elektrik, Beleuchtung oder Insassensicherheit geprüft. Beim Serviceteil kamen etwa Versicherungsleistungen, Vertragsgestaltung und Kundenservice auf den Prüfstand. Nichtschwimmer Nach der so genannten Sprint-Studie des Deutschen Sportbundes (2005) hat ein "großes Manko an fehlenden Sportstätten bei 20 Prozent aller Schulen" dazu beigetragen, dass das Stundensoll des Schwimmunterrichts nicht erfüllt werden kann. Auch die Schließung vieler öffentlicher Bäder oder ihre Nutzung als "Spaßbäder" stellt laut Bundesregierung ein wachsendes Problem dar. Man setze sich zwar für Verbesserungen im Schulsport ein, müsse aber auf die Zuständigkeit der Länder und Kommunen verweisen. Im Klartext: Es ist, wie es ist und die Wahrscheinlichkeit, dass sich im föderalen System der Schwimmeranteil flächendeckend verbessert, liegt knapp über null. Und auch diese Gründe sind entscheidend und werden gern unter den Teppich gekehrt: immer mehr verbreitete motorische Defizite, mangelnde Bereitschaft von Eltern, ihre Kinder in den Schwimmkurs zu schicken und auch fehlender Schulschwimmunterricht. In Schwimmbädern mögen Nichtschwimmer-Kids die größte Risikogruppe sein. In anderen Gewässern wie dem Meer trifft dies nicht zu. Hier spielen Unkenntnis über die Gefahren, Risikobereitschaft und Leichtsinn sowie nicht vorhandene Warn- und Rettungssysteme eine mindestens genauso große Rolle wie Schwimmfähigkeiten. Augenscheinlich hilft es, wenn man schwimmen kann – wenigstens wegen des psychologischen Antriebes, den es gibt, wenn man plötzlich ins Wasser fällt. Andererseits ertrinken genau so viele Schwimmer wie Nichtschwimmer in Situationen, in denen Schwimmen möglich ist. Allzu oft sind gute Schwimmer sogar wesentlich risikobereiter als Nichtschwimmer und weniger gute Schwimmer haben (etwa am Atlantik) oft mehr Respekt vor dem bewegten und oft Furcht erregenden grollenden Wellen. Nordsee 113 Gefährlich sind vor allem Gezeitenströmungen bei Einsetzen der Ebbe, Brandungssog und Priele im Wattenmeer bei auflaufendem Wasser. In den Sommermonaten existieren insgesamt gute Sicherheitsbedingungen durch die Präsenz von Wasserrettungsdiensten - besonders auf den Inseln. Das gilt aber nur dann, wenn Sie die Badezeiten und Badezonen beachten. No risk, no fun Wir kennen diesen Spruch aus dem Bereich der Extremsportarten. Aber es ist so eine Sache mit dem Spaß und dem Risiko. Große Menschen gehen eher Risiken ein als kleine, Frauen sind vorsichtiger als Männer und mit steigendem Alter lässt die Risikobereitschaft deutlich nach: Zu diesen Resultaten kamen Wissenschaftler der Instituts zur Zukunft der Arbeit, der Universität Bonn sowie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin. Besonders bemerkenswert: Wer gerne Risiken eingeht, ist mit seinem Leben zufriedener. Zufriedener vielleicht, aber vielleicht haben Menschen dann auch eine kürzere Lebenszeit. Und wenn Sie das Risiko für den Spaß im Wasser brauchen, sind andere Menschen ebenfalls durch Sie gefährdet. Und die wollen sicher selber entscheiden, ob sie ein Risiko eingehen wollen.... 114 Karl-Heinz Fucker Ich habe nie erfahren, wer sie waren Ich habe nie erfahren, wer sie waren oder woher die zwei Kinder stammten, als diese nach der Rettungsaktion die Kleider packten, sich anzogen und mit dem Schlauchboot unter dem Arm wieder in Richtung Muhr am See verschwanden. Keine Ahnung, ob sie Touristen in den Ferien oder Ortsansässige waren, sie hatten jedenfalls Glück, dass jemand an diesem Tag am See anwesend war. An diesem Tag im Frühjahr wollte ich einige technische Dinge im Clubgebäude des YachtclubAnsbach-Gunzenhausen erledigen. Auf der Anfahrt fielen mir kurz hinter Muhr am See zwei Kinder auf, welche ein kleines Badeboot Richtung See trugen. Aber weit und breit waren keine Eltern zu sehen. Da dies wochentags (ich hatte zu diesem Zeitpunkt als Schüler frei) geschah, das Wetter wegen ablandigen Windes eigentlich nicht zum unbeaufsichtigten Baden in der Muhrer Bucht geeignet war, beschloss ich neben den Arbeiten ab und zu mal hoch zum See zu laufen und nachzusehen. Erst hielten die Kinder sich in der Muhrer Bucht auf und spielten am Strand. Aber als ich aufgrund von lauter werdenden Windgeräuschen wieder zum See hochlief, stellte ich fest, dass die Kinder sich Badekleidung angezogen und die Kleidung am Strand zurückgelassen hatten. Das Boot war mit dem Wind bereits ein gutes Stück Richtung Seemitte abgetrieben. Der Wind und das Wasser sind im April trotz Sonnenschein und angenehmer Lufttemperaturen oft noch ziemlich kalt, gerade auf dem See weiter draußen. In diesem Moment hatten die Kinder ebenfalls das Abtreiben bemerkt und einer der Beiden sprang ins Wasser, um das Boot (gegen den Wind) wieder zum Strand und den Kleidern schwimmend zurückzuziehen. Ein Motorboot lag leider noch nicht im Wasser und unsere Segeljollen waren auch noch im Winterlager, die Schwimmstege waren gerade erst wieder ausgebracht worden. Ich rief daher sofort hinüber, dass der Ziehende sofort wieder einsteigen soll, bevor er die Verbindung mit dem Boot verliert und unterkühlt. Für einen Notruf über das Clubtelefon fehlte in diesem Fall die Zeit, ich wollte die Jungs ständig im Blick behalten und außerdem wäre es schwer gewesen, im Wellengang des inzwischen aufgefrischten Windes einen Kopf wieder aufzufinden und zu identifizieren (mein Handy war gerade wegen eines Defekts zu Hause). Bei diesem Wetter waren auch keine Radfahrer auf dem Rundweg um den See unterwegs. Den Jungs konnte ich klarmachen, dass die einzige Chance in einem Paddeln Richtung Ufer besteht, egal wo sie anlanden. Nach einiger Zeit erreichten sie einige Hundert Meter entfernt das Ufer. Sie zitterten stark und konnten sich nur noch roboterartig bewegen. Als erstes wurden die Beiden von mir in eine Rettungsdecke aus dem Kfz-Verbandskasten gesteckt und ich holte deren Kleider vom Strand. Nach einer Aufwärmphase in meinem Fahrzeug mit voll aufgedrehter Heizung wollten sie wieder nach Hause gehen, eine Rückfahrt nach Muhr mit mir lehnten sie ab, also zog ich die Ventile des Bootes auf und die Jungs konnten mit dem so entleerten Boot wieder Richtung Wohnung abziehen. 115 Norbert Mertens Nessi Wie in jedem Jahr wollte ich mindestens einmal unsere alte Freundin "Nessi", dieses Riff knapp unter der Wasseroberfläche in der Bucht von Sa Roqueta besuchen. Da es in diesem Jahr während unseres Urlaubes meist recht wellig war und man das Riff von den übrigen Wellen kaum unterscheiden konnte, schob ich den Schnorchelausflug bis zu einem unserer letzten Urlaubstage auf. Aber dann wollte ich nicht länger warten und machte mich auf den Weg, allein. Die Wellen waren etwas niedriger geworden, so dass man von Land aus Nessi relativ gut ausmachen konnte. Im Wasser sah das aber schon ganz anders aus. Sehr stark war der Wellengang nicht, aber es war schwierig, den geraden Weg zu finden, da die normalen Wellen die Brandungswelle des Riffes meist verdeckten. Die grobe Richtung war ja klar, und hin und wieder konnte ich die Brandungswelle über dem Riff erkennen, also ging es auch weiter, obwohl ich bereits zwischendurch mehrmals bemerkte, dass ich von der Ideallinie recht weit abgekommen war. Eigentlich hätte ich mir da schon sagen müssen "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste" und umkehren sollen. Aber das Wasser trug mich so schön. Schließlich kam ich bei Nessi an, nicht mal besonders stark erschöpft. Wie immer schwamm ich von hinten an das Riff heran, da es auf der Seeseite flach abfällt und man deshalb besser auf den Unterwasserfelsen kommt, dessen höchste Spitze so etwa knietief unter der Wasseroberfläche liegt. Aufgrund der Wellen war es nicht so einfach, auf den Felsen zu kommen, ich wurde dann auch mehr hinaufgespült, das heißt, von einer "kontrollierten Besteigung" des Unterwasserfelsens kann in keiner Weise die Rede sein. Als ich schließlich oben ankam, versuchte ich mich aufzurichten. Das gelang mir auch wirklich sehr gut, so gut, dass ich im nächsten Moment im Rücken von einer Welle erwischt wurde, die mich vor den Rand des Riffs ins Wasser wirbelte, als ich gerade so richtig schön tief Luft durch meinen Schnorchel holen wollte. Unter Wasser, auf der dem Land zugewendeten Seite, fällt das Riff senkrecht und schroff ab. Dort wurde ich von der Welle hineingestoßen und unter Wasser salto - oder vielmehr karussellmässig - rumgewirbelt, und zwar so, dass ich nicht mehr wusste, wo oben und unten war. Hinzu kam, dass ich statt eines Luftzuges einen tiefen Zug Salzwasser zu mir nahm. Ich bekam Angst — wieder an die Wasseroberfläche gekommen, wollte ich dann doch endlich Luft, zog aber noch mal kräftig Wasser ein -, die nächste Welle hatte mich bereits wieder voll erwischt. Jetzt bekam ich richtig Angst, Scheißangst. Panik. In diesem Moment habe ich gedacht: das war's, Ende. Irgendwie, gelobt sei Allah oder wie der sonst heißen mag, bekam ich aber doch noch Luft. "Nix wie weg von Nessi" war mein einziger Gedanke. Ich konnte dieser gemeinen Unterwasserverwirbelung vor dem Felsen entkommen. Ich habe da, glaube ich, großes Glück gehabt; nachdem ich wieder aus dieser verrückten Zone vor dem Riff heraus war, konnte ich halbwegs normal zurück schwimmen, die rettende Küste vor Augen - Nach meiner Ankunft am Strand habe ich dann erst mal einige katholische Biere (San Miguel) und einige Kräutertees mit Geschmack (Hierbas) getrunken, und das nicht nur, um den Salzwassergeschmack im Hals loszuwerden. Mitbekommen hat das am Strand aufgrund der Entfernung niemand, das ist auch gut so. Ich habe 116 es auch nicht großartig publik gemacht, versteht sich — wer gesteht schon gern seine eigene Dummheit, Leichtsinnigkeit und Selbstüberschätzung ein. 117 Jürgen Kosian Wasserwand Es sollte ein traumhafter Familienurlaub werden. Ich ahnte nicht, was noch passieren würde, als ich am 26. Dezember 2004 zusammen mit meiner Frau das direkt am Stand gelegene Frühstücksrestaurant unseres Hotels in Khao Lak betrat. Einige Meter von mir entfernt rief plötzlich eine Frau "Look at this!", stand vom Tisch auf und sah angestrengt aufs Meer. Ich blickte in dieselbe Richtung, konnte aber nichts Außergewöhnliches erkennen und schlug daher vor, an den Strand hinunter zu gehen, um zu sehen, was sich dort tat. Meine Frau war zwar wenig begeistert, folgte mir aber trotzdem einen Moment später. Der Weg, den wir entlang gingen, endete an einem Rasenstück, gleich dahinter begann der Strand. Noch vor dem Strand blieb ich stehen. In weiter Ferne konnte man einen dünnen, nicht sehr auffälligen, gleißend weißen Gischtstreifen erkennen, der sich über die gesamte Breite des Horizonts zog. Mein erster Gedanke war, dass die Flut eingesetzt hatte. Weiter draußen konnte man durch die vorangegangene Ebbe Korallenbänke sehen. Es bot sich ein ungewöhnlich faszinierender Anblick. Die Sonne schien schon sehr warm, es war ein schöner, windstiller Morgen. Der Gedanke an eine Bedrohung kam mir nicht. Als ich einen Augenblick später wieder aufs Meer sah, sah es aus, als habe der Gischtstreifen zwischenzeitlich einen großen Sprung zum Strand gemacht, er sah auch nicht mehr weiß, sondern gelblich aus. Mir wurde klar, dass die Welle, die inzwischen gewaltig an Höhe zugenommen hatte, den Strand überspülen würde. Meine Frau, die mich mir zuliebe an den Strand begleitet hatte, war etwa 10 Meter hinter mir stehen geblieben. Ich sagte ihr, dass wir hier weg gehen sollten und ging zunächst einige Meter zurück. Bei nochmaligem Zurückblicken sah ich auf eine fünf oder sechs Meter hohe Wasserwand voller Schaum und Dreck, die sich vor mir aufbaute. Es war nicht mehr der türkisblaue Ozean, den ich einige Minuten zuvor noch gesehen hatte. Es war völlig irreal, ich konnte nicht glauben, was ich da sah. Ich hörte niemanden schreien und auch das Wasser kam mir völlig geräuschlos vor. Ein Entkommen war nicht mehr möglich, die Welle traf mich mit voller Wucht, sie schob mich eher voran, als dass sie mich mitgerissen hätte. Ich konnte nichts mehr sehen und hatte keinen Überblick, überall um mich herum waren nur Wasser und herumwirbelnde Gegenstände. Ein Gefühl der Unwirklichkeit überkam mich, während mich die Welle, ohne nachzulassen, nach vorn drückte. Dabei hatte ich längst den Bodenkontakt verloren und wurde wie zusammengekauert mit unbeschreiblicher Gewalt von der Welle immer weiter voran getragen. 118 Das Gefühl der Unwirklichkeit war vielleicht auch deshalb entstanden, weil ich einen Moment lang dachte: So etwas Ähnliches hast du schon einmal erlebt. Vor vielen Jahren hatten wir im Winter auf Fuerteventura Urlaub gemacht. Unsere älteste Tochter Nadine war damals noch klein. Wir spielten am Rand des Swimmingpools „Flugzeug“. Ich hielt sie an beiden Händen fest und ließ sie mit viel Schwung um mich kreisen. Während ich mich immer weiter im Kreis drehte, wurde mir plötzlich schwindlig, ich verlor das Gleichgewicht. Wir beide stürzten in den eiskalten Pool. Selbst als ich unter Wasser mit den Händen ruderte und die Eiseskälte spürte, war ich noch der Überzeugung: das kann nicht sein, das ist nicht wirklich! Erst als das Salzwasser in meinen Augen brannte, konnte ich nicht umhin, festzustellen, dass ich ins Wasser gefallen war. Das bedeutete für mich: sofort nach Nadine greifen und sie aus dem Wasser halten. Diesen Übergang vom Gefühl des ganz Unwirklichen zum Akzeptieren der Realität erlebte ich nun noch einmal. Erst als ich fühlte, wie im Wasser herumwirbelnde Gegenstände gegen meinen Körper prallten, näherte ich mich der Wirklichkeit. Mein erster Gedanke galt meiner Frau, die vermutlich irgendwo in der Nähe sein musste, ich versuchte zwar, zu ihr zu steuern, aber ich konnte nichts gegen die Strömung ausrichten. Ich hatte keine andere Wahl als mich dieser Kraft zu beugen. Irgendwann erwachte mein Kampfgeist, ich wollte nur noch aus dem Wasser herauskommen. Dabei war mir theoretisch klar, dass nach jedem Wellenkamm ein Wellental kommt, dieses müsste ich also nur abwarten, um an der Oberfläche Luft holen zu können. Doch das ersehnte Wellental kam nicht und so atmete ich irgendwann zwangsläufig ein und schluckte Wasser. Zusammen mit dem Wasser muss ich auch Luftblasen eingeatmet haben. Diese hielten mich am Leben. Lange Zeit ließ der Druck nicht nach, es rauschte und gurgelte um mich herum, ich hatte keine Ahnung mehr, wohin ich getragen worden war und versuchte nur noch, mich, so gut es ging, gerade zu halten, um mich nicht zu überschlagen. Auf einmal wurde ich mit den Füßen nach vorne durch einen Engpass gezogen, vielleicht eine Art Rohr oder Schacht. Als ich dann das erste Mal zum Stehen kam, stieß ich mit meinem Kopf an eine Betondecke. Hatte der Albtraum nun ein Ende? Ich hatte zwar festen Boden unter den Füßen, stand aber gebückt und bis zum Kinn in absoluter Dunkelheit im Wasser. Um herauszubekommen, wo ich mich eigentlich befand, tastete ich zunächst meine Umgebung mit den Händen ab, über mir war eine geschlossene Decke. Das ist wie in dem Film "der Untergang der Poseidon", dachte ich. Mutige Passagiere auf einem gekenterten Ozeandampfer erkämpften sich in diesem Film ihren Weg in die Freiheit. Sie schwammen und tauchten durch verschiedene geflutete Decks nach oben. Als sie endlich im bäuchlings treibenden Rumpf ankamen, hämmerte einer von ihnen mit einer Eisenstange gegen die Decke. Zum Glück war genau an dieser Stelle der Rettungshubschrauber gelandet und wartete. Seite 10 Ein Schweißgerät war auch griffbereit, ein großes Loch wurde gebrannt und mit einem "Hurra, wir sind gerettet!" stiegen die Helden ins Freie. 119 Ich griff irgendeinen der im Wasser schwimmenden Gegenstände und schlug mit diesem wie in dem Film mit voller Kraft gegen die Decke, aber schon währenddessen wurde mir klar, dass dieser Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, vollkommen sinnlos war. Überall um mich herum nahm ich nur Gurgeln und Brechen, das Knirschen sich verbiegender Eisenträger, wahr. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, wo ich mich befand. Daher tastete ich meine Umgebung nochmals ab und fühlte dabei etwas Festes, das abwärts führte, möglicherweise eine Wand, die tief im Wasser stand. Das einzig Wichtige war jetzt, herauszukommen und meine Familie zu finden. In meiner Not und Verzweiflung begann ich, mit Gott zu sprechen. Ich beschrieb ihm meine Situation und die Umgebung, in der ich mich wieder gefunden hatte. Durch das Gespräch regte sich Zuversicht in mir. Trotz nach wie vor herrschender absoluter Dunkelheit hatte ich das Gefühl, etwas sehen zu können, als würde ein Licht aus mir heraus strahlen. Gleichzeitig waren auf einmal meine Gedanken klar und strukturiert. Links und rechts von mir waren glatte Betonwände eingezogen. Der Raum, in dem ich mich befand, war drei mal drei, vielleicht vier mal vier Meter groß. Ich dachte kurz darüber nach, was geschehen würde, wenn die Decke einstürzte oder der Raum weiter mit Wasser voll liefe, diese Gedanke ließen mein Herz höher schlagen. Der Gedanke an meine Familie, die Hoffnung, dass diese ebenfalls überlebt hatte und nicht zuletzt die Gespräche mit Gott halfen mir, meine Klarheit zu behalten und Kräfte zu mobilisieren, um mich aus dem „Verlies“ zu befreien. Im Wasser um mich herum trieben Unrat, Gestrüpp, losgerissene Bretter und auch die Leiche eines Menschen. Ich registrierte die Leiche zwar, spürte aber keine Trauer oder ähnliches. Meine Gedanken waren damit beschäftigt, aus dem Wasser heraus und meiner Familie zu Hilfe zu kommen. Andere Gedanken ließ ich nicht zu. Wieder fiel mir der Film „Der Untergang der Poseidon“ ein und ich entschloss mich, unter der Wand hindurch zu tauchen. Es kostete mich einige Überwindung, meinen Kopf wieder in das Wasser zu stecken, daher zögerte ich zunächst, doch der Drang, meiner Lage zu entkommen, war stärker. Ich versuchte zu ertasten und zu erahnen, was mich auf der anderen Seite der Wand erwarten würde und hoffte darauf, wieder eine Luftblase zum Atmen vorzufinden. Also tauchte ich ab und stieg auf der anderen Seite wieder in absoluter Dunkelheit auf. Angst hatte ich keine und auch die Hoffnung gab ich nicht auf. Ich sprach weiter mit Gott, während ich meine Umgebung abtastete und teilte ihm auch jeden meiner weiteren Schritte mit. Auch wenn ich keine Stimmen hörte oder Erscheinungen hatte, empfand ich meine Schilderungen als einen Dialog zwischen Gott und mir. Immer hatte ich das tiefe Gefühl, nicht allein zu sein. Ich tauchte immer wieder unter Trennwänden hindurch und gelangte so von einer Kammer in die nächste. Dabei musste ich feststellen, dass ich in die falsche Richtung getaucht war und musste zu meinem Ausgangspunkt zurückkehren. Ich orientierte mich an den aus der Ferne zu mir durchdringenden Geräuschen. So erreichte ich einen Abschnitt, in dem ich hinter einem Sturz keine Luftblase zum Atmen fühlen konnte. Auch die Wasserströmung war stärker als bisher und Luftblasen stiegen auf. Meine Atemreserven waren fast aufgebraucht und ich dachte daran, dass ich die Orientierung nicht verlieren durfte, um den möglichen Rückweg zur rettenden Luftblase wieder zu finden. Plötzlich wurde ich zusammen mit anderen Gegenständen und begleitet von Luftblasen wie durch ein Wunder nach oben getragen. Während ich aufstieg, schwand die Dunkelheit und die kleinen 120 Bläschen bekamen durch das einfallende Sonnenlicht langsam Konturen. Ich konnte durch das schmutzige und trübe Wasser wieder Licht sehen. Diesen Augenblick, als ich wie schwerelos und umgeben von Luftblasen, die wie Perlen aussahen, aufstieg, sich die Dunkelheit auflöste, das grelle Tageslicht meine Augen berührte und ich endlich wieder Luft in meine Lungen bekam, empfand ich wie eine zweite Geburt. Es war ein angenehmes Gefühl, ich spürte keine Schmerzen und fühlte mich sehr glücklich. Vielleicht ist es paradox, aber ich möchte diesen Moment, genau diesen, in meinem ganzen Leben nicht missen. Wie lange dieser Aufstieg gedauert hat, kann ich im Nachhinein nicht sagen, irgendwann erreichte mein Kopf die Wasseroberfläche. Ich muss, während ich hochgezogen wurde, geatmet haben, denn meine Luftreserven waren eigentlich längst aufgebraucht gewesen. Intuitiv rief ich nach meiner Frau und den Kindern, erst jetzt nahm ich die Zerstörung der Gebäude und der gesamten Umgebung wahr. Die Hotelanlage war fast vollkommen in den Fluten verschwunden. Nina und Shelly, meine Töchter, habe ich fast unverletzt auf einem Balkon gefunden. Meinen Sohn Phil fand ich schwer verletzt in dem Empfangsgebäude des Hotels. Und auch meine Frau war gesehen worden, sie war ebenfalls in Sicherheit. Gemeinsam mit vielen anderen Menschen, schlugen wir uns bis zu einem kleinen Hügel hinter dem Hotel durch. Und jetzt erst wurde mir bewusst, was für ein unendlich großes Glück wir gehabt hatten. Jetzt erst spürte ich wirklich die Prellungen und Wunden an meinem Körper und hatte das Bedürfnis, mich auszustrecken. Der Rest meiner Energie, die mich bisher noch in Bewegung gehalten hatte, entwich aus mir wie Luft aus einem Ballon. 121 Tipps von „Notruf“ bis „Schwimmflügel“ Notruf (und die fünf Ws) Notruf war nicht nur der Name einer im August 2006 eingestellten TV-Sendung auf RTL. Der Name beschreibt ein Signal, das übermittelt wird, um bei einem Notfall professionelle Hilfe von Rettungsdiensten, Feuerwehr und Polizei zu alarmieren. Eine Notsituation kann in jeder Sekunde entstehen. Hier kann man sich die "fünf Ws" noch einmal einprägen: (wo, was geschah, wie viele Personen, welche Erkrankung oder Verletzung, warten auf Rückfragen) Wichtigste Tipps bei Badeunfällen: Erst die Rettungskette mit dem Notruf 112 über Handy (ohne Vorwahl) in Gang setzen, erst dann helfen und die Rettungstipps beachten. Bei Unfällen und anderen Notlagen im In- und Ausland kann es auf jede Sekunde ankommen, am Strand, auf der Straße, beim Wandern. Bundesweit ist die 110 die Polizei, bei Rettungsdienst und Feuerwehr - die 112. In Europa kann die 112 in vielen Ländern auch per Handy ohne Vorwahl gewählt werden. Ein Trick bei schlechtem Netzempfang: An abgelegenen Stellen (Gebirge, einsame Badeseen) Handy ausschalten, wieder einschalten und 112 wählen - das Handy sucht sich dann das stärkste Netz. Dank der Björn-Steiger-Stiftung gibt es seit 2006 ein HandyOrtungssystem – zu nutzen nach kostenloser Registrierung. Das Servicecenter in Deutschland hat eine mobile und kostenlose Notrufnummer: 0800 / 66 83 663. Hierbei wird der Standort über das Handy lokalisiert: Helfer finden schneller zum Einsatzort. In der Schweiz ist die Polizei via Festnetz unter 117 zu erreichen, Unfälle unter 144. In Österreich kommt Hilfe unter 133 oder 144. Weitere Ausnahmen im Festnetz: Bulgarien: 150, Italien: 118, Mazedonien: 194, Norwegen: 113, Polen: 999, Serbien: 94, Spanien: 061. Tipp: Machen Sie sich vor dem Urlaub beim Automobilclub über die jeweils gültigen Telefonnummern schlau und speichern Sie diese auf Ihrem Handy. Organspendeausweis Seit Jahren habe ich einen Zettel zwischen den Ausweispapieren und war kürzlich entsetzt über die Meldung, dass es nur 4000 Transplantationen pro Jahr in Deutschland gibt und 12.000 Menschen in Deutschland auf eine Niere, ein Herz oder eine Lunge warten. Jeden Tag sterben drei Deutsche, weil es nicht genug Spender gibt. Der Grund: Immer noch gilt in Deutschland die Zustimmungsregelung. Der Verstorbene oder die Angehörigen müssen zugestimmt haben - durch den Spendenausweis oder den mutmaßlichen Willen des Verstorbenen. Zu hoffen ist, dass die Widerspruchsregelung in Deutschland zügig Wirklichkeit wird: Wenn der Verstorbene zu Lebzeiten nicht widersprochen hat, können Transplantationen erfolgen und die Zahl der vergeblich wartenden Menschen wäre deutlich kleiner - aber nur dann, wenn die Politik mehr Zeichen setzen und mehr Kliniken mitmachen würden. Im internationalen Organspendenvergleich ist Deutschland nur Mittelmaß. Also, liebe Leser dieser Zeilen, besorgen Sie sich (möglichst noch vor Ihrem Urlaub) bei Ihrem Arzt oder Apotheker Ihren Organspendeausweis. Die "Nebenwirkungen": Wenn Ihnen etwas passieren sollte, sorgen Sie dafür, dass ein Mensch oder mehrere Menschen weiter leben können. Osteuropa Sicherheitstechnisch hat Osteuropa eine kritische Infrastruktur. Allerdings sind Ausbildungsniveau bei Rettungsschwimmern (besonders in den Regionen Rijeka und Dubrovnik) 122 und auch die Rettungslogistik in Kroatien und auch in Bulgarien (Schwarzes Meer) verbessert worden. Für Notfälle: Rumänien: Deutsche Botschaft, Bukarest, Tel. (021) 2029830, Polizei: 955 und 112, Unfallrettung/Notarzt: 961 und 112, in den Mobilnetzen: 112. Bulgarien: Deutsche Botschaft, Sofia, Tel.: (02) 918380, Polizei: 166, Unfallrettung/Notarzt: 150. Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht Für viele Menschen, der Verfasser gehört auch dazu, ist es eine grauenhafte Vorstellung, durch einen Unfall oder eine Krankheit nicht mehr über sich selbst entscheiden zu können. Die amerikanische Komapatientin Terri Schiavo konnte sich nicht mehr wehren, sich nicht mehr entscheiden: Ihr Körper und ihre Seele wurden bis zu ihrem Tod zum würdelosen Spielball juristischer und politischer Auseinandersetzungen. Einen Ausweg gibt es aber in "guten Zeiten": Mit einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht kann vorgebeugt werden, denn der Wille des Patienten gilt auch im Notfall. In der Patientenverfügung können Sie schriftlich festhalten, welche medizinische Behandlung Sie im Falle einer schweren Erkrankung oder eines Unfalls wünschen - und welche nicht. Mit einer Vorsorgevollmacht legitimieren Sie eine Person Ihres Vertrauens, Ihre Rechts- und Vermögensangelegenheiten zu klären. Pauschalurlaub Die Terminpläne der Reiseleitungen großer Touristikunternehmen sind heutzutage straff durchorganisiert. Für Sie heißt das: Ihr persönlicher Ansprechpartner ist nur noch zu vorher festgelegten Zeiten im Hotel. Wenn Sie wissen möchten, wie es mit der Sicherheit am Strand vor dem Hotel aussieht, sollten Sie unseren Tipp unter dem Stichwort Begrüßungstreffs beachten oder sich anhand der Informationsmappen im Hotel oder der so genannten Zielgebietsinformationen, die der Veranstalter Ihnen übergibt, schlau machen. Wenn hier keine Informationen zur Strandsicherheit auftauchen, fragen Sie das Hotelpersonal, die Einheimischen oder andere Urlauber nach möglichen Gefahren. Pfützen Es ist unfassbar, aber wir haben Fälle dokumentiert, bei denen Kleinstkinder in Wassertiefen von 10 Zentimetern ertrunken sind oder lebenslange und irreparable Schäden mit der Diagnose Wachkoma erlitten haben. Bitte lassen Sie Ihre Kinder nie aus den Augen. Die gebetsmühlenartige Wiederholung dieses Tipps hat ihre volle Berechtigung. Polen In Polen gibt es vergleichsweise wenige öffentliche Schwimmbäder. Hinzu kommt, dass viele Menschen die Eintrittsgelder nicht aufbringen wollen oder können und lieber in der Oder baden. Was nicht beachtet wird: Die Oder ist zum Baden nicht freigegeben, das Ertrinkungsrisiko ist auch wegen fehlender Bewachung - überaus groß. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Warschau, Tel. 0225841700, Polizei 997 und 112, Unfallrettung/Notarzt:999, in den Mobilnetzen : 112. Portugal Wir haben Strände Costa, Mecco, Sintra, Azenhas, Guincho und an der Linha Lisboa-Cascais (Bereich Lissabon) im August 2005 besucht. Diese waren beflaggt, es waren Rettungsschwimmer und Material vor Ort und es sah "kompetent" aus - bis auf wenige Ausnahmen bei kleinen 123 "Praias". Ebenfalls waren an diesen Stränden auch dreisprachige Warnschilder aufgestellt. Als eines der wenigen Länder in Europa droht Portugal mit Sanktionen bei Missachtung von Badeverboten. Seit 2006 müssen Schwimmer, die sich trotz Verbot ins Wasser begeben, mit einer Strafe rechnen. Wer eine entsprechende Warnung etwa durch eine rote Flagge ignoriert, kann mit einem Bußgeld von bis zu 55 Euro zur Kasse gebeten werden. Auch die Benutzung von Wassersportgeräten außerhalb ausgewiesener Zonen kann bestraft werden. Etwa 20 Regelverstöße an Stränden am Meer und an Flüssen können geahndet werden, darunter fällt auch die Missachtung von Anweisungen des Aufsichtspersonals. Eine rote Fahne bedeutet, dass Baden generell verboten ist. Eine gelbe Fahne weist darauf hin, dass der Aufenthalt im Wasser zwar erlaubt ist, das Schwimmen aber nicht. Eine grüne Flagge signalisiert, dass das Baden und Schwimmen erlaubt ist. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Lissabon, Tel. 218810210, Polizei, Unfallrettung und Notarzt (auch mobil): 112 Promille Zwischen 0,0 und 0,9 Promille liegen die Grenzen in den Ländern Europas. Wenn Sie der Meinung sind, Deutschland sei angesichts der Promillegrenze von 0,5 rigide, lesen Sie besser weiter. 0,00: Kroatien, Rumänien, Slowakei, Tschechien, Ungarn: Warum osteuropäische Länder schärfere Bedingungen haben als westeuropäische? Darüber könnte man philosophieren. Im Polen sind es 0,2 Promille. Darüber hinaus kostet es zumindest auf dem Papier 1200 Euro. Wenn nicht sofort gezahlt wird, wird schon mal das Auto einbehalten. In England kann man bis 7200 Euro zahlen, wenn die Grenze überschritten wird. Am häufigsten liegt die Obergrenze inzwischen bei 0,5 Prozent: Neben Deutschland gilt das für Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Osterreich und für die Niederlande. Reanimation So wenig Medizinisches wie möglich, aber so viel wie nötig: Unter einer Reanimation versteht man das Durchführen von Maßnahmen, die einen Atem- und Kreislaufstillstand beenden sollen. Dabei lassen sich Basismaßnahmen, die im Rahmen der lebensrettenden Sofortmaßnahmen durchgeführt werden, von erweiterten Maßnahmen unterscheiden. Gelegentlich bezieht sich der Begriff auch nur auf die Basismaßnahmen. Basismaßnahmen sind die vom Ersthelfer (sowohl von Laien als auch von professionellen Helfern) durchgeführt werden müssen, umfassen das Erkennen des Kreislaufstillstandes, Absetzen eines Notrufes, Freimachen der Atemwege, Beatmung des Verunglückten und Durchführung einer Herzdruckmassage. Das Ziel dieser Maßnahmen ist die Versorgung lebenswichtiger Organe mit Sauerstoff. Erweiterte Maßnahmen, die von Mitarbeitern des Rettungsdienstes und vom Notarzt und medizinischem Fachpersonal im Krankenhaus durchgeführt werden, haben zum Ziel, den Kreislaufstillstand zu beenden und eine regelmäßige Herzaktion wiederherzustellen. Dabei kommen Medikamente, Intubation, Defibrillator und Herzschrittmacher zum Einsatz. Bei Bewusstlosigkeit, doch normaler Atmung, wird der Betroffene in die stabile Seitenlage gebracht. Besteht keine normale Atmung, muss sofort mit der Herzdruckmassage begonnen werden. Sie besteht keinesfalls darin, Wasser aus Lunge oder Magen "herauszuschütteln". Das bringt nichts und kostet Zeit. Der Helfer macht den Oberkörper des Betroffenen frei, sucht die Mitte des Brustkorbs und 124 drückt mit übereinander gelegten Handballen das Brustbein vier bis fünf Zentimeter tief Richtung Wirbelsäule. Die Frequenz beträgt zirka 100 pro Minute. Nach 30 Druckmassagen folgen zwei Atemspenden. Hierzu wird der Kopf des Betroffenen nach hinten überstreckt. Der Helfer legt den geöffneten Mund über den Mund des Patienten und beatmet diesen, bis sich dessen Brustkorb hebt. Danach folgen wieder 30 Herzdruckmassagen. Bei der Reanimation gilt: zuerst 30mal das Herz massieren und dann zweimal beatmen. 30 Mal soll der Brustkorb komprimiert, dann zwei Mal Luft in die Lungen geblasen werden. Die 30:2-Regel sollte auch dann angewendet werden, wenn zwei Helfer zur Stelle sind. Ausnahme ist den Angaben zufolge die Wiederbelebung von Kindern, bei denen das Verhältnis von Herzdruckmassage zu Beatmung 15:2 lautet. So gut wie sicher ist, dass es bald neue Guidelines zur Reanimation geben wird und bei der Laienreanimation und plötzlichem Herztod die Beatmung ganz entfällt - nicht jedoch beim Ersticken und beim Ertrinken. Regentonnen Beinahertrinken im Gartenteich oder in der Regentonne führen oft zu den häufigsten bleibenden Hirnschädigungen bei Kleinkindern. Dabei könnten manches Mal einfache Sicherungsmaßnahmen helfen, solche Unfälle zu vermeiden. Schauen Sie auch bitte mal unter dem Begriff Gartenteiche nach. Reiseapotheke Manchmal hilft es schon ein wenig, wenn man weiß, dass die Mittel, die der ADAC empfiehlt, im Gepäck sind. Zur Grundausstattung zählen Fieberthermometer, Pinzette, Schere, Wundpflaster, Sonnenschutzcreme, Wund-Desinfektionsmittel, ein Gel gegen Sonnenbrand, Schmerzmittel, Mückenschutz, ein Mittel gegen Insektenstiche sowie Präparate gegen Husten und Erkältung. Langzeit- und Dauererkrankte sollten auf keinen Fall ihre regelmäßig einzunehmenden Medikamente vergessen und zusätzlich für eine getrennt aufbewahrte Reserve sorgen: Im Urlaubsland nicht immer erhältlich, müssen fehlende Arzneimittel unter oft großem Aufwand in Deutschland organisiert und nachgeschickt werden. Reiseführer Die Zeiten der alternativlosen Baedeker für die Ferienreise sind nun endgültig vorbei, und in Internet-Zeiten haben es die Verlage schwer, die nach kurzer Zeit veralteten Broschüren als aktuell zu bezeichnen. Die Lösung für die Zukunft könnte - solange der Mensch seine ausgedruckten Empfehlungen auch gern noch mit in den Urlaub nimmt - diese durch aktuelle Informationen im Internet auszudrucken und mit in das Gepäck zu nehmen. Risikobewertung Kann man sehen, ob Badestrände gefährlich sind? Leider ist das eher ein komplexer Prozess, obwohl es nur drei wesentliche Bereiche für die Sicherheit im Wasser gibt: Die Natur mit ihren Gegebenheiten (aber auch mit ihren Launen), der Mensch mit seinen Verhaltensmustern und seinen Unzulänglichkeiten und das Vorhandensein und die Qualität von Warn- und Rettungssystemen. Rip-Strömungen 125 Rip-Strömungen an den Stränden in Europa sind die gefährlichsten Ursachen für Badeunfälle und für den Ertrinkungstod beim Badespass im Urlaub. Der Grund: Die "unsichtbaren Killer" tauchen urplötzlich, überall und zu jeder Jahreszeit auf. Panikreaktionen sind dann vorprogrammiert. 80 Prozent aller Rettungseinsätze erfolgen wegen Rip-Strömungen. Vor allem werden die Gefahren von Rip-Strömungen durch Kommunen, Hotels und Veranstalter oft "totgeschwiegen" und die ahnungslosen Urlauber an Badestränden Europas viel zu selten über diese Gefahren informiert. Rote Flagge Rote Flagge bedeutet absolutes Bade- und Schwimmverbot. Wenn Sie sich nicht daran halten, riskieren Sie nicht nur Ihren eigenes Leben, sondern bringen auch andere Menschen, die Ihnen helfen wollen, in Lebensgefahr. Übrigens - vielleicht kennen Sie das - ist der Weg in das Wasser bei Badeverbot und roter Flagge für viele Menschen leichter, wenn andere Badende schon im Wasser sind. Dass Sie sich dann sicherer fühlen, ist verständlich. Das Risiko ist dann leider auch nicht geringer. In den meisten Ländern haben Sie, wenn es denn gut ausgeht, nicht mal eine Strafe wegen einer Ordnungswidrigkeit zu befürchten. Eine Ausnahme bilden bisher Frankreich und Portugal, die Verstöße gegen die Baderegeln mit einer Geldstrafe belegen. Schnorcheln "Wahnsinn" schießt es einem durch den Kopf, wenn man - wie es mir vor ein paar Jahren erging den Kopf mit Maske und Schnorchel in einer Bucht auf Bali in das Wasser hält. Soweit zur Faszination. Weniger faszinierend ist es, wenn Schnorchler aus lauter Begeisterung vergessen, den Kopf gelegentlich über Wasser zu halten und ihren Standort zu checken. Jetzt kann es passieren, dass man weit weg ist. Dann ist es schön, wenn jemand da ist - der Partner, ohne den man sich nicht in die Faszination der bunten Fische begeben sollte. Der brauch dich dann nur eine Minute abzuschleppen. Und die Urlaubswelt ist wieder in Ordnung Schweinegrippe Viele Diskussionen und Irritationen gibt es rund um die Impfungen gegen die Schweinegrippe. Das Centrum für Reisemedizin CRM empfiehlt Auslandsreisenden, sich gegen die Schweinegrippe impfen zu lassen - allein schon wegen Menschenansammlungen, vollen Warteräumen an Flughäfen und Gedränge in Bussen und Bahnen. "Da weiterhin viele Infektionen im Ausland erworben werden, halten wir die Impfung insbesondere für Personen mit Risikofaktoren, wie zum Beispiel für chronisch Kranke, für sinnvoll", wird Tomas Jelinek, wissenschaftlicher Leiter des CRM zitiert. Das CRM empfiehlt als Vorsichtsmaßnahme, sich häufig die Hände zu waschen und größere Menschenansammlungen sowie den Kontakt zu Kranken zu meiden. 126 Schwimmbäder Schwimmbäder haben sich in den letzten Jahren verändert. Heute werden statt Lehrschwimmbecken Wasserlandschaften mit möglichst hohem Spaßfaktor angeboten. Der größte Nachteil für die Badesicherheit ist, dass das Schwimmen lernen immer weniger möglich ist und die Anlagen unübersichtlicher geworden sind. Der Vorteil: Sie sind (im Gegensatz zu fast allen Badeseen) in Deutschland immer bewacht sind. Es gibt schnelle Verfügbarkeit von Erster Hilfe. Umso unverständlicher ist es, dass in den letzten Jahren häufig Unfälle, auch tödliche, in Schwimmbädern passieren. Grund für dieses negative Entwicklung ist neben der Unübersichlichkeit der Bäder und der Überforderung de ausgedünnten Personals die anachronistisch anmutende technische Ausstattung. Jeder Mittelklassewagen ist sicherheitstechnisch heutzutage besser ausgestattet als ein öffentliches Schwimmbad. Wichtig ist, dass Probleme der Badegäste im Wasser ohne zeitliche Verzögerung erkannt werden und das das Aufsichtspersonal durch technische Möglichkeiten (Sensoren, Kameras unter Wasser) unterstützt und sofort alarmiert wird. Schwimmflügel Achten Sie bei Schwimmflügeln unbedingt darauf, dass diese vom TÜV positiv bewertet wurden. Manchmal sind die Sicherheitsflügel aber überhaupt nicht gern gesehen. Auf Norderney sind Schwimmflügel verboten. Begründung: Kinder würden sich mit den Flügeln zu sicher fühlen und sich damit in Gefahr begeben. Wenn man die Begründung auf das Autofahren übertragen würde, müssten etwa Kindersitze und Sicherheitsgurte verboten werden, weil sie zu riskanterem Fahren verleiten könnten. Das verantwortliche Verhalten von Eltern wird durch derartige Regelungen ad absurdum geführt. 127 Jochen Börner Alles, was bleibt… Viele Jahre sind vergangen. Schlimme Ereignisse droht man zu verdrängen und zu vergessen. Ich gebe das wieder, woran ich mich erinnern kann, auch wenn das eine oder andere eventuell nicht zeitlich chronologisch aufgeschrieben ist. Es fing mit einem schweren nächtlichen Gewitter im Sommer 1993 an, gewissermaßen als Vorbote eines Unheils, welches sich rund ein Jahr später ereignen sollte. Es gibt Gewitter, die sind besonders ausgeprägt und beeindruckend stark und genau ein solches "Weltuntergangsgewitter", wo tatsächlich zu jeder Sekunde ein starker Blitz herniederfuhr, kam unmittelbar auf uns zu. Ich verspürte ein beängstigt beklemmendes Gefühl, als das Unwetter auf uns zukam. So muss der Weltuntergang aussehen, dachte ich. Es stürmte und blitzte unaufhörlich. Die Wolken, die durch das ständig aufleuchtende Blitzen deutlich zu sehen waren, schienen dunkler als die Nacht selbst zu sein. Ein bedrohliches Szenario. Sicher, ich habe schon viele Gewitter erlebt und gesehen, aber nie etwas dergleichen. Ich verzog mich ins Haus und das Unwetter zog heftig tobend über uns hinweg. Im Nachhinein erscheint es mir so, als wäre dieses Gewitter von damals ein teuflischer, persönlicher Vorbote für mich gewesen, für eine schreckliche Zeit, die noch geschehen sollte. Am nächsten Morgen fand ich völlig überraschend in unserem Garten eine Schildkröte sitzen, die uns ganz sicher, bedingt durch dieses nächtliche Gewitter zugelaufen war. Bis heute weiß ich nicht, woher sie kam oder wem sie gehörte. Sie saß im Garten und sie war da. Ich freute mich über diesen exotisch anmutenden Gast und kaufte mir sogleich ein Buch über Schildkröten, um mehr zu erfahren. Daraus erfuhr ich dann, dass es sich um eine Rotwangenschildkröte und somit um eine Wasserschildkröte handelte, die sich zu mir verirrt hatte. Sie war der Ansporn, dass ich einen Gartenteich baute, in dem sie sich wohl fühlen sollte. Bereits seit längerer Zeit hatte ich das "Projekt Gartenteich" im Kopf, hätte es aber wahrscheinlich nicht so schnell realisiert, wenn eben nicht diese Schildkröte aufgetaucht wäre. Ich baute ihr, im Garten, ein etwa 2 Meter auf 3 Meter und etwa 1,50 Meter tiefes Becken. Drumherum montierte ich einen 1,80 Meter hohen Sicherheitszaun und eine Eingangstür zum Gartenteichgelände mit gleich zwei Schlössern. Damit sich keiner so leicht Eintritt verschaffen konnte. Und schon gar nicht Kinder. Ich hoffte damit, die Sicherheit erheblich zu erhöhen. Schließlich wurde der Teich fertig gestellt und wir hatten vorerst viel Freude daran. Es hätte eigentlich ein schöner Tag werden können, jener 11. September 1994. Es war ein Sonntag und die Sonne schien am wolkenlosen Himmel. Ein Igel lief quer über den Hof und kletterte in einen Schutthaufen aus lockeren Steinen. Ich befürchtete, dass er dort sein 128 Winterquartier aufschlagen wollte. Die Steine jedoch sollten sehr bald dort verschwinden. Außerdem schwebte er in akuter Gefahr, sich dort zu verklemmen. Ich sah mir das Ganze an, zusammen mit meiner Tochter Jasmin und meinem Sohn Philip, der zu dieser Zeit 19 Monate alt war und schon recht fix auf seinen Beinen laufen konnte. Ich beschloss, den Igel aus den Steinhaufen herauszuholen, um ihn im Feld laufen zu lassen. Da ich jedoch befürchtete, dass er sich in meiner Hand verbeißen könnte, kam mir der Gedanke, ihn mit einem Netz zu fangen und ihn aus dem Schutthaufen heraus zu ziehen. Ich ging dazu zum Gartenteich, musste vorher die Türen zum Eingangsbereich entriegeln, die ja mit 2 Schlössern zur Sicherheit verriegelt war. Da der Igel drohte, sich innerhalb des Schuttberges weiter zurück zu ziehen, musste ich mich sehr beeilen. Da passierte mir ein ganz schlimmer und folgenschwerer Fehler, der mein Leben massiv verändern sollte. Anstatt mir die Zeit zu nehmen, beide Schlösser, nachdem ich das Netz hatte, ordnungsgemäß abzuschließen, um den Gartenteichbereich zu verriegeln, war ich so sehr in Eile und in Gedanken bei dem Igel, dass ich die Tür lediglich zudrückte und eilig zum Igel zurück rannte. Weder ich noch meine damals 7-jährige Tochter, Philips Schwester, die sich auch im Hof aufhielt, bekamen mit, wie sich Philip völlig unbemerkt Eintritt zum Gartenteich verschaffte, indem er offensichtlich die Tür aufdrückte. Was dann genau geschah, entzieht sich unserer Kenntnis. Wahrscheinlich ging Philip wohl zum Rand des Teiches .... Möglicherweise hat er einen Goldfisch gesehen, sich vornüber gebeugt .... Gleichgewicht verloren .... Jedenfalls ist er hineingestürzt, womöglich gar kopfüber. Es war nichts zu hören, kein Schrei, kein platschendes Wasser, nichts. Mir gelang es, den Igel zu fangen und ihn in eine Kiste zu setzen, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt im Feld wieder freizulassen, damit er sich ein besseres Winterquartier sucht. Es war Mittagszeit und ich ging ins Haus hinein, um mir eine Pizza in den Ofen zu schieben. Nicht ahnend, dass mein Sohn bereits um sein Leben kämpfte. Birgit, Philips Mutter, machte Philips Mittags-Trinkflasche fertig, die er gewöhnlich zu dieser Zeit bekam und ging hinaus, um sie ihm zu geben, während ich mich ins Wohnzimmer hineinsetzte und den Fernseher anschaltete. Es war wohl bis zum damaligen Zeitpunkt der letzte sorglose Moment, den ich bis zum heutigen Tag hatte. Ich weiß nicht mehr, was im Fernseher lief, als ich ein für mich völlig unerklärliches Schreien hörte. Im ersten Augenblick dachte ich, das kommt vom Fernseher, doch das, was dort lief - da passte kein Schreien hin. Irgend etwas umfasste mein Herz wie eine Stahlklammer, als ich den Fernsehton stumm schaltete, aber das unwirkliche Schreien blieb. Es war wie in einem schlimmen Traum, irgendwie wirkte alles zähflüssig, verschwommen und unwirklich - es musste etwas ganz Schreckliches passiert sein. Mit diesem Gedanken sprang ich von der Couch im Wohnzimmer auf und eilte zur Eingangstür. Ich riss sie auf und sah Birgit mit einem kleinen wassertropfenden, bewegungslosen Körper in den Armen. 129 Ich hatte keine Zeit mehr zum Erschrecken, ich rannte zu Birgit und entriss ihr geradezu den leblosen Philip aus ihren Armen. Ich legte ihn auf den Boden und drückte mit beiden Händen kräftig auf seinen kleinen Brustkorb. Wasser ergoss sich in Strömen aus Mund und Nase. Ich hob ihn auf und eilte zu dem kleinen Vorraum im Eingangsbereich des Hauses. Dort legte ich ihn wieder hin und kämpfte darum, dass er zu sich kam. Unglaublich viel Wasser konnte ich aus ihm herauspressen, seine beiden blauen Augen waren geöffnet, aber er atmete nicht, reagierte nicht, sein Herz schlug nicht mehr. Birgit stand fassungslos an der Tür, ebenso Jasmin, Philips Schwester, die mit 7 Jahren das ganze schreckliche Szenario mitbekam. Ich rief Birgit zu, sofort den Notarzt zu rufen. "Welche Nummer?" fragte sie zurück. Mir fiel in dieser Notsituation nur die 110 ein (erst später wurde mir bewusst, dass man lieber die 112 hätte wählen sollen) und Birgit rief eiligst dort an, während ich weiterhin unentwegt versuchte, Philip zu retten. "Verdammt" dachte ich, das sieht wirklich nicht gut aus. Seltsamerweise dachte ich daran, welche Vorhaltungen ich zu hören bekommen würde, vor allen Dingen von meinen Eltern, die mich stets vor dem Bau des Gartenteiches gewarnt haben. Während Birgit am Telefon mit der Polizei sprach und so schnell wie möglich einen Notarztwagen mit einem Notarzt anforderte, versuchte ich alles, um Philip wieder ins Leben zurückzuholen. Birgit wurde von den Beamten gebremst, der die Situation einfach nicht verstehen wollte, oder den Ernst nicht begriff. Der Beamte am Telefon wollte Birgit beruhigen und sie solle alles erst mal ganz langsam und von vorn erzählen, was überhaupt passiert ist. Bevor der Beamte den Ernst der Situation begriff, vergingen wertvolle Minuten. Philip reagierte auf nichts, was ich tat, und spätestens in diesem Moment wusste ich, dass er nicht mehr unter uns ist. Sein Blick mit seinen geöffneten hellen blauen Augen, ... sie sahen noch so lebendig aus. Was mögen sie gesehen haben? Mir war auf einen Schlag klar, dass mein Leben, so wie es bisher war, vorbei war. Egal wie das hier nun ausging, nichts mehr würde so sein, wie es vorher war. Anstatt des Notarztwagens kam die Polizei herbei mit zwei Beamten. Sie sahen mich auf Knien bei meinem Sohn im Vorraum, dem ich noch immer zu helfen versuchte. Sie schauten sich unschlüssig an, sahen mich um meinen Sohn kämpfen, aber reagierten unsicher und manchmal gar teilnahmslos. Was hätten sie auch tun sollen? Während ich um Philip kämpfte, schauten sie sich währenddessen den "Tatort" Gartenteich an, um den Unfallhergang zu rekonstruieren. Ich hörte, wie die beiden miteinander redeten, ob mir eine Anzeige droht, ob man mich anklagen kann. Oder ob ich so nicht schon genug bestraft sei. Das alles bekam ich mit, während ich Philip fest an mich drückte und die beiden aufforderte, ob es vielleicht mal möglich wäre, nachzufragen, wo der Notarzt bleibt. Einer der Beamten holte sein Funkgerät, bekam aber keine zufrieden stellende Antwort. Nach etwa fünf weiteren unendlich langen Minuten war immer noch kein Notarzt da. Ich forderte die Beamten nochmals auf, nachzufragen. Anscheinend kamen sie nicht auf den Gedanken, von selbst mal nachzufragen. Möglicherweise dachten sie, dass da nichts mehr zu machen ist und die Mühe nicht mehr lohnt? Krankenwagen sei unterwegs, bekam ich zu hören. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob die Beamten die ganze Zeit über da blieben oder gingen. Tatsache ist, dass zwar ein 130 Krankenwagen kam, allerdings ohne den ausdrücklich angeforderten Notarzt - lediglich mit zwei jungen Rettungssanitätern besetzt. Philip kam in den Krankenwagen und die Rettungssanitäter versuchten wirklich ihr Bestes. Vom Unglück bis zum Eintreffen des Rettungssanitäters vergingen knappe 30 Minuten. 30 Minuten ohne Herzschlag und Atmung. Etwa 10 Minuten später traf endlich eine Notärztin von der Frankfurt Höchster Klinik ein. Als ich sah, dass sich endlich alle um Philip bemühten und die Ärztin eintraf, als ich sah, dass die Nachbarn neugierig am Zaun hingen, das Geschehen verfolgten und Schaulustige dazukamen, verließ ich den Krankenwagen. Ich konnte nichts mehr für ihn tun, er war nun in besseren Händen. Nun lag es tatsächlich in Gottes Händen, ich rechnete nicht mehr damit, dass Philip wieder leben würde. Ich zog mich alleine zurück ins Haus, ins Wohnzimmer, auf die Couch, wo im Fernsehen eine Tierfilmdokumentation lief. Die Pizza stand unberührt vor mir. Ich sah die Dokumentation wie in Trance und draußen auf der Straße, die vom Krankenwagen völlig blockiert war, kämpften nun Andere um Philips Leben. Ich erwartete, dass gleich jemand rein kam und mir sagte: Es tut uns leid, aber ihr Sohn ... wir taten alles, doch ... Nach einer Weile stürzte Birgit hinein und sagte das völlig Unfassbare, "Er lebt"! ... Wie ich später erfuhr, war ein erfahrener Notarzt in der direkten Nähe gewesen und bekam mit, dass da wohl ein Einsatz war, sah jedoch den Krankenwagen stehen und dachte fälschlicherweise, das die Situation unter Kontrolle sei. Ebenso erfuhr ich später, dass die Notärztin den Weg zum Einsatzort nicht fand und umständlich über die Polizei erst geführt worden ist. Eine Kette von unglücklichen Dingen, die nicht abreißen wollte, hing wie eine Glocke über uns. Es ist nicht so, dass Kelsterbach fernab von großen Städten liegen würde, in 20 Kilometern ist man in Frankfurt, Mainz, Wiesbaden. Es war Sonntag, kaum Verkehr auf den Straßen, eigentlich allerbeste Bedingungen für einen Rettungseinsatz, sollte man denken. Trotzdem passierte es, dass erst rund 40 Minuten nach dem Anruf eine ausgebildete Notärztin bei Philip war, die ihn nach etwa 10 Minuten intensiver Herzdruckmassage tatsächlich wieder zum Leben erwecken konnte. Philip wurde mit Blaulicht in die Klinik gefahren. Birgit hatte zwischenzeitlich bei Gemeindemitgliedern der Petrus-Gemeinde Kelsterbach Beistand gesucht, die sofort kamen und uns im privaten PKW zur Frankfurt-Höchster Klinik mitgenommen haben. Dort angekommen, wurde Philip aus dem Krankenwagen in einer Trage liegend heraus transportiert. Zwei zufällig dort vorbeikommende Leute blieben mit der Bemerkung "Der ist ja noch so klein" betroffen stehen. Philip wurde sofort zur Intensivstation gebracht. Die beiden Gemeindemitglieder fragten, ob sie uns noch helfen könnten. Dann ließen sie uns allein. Wir saßen da und warteten. Insgeheim hatte ich tatsächlich die naive Hoffnung, Philip wird wach, bleibt noch ein oder zwei Tage zur Beobachtung, dann können wir ihn mitnehmen und die Sache 131 wäre zwar schrecklich, aber es hätte ein gutes Ende gehabt. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir da saßen, bis da endlich ein Arzt zu uns kam und seinen Bericht erstattete, der dann das tatsächliche Ausmaß der Katastrophe so langsam erahnen ließ. Das Philip tatsächlich noch lebte, lag womöglich an seiner massiven Unterkühlung, die er hatte. Sie haben 18 Grad bei ihm gemessen, was in diesem Zusammenhang sein Glück war. Wäre das Unglück im Sommer passiert, wäre das Wasser wärmer gewesen, hätte er es sehr wahrscheinlich nicht mehr geschafft. Außerdem diagnostizierte man einen Herzhinterwandinfarkt mit kompletter Lähmung der rechten Körperhälfte. Man hat ihn nun in ein künstliches Koma gelegt und man wartet nun die nächsten drei Tage ab. Wenn das Gehirn anschwellen würde, wäre sein Leben akut gefährdet worden. In den darauf folgenden Tagen geht es weiterhin um sein Leben. Nach einer Woche wollte man das künstliche Koma beenden und hoffen, dass er zu sich kommt. Garantieren kann man das leider nicht, aber die Möglichkeit besteht. Da durch den langen Sauerstoffmangel im Gehirn sicher Schäden aufgetreten sind, bleibt abzuwarten, wie sich das auswirkt. Spätestens in diesem Moment ist in mir die Hoffnung zerrissen, das alles schnell wieder gut wird. Hier endet vorerst die Geschichte von Philip. Es würde den zuträglichen Rahmen sprengen, die ganze Geschichte nach dem Unfall zu erzählen. Die Geschichte wird jedoch im Internet auf Philips Homepage aktualisiert und erweitert. Einsehbar ist die Lebensgeschichte auf Philips Homepage im Internet unter www.widesky.de unter der Rubrik "Philips schwerer Weg". 132 Claudia Neumann Lebenslänglich Tom ertrank am 11. Juli 2005, einem heißen Sommertag, unbemerkt in einem beaufsichtigten Schwimmkursus für das Silberabzeichen der Stadtbad GmbH Braunschweig. Bis zu diesem Zeitpunkt war unser Sohn ein gesundes, freigeschwommenes Kind im Alter von sieben Jahren. Bis zum Unfallzeitpunkt hatte er mit zwei jüngeren Brüdern eine völlig normale Entwicklung und behütete Kindheit erlebt. An diesem Tag wurde Tom gemeinsam mit seinem Bruder Malte, damals 6 Jahre alt, von mir zum Schwimmkursus gebracht. Der jüngste Bruder Nick, 3 Jahre alt, blieb bei mir außerhalb der Schwimmhalle wartend. Es war ja ein Kurs „ohne Elternbeteiligung“. Um 16.02 Uhr habe ich Tom das letzte Mal hinter der Scheibe zugewinkt. Um 16.11 Uhr brach die gesamte Welt für unsere Familie zusammen. In dem durch Kette getrennten separaten Beckenteil wurde Toms leblos unter Wasser treibender Körper von einem unbeteiligten, tauchenden Badegast entdeckt und geborgen. Der Schwimmlehrer war zu diesem Zeitpunkt durch eine Unterhaltung abgelenkt. Erschwerend kam hinzu, das sich unerlaubter Weise zwei Schwimmkurse in dem Bereich überschnitten und es zur „Verwechslung“ tauchender Schwimmschüler kam. Man rief mich in die Schwimmhalle, wo Tom bereits am Beckenrand manuell reanimiert wurde. Malte traf ich schreiend, weinend und unbeaufsichtigt im Badebetrieb vor. Der Schwimmlehrer lief mir entgegen und bugsierte mich gegen meinen Willen in den Außenbereich des Stadtbades. Ich sah hinter der Scheibe dem Chaos zu. Der Notarzt traf erst 20 Minuten später ein und defibrillierte Tom mehrfach. Während dieser Zeit wurde das Becken nicht geräumt. Kinder standen daneben und schauten zu. Diesen Anblick werde ich nie in meinem Leben vergessen. Alle beteiligten Aufsicht führenden Personen der Stadtbad GmbH sahen sich trotz entsprechender Ausbildung nicht in der Lage, das bereitgestellte Gerät zu bedienen, weil die notwendige Isomatte fehlte. Somit vergrößerte sich Toms Sauerstoffunterversorgung zusätzlich. Danach begann für unser Kind ein monatelanger, entsetzlich qualvoller Leidensweg auf den Intensivstationen in Braunschweig und Brandenburg. Tom Zustand wechselte von Koma, lebensbedrohlichen Vitalentgleisungen , Streckspastiken und endlosen Schreiattacken. Wir Eltern, die Großeltern und die jüngeren Brüder und auch die Ärzte und das Pflegepersonal saßen oft hilflos und abwartend daneben. 133 Wir beschäftigten uns auch mit moralischen Grenzen in der lebenserhaltenden Medizin und damit, was man einem Menschen wohl wie lange „antun kann“. Tom wollte leben. Seine Willenstärke hat unsere Zweifel vertrieben. Die rechtliche Seite von diesem Unfall stellt für uns bis heute eine bisweilen kaum erträgliche Belastung dar. Glücklicherweise werden wir von unseren Anwälten hervorragend unterstützt. Im Nachgang vieler Ermittlungen sprach das Landgericht Braunschweig im Februar 2009 Tom aufgrund von Organisationsverschulden und Verletzung der Aufsichtpflicht den vollen Haftungsanspruch zu. Dagegen hat die Stadtbad GmbH nun noch Berufung eingelegt. Die sehr zögerlichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Braunschweig wurden mehrfach eingestellt, aufgenommen und laufen immer noch an. Die Geschäftsführung der Stadtbad GmbH hat bis heute kaum etwas an bestehenden Verhältnissen geändert. So unterrichtet der unzureichend ausgebildete Schwimmtrainer trotz des laufenden Verfahrens und der Verurteilung bis heute Kinder im Schwimmen, gleichzeitig tritt er als Werbeträger mit Foto für Schwimmkurse im Internet auf. Wir als Eltern haben mehrfach mit unseren Anwälten versucht, im Interesse der Badesicherheit der Kinder und vertrauensvollen Eltern auf diese für uns unhaltbare Situation aufmerksam zu machen. Bis heute wurden wir an entsprechenden verantwortlichen Stellen abgewiesen. Erst im Frühjahr 2006 hatte sich sein Leben und Dasein soweit stabilisiert, dass er mit mir wieder nach Hause konnte. Während der ganzen Zeit in den Kliniken war das gesamte Familienleben, vor allem für die kleinen Brüder schwer belastet. Heute ist unser Sohn ein fröhliches stabiles Kind. Toms Behinderungen werden lebenslänglich bleiben. Er ist erblindet, trägt eine Baclofenpumpe zur Spastikreduzierung, die Sprachproduktion ist zögerlich und er wird immer auf maximale Hilfestellung angewiesen sein. Dennoch besucht Tom eine Körperbehindertenschule, in der er sehr liebevoll von Pädagogen, Therapeuten und von seinem Schulbegleiter betreut wird. Dank vieler spendenwilliger Menschen konnte Tom sogar mehrere erfolgreiche Delphintherapien auf Curacao machen. Unsere Hoffnung ist, dass Toms Zukunft über einen entsprechenden Schadensausgleich beim Oberlandesgericht geregelt wird. Eines Tages werden wir vielleicht Tom nicht mehr behüten können und wünschen uns, dass seine Brüder dies in einem angemessenen finanziellen Rahmen weiter tun können. Tom hat uns durch seinen Unfall viele neue Dinge im Leben kennen lernen lassen, Schlechtes und Gutes. Sein Lächeln und lautes Lachen lassen uns weitermachen. 134 Hans Heinrich Tietje Der schönste Sommer meines Lebens Bis vor einem Jahr war ich beruflich noch voll eingespannt als Geschäftsführer einer kleinen GmbH, die Sanitärprodukte verkauft. Aufgrund der permanenten Überforderung in diesem Beruf und wegen meines Alkoholproblems bin ich vor einem Jahr in den Vorruhestand gegangen. Und das war sicherlich das Beste, was ich tun konnte. Endlich hatte ich mehr Zeit mich, meinen Hobbys zu widmen und konnte endlich mein Alkoholproblem besiegen. Besonders geholfen hat mir in dieser schweren Situation mein Bernhardiner Alfred. Meine Angehörigen und Freunde haben sich bereits vor über zehn Jahren von mir abgewandt aufgrund meines Alkoholismus. Als ich dann in den Vorruhestand ging, habe ich mir auf Anraten meines Psychologen den Alfred angeschafft. Der Hund ist bekanntlich ein guter Freund des Menschen und über Hunde lernt man schnell andere Hundebesitzer kennen. Mit dem Alfred verbrachte ich einen richtig schönen Sommer. Endlich gab es einen Grund, abends nicht bis in die Puppen zu saufen und an einer Straßenecke zu versacken, denn ich musste ja immer pünktlich um 7 Uhr mit dem Alfred in den Park. Einen so großen Hund habe ich auch extra deswegen gewählt, weil der viel Bewegung braucht und ich dann gar keine Gelegenheit mehr habe zum Saufen. Mein Glück nahm vorerst kein Ende, denn über den Alfred lernte ich auch noch eine nette und charmante Frau kennen, die ebenfalls viel mit ihrem Hund im Park unterwegs war. Ihr Hund war allerdings schon älter und musste viel an die frische Luft, da sein Verdauungstrakt bereits leicht beschädigt war und das auf Dauer in der Wohnung nicht so gut kam. Der letzte Sommer war der schönste meines Lebens. Anfang Januar, als es immer so stark gefroren hat, war ich mit dem Alfred extra mit dem Zug raus in die Natur gefahren, denn so als Vorzeitruheständler habe ich ja Zeit und fit bin ich jetzt ja auch jeden Morgen. Wir kamen dann auch an einem See vorbei, der mit einer Eisdecke und himmlischem Schnee bedeckt war. Leider befand sich auch eine Gruppe von Enten auf dem See, die dem Alfred provozierend zuschnatterten. Bernhardiner gelten ja grundsätzlich als äußerst gutmütig, können jedoch in Extremfällen durch Kleinigkeiten derart in Rage geraten, dass sie praktisch ihren Verstand nicht mehr benutzen. So kam es auch mit dem Alfred und das war sein Ende. Während die Enten ja extrem leicht waren und zudem noch gut schwimmen können, brach Alfred bereits in das Eis ein, bevor er die Enten mit seinen Hechtsprüngen erreicht hatte. Ich schrie um Hilfe, doch in der kargen Landschaft konnte mich keiner hören. Ich selber kann leider auch nicht schwimmen und mir wurde auch immer geraten, dass man niemals einem Hund hinterher springen soll, wenn der im Eis versackt. Ich kam mit dieser Situation nicht mehr klar, der Alfred unter dem Eis und ich am Rand, mir wurde vor Stress schwarz vor Augen und ich verlor das Bewusstsein. Zum Glück hat mich ein Spaziergänger anderthalb Stunden später gefunden und einen Krankenwagen gerufen, so dass ich mit einer Unterkühlung und einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Heute bin ich froh darüber, ins Krankenhaus gebracht worden 135 zu sein, auch wenn ich fast erfroren wäre, denn sonst hätte ich bestimmt wieder zur Flasche gegriffen. Ich wurde noch zwei Wochen im Krankenhaus wegen meines Nervenzusammenbruchs betreut und dann wieder in die ambulante Therapie bei meinem Psychologen entlassen. Den Alfred habe ich auf dem örtlichen Tierfriedhof beerdigt. Nachdem es etwas getaut hatte, konnte ein Landwirt seinen Leichnam aus dem See bergen und er wurde überführt. Der Verlust löst immer noch starke Schmerzen in meinem Innersten aus. Dieses Wesen, wenn es auch nur ein Hund war, hatte mir endlich geholfen, vom Alkohol weg zu kommen und mir den schönsten Sommer meines Lebens beschert. Jeden Tag besuche ich sein Grab und danke ihm. 136 Tipps von „Senioren“ bis „Zehn Irrtümer“ Senioren Seniorenurlaub im Ausland wird von Jahr zu Jahr populärer. Allerdings steigen mit der zunehmenden Mobilität älterer Menschen auch die Gefahren, wenn etwa an den Strandabschnitten Maspalomas und Playa del Inglés auf Gran Canaria für die meist älteren nicht ein einziger Defibrillator zur lebensrettenden Schockbehandlung zur Verfügung ist. Senioren tun gut daran, nicht nur beim Schwimmen ihre körperlichen Einschränkungen zu respektieren. Den Ertrinkungsstatistiken ist abzulesen, dass die Zahl der Ertrinkungsopfer besonders in den europäischen Urlaubsländern - in den letzten Jahren in der Altersgruppe zwischen 50 und 70 Jahren deutlich angestiegen ist. Die Gründe liegen neben der seit Jahren ansteigenden Mobilität auch in der oft eingeschränkten körperlichen Konstitution älterer Menschen, im fehlenden Gefahrenbewusstsein von Seniorinnen und Senioren. Aufklärung, das Bewusstsein für die Gefahren, Schwimmunterricht und der Umgang mit dem Element Wasser liegen eben oft weit zurück. Nach einer Studie können nur 44 Prozent der über 60-Jährigen schwimmen. Sex Der beste Schutz vor Aids und Geschlechtskrankheiten ist Enthaltsamkeit. Das ist zwar eine Plattitüde, Wichtiger ist die Erkenntnis, dass sexuelle Enthaltsamkeit ähnlichen Gesetzen folgt wie das Fasten: Ist der Wille nicht stark genug, führt der Hunger zur unkontrollierten Nahrungsaufnahme. Auch beim Thema Aids wollen wir den Teufel nicht an die Wand malen, aber wenn Sie sich mögliche Folgen nicht vorher klar machen und Sex ohne Kondom außerhalb Ihrer festen Partnerschaft haben, handeln Sie verantwortungslos- und rücksichtslos und riskant. Übrigens: Außerhalb Europas gibt es Kondome jedoch nicht immer in der gewohnten Qualität. Ein Vorrat schützt vor einem "geplatzten" Date. Gonorrhoe steht nach Diarrhoe, Malaria, akuten fieberhaften Atemwegsinfektionen und Hepatitis A an fünfter Stelle der Gesundheitsprobleme bei Reisen in Entwicklungsländer. Bezeichnend für die meisten Geschlechtskrankheiten ist, dass sie auch durch scheinbar gesunde Personen übertragen werden. Viele Infizierte lassen keine Krankheitssymptome erkennen. Trotzdem besteht ein hohes Ansteckungsrisiko. Oft wissen Betroffene selbst nicht, dass sie eine Geschlechtskrankheit übertragen können. Zudem sind Aids und andere sexuell übertragbare Krankheiten wie Gonorrhoe, Hepatitis B und Syphilis in vielen Ländern außerhalb Europas erheblich stärker verbreitet als bei uns. Sichere Länder Welche Länder sind am sichersten? Die Antwort gibt das Unternehmen Control Risks mit der Studie "Risk Map". Alle Länder wurden weltweit in 5 Risikostufen eingeteilt: unerheblich, niedrig, mittel, hoch und extrem. Das Sicherheitsrisiko wird ermittelt aus der Zahl der Diebstähle und anderer Kleinkriminalität, Überfällen, aber auch Entführungen und bewaffneten Übergriffen sowie Sachbeschädigung oder Betrug. Wenn Sie auf der sicheren Seite sein wollen, sollten Sie nach Skandinavien fahren. Dänemark, Norwegen, Finnland und Island sind laut der Studie die sichersten Länder weltweit. Aber auch die übrigen Teile Europas können relativ bedenkenlos bereist werden - mit Ausnahme von Sizilien und Teilen Süditaliens, dem Baskenland, dem Kosovo, Teilen Albaniens und Mazedoniens sowie 137 Thessaloniki und Athen. Diese Regionen wurden mit einem mittleren Risiko bewertet. Als gefährlichstes Land der Welt gilt Somalia mit der Risikostufe "extrem" für nahezu das gesamte Land. Dies bedeutet, Recht und Gesetz sind außer Kraft, es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände. Auch in Teilen der Staaten Kongo und Tschad sowie große Teile des Sudans wurden die Sicherheitsrisiken für Ausländer als "extrem" eingestuft. Außerhalb des afrikanischen Kontinents ist das Risiko nur in den Ländern Irak und Afghanistan "extrem". In den klassischen nordafrikanischen Reiseländern Marokko, Tunesien und Ägypten dagegen können geschäftlich und privat Reisende auch 2010 mit einem niedrigen Risiko rechnen. Aber auch in tropischeren Regionen des Kontinents gibt es sichere Reiseziele wie den Senegal an der Westküste Afrikas. Sichere Strände Fehlanzeige: sichere Strände gibt es nicht, aber Strandabschnitte mit begrenztem Risiko, weil die Bedingungen hinsichtlich Strandbeschaffenheit, Zugang zum Wasser, Strömungen, Wind und Wetter sowie Bewachungssituation und Rettungsdienste zufrieden stellend, gut und vereinzelt sogar sehr gut sind. Übrigens: Weil Baden und Schwimmen nie gefahrlos sind, werden Gemeinden mit professionell gesicherten Strandabschnitten auch nur selten mit diesem Attribut werben -und das ist vielleicht auch ganz gut so. Sonst würden etliche Urlauber noch leichtsinniger werden... Sicherheitsgefühl "Was lässt uns", schreibt die Frankfurter Reisejournalistin Claudia Diemar, "mit überhöhter Geschwindigkeit in Nebelbänke rasen, die Warnschilder für Wohnwagengespanne im windgebeutelten Süden Frankreichs missachten, in riskanten Situationen überholen? Fern dem Alltag glauben wir uns mit magischen Kräften behaftet. Wir haben Sehnsucht nach Intensität. Der schnelle Wechsel in anderes Klima, andere Landschaften lässt uns wie Helden eines Films sein. Wir wollen die Elemente spüren: die Hitze, die Kühle des Meeres, die Luft der Gipfel. Wir wollen Grenzen ausloten. Warum sonst radeln biedere Beamte durch die Sahara, durchqueren Durchschnittsbürger das Packeis, wollen Angestellte auf Achttausender? Je mehr wir uns spüren, desto näher scheinen wir der Unsterblichkeit.“ Und Karl Born von der Fachhochschule Harz in Wernigerode antwortet auf die nach dem 11. September 2001 gestellte Frage, warum man reist, wenn denn alles so gefährlich sei? "Weil wir einerseits denken, dass uns selbst nichts geschieht, und andererseits fatalistisch denken: wenn es passieren soll, kann es überall passieren". Sonnenbrand und Hautkrebs "Ihr müsst euch eincremen!" warnten mich meine Eltern in den 50er Jahren auf Norderney. Wenn ich es auf die leichte Schulter nahm, waren die vorstellbaren Folgen auf rote Haut und schlimmstenfalls Sonnenstich mit Fieber beschränkt. Wir wussten es damals nicht besser. Urlaubsbräune ist in Europa immer noch ein Synonym für Wohlbefinden. Heute aber haben wir zum Glück ein Gefahrenbewusstsein. Sonne ist der schlimmste Feind unserer Haut, die uns im Sommerurlaub täglich mit Strahlen bombardiert. Diese Strahlen fördern nachweislich das frühzeitige Altern und die Krebsentstehung. Statistiken belegen, dass jeder sechste von uns Hautkrebs bekommt und dass in neunzig Prozent der Fälle dieser Hautkrebs eine direkte Folge von UV-Bestrahlung durch die Sonne ist. Tatsächlich erhöht ein schwerer Sonnenbrand vor dem 18. Lebensjahr dramatisch das Hautkrebsrisiko. Ein Sonnenbrand - gerötete und brennende Haut - verschwindet nach wenigen Tagen wieder. Aber die Haut vergisst nicht. Die Erbsubstanz der Haut hat ein Gedächtnis. Je 138 mehr Sonnenbrände sich ansammeln, desto mehr steigt das Risiko, dass sich später im Lauf des Lebens ein Hautkrebs entwickelt. Wiederholte Sonnenbrände in den ersten 20 Lebensjahren erhöhen das Hautkrebsrisiko markant. Die Hautkrebsrate steigt jedes Jahr um 7 Prozent. Also: Ihr müsst Euch eincremen! Und - je nach Hauttyp, Haarfarbe und dem zusätzlichen Risikofaktor Sommersprossen - nach 5 bis 40 Minuten raus aus der Sonne! Spanien Nirgendwo in Europa ertrinken so viele Menschen wie im Urlaubsland Spanien - nach Recherchen der Organisation Blausand.de in jedem Jahr zwischen 2000 und 3000 Menschen. Riskant sind vor allem Strandabschnitte auf den Kanarischen Inseln und an den Festlandstränden, aber auch auf den Balearen. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Madrid, Tel. 915579000, Polizeinotruf (auch mobil) 112, Unfallrettung / Notarzt 061. Strömungen Rip-Strömungen an den Stränden in Europa sind die gefährlichsten Ursachen für Badeunfälle und für den Ertrinkungstod beim Badespass im Urlaub. Der Grund: Die "unsichtbaren Killer" tauchen urplötzlich, überall und zu jeder Jahreszeit auf. Panikreaktionen sind dann vorprogrammiert. Acht von zehn Rettungseinsätzen erfolgen wegen Rip-Strömungen. Die Gefahren werden durch Kommunen, Hotels und Reiseveranstalter oft "totgeschwiegen" und die ahnungslosen Urlauber an Badestränden Europas viel zu selten über diese Gefahren informiert. Tauchen "Do you remember when diving was dangerous and sex was safe?" (Kannst du dich noch an die Zeiten erinnern, als Tauchen gefährlich und Sex sicher war?) steht auf dem T-Shirt meiner thailändischen Tauchschule. Ist Tauchen heutzutage wirklich so sicher wie der Spruch suggeriert? Eher wohl nicht. Zu vielfältig sind die Risiken und auch hier sind fehlende Kondition, gesundheitliche Vorschädigung, Leichtsinn und die Missachtung des „Buddy-Prinzips“, nicht allein abzutauchen, die hauptsächlichen Unfallgründe. Teneriffa Badewetter gibt es auf Teneriffa während des ganzen Jahres. Der schönste Strand, Playa las Teresitas ist das Naherholungsgebiet der Hauptstädter aus Santa Cruz. Der mit mehr als 3 Kilometern längste (und helle) Naturstrand liegt bei El Médano im Süden der Insel. Alle anderen der 43 Strände sind von Natur aus dunkel. Was für alle Kanarischen Inseln gilt, ist auch hier zu beachten: Höchstens 30 Prozent aller Strandabschnitte sind bewacht und der rauhe Atlantik ist extrem strömungsintensiv und kann urplötzlich - auch bei sonnigen Wetter - zur unsichtbaren Gefahr werden. Auf Teneriffa, der größten Insel der Kanaren, gelten die Strände "Playa de Socorro" bei Los Realejos und "Playa Bollulo" von La Orotava wegen häufiger Unterströmungen als besonders gefährlich. Thrombose 139 Im Zeitalter der oft klaustrophobieverdächtigen Enge in den fliegenden Röhren ist der Stau in den Venen, der lebensbedrohlich sein kann, ein ernst zu nehmendes Thema. Schon der Flug auf die Kanarischen Inseln kann Gefahr bedeuten. Kaum Beinfreiheit, im Sitz zur Bewegungslosigkeit verdammt. Auch lange Bus- und Autofahrten, besonders wenn es richtig heiß ist, können für Ihre Gesundheit gefährlich werden, denn: “Wer länger als 4 Stunden sitzend unterwegs ist, hat ein deutlich erhöhtes Thromboserisiko”, warnt Olaf Förster von der Deutschen Gesellschaft für Reise- und Touristikmedizin. Die Empfehlung: Wandern Sie einmal pro Stunde durch das Flugzeug und nutzen Sie beim Auto- und Bus fahren die Pausen für körperliche Bewegungen. Und viel trinken sollten Sie sowieso. Tsunamis Sollte man auf irgendeinem Wege von einem Erdbeben, insbesondere einem Seebeben erfahren oder es selbst gespürt haben, muss auch mit einem Tsunami gerechnet werden. Dabei muss man wissen, dass ein Tsunami aus einer Serie von Wellen besteht und die erste Welle dabei nicht die höchste sein muss. Als Hinweise auf das Auftreten eines Tsunami können bereits vor dem Auftreffen der Wellen auf das Ufer laute Geräusche (wie von Autos oder einem Flugzeug) und merkwürdige kleinere Wellenbewegungen, ein plötzliches Zurückweichen des Wassers und Schaumkronen weit draußen auf dem Meer als Warnsignale auftreten Um der Gewalt zu entgehen, besteht der beste Schutz im Aufsuchen höher gelegener Gebiete. Sollte die Zeit zu kurz sein, sollten die oberen Stockwerke fester Gebäude aufgesucht werden. Bei den genannten Anzeichen für ein Tsunami sofort aus dem Wasser laufen, alles stehen und liegen lassen und weg vom Strand. Flüsse, Fjorde oder engere Buchten sollten unbedingt gemieden werden, da sich Wellen hier auf Grund der Enge auftürmen können. Schiffe, wie Sportmotorboote oder Segelschiffe sollten so schnell wie möglich tieferes Wasser aufsuchen und sollten auf keinen Fall versuchen, an Land zu kommen. Türkei Zuständig ist oft nur das Hotelpersonal, flächendeckende Strandsicherheit ist an türkischen Badestränden nicht vorhanden. Oft scheint es die Einstellung zu geben, dass zumindest außerhalb der großen Touristenzentren die Verantwortung ausschließlich bei den Urlaubern liegt. So genannte Naturbadestrände, das sind öffentliche Strandabschnitte, die nicht nur von Gästen eines Hotels besucht werden können, sind grundsätzlich nicht bewacht. An der „türkischen Riviera“ zwischen Antalya und Alanya wurden in den letzten Jahren viele Badeunfälle bekannt. Im Notfall: Deutsche Botschaft, Ankara, www.ankara.diplo.de,Tel.: (0312) 4266959, Polizei: 155, Unfallrettung/Notarzt: 112, in den Mobilnetzen: 112. Tunnel Wichtig ist es, dass Sie im Tunnel die Höchstgeschwindigkeit beachten, einen großen Sicherheitsabstand einhalten, niemals wenden oder rückwärts fahren und eventuelles Feuer nur im Anfangsstadium selbst löschen – dann: sofort weg vom Feuer und den Tunnel über die Notausgänge verlassen. Der ADAC und seine Partnerclubs haben 2007 insgesamt 51 Tunnel in 13 europäischen Ländern unter die Lupe genommen. 18 Tunnel erhielten die Note „sehr gut“. Bei einem Fünftel der Testkandidaten musste die „Rote Karte“ gezeigt werden. Dreimal wurde das Urteil „bedenklich“ vergeben, siebenmal sogar ein „mangelhaft“. 140 Überfälle Die nachstehenden Tipps haben zum Ziel, dass Sie nichts dazu beitragen, die Situation eskalieren zu lassen und Sie keinen Schaden an Leib und Leben nehmen. Die wichtigste Empfehlung: Rennen Sie nicht wie ein ängstlich aufgescheuchtes Huhn etwa durch die South Bronx in Manhattan rennen (übrigens ein Vorurteil – die Kriminalität von New York liegt deutlich unter der Rate anderer amerikanischer Großstädte). Versuchen Sie einfach, sich so zu verhalten wie Einheimische. Wenn Sie überfallen werden: Geben Sie bereitwillig Ihr „Diebesgeld“ ab, das Sie sich schon vorher in einer separaten Tasche zurechtgelegt haben. Und seien Sie nicht zu geizig: 30 bis 40 Euro sollten es schon sein, sonst verärgern Sie den Dieb. Sie wollen Eskalationen verhindern! Dass die Zeit des (sichtbaren und leicht wegzunehmenden) Brustbeutels vorbei ist, hat sich sicher herumgesprochen. Empfehlenswert ist eine innen in die Hose eingenähte nicht sichtbare Geldtasche mit Reißverschluss, in der auch Ihre Kreditkarte Platz hat. Unfallversicherung Gute Anbieter mit verbraucherorientierten Versicherungsbedingungen haben eindeutige Regelungen dahingehend getroffen, dass auch Badeunfälle als mitversichert gelten. Sie sollten sich rechtzeitig bei ihrer Versicherung informieren und abklären, inwieweit Sie auch für diesen Fall der Fälle abgesichert sind. Insbesondere bei Altverträgen lauern gelegentlich Leistungslücken. Unterkühlung Unterkühlung, Hypothermie, ist ein Zustand nach Kälteeinwirkung auf den Körper eines Lebewesens, das heißt, die Wärmeproduktion war über längere Zeit geringer als die Wärmeabgabe. Unterkühlung kann Gesundheitsschäden oder Schlimmeres herbeiführen. Bei Unfällen im Wasser muss man immer, auch bei sommerlichen Temperaturen, von einer Unterkühlung des Verunglückten ausgehen. Die optimale Rettungskette in Fällen von Unterkühlung sieht so aus: Notruf absetzen oder veranlassen, den Geretteten schonend aus dem Gefahrenbereich bringen; wenn möglich, in einen Raum mit Zimmertemperatur, mindestens an einen windstillen Ort, ihn flach lagern, wenig bewegen und mit Wolldecken zudecken oder einwickeln, eine Rettungsdecke nie direkt auf die Haut bringen, (diese wäre wegen fehlender Isolationswirkung nutzlos), zunächst nur den Körper (entsprechend dem zentralen Kreislauf) mittels Decken etc. aufwärmen, Kontrolle der Vitalfunktionen, Betreuen des Patienten bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes. Unterlassene Hilfeleistung Wenn Sie bei Notfällen nicht die zumutbare, also die Ihren Fähigkeiten entsprechende Hilfe leisten, machen Sie sich nach § 323 c des Strafgesetzbuchs wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Bevor Sie Ihr Leben riskieren: es gibt Ausnahmen, etwa bei erheblicher Eigengefährdung des Helfers. Diese ist gegeben, wenn Sie einen Schwimmer draußen im Wasser sehen, der in eine Rip-Strömung geraten ist. Sie müssen sich denselben Gefahren nicht aussetzen, machen sich nicht strafbar und würden auch unverantwortlich Ihrem eigenen Leben gegenüber handeln. Eine zumutbare Maßnahme ist es aber in jedem Fall, die Rettungskette in Gang zu setzen, einen Notruf abzusetzen und Hilfe herbeizuholen. 141 Verantwortung Solange nichts passiert, fragt selten jemand nach der Verantwortung. Aber wenn ein Unfall passiert, ist leider oft auch unklar, wer verantwortlich dafür ist. Hier einige Beispiele: Bei einem Badeunfall machen Eltern, die ihre Aufsichtpflicht vernachlässigt haben, oft die Badeaufsicht verantwortlich. Bei einem Badeunfall sind es der Verunglückte, die Rettungsorganisation, die Kommune oder der Reiseveranstalter. Wenn Organisationen oder Menschen nicht in Frage kommen, werden Regen, Eisglätte, Nebel, schlechte Sicht (beim Autofahren) oder Wellen, Wind, Strömungen, Hitze oder Tsunami (bei Wasserunfällen) "verantwortlich" gemacht. Menschen verwechseln Ursache und Verantwortung. Wenn etwa die Hitze des Vorjahres Schuld an der Tatsache sein soll, dass im letzten Jahr mindestens ein Drittel mehr tödliche Badeunfälle passiert sind, vergisst der Mensch, dass man nicht in der Lage war, sich durch vorbereitende Maßnahmen auf die Launen der Natur einzustellen. Verkehrsunfälle 2009 gab es wieder 10 Prozent weniger Verkehrstote als im Jahr davor. Das ist die niedrigste Zahl seit 1950, obwohl es heute im Vergleich drei Mal so viel Autos gibt. Die Opfer sind zu 60 Prozent Autofahrer, 16 Prozent weniger als im Vorjahr. Übrigens gibt es im Gegensatz zum Ertrinken bei Verkehrsunfällen ein deutlich größeres Gefahrenbewusstsein - nicht zuletzt verursacht durch eine wirksame Kampagne gegen den Unfalltod auf Deutschlands Straßen - und riesengroße Unterschiede bei präventiven Maßnahmen wie der technischen Entwicklung von Fahrzeugen, Unfall verhindernde Maßnahmen im Straßenbau und der flächendeckenden Optimierung im Bereich des Rettungsmanagements, während 98 Prozent der Risikobadestellen in Deutschland (Seen, Flüsse, hier ertrinken die meisten Menschen, unbewacht und ungesichert sind. Wachkoma Bei Statistiken zur Zahl von Ertrinkungsopfern wird oft vergessen, dass auf einen Todesfall vermutlich noch einmal fünf bis zehn Beinahe-Ertrinkungsfälle kommen. Diesen Menschen, meist sind es Kinder, kann zwar durch intensivmedizinische Maßnahmen immer häufiger das Leben gerettet werden, jedoch sind die Langzeitresultate ernüchternd, wie eine Untersuchung zeigt: Jedes vierte beinah ertrunkene Kind, das wiederbelebt wird, stirbt innerhalb des ersten Jahres nach dem Unfall. 18% liegen nach einem Jahr immer noch im Koma, bei 37% bleiben schwere und bei 13% mäßige neurologische Schäden zurück. Nur in 7% der Fälle finden sich leichte bis gar keine neurologischen Defizite. Jedes zweite Kind trägt eine Epilepsie davon. Warnflaggen In den meisten Ländern Europas gibt es die folgende Flaggenfarben: Grün: Geringe Gefahr Baden erlaubt Gelb: Mittlere Gefahr, Baden gefährlich Rot: Hohe Gefahr, Baden verboten An vielen Stränden gibt es ein farbenfrohes und buntes Bild und es sieht aus wie auf einem amerikanischen Kindergeburtstag. Der Nachteil: An etlichen Stränden sind gelbe und rote Warnflaggen nicht gut zu erkennen. 142 Empfehlung: Erkundigen Sie sich in Ihrem Urlaubsland nach Ausnahmen und seien Sie skeptisch, wenn die grüne Flagge gehisst ist. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass der Badestrand auch bewacht ist. Grüne Flaggen vermitteln eine trügerische Sicherheit. Der Weltverband der Wasserrettungsorganisationen hat inzwischen ein neues Sicherheitskonzept vorgeschlagen. Demnach sollen rot/gelbe Flaggen in den nächsten Jahren weltweit an Stränden und Badegebieten eingeführt werden. Man hat sich darüber hinaus für das Setzen von Windsäcken (rot-weiss oder orange) ausgesprochen. Sie sollen nur bei ablandigem Wind gesetzt werden und auf die Gefahr hinweisen, auf offenes Meer abzutreiben. Warnschilder Warnschilder an Europas Badestränden? Diese sind unverständlicherweise oft auch an unbewachten Stränden absolute Mangelware. Die Tatsache, dass die mit Abstand größten Gefahren am Mittelmeer und am Atlantik Rip-Strömungen sind und auf diese Gefahren nur in Ausnahmen hingewiesen wird, ist ein Skandal. Die Zeichen, auf die Sie vor dem Baden achten sollten, sind: Warnflaggen, Hinweisschilder auf spezielle Bedingungen (Bedeutungen der Flaggen, Badeverbot, Strömungen, Standorte von Rettungsschwimmern und Erste Hilfe-Stationen). Und es wäre schon nicht schlecht, wenn Sie wissen, wie Sie eindeutig signalisieren können, wenn Sie Probleme im Wasser haben: Arme nach oben und zur Seite schwenken. Das ist deshalb wichtig, weil Ihre Rufe bei intensiven Wellengeräuschen akustisch untergehen, geschluckt werden. Keiner hört Sie. Aber man sieht Sie. Wasserrettungshunde Wasserretter gibt es auch auf vier Beinen - nicht unumstritten, trotzdem faszinierend. Hunde – auch wenn Sie in Wasserrettung ausgebildet sind – werden sich auch in Notsituationen artgerecht verhalten und individuellen Rettungssituationen mit panisch reagierenden Menschen nicht unbedingt gerecht werden. Immerhin soll es bereits Lebensrettungen der tierischen Art gegeben haben. In Italien zum Beispiel tragen Lebensretter Fell statt knapper Badehose: Wasserrettungshunde bewachen 8000 Kilometer Küste. Am Lago d`Iseo in Norditalien werden sie für ihren gefährlichen Einsatz trainiert. Mit dem Hubschrauber gelangen die Retter auf vier Beinen zur Unglücksstelle. Dann kommt der Sprung ins Meer. Vor Triest gibt es für zwei Tage ein großes Gebell. Dort treffen sich alle Rettungsstaffeln des Landes zu einem Manöver. Wattenmeer Wenn Sie die „10 Gebote für unkundige Wattwanderer“ beachten, schützen Sie sich vor den häufig unterschätzten Gefahren: 1. Nie allein ins Watt und bei aufziehendem Gewitter oder bei Nebel sofort wieder raus. 2. Vorher nach Wattwanderungszeiten (Tafel) erkundigen. 3. Markierungspunkt auf dem Festland merken. 4. Muschelbänke meiden (Verletzungsgefahr). 5. Auf den Rat von Kundigen hören. 6. Nie in der Fahrinne baden. 7. Bei auflaufendem Wasser nie in der Nähe von Prielen aufhalten – besonders gilt das für Nichtschwimmer. 8. Benutzen Sie keine Luftmatratzen im Watt. 9. Ablaufendes Wasser und Ostwind sind riskant – auch für gute Schwimmer. 10. Bei ablaufendem Wasser nicht zu weit hinausschwimmen. 143 Und es kann Ihnen auch nicht schaden, wenn Sie Ihr Handy mitnehmen. Höchstens dem Handy. Zehn Irrtümer Es geht dabei um die größten Gefahren beim Schwimmen im Meer, die tragischerweise von den meisten Urlaubern erst dann erkannt werden, wenn sie diese Probleme hautnah erleben. Rettungsschwimmer berichten, dass Rip-Srömungen die Ursache für bis zu achtzig Prozent aller Rettungseinsätze im offenen Meer sind. Ertrinken wird man kaum verhindern können. Irrtum 1. Experten haben ermittelt, dass weltweit vier von fünf aller Ertrinkungsunfälle durch vorbeugende Maßnahmen verhindert werden könnten. Ich bin ein guter Schwimmer, ich bin weniger gefährdet. Irrtum 2. Und Auch gute Schwimmer sind den Kräften des Wassers oft nicht gewachsen, wenn sie von Strömungen weggezogen werden. Die Erfahrung zeigt auch, dass weniger erfahrene Schwimmer mehr Respekt vor dem Meer haben Aus einer Unterströmung komme ich leicht wieder raus. Irrtum 3. Selbst wenn Sie wissen, wie Sie sich verhalten sollten (nicht gegen die Strömung kämpfen und sich seitlich heraus treiben lassen), könnte Ihnen entstehende Panik einen Strich durch die Rechnung machen. Unterströmungen treten nur im Winterhalbjahr auf. Irrtum 4. Auch in der Hauptsaison und in den heißen Sommermonaten muss mit Strömungen gerechnet werden. Wenn Strände nicht bewacht sind, sind sie nicht gefährlich. Irrtum 5. Das wäre schön! Die meisten Strände in Europa sind nicht bewacht. Bewachung findet (wenn überhaupt) nur in Urlaubszentren und an stark besuchten Stränden statt. Es ist, wenn möglich, immer besser, an bewachten Stränden zu baden. Wenn jemand Hilfe braucht, schwimme ich sofort hin und rette ihn. Irrtum 6. Jeder zehnte Retter kommt durch unüberlegte Rettungsaktionen ums Leben. Sie gefährden sich zusätzlich, wenn Sie allein retten wollen, ohne vorher eine Rettungskette (Notruf, Rettungswacht, Abstimmung mit anderen Strandbesuchern) in Gang zu setzen. Retten sollten Sie möglichst nur mit anderen Menschen, mit Auftriebskörpern und nur dann, wenn Sie sich dies körperlich zutrauen. Strömungen entstehen nur, wenn der Wind Richtung Meer weht. Irrtum 7. Viel gefährlicher ist es oft, wenn der Wind auflandig Richtung Strand weht und das zurücklaufende Wasser mit dem auflandigen Wasser Verwirbelungen bildet. Gefährlich sind ablandige Winde dann, wenn Luftmatratzen oder Gummiboote benutzt werden - besonders von Kindern. Bei grüner Flagge gibt es keine Gefahr, ich brauche also nicht aufzupassen. Irrtum 8. Die grüne Flagge suggeriert (trügerische) Sicherheit, die es nicht gibt. Außerdem können sich die Bedingungen innerhalb kurzer Zeit ändern. Grüne Flaggen haben an Badestränden nichts zu suchen! 144 Strömungen gibt es eigentlich nur bei höheren Wellen. Irrtum 9. Entscheidend sind vor allem Windstärke, Windrichtung und die Bodenform unter Wasser. Schwallbrecher zum Beispiel brechen unterhalb der Wasseroberfläche und können rund um Felsen sehr gefährlich sein. Ich sehe schon, wenn es gefährlich ist. Irrtum 10. Unterströmungen sind für Laien unsichtbar, nur spürbar. P.S.: Kommen Sie gut wieder zurück! Wenn Sie sich diese Tipps für die Sicherheit im Urlaub gelesen haben, sind Sie, Ihre Familie und Ihre Freunde bestens dafür gerüstet, um gut erholt und sicher zurückzukommen. Wo auch immer Sie Ihren Urlaub verbringen, am Atlantik, am Mittelmeer oder in Deutschland am Badesee in Ihrer Nähe: Wir wünschen Ihnen für die schönsten Wochen des Jahres alles Gute. 145 Pressestimmen zu Rolf Lüke "Dass sich die Situation in den letzten Jahren leicht gebessert hat, haben die Spanier einem Deutschen zu verdanken: Der Bremer Unternehmensberater Rolf Lüke setzte sich für ein funktionierendes Sicherheits- und Warnsystem auf allen Inseln ein. Anlass war der Ertrinkungstod seiner Schwester, einer Hamburgerin". (Hamburger Abendblatt) Lüke schätzt, dass jedes Jahr 50 bis 70 Urlauber allein auf Mallorca ertrinken, offiziellen Statistiken, die meist bei 20 bis 30 Toten liegen, misstraut er: "Wer im Wasser an Herzversagen stirbt, wird nicht mitgerechnet, dabei sind Herz-Kreislauf-Probleme häufigste Ursache bei Ertrinken." (Welt am Sonntag) Bei den Behörden von Formentera hat er bereits erwirkt, dass Rettungsschwimmer an den Stränden postiert werden. 80 Prozent aller Todesfälle weltweit hätten durch Aufklärung verhindert werden können, so Lüke. Während bei Erwachsenen das Überschätzen der eigenen Kräfte und Alkoholmissbrauch fatale Folgen haben können, sind es bei Kindern meist die Eltern, die ihre Aufsichtspflicht versäumen". (mare) Angesichts der gestiegenen Zahl von Ertrunkenen müssen die Kommunen nach Ansicht der Wassersicherheits-Initiative Blausand.de bei der Bewachung von Badegewässern stärker in die Pflicht genommen werden. "Denn sie sind dafür verantwortlich, dass ihre Flüsse und Seen entweder ausreichend bewacht oder wirksam abgesperrt werden", sagte Blausand-Gründer Rolf Lüke. "Aber in 90 Prozent der Fälle in Deutschland ist das nicht gewährleistet". (Die Welt) Beates Bruder Rolf Lüke kämpft gegen den Tod am Badestrand. Im Internet. Blausand.de heißt seine Initiative. Was einmal als Trauerbewältigung begann, ist mittlerweile eines der größten Portale zum Thema Strandsicherheit. Unterstützt von freiwilligen Helfern in ganz Europa; bietet der Unternehmensberater aus Bremen Informationen zu Stränden von Portugal bis zur Türkei. Hunderte Bittbriefe hat er an die Verantwortlichen in den Badeorten geschrieben. Doch viele veröffentlichen nicht einmal die Zahl ihrer Unfälle - "aus Angst vor Prestigeverlust", vermutet Lüke. (Stern) Ist ein Kind erst mal untergegangen, blieben vielleicht noch "3 bis 4 Minuten", um es zu retten, so Lüke. Eine niedrige Wassertemperatur erhöht dabei die Überlebenschancen, denn damit wird der Sauerstoffbedarf von Herz und Gehirn gesenkt. Umgekehrt sind die derzeit herrschenden hohen Wassertemperaturen ungünstig, wenn ein Mensch keine Luft mehr bekommt. Werden Kinder nach längerer Zeit gerettet, bleiben oftmals irreparable Hirnschäden. Kinder, die nicht schwimmen können, geraten also schon in Gefahr, wenn sie etwa in einem See nur wenige Zentimeter zu weit ins Tiefe gegangen und dabei mit dem Mund unter Wasser geraten sind. (taz) 146 Autoren Rolf Lüke Nach dem Ertrinkungstod seiner Schwester Beate auf der spanischen Ferieninsel Formentera im September 1999 gründet Rolf Lüke das Webportal www.blausand.de und erwirkt in den Folgemonaten ein Bewachungs- und Sicherheitskonzept für die kleine Baleareninsel. Die Ertrinkungszahlen gehen daraufhin deutlich zurück. Rolf Lüke, Herausgeber dieses Buchs, will durch Aufklärung über Ertrinkungsgefahren dazu beitragen, die Zahl der Ertrinkungsopfer in Europa zu reduzieren. Diane Unkert Im Sommer 2000 verliert ihr Sohn Stephan im Alter von 6 Jahren sein Leben bei einem Badeausflug auf der Insel Djerba. Ein Urlauber findet ihn im Schwimmerbecken. Susanne Frerix Im September 2004 ertrinkt der Vater von Susanne Frerix an der Costa de la luz in Andalusien. Ulla Suck Auf der Ferieninsel Mallorca, am Strand von Can Picafort, ertrinkt der Vater von Ulla Suck im Oktober 2003 an seinem ersten Urlaubstag in einer Rip-Strömung. Offiziell sollte dieser Strand bis Ende Oktober bewacht sein. Brigitte Flanagan Im Jahr 2007 ertrinkt Liam Flanagan vor den Augen seiner Frau an einem unbewachten Strand im türkischen Alanya. Inzwischen gibt es an diesem Strand mehrsprachige Warnschilder, weil Brigitte Flanagan über türkische Medien Druck gemacht hat. Sie klagt gegen die zuständige Gemeinde in der Türkei, weil Liam Flanagan trotz bekannter Strömungsgefahren und früherer Badeunfälle an diesem Strand nicht gewarnt worden war. Evelyn Wagner Die Mutter von drei Kindern fliegt im Juli 2001 mit ihrer Familie nach Ouranoupolis auf der griechischen Kloster - Halbinsel Athos, als ihr Sohn Philipp am ungesicherten Absaugstutzen im Auslaufbecken einer Wasserrutsche, ohne Genehmigung gebaut, angesaugt wird und ertrinkt. Evelyn Wagner klagt und erwirkt nach jahrelangem Kampf ein Urteil vor dem Bundesgerichtshof, das Reiseveranstalter auch für fremde Freizeitanlagen verantwortlich macht, die auf dem Urlaubsgelände zur Verfügung stehen. Özkan Arslan Die Schwester des Berliner Drehbuchautors kommt 2004 an einem unbewachten Badestrand in Andalusien (Spanien) ums Leben. Im Brief an eine Freundin berichtet ihr Bruder von den Tagen der Ungewissheit und der Verzweiflung. Elisabeth Seitz Im Oktober 2003 will das Ehepaar Seitz aus München einen gemeinsamen Campingurlaub auf Sizilien verbringen. Am dritten Urlaubstag ertrinkt Roland Seitz am Strand von Sferracavallo in der Nähe von Palermo vor den Augen seiner Frau. Andrea Goebel Im September 2005 nehmen Nicole Goebel und ihr Freund Frank an einem organisierten Ausflug zur Westküste der Insel Fuerteventura teil. An der Costa Agua Liques stellt sich Nicole auf ein flaches Plateau am Meer, damit Frank ein Foto von ihr machen kann. Die Schwester von Andrea 147 Goebel wird von einer großen Welle umgerissen und aufs Meer hinausgezogen. Frank wirft sich in die Wellen, um sie zu retten. Hans-Jürgen Christ Sein Sohn Robert, gerade 30 Jahre alt geworden, stirbt im September 2008 beim Schnorcheln auf der Insel Saona im Süden der Dominikanischen Republik. Zweieinhalb Stunden wartet die Ausflugsgruppe vergeblich auf seine Rückkehr. Dann wird Robert Christ in etwa zwei Metern Tiefe gefunden. Es fehlt ihm ein Arm. Die Autopsie ergibt, dass ihn ein Motorboot überfahren haben muss. Wolfgang und Ingrid Scheffelmeier Im März 2002 ertrinken die Soldaten Samuel Scheffelmeier (21) und Stefan Paul (22) während eines Nato-Manövers in der Ostsee, als ein Beiboot kentert, das die beiden Soldaten von einem Besuch der britischen Fregatte „Cumberland“ zurück zur „Mecklenburg-Vorpommern“ bringen soll. Der Sohn von Wolfgang und Ingrid Scheffelmeier kämpft 22 Minuten um sein Leben. Ronald Schmid Der Frankfurter Rechtsanwalt Prof. Dr. Ronald Schmid gilt als Deutschlands bekanntester Reiserechtler, war von 1992 bis 2007 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Reiserecht e.V. und ist seit 1999 Honorar-Professor an den Technischen Universitäten Darmstadt und Dresden. Kathrin Böhler Am Karfreitag 2009 stirbt Lisa, 12 Jahre alt, vor den Augen ihrer Freunde beim Kajakfahren im südfranzösischen Fluss Ardèche. Lisa wurde bewusstlos und konnte sich nicht mehr befreien, nachdem sie gekentert war, das Boot verlassen hatte, von der Strömung mitgerissen wurde und mit ihrer Schwimmweste in einem Felsloch stecken geblieben war. René hat kurz nach ihrem Tod Lisa-Aufkleber drucken lassen und alle aus Lisas Verein haben sich Aufkleber auf ihre Boote geklebt. Auch Kinder, Jugendliche und Erwachsene aus anderen Vereinen, die Lisa kannten, wollten einen Aufkleber haben. 2009 ist die gesamte deutsche Junioren- Nationalmannschaft der Wildwasserkanuten mit Lisa-Aufklebern auf dem Boot gestartet. Johannes Schultz Johannes Schulz entwickelt das Kunstobjekt „La Riada“ auf einer Landzunge der spanischen Insel Formentera. Zum Wasser hat der frühere Leiter des BMW-Museums eine respektvolle Beziehung, nachdem er als Kind fast im Rhein ertrunken wäre. Wenn er in der Nähe seiner Steinskulpturen im Mittelmeer schwimmen geht, ist immer eine Palette aus Holz in der Nähe. Antje Wiederhold Gleich mehrere Lebensretter hat Antje Wiederhold in Litauen am Kurischen Haff: ihren Mann und zwei Ärzte am Strand. Heinz Kirchner Auf Usedom gerät der Urlauber in eine Unterströmung und kann sich gerade noch retten. Heinz Kirchner warnt später einen Vater vor der Gefahr. Der schaut ihn ungläubig an. Seine Kinder bleiben im Wasser. Klaus Schäfer Der Urlauber entkommt dem Ertrinkungstod am „Playa Muerte“ auf Fuerteventura nur knapp. Wilfried Wittstruck 148 Prof. Dr. Wilfried Wittstruck arbeitet im Institut für Geistes- und Kulturwissenschaften an der Universität Vechta (Niedersachsen). Tätigkeitsschwerpunkte: Literaturwissenschaft und – didaktik. Ines Heckmann Die Urlauberin aus Neuss sieht, dass eine Frau in Portugal reanimiert wird. Es gibt viele Schaulustige. Einer von ihnen wird wenig später fast selbst zum Opfer. Eva Schabedoth Never trust the sea: „Trau niemals dem Meer, auch wenn es völlig harmlos aussieht“, sagt Eva Schabedoth. „Was wir jedes Jahr in der Bretagne an Idiotie erleben, ist einfach unfassbar“. Guido Badeunfall auf Mallorca. „Die Jungs“, sagt Guido, „haben alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte“. Karlheinz Schmitt Der Hamburger und seine Frau haben die Insel Formentera vor einigen Jahren von der Liste ihrer Urlaubsziele gestrichen, weil sie aus Altersgründen keinen Hilferufenden mehr retten können und nicht zusehen wollen, wie Badeurlauber ertrinken. Stefan Bauer Auf der kanarischen Insel La Palma werden 3 Personen von einer Riesenwelle erfasst. Claudia Stellmacher Seit über 40 Jahren Sylt-Urlauberin, erlebt die Mutter von 2 Kindern im Juli 2009 das reine Chaos am Strand von Westerland. Ihre Absicht, die Ereignisse dieses Tages zum Thema zu machen, stellen sich als schwierig heraus. Thomas Birker Der Urlauber rettet einer Mutter von zwei Kindern das Leben. Weder Strandbesucher noch Retter bekommen etwas davon mit. Jo-Ann Hüls Jedes Jahr, immer am 17. Juli, feiert Jo-Ann Hüls ihren zweiten Geburtstag, seitdem sie 1981 um ein Haar in Spanien ertrunken wäre. Bei dem unbekannten Mann aus Backnang, der vom Strand aus „Kette bilden!“ rief und dadurch die Rettungsaktion auslöste, konnte sie sich bis heute nicht bedanken. Karl-Heinz Fucker Nachdem zwei Kinder aus dem Wasser gerettet werden, ziehen sie sich an und verschwinden mit ihrem Schlauchboot unter dem Arm. Der Retter hat die Kinder nie wieder gesehen. Norbert Mertens Ein Riff in der Bucht von Sa Roqueta auf Formentera wird dem Schnorchler fast zum Verhängnis. Jürgen Kosian Der Hamburger Unternehmensberater überlebt im Dezember 2004 zusammen mit seiner Frau Heidi und den drei Kindern Michelle, Phil und Nina (Tochter Nadine war zu Hause geblieben) den Tsunami. Zwei Drittel der etwa 8000 Tsunami-Opfer Thailands sterben im thailändischen Khao Lak. Im „Magic Lagoon“, dem Urlaubshotel von Familie Kosian, verliert die Hälfte der über 700 149 Gäste und Mitarbeiter ihr Leben. Jürgen Kosian möchte “das zurückzahlen, was uns geschenkt wurde“, versteigert zu Gunsten der Opfer eine Chevrolet Corvette, Baujahr 1958, im Wert von 75.000 Euro und engagiert sich mit „Lichtblick - Verein für Katastrophenopfer e.V.“ für Hilfsprojekte in Südostasien. Jochen Börner Ein unachtsamer Moment im September 1994 löst eine Tragödie aus. Der damals 19 Monate alte Philip fällt geräuschlos in einen Teich und lebt seitdem im Wachkoma. „Alles, was bleibt, ist die Hoffnung und die Liebe, die andere dir entgegenbringen“ sagt sein Vater. Claudia Neumann Am 11. Juli 2005 geht Tom, der Sohn von Claudia Neumann, während eines beaufsichtigten Schwimmkurses in Braunschweig unbemerkt unter. Ein tauchender Badegast entdeckt ihn erst nach mehr als vier Minuten. Der Notarzt trifft nach weiteren 20 Minuten ein. Tom überlebt schwerstbehindert. Hans Heinrich Tietje Als der Ruheständler und sein Bernhardiner Alfred im Januar an einen See kommen, bricht der Hund im Eis ein und ertrinkt. Fast wäre Hans Heinrich Tietje auch noch ums Leben gekommen, nachdem er vor Entsetzen das Bewusstsein verliert und erst später von einem Spaziergänger mit Unterkühlungen gefunden wird. Vorläufiges Manuskript zum Buch „Der Himmel stand still – Menschen berichten über das Ertrinken“ Autor: Rolf Lüke | Werderstr. 39/41 | 28199 Bremen | Mobil 0172/4003073 Mail: [email protected] | Web: www.blausand.de, www.beachsafety.eu 150