K3 5/2013 Schwerpunkt

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K3 5/2013 Schwerpunkt
Gender
Auch wenn junge Paare zunächst alles anders als ihre Eltern machen wollen, finden sie sich trotzdem später häufig in eben diesen
„verhassten“ Rollen wieder.
Zwischen geschlechtlicher Eindeutigkeit und gelebter Vielfalt
Gene oder Gesellschaft?
Wer diese Frage so stellt, trifft heute in allen Bereichen der Wissenschaft auf
Unverständnis. Die Frage ist nicht, ob uns die Gene oder die Gesellschaft allein zu
einem bestimmten gesellschaftlichen Geschlecht machen – vielmehr interessieren
Wissenschaftler/innen wie Prof. Dr. Paula-Irene Villa, Inhaberin des Lehrstuhls
„Soziologie/Gender-Studies“ am Institut für Soziologie der LMU München, was mit
dem biologischen Körper passiert, wenn er verschiedenen Reizen ausgesetzt wird.
Welche Botschaft geht vom „Barbie-Haus“
in Berlin oder TV-Sendern wie DMAX aus?
Solche Erscheinungen belegen, dass Werbung
und Populärkultur in den letzten Jahren
geschlechtsdifferenter geworden sind. Einerseits kann man das „Barbie-Haus“ mit einem
Augenzwinkern kommentieren. Andererseits
steht es für eine Tendenz, die über die reine
Produktplatzierung hinausgeht.
Wir haben es seit einiger Zeit mit einer Verunsicherung und gleichzeitig zunehmenden
Freiheitsgraden in Bezug darauf zu tun, was
Männer und Frauen im Alltag sind oder sein
sollen. Ich würde dabei zwar nicht von Angleichung der Geschlechter sprechen – aber
es gibt immer weniger Bereiche des Alltags,
in denen unhinterfragt klar ist, was Männer- und was Frauensache ist. Vor diesem
Hintergrund gibt es wohl ein Bedürfnis, die
Geschlechterdifferenz zu dramatisieren.
„Barbie-Haus“ und DMAX verfestigen aber
Stereotypen, oder?
Wenn etwas mit einer derart massiven
Holzhammer-Methode daherkommt, ist es
karnevalesk. Daneben sehe ich allerdings
Erscheinungen, die mich beunruhigen. In
München gibt es beispielsweise den ersten
Schönheitssalon nur für Mädchen zwischen
zwei und 12 Jahren. Durch sogenannte
Beauty-Behandlungen wird dort ein idealisiertes – an erwachsenen Frauen orientiertes und sexualisiertes – Geschlechterbild
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hergestellt. Anderes Beispiel: Wenn ich mir
aktuelle Kinderbücher ansehe, werden darin
heute Geschlechterdifferenzen viel stärker
als etwa vor 30 Jahren betont. In der Arbeit
mit Kindern und Jugendlichen muss man sich
damit unbedingt auseinandersetzen: Was
Geschlechtergerechte Sprache
Sprache ist ein Mittel, unsere Gesellschaft
und unser Zusammenleben kennenzulernen, zu beschreiben und zu verstehen.
Was wir sprachlich nicht benennen (können), bleibt oft unsichtbar. Das führt
dazu, dass Leserinnen und Leser vielfach
nicht daran denken, dass in einem Text
über Pädagogen, Lehrer oder Sozialarbeiter auch Frauen mitgemeint sein können, ebenso wie bei Erzieherinnen oder
Krankenschwestern kaum jemand auf die
Idee kommt, hier könnten auch Männer
vertreten sein. Uns ist es ein Anliegen, dass
Frauen und Männer in unseren Texten nicht
nur mitgemeint, sondern angesprochen
und sichtbar gemacht werden. Deshalb
sind wir gerade dabei, für den KJR einen
Leitfaden zur geschlechtergerechten Sprache zu entwickeln. In diesem K3 haben wir
unsere Texte im Schwerpunktteil bewusst
in unterschiedlichen sprachlichen Formen
gestaltet, um so bei denjenigen, die sie
lesen, eine Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Schreib- und Sprachmöglichkeiten und deren Effekten anzustoßen.
heißt es, Mädchen/Junge zu sein, bin ich
richtig oder falsch, unterscheidet sich mein
individuelles Leben von den mir verfügbaren
Bildern und Geschichten?
Ist die Frage, ob biologische oder gesellschaftliche Gründe uns zu dem machen,
was man als typisch weiblich oder typisch
männlich bezeichnet, angebracht?
Nein, in der Entgegenstellung ist das schon
lange die falsche Frage. Ab dem Zeitpunkt
der Geburt kann man nicht mehr zwischen
biologisch und gesellschaftlich vermittelten
Faktoren trennen. Die Wissenschaft hat dieses unselige Entweder-Oder-Dogma längst
überwunden. Interessanter und produktiver
ist die Frage, was es mit dem biologischen
Körper macht, wenn er verschiedenen Reizen ausgesetzt ist. Mehr noch: Menschliche
Körper und Personen sind in der Lage, Reize
– also Erfahrungen – selber zu produzieren.
Wir werden also nicht passiv geformt – auch
nicht in biologischer Hinsicht. Man kann
es auch so erklären: Auch wenn es um den
plastischen Organismus geht, wirken Gene
nicht per se. Sie wirken je nach Lebensweise,
Alter und Umständen.
Die gesellschaftliche Zuschreibung von
Eigenschaften ist also das Problem?
Zuschreibungen an sich sind nicht falsch, sie
helfen uns bei der Bewältigung des Alltags.
Aber aus Zuschreibungen werden verobjektivierte Strukturen. Dabei geschieht das meist
nicht absichtsvoll. Diese Zuschreibungen
entstehen im Kontext von Geschichte und
vorhandenen Institutionen. Im Ergebnis
steht dann: „Das ist halt so“.
Noch ein Beispiel: Die Deutsch-Lehrerin
meines Sohnes hält es für überraschend und
Foto: W.R. Wagner, pixelio.de
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Gender
fast unmöglich, dass er Aufsätze schreibt,
in denen das Emotionale der Figuren hervortritt. Er sei doch schließlich ein Junge.
Ich kann die Zweifel der Lehrerin nicht
verstehen und diese Äußerungen nur als ein
Festhalten an geschlechtlichen Stereotypen
deuten – entgegen eigener Erfahrung. In der
Soziologie nennen wir das Ideologie. Viele
Unterschiede kommen nicht so sehr durch
die Trennung in Männer und Frauen zustande,
sondern durch andere Faktoren, die mit der
Geschlechtlichkeit verschmelzen – Elternhaus, formale Bildung, Stadt – Land, Alter,
soziales Milieu.
Es scheint, als gäbe es einen Boom bei
der Etablierung von Gender Studies im
akademischen Bereich?
Diesen Eindruck kann ich nicht bestätigen.
In ganz Bayern gibt es beispielsweise genau
einen Lehrstuhl – nämlich meinen hier in
München. Es gibt allerdings eine Reihe von
Kolleg/inn/en, die dieses Thema in ihre
Arbeit einfließen lassen.
Ich würde sagen, dass sich die interdisziplinären Gender Studies zwar verbreitert
haben – von einem Boom kann man aber
nicht sprechen. Gender Studies sind zum
Thema geworden, weil es die Disziplinen he-
rausfordern. Beispiel Soziologie: Die Debatte
um Prekarisierung von Arbeit ist eigentlich
nicht neu. Sie blendet allerdings aus, dass seit
über 100 Jahren die eine Hälfte der Menschen
schon immer in prekären Erwerbsbiografien
tätig war. Für Frauen ist Prekarisierung
nichts Neues.
Stichwort Re-Traditionalisierung. Welche
Rolle spielt dieser Begriff in Ihrer Arbeit?
Der Begriff ist ein bisschen unglücklich, weil
er mit einer bestimmten Konnotation verbunden ist. In der sozialwissenschaftlichen
Geschlechterforschung untersucht man unter
anderem, wie Paare oder Familien funktionieren; inwieweit Wünsche und Realität
auseinanderklaffen.
Dabei stellt man häufig fest, dass es zu
einer sogenannten Re-Traditionalisierung
kommt. Bevor diese Paare Kinder bekommen,
sagen sie, dass sie anders als ihre Eltern sein
wollten. Die gleichen Paare finden sich zehn
Jahre später in ziemlich ähnlichen Situationen wie ihre Eltern wieder. Je formal gebildeter die Paare sind, desto weniger nehmen
sie die selbst gemachte Ungleichheit wahr.
Am Ende steht eben doch eine Ungleichheit
der Geschlechter, die erneut eine Generation
weitergetragen wurde.
Kein Entrinnen aus diesem Automatismus?
Doch, selbstverständlich. Aber eben weniger und weniger einfach als viele meinen.
Die Forschung spricht von einer körperlich
eingeschriebenen Trägheit, die die guten
Absichten torpediert. Das hat nichts mit Genetik zu tun – eher mit subtiler Erziehung.
Betrachten wir den Alltag, sind viele solcher
Beispiele zu finden. Architektur hat Einfluss
auf Rollenzuschreibungen, wenn Eltern
von der Kita oder der Schule angeschrieben
werden, wird in der Regel nur die Mutter
benannt, auf den Kinderspielplätzen finden
sich überwiegend Frauen. Aber auch hier
interagieren Milieu und der formale Bildungsgrad mit dem Geschlecht.
Haben wir die Freiheit, zu sein und zu tun,
was wir wollen?
Wir haben es in unserer Gesellschaft mit
deutlichen Freiheitsgewinnen und fortschreitender Pluralisierung zu tun: auch in
Bezug auf das Mädchen- bzw. Junge-Sein.
Konflikte, die es gibt, sind Ausdruck dieser
Freiheit und sie können eine Chance für mehr
Individualität sein.
Die Rolle der Gender Studies ist die der
Aufklärung. Wir geben keine moralischen
Begriffsklärungen zum Thema Gender
Das muss mal gesagt werden …
Geschlechterreflektierte Pädagogik
wird deutlich in einer Haltung der einzelnen
Pädagog_innen und ihrem Wissen, dass jedes
Denken und Verhalten durch Rollenvorstellungen und Erwartungen geprägt ist. Die
Pädagog_innen versuchen vor diesem Hintergrund, ihr eigenes Denken und Verhalten
zu reflektieren und ihre Arbeit so zu gestalten, dass ungleiche oder benachteiligende
Geschlechterverhältnisse bzw. -stereotypen
abgebaut werden.
Geschlechtsbewusste Koedukation
in der Jugendarbeit findet in einem geschlechtsheterogenen Setting statt und
beinhaltet ein bewusst pädagogisch gestaltetes gemeinsames (Lern- und) Erfahrungsumfeld für Mädchen und Jungen, in dem
gleichberechtigtes, alltägliches Miteinander
geübt und unterschiedliche Sichtweisen,
Erfahrungen, Lebenslagen und Interessen
ausgetauscht und ihnen Raum gegeben
werden kann.
Crosswork bezeichnet die Arbeit von Pädagoginnen mit Jungen bzw. von Pädagogen
mit Mädchen. Ziel der „Über-Kreuz-Pädagogik“ ist es, die tradierten Rollenvorstellungen von Mädchen und Jungen zu irritieren
Transparente Begriffsdefinitionen fördern auch beim Thema Gender fruchtbare
Diskussionen.
und zu erweitern. Von den Pädagog_innen
erfordert dies sowohl ein großes Maß an
Reflexionsfähigkeit, die eigene Geschlechterrolle als auch die pädagogische Haltung
gegenüber Jungen und Mädchen betreffend.
Mädchenarbeit sind spezielle Angebote,
Zeiten, Räume bzw. Veranstaltungen, die
ausschließlich für Mädchen reserviert und
angeboten und von einer Pädagogin betreut
werden. Sie findet in einem geschlechtshomogenen Setting statt.
Jungenarbeit sind spezielle Angebote,
Zeiten, Räume bzw. Veranstaltungen, die
ausschließlich für Jungen reserviert und angeboten und von einem Pädagogen betreut
werden. Sie findet in einem geschlechtshomogenen Setting statt.
Queere Pädagogik setzt sich kritisch mit
Foto: Maclatz, pixelio.de
Beim Thema Gender entstehen nicht
zuletzt deshalb mitunter Verunsicherungen, weil die entsprechenden
Begrifflichkeiten falsch oder unvollständig verwendet werden. Ein kleiner
Leitfaden.
der Aufteilung der Welt in zwei Geschlechter auseinander mit dem Ziel, Offenheit für
Differenzen innerhalb der Geschlechter und
geschlechtliche Zwischenformen zu schaffen.
Sie wird auch eingesetzt, um LGBT-Mädchen
und -Jungen (= Lesbian, Gay, Bisexual und
Trans) adäquat in ihrer sexuellen Identitätsentwicklung zu unterstützen.
Parteilichkeit in der koedukativen Arbeit
heißt für eine Pädagogin, bewusst und besonders den Blickwinkel von Mädchen einzunehmen und für deren Position und Belange
einzutreten (gilt umgekehrt natürlich auch
für einen Pädagogen und den Blickwinkel
und die Belange der Jungen).
Dr. Manuela Sauer,
Referentin für Grundsatzfragen, KJR
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Gender
Richtlinien heraus – auch keine Handlungsanweisungen. Vielmehr können wir forschend
feststellen, dass Dinge so oder so sind. Was
man daraus macht, muss die Gesellschaft –
respektive die Politik entscheiden. Oder frei
nach Karl Marx: „Menschen machen sich ihre
Geschichte selbst – wenn auch nicht immer
aus freien Stücken.“
Das „Barbie-Haus“ macht Ihnen also keine
Angst?
Nein. Doch wenn es nur das „Barbie-Haus“
wäre ... Schlimmer wiegen die zunehmende
Pornofizierung des Alltags oder die Tatsa-
che, dass immer mehr Jugendliche massive
Diäterfahrungen machen. Es gibt eine große
Angst vor Uneindeutigkeiten in geschlechtsrelevanter Hinsicht. Und es gibt gleichzeitig
einen starken Rückgriff auf vermeintliche
Sicherheiten.
Die so entstehenden und sich verfestigenden
Ideologien versperren aber die Sicht auf das
reale Leben. Das empfinde ich als massiver als
das hier oft zitierte „Barbie-Haus“.
Wie werden Gender Studies in zehn Jahren
aussehen?
Einerseits wird es im Alltag immer unklarer,
was Frauen und Männer sind und machen.
Gleichzeitig wird die Gestaltung der Geschlechterdifferenz dramatisch wichtiger.
Heute machen wir bereits den Trend nach
Herstellung einer künstlich erzeugten ästhetischen Eindeutigkeit aus. Das Problem
könnte die Vermischung beider Tendenzen im
Alltagserleben werden: Uneindeutigkeit und
Freiheit hier – Sicherheit und Zuschreibung
dort. Ich finde aber, dass es ein Gewinn ist,
dass die Dinge uneindeutiger werden.
Interview: Marko Junghänel
Geschlechterrollen in Migrant_innen-Familien
Mindestens eingeschränkt gleichberechtigt
Diese Zuschreibungen betreffen auch das
Thema Gleichberechtigung in den Migrant_
innen-Familien. Die Diskussion um die Geschlechterrollen von Mädchen und Jungen,
Frauen und Männern mit Migrationserfahrung
ist stark von stereotypen Bildern geprägt.
Demnach würden die aus den Herkunftsländern mitgebrachten Werte die „geschlechtlich
markierten“ Einstellungen und Rollen bestimmen. In diesem Bild würden die Männer wie
Patriarchen über ihre Familien und insbesondere über ihre Frauen und Töchter herrschen.
Es wird geschlussfolgert, dass eine solche
Machtstruktur die gesellschaftliche Teilhabe
von Frauen nicht zuließe.
Inzwischen gibt es einige wichtige Studien, die die Lebensentwürfe von jungen
Menschen mit Migrationserfahrung und ihre
Vorstellungen über Partnerschaft, Familie
und Beruf differenziert erforscht haben.
Diese Studien bieten zudem die Möglichkeit,
die mit Geschlecht verbundenen Rollenerwartungen im 21. Jahrhundert zu analysieren.
Wer macht was in der Familie?
Die im Jahr 2007 durchgeführte SinusStudie 1 zeigt, dass die oben erwähnten
pauschalen Zuschreibungen nicht stimmen.
Im Gegenteil: Menschen mit Migrationserfahrung leben genauso wie Menschen ohne
Migrationsgeschichte mit unterschiedlichen
Orientierungen, Einstellungen, Werten und
Zielen in vielfältigen Lebenswelten und bilden daher keine homogenen Gruppen.
Anknüpfend an diese Erkenntnisse haben
das Bundesministerium für Familie, Seni5|13
Die junge Generation von Zuwanderern hat meist ein sehr modernes Lebens- und
Familienbild.
oren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und die
Landesregierung Nordrhein-Westfalen im
Jahr 2010 eine qualitative Kurzzeitstudie in
Auftrag gegeben2.
Untersucht wurde, welche Vorstellungen
von Geschlechterrollen und familiärer Arbeitsteilung Frauen und Männer mit und
ohne Zuwanderungsgeschichte tatsächlich
haben, welche Modelle sie im Alltag leben
und welche Faktoren ihre Wertevorstellungen
beeinflussen. Im Fokus standen dabei zwei
Generationen – Mütter und Väter mit ihren
Töchtern und Söhnen. Damit fragte die Studie auch nach Einflüssen auf die Haltungen
und Werte sowie die Zukunftsvorstellungen
junger Frauen und Männer.
Eine Frage des Alters und
von Bildung
Basierend auf den Aussagen der Befragten
wurden drei Familienmodelle identifiziert,
die die Geschlechtervorstellungen der jeweiligen Familienmitglieder prägen. Dies sind
traditionelle, eingeschränkt gleichberechtigte und gleichberechtigte Familienmodelle.
Die Befragten wurden jeweils dem Modell
zugeordnet, zu dem sie die größte inhaltliche
Nähe aufwiesen. Im Einzelnen lassen sie sich
wie folgt beschreiben:
a) Traditionelles Modell: Der Mann ist
Alleinverdiener und Ernährer der Familie, die Frau ist nicht oder maximal
geringfügig erwerbstätig und allein für
den Haushalt und die Kinderbetreuung
verantwortlich.
b) Eingeschränkt gleichberechtigtes Modell: Beide Partner_innen sind erwerbstätig – in diesem Modell arbeitet die Frau
oft in Teilzeit. Der Mann arbeitet nennenswert in Haus- und Familienarbeit mit. Er
arbeitet der Frau zu, die den größeren Teil
der Arbeit erledigt.
c) Gleichberechtigtes Modell: Beide Partner_innen leisten gleichermaßen Erwerbs- sowie Haus und Erziehungsarbeit.
Die „geschlechtstypische“ Festlegung von
Arbeitsbereichen wird durchbrochen.
Foto: Goethe-Institut
Kulturelle Vielfalt wird in Deutschland
nicht mehr als Bedrohung, sondern
Bereicherung des täglichen Lebens
wahrgenommen. Trotzdem werden den
zugewanderten Menschen und ihren Familien häufig pauschale Einstellungen
und Rollen zugeschrieben, die sie von
außen als eine homogene Gruppe mit
weitgehend ähnlicher Lebensweise
erscheinen lassen.
Gender
Zentrale migrationsspezifische Forschungsergebnisse sind: Die Befragten der
älteren Generation bevorzugen eine traditionelle Rollenaufteilung zwischen Männern
und Frauen in der Familie. Demgegenüber
favorisiert die jüngere Generation gleichberechtigte oder zumindest eingeschränkt
gleichberechtigte Modelle. Die Studie zeigt
außerdem, dass es die jeweiligen aktuellen
sozialen Rahmenbedingungen sind, die das
geschlechtsspezifische Rollenverständnis
von Frauen und Männern prägen. Kulturelle
Einflüsse und Traditionen der Herkunftsländer spielen eine untergeordnete Rolle für
die Gestaltung des eigenen Familienlebens.
Bis auf wenige Ausnahmen vertreten die
befragten jungen Frauen und Männer eine
mindestens eingeschränkt gleichberechtigte
Position, die von Gerechtigkeit in der Arbeitsund Aufgabenaufteilung in der Partnerschaft
von Frauen und Männern geprägt ist. Für sie
gilt, dass eine qualifizierte Berufstätigkeit
beider Geschlechter ein fester Bestandteil
ihrer langfristigen Lebensplanung ist.
Die jüngeren Frauen und Männer nehmen
Erfahrungen ihrer Eltern vorweg, die durchweg davon berichten, dass deren Familienmodelle sich im Zeitablauf verändert haben.
Ob traditionelle oder eher gleichberechtigte
Familienmodelle bevorzugt und gelebt wer-
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den, hängt vor allem von der Generationenzugehörigkeit, dem persönlichen Bildungsniveau, dem aktuellen sozialen Umfeld und
bedeutenden biographischen Ereignissen im
Leben der Befragten ab.
Cumali Naz,
Beauftragter für interkulturelle Arbeit im KJR
„Migranten-Milieus – Qualitative Untersuchung der Lebenswelten von Menschen mit
Migrationshintergrund in Deutschland“,
2008
2
Die Rolle annehmen? In der Rolle bleiben?
Neue Rollen leben?, BMFSFJ 2010
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„Uns geht’s ums Ganze – Mädchen und Frauen für Selbstbestimmung“
Liegt man bequem auf einer Kühlerhaube?
Fachfrauen der Mädchenarbeit entwickelten daraus konkrete Forderungen, die im
Münchner FachForum (FaFo) für Mädchenarbeit vorgestellt und diskutiert wurden. Das
FaFo entschied sich, eine Kampagne zu den
Themen Schönheitswahn, Sexualisierung,
und Pornofizierung zu entwickeln. Die Aktion „Uns geht’s ums Ganze“ war geboren.
Der Kreisjugendring München-Stadt (KJR)
beteiligte sich von Beginn an in Form personeller bzw. finanzieller Unterstützung und
engagierte sich bei Konzeptentwicklung und
Durchführung von Kongress und Kampagne.
Ziele der Kampagne
Die Kampagne richtet sich gegen die
Pornofizierung und Sexualisierung unserer
täglichen Lebenswelt. Durch die massenhafte
Verbreitung von Handys und des Internets
finden sexualisierte, pornografische, frauenverachtende und gewaltverherrlichende
Darstellungen und Inhalte in allen Medien
schnell und ungefiltert den Weg zu Mädchen
und Jungen.
Dem soll etwas Positives entgegengesetzt
werden – „Mädchen und Frauen für Selbstbestimmung“ lautet daher der zweite Teil
des Kampagnen-Namens. Wir wollen Frauen
und Mädchen sensibilisieren, ermutigen und
Postkartenmotiv der Aktion im Rahmen der Kampagne „Uns geht’s ums Ganze“
Die Kampagne „Uns geht's ums Ganze” ist eine Weiterentwicklung des
bundesweiten Mädchenkongresses zur
Arbeit mit Mädchen und jungen Frauen,
der 2011 in München stattfand. Damals wurden dort aktuelle Chancen
und Risiken von Mädchen unter den
Aspekten Bildung, Gesundheit, kultureller Hintergrund, Mediennutzung
beleuchtet. Kernstück des Kongresses
war, aufzuzeigen, wie Sexismus und
Pornofizierung des Alltags auf die
Identitätsentwicklung von Mädchen
und Frauen wirken. Beides trägt maßgeblich zur Stabilisierung alter hierarchischer Geschlechterverhältnisse bei.
ermächtigen, Manipulationen zu erkennen,
Zusammenhänge zu durchschauen und ihre
Stimme zu erheben.
Voraussetzung dafür, dass Mädchen und
Frauen Gegenkonzepte zu den einseitigen
medialen Vorbildern entwickeln und leben
können, bildet eine stärkende und ressourcenorientierte Arbeit mit Mädchen.
Selbstbestimmung als Ziel umfasst deshalb
folgende Punkte:
n Vielfalt von Mädchen und Frauenbildern
sichtbar machen und wertschätzen
n gegen die Vermarktung des weiblichen
Körpers
n gegen die Beschränkung auf enge weibliche
Schönheitsideale
n Raum zur Entfaltung selbstbestimmter
Sexualität jenseits pornografischer Normvorstellungen
n Mädchen und junge Frauen sollen in jeder
Beziehung echte Wahlmöglichkeiten ha-
ben: im Beruf, der Familienplanung; politische und persönliche Lebensgestaltung
sind wählbar.
Projekte im Rahmen der Kampagne
n Als Grundlagen- und Methoden-Input
wurde ein Diskussionsleitfaden erarbeitet
und an die Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe, Referate und Multiplikatorinnen verschickt.
n Im Rahmen der Projektwochen „echt
schön“ zu Schönheit und Pornofizierung
wurden zwei Workshops durchgeführt.
n Die Website www.uns-gehts-ums-ganze.de
wurde im Mai 2012 ins Netz gestellt und
wird laufend ergänzt.
n Die Kampagne wurde auf den beiden
Streetlife-Festivals vorgestellt: mit Interviews zu Schönheit, Selbstbestimmung und
Pornofizierung.
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Gender
n Die Mädchenprojektetreffen „Girlz4Girlz“
und „Respect Girls“ aus Berlin zum Thema
Selbstbestimmung fanden im Jugendtreff
am Biederstein statt – ebenso …
n das Theaterprojekt „Catwalk der anderen
Art“ vom Kinder- und Jugendtreff Jump
In.
n In einem Stadtrats-Hearing im Januar ging
es um „Pornofizierung: Frauenverachtung
in neuer Dimension?“ Ziel war es, rechtliche, politische und mediale Spielräume
der Stadt auszuloten und Pornofizierung
entgegenzuwirken. Die Initiative wurde in
Zusammenarbeit mit der Gleichstellungsstelle und vielen städtischen Referaten
durchgeführt.
Forderungen
n Die Landeshauptstadt München soll ihre
Möglichkeiten, gegen sexistische Werbung
vorzugehen, ausschöpfen, beispielsweise
bei der Ausschreibung und Neuverhandlung öffentlicher Werbeflächen.
n Es sollen öffentlichkeitswirksame Werbeaktionen für die Kampagne „Uns geht’s ums
Ganze“ ins Leben gerufen und umgesetzt
werden, zum Beispiel auf städtischen
Fahrzeugen der Müllabfuhr.
n Schulung von Lehrerinnen, Pädagoginnen
in Kindertagesstätten, Schulen und/oder
Einrichtungen zur Stärkung von Kindern
und Jugendlichen gegen die Auswirkungen
von Pornofizierung.
n Finanzielle Unterstützung für Projekte,
Aufklärungs-und Öffentlichkeitsarbeit zur
Kampagne.
n Themenverankerung in der PädagoginnenAusbildung und den Schulungen für Auszubildende.
n Professionelle Sexualpädagogik für Jungen
und Mädchen unter dem Blickwinkel der
Was macht eigentlich eine Mädchenbeauftragte?
Wer ist denn Heidi Klum?
Stecken hinter Mädchenarbeit Angebote
für konkrete Zielgruppen oder politische
Arbeit?
Heidi Kurzhals: Beides. Natürlich gibt es
konkrete Angebote für Mädchen. Daneben
weisen wir in der politischen Arbeit auf weiter bestehende Ungleichheiten hin.
In der Projektarbeit geht es darum, Mädchen
und jungen Frauen eigene Erlebensräume
anzubieten. Sie sollen erkennen, dass es
Möglichkeiten für sie gibt, die sie bis dahin
nicht im Blick hatten – Stichwort Berufsorientierung.
Stehen strukturelle Benachteiligungen
hinter diesem Phänomen?
Ich denke schon. Das beginnt allerdings
oft schon im Elternhaus und bei den Erwartungen, die – aus einem traditionellen
Rollenverständnis heraus – an sie gerichtet
werden. Mädchen werden darauf trainiert,
sowohl optisch als auch verhaltensmäßig
einem Ideal zu entsprechen.
In der Schule werden Mädchen zudem selten
in naturwissenschaftlichen Fächern gefördert. Sie landen in den typischen Ausbildungsberufen und schlussendlich in schlecht
bezahlten Jobs.
Und auch wenn sie es sich vornehmen, Beruf
und Familie unter einen Hut zu bekommen,
scheitern sie damit spätestens dann, wenn
Kinder kommen und sie sich als Alleinverantwortliche für ihre Familie wiederfinden.
Wie sieht deine tägliche Arbeit aus?
Wir wollen, dass möglichst viele Mädchen zu
uns in die offenen Einrichtungen kommen.
Das ist manchmal nicht leicht, weil wir auch
die Eltern überzeugen müssen. Die Gruppenangebote für Mädchen, die einen geschützten
Raum bieten, haben sich grundsätzlich be5|13
der Gleichstellungsstelle und verschiedenen
städtischen Referaten oder eine Petition
gegen sexualisierte Außenwerbung in der
Stadt erarbeitet. Abgerundet wird das alles
durch einen regelmäßigen Austausch unter
Fachfrauen und in verschiedenen Gremien
beziehungsweise Arbeitsgruppen.
Heidi Kurzhals ist Mädchenbeauftragte
im KJR.
währt. Bei Mädchen mit Migrationserfahrung
ist es aber oft schwer, dass wir sie für unsere
Angebote gewinnen.
Irgendwann kommt die Zeit, wo Mädchen
keine gesonderten Angebote nur noch für
sich haben wollen, weil sie keine „Sonderbehandlung“ möchten. Wer von den Mädchen
aber erlebt hat, wie schön und entspannt
eine Mädchengruppe sein kann, bleibt meist
auch dabei.
Im politischen Bereich entwickeln wir trägerübergreifend im Fachforum Münchner Mädchenarbeit eine Kampagne. Aktuell läuft die
Aktion „Uns geht’s ums Ganze – Mädchen und
Frauen für Selbstbestimmung“. Die Kampagne
beschäftigt sich mit den Themen Schönheit,
Pornofizierung und der Sexualisierung von
Mädchen- und Frauenbildern sowie deren
medialer Ausbeutung. Wir haben dabei Postkarten- und Plakataktionen entwickelt und
ein Stadtratshearing in Zusammenarbeit mit
Unterscheiden sich Jungen- und Mädchenarbeit eigentlich in ihren Methoden
und Zielen?
In der Mädchenarbeit machen wir auf bestimmte Benachteiligungen aufmerksam und
vermitteln den Mädchen, dass das eventuelle
Scheitern unter diesen Benachteiligungen
nichts mit ihrer Person zu tun hat, sondern
gesellschaftlich begründet ist. Wir setzen
an ihren Ressourcen an und wollen ihnen
ein positives Körperbild und Selbstachtung
vermitteln. Das ist das Kernstück unserer
Arbeit. Insofern gibt es schon Unterschiede
zur Jungenarbeit.
Wird es weiter eine Notwendigkeit für
Mädchenarbeit geben?
Mädchen- und Jungenarbeit bleiben Querschnittaufgaben. Ich würde mir wünschen,
dass wir die geschlechtersensible Arbeit auf
weit mehr Facetten ausweiten. Denn für mich
ist klar, dass die Welt nicht so polar ist, wie
wir denken – es gibt weit mehr Geschlechtervarianten als Mädchen und Jungen. Und
eines wird wohl leider auch künftig bleiben:
die Vermarktung von Schönheit, die sich
in der fortschreitenden Pornofizierung und
Sexualisierung ausdrückt. Wir zeigen den
Mädchen, dass es absolut unsinnig ist, angeblichen Idealen wie Heidi Klum zu folgen.
Heidi Kurzhals ist Mädchenbeauftragte im KJR
Postkartenmotiv der Aktion im Rahmen der Kampagne „Uns geht’s ums Ganze“
Gender
Stärkung sexualitätsbezogener Medienkompetenz.
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den Methoden, Angebote und Konzepte für
Mädchen und Jungen entwickelt, die deren
kritisches Medienbewusstsein ermöglichen,
Selbstachtung fördern. Darüber hinaus wird
damit ein positives Körperbild vermittelt
und alternative Rollenbilder für Mädchen
und Jungen aufgezeigt.
Die Kampagne „Pinkstinks“ aus Hamburg
veröffentlichte in diesem Zusammenhang
eine Petition an den Deutschen Werberat.
Die Forderungen beziehen sich insbesondere
auf die Einflussnahme des Gremiums auf
sexistische und pornografische Werbung.
Der Vorstand des KJR unterzeichnete diese
Petition umgehend, die im September im Rahmen der Veranstaltung „Konzert und Worte
gegen Sexismus in der Werbung“ übergeben
werden soll.
Das Anliegen der Kampagne, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, wurde vor
allem durch das Stadtrats-Hearing in den
politischen Raum transportiert. Ein erster
wichtiger Schritt auf kommunalpolitischer
Ebene ist damit getan. Die Forderungen und
Ziele bilden die Grundlage für eine nachhaltige Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von Pornofizierung – ein wichtiges
Teilziel im Ringen um ein gleichberechtigtes,
gewalt- und sexismusfreies München. Die
Dokumentation des Hearings soll im Herbst
2013 vorliegen.
Die Einrichtungen des KJR arbeiten intensiv an den Themen Schönheitswahn, Sexualisierung, Pornofizierung – sie informieren
und sensibilisieren Kinder und Jugendliche
bzw. die allgemeine Öffentlichkeit. Dazu wer-
Heidi Kurzhals,
Mädchenbeauftragte des KJR München-Stadt
Was macht eigentlich ein Jungenbeauftragter?
Jungs dürfen …
Was bedeutet Jungenarbeit?
Jonas Stecher: … dahinter verbirgt sich
die Arbeit von männlichen Fachkräften mit
jungen Männern. Es ist kein Gegenpol zur
bereits länger bestehenden Mädchenarbeit –
eher eine Erweiterung. Ursprüngliche Ideen
gehen auf feministische Themen zurück,
wonach Mädchen (vor Jungen) geschützt
werden müssen. Heute geht es darum,
bestehende patriarchale Männerbilder aufzubrechen.
gebot, das Jungs anspricht – klassisches
Fitnessangebot, Kampfspiele oder Toben.
Dann sind sie schon mal in der Einrichtung.
Man kann dann die gemeinsamen Aktivitäten
ausweiten – mal zum Rafting fahren, ins
Kino gehen oder auch gemeinsam Plätzchen
backen und Ostereier bemalen.
Es geht also um Mann-Sein-Dürfen und
Mann-Sein-Können?
In den 1970er Jahren hatte man versucht,
durch Koedukation Gleichberechtigung unter den Geschlechtern herzustellen. In der
Jungenarbeit versuchen nun männliche Pädagogen, die Rollen von Jungen und jungen
Männern aufzuarbeiten.
Wir stellen den jungen Männern verschiedene Entwürfe und (Selbst-)Zuschreibungen
zur Verfügung. Grundsätzlich ist es von
Bedeutung, Jungen männliche Orientierungspunkte in der Grundschule oder im
Freizeittreff aufzuzeigen.
Wie reagieren die Jungen darauf?
Für sie ist es schön, bei einer Aktion unter
sich sein zu können. Mit unseren Angeboten
holen wir sie bei ihren Interessen ab: Aktivitäten also, die irgendwie wettkampforientiert sind. Neben klassischen Spielen gibt es
dann auch mal eine sogenannte Haushaltsrallye, bei der man nähen oder bügeln muss.
Auch Musik eignet sich für solche Projekte.
Wie sieht die Lebenswirklichkeit für junge Männer in München heute aus?
Viele wachsen als Einzelkind oder bei alleinerziehenden Eltern auf. Das verfestigt ein
Jonas Stecher holt die Jungen bei ihren
Interessen ab.
traditionelles Männerbild, weil die Jungen
in dieser Situation die Führungsrolle übernehmen müssen.
Wie sich vor diesem Hintergrund die Jungen
finden, liegt an ihrem Umfeld. Die Medien
tragen leider dazu bei, dass sich bestimmte
Vorstellungen verfestigen: Männer müssen
stark sein, dürfen nicht weinen …
Fotos: Marko Junghänel
Was sind deine Aufgaben dabei?
Zum einen entwickle ich zusammen mit dem
Jungenarbeitskreis verschiedene Angebote
und koordiniere sie. Darüber hinaus bin ich
als Jungenbeauftragter in vielen Gremien
auf lokaler, regionaler und bayernweiter
Ebene vertreten. Dadurch gibt es einen
regelmäßigen Austausch zwischen Theorie
und Praxis der Jungenarbeit. Nicht zuletzt
dienen diese Gremien auch der politischen
Lobbyarbeit – unter anderem dann, wenn es
um die Finanzierung von Aus- und Fortbildungsangeboten geht oder die Durchführung
von „Jungenaktionen“.
Wann bist du erfolgreich mit deiner
Arbeit?
Wir spüren, dass das Platzhirsch-Gehabe bei
und nach solchen Aktionen deutlich nachlässt und die Jungen keine Profilneurosen
ausleben. Das liegt ganz sicher daran, dass
keine Mädchen dabei sind und sie sich nicht
ihre Rollen erkämpfen müssen.
Letztlich geht es in der geschlechtssensiblen
Jungenarbeit darum, seinen Lebensentwurf
als Mann zu finden, der grundsätzlich multioptional ist. Wir stellen überlieferte Traditionen im Rollendenken infrage. Das umfasst
die Berufswahl, Partnerschaft, Hobbys.
Jonas Stecher ist Jungenbeauftragter im KJR.
Wie sieht die praktische Arbeit aus?
Man beginnt beispielsweise mit einem An-
Interviews: Marko Junghänel
5|13
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Gender
Körperliche Veränderungen und Geschlechtergrenzen in der Pubertät
Auf einmal alles ganz anders?*
Der Körper von Menschen verändert sich
von der Geburt bis zum Tod. Selten jedoch verläuft die reguläre Veränderung
so schnell und deutlich sichtbar wie
während der Pubertät. Bereits gegen
Ende der Grundschulzeit gibt es dafür
erste Hinweise: Die Kinder stellen
bisherige Selbstverständlichkeiten infrage, wollen immer mehr entscheiden
und möchten auf keinen Fall als kleines
Kind behandelt werden.
Was geschieht im Körper und mit
dem Körper?
Bei Mädchen werden die weiblichen Hormone Östrogen und Progesteron produziert.
Das führt zunächst dazu, dass das Schamhaar-Wachstum beginnt und sich Veränderungen an den Brüsten zeigen.
Etwa ein bis zwei Jahre nach diesen ersten
Veränderungen setzt ein allgemeiner Wachstumsschub ein. In diesem Rahmen verändert
sich die Figur und wird ‚weiblicher’: Die Beckenknochen werden breiter und führen zu
einer Rundung des Beckens. Nicht nur Schamund Achselhaare wachsen, auch an anderen
Stellen kann die Körperbehaarung zunehmen.
Bei Jungen wird das Hormon Testosteron
produziert. Als erste körperliche Veränderung werden die Hoden allmählich größer
und der Hodensack etwas dunkler. Auch bei
Jungen beginnen die Schamhaare langsam zu
wachsen und der Penis wird nach und nach
größer. Dem schließt sich das allgemeine Körperwachstum an. Dabei bekommen Jungen
tendenziell etwas breitere Schultern und die
Muskelmasse nimmt insgesamt zu.
Bin ich anders?
Dass der Körper deutlich das Erwachsenwerden anzeigt, empfinden Jugendliche als
beklemmend oder gar bedrohlich. Manche
Jungen und Mädchen merken, dass sie ihre
Schwärmereien für gleichgeschlechtliche
Freunde oder Freundinnen plötzlich nicht
mehr so einfach unter ‚kindliche Zugewandtheit‘ einordnen können. Wenn Verliebtheit,
Wünsche nach intimer Nähe und sexuelle
Bedürfnisse an eine Person des gleichen Geschlechts stärker werden, können Mädchen
und Jungen dies irgendwann nicht mehr als
kindlich-unschuldiges Verhalten verorten.
Die körperliche Veränderung und die immer
* Textauszüge in Anlehnung an einen Beitrag für die Publikation „Präsenz zeigen“. (Hrsg.: Aktion Jugendschutz Bayern,
AMYNA, in Vorbereitung)
5|13
Das Coming-out gehört zu den schwersten Schritten überhaupt.
deutlicher werdenden sexuellen Bedürfnisse
zeigen ihnen, dass es sich hier immer mehr
um erwachsenes Begehren gegenüber Menschen des eigenen Geschlechts handelt. Und
um die Frage: „Bin ich schwul oder lesbisch?
Und warum gerade ich?“ Diese Selbsterkenntnis stürzt viele in eine tiefe Identitätskrise
– oft die erste Phase eines längeren Comingout-Prozesses.
Mädchen können über einen gewissen
Zeitraum ihre Wünsche umdeuten oder bagatellisieren. Jungen hingegen spüren genau,
dass körperliche Nähe und Intimität zu einem
anderen Jungen ab einem bestimmten Alter
von der Umwelt sofort wahrgenommen und
gebrandmarkt werden.
Transsexuelle und intersexuelle
Jugendliche
Die Tatsache, dass der Körper jetzt deutlich
macht: „Du wirst zur erwachsenen Frau oder
zum erwachsenen Mann“ kann für Jugendliche auch aus anderen Gründen extrem
verunsichernd wirken. Dann etwa, wenn sie
beispielsweise eindeutig zur Frau werden,
aber gleichzeitig immer deutlicher spüren,
dass sie eigentlich ein Junge bzw. Mann sein
möchten – oder umgekehrt. In diesem Fall
ist von Transsexualität die Rede. Das heißt,
dass ein Mensch körperlich ein eindeutiges
Geschlecht hat, aber irgendwann merkt:
Ich fühle mich unwohl und „unpassend“ in
meinem (Geschlechts-)Körper.
Auch hier wird klar: Burschikoses, ‚jungenhaftes’ Verhalten von Mädchen wird bis zur
Pubertät verstanden und geduldet, danach
zunehmend seltener. Jungen, die sich als
sogenannte „sissy boys“ eher für angebliche
Mädchenthemen interessieren, ernten in der
Regel noch deutlicher und früher irritierte
und abweisende Reaktionen. Jugendliche, die
in der Pubertät spüren, dass sie transsexuell
sein könnten, haben oft mit noch weniger
Verständnis oder Einfühlsamkeit zu rechnen
als lesbische oder schwule Jugendliche.
Dementsprechend behalten viele ihre Gefühle
lange für sich.
Das allmähliche Erwachsenwerden kann
auch für intersexuelle Jugendliche schwie-
Literatur
n BZgA (2010), Jugendsexualität. Eine repräsentative Wiederholungsbefragung von 14bis 17-jährigen Jugendlichen und ihren Eltern, Köln
n BZgA (2011), Über Sexualität reden. Ein Ratgeber für Eltern zur kindlichen Sexualentwicklung in der Pubertät, Köln
n Löbner, Ingrid (2012), Körpererleben und Sexualität im Kindes- und Jugendalter. Ein
Reader, überarbeitete Neuauflage, Tübingen/Reutlingen: Pro Familia
n Matthiesen, Silja & Mainka, Jasmin (2011), Intimrasur als neue Körpernorm bei Jugendlichen, in: BZgA Forum. Heft 3/2011, Intimität, Köln: BZgA, S. 25-29
n Middeke, Martin & Füeßl, Hermann Sebastian (2010), Anamnese und Klinische Untersuchung, Stuttgart: Thieme Verlag
Foto: Fisch777, pixelio.de
Spätestens dann ist – wie es lakonisch in
einem medizinischen Fachbuch heißt – „der
bislang harmonische Entwicklungsverlauf
beendet.“ (Middeke 2010, S. 462)
21
Gender
rig werden. Intersexuell bedeutet, dass ein
Kind mit nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen zur Welt kommt. Bei etwa einer von 1.000 Geburten lässt sich nicht
zweifelsfrei feststellen, ob das Kind dem
männlichen oder dem weiblichen Geschlecht
zugeordnet werden kann. Trotzdem wird
den meisten intersexuellen Kindern dieses
eindeutige Geschlecht zugewiesen; sie
erhalten einen entsprechenden Namen und
werden geschlechtsspezifisch erzogen. In
der Regel erfolgt auch heute noch in der
frühen Kindheit in Absprache mit den Eltern
eine operative Geschlechtsanpassung. Ob
dieses Vorgehen tatsächlich dem Empfinden
entspricht, stellt sich häufig erst in der
Pubertät heraus. Nicht selten führen die
Operationen zu schweren körperlichen und
psychischen Beeinträchtigungen. Schwierig
wird es, wenn das Kind in der Pubertät spürt,
dass die ihm zugedachte Geschlechtsrolle
gar nicht passt.
Was bedeutet das für
Pädagoginnen und Pädagogen?
Pädagoginnen und Pädagogen sollten
sich insbesondere darauf einstellen, dass
die Pubertät bei den von ihnen betreuten
Kindern und Jugendlichen früher beginnen
kann, als sie selbst das erwarten würden.
Konkret heißt das: Die klassische Aufklärung
über Körperfunktionen und -vorgänge sollte
nicht zu spät einsetzen. Aufklärung besteht
zudem nicht aus einem einmaligen Gespräch
zu Beginn der Pubertät, sondern sollte immer
wieder portionsweise bei passenden Anlässen
einsetzen.
Kinder, die schon Informationen über
den eigenen Körper und über Pubertätsveränderungen haben, sind selbstsicherer
und müssen keine Angst haben, unter einer
schrecklichen Krankheit zu leiden, wenn
etwa die erste Menstruation einsetzt oder
der erste Samenerguss geschieht.
Insgesamt ist es wichtig, in der Arbeit mit
Mädchen und Jungen vor und während der
Pubertät die große Verschiedenheit der individuellen Entwicklungen mitzudenken. Das
bezieht sich etwa auf das unterschiedliche
Entwicklungstempo; aber auch darauf, dass
nicht alle Jugendlichen heterosexuell sind
oder darauf, dass die Bedürfnisse nach Rückzugsräumen und Intimsphäre unterschiedlich
stark ausgeprägt sein können.
Sebastian Kempf
Theaterstück im Kinder- und Jugendtreff Mooskito
„Der Weihnachtshorror“
In der Theaterpädagogik sind Gefühle von
großer Bedeutung: Durch das Hineindenken
in verschiedene Rollen können die Mädchen
durch die entstehende Distanz den Zugang
zu ihrer eigenen Gefühlswelt verbessern und
üben, sich in die Lage anderer Menschen zu
versetzen.
Selbstwertgefühl steigt
Zu Beginn führten wir mit den Mädchen
theaterpädagogische Aufwärmübungen
durch, die sie ermutigen sollten, aus sich herauszugehen und sich in ungewohnter Weise
zu bewegen. Durch freies Sprechen, aber auch
durch die Aufmerksamkeit der Gruppe wird
das in der Pubertät oft gering ausgeprägte
Selbstwertgefühl gestärkt. Zudem werden
Wahrnehmung und Bewegungsspielraum
des eigenen Körpers dadurch verbessert,
indem sich die Mädchen Bewegungen zu
verschiedenen Situationen ausdenken und
damit spielen.
Anschließend wurde durch gruppendynamische Spiele versucht, das Wir-Gefühl
zu stärken und etwaigen Ausgrenzungen
entgegenzuwirken, da es in diesem Alter
häufig zu Eifersüchteleien und Konkurrenzkämpfen untereinander kommt. Im Verlauf
Im Rampenlicht zu stehen ist aufregend, Mädchen lernen dabei, aus sich herauszugehen.
des Workshops entwickelte sich eine positive
Gruppendynamik: Die Mädchen spürten, dass
sie aufeinander angewiesen sind und zusammenhalten müssen, damit das Projekt gelingt. Zudem wurden Demokratieverständnis
und Sozialverhalten der Mädchen gefördert,
indem sie bei Unstimmigkeiten gemeinsam
nach einer Lösung suchten.
Kreativität und Teilhabe
Die Teilnehmerinnen erarbeiteten mit
Unterstützung einer Pädagogin den Inhalt
des Stücks und konnten so ihre eigenen Interessen einbringen. Jedes Mädchen durfte
ihre Rolle frei wählen und erfinden; dies
fördert die Kreativität sowie die Möglichkeit der Partizipation. Die Mädchen lernen
dabei, sich von ihren Alltagssorgen zu lösen
und gedanklich in verschiedene Rollen zu
schlüpfen – unabhängig von eigenen oder
Foto: Rainer Sturm, pixelio.de
Highlight der parteilich-geschlechtsspezifischen Mädchenarbeit im Mooskito war ein mehrwöchiger Theaterworkshop, in dem eine Gruppe von
acht Mädchen mit Unterstützung einer
Pädagogin ein Theaterstück konzipiert und gemeinsam die Aufführung
geplant hatte. Dieses Projekt wurde
im geschlechtshomogenen Rahmen
angeboten, da es den Mädchen in der
Pubertät dann leichter fällt, aus sich
herauszugehen und über Gefühle zu
sprechen, wenn sie unter sich bleiben.
gesellschaftlichen Zuschreibungen. Dadurch
werden ihnen Möglichkeiten zur Veränderung
aufgezeigt.
Nachdem gemeinsam ein Drehbuch erstellt
worden war, begannen die Proben. Fünf
Übungseinheiten und eine Generalprobe später fühlten sich die Mädchen sicher genug,
um ihr Stück öffentlich vorzuführen.
Dafür erstellten die Teilnehmerinnen
selbst einen Flyer, den sie an geladene Gäste
verteilten. Zur erfolgreichen Aufführung
kamen über 35 Personen. So konnte auch
der Kontakt zu den Eltern vertieft werden.
Natürlich lief nicht alles glatt; ein paar Fehler
sorgten für herzliches Lachen im Publikum.
Die ausgelassene Stimmung bei der „AfterShow-Party“ zeigte, wie erleichtert und stolz
die Mädchen auf das Erreichte waren.
Astrid Bramm, Katharina Fertl,
KJT Mooskito, KJR
5|13
22
Gender
Umsetzung der qualitativen Indikatoren der „Leitlinien Mädchen“
Maßstab für tägliches Handeln
Dazu wurde von den Abteilungsleitungen
der Offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA)
ein Fragebogen entwickelt, der von den
Einrichtungen ausgefüllt und zum Teil mit
den Abteilungsleitungen besprochen wurde. Zusätzlich zu den Abfragen gaben die
Mitglieder des Arbeitskreises Mädchen (AK)
ein Feedback zur Erprobungsphase ab, das in
Kleingruppen erarbeitet worden war.
Das Ziel der Erarbeitung von Indikatoren
bestand nicht darin, dass jede Einrichtung
diese vollständig in der pädagogischen Arbeit
umsetzt, sondern die Einrichtungen gemäß
eigenem Profil und Schwerpunktsetzung im
Rahmen der Zielvereinbarungen die Umsetzung anhand der Indikatoren eigenständig
steuern und überprüfen kann.
Fast alle Indikatoren in der Praxis
umgesetzt
Dennoch zeigt sich in der Auswertung, dass
ein großer Teil der insgesamt 39 Indikatoren
in vielen Häusern umgesetzt wird. Über
alle diese Indikatoren hinweg ergibt sich
ein Umsetzungsgrad von etwa 66 Prozent.
Das bedeutet, dass 26 Indikatoren im sehr
guten bis guten Umsetzungsbereich liegen.
Nur zwei Indikatoren befinden sich im sehr
Kindertreff Bogenhausen
Im Zuge der Evaluierung der Leitlinien Mädchen (LL Mädchen) wurden
2009/2010 qualitative Indikatoren
entwickelt, um eine fachliche Steuerung, Zielformulierung bzw. -überprüfung der Umsetzung vornehmen zu
können. Die Indikatoren wurden im
Jahr 2012 vom Vorstand des Kreisjugendring München-Stadt zur Erprobung beschlossen, um im Anschluss
deren Praxistauglichkeit überprüfen
zu können.
Mädchenarbeit im Kindertreff Bogenhausen
geringen Umsetzungsbereich (in weniger als
20 Prozent der Einrichtungen umgesetzt).
Das ist nicht verwunderlich, weil beide Indikatoren nicht für die OKJA-Einrichtungen,
sondern den Kita-Bereich entwickelt wurden.
Die besten Umsetzungswerte über alle
Einrichtungen und Regionen hinweg erreichen diejenigen Indikatoren, die in etwa
90 Prozent der Einrichtungen umgesetzt
werden. Diese sind:
n „Die geschlechtergerechte Haltung und
Auffassung von Bewerbungen für eine Stelle wird im Bewerbungsgespräch abgefragt.“
n „Mädchen wird der Zugang zu allen koedukativen Angeboten ermöglicht, und sie
werden dabei unterstützt. Gründe für die
Nichtwahrnehmung werden in der Teamsitzung überprüft und besprochen.“
n „Es gibt eigene Angebote nur für Mädchen.“
n „Den Mädchen werden Erlebnisräume
ermöglicht, und sie werden zu neuen Erfahrungen herausgefordert.“
Die Mitglieder des AK kamen zu einer
positiven Bilanz der Umsetzungsphase der
Indikatoren. Nach Einschätzung der meisten
Mitglieder des AK sind diese Indikatoren
hilfreich und zielführend für eine gute Mädchenarbeit, da sie eine Orientierungshilfe
darstellen, Bestandsaufnahme und Selbstreflexion ermöglichen sowie Anregungen für
neue Ideen liefern. Über die Konsequenzen
aus der Erprobungsphase wird der Vorstand
des KJR in einer der nächsten Sitzungen
beraten.
Dr. Manuela Sauer,
Referentin für Grundsatzfragen, KJR
Männer in ErzieherInnen-Berufen
Unter Generalverdacht!?
Seit etwa 15 Jahren findet in der Bundesrepublik eine intensive Debatte
um die Frage statt, wie der Anteil
männlicher Fachkräfte in sogenannten
‚Frauenberufen’ – vor allem in Kindertagesstätten – erhöht werden kann
(vgl. Koordinationsstelle ‚Männer in
Kitas’ 2012).
In diesem Zusammenhang werden in erster
Linie solche Sachverhalte erörtert, welche
konkreten Ziele mit der Gewinnung von Männern für soziale Berufe erreicht werden sollen
und wie sich hierdurch Geschlechtszughörigkeit und Geschlechterdifferenz – sprich Geschlechterverhältnisse – verändern könnten.
5|13
Die Diskussion wird sowohl in fachlichen
Zusammenhängen als auch innerhalb der
medialen Öffentlichkeit bzw. der Politik
geführt. Im Fokus der Erörterungen liegen
vor allem drei Problemstellungen. Zum
Ersten die Frage, wie männliche Fachkräfte für den Beruf des Erziehers gewonnen
werden können; zum Zweiten die Frage,
welche Funktion Männern als Erzieher in
Kitas zukommt und über welche besonderen
Qualifikationen sie verfügen sollten. Zum
Dritten die Frage, wie mit dem immer wieder
geäußerten Generalverdacht gegenüber
Männern und dessen Auswirkungen auf die
Professionalität von ErzieherInnen umgegangen werden kann und muss. Zu allen drei
Fragekomplexen werden unterschiedliche
Positionen und Zugänge vertreten, wobei
diese wesentlich von den Eigeninteressen
der Beteiligten, den Konstruktionsprozessen von Geschlecht im institutionellen
Kontext (beispielsweise durch die Interaktion der Professionellen in den Kitas,
durch den Träger, durch die Interaktion der
Erzieher Innen mit den Kindern, durch die
Eltern), den gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen und vergeschlechtlichtem
Handeln in Arbeitskontexten abhängig
sind. Dass in solchen Arbeitskontexten
geschlechtstypische Differenzen und Handlungsweisen verstärkt werden, darauf wird
unter anderem in den Studien der Koor-
Gender
dinierungsstelle ‚Männer in Kitas’ (2012)
sowie von Buschmeyer (2013) verwiesen.
Generalverdacht beeinflusst
Selbstverständnis
Deutlich werden Fragen der Geschlechterverhältnisse und Geschlechtsattribution
(Einflussnahme anderer auf die Einnahme
der „richtigen“ Geschlechtlichkeit, vgl.
Buschmeyer 2013) auch und besonders am
gegenüber männlichen Erziehern geäußerten
Generalverdacht. So zeigt sich in vom Autor
geleiteten Fort- und Weiterbildungen für
ErzieherInnen, dass durch die männlichen
Teilnehmer der Aspekt des Generalverdachts
immer wieder als ein ihr professionelles
Selbstverständnis und ihre alltägliche Arbeit
stark beeinflussender Sachverhalt wahrgenommen wird. Um den Generalverdacht
im Alltag zu entkräften bzw. zu umgehen,
haben sie individuelle Strategien entwickelt.
Zugleich trage der Generalverdacht nicht
unwesentlich dazu bei,
n ihr professionelles Handeln infrage zu stellen (bis dahin, dass sie überlegen, ob sie
überhaupt in diesem Berufsfeld arbeiten
können),
n dass Träger und Einrichtungen Festlegungen gegenüber den männlichen Erziehern träfen, die den Umgang mit Kindern
einschränken und
n bestehende Geschlechtervorstellungen
und Stereotype zu zementieren.
Die von den FortbildungsteilnehmerInnen
geäußerten Bedenken zur eigenen Tätigkeit
werden durch die Studie von Buschmeyer
(2013) belegt. Die Autorin zeigt auf, dass Erzieher ihr alltägliches Handeln sehr wohl am
Generalverdacht ausrichten, sich hierdurch
an einer geschlechtsspezifischen Professionalität orientieren und diese verfestigen. So
sind sie im alltäglichen Umgang mit Kindern
bemüht, Körperkontakte zu vermeiden bzw.
im körperlichen Handeln Distanz gegenüber
den Kindern zu wahren, um sich nicht dem
Verdacht der sexuellen Gewalt ausgesetzt zu
sehen. Die Gefühlsarbeit der Erzieher mit
den Kindern – im Sinne der Arbeit am Wohlbefinden und an den Gefühlen der Kinder –
werde hierdurch ebenso beeinflusst wie das
professionelle Selbstverständnis der Erzieher
(vgl. Buschmeyer 2013).
Handeln folgt Logik des Verdachts
Dass sich der Generalverdacht auf das
Selbstbewusstsein und das professionelle
Selbstverständnis der Erzieher auswirkt,
haben auch Cremers/Krabel (2012) in ihrem
Beitrag dokumentiert. Für die Autoren ist
der Generalverdacht ein „unsachgemäßes
(Vor-)Urteil“ und führe bei „Männern in der
Berufsorientierung, bei Studierenden in der
Ausbildung und bei männlichen Fachkräften
in der Praxis zu Verunsicherungen“ (S. 266).
Die Autoren sprechen sich dafür aus, dass
Träger von Kitas und auch die Kitas selbst
sowohl den Aspekt des Generalverdachts
als auch den des sexuellen Missbrauchs in
pädagogischen Institutionen thematisieren.
Durch Cremers/Krabel werden im Beitrag
23
„Bausteine eines Konzepts zum Umgang mit
dem Generalverdacht“ sowie „Schutz vor
sexueller Gewalt“ entwickelt, die die Basis
für einen professionellen Umgang mit diesen
Themen in Kitas sein können und dazu beitragen würden, ihre männlichen Mitarbeiter
sowohl vor dem Generalverdacht zu schützen
als auch in ihrer Professionalität und ihrer
professionellen Identität zu stärken.
Gerd Stecklina, Hochschule München,
Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften
Literatur
n Buschmeyer, Anna (2013): Zwischen
Vorbild und Verdacht: wie Männer im
Erzieherberuf Männlichkeit konstruieren, Wiesbaden
n Cremers, Michael/Höyng, Stephan/
Krabel, Jens/Rohrmann, Tim (Hrsg.)
(2012): Männer in Kitas, Opladen,
Berlin, Toronto, hrsg. für Koordinierungsstelle ‚Männer in Kitas’
n Cremers, Michael/Krabel, Jens (2012):
Generalverdacht und sexueller Missbrauch in Kitas: Bestandsanalyse und
Bausteine für ein Schutzkonzept, in:
Cremers, Michael/Höyng, Stephan/
Krabel, Jens/Rohrmann, Tim (Hrsg.)
(2012): Männer in Kitas. Opladen, Berlin, Toronto, hrsg. für Koordinierungsstelle ‚Männer in Kitas’; S. 265-285
Haushaltsrallye für Jungen
Das pädagogisch wertvolle Bügeleisen
„Haushalt ist Frauensache. Die können
das viel besser. Ich hab auch keine Lust,
das zu lernen – macht ja keinen Spaß“.
So ähnlich klingt es, wenn man Jungen
fragt, wer zu Hause kocht, wäscht oder
den Tisch deckt. In vielen Fällen kommt
es sogar vor, dass Jungen sich schlicht
weigern, einfachste Arbeiten im Haushalt zu erlernen. Wozu auch, wenn man
nach der Schule nach Hause kommt und
das Mittagessen auf dem Tisch steht.
Selbst das kleine Loch hat die Mama noch
schnell geflickt. Oft kommen Jungen gar
nicht erst in die Versuchung, sich an der
Hausarbeit zu beteiligen. Es scheint einfach nicht notwendig zu sein – manchmal
sollen sie sich auch gar nicht beteiligen.
Traditionelle Rollenmuster von Mann und
Frau gibt es in vielen Familien noch immer.
Sie unterstützen eine „Anti-HausarbeitsHaltung“. Jungen und Männer können aber
gute Haushälter sein. Die Praxis zeigt, dass
das Erlernen verschiedener Tätigkeiten im
Haushalt sogar Spaß machen kann: Im April
fand deshalb erneut eine Haushaltsrallye
für Jungen statt. Durchgeführt wurde diese
Aktion vom Jungenarbeitskreis. (siehe dazu
Artikel „Männersache“, K3, 4-2013)
Warum eine Rallye?
Obwohl wir in einer pluralen Gesellschaft
leben, sind bis heute traditionelle Muster von
Männlichkeit in die Köpfe vieler Menschen
eingebrannt. In vielen Familien gilt der
Mann nach wie vor als Familienoberhaupt
und Ernährer – die Frau versorgt. Aufgabe
der Jungenarbeit ist, durch Aktionen, wie
beispielsweise eine Haushaltsrallye diesem
Rollenverständnis entgegenzuwirken. Die
5|13
24
Gender
Jungen sollen sich innerhalb ihrer sozialen
Umwelt ohne vermeintliche gesellschaftliche
Zwänge entwickeln können.
Zwar wurden bereits viele Schritte unternommen; die Geschlechterrollen sind
zudem scheinbar flexibler geworden. Aktuelle
Statistiken zeigen jedoch, dass sich die traditionelle Arbeitsteilung im Haushalt bisher
wenig verändert hat. Die Haushaltsrallye
will deshalb Jungen zur partnerschaftlichen
Teilung der Haushaltsarbeit ermutigt. „Ganz
nebenbei“ können sie dabei ihre Kompetenzen ausbauen.
Auf spielerische Art stellen die Jungen
ihr haushälterisches Können unter Beweis:
Schneller, höher, weiter – der olympische
Gedanke ist Jungen schon von klein auf
bekannt. In Wettkämpfen zu zeigen, was
man kann, führt nicht nur zu Selbstbestätigung und Anerkennung. Es macht zudem
Spaß, besser zu sein, sich selbst zu steigern
und am Ende einen Preis für sein Können zu
bekommen. Es kommt hierbei nicht allein
auf körperliche Stärke an. Die wichtigsten
Eigenschaften, die mitzubringen sind, sind
Genauigkeit, Teamarbeit und Kreativität. Die
Praxis zeigt, dass diese Eigenschaften nicht
vom Alter eines Jungen abhängig sind. Vielmehr spielen Übung und männliche Vorbilder,
bei denen man sich etwas „abschauen“ kann,
eine zentrale Rolle.
In einigen Einrichtungen des Kreisjugendring München-Stadt (KJR) wird vor der
Rallye mit Pädagogen geübt. Da die Jungs
gut abschneiden wollen, nehmen viele dieses „Training“ gern an. Sie lernen dabei fast
unbewusst bis dato unbekannte Griffe und
Kniffe beim Knopfannähen, Bügeln oder
Serviettenfalten. Die Pädagogen werden dabei als Vorbilder, Trainer oder Idole genutzt.
Ein schier unendlich weites
Lernfeld
In der pädagogischen Arbeit mit Jungen
soll eine Auswahl an Männerbildern gezeigt
werden: Ein Mann ist nicht nur Familienernährer, Macho und Handwerker. Ein
Mann kann genauso gut Hausmann und/
oder Unterstützer bei der Hausarbeit sein.
Patriarchale Männerbilder mit tradierten Rollenmustern können durch die Rallye aufge-
brochen und erweitert werden. Jungen sollen
verstehen, dass Hausarbeit nicht Frauensache
ist, sondern sie diese Aufgaben ebenso gut
übernehmen können und sollen. Das Erlernen
dieser Tätigkeiten nützt den Jungen selbst.
Sie werden selbständiger und autonom. So
können sie beispielsweise selbst bestimmen,
ob sie ihr Hemd noch einmal auf Vordermann
bringen wollen, bevor sie es anziehen.
Da für die Bewältigung der verschiedenen
Stationen der Haushaltsrallye unterschiedliche Kompetenzen benötigt werden, stellt
sich der Lernerfolg nicht ausschließlich
auf Haushaltsebene ein. An der Station
„Tischdecken“ kommt es beispielsweise auf
Kreativität an; beim Knopfannähen ist Feinmotorik gefragt. Abgerundet wird die Rallye
durch ein Haushalts-Quiz, bei dem das Wissen
theoretisch „geprüft“ wird.
Die Kompetenzen, die bei der Haushaltsrallye vermittelt werden, sind für die Jungen
von entscheidender Bedeutung – wertvolles
Wissen fürs Leben gewissermaßen.
Jonas Stecher,
Jungenbeauftragter des KJR
Mädchen im Bauspielbereich
Eine „spielernste“ Angelegenheit
Natürlich stehen alle Angebotsbereiche
Mädchen und Jungen gleichermaßen offen.
Jeder kann ganz niedrigschwellig und ohne
Umstände zu uns kommen und kostenlos
im sogenannten Werkzeugkonti Geräte leihen. Man bekommt von fachlich versierten
Pädagogen Anleitung – eine sogenannte
Bauhilfe. Jedes Kind kann einfach und ohne
Geldeinsatz eine Hütte „mieten“ – an jedem
Öffnungstag zwischen 13 und 18 Uhr.
Yes, we can – zum Beispiel sägen, hämmern, Häuser bauen …
„Mädchen wollen halt nicht bauen“
Man könnte fragen: „Warum brauchen wir
… in der außerschulischen Jugendbildung
einen eigenen Beitrag zur Mädchenbildung?“
(Kunert-Zier, 2011, S. 199).
Im Bauspielbereich stecken viele Personalressourcen und hoher Materialeinsatz;
der größte Platz unserer Einrichtung ist
für den Bauspielbereich vorgesehen. Dieser
Bereich ist Kernstück des ABIX. Das Angebot
5|13
ist Magnet und das Aushängeschild der Einrichtung: toll, aufregend, attraktiv.
Zumindest aus der Sicht der Jungen. Denn
Tatsache ist, dass der Bauspielbereich1 wesentlich stärker von Jungen als von Mädchen
genutzt wird. Trotz aller pädagogischen
Bemühungen sind nur 30 Prozent Mädchen
als Nutzer des Bauspielbereichs zu finden.
Dabei wurde Aufenthaltsdauer und Länge
der Betreuung oder die eigene Aktivität
nicht dokumentiert. In diesem Fall würde
die Bilanz wohl noch ungleicher ausfallen.
Das bedeutet, dass der Bauspielbereich zu 70
bis 80 Prozent von Jungen genutzt wird. So
müssen wir feststellen, dass auch in unserem
durchdachten und professionellen Angebot
eine indirekte Verschiebung zugunsten
männlicher Jugendlicher stattfindet. (Die
Gesamtbesucherzahl liegt im Gegensatz
dazu mittlerweile schon lange konstant bei
Foto: ABIX
ABIX – der Abenteuerspielplatz Hasenbergl – besteht aus einem großen
pädagogisch betreuten Aktivspielplatz mit spannenden Spielgeräten,
dem ganzjährig und wetterunabhängig
geöffneten Kinderspielhaus, einer
Lernförderung für eine kleine Stammgruppe und einem gut ausgestatteten
Bauspielbereich. Hier können Kinder
– pädagogisch betreut – mit echten
Werkzeugen wie Säge, Hammer und
Nägeln Hütten bauen, sie mieten und
manchmal diese auch wieder abreißen.
Gender
50 : 50). Diese Situation spiegelt sich übrigens auch in der „echten“ Berufswelt wider:
Wo zieht es unsere Mädchen im beruflichen
Bereich hin? „Knapp 30 Prozent der Beschäftigten im Handwerk sind (zwar) Frauen …
Frauen (stellen) im Friseurhandwerk (79
Prozent), bei Augenoptikern (62 Prozent),
Gebäudereinigern (54 Prozent), Fotografen
(63 Prozent) sowie in den Lebensmittel- und
Gesundheitshandwerken die Mehrheit der
Beschäftigten”. (Glasl, S. 13). Bisher arbeiten
im gesamten Tischlerhandwerk aber nur 9,3
Prozent Frauen2.
Wo ist also das Spiel, wo beginnt der Ernst?
Wir sollten uns die Frage stellen, inwiefern
der „Bauspielbereich“ eher als „Bauernstbereich“ betrachtet werden müsste. Klar, die
Kinder bauen nicht ernsthaft, sie "spielen"
bauen. Sie können im Bauspielbereich aber
recht ernsthaft am Werk sein. Die Werkzeuge
verleihen dem Akteur auf jeden Fall schon
äußerlich Ernsthaftigkeit. Er muss vorsichtig
sein, er muss was drauf haben, aufpassen,
sich nicht wehzutun und seine Sache richtig machen. Am Ende jeden Jahres wird ein
Preis – der Goldene Hammer – für das tollste
Haus verliehen. Auch das ist für Kinder eine
durchaus ernste Angelegenheit und echte
Anerkennung.
Ist also unser größter Bereich doch ein
jungenorientiertes Angebot? Man könnte
antworten: nein. Wird nicht deutlich, dass
Mädchen offensichtlich nicht so viel im
Bauspielbereich sein wollen, sie also einfach
nicht daran interessiert sind? Mädchen wollen sich vielleicht nicht schmutzig machen,
so viel draußen sein und an eigenen Hütten
bauen. Es ist ihre eigene Entscheidung.
Konstruierte Geschlechtereigenschaften
Man könnte auch sagen: ja. Erkenntnisse
der Genderforschung öffnen einen neuen
Blickwinkel auf unser Problem. Die Gendertheorie liefert uns die Erkenntnis, dass
Unterscheidungen zwischen Frauen und
Männern „nicht nur aufgrund körperlicher
Unterschiede, sondern vor allem in Bezug
auf soziale Ausprägungen zu erklären sind.“ 3
„Daraus werden Geschlechtereigenschaften
abgeleitet. Im Laufe des Lebens wird der
Mensch in einem komplexen Prozess von
Erziehung, gesellschaftlichen Normen und
Werten, Stereotypen, Identifikationen, Bildern, Traditionen zum Mädchen bzw. zur Frau
oder zum Jungen bzw. zum Mann „gemacht“.4
Das heißt, Geschlecht wird konstruiert und
Literatur
n Genderkompetenzzentrum. Humboldt-Universität zu Berlin, www.genderkompetenz.
info/w/files/gkompzpdf/gkompz_was_ist_gender.pdf, Abruf 6_2013
n Kunert-Zier, Margitta (2011), Mädchenbildung, in: Handbuch außerschulische Jugendbildung. Grundlagen – Handlungsfelder – Akteure, S. 199-214
n Glasl, Markus (2003), Beschäftigungssituation von Frauen im Handwerksunternehmen,
www.bmfsfj.de/doku/Publikationen/genderreport/01-Redaktion/PDF-Anlagen/litlfi-muenchen.de,property=pdf,bereich=genderreport,sprache=de,rwb=true.pdf, Abruf
6_2013
n Herringer, Norbert (2006): Empowerment in der sozialen Arbeit. Eine Einführung, 3.
erweiterte und aktualisierte Auflage
n Was ist Gender Mainstreaming? Universität Duisburg, www.uni-due.de/genderportal/
mainstreaming_definition.shtml, Abruf 6_2013
25
das geschlechtstypische Verhalten unterliegt
nicht der freien Wahl. Können Mädchen unter
diesen Voraussetzungen frei wählen, ob sie
den Baubereich cool finden? Was könnten wir
tun, um die Wege freier zu gestalten? Das ist
eine andauernde Herausforderung.
Bleiben als Gegenpol zu dieser kritischen
Bilanz unsere wirklich ermutigenden Erlebnisse mit einzelnen Mädchen, mit unseren 30
Prozent. Es gibt sie nämlich – die Baumädchen
–, die sich gern und mit viel Elan im Bauspielbereich betätigen. Wenn wir nicht von Zahlen
ausgehen, sondern von einzelnen Mädchen,
die hier etwas für sich mitnehmen können,
stellt sich unsere Bilanz erheblich positiver
dar. Für diese wenigen Mädchen geht von unserem Angebot ein Impuls aus, den Herringer
als „Empowerment“ bezeichnet:
„Empowerment bedeutet Selbstbefähigung
und Selbstbemächtigung, Stärkung von Eigenmacht, Autonomie und Selbstverfügung.
Empowerment beschreibt mutmachende
Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen
Menschen in Situationen des Mangels, der
Benachteiligung und gesellschaftlichen
Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, indem
sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden,
eigene Kräfte entwickeln und ihre individuellen und kollektiven Ressourcen zu einer
selbstbestimmten Lebensführung nutzen
lernen”. (S. 20)
Regina Münderlein, Leiterin ABIX
1
2
3
4
Quartalsberichte 2006
immerhin aber fast 100 Prozent mehr als
noch in den 1960er Jahren, www.handwerkbw.de/fileadmin/user_upload/Newsanhaenge/2011/statistik-frauen-im-handwerk.
pdf, Abruf am 6_2013
www.genderkompetenz.info/w/files/
gkompzpdf/gkompz_was_ist_gender.pdf
www.uni-due.de/genderportal/mainstreaming_definition.shtml
(Rück-)Besinnung auf klassische Rollenverteilung
Rolle rückwärts?
Eine eigene Familie sowie eine Erwerbstätigkeit sind wichtige Lebensziele
junger Frauen und Männer: Frauen
haben heute eine ebenso starke Erwerbsorientierung wie Männer. Auch
hinsichtlich der Orientierung auf eine
eigene Familie finden sich mittlerweile
keine Unterschiede mehr zwischen
jungen Frauen und Männern. Die jungen
Männer messen in ihren Lebensplanungen einer (zukünftigen) eigenen
Familie eine genauso hohe Bedeutung
zu wie junge Frauen.
Gewichtet man die Aussagen zu einem
breiten Spektrum von Lebensbereichen,
wird deutlich, dass für 13- bis 20-Jährige
Gesundheit und Herkunftsfamilie unein-
geschränkt hohe Bedeutung haben (siehe
Abbildung). Natürlich spielen Freundschaften und Aktivitäten in der Freundesclique
in dieser Altersgruppe eine große Rolle.
Dementsprechend erhält auch der Lebensbereich „Freund/-innen und Bekannte“ eine
hohe Wertschätzung. Das hohe Gewicht von
Bildung/Ausbildung bzw. Arbeit/Beruf bei
jungen Frauen und Männern untermauert die
starke Leistungsorientierung der heranwachsenden Generation. Die jungen Menschen
streben eine möglichst gute Schulbildung
und Ausbildung an, um beste Chancen für
einen unbefristeten und attraktiven Arbeitsplatz zu haben. Wichtig in dieser Altersspanne sind auch die Themen Partnerschaft und
eine (spätere) eigene Familie. Diese privaten
Lebensbereiche verzeichnen im Vergleich
zu den letzten zehn Jahren die stärksten
Zuwachsraten und eine Angleichung in der
Wertschätzung von jungen Frauen und Männern. Die hohe Bedeutung von Familie spiegelt darüber hinaus ein wachsendes Bedürfnis
nach Geborgenheit in verlässlichen sozialen
Beziehungen wider, das die Jugendlichen in
der von Konkurrenzdruck und Ungewissheit
geprägten Ausbildungs- und Berufswelt
immer weniger erleben. Allerdings muss
man feststellen, dass die Annäherung in der
Berufs- und Familienorientierung junger
Frauen und Männer nicht bedeutet, dass
sie sich bei der Übernahme der Hausarbeit
in der Familie oder beim beruflichen Erfolg
angeglichen hätten.
Gegenüber den privaten Lebensräumen
und dem Bildungs-/Ausbildungs- bzw. Er5|13
26
Gender
Abbildung: Wichtigkeit von Lebensbereichen bei 13- bis 20-Jährigen nach Geschlecht
(Mittelwerte*)
Noch ist nicht alles gleich
Eltern und Geschwister
Gesundheit
Freunde u. Bekannte
Schul- u. Beruf sausbildung
Freizeit und Erholung
Beruf und Arbeit
weiblich
Partnerschaf t
männlich
Eig. Familie u. Kinder
Engagement in
Vereinen/Verbänden
Politik
* Frage: Wie wichtig sind für Sie persönlich die
folgenden Lebensbereiche? Antwortskala von 1
= überhaupt nicht wichtig bis 6 = sehr wichtig.
Je größer der Mittelwert desto höher ist die
Wichtigkeit. Quelle: AID:A – DJI-Survey 2009
(gewichtet), 13- bis 20-Jährige, N=4.818.
Religion
1
2
3
4
5
6
Abbildung: Einstellungen zur Arbeitsteilung von Frau und Mann in der Familie bei 13bis 20-Jährigen** (in Prozent)
Mädchen und junge Frauen
Wenn Kinder da sind, soll der
Mann arbeiten gehen und die
Frau zu Hause bleiben und die
Kinder versorgen
18
39
43
stimme zu
unentschieden
stimme nicht zu
12
0%
32
20%
55
40%
60%
80% 100%
Jungen und junge Männer
Wenn Kinder da sind, soll der
Mann arbeiten gehen und die
Frau zu Hause bleiben und die
Kinder versorgen
28
41
32
stimme zu
unentschieden
Auch wenn eine Frau arbeitet,
sollte der Mann der
"Hauptverdiener" sein, und die
Frau sollte die Verantwortung
f ür den Haushalt tragen
stimme nicht zu
20
0%
5|13
Egalitäre Rollenbilder sind immer verbreiteter in der jungen Generation. Junge Männer
urteilen allerdings noch immer etwas stärker
„traditionell“ als junge Frauen.
Die Jugendstudien des Deutschen Jugendinstituts belegen seit Beginn der 1990er
Jahre einen kontinuierlichen Anstieg egalitärer Rollenbilder bei jungen Frauen und
Männern. Allerdings bleibt eine gewisse
Geschlechterdifferenz in den Einstellungen
zur Arbeitsteilung von Frau und Mann in der
Familie erhalten. Die jungen Männer stimmen
einem traditionellen Rollenbild stärker zu. So
sind die 13- bis 20-jährigen Jungen häufiger
als die gleichaltrigen Mädchen der Meinung,
dass die „Frau die Kinder versorgen sollte“
oder der „Mann der Hauptverdiener sein
sollte“ (siehe Abbildung).
Martina Gille,
Deutsches Jugendinstitut München
Kunst u. Kultur
Auch wenn eine Frau arbeitet,
sollte der Mann der
"Hauptverdiener" sein, und die
Frau sollte die Verantwortung
f ür den Haushalt tragen
werbsleben nachgeordnete Bereiche sind
das Engagement in Vereinen, Kunst/Kultur,
Politik und Religion.
35
20%
40%
45
60%
80% 100%
**Frage: Im Folgenden geht es um die Situation von Männern und Frauen im Alltagsleben.
Inwieweit stimmst Du/stimmen Sie persönlich
diesen Aussagen zu? Bitte antworte/antworten Sie mit einem Wert zwischen 1 und 6. Eine
1 bedeutet stimme voll und ganz zu, eine 6
bedeutet stimme überhaupt nicht zu. Für
die Darstellung sind die Antwortkategorien
1 und 2 für stimme zu, die Werte 3 und 4
für unentschieden und die Werte 5 und 6 für
stimme nicht zu zusammengefasst. Quelle:
AID:A – DJI-Survey 2009 (gewichtet), 13- bis
20-Jährige, N=4.818.