Go to Gemba oder die Weisheit liegt im Keks
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Go to Gemba oder die Weisheit liegt im Keks
K AIZEN Kaizen-Fachtagung des Management Circle Go to Gemba oder die Weisheit liegt im Keks Die Haltung wechseln, nicht bewahren: Dem japanischen Managementkonzept Kaizen zufolge ist jedes System ab dem Zeitpunkt seiner Einrichtung dem Verfall preisgegeben, wenn es nicht kontinuierlich bearbeitet wird. Für ein Unternehmen bedeutet das, dass es sich fortwährend optimieren soll; für die Mitarbeiter, dass sie an sich und ihrem Arbeitsumfeld arbeiten, um potenzielle Schwachstellen zu eliminieren. Und das möglichst jeden Tag. Wie das geht und welchen Erfolg es bringt, zeigte der Kaizen-Kongress, zu dem der Management Circle am 4. und 5. November 2009 ins Münchener Hotel Sofitel einlud. Autorin: Julia Rüd GRASSROOTS-BEWEGUNG. »Bei uns arbeiten die Ingenieure mit den Bäckern an einem Tisch«, wusste Dr. Christoph Hollemann, Geschäftsführer Operations des Kekskonzerns Bahlsen, die hochkarätig besetzte Zuhörerschaft des Kaizen-Kongresses des Management Circle zu begeistern: »Go to gemba heißt bei uns, wir Manager gehen zum Keks.« Mit Lean-Management-Guru Masaaki Imai durfte das Publikum den geistigen Vater von Kaizen erleben. Er unterstrich die Notwendigkeit, dass sich das Management mit der Produktionsebene (im Englischen shopfloor, im Japanischen gemba) aktiv auseinandersetzen müsse. Imai kritisierte an den westlichen Unternehmen, dass ihr Management in der Regel die niedrigeren Hierarchieebenen nicht kennen und damit nur auf theoretischer Basis führen würde. Er verlangt D a s M a n a g e m e n t s o l l Führungskräfte, die nicht mehr sagen (push), Management by walking around betrei- s o n d e r n f r a g e n , w a s g e ben: »Managers macht werden soll (pull) – shouldn`t have the time to sit behind u n d z w a r d i e M i t a r b e i t e r. W 2010 Carl Hanser Verlag, Mbnchen www.cad-cam.de Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. MANAGEMENT-EVENT 3 6 CAD CAM 1-2/2010 W 2010 Carl Hanser Verlag, Mbnchen www.cad-cam.de Nicht zur Verwendung in Intranet- und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern. K AIZEN Crosstalk erwünscht: Masaaki Imai, Begründer der KaizenPhilosophie: »Managers need to meet the shopfloor.« their desks. Instead, you must know what and how you are producing.« Dazu gehört auch, dass Manager zum Beispiel ihre Mitarbeiter nicht durch Dritte, also Consultants wie McKinsey, weiterbilden lassen, sondern selbst ausbilden. Dr. Bernd Müssig von Siemens erklärte, dass bei ihnen die eigenen Mitarbeiter die Produktion transformierten und nicht die Consultants. »Das Management«, so postulierte er, »soll schließlich nicht mehr sagen (push), sondern fragen, was gemacht werden soll (pull) – und zwar die Mitarbeiter.« ›Just in time‹-Produktion heißt eine andere Maxime der KaizenPhilosophie, die dabei helfen soll, Ressourcen und Energie zu sparen. Schlank machen eben nicht nur Menschen, sondern auch Unternehmen eine gute Figur. Wer also nicht gerade Wein anbaue, der von Natur aus lagern muss, der solle es vermeiden, Inventar aufzubauen. Für Firmen wie das Pharmaunternehmen Böhringer derzeit immer noch leichter gesagt als getan. Dort produziere man zum Beispiel immer noch Arzneien vorzugsweise auf Vorrat. 3P verzahnt Prozess und Produktion Sobald Bahlsen an einer neuen Gebäckidee arbeitet, entsteht der Bedarf nach einer passenden Maschine beziehungsweise nach flexiblen Maschinen, die entsprechende Funktionen bieten. Prozess und Produktion stehen hier also in ei- MANAGEMENT-EVENT »Unterwegs Leibnitzkeks – Leibnitzkeks für unterwegs«: Dr. Christoph Hollemann, Geschäftsführer Operations des Kekskonzerns Bahlsen: »Wir bauen auf das reale Keksmaschinenmodell aus Pappe. Natürlich kehren wir den Simulationswerkzeugen nicht den Rücken zu, aber wir setzen sie nicht an die erste Stelle. Quasi erst anfassen, dann am PC arbeiten.« nem unmittelbaren Zusammenhang. Hierfür nutzt das Unternehmen die Kaizen-Methode 3P, die die Ressourcen mit Know-how-Transfer vom Werker bis zum Produktentwickler unternehmensweit verknüpft. Dem Workshop-Charakter dieser Methode entsprechend, zerlegen Bäcker und Ingenieure Produkt und Prozess in ihre Funktionen. Mit dem Shopfloor zu arbeiten, bedeutet bei Bahlsen, dass eine eigens entwickelte, einfache Sprache gesprochen wird, die Funktionen aus dem Fachjargon der Konstrukteure in allgemein verständliche Begriffe wie ›kriechen‹, ›abscheren‹ oder ›stechen‹ übersetzt. Denn nur wer versteht, worum es geht, kann sich mit dem Projekt identifizieren und dadurch produktive Arbeit leisten. Die Kaizen-Prämisse des Hands-on, des Ideen auf den realen Boden anschaulich bringen, gilt auch hier. Nicht Digital Mock-up, sondern Kartonage-Mock-up Hollemann betonte, dass bei Bahlsen der Digital Mock-up nicht mehr vorrangig sei. Viel wichtiger hingegen sei dann schon das reale Modell aus Pappe. Kaizen bedeute keine Abkehr von den (Simulations-)Tools, sondern eine Abkehr von deren Dominanz, wie das in vielen westlichen Unternehmen immer noch häufig der Fall sei. Nachdem Bahlsen die Ideen gesichtet hat, wird die beste als lebensgroßes Modell realisiert. Bis zu 50 m lange Maschinen aus Karton entstehen hier gerne mal, an- hand derer alle überlegen können, wo zum Beispiel der Teig wie tropfen könnte. Dass Kaizen nicht nur eine Bereicherung, sondern auch eine Herausforderung besonders für die deutsche Kultur darstellt, kam im Laufe des ersten Veranstaltungstages ebenfalls zur Sprache. Denn eine ständige Verbesserung braucht eine offene Fehlerkultur. An dieser Stelle sei ein besonderes Lob den Veranstaltern des Kongresses gezollt, die die Teilnehmer nach jedem Beitrag dazu aufforderten, drei Minuten lang mit ihrem Tischnachbarn zu eruieren, was sie gerade gelernt hätten. Mitarbeiter dürfen nicht um ihre Arbeitsplätze fürchten, wenn sie transparent nach eigenen Schwachstellen suchen sollen. In Deutschland aber, das vielerorts immer noch tendenziell patriarchalisch-hierarchisch geführt wird, ist das keine leichte Aufgabe. Fehler haben hierzulande immer noch etwas Anrüchiges, die zu begehen vielleicht in der Schule salonfähig war, aber nicht mehr im Berufsleben. Damit Kaizen wirken kann, muss aber eine Art Kulturwandel in den Unternehmen stattfinden. Daran sollte Deutschland kontinuierlich arbeiten. Laut Kaizen zumindest am besten jeden Tag ... @ www.managementcircle.de Diesen Artikel finden Sie auf unserer Homepage www.cad-cam.de unter der Dokumentennummer CC110097. CAD CAM 1-2/2010 37