Beijing International SOS Clinic
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Beijing International SOS Clinic
Beijing International SOS Clinic Bericht Auslandspraktikum Studienfach: Medizin, 7. Semester Praktikum: 01.04.2010 – 30.06.2010 Beijing International SOS Clinic Suite 105, Wing 1, Kunsha Building No. 16 Xinyaunli, Chaoyang District Beijing 100027 P.R. China Phone: + 86 10 64 62 91 12 www.internationalsos.com 2 „Ich gehe mit dir überall hin.“ Darin waren mein Mann und ich uns einig. Aber nach Peking – oder besser Beijing?! Das ist ja in China… Wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich mir nicht wirklich jemals ernsthafte Gedanken über dieses Land gemacht, geschweige denn jemals auf die Idee zu kommen dort eine Zeit lang zu leben. Schon vor meinem Medizinstudium interessierte mich die klinische und präklinische Versorgung in anderen Ländern. Ein Auslandssemester oder ein Teil des Praktischen Jahres im Ausland zu verbringen war mein Wusch. Wenn ich zehn Länder aufzählen sollte, die mich reizten, war China nicht dabei… Jetzt ergab sich aber ganz unverhofft die Gelegenheit einen solchen Schritt zu wagen und ich nutzte die Chance. Die nächsten Wochen verbrachte ich damit mir über die Möglichkeiten von Auslandssemestern, Praktika und Famulaturen in Peking zu informieren und alles, was sonst noch wichtig ist, zu organisieren. Von Tag zu Tag wuchs das Interesse an Land, Kultur und Lebensweisen. Nach ausführlicher Recherche im Internet stellte ich den Kontakt zu mehreren Kliniken in Peking her. Im Vordergrund standen chinesischen Kliniken mit englisch sprechenden Ärzten, da ich kein chinesisch spreche. Eine neue Sprache mit medizinischem Wortschatz neu zu lernen, war in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Ich schrieb viele Bewerbungen, die ich aber teilweise ins Chinesische übersetzten ließ, um zu verdeutlichen wie ernst mir die Sache war und um einen guten Praktikumsplatz zu bekommen. Dies allerdings war illusorisch. Ich bekam zwar Antworten, die vielversprechend klangen, aber definitive Zusagen oder gar Bestätigungen blieben aus. Selbst telefonische Anfragen verliefen im Sand und ich hatte mehr und mehr das Gefühl ständig vertröstet zu werden, weil niemand vor Ort eine Aussage treffen konnte bzw. wollte. Im Nachhinein wurde mir klar, dass ich zu anders – zu westlich – nicht chinesisch gedacht habe…Ich hatte klare Vorstellungen, 3 was meinen Tätigkeitsbereich und Aufgaben bei einem Praktikum in deutschen Kliniken angeht. In China lag ich damit falsch. Ich musste einsehen, dass ein studentisches Klinikpraktikum hier einen anderen Stellenwert hat als in westlichen Ländern und dass vieles noch mehr von Sympathie, Vertrauen, Verständnis und Missverständnis beeinflusst wird. Zwei Monate vor der Abreise kam sie - die lang ersehnte Bestätigung einer Klinik in Peking! Um genauere Informationen über den bürokratischen Teil bezüglich Anerkennung, Beurlaubung und eventueller finanzieller Unterstützung zu bekommen, wandte ich mich Anfang des Jahres an das Auslandssekretariat der Medizinischen Fakultät in München. Die sehr nette Frau S.F. stand mir mit Rat und Tat zur Seite, gab viele Tipps und weitere Adressen, die helfen sollten den geplanten Aufenthalt in China vorzubereiten und zu verwirklichen. Da wären zum Beispiel das Visum, der Auslandskrankenschutz, diverse Impfungen, Studiengebühren, Praktikumsbestätigungen, Stempel, Unterschriften und, und, und. Ich will nicht behaupten, dass alles reibungslos verlief, aber letzten Endes lief es und das war das Wichtigste. Über das Auslandssekretariat wurde ich auch auf „Student und Arbeitsmarkt“ aufmerksam, die mir ein kleines Stipendium in Form eines Reisekostenzuschusses ermöglichten. Ich finanziere mir mein Studium mit der Arbeit im Rettungsdienst und Intensivtransport. Dies bedeutet auch gleichzeitig, dass ich ein halbes Jahr auf mein Gehalt verzichten muss. Somit war beschlossen die Wohnung in München aufzugeben und sich nach dem Zurückkommen was Neues zu suchen, um die Mietkosten für eine leere Wohnung zu vermeiden. Also stand uns noch ein Auszug mit Kisten packen und Renovierung bevor. Am 29. März um 19.40 Uhr startete LH 722 in München. Knapp 9 Stunden später landeten wir in Peking. Uns stand eine tolle Zeit bevor. Nicht, weil es immer einfach war und nicht, weil immer alles so lief, wie wir es kannten. Eher, weil alles so anders war. „Ni hao“ und auf ins Land der Mitte. 4 Unsere Wohnung liegt im CBD, dem Central Business Distrikt. Es ist ein kleines 1Zimmer-Apartment mit kleinem Bad und Küche, hell und gemütlich. U-Bahn und Supermarkt sind gleich in der Nähe und die Klinik in akzeptabler Entfernung. Anfangs zu Fuß und per U-Bahn, später mit einer motorisierten Rikscha unterwegs, erkundeten wir die Stadt und verschafften uns einen guten Überblick. Vor jedem größeren Gebäude steht im Normalfall immer ein Wachmann in der Nähe des Eingangs und versucht sich irgendwie die Zeit zu vertreiben. Meist trägt er ein kleines Mützchen und eine entweder zu enge oder zu weite bunte Uniform. Jeden Morgen steht an der Ecke eine kleine Karre mit einem Sonnenschirm, wo zwei Frauen eine Art gefüllte Pfannkuchen zum Frühstücken verkaufen. Gerade in den kalten Monaten sieht man am Straßenrand dick eingepackte Männer, die mit metallenen Tonnen, die als Ofen dienen, Kartoffeln garen. Der Duft ist herrlich und die Hitze erzeugt eine gemütliche Wärme. Es sind immer unglaublich viele Leute auf den Straßen und Plätzen unterwegs und anfangs waren wir regelrecht geschockt, überall lachenden und rufenden Menschen zu begegnen, die sich anzuschreien schienen. Später stellten wir fest, dass es sich um normale Konversation handelt. Man muss laut und deutlich sprechen um 10.000 Buchstaben des Alphabetes (wobei nur wenige diese beherrschen) in verständliche Sätze zu formulieren. Ich habe nicht viel über die chinesische Sprache gewusst, aber es ist sehr empfehlenswert so ein paar Kleinigkeiten zu können wie z.B. das Zählen, Höflichkeiten, Redewendungen, dem Taxifahrer den Weg erklären usw. Die meisten freuen sich, wenn man es zumindest versucht (auch wenn sie das meiste nicht verstehen, weil wir Europäer einfach alles falsch aussprechen). Das Englisch der Chinesen, die ich kennen gelernt habe, war meist nicht perfekt, aber in Ordnung. Was wohl daher kommt, dass die Chinesen im Unterricht nur lesen und schreiben lernen und nicht das Aussprechen und Verstehen. Die Kommunikation im Krankenhaus vor allem mit den Krankenschwestern war meist sehr begrenzt. Mir schien als gebe es 15 Standardsätze mit denen man sich verständigt und der Rest wird halt irgendwie umschrieben oder mit Händen und Füßen erklärt. Am besten man redet einfach drauf los. Den Chinesen ist es sehr peinlich (sie verlieren ja so 5 leicht ihr Gesicht), wenn heraus kommt, dass sie etwas nichts wissen oder können, lieber tun sie dann so als hätten sie es sprachlich nicht verstanden. Es gibt das Lied von Katie Melua: „ …there are nine million bicycles in Beijing…“, was mir immer wieder durch den Kopf geht, wenn ich genau diese Fahrräder suche. Es gibt sie nämlich nicht. Jedenfalls nicht in diesen Ausmaßen. Es handelt sich dabei nämlich eigentlich um Taxen, aber das würde sicherlich nicht so romantisch klingen. Der Verkehr in Peking ist grauenhaft. Das bekommt man auch als Fußgänger und Fahrradfahrer zu spüren. Es ist ein immer wiederkehrendes Abenteuer mit großem Adrenalin-Kick. Jeder fährt, wann und wie er möchte, Ampelzeichen werden gerne ignoriert, die Geschwindigkeitsbegrenzungen sind vielen egal und im Taxi anschnallen geht eh nicht, weil es keine Gurte gibt. Nachmittags und abends wird man vor der Türe von einem Haufen Fahrradtaxis und Rikschas erwartet, die einen gerne chauffieren würden. Hierbei hat man die Auswahl zwischen der Singlevariante, einfach einem Fahrrad mit einem gepolsterten Gepäckträger oder aber einem Dreirad mit einer Rückbank wo zwei Leute Platz haben. Man sieht aber auch nicht selten drei oder mehr Leute auf so einem Rad, wobei die Fahrer sich dann kräftig abstrampeln müssen. Je nach Distrikt stapelt sich auf den Straßen und Gehwegen mehr oder weniger Müll. Ein Umweltbewusstsein scheint es nicht zu geben. Oder die Leute wissen, dass sowieso jemand kommt und hinter ihnen her putzt. Ein Heer von Müllsammler sind zu Fuß oder auf umgebauten Fahrrädern unterwegs, die mit einer Plattform ausgestatten sind, um vor allem Papiermüll gestapelt zu transportieren. Bei der Abgabe bekommen sie Geld und die meisten müssen davon überleben. Die reichste Frau Chinas hat als Papiersammlerin angefangen… Der Weg über den Bürgersteig birgt durchaus unerwartete Gefahren. Die Kanalisation ist hier mit großen Steinplattenabgedeckt, die jedoch an vielen Stellen teilweise oder ganz eingebrochen sind. Vor allem im Dunkeln muss man gut aufpassen, wenn man nicht ein paar Meter tiefer landen will. Die Bordsteine sind bis zu 20 cm hoch, was ein „barrierefreies“ Fortbewegen deutlich erschwert. Ich bewundere hier die Mütter mit Kinderwagen und manche Chinesinnen mit Ihren hochhackigen Stiefeln, die damit scheinbar mühelos zurechtkommen. Leider fällt es gleichzeitig schwer sich vorzustellen, wie etwa ein Rollstuhlfahrer oder jemand mit Krücken diese Wege meistern soll. Sehen tut man sie selten. Manchmal erblickt man einen Fahrstuhl, der extra für gehbehinderte gebaut wurde, um zum Beispiel in einen hoch gelegenen Park zu kommen, der sonst nur durch steile und bröckelnde Steintreppen zu erreichen ist. Oben angekommen muss man dann jedoch feststellen, dass es im 6 gesamten Areal keine geteerten Wege gibt, sondern lediglich Kies, in den man Zentimeter tief einsinkt. Das befahren mit einem Rollstuhl wäre undenkbar. Winzige Läden und Kioske oft nur wenige Quadratmeter groß wechseln sich mit Restaurants, SPA's und Frisören ab. Die Möglichkeiten zu Essen zu kommen sind hier gewaltig. Es gibt alle Arten von Straßenimbissen bis zu edlen Restaurants und das in einer Fülle, wie es in Deutschland höchstens auf den großen Weihnachtsmärkten anzutreffen ist. Nacht für Nacht verwandeln sich die Straßen in große Freilichtrestaurants. Überall bauen Leute ihre Essensstände auf. Die Karren, die sie da hinter sich herziehen sind bis zum Himmel hoch beladen. Diese Essensstände findet man zu jeder Tages- und Nachtzeit. Vor allem spät abends ist dort immer viel los, ein paar Plastikhocker werden aufgestellt und Tische aufgeklappt. Das Angebot aus dem man sich sein Essen zubereiten lassen kann braucht den Vergleich mit einem "richtigen" Restaurant auch kaum zu scheuen. Eine breite Palette an verschiedenen Gemüsesorten wird mit einer Auswahl von Fisch, Fleisch und Meerestieren aller Arten ergänzt. Egal ob Muscheln, Hühnerfuß oder Strandkrabbe, alles scheint essbar zu sein und auch zu schmecken. Da es allerdings alles über mehrere Stunden in der Hitze offen herumliegt und das wahrscheinlich schon den ganzen Tag, schreckt den Europäer dann doch meistens ab. Wenn man so durch die Stadt schlendert trifft man auf eine ziemlich bunte Mischung an Leuten. Neben den Müllsammlern und Bettlern, die teilweise behinderte und entstellte Angehörige zur Schau stellen, sieht man Geschäftsleute, die aus edlen Autos aussteigen und aufgeschickte Chinesinnen, die manchmal an leichte Mädchen erinnern. Kleine Kinder tragen Hosen, mit offenem Schritt, so dass auf eine Windel verzichtet werden kann. Es gibt Prostituierte, die ihre Dienste in kleinen „Massagesalons“ mit Schaufenster anbieten und dunkelhäutige Bauarbeiter ohne Schuhe, die gierig schmatzend eine Schüssel Reis als einzige Mahlzeit des Tages verputzen. Die U-Bahn war auch ein kleines Abenteuer. Der Eingangsbereich ist mit dicken alten, sehr schmutzigen Teppichen ausgelegt und es riecht nach Moder und Tod. Natürlich gibt es, wie an allen öffentlichen Orten eine Röntgen-Sicherheitskontrolle, die die Passagiere davon abhalten soll, gefährliche Dinge, wie brennbare Flüssigkeiten oder Waffen in den Untergrund zu schmuggeln. Scheint sich aber um Attrappen zu handeln – habe es getestet. Bahn und Bus kosten zwischen 1 und 3 RMB, was ca.10 bis 30 Cent entspricht. Kleine und meist laut eingestellte Fernseher dienen dazu den Alltag zu erklären und wichtige Tipps für das Miteinander zu geben: „Wie stellt man sich in einer Reihe auf?“, „Was ist die Nummer der Polizei?“, Wann soll man sein Kind abstillen?“ usw. Zur Zeiten der Rush-Hour strömen tausende Chinesen zu den öffentlichen Verkehrsmitteln. Teilweise ähnelt das Ein- und Aussteigen einer Massenpanik. Hinzu kommt der stechende Geruch der Chinesen. Es ist die Mischung aus Knoblauch, mangelnder Körperhygiene und ungeputzten Zähnen, die einem schon morgens die Tränen in die Augen treibt. Das Ganze in einem stickigen Wagon kombiniert mit einer weiteren „Unart“ hauptsächlich der chinesischen Männer, die überall „auf den Boden rotzen, nachdem der Schleim von untersten Bronchialbaum hochgehustet wurde“, ungeachtet davon, wen es trifft...(Bei diesen Äußerungen handelt es sich nicht um Übertreibung oder Diskriminierung, sondern um Tatsachen, die von mehreren Personen unabhängig voneinander bestätigt werden können.) 7 Da es Anfang April in Peking noch sehr kalt ist und die Heizungen Mitte März ausgeschaltet werden, war es die ersten Wochen ohne dicken Mantel kaum auszuhalten. Dieser musste allerdings erst noch gekauft werden, da die „Zugezogenen“ das Klima nicht berücksichtigt hatten. Leider war es oft schwer richtige Freundschaften mit Chinesen zu schließen, da die kulturellen Unterschiede doch zu groß sind. Die meisten Kontakte ergaben sich mit anderen Zugereisten, die kurzfristig beruflich in China zu tun haben oder schon viele Jahre hier leben. Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl unter uns Ausländern ist überraschenderweise sehr angenehm und man versteht sich meist sofort gut. Die deutsche Community in Peking ist zu dem sehr gut organisiert, es herrscht eine lockere Atmosphäre und viele Bekanntschaften werden sicher halten. Ich möchte gerne noch auf ein paar Eigenheiten der Chinesen eingehen, die ein sehr einprägendes Bild in unseren Köpfen hinterlassen haben und die es wahrscheinlich nur hier gibt. Man kann über die Chinesen durchaus behaupte, dass sie jederzeit und überall schlafen. Am Straßenrand, in der Arbeit, auf der Toilette, am Markt auf Parkbänken und mitten in der Innenstadt neben hunderter hupenden Autos... Schlafanzüge bedeuten anscheinend Freizeit, zumindest sieht man viele Chinesen mit Schlafanzügen herumlaufen. Wenn sie zum Beispiel aus der Klinik entlassen werden, fahren viele Patienten einfach im Schlafanzug nach Hause, steigen so ins Taxi und fahren damit U-Bahn. Ich wurde grundsätzlich zum Essen eingeladen, obwohl ich wahrscheinlich mehr Geld hatte als die ganze Familie zusammen. Ich durfte aber nicht zahlen! (Ich habe es wirklich versucht!) Gegessen wird auch immer und überall. Dabei wird geschmatzt und gelutscht und gerülpst – erst dann schmeckt es wahrscheinlich richtig gut. Komisch, dass die meisten Chinesen so dünn und klein sind. Ich vermute, dass die eine oder andere Mahlzeit einfach verschlafen wird und so am Ende des Tages ein gutes Mittel erreicht wird. Taxifahrer können oft keine Karte lesen oder generell nichts lesen, wenn es nicht groß und fett gedruckt ist, weil sie sehr kurzsichtig sind. Hupen auf der Straße heißt so viel wie "hallo hier komme ich". Infolgedessen hupen alle immer aber vor allem wenn sie die Kreuzung überqueren. Chinesen sagen manchmal nein und meinen ja und umgekehrt oder sie antworten auf eine ganz andere Frage oder wiederholen die gleiche Aussage während des ganzen Gesprächs: Wenn einer dieser verwirrenden Punkte auftritt, dann hat der Chinese wahrscheinlich keine Ahnung aber kann es nicht sagen, weil er sonst sein Gesicht verliert oder jemanden anders schlecht dastehen lässt. Chinesinnen laufen fast immer mit Sonnenschirmen herum und in den Läden gibt es statt Bräunungscreme Bleichmittel oder weiße Schminke. Alle Jobs sind mehrfach belegt: Der Witz mit den zwei Handwerkern, die kommen um eine Glühbirne auszuwechseln ist kein Witz. Einer schraubt, zwei reichen an, drei überwachen das Ganze und vier kommen um danach alles zu begutachten. Es gibt Ampeln die sogar beachtet werden wenn sich zusätzlich noch vier Verkehrswächter auf die Straße stellen. Drei Kühlschränke, zwei Sofas oder 16 Getränkekästen kann man mit einem umgebauten Fahrrad locker transportieren. 8 Das Praktikum Die International SOS Klinik gehört zu den Kliniken, deren Standorte sich vor allem in den Ländern befinden, in denen die medizinische Versorgung von internationalem Standard nicht verfügbar ist oder wo kulturelle und sprachliche Barrieren die Pflege erschweren. Das Spektrum in Peking beinhaltet die Primärversorgung, weiterführende Diagnostik und 24 Stunden Notfallversorgung. Spezialisten gibt es in allen Bereichen. Angefangen von einfachen Impfungen über pädiatrische Versorgung bis hin zu komplizierten chirurgischen Eingriffen. Auch gynäkologische und ophthalmologische Notfälle werden behandelt. Die Klinik ist sehr gut ausgestattet und wird den westlichen Standards in den meisten Fällen gerecht. Mein erster Praktikumstag sollte um acht Uhr morgens beginnen. Ich hatte meinen weißen Kittel im Gepäck, ein Stethoskop und meinen Impfpass eingesteckt und war voller Vorfreude und Erwartungen. Die Praktikumsbetreuerin Frau Dr. Heinke erwartete mich bereits. Anstatt jedoch sofort in den Stationsalltag zu starten, wurde mir erst einmal mitgeteilt, was mich in der Klinik alles erwartete und vor allem, was von mir erwartet wird. Frau Dr. Heinke war es wichtig, dass ich den Alltag in einem chinesischen Krankenhaus kennenlerne. Das bedeutete, im Unterschied zu Deutschland, dass ich zum Beispiel kein Blut abnehmen darf, da dies nur von speziell ausgebildeten Krankenschwestern gemacht wird. Das wunderte mich sehr, denn bei anderen Praktika und Famulaturen war man als Medizinstudent ja immer dazu verdammt und machte je nach Station manchmal nichts anderes. Da in China 80 % der Bevölkerung Hepatitis B positiv ist, konnte ich ohne Probleme diesen Verlust verschmerzen. Die ersten vier Wochen würde ich erst einmal auf einer chirurgischen Station verbringen und würde dort auch die Möglichkeit haben bei OPs dabei zu sein und in der Anästhesie zu assistieren. Nachdem ich den anderen Ärzten und Schwestern auf der Station vorgestellt wurde bekam ich einen weißen Kasack mit grüner Hose und wurde Dr. Li eingeteilt. Die kleine zierliche Frau hatte einen etwas grimmigen Blick und schob dauernd ihre rutschende Brille auf der Nase nach oben. Obwohl sie mir immer viel erklärte und manchmal sogar lächelte, fühlte ich mich die meiste Zeit wie ein lästiges Anhängsel. Dazu kam, dass wir uns oft missverstanden, da ihr englisch sehr schlecht war. Oft diente ich ihr als „Übersetzerin und Erklärerin“ bei den englisch sprechenden Patienten. In diesen Situationen musste ich mit Erschrecken feststellen, dass sie teilweise gar nicht verstand, was die Patienten wirklich wollten und vieles mit „ah, yes, ok – no problem“ abtat. Da auch manchmal Deutsche zu ihren Patienten gehörten, wollten diese gerne die Behandlung von mir erklärt bekommen. Anfangs war das auch kein Problem. Später bekam ich den Mund verboten, da Dr. Li der Meinung war, ich würde mit den Patienten über sie sprechen und nicht über die Behandlung. Völlig absurd. Mein Gefühl war eher, dass sie Probleme hatte ein Vertrauensverhältnis mit ihren Patienten aufzubauen, da sie nicht auf sie einging. Und mich beschlich komischerweise das Gefühl, sie sei eifersüchtig auf die Studentin. Bald wurde mir auch klar, dass Geld eine sehr große Bedeutung für sie hatte und auch nicht davor zurückgeschreckt wurde den Betroffenen regelrecht dazu zu überreden sich operieren zu lassen, auch wenn dies aus medizinischer Sicht nicht notwendig war. Abgesehen von den persönlichen Diskrepanzen war Dr. Li eine großartige Chirurgin. Sie hat in Peking studiert und war dann fast 17 Jahre in den USA. (Warum sie kaum 9 englisch sprach, ist mir heute noch ein Rätsel.) Mit über 30 Jahren medizinischer Erfahrung, beinhaltet Dr. Li`s Fachgebiet die Handchirurgie, chirurgische Rekonstruktion bei traumatischen und angeborenen Handfehlstellungen, plastische rekonstruktive und ästhetische Chirurgie mit mikrovaskulärer Technik. Sie hat sogar mehrere Auszeichnungen für ihre erfolgreichen klinischen Arbeiten erhalten. Der "Yanni Knoten", war eine weit verbreitete chirurgische Methode in den USA und wurde nach Dr. Li benannt. Ich sah zu und assistierte ihr, wenn sie Knochen-und Gelenkverletzungen operierte, Nerven wiederherstellte, Sehnen nähte, Haut- und Weichteilverletzungen behandelte, Haut- und Knochentumore entfernte und angeborene Fehlstellungen korrigierte. Diese Operationen dauerten meist sehr lang und ihr Feingefühl und die Fingerfertigkeit überraschten mich jeden Tag aufs Neue. Sie konnte sich unglaublich lange auf die kleinsten Nähte konzentrieren und die Ergebnisse waren unglaublich. Trotz diesem Perfektionismus kam es fast immer zu Infektionen. Die Hygiene und Desinfektion waren mangelhaft und in Deutschland hätte man sicher die eine oder andere Klage erwarten können. Trotz alle dem, der Lerngewinn für mich war einzigartig und es machte großen Spaß Dr. Li bei der Arbeit zu begleiten. Auf Station wurde ich stets in die Visiten mit eingebunden, durfte selbständig Untersuchungen durchführen und war an Diskussionen über Röntgenbilder und CTs beteiligt. Vom Anästhesiebereich war ich jedoch nicht so begeistert, wie ich es mir zu Beginn des Praktikums erhofft hatte. Trotz langer Operationsdauer von bis zu sechs Stunden wurden die Patienten meist nicht intubiert. Eine Propofolperfusor reicht aus. Falls der Patient zwischendrin aufwachte, weil die Spritze leer war, wurde einfach eine hohe Dosis nachgelegt. Falls der Patient dann aufhörte zu atmen, kam die Maske zum Einsatz und wenn man sich völlig verschätzt hatte, musste halt mit manuell beatmet werden bis der Patient von alleine wieder schnaufte. Da konnte die Sättigung schon mal auf magere 65 % fallen bis es panisch wurde. Vorteil an dieser Methode ist, dass der Anästhesist bei der Operation ein inniges körperliches Verhältnis zu dem Patienten aufbauen kann, da er ja die ganze Zeit intensiv damit beschäftigt ist, ihn am Leben zu halten. Dieses Schauspiel brachte immer wieder Spannung und Nervenkitzel in die Sache und zeigte schließlich, dass auch solche Methoden funktionieren. „Operation vorbei, Patient lebt…noch“ Sehr schwer tat ich mir im OP- und Stationsalltag mit den Medikamenten. Andere Bezeichnungen, chinesische Beschriftungen und Beipackzettel erschwerten mir das Verständnis. Leider bekam man auch nicht immer eine ausreichende Antwort auf diesbezüglich gestellte Fragen. Ich bekam zwar den Namen raus, konnte aber damit 10 auch nicht viel anfangen und musste zu Hause immer wieder im Internet recherchieren. Toller Lerneffekt. Eine meiner Hauptaufgaben bestand darin medizinische Reporte über die Patienten zu verfassen. Diese beinhalteten Anamnese, Untersuchungsergebnisse und weitere Behandlungen. Teilweise wurden Untersuchungen angeordnet, die nicht wirklich notwendig waren. Aber da in China die Patienten selber für die Kosten ihrer Behandlung zahlen mussten, machte sich niemand der Ärzte wirklich Gedanken über das Budget .Die Mehrbettzimmer waren neben den Patientenbetten mit ausklappbaren Liegen ausgestattet, so dass die Angehörigen mit in den Zimmern schlafen konnten. Die nicht medizinische Versorgung, wie Körperpflege und Essen wird nämlich komplett von den Familien übernommen. Dies führt dazu, dass es auf den Fluren und in den Zimmern von Menschen nur so wimmelt. Privatsphäre gibt es so gut wie gar nicht und bei Untersuchungen sind die Angehörigen stets anwesend. Im nächsten Abschnitt meines Praktikums hatte ich die Möglichkeit einen Einblick in die Traditionell Chinesische Medizin (TCM) zu erhalten. Diese beinhaltet Akupunktur, Moxibustion, Tui na (Massage), die Therapie mit speziellen chinesischen Kräutern und vieles mehr. Seit tausenden von Jahren schwört man in China auf diese nichtpharmazeutischen Behandlungen, die sich durch einfache Applikation, ein weites Wirkspektrum, gute kurative Effekte und nicht zuletzt niedrige Kosten auszeichnet. Hier ist China der richtige Ort um die kulturellen und medizinischen Hintergründe dieser Behandlungsform zu erfahren und zu verstehen. Ich muss zugeben mein Interesse hielt sich anfangs in Grenzen. Letztlich war es aber die Kombination aus fortschrittlichen westlicher Medizin und TCM, die mir eine ganz neue Sicht auf die Dinge verschaffte. Ich begann von Null an. Worte wie Qi (Energie), Yin und Yang und die fünf Elemente sind grundlegende Dinge, die den Ausgangspunkt für viele Therapien bilden. Das Schwierigste waren die Akupunkturpunkte zu lernen, was mir in der kurzen Zeit nicht wirklich gelang. Es dauert fünf Jahre bis man sich Doktor für TCM nennen darf. In dem einen Monat wurden mir zumindest das Konzept und die Gedanken dahinter bewusst. Nach dem Mittagessen hatte ich meistens noch etwas Zeit um mich mit den Patienten zu unterhalten. Trotz vieler Vorurteile, war es interessant zu sehen, wie die traditionellen Methoden den Krankheitsverlauf in zwei bis drei Wochen doch positiv beeinflussen. Auf dem gleichen Flur arbeiteten Ärzte der TCM und der westlichen Medizin Hand in Hand. Zwei Arten von Medizin, die kombiniert werden. TCM ist also eher eine Erweiterung und keine grundsätzliche Alternative – jedenfalls in modernen Krankenhäusern. Weitere sehr spannende Eindrücke sammelte ich auf der Intensivstation des Hauses. Die International SOS Klinik verfügt 18 Betten. Die technische Ausstattung und die medizinischen Geräte sind vergleichbar mit westlichen Standards. Was die Therapiekonzepte angeht gibt es große Unterschiede. Dadurch, dass nur zwei Ärzte pro Schicht anwesend sind, geht s manchmal drunter und drüber. Das hohe Arbeitspensum und die fehlende Zeit für die einzelnen Patienten führen dazu, dass es manchmal „nur“ gelingt den Patienten am Leben zu erhalten und nicht eine optimale medizinische Betreuung zu gewährleisten. Auch hier sind die Angehörigen mit der Pflege ihrer Angehörigen betraut. Problematisch dabei ist aber sicherlich der hygienische Aspekt. Je mehr Menschen, die sich lange Zeit auf der Intensivstation aufhalten, desto mehr Keime werden verbreitet. Mein Aufgabenbereich auf der Intensivstation beschränkte sich in erster Linie auf das Zuschauen. Zwar konnte ich kleinere Tätigkeiten ausführen, aber im Großen und Ganzen galt der Satz „learning 11 by watching“ und nicht „learning by doing“. Schwierig war das medizinische Verständnis, da sich die Intensivmedizin mit komplexeren pathophysiologischen und biochemischen Vorgängen beschäftigt und ich trotz eines guten medical english oft nicht alles verstand. Ein heimlicher und besonderer Wunsch von mir war es einen Tag lang mit den chinesischen Kollegen auf einem Rettungswagen zu verbringen. Ich wollte unbedingt die präklinische Versorgung und das Rettungsdienstsystem in Peking kennenlernen. Ernüchternd an der ganzen Sache war, dass es gar kein Rettungsdienstsystem gibt. Wenn man hier die 120 oder die 999 wählt, kommt ein Rettungswagen, der mit einem Arzt und einem oder zwei „Fahrern“ besetzt ist. Also quasi eine Art NAW. Die medizinische und technische Ausstattung ähnelt der in Deutschland. Allerdings erfolgt die Versorgung der Patienten auf niedrigstem Niveau. Bevor der Patient überhaupt in den Wagen gebracht wird, muss gezahlt werden. Je nach Weg, der übrigens nicht mit Sondersignal erfolgt, ein Betrag um die 150 RMB. Eigentlich wird er dann nur auf die Trage gelegt und (nein nicht ins nächst geeignete) ins eigene Standortkrankenhaus gebracht. Die Finanzierung erfolgt über die Kliniken. Ich habe miterlebt wie ein einfacher Güdeltubus dem Bewusstlosen das Leben in Rückenlage rettete. Den Arzt interessierte das wenig. Zumal man bedenken muss, dass der Weg zum Krankenhaus zwar mit Sondersignal erfolgt, sich aber keiner der Autofahrern darum schert. Dann steht der Rettungswagen halt 45 Minuten im Stau. Daher kann ich nur empfehlen, lieber mit letzter Kraft ins Taxi schleppen als den Notruf wählen. Leider konnte ich nicht herausbekommen, in welchem Maße eine rechtliche Absicherung in solchen Fällen gewährleistet ist. Ich weiß nicht einmal genau, was für eine Ausbildung die „Fahrer-Sanis“ genossen haben. Am Ende dieses Tages befand ich mich in einer kleinen ethischen Konfliktsituation, weil ich ja fachlich gekonnt hätte, aber nicht durfte. Abschließend kann ich von mir behaupten viel in dem Praktikum gelernt zu haben. Ich habe einen anderen medizinischen und kulturellen Einblick bekommen und die verschiedensten Arbeitsweisen kennengelernt. Die Dauer des Praktikums war genau richtig und so konnte ich im allgemeinen Stationsdienst der Klinik tätig sein und einen guten Einblick in die Erstversorgung von Patienten mit akut lebensbedrohlichen Krankheiten bekommen. Mir bot sich ein breites Spektrum chirurgischer und internistischer Krankheitsbilder und ich habe die Prinzipien und Indikationen chinesischer Diagnostik und Therapie kennengelernt. Nicht zuletzt hatte ich ausreichend Gelegenheit mein medizinisches Englisch anzuwenden und zu verbessern. Und vor allem hatte ich in dieser Zeit eine Menge Spaß, habe viele wertvolle Kontakte geknüpft und kleine Freundschaften geschlossen. Ich bin gerne jederzeit wieder bereit eine solche Chance zu nutzten und ins Ausland zu gehen. Trotz der anfänglichen Zweifel und manchem Ärger war es ein durchaus glückliches, erfolgreiches und spannendes Jahr. 12