AdVoice 02/2012 - Forum Junge Anwaltschaft
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AdVoice 02/2012 - Forum Junge Anwaltschaft
AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:40 Seite 1 Anwalt der Anwälte G 48742 02/12 FORUM Junge Anwaltschaft im DeutschenAnwaltverein Thema: Sucht DAT 2012 BERICHTE UND BILDER Sucht - ein Abdruck im Gehirn Welche Drogen wirklich helfen Sucht in Serie - Hype um US-Fernsehserien Recht unsicher - Attentate auf Juristen Anwalt als Führungskraft forum Junge Anwaltschaft w w w. d a v f o r u m . d e AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:40 Seite 2 6. Sold an Kan zleiGründe rpreis mit Sac hpreise n im We 1 0 . 0 0 0 rt von € 6. Soldan Kanzlei-Gründerpreis Durchstarten und gewinnen! Sie haben zwischen 2008 und 2010 mit Erfolg Ihre eigene Kanzlei gegründet? Dann können Sie jetzt gleich noch einmal gewinnen: nämlich den 6. Soldan Kanzlei-Gründerpreis mit Sachpreisen im Wert von 10.000 €. Einsendeschluss für die Bewerbung ist der 31. Juli 2012. Fordern Sie noch heute die Ausschreibungsunterlagen an: soldan.de/gruenderpreis. Viel Erfolg! AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:40 Seite 1 Editorial Sucht ist nicht das Problem der anderen AdVoice Redaktionsteam Eigentlich geht es uns doch ganz prächtig. Wir dürfen uns als privilegiert bezeichnen, weil wir einen Job haben, der uns die rechtlichen Interessen der Bürger unseres Landes vertreten lässt. Wir hoffen zudem darauf, dass, sollten wir eines Tages altersbedingt den Ruhestand erreichen, etwas im Rententopf übrig ist, damit wir in Würde den Lebensabend genießen können. Zugegeben sind das Worte, die am Beginn unserer Karrieren wie hohle Phrasen klingen. Und ganz nah am Herzen dran, so entschieden wir in der Redaktionskonferenz einhellig, ist das Thema „Sucht“. Sie kann zum ständigen Begleiter auch im anwaltlichen Alltag und für manche riskante Gratwanderung zwischen Traum und Realität werden. Oftmals wird sie zum Tabu erklärt, denn wer gibt schon frank und frei zu, „süchtig“, ja krank, zu sein? Wir haben nach Formen der Sucht und nach passenden Definitionen geforscht, ohne hierbei betroffene Menschen zu beurteilen oder zu verurteilen. Dass aus diesen leeren Worten rasch Realität werden kann, das müssen aktuell unsere europäischen Nachbarn wie Griechenland und Spanien erfahren, die um ihr Sozialwesen bangen. Während im April 2012 Griechenland eine Arbeitslosenquote von 21,7 Prozent verzeichnete, kam Spanien gar auf 24,3 Prozent. Der Durchschnitt der Euro-Länder lag bei 11 Prozent, Deutschland bei 5,4 Prozent (Quelle: Eurostat). Trotz der europaweit herrschenden Finanzkrise mag sich die Bundesrepublik noch wacker halten. Nach der Lehman-Pleite und teuren Bankenrettungen ist sogar ein gefühlter Aufschwung da. Kleine und mittlere Unternehmen investieren wieder in ihre Firmen. Sie investieren auch in Rechtsberatung, was wir merken. Das ist gut fürs Geschäft und gut für die Volkswirtschaft. Die Abhängigkeit hat viele Gesichter und kann aus einer zunächst harmlosen Begeisterung für eine Sache (Stichwort Computerspiel- oder Internetsucht) entstehen. Die Übergänge sind fließend, was wir nach ausgiebiger Auseinandersetzung mit der Materie nun umso eindrücklicher wissen. Wer sich nach der Lektüre dieser Ausgabe selbst betroffen fühlt, den wollen wir ermutigen, aus dem Deckungsgraben der Isolation, des Selbstbetrugs hervorzutreten und Hilfsangebote anzunehmen. Sucht ist nicht nur, ähnlich wie die eingangs erwähnten Arbeitslosenquoten, das Problem der anderen. Je offener und weniger reserviert wir mit dieser Problematik umgehen lernen, desto positiver kann sich dies in der Mandatsarbeit, aber auch letztlich in der Suchtprävention und -politik auswirken. AdVoice muss angenehmerweise jedoch keine Wirtschaftsarithmetik betreiben und „Rettungsschirme“ für angeschlagene Euroländer verhandeln. Wir widmen uns stattdessen unserer Kernkompetenz und legen Themen frei, die uns „ParagraphenreiterInnen“ unmittelbar am Herzen liegen. Wenn AdVoice in der Anwaltschaft diesen Diskurs fördern hilft, freut sich das gesamte Redaktionsteam. Beim Lesen insbesondere der suchtbefreiten weiteren Beiträge im Heft wünschen wir viel Freude. Euer RA Patrick Ruppert Tobias Sommer, Berlin Rechtsanwalt Chefredakteur Patrick Ruppert, Köln Rechtsanwalt Redaktion und Autor Matthias Dantlgraber, Berlin Ass. iur. Redaktion und Autor Stefanie Salzmann, Eschwege Journalistin Zentralredaktion Jens Jenau Rechtsanwalt Schloß Holte-Stukenbrock Bücherforum Andrea Vollmer, Berlin Fotografin und Bildredaktion ADVOICE 02/12 1 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:40 Seite 2 Inhalt Thema: Sucht Magazin 4 Ein Abdruck im Gehirn Ein Suchterklärungsmodell 18 Zahlensucht Eine Statistik 26 Ich führe, du folgst Der Anwalt als Führungskraft 6 Von Drogensucht bis Arbeitssucht Die Welt der Sucht 19 Passion des Begehrens Steve McQueens „Shame“ 28 Vom Geheimtipp zum Trend Lohnt sich ein Groupon-Angebot? 10 Über den Wellen der Müdigkeit Wenn der Job das Leben bestimmt 20 Sucht in Serie Der Hype um Fernsehserien 30 Alles was Recht ist Das chinesisch-deutsche Institut in Peking 12 Kündigung für Alkoholkranke Negative Prognosen reichen aus 21 Kippenzählen auf dem Spielplatz Sucht mit Mitteln des Rechts bekämpfen 32 Gericht des Monats Amtsgericht Eschwege 34 Recht unsicher Juristen leben auch gefährlich 36 Gedicht des Monats von Friedrich von Logau 37 Entschleunigung der Anwaltschaft Die Berufsgruppe wächst, aber langsamer 38 Belastungsstörung Schmerzensgeld wegen falscher Beratung 39 News Push the button 40 Zielgruppenorientiertes Networking Anwaltsmarketing 13 Rasen im Rausch Reglementierung bei Alkohol und Drogen 15 Welche Drogen helfen wirklich? Examenskandidat als bedrängte Kreatur 16 Blauer Dunst für alle? Deutschland und der Nichtraucherschutz 2 ADVOICE 02/12 22 „Ich vertrete Junkies“ Die Arbeit mit drogenabhängigen Mandanten Fotos Inhaltsverzeichnis v.l.n.r.: Guerino Falone_pixelio.de / Foto: © 2011 PROKINO Filmverleih GmbH / AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:40 Seite 3 Inhalt DAT 42 44 46 47 OLG-Richter trifft Jura-Hirschhausen DAT für Einsteiger Bücherforum 58 Recht der elektronischen Medien Beck’sches Mandatshandbuch IT-Recht Anfangs schweißgebadet Über die Kunst, Anwalt zu werden Computer- und Internetstrafrecht Verhandeln nach Drehbuch Mit Hollywood siegen lernen Handbuch des Fachanwalts Strafrecht Silber und Gold Reden und Schweigen im Zivilprozess Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen Bürgerliches Gesetzbuch Gesamtes Medizinrecht Straßenverkehrsrecht Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht Reiserecht Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht in der anwaltlichen Praxis 51 Durchstarten und gewinnen Soldan lobt Gründerpreis aus Betriebsverfassungsgesetz Personalbuch 2012 51 Mitgliederversammlung FORUM 53 International in der ewigen Stadt EYBA-Konferenz in Rom 63 Autorenverzeichnis 64 Das letzte Wort 64 Impressum Strafgesetzbuch und Nebengesetze Betäubungsmittelgesetz Euer FORUM Info + Service Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren RVG für Anfänger Y 54 Vorteile der FORUMs-Mitgliedschaft DAT 2012 55 RB-Treffen BERICHTE UND BILDER 56 FORUM international Länderbeauftragte für Dänemark und Schweden Lasse Schuldt / Christian Grünberg / Petra Bork_pixelio.de AnwaltKommentar RVG Mehr Informationen ab Seite 42! ADVOICE 02/12 3 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 4 Thema Abdruck im Hirn Ein Suchterklärungsmodell In unserer Kindheit und Jugend vermeldete die Tagesschau fast täglich die Zahl der Drogentoten in Deutschland. Grausige Bilder ausgemergelter minderjähriger Gestalten, deren Füße unter den Türen ekliger Bahnhofstoiletten rausragen, Fotos zerstochener und eitriger Armbeugen, dreckige Spritzen auf ebenso dreckigen Spielplätzen. 14jährige Stricherinnen, die sich den „Goldenen Schuss“ gesetzt hatten oder einfach an den Folgen des Heroins und Alkohols schlicht verreckt waren. Daneben auf dem Bildschirm das stets ernst und betroffene Gesicht des Nachrichtensprechers. Christiane F. und mit ihr die Kinder vom Bahnhof Zoo waren der Inbegriff der Süchtigen, der Verlorenen. Zu finden in jeder deutschen Großstadt, in Berlin, Frankfurt, Hamburg, München, Köln. Heute, 30 Jahre später, ist der Begriff Sucht zum einen in unserem Sprachgebrauch schon eine fast inflationär verbreitete Terminologie, zum anderen aber auch aus medizinischer und gesellschaftlicher Perspektive ein ständig wachsendes Feld. Und obwohl Umgangssprache und Medizin und Wissenschaft zunächst wenige Gemeinsamkeiten vermuten lassen, besteht doch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen allem. Schnell sprechen wir von der Sucht nach Sport, nach Arbeit, nach Sex, nach Spielen, von Sucht nach Essen, nach Schokolade, der Sucht nach Facebook oder der Kommunikation per SMS, von Sucht nach Bestätigung. Deutlich verhaltener und weniger offen sprechen wir von Süchten nach Alkohol, Zigaretten, Tabletten, nach der Vielzahl synthetischer Drogen, von Sucht nach Computer und Internet. Doch wo liegt die Grenze zwischen schlechter Angewohnheit und Sucht, zwischen Leidenschaft und Erkrankung? Sucht als Krankheit In den vierziger und fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch galt Sucht nicht als Erkrankung, sondern als Charakterschwäche. Erst die moderne Medizin definierte Suchtverhalten als Krankheit. Der Umkehrschluss war, wenn Sucht eine Erkrankung ist, dann hat diese eine Ursache und kann behandelt werden. „Die Ursache liegt häufig in einer Depression oder Angststörung“, sagt Prof. Dr. med. Martin Ohlmeier, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Ludwig-Noll-Krankenhauses in Kassel. 4 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 5 Thema Deshalb, so Ohlmeier, sucht man bei den Behandlungskonzepten nach der Primärerkrankung. „Die Patienten entwickeln sekundär ein Suchtverhalten, leiden aber primär an einer anderen Erkrankung.“ Er schildert ein typisches Beispiel. Ein Mann ist 30 Jahre verheiratet und verliert plötzlich seine Partnerin. Er findet sich allein gelassen in der Welt nicht mehr zurecht, vereinsamt, wird depressiv und zeigt damit eine pathologische Trauerreaktion. Irgendwann beginnt er, vorm Fernseher sitzend zu trinken. „Wenn jemand mit 50 plötzlich anfängt zu trinken, ist das sehr untypisch und dann steht da in aller Regel ein sogenannter Live-Event dahinter“, so Ohlmeier. Der von ihm geschilderte Fall ist in gewisser Weise alltäglich und illustriert einen Teil der gesellschaftlichen Schieflage, in der soziale Systeme zerfallen und das viel gepriesene starke Individium schnell zum Vereinsamten wird. Das Muster, das Suchtverhalten letztendlich begünstigt und hervorruft, ist bei jeder Altersgruppe in Wesentlichen identisch. Jugendliche sind per se anfälliger für Süchte als Erwachsene. Ihnen fehlt es an Reife in ihrer Persönlichkeitsstruktur, was ihre Bereitschaft erhöht, auch gefährliche Suchtstoffe zu probieren. Das ist häufig mit einem wenig ausgeprägten Selbstwertgefühl gepaart, was durch beispielsweise Alkohol kompensiert wird. Und, es ist nicht zuletzt die Modellfunktion des Elternhauses, die eine entscheidende Rolle spielt. Doch nicht nur Jugendliche und ältere Menschen sind suchtgefährdet. Gerade Menschen, die fest im Leben stehen, Verantwortung für Beruf und Familie tragen, wandern häufig auf dem schmalen Grat zwischen Missbrauch und Abhängigkeit. Betroffen sind vor allem Menschen, die in besonders „stressigen“ Berufen arbeiten, die mit hoher psychischer und physischer Belastung verbunden sind. Sie können häufig abends nicht abschalten und greifen zu Alkohol, um runterzukommen und überhaupt schlafen zu können. Hierbei unterscheidet der Psychiater allerdings zwischen dem sogenannten „missbräuchlichen Konsum“ und „Abhängigkeit“. den nucleus accumbens. Dort findet die Stimulation durch das Hormon Dopamin statt, dort wird das Suchtverlangen sozusagen hergestellt. Und das gilt nicht nur für die sogenannten stoffgebundenen Süchte wie beispielsweise Nikotin und Alkohol, sondern auch für unstoffliche Süchte wie zum Beispiel Spielsucht oder Sexsucht. Hinzu kommt, dass man beim Gehirn von einem Suchtgedächtnis ausgeht. „Das ist wie ein Abdruck im Gehirn“, so Ohlmeier. Ein Alkoholiker wird immer nur ein trockener Alkoholiker sein. „Wenn er jemals wieder Alkohol zu sich nimmt, ist das, als ob eine Tür geöffnet wird für eine Fortsetzung seiner Sucht.“ Auch bei den nichtstofflichen Süchten greifen die selben Mechanismen im Gehirn wie bei stoffgebundenen Süchten. Gleiches gilt beispielsweise für die Sucht nach Tabletten. Schmerz- und Schlafmittel werden zu Hauf und schnell verordnet. Selten machen sich Hausärzte tatsächlich die Mühe, die Ursachen solcher Symptome wie Schmerzen und Schlaflosigkeit zu ergründen. Stattdessen werden sie mit Analgetika und Opiaten einfach unterdrückt. Wenn die Patienten die Medikamente nach einem bestimmten Zeitraum absetzen, treten typische Entzugssymptome wie Schwitzen, Unruhe und Zittrigkeit auf. Denn auch hier schalten die im Gehirn vorhandenen Opiatrezeptoren auf körperliche Fehlfunktion bis hin zur vegetativen Entgleisung, was im schlimmsten Fall zum Delirium tremens führt. Massenproblem Alkohol Das Delirium tremens ist nicht das traurige Schicksal heroinabhängiger Junkies, sondern vor allem häufige Todesursache von Alkoholikern, die, so Ohlmeier, „nicht selten unter schlimmsten Bedingungen verrecken“. Alkoholismus verursacht schwere neuropsychiatrische Folgezustände wie das komplexe Mittelhirnsyndrom oder die alkoholbedingte Demenz (auch bekannt unter dem Korsakow-Syndrom), in der der Schauspieler Harald Junke seine letzten Lebensjahre verdämmerte, bis er mit einem praktisch vollständig aufgelöstem Gehirn starb. Das Gehirn ist der Schlüssel Doch was macht Sucht? Ohlmeier erklärt, dass bestimmte Menschen auf Grund eines genetischen Musters eine erhöhtes Risiko besitzen, an einer Sucht zu erkranken. „Manche sind empfänglicher auf Grund ihrer genetischen Prädisposition.“ Dass Frauen suchtanfälliger sind als Männer, sei ein Irrglaube. Allerdings würden Männer eher trinken, Frauen seien anfälliger für Tablettensucht. Dabei sind gesellschaftliche Konventionen bis heute relevant, wonach es für Frauen immer noch höchst unschicklich ist, sich öffentlich zu betrinken. Das aber für alle gültige neurobiologische Erklärungsmodell basiert auf einem Belohnungssystem: Im menschlichen Gehirn gibt es ein Suchtzentrum, „Das eigentliche Drogenproblem ist der Alkohol“, sagt Ohlmeier und verweist dabei auf eine Statistik, die besagt, dass es in Deutschland zirka 2,5 Millionen Alkoholabhängige gibt, die Dunkelziffer dürfte dop pelt so hoch sein. 40.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen der Krankheit. „Heroin ist ein Witz dagegen“, sagt er Psychiater. Alkoholismus werde gesellschaftlich verleugnet, weil Alkohol eine anerkannte Droge ist. Eine gesellschaftliche Wende ist, anders als beim Thema Rauchen und Nichtraucherschutz, nicht in Sicht. Und dass beim Thema Alkohol auch staatliche Sanktionen und Reglementierung wenig helfen, zeigt das Beispiel Skandinavien, wo Alkohol schon seit vielen Jahren extrem teuer ist, der Konsum dennoch weder sinkt noch das Trinken gesellschaftliche Ächtung erfährt. Erst vergleichsweise kurz auf dem Markt der Süchte und Abhängigkeiten ist Computer- und Internetsucht, sie rangiert aber in Häufigkeit und Ausprägung gleich nach dem Alkoholismus. Auch hier sieht Ohlmeier eine enge Verbindung zu einer depressiven Erkrankung. Das Leben in virtuelle Welten zu verlegen, wo ebenso virtuelle Gemeinschaften weniger Einsamkeit oder Isolation vorgaukeln. Oft geht es zudem um Aggression und das Ausleben dissozialer Phantasien. Auch viele Kinder und Jugendliche, von denen die meisten inzwischen freien und wenig kontrollierten Zugriff auf Computer haben, bietet das Medium eine Rückzugsmöglichkeit vor Konflikten im Alltag, mit denen sie nicht in der Lage sind, sich konstruktiv auseinanderzusetzen. Phänomen Arbeitssucht Die oft bemühte Arbeitssucht taucht bisher im medizinischen Diagnosekatalog nicht auf, wobei Mediziner sich stark damit beschäftigen. Es geht unter anderem darum, ob es sich nicht um ein Burnout handelt, von dem meist beruflich sehr engagierte Menschen betroffen sind, die letztendlich an ihrem beruflichen Engagement scheitern. Die Diskussion dreht sich dabei vor allem um die Entwicklung der Arbeit in unserer Gesellschaft, wo maximale Leistungsorientierung gefordert wird. „Arbeitssucht gilt als gesellschaftliche Phänomen“, so Ohlmeier. Merkmale echter Sucht Woran kann man erkennen, dass man die Grenze zwischen Missbrauch und Abhängigkeit überschritten hat? Der Süchtige kann Beginn, Länge und Ende des Drogenkonsums nicht mehr kontrollieren. Die Drogendosis, wobei dabei gleich ist, ob es sich um eine stoffliche oder nichtstoffliche Sucht handelt, steigt ständig. Ein weiteres alarmierendes und deutliches Symptom sind die Vernachlässigung anderer Interessen und die wachsende und ausschließliche Fokussierung auf den Substanzgebrauch. Und obwohl sich die meisten Betroffen darüber bewusst sind, wie schwer die Folgen der Sucht sind, müssen sie weiter konsumieren. Man muss nicht gleich Rennen fahren, um mit einem Mountainbike sportlich unterwegs zu sein. Ganz gleich ob Single-Trail, Alpenquerung oder Downhillparkour, mit grobstolligen 26ern durch das Gelände zu fahren, zu springen, macht den Kopf garantiert frei. Stefanie Salzmann, Eschwege > Eine Übersicht der häufigsten Süchte findet Ihr auf den nächsten Seiten. ADVOICE 02/12 5 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 6 Thema hat bereits im Jahr 1994 das Bundesverfassungsgericht im „Cannabis-Beschluss“ deutlich gemacht (BVerfGE 90, 145). Befürworter einer offenen Drogenpolitik vergessen, dass die Kriminalisierung nur ein Argument ist. Dass vor allen Dingen sogenannte harte Drogen ihre Konsumenten nicht nur wegen der illegalen Beschaffung unter Druck setzen, sondern binnen kurzer Zeit in eine körperliche wie psychische Abhängigkeit mit erheblichen gesundheitlichen Störungen führen, wird gern unterschlagen. Heroin, Crack und Kokain mögen dabei nur die Spitze des Eisbergs sein. Tatsächlich wird in Drogenküchen an neuen, noch wirkungsvolleren Mixturen gearbeitet, die erkennbar rascher wirken und noch pat schneller süchtig machen. Essstörungen Magersucht (Anorexie) und Fress- bzw. Esssucht sind nur zwei der bekannten Formen von Essstörungen. Darüber hinaus werden laut Wikipedia u. a. die EssBrech-Sucht, das Binge Eating (Essattacken bei Heißhungergefühlen) oder das krankhafte Gesund-Essen (Orthorexia nervosa) in diese Kategorie eingeordnet. Zentral bei all diesen Störungen und Süchten ist die ständige gedankliche und emotionale Beschäftigung mit dem Thema „Essen“. Es geht dann vorwiegend um die Beschaffung von Nahrung, deren Zubereitung sowie deren Verzehr oder um deren Verweigerung. Grund sind psychosoziale Störungen und die Einstellung zum eigenen Körper. Behandelt werden diese Krankheiten meist mittels Psychotherapie, ein erster Schritt ist ein Ernährungsprotokoll. Einen informativen Selbsttest zu Essstörungen gibt es hier: http://www.hypnopraxis.net/essen_fragebogen.htm. Allen anderen sei der Film „Das große Fressen“ emtobi pfohlen oder Kafkas „Ein Hungerkünstler“. Alles rein. Dann alles wieder raus. Kreislauf Essstörungen. Alkohol Was ist schon dabei? Saufen, bis der Arzt kommt. Flatrate- oder Komatrinken gehören in einigen Regionen dieser Erde immer noch zum guten Ton, ist Zeichen von nachgewiesener Männlichkeit und besonderer Gastfreundschaft. Wer nicht trinkt, gilt rasch als Spaßbremse. Dass Alkohol, besonders in so hohen Dosen genossen, neben der Zigarette zum Hauptsuchtstoff unserer Gesellschaft gehört, verdrängen viele. Wann Alkoholmissbrauch beginnt, war lange Zeit nicht klar. Fest steht aber inzwischen, dass die schrittweise Gewöhnung an Ethanol, insbesondere die Steigerung der Trinkmenge, in die Abhängigkeit führen können. Es ist nicht erst der regelmäßige Vollrausch, der den typischen Alkoholkranken kennzeichnet. Es sind weitaus geringere Dosen, die wegen ihrer Regelmäßigkeit auf ein Alkoholproblem hindeuten. Wer immer häufiger immer mehr trinkt, nicht nur in Gesellschaft, der sollte Obacht geben. Hoher Alkoholkonsum verursacht massive Schädigungen der neuronalen Netze, der 6 ADVOICE 02/12 inneren Organe (Leber) und des Herz-KreislaufSystems. Hinzukommen kann die alkoholbedingte Demenz. Auch bei mäßigem Konsum gelten Hinweise wie „ein Glas Wein ist gut für die Blutgefäße“ wegen der erheblichen Gefahren als überholt. pat Drogen Das Wort Droge wird zumeist im gängigen Sprachverständnis mit natürlichen und synthetisch gewonnenen Substanzen in Verbindung gebracht, die den menschlichen Seinszustand verändern. Die Erweiterung des psychischen Horizontes, göttliche Kräfte, sprudelnde Kreativität, leuchtende Farben und die Wahrnehmung von ansonsten nicht hörbaren Klängen sind nur einige Aspekte, von denen die „User“ berichten. Die Produktion von Rauschmitteln müsste staatlich kontrolliert, die Abgabe legalisiert, jedem Bürger somit sein „Recht auf Rausch“ zugebilligt werden, sagen sie. Dass zu einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft kein solches Grundrecht zählt, Bewusstseinserweiterung oder Untergang? AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 7 Thema Kaufsucht Wenn (Ehe)-Männer, die sonst nie einkaufen gehen, gleich mit fünf großen Tüten von ihrer jährlichen Einkauftour zurückkommen, war das allenfalls ein Kaufrausch. Die Oniomanie (griech. onios = zu kaufen), welche medizinisch als Zwangsstörung kategorisiert wird, ist jedoch durch ein zwanghaftes Kaufen von Waren gekennzeichnet. Eine beliebte Warengruppe sind Schuhe. Dabei steht nicht mehr der Besitz der Güter im Vordergrund, es geht vielmehr darum, sich von einem Drang durch die Kaufhandlung selbst zu befreien. Es geht also um eine Befriedigung durch Kaufen. Die Produkte selbst werden oft nicht einmal ausgepackt. Ein weiteres Merkmal sind Entzugserscheinungen, welche bei Kaufsüchtigen auftreten, wenn sie an der Kaufhandlung gehindert werden. In der Regel äußert sich tobi das als ein vegetativer Erregungszustand. seits wird weithin angenommen, dass es Onlinesucht gibt. Andererseits ist wissenschaftlich bisher nicht endgültig geklärt, was genau darunter zu verstehen ist. Die Grenzlinie zur Sucht dürfte auch dort zu ziehen sein, wo der Internetnutzer beginnt, mat sich selbst und andere zu schädigen. Arbeitssüchtig ist, wer zwanghaft viel und immer mehr arbeitet, sein privates Umfeld und sonstige Pflichten vernachlässigt und sein gesamtes Selbstbewusstsein aus Qualität und Quantität der Arbeit zieht. Unter den Juristensüchten ist die Arbeitssucht ein Klassiker, von ein paar arbeitsberuhigten Zonen im öffentlichen Dienst mal abgesehen. Den „9-to-5-job“ gibt es kaum mehr. In kleinen wie großen Kanzleien sind Nachtschichten keine Seltenheit. Bis zum Morgengrauen werden Klageschriften verfasst oder „calls“, „deals“ und „due diligences“ abgewickelt. Exzessive Arbeitszeiten drohen immer dort, wo nicht ein Zeit-, sondern ein Aufgabenpensum erfüllt werden muss. Tritt zum Druck von außen noch der selbstgemachte Druck eines übertriebenen Perfektionismus hinzu, ist die Gefahr der Arbeitssucht besonders groß. Man muss sich aber davor hüten, jeden Workaholic als arbeitssüchtig zu bezeichnen. Ein wirklich Arbeitssüchtiger ist krank und bedarf der Behandlung. Ohne eine solche drohen schwere Folgeerkrankungen wie Burnout, Depresmat sionen oder ein früher Herztod. 2,5 Millionen Menschen in Deutschland sind alkoholsüchtig. Fotos: Andrea Vollmer Arbeitssucht Nikotin Die Zigarette gehörte einst zum Coolsein zwingend dazu. Wir erinnern uns an Leinwandhelden wie James Dean, Alan Delon oder Marlene Dietrich, die lässig an ihren Glimmstengeln zu ziehen wussten. Oftmals geht es auf den Pausenhöfen mit zirka 14 Jahren als eine Art Mutprobe los, um auch so locker zu sein wie die Großen. Jahre später wünschten sich allerdings nicht wenige, diesem Initiationsritus nicht gefolgt zu sein, denn das Aufhören fällt nicht leicht. Nach Berechnungen der Deutschen Krebsgesellschaft sterben in Deutschland jährlich mehr als 110.000 Menschen an den unmittelbaren Folgen des Gebrauchs von Tabak. Die Zahlen, die in den EU-Nachbarländern kaum anders ausfallen, haben zu einem gesellschaftlichen Umdenken geführt. Das Rauchen wird immer stärker reglementiert und Schritt für Schritt mit strengen Nichtraucherschutzregeln aus dem öffentlichen Raum verbannt. pat Onlinesucht Einen leichten Schatten hat jeder. Nirgendwo gilt das mehr als im Bereich des exzessiven Internetkonsums. Die virtuelle Welt breitet sich aus, die reale wird zurückgedrängt. Im Internet wird kommuni ziert, gearbeitet, gespielt, geliebt … Praktisch alle menschlichen Bedürfnisse lassen sich online jeden falls ersatzbefriedigen. Kein Wunder, dass der Computer in vielen Haushalten kaum mehr ausgeschaltet wird. Unterwegs sorgen Smartphone & Co. für den ununterbrochenen Zugang zum Stoff. Ist eine ganze Gesellschaft pathologisch und reif für den Seelenklempner? Dramatisierungen sind fehl am Platz. Mit zunehmender Verbreitung wird das Un normale zur Normalität, die man kaum mehr als behandlungsbedürftig bezeichnen kann. Die allge meine Verbreitung des Phänomens ist auch der Grund für einen merkwürdigen Widerspruch. Einer- ADVOICE 02/12 7 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 8 Thema Sexsucht Wenn man häufig nur an „das eine“ denken muss, dann ist das für sich genommen noch kein Warnhinweis, dass eine krankhafte Störung der Sexualität, sogenannten Sexsucht, vorliegt. Eine regelmäßige erotische Betätigung, am besten mit dem Partner, bedeuten indes Harmonie und Stabilität. Wenn jedoch der Drang, Sexualität zu leben, alltagsbestimmend wird, der oder die Betroffene sich vom Trieb dominiert fühlt, dann kann von einer pathologischen Veränderung gesprochen werden. Als Gründe, warum es zur Sexsucht kommt, werden in der Wissenschaft verschiedene Aspekte beleuchtet. Zum einen werden erlittene seelische Beschädigungen aus der Kindheit, die aus sexuellem Missbrauch herrühren können, für ursächlich angesehen. Zum anderen werden sowohl eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, möglicherweise eine genetische Prädisposition als auch die ständige Ver- fügbarkeit von Sex über die Medien als kausal bewertet, wenn die unstillbare Lust zum Leid wird. Im täglichen Miteinander kann sich Sexsucht vielgestaltig äußern und zu ganz erheblichen Problemen führen. Stehen Straftäter von Sexualdelikten vor Gericht, lautet die Diagnose der Gutachter nicht selten Sexsucht. Vermeintliche Sexsucht ist allerdings nicht geeignet, um einen Mietvertrag zu beenden. Das entschied bereits vor geraumer Zeit das Amtsgericht Köln (Az: 211 C 256/01). Moralische Vorlieben des Vermieters nämlich sind in einem pat solchen Vertragsverhältnis unbeachtlich. Spielsucht Beim pathologischen Spielen oder zwanghaften Spielen können Betroffene dem Impuls zum Glücks spiel oder zu Wetten nicht widerstehen, selbst wenn dies gravierende finanzielle Folgen im persönlichen, Am blauen Dunst scheiden sich die Geister. Es bleibt eine Sucht mit schweren Folgeerkrankungen. 8 ADVOICE 02/12 familiären oder beruflichen Umfeld nach sich zieht. Männer sollen häufiger spielsüchtig sein als Frauen, nach Schätzungen soll es in Deutschland zwischen 100.000 und 290.000 Spielsüchtige geben. Medizinisch wird pathologisches Spielen zusammen mit Kleptomanie oder Pyromanie als abnorme Gewohnheit und Störung der Impulskontrolle eingeordnet. Nicht als Spielsucht angesehen wird das exzessive Spielen während manischer Episoden. Unterschieden werden die Gewinnphase, bei der immer höhere Beträge gesetzt werden, die Verlustphase, wo mit Gewinnen geprahlt wird, aber auch Schulden zur Finanzierung des Spielens gemacht werden, sowie die Verzweiflungsphase, in welcher auch ungesetzliche Geldbeschaffung erfolgt und die Persönlichkeitsstruktur sich verändert. Unter anderem können Reizbarkeit, Irritationen, Ruhelosigkeit, Schlafstö tobi rungen auftreten. > http://www.sucht.de/ Foto: Andrea Vollmer AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 9 AUF DER EINEN SEITE GÜNSTIG. AUF DER ANDEREN EXKLUSIV. DIE PRIVATE GRUPPENVERSICHERUNG FÜR RECHTSANWÄLTE. Kra versic ostenvoll k s it e h k n herung n. EUR/Mo 6 9 , 0 2 ab 2 Gestalten Sie als Rechtsanwalt Ihre Gesundheitsvorsorge und die Ihrer Familie jetzt noch effektiver. Die DKV bietet Ihnen Krankenversicherungsschutz mit einem Höchstmaß an Sicherheit und Leistung. 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Bei risikoerheblichen Vorerkrankungen kann der Versicherer den Versicherungsumfang einschränken oder ggf. einen nennenswerten, medizinisch bedingten Beitragszuschlag erheben. ährigen inen 35-j rag für e it M 4/3 e B B . f tl ri m Ta alt nach w n a lt p. a. a ts h Rech lbstbe 0 EUR Se mit 1.60 E-Mail Unterschrift angestellt selbstständig AV-0212 Ich vertrau der DKV AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 10 Thema Über den Wellen der Müdigkeit Wenn nur noch der Job das Leben bestimmt – ein Portrait Was ist das eigentlich für ein Leben, werden sich viele fragen, das zu fast hundert Prozent von der Arbeit bestimmt wird? Wie muss man beschaffen sein, um das durchstehen zu können? Reichlich Klischees versperren den Blick auf eine Realität, die rein gar nichts mit glamourös gezeichneten Vorabendserien zu tun hat, die in US-amerikanischen Nobelkanzleien irgendwo zwischen Golfplatz und Champagner-Loge spielen. Zeit ist die allumfassende Variabel, an der sich der Arbeitsalltag in den großen Law Firms ausrichtet. Die sogenannten Billables (billable hours), zu deutsch die Stunden, die den Mandanten in Rechnung gestellt werden können, stehen hierbei im Mittelpunkt jedweden Interesses. So wie dem professionellen Marathonläufer die Zeit um 2,15 Stunden eine magische Zielmarke ist, so werden in Großkanzleien internationalen Zuschnitts zwischen inoffiziell 1.800 und 2.200 Billables als die zu erreichende Größe von den angestellten Rechtsanwälten erwartet. Inoffiziell deshalb, weil es nur in einigen Großkanzleien offen gegenüber den Anwälten kommuniziert wird. Selbst in den Einstellungsgesprächen zeigen die Human-Ressource-Manager höfliche Zurückhaltung, was die Arbeitsbelastung angeht. Das mag auch daher rühren, dass die Work-Life-Balance auch für besonders qualifizierte Absolventen immer wichtiger wird und man diese nicht gleich verschrecken will. Dessen ungeachtet, erwartet den frisch Eingestellten der Corps-Geist der Law Firm, also der Arbeit erste Priorität einzuräumen und zum Wohle des Unternehmens alles zu geben. Alles geben heißt, die Marke der zu erwartenden Billables zu erreichen. »Den unbedingten Gehorsam gegenüber der „Firma“ lassen sich diese Kanzleien einiges kosten.« Wer die Messlatte nicht schafft, dessen Arbeitsvertrag ist in Gefahr. Diesem Druck beugen sich die meist jungen Kolleginnen und Kollegen bereitwillig, die schon im Studium dem Büffeln mehr Priorität für das „Prädikat“ einräumten als ihre Kommilitonen. Es ist die Mischung aus der Angst, den erwarteten Anforderungen nicht zu entsprechen, und dem Faszinosum, an den ganz großen Entscheidungsprozessen der Wirtschaft mitzuwirken, beschreibt Sylvia Schulz (Name von der Redaktion geändert) die Motivation, sich dem „System Großkanzlei“ zu unterwerfen. Schulz ist seit über zehn Jahren als Rechtsanwältin zugelassen. In ihrer be- 10 ADVOICE 02/12 ruflichen Karriere verlief alles nach Plan, exzellente Examina, die Promotion eine logische Konsequenz, der LLM mit Stipendium an einer US-amerikanischen Elitehochschule und der Einstieg in eine wirtschaftsrechtlich ausgerichtete Großkanzlei mit Niederlassungen in der ganzen Welt. Sie findet rasch Gefallen an diesem juristischen Universum, das in Sachen Berufsstolz Maßstäbe setzt. Die Leistung als Team, wie sie sagt, spielt eine hervorgehobene Rolle. Für jedes juristische Problem steht ein hoch qualifizierter Sachbearbeiter bereit, der auf Kommando seltene Rechtsprechung ausgräbt oder Vertragsdokumente unterschriftsreif vorbereitet. Es ist das Gefühl, mit Gleichgesinnten als Einheit den juristischen Unwägbarkeiten gleich welcher Art zu trotzen, was nach außen hin das Image zeichnet, in jeder Übernahmeschlacht von Unternehmen eine elegante Figur abzugeben. Den unbedingten Gehorsam gegenüber der „Firma“ lassen sich diese Kanzleien einiges kosten. Einstiegsgehälter für Junior Associates liegen zwischen 70.000 und 100.000 Euro (Quelle: azur-online). Spesen wer den ohne Gezeter übernommen und Flugreisen auf Businessclass gebucht. Etliche Annehmlichkeiten wie ein Dienstwagen, Nutzung des Jobhandys auch für private Gespräche oder ein 24-Stunden-Catering-Service, wenn es daheim zum Kochen nicht mehr reicht, sollen die Mitarbeiter bei Laune halten. „Man schmeichelt dir mit einem unglaublichen Service und signalisiert dir, wie sehr man um dein Wohlergehen am Arbeitsplatz interessiert ist“, schildert Schulz gegenüber AdVoice. »Ich habe viele Familienfeiern am Telefon verbracht oder ganz abgesagt.« Diese Goodies sind auch nötig, denn für anderes bleibt kaum oder gar kein Raum. „In den Zeiten, wo ich wirklich viel gearbeitet habe, wusste ich von vornherein, dass regelmäßige Aktivitäten wie etwa Vereinssport nicht funktionieren werden“, so Schulz. „Ich habe mal an einem Abend einen Volkshochschulkurs besucht, es aber an keinem weiteren geschafft. Es gibt natürlich auch ruhigere Phasen, sicher auch jetzt in der wirtschaftlichen Situation mehr als noch vor Jahren. In den heißen Arbeitsphasen gab es Wochen, wo ich ernsthaft darüber nachgedacht habe, ob ich daheim noch etwas essen oder lieber eine Stunde länger schlafen soll. Da war nichts anderes mehr. Man versucht sich natürlich die Wochenenden frei zu halten. Das gelingt aber nicht immer. Ich habe viele Familienfeiern am Telefon verbracht oder ganz abgesagt. Das muss einem aber klar sein.“ Es ist eine Alltagsrealität, die in diesem Umfeld nur als völlig normal erlebt wird. Außerhalb aber stößt dieser volle Jobeinsatz nicht immer auf Gegenliebe. Tatsächlich, und das erlebte Schulz über die Jahre als ganz gravierende Belastung, kommen nur wenige Freunde und Verwandte mit diesem Berufsethos klar. „Freunde wenden sich“, so sagt sie, „in gewisser Weise ab, rufen nicht mehr so oft an. Die denken: Die hat ja eh keine Zeit. In der Familie oder auch in zurückliegenden Beziehungen ist mir aufgefallen, dass ein großes Unverständnis darüber herrscht. Da habe ich öfters Ärger bekommen, getreu dem Motto, das kann doch nicht sein, du musst dich doch mal abgrenzen können und klar NEIN! sagen. Wer das Metier kennt, weiß, dass 'Neinsagen' nicht funktioniert. Entweder du machst den Job ganz oder gar nicht. Wenn man eine bestimmte Position, Stärke erreicht hat, dann mag das so sein, dass man sich ein etwas entspannteres Leben einrichten kann. Das geht aber in keinem Fall am Anfang oder wenn man an wichtigen Karrieresprüngen steht.“ »Diese Begeisterung, wie viel man aus sich herausholen kann, trägt einen auch über die Wellen der Müdigkeit.« Antriebsfeder, um jeden Tag auch für Überstunden bereit zu sein, ist nicht nur negativer Druck, wirft Schulz ein. Das dürfe man keinesfalls falsch verstehen. Wenn man in Teams arbeite, könne man zwar oftmals nicht anders, als einfach mitzumachen, sich dem Rest der Gruppe anzupassen. „Irgendwann beginnen die Dinge, richtig gut zu laufen und du merkst, du hast Erfolg, dann ist das ein sehr positives Erlebnis. Schnell sagst du, ich arbeite eine Nacht durch, wir ziehen alle an einem Strang und dann sind wir erfolgreich. Das geht sogar so weit, dass du dir sagst, du schläfst gar nicht mehr und kannst viel mehr leisten als alle deine Freunde. Diese Begeisterung, wie viel man aus sich herausholen kann, trägt einen auch über die Wellen der Müdigkeit.“ Selbstdisziplin und Überwindung, so sagt die junge Juristin, gehörten dazu, um spät abends noch ein neues Thema anzufangen. „Wenn man nicht in Übung ist, schafft man es nicht, die Konzentration hierfür aufzubringen. Wenn man es aber gewohnt ist, wenn man es jeden Tag so macht, dann ist es überhaupt nichts Eigentümliches, nachts um eins noch einen AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 11 Thema Vertrag zu lesen und sich auf etwas ganz neues einzulassen.“ Zwischen den Anwälten existiere ein regelrechter Wettstreit, „wer am tollsten ist und wer am unentbehrlichsten zu sein scheint“, betont Schulz. Arbeit wird so zum Hochleistungssport, darf aus ihren Worten zwangfrei gefolgert werden. Der menschliche Organismus wird geradewegs getaktet, gewöhnt sich, so seltsam das klingen mag, an die Unbill der enormen Arbeitslast. So ist es beinah logisch, dass Schulz den Erholungs urlaub bisher als echte Herausforderung verstand: „Im Urlaub bin ich öfters mal krank geworden. Ich erinnere mich an meine erste kurze Auszeit. Da verbrachte ich von den zehn Tagen, die ich nahm, die größte Zeit mit Migräne im Bett.“ Ein Manko sei es aber vor allem, so Schulz, „dass man heutzutage selbst im Urlaub dank Handy immer erreichbar ist und von überall auch seine E-Mails empfangen kann. Das wird von einem letztlich erwartet. Mandanten rufen ohnehin immer häufiger auf dem Mobiltelefon an, anstatt es in der Kanzlei zu versuchen. Daher“, sagt sie, „war es in der Vergangenheit immer so, dass man den Urlaub komplett in seine normale Arbeit eingereiht hat.“ Es seien aber in erster Linie die Mandanten, die das forderten, erklärt Schulz, und nicht die Sozien der Kanzlei. Obschon die karriereorientierte Rechtsanwältin sehr an ihrer Arbeit hängt und einräumt, ein echtes „Arbeitstier“ zu sein, gelangte sie an einen Punkt, der ein Nachdenken, vielleicht auch Umdenken verlangte. Sie bekam nämlich erst kürzlich ein Kind und bemerkte trotz ihrer Begeisterung für den Anwaltsberuf, welche schönen anderen Seiten das Leben in sich birgt, und dass nicht alles voll durchgetaktet abläuft. Sie ist eine glückliche Mutter, die in ihrer neuen Rolle voll aufgeht. Gleichwohl, und darauf legt sie Wert, möchte sie alsbald nach einer kurzen Unterbrechung wieder voll einsteigen. RA Patrick Ruppert, Köln 11 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 12 Thema Kündigung für Alkoholkranke? Negative Prognosen und Belastungen für Kollegen reichen aus 33). Durch eine nachträglich signalisierte Therapiebereitschaft kann die negative Prognose laut dem BAG-Urteil aus dem Jahr 1987 nicht rückwirkend beeinflusst werden. STUFE 2 Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen Alkoholsucht ist nicht nur nach medizinischen Maßstäben, sondern auch nach der Rechtsprechung des BAG eine Krankheit. Nach dem BAG gelten daher die gleichen Grundsätze wie für krankheitsbedingte Kündigungen. Ein grundlegendes Urteil zu Alkoholismus hat das höchste deutsche Arbeitsgericht im Jahr 1987 gefällt (Urteil vom 9.4.1987, Az.: 2 AZR 210/86, NJW 1987, 2956). Dort heißt es: „1. Kündigt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer wegen Trunksucht, richtet sich die Beurteilung der Kündigung grundsätzlich nach den Rechtssätzen, die das BAG für die krankheitsbedingte Kündigung aufgestellt hat. Aus den Besonderheiten der Trunksucht kann sich aber die Notwendigkeit ergeben, an die Prognose im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Alkoholabhängigkeit geringere Anforderungen zu stellen. 2. Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung nicht therapiebereit, kann davon ausgegangen werden, dass er von dieser Krankheit in absehbarer Zeit nicht geheilt wird. Eine von ihm nach Ausspruch der Kündigung durchgeführte Therapie und ihr Ergebnis können daher nicht zur Korrektur der Prognose herangezogen werden.“ Der Kläger war seit 1963 bei dem Unternehmen beschäftigt und seit 1976 immer wieder wegen starken Alkoholgenusses bei der Arbeit aufgefallen. Im Jahre 1981 sprach die Arbeitgeberin einen „Verweis“ aus und drohte für den Wiederholungsfall mit Disziplinarmaßnahmen. 1984 erfolgte eine letzt malige Abmahnung. Der Kläger war jedoch zum Kündigungszeitpunkt unstreitig nicht therapiebereit. Alle Instanzen hielten die Kündigung für sozial gerechtfertigt. 12 ADVOICE 02/12 Alkoholismus liege nach dem BAG vor, wenn der gewohnheitsmäßige, übermäßige Alkoholgenuss trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden könne. Wesentliches Merkmal dieser Erkrankung sei die physische oder psychische Abhängigkeit vom Alkohol. Sie äußere sich vor allem im Verlust der Selbstkontrolle. Der Alkoholiker könne, wenn er zu trinken beginne, den Alkoholkonsum nicht mehr kontrollieren, mit dem Trinken nicht mehr aufhören. Dazu komme die Unfähigkeit zur Abstinenz, der Alkoholiker könne auf Alkohol nicht mehr verzichten. Die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung habe in folgenden drei Stufen zu erfolgen: Die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Die Darlegungsund Beweislast liegt beim Kläger. An erster Stelle zu nennen sind die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten. Sowohl Störungen im Betriebsablauf als auch wirtschaftliche Belastungen wie Entgeltfortzahlungskosten und Mehrkosten für eine Ersatzkraft sind anerkannt. Die Entgeltfortzahlungen müssen nach einer Entscheidung des BAG jedoch jährlich für einen Zeitraum von mehr mindestens sechs Wochen anfallen (Urteil vom 29.7.1993, NZA 1994, 67). Bei Betriebsablaufstörungen, für die es keine 6-Wochen-Untergrenze, aber eine Erheblichkeitsschwelle gibt, kommen u. a. Produktionsausfälle oder Terminüberschreitungen, der Stillstand von Maschinen oder nachweisbare Rückgang der Produktion wegen einzuarbeitendem Ersatzpersonal, aber auch der Überlastung des verbliebenen Personals oder dem Abzug von Personal aus anderen Arbeitsbereichen in Betracht. STUFE 1 Negative Prognose STUFE 3 Interessenabwägung Eine sozial gerechtfertigte Kündigung setze zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen weiteren Gesundheitszustandes voraus. Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird vertreten, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Kündigung zur Durchführung einer Entziehungskur Gelegenheit geben muss. Teilweise wird sogar gefordert, dass der Arbeitgeber sogar den Arbeitnehmer zu einer Kur auffordern muss (vgl. z.B. LAG Frankfurt/M., Urteil vom 26.6.1986, DB 1986, 2608 = BB 1986, 2201; ArbG Düsseldorf, Urteil vom 13.3.1990, DB 1990, 1387). Diese Ansicht ist aufgrund der mäßigen Erfolgsaussichten von Entziehungskuren jedoch fraglich, die Rückfallquote soll bei weit über 50 Prozent liegen. Zudem dauern Entziehungskuren regelmäßig mehrere Monate. Verweigert der Arbeitnehmer eine Therapie, ist eine Heilung nicht zu erwarten. Die Voraussetzungen für eine negative Gesundheitsprognose sind dann erfüllt (vgl. BAG, Urteil vom 13.12.1990, EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. In der dritten Stufe ist eine Interessenabwägung durchzuführen. Zu prüfen ist, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer unzumutbaren Belastung führt. Dabei ist zu beachten, dass Alkoholismus in der Regel auf eigenem Fehlverhalten des Arbeitnehmers basiert. Nach einer älteren BAG-Rechtsprechung ist bei der Abwägung auf den Zeitpunkt des Beginns des Alkoholmissbrauchs abzustellen (vgl. BAG, Urteil vom 7.12.1972, DB 1973, 579 = AP Nr. 26 zu § 1 LFZG sowie Urteil vom 22.3.1973, DB 1973, 1179 = AP Nr. 31 zu § 1 LFZG). Später hat das BAG jedoch entschieden, dass es keinen Erfahrungssatz geben soll, dass eine Alkoholsucht in aller Regel selbst verschuldet sei (Urteil vom 1.6.1983, DB 1983, 1315). Dennoch sei dann eine Kündigung nicht ausgeschlossen. Denn bei personenbedingten Kündigungen müsse ein schuldhafter Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten nicht notwendigerweise vorliegen. RA Tobias Sommer, Berlin AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 13 Thema Rasen im Rausch Über den reglementierten Umgang mit Alkohol und Drogen In der anwaltlichen Praxis haben vor allen Dingen StrafverteidigerInnen mit den Auswirkungen von Alkohol- und Drogemissbrauch zu tun. Der teilweise in der Bevölkerung propagierte freie Umgang mit Rauschmitteln führt in einigen Lebensbereichen zu gravierenden Folgen, die hinlänglich bekannt sind. Welches Maß an Reglementierung von Alkohol- und Rauschwaren indes vernünftig erscheint, um Gefahren von der Gesellschaft abzuhalten, bleibt weiterhin ein kontroverses Diskussionsthema. AdVoice hat drei relevante Beispiele zusammengestellt, die die Problematik der staatlichen „Rauschkontrolle“ aufzeigen. Vollrausch, § 323a StGB Um in den Zustand des Vollrauschs zu gelangen, muss man sich schon eine erhebliche Menge an Alkohol oder anderer berauschender Mittel zuführen. Gemeint sind Zustände, bei denen tagsdrauf mindestens der berühmte „Filmriss“, Erinnerungslücken vom Exzess, steht. Bei welcher Menge an Alkohol beziehungsweise Rauschmitteln ein Vollrausch festzustellen ist, lässt die Rechtsprechung grundsätzlich offen. Dies ist im Besonderen davon abhängig, welches Geschlecht der Täter besitzt und welche Konstitution ihm zugeschrieben wird. Auch spielen das Alter und die Gewöhnung an den Alkohol beziehungsweise an das Rauschmittel eine nicht unerhebliche Rolle. Im Haftpflichtrecht sind derlei Fragestellungen regelmäßig Gegenstand juristischer Prüfungen. Der Bundesgerichtshof hat in einem richtungsweisenden Urteil befunden, „dass der in den Allgemeinen Vermietungsbedingungen für den Fall grober Fahrlässigkeit vorgesehene undifferenzierte Haftungsvorbehalt zwar unwirksam ist, dies aber nicht unbedingt dazu führt, dass nur die Selbstbeteiligung zu zahlen ist. Vielmehr tritt an die Stelle der unwirksamen Klausel über den Haftungsvorbehalt der Grundgedanke der gesetzlichen Regelung des §81 Abs. 2 VVG, die u. a. für die Kaskoversicherung maßgeblich ist.“ (Quelle: Pressemitteilung, BGH, Urteil vom 11.10.2011, Az. VI ZR 46/10). In dem zu entscheidenden Fall hatte der Beklagte nach einem Streit mit seiner Ehefrau und einem Kneipenbesuch sehr stark alkoholisiert den Mietwagen der Klägerin mit überhöhter Geschwindigkeit an einem Baum total zerstört. In zweiter Instanz wurde der Beklagte nur zur Zahlung der in der Kfz-Versicherung vorgesehenen Selbstbeteiligung in Höhe von 700 Euro verurteilt. Die vereinbarte Haftungsbeschränkung, die bei groben Vertragsverletzungen, hier der Vollrausch, von der Klä gerin ausgeschlossen war, sei zu unbestimmt ge- wesen, so die Richter. Obschon der BGH dem zustimmte, sei die Rechtsfolge aber eine andere. Er verwies auf § 81 Abs. 2 VVG: „Führt der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbei, ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen.“ Die Sache wurde zur Entscheidung zurück an die Berufungsinstanz verwiesen. Geringe Menge, § 31a BtMG Die Höhe der „geringen Menge“ an Rauschmitteln zum sogenannten Eigenkonsum ist deutschlandweit nicht einheitlich geregelt und unterliegt unzweifelhaft der politischen beziehungsweise gesellschaftlichen Bewertung. In Nordrheinwestfalen beispielsweise ist in einem Runderlass des Justizministeriums für die Staatsanwaltschaften bindend festgelegt worden, dass kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, wenn beim Täter folgende maximalen Drogenmengen gefunden werden: Haschisch oder Marihuana (10 Gramm), Heroin (0,5 Gramm), Kokain (0,5 Gramm), Amphetamin (0,5 Gramm). Im Vergleich dazu sieht die Justiz in Bayern die Eigenbedarfsgrenze bei Cannabisprodukten bei maximal 6 Gramm (3 Konsumeinheiten je 2 Gramm, jedoch ohne Fremdgefährdung). (Quelle: www.alternative-drogenpolitik.de, www.datenbanken. justiz.nrw.de) Selbstgebrannter Dort, wo Alkohol unter weitgehender staatlicher Prohibition steht, oder dort, wo sich viele Menschen keine alkoholischen Getränke leisten können, schießen Schwarzbrennereien wie Pilze aus dem Boden, ist „Selbstgebrannter“ hoch im Kurs. In den illegal betriebenen Destillerien wird aus allen möglichen Stoffen Alkohol gewonnen, nur dass der nicht immer reiner Trinkalkohol, sprich Ethanol, sondern giftiger Methylalkohol ist. Methanol sorgt bereits in geringster Dosis für Lähmungserscheinungen und kann die Sehfähigkeit erheblich beeinträchtigen (Blindmacher). Erst im vergangenen Winter wurden in der Türkei zwei Alkoholpanscher zu hohen Haftstrafen verurteilt, weil sie irregulär hergestellten Schnaps mit Methanol in den Verkehr brachten, an dem drei deutsche Touristen starben. In Deutschland wird die Herstellung von Alkohol von der Bundesmonopolverwaltung kontrolliert. Das einschlägige Gesetz ist das Branntweinmonopolgesetz (BranntwMonG). Unter sehr engen Voraussetzungen ist der Betrieb einer eigenen Brennerei möglich. Unter anderem darf die Menge reinen Alkohols, der hergestellt wird, 50 Liter im Betriebsjahr nicht übersteigen. In einer staatlich zugelassenen „Abfindungsbrennerei“ dürfen nur selbstgewonnene Obststoffe genutzt werden. Allerdings ist die Zahl der Brennereien begrenzt. Ein Vollrausch kann gravierendere Folgen haben als nur einen Filmriss. RA Patrick Ruppert, Köln Foto: Andrea Vollmer ADVOICE 02/12 13 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 14 Thema 14 Von Kokain vor der Prüfung raten Experten ab. Es macht zu übermütig. AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 15 Thema Welche Drogen helfen wirklich? Der Examenskandidat als bedrängte Kreatur – ein Special Disclaimer: Bei der Lektüre dieses Artikels kann sich vereinzelt der Eindruck einstellen, die Autoren riefen zu Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz auf. Dieser Eindruck soll hier ausdrücklich zerstreut werden. Anliegen dieses Beitrages ist es vielmehr, Drogenkonsum zu verharmlosen und zu bagatellisieren. „Bald stehen wieder Examensprüfungen vor der Tür“ – mit dem Satz liegt man immer richtig, schließlich wird stets irgendwo irgendein armer Kandidat zur Schlachtbank geführt. Und ob erste oder zweite Prüfung, ob Gutachten- oder Urteilsstil, ob Abstraktionsprinzip oder aufschiebende Wirkung, alle Prüflinge stehen vor derselben Herausforderung: Wie halte ich das aus? Schuldrecht, Sachenrecht, Strafrecht, Staatsorganisationsrecht … und wenn sie nicht gestorben sind ... Jedenfalls lässt sich das enorme Pensum, welches den Kandidaten Kampagne für Kampagne aufgebürdet wird, nüchtern schwerlich bewältigen. Doch Gottseidank gibt es Dinge, die unser tristes Dasein aufwerten: Harte und weiche Drogen! Was hat es mit diesen Wundermitteln auf sich und was sind Drogen eigentlich? Die lexikalische Antwort: Stark wirksame psychotrope Substanzen, die unser Bewusstsein und unsere Wahrnehmung verändern. Die uns glauben machen, wir könnten den Erdball auf unserer Zeigefingerspitze rotieren lassen. Die uns die vollkommene Sinnlosigkeit unseres Daseins für einen kurzen Kick lang vergessen lassen. Drogen streichen das Jammertal des täglichen Lebens derart schön und bunt an, dass der Konsument in grundloses Gelächter ausbricht und in unzusammenhängenden Wortkaskaden daherbarambasiert. „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.“ Im Marxschen Erklärungsmodell vom Stoßseufzer der bedrängten Kreatur gleichen sich Religion und Drogen wie folgt: Der Mensch ist, durch äußere Umstände bedingt, aus sich heraus nicht in der Lage, sich zu beglücken. Nun holt er sich von außen, was er bei sich nicht finden kann. Dass sich dieser Zustand unter anderen Vorzeichen einmal ändern könnte, soll hier weder bestritten noch erörtert werden. Den Bedrängten stelle man sich nun, der Einfach heit halber, als Jurastudenten oder als Referendar vor. Da der Prüfling nun die absurde und verhängnisvolle Entscheidung getroffen hat, Jura zu studieren, und er zudem nach sechs bis zwanzig Jah- ren auch noch einen Abschluss erreichen möchte, ist er ist von Prüfungsstoff und -stress derart überfordert, dass er fremde Hilfe in Anspruch nimmt: in Form von Flüssigkeiten, Pillen oder Pulvern. Doch welche Drogen bieten sich an? ALKOHOL Dass Alkohol entspannt und lockert, wissen wir nicht erst seit Weizen-Waldi und Rudi Völlers berühmter Wutrede („Du hast doch schon drei Weizen drin!“). In mündlichen Prüfungen sollte ein beherztes und im Fußballstadionstil intoniertes Schalalalaaa unmittelbar das Eis brechen und ein gesundes Selbstbewusstsein vermitteln. Wichtig ist die Wahl des richtigen Getränks. Man sollte sich stilsicher an den althergebrachten Grundsatz „in dubio Prosecco“ halten. Wirklich harte Sachen sind zu vermeiden. Denn übermäßiger Alkoholkonsum bleibt letztlich nicht unerkannt. Der erfolgreiche Prüfling dreht zwar gerne mal sein Fähnchen nach dem Wind. Eine Alkoholfahne wird in diesem Zusammenhang aber immer noch kritisch gesehen. HEROIN Da wäre ferner das hochwirksame Heroin. Dieses ist in erster Linie aus optischen Gründen zu empfehlen. Dunkle Augenringe, eingefallene Wangen, hervorstehende Rippen – der Heroin-Look ist auf den Laufstegen der Welt Kult, seit Kate Moss Mitte der neunziger Jahre ihren Siegeszug antrat. Eine moderne Juristin kann durch den gezielten Einsatz dieses Looks zeigen, dass sie nicht zum Perlenhuhn-Einheitsbrei gehört. Auch beim Heroineinsatz gilt jedoch das Übermaßverbot. Abgefaulte Zähne sind dann doch uncool. Man sollte nie so scheiße aussehen, dass man schon wieder scheiße aussieht. AdVoiceTipp daher: Nicht zu früh, sondern erst in der heißen Examensphase mit dem Fixen beginnen. Die Junkieexzesse lassen sich dann wunderbar in die postexaminatorische Selbstfindungs- und Selbstverwirklichungsphase integrieren. Zu beachten ist ferner, schon aus BtMG-Gründen: Der Heroinkonsum sollte geheim bleiben. Wer es sich am Klausurtag nach dem Morgenmüsli noch rasch in die bald vernarbte Vene zu spritzen gedenkt, sollte tunlichst darauf achten, ein langes Hemd anzuziehen. Auf der sicheren Seite ist, wer Heroin raucht oder snieft. KOKAIN Stichwort Sniefen: Dringend raten wir davon ab, sich vor der mündlichen Prüfung Kokain zuzuführen, denn diese Droge macht übermütig, wie man spätestens seit der Affäre um Christoph Daums Beinahe-Bundestrainerschaft weiß. Zudem erwecken Sie den Eindruck schlechter Manieren. In der mündlichen Prüfung unablässig die Nase hochzuziehen und sich weißes Pulver abzuwischen, kommt nicht gut an. Bevor Sie also dem skeptischen Prüfungsvorsitzenden so freiwillig wie fahrlässig einen spontanen Haartest anbieten („weil ich ein absolut reines Gewissen habe“), greifen Sie lieber zu anderen Mitteln. CANNABIS „Gras“ mag dagegen in manchen Si tuationen auf Heißsporne entspannend wirken. Doch lassen Sie auch hier Vorsicht walten: Besonders im schriftlichen Examen kann Kiffen zu verständlichem, aber verhängnisvollem Müßiggang verleiten. In den berüchtigten Rennfahrerklausuren des Strafrechts wird man da gerne mal überrollt. Cannabis hilft dann allerdings wieder dabei, solche Niederlagen mit Fassung zu tragen („gaaanz entspannt, Digger“). LSD Ein Sonderfall ist LSD. Diese Droge empfiehlt sich für alle, denen Jura immer schon zu abstrakt war. Unter ihrem Einfluss hört man die Bienenschwärme des BGB summen, während die Rechtsfähigkeit mit einem herzzerreißenden Babyschrei beginnt. Vor dem inneren Auge ziehen Stellvertreter mit gebundener Marschroute vorbei. Verbraucher rauchen Verben. Früchte glänzen in allen Farben, Formen und Größen. Wer sich die forderungsentkleidete Hypothek noch nie schöntrinken konnte, sollte es mal mit LSD versuchen. Allerdings: Die vielbeschworene Schwerpunktsetzung, auf die es in Klausuren nach herrschender Lösungsskizzenmeinung ankommt, fällt schwerer, wenn man gerade auf der Reise zum Mond ist. ZIGARETTEN Der Konsum theoretisch noch immer legaler Zigaretten wird in Zeiten immer rigiderer Nichtraucherschutzgesetze praktisch unmöglich gemacht. Eine Diskussion der Vor- und Nachteile dieses Rauschmittels wäre daher rein akademisch und hat in der AdVoice nichts zu suchen. KAFFEE UND COLA Bleiben schließlich noch die gängigen Aufputschmittel wie Kaffee, EnergyDrinks oder Cola: Im Einzelfall nicht uneffektiv, doch insgesamt nicht der ganz große Wurf – legal, aber langweilig. Was Ihnen wirklich hilft, ist natürlich Ihre persönliche Entscheidung. Wenn Sie aber harte Drogen verwenden, achten Sie aber darauf, nichts im Prüfungsraum liegen zu lassen. Das könnte Sie verraten. Denn es gilt bekanntlich die alte Binsenweisheit: „Only users lose drugs“. Ass. iur. Arne Koltermann, München Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin ADVOICE 02/12 15 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:41 Seite 16 Thema Blauer Dunst für alle? Deutschland und der föderale Nichtraucherschutz Eigentlich können wir Deutschen mit Fug und Recht behaupten, dass wir eine praktisch gut funktionierende Demokratie sowie Administration haben. Natürlich, es gibt hier und da Lücken, auch zuweilen Intransparenz von behördlichen Vorgängen. Aber wir Deutschen haben im innereuropäischen Vergleich den Ruf zu verteidigen, gründlich zu sein und bei Unzulänglichkeiten beherzt einzugreifen! Wirklich?!? Die Gründlichkeit hat ihren Preis. Sie kostet erheblich Zeit. Zeit, die sich andere Demokratien für Maßnahmen unterschiedlichster Art nicht geben. Blicken wir beispielsweise nach Japan und dessen beinahe über Nacht umgesetzten temporären Atomausstieg. So manch deutscher Öko-Aktivist dürfte mit den Ohren geschlackert haben ob der rasanten Durchführung. Hierzulande wird heftig debattiert, das Für und Wider, Chancen und Risiken abgewogen. Verfahren dauern eben lang. So rumort es auch an den Stammtischen. Dort bestimmt ein Thema seit rund vier Jahren hochemotionalisiert die Gesprächsrunden. Es ist die subtilste aller Süchte, die viele bereits im Kindesalter heimsucht und der viele Konsumenten am liebsten so wie früher weiter frönen wollen – draußen so wie drinnen. Es geht um das Rauchen in der Gastronomie. Erbittert kämpfen die Tabakindustrie und der deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA Seit an Seit um die Meinungshoheit. Rauchen gehöre zu einem Kneipenbesuch nun mal dazu wie das Vaterunser in den Gottesdienst, heißt es. Die Fraktion des „Weiter so!“ beschwört den Untergang der Ausgehkultur und orakelt: Rauchverbot führt zu Kneipentod – markige Sätze, die über das WWW in allen Abwandlungen verbreitet werden. Dagegen geben sich die Gesundheitsorganisationen geradezu bieder, indem sie schlicht mit Zahlen und Kausalitätsketten auf die Gefährlichkeit des Zigarettenkonsums, vor allen Dingen auf das Risiko des Passivrauchens hinweisen. Jährlich mehr als 3.000 Tote, so rechnet die Deutsche Krebshilfe vor, sterben an den Folgen des Passivrauchens. Alles Lüge, kontern die Befürworter des frei gewählten Nikotinkonsums. Wer recht hat oder nicht, sagt uns gleich das Licht – wäre in der hitzigen Debatte durchaus angenehm. Tatsächlich stehen sich die Lager der Interessengruppen unversöhnlich gegenüber und bezichtigen sich gegenseitig der Unwahrheit. Am blauen Dunst scheiden sich die Geister. Aber die Gesetze werden strenger. Foto: Andrea Vollmer Medizinische Forschungsergebnisse werden per se als von der „Pharma-Lobby“ gekauft und somit unseriös gebrandmarkt, ohne allerdings den Beweis dafür zu liefern, welchen Nutzen die Pharmaindustrie daran haben könnte, dass möglichst viele Menschen gesünder lebten. Mit ähnlicher Schärfe weisen andererseits Gesundheitsbekenner statistische Befragungen von Kneipenwirten zur Umsatzentwicklung nach der Einführung von Rauchverboten zurück, weil die Umfragen von der Getränkewirtschaft finanziert würden. Es ist längst ein Glaubenskrieg, der die Republik entzweit, was unter anderem auch daran liegt, dass der Bund seine Verantwortung nicht sieht und auf die föderale Entscheidungsfreiheit baut. Jedes Bundesland macht im Zweifel das, was es für richtig hält. Gesundheitsschutz ist Ländersache. Und nur so ist es überhaupt möglich, dass in Bayern null Toleranz selbst in Oktoberfestbierzelten gilt, während im Malocherland Nordrhein-Westfalen beinah weiter gemacht wird wie bisher. Touristen aus Ländern wie England oder den USA sind verblüfft, wenn sie beispielsweise in Düsseldorf sogenannte Einraumkneipen unter 75 Quadratmeter betreten und ihnen blauer Dunst ins Gesicht weht. Deren Erstaunen verwundert nicht, leben gerade die US-Amerikaner schon seit vielen Jahren mit scharfen Anti-Rauchgesetzen, die zum Teil sogar Rauchen in der freien Öffentlichkeit mit drastischen Bußgeldern sanktionieren – Rauchen in New Yorks Central Park etwa kostet bis zu 250 US-Dollar. Doch wie ist der gegenwärtige Stand in der föderalen Bundesrepublik? Was sagen die Gesetze, was die Gerichte, und wo hin geht der Trend? BAYERN Am 4.7.2010 entschieden die Bayern in einem bisher einzigartigen Volksentscheid, sämtliche Ausnahmeregeln im Nichtraucherschutz zu streichen. Das neue Gesundheitsschutzgesetz (GSG) ist strikt und verlangt nach Art. 2 Nr. 8: „In den Innenräumen aller Gaststätten gilt nunmehr ein absolutes Rauchverbot.“ Eine Ausnahme gewährt allerdings auch das GSG für die echten geschlossenen Gesellschaften. Von solchen ist nur dann auszugehen, wenn die Zahl der namentlich bekannten Eingeladenen von vornherein begrenzt ist. Gemeint sind Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Trauergesellschaften sowie sonstige Familienfeste. Die Gründung von Raucherclubs zur Umgehung des Nichtraucherschutzes ist in Bayern explizit untersagt. 16 ADVOICE 02/12 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 17 Thema BADEN-WÜRTTEMBERG THÜRINGEN HAMBURG In der ersten Grün-Roten Regierung ist der amtierende Ministerpräsident Winfried Kretschmann angetreten, um das geltende Nichtraucherschutzgesetz zu verschärfen. Ähnlich wie in Bayern sollen sämtliche Ausnahmetatbestände aus dem Gesetzestext verschwinden. Noch gilt in Gaststätten, dass die Betreiber in abgetrennten Nebenräumen das Rauchen gestatten können. Das seit 2008 geltende Thüringische Nichtraucherschutzgesetz ähnelt dem in NRW. In rein getränkegeprägten Wirtschaften darf weiter geraucht werden, wenn es um einen bis zu 75 Quadratmeter großen Einraum geht. Die Erlaubnis gilt auch für Nebenräume. Raucherbereiche sind als solche deutlich kenntlich zu machen, auch, dass Jugendliche unter 18 Jahren keinen Zutritt haben. Verstöße werden mit Bußgeldern von bis zu 200 Euro (Gast) bzw. 500 Euro (Gastronom) geahndet. Im Stadtstaat geht es vor und zurück, so könnte man annehmen. Denn ein zunächst sehr strenges Gesetz zum Schutz der Nichtraucher wurde nach diversen Klagen wieder gelockert. Der Senat wurde vom Bundesverfassungsgericht Anfang des Jahres verpflichtet, das Hamburgische Passivraucherschutzgesetz in Teilen zu überarbeiten. Stein des Anstoßes war das ursprüngliche Verbot, in der Speisegastronomie Raucherräume einzurichten. Nach dem Willen der Gesundheitsbehörde werden die technischen Auflagen bei den nun richterlich zugelassenen Raucherräumen allerdings sehr hoch sein, so dass vermutlich nur wenige Gaststättenbetreiber sich den kostspieligen Umbau werden leisten können/wollen. SAARLAND Nach einigem juristischen Gezerre ist es seit dem Scheitern einer Verfassungsbeschwerde von Kneipiers amtlich, das absolute Rauchverbot ohne Ausnahmen in der Gastronomie. Die damalige sogenannte Jamaika-Koalition (CDU, Grüne, FDP), hatte noch vor dem bayerischen Vorstoß das schärfste Nichtraucherschutzgesetz verabschiedet. Dagegen wandten sich Wirte zunächst erfolgreich im vorläufigen Rechtsschutz. Sie argumentierten, dass die Investitionen in eigens errichtete Rauchernebenräume mit einer längeren Übergangsfrist erst amortisiert werden müssten. Der Verfassungsgerichtshof des Landes erteilte dem eine Absage und erklärte die geltende Übergangsfrist, die am 1. Dezember 2011 auslief, für mit der Landesverfassung konform. RHEINLAND-PFALZ Im Weinland Rheinland-Pfalz geht es vergleichsweise liberal zu, denn in abgetrennten Nebenräumen und inhabergeführten Einraumkneipen ohne abhängig beschäftigtes Personal darf weiter geraucht werden. Die Erlaubnis gilt auch für Festzelte auf Rummelplätzen und Schützenfesten. HESSEN Einraumkneipe bis 75 Quadratmeter und keine Speisen – dann ist dort das Rauchen zulässig. NORDRHEIN-WESTFALEN Im bevölkerungsreichsten Bundesland sah man über Jahre keinen Handlungsbedarf. Das inzwischen eingeführte, bis heute geltende NiSchG NRW brachte zwar die Wende in der Speisegastronomie. Dennoch sorgen zahlreiche Ausnahmen dafür, dass bei Traditionsveranstaltungen wie dem Karneval, in Einraumkneipen bis 75 Quadratmeter und in Nebenräumen weiter geraucht werden darf. Damit könnte noch in diesem Jahr Schluss sein, weil die Landesregierung eine Verschärfung der Gesetze nach bayerischem Modell plant. Heftiger Widerstand ist programmiert, allein deswegen, weil der DEHOGA das noch geltende Gesetz als besonders tragfähig würdigte. SACHSEN Das SächsNSG ist mit dem aus Thüringen und NRW vergleichbar. In Diskotheken gilt im Gegensatz zu den Regelungen der Nachbarländer die Null-ToleranzLinie. Begründet wird das damit, dass besonders viele Jugendliche Diskos besuchen. Außerdem sei die Schadstoffaufnahme beim Tanzen bedeutend höher. SACHSEN-ANHALT Das Gesetz zur Wahrung des Nichtraucherschutzes im Land Sachsen-Anhalt wurde zuletzt am 14.7. 2009 modifiziert. Inhabergeführte Einraumgaststätten mit einer Gastfläche bis zu 75 Quadratmeter genießen das Privileg der Ausnahme vom Nichtraucherschutz. Auch in Diskos darf geraucht werden, sofern sie über entsprechende Nebenräume verfügen, die keine Tanzfläche besitzen. Jugendliche unter 18 haben dort keinen Zutritt. BREMEN In Bremen gilt grundsätzlich ein Rauchverbot in der Gastronomie. Ausnahmen hiervon sind nur dort möglich, wo ein umschlossener Nebenraum existiert, der als gesonderter Raucherraum ausgewiesen ist. Der Hauptthekenbereich muss in jedem Fall aber rauchfrei bleiben. SCHLESWIG-HOLSTEIN Im nördlichsten Bundesland geht der Gesundheitsschutz ebenso nicht so weit. Der Tabakkonsum wird immerhin noch in „baulich wirksam“ abgetrennten Räumen geduldet, solange eine Gefährdung durch passives Rauchen verhindert wird. Bei vorübergehenden Traditions- und Festveranstaltungen darf der Betreiber seine Gäste gleichsam weiterqualmen lassen. BERLIN RA Patrick Ruppert; Köln Die praktische Umsetzung des Nichtraucherschutzes wirkt in der Kulturmetropole besonders schwierig. Vielleicht fürchtet der Senat, kreative Köpfe zu verschrecken. Offiziell ist in als Raucherlokal gekennzeichneten Einraumbars & -kneipen bis 75 Quadratmeter ohne Speisewirtschaft das Rauchen erlaubt. Die Verwaltung Berlins hat mit ihren „Interventionsteams“ festgestellt, dass viele Gastronomen kaum über den Nichtraucherschutz informiert sind und in der Konsequenz nicht danach handeln. Eine Verschärfung der Gesetzeslage ist vorerst nicht geplant. Wichtige Rechtsprechung BverfG, Urteil vom 30.7.2008, Az. 1 BvR 3262/ 07; 1 BvR 402/08; 1 BvR 906/08, „Zulässigkeit des Rauchens in Einraumgaststätten“ OVG Münster, Beschluss vom 4.4.2011, Az. 4 B 1771/10, „Verbot von Raucherclubs als Umgehung des Nichtraucherschutzes“ BRANDENBURG Nach dem BbgNiRSchG heißt es in Gaststätten „Rau chen verboten“. Hiervon wie in anderen Bundeslän dern ausgenommen sind Einraumbetriebe, in denen Minderjährige keinen Einlass bekommen und in denen keine Speisen zum Verzehr angeboten werden. Beinah obligatorisch ist die Raucherlaubnis im abgetrennten Nebenraum. In Spielhallen gilt die Ausnahmegesetzgebung hingegen nicht. OLG Oldenburg, Beschluss vom 2.1.2012, Az. 2 SsRs 284/11, „Betrieb von zwei Raucherräumen in Disko nicht unzulässig“ BayVerfGH, Urteil vom 31.1.2012, Az. Vf. 26-VII-10, „striktes Rauchverbot auch für Räumlichkeiten von Rauchervereinen verfassungskonform“ ADVOICE 02/12 17 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 18 Thema x Zahlensucht zusammengestellt von RA Tobias Sommer, Berlin 2,6 Millionen Kinder leben laut Drogenbericht der Bundesregierung für das Jahr 2011 in suchtbelasteten Familien. • Jeder 4. Deutsche ab 15 Jahren raucht. Das sind 8,5 Millionen Männer (30,5 Prozent) und 6,3 Millionen Frauen (21,2 Prozent). • Die Zahl rauchender Männer ist seit 1995 um 5 Prozent gesunken, die Zahl rauchender Frauen ist etwa gleich geblieben. • Immerhin 11,7 Prozent der 11- bis 17-Jährigen rauchen. • Etwa 110.000 Menschen sollen jährlich an den direkten Folgen des Rauchens sterben. • ETWA 3.300 TODESFÄLLE SOLL ES DURCH PASSIVRAUCHEN GEGEBEN HABEN. • Werbeausgaben der Tabakindustrie im Jahr 2010 in Euro: 199.090.128,07. Davon für Promotion: 127.105.282,43 Euro. • Das Durchschnittsalter bei der ersten Zigarette lag im Jahr 2011 bei etwa 14,3 Jahren. • • • In Deutschland gelten insgesamt rund 1,3 Millionen Menschen als alkoholabhängig. Jedes Jahr sollen mehr als 73.000 Menschen an den Folgen des Alkoholmissbrauchs sterben. • Etwa 9,5 Millionen Deutsche trinken laut Drogenbericht Alkohol in gesundheitlich riskanter Form, Tendenz sinkend. • Im Jahr 2010 wurden insgesamt 25.995 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 10 und 20 Jahren wegen einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert. • • • JEDER 4. DEUTSCHE HAT ERFAHRUNGEN MIT ILLEGALEN DROGEN. • Die Mehrheit probiert Cannabis. • 7,4 Prozent der Erwachsenen haben Erfahrung mit dem Konsum anderer illegaler Substanzen, wie Heroin, Kokain oder Amphetaminen. • Die Zahl der Drogentoten ist im Jahr 2011 um 20 Prozent auf 986 im Vergleich zum Vorjahr (1.237) stark gesunken. Die meisten gab es im Bundesland NRW (216), die wenigsten in Brandenburg (2). Die Stadt mit den meisten Drogentoten war München (35) vor Köln (34) und Frankfurt a. M. (26). • 0,4 Prozent (etwa 220.000 Personen) weisen eine Cannabisabhängigkeit auf. Im Jahr 2010 haben 23.349 Personen wegen einer cannabisbezogenen Störung eine ambulante oder stationäre Therapie gemacht. • Etwa 200.000 Personen in Deutschland konsumieren risikohaft andere illegale Substanzen. • 30.651 Patienten waren 2010 wegen einer opioid-bezogenen Störung in ambulanter oder stationärer Behandlung, gefolgt von etwas über 9.800 Patienten mit kokain- und 1,4 bis 1,9 Millionen Deutsche sind medikamentenabhängig. • Etwa 5 Prozent aller Studierenden betreiben pharmakologisches Hirndoping. • 12 Prozent aller Studierenden gaben an, seit Beginn ihres Studiums stimulanzien-bezogenen Störungen. • • • Substanzen eingenommen zu haben, um den Leistungsanforderungen gerecht zu werden. • • • Im Jahr 1991 wurden in den alten Bundesländern 5 Prozent der Bevölkerung als „stark kaufsuchtgefährdet“ eingestuft. • Etwa ein Prozent der Bevölkerung in den Industrienationen soll die Krankheit haben. • • • Magersucht sollen etwa 100.000 Menschen in Deutschland haben. • 90 Prozent davon sind Frauen zwischen 15 und 35 Jahren. • Ess-Brech-Sucht sollen etwa 600.000 Menschen in Deutschland haben. • Etwa 2 Prozent der Bevölkerung sollen unter Fressattacken leiden. • Etwa 30 Prozent der Mädchen zwischen 11 und 17 Jahren zeigten bei einer Studie des Koch-Instituts Essstörungen wie Magersucht, Ess-Brech-Sucht oder Fettsucht. Bei Jungen waren es 15 Prozent. Kinder aus sozial benachteiligten Familien waren fast doppelt so häufig betroffen wie Kinder aus der oberen sozialen Schicht. • Weltweit lebt laut WHO rund eine Milliarde Menschen mit starkem Übergewicht (Adipositas). • • • Etwa 560.000 Deutsche sind vom Internet abhängig. • Damit gibt es in Deutschland mehr Internetsüchtige als Glücksspielabhängige (etwa 250.000 Personen). • 2,4 PROZENT DER 14- BIS 24-JÄHRIGEN SOLL INTERNETABHÄNGIG SEIN. 13 PROZENT GELTEN ALS „PROBLEMATISCH IN IHRER INTERNETNUTZUNG“. • • • Fast jeder Zweite in der erwachsenen Bevölkerung (45 Prozent) hat in den vergangenen zwölf Monaten bei einem oder mehreren der öffentlich angebotenen Glücksspiele um Geld gespielt. • Am häufigsten werden die staatlichen Lotterien und Sofortlotterien/Rubbellose genutzt, gefolgt von anderen Lotterien und dem Glücksspiel an Geldspielautomaten in Spielhallen oder der Gastronomie. • Etwa ein Prozent der 14- bis 64Jährigen war im Laufe seines Lebens von pathologischem Glücksspiel betroffen. • Innerhalb der letzten zwölf Monate spielten 1,4 Prozent risikoreich, 0,3 Prozent problematisch und 0,35 Prozent pathologisch Glücksspiele. • 86 PROZENT DER 16- BIS 65-JÄHRIGEN HABEN IRGENDWANN IM LEBEN SCHON EINMAL AN EINEM GLÜCKSSPIEL TEILGENOMMEN. • • • 18 ADVOICE 02/12 Quellen: Drogenbericht der Bundesregierung, Wikipedia, eigene Recherchen AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 19 Thema Passion des Begehrens Steve McQueens filmische Variationen über die Sucht nach Sex und Pornos Brandons Welt besteht aus Sex und Sucht nach Sex. Trotzdem ist er ein Träumer. Fluchten enden in Manhattan zwangsläufig am Wasser. In Steve McQueens Film „Shame“ sackt der Geschäftsmann Brandon (Michael Fassbender) in eine Pfütze am regengrauen New Yorker Hafen. Unter Tränen und unfähig, den Bildern und Zwängen zu entkommen, die ihn verfolgen. Es ist diesig. Die Weite des Hafens ist verhüllt. Die Freiheitsstatue nicht in Sicht. Dass sie Freiheit vorspiegelt und diese dann immer mehr nimmt und an sich reißt, ist das Perfide jeder Sucht. Besonders gilt dies aber für jene sanften Süchte, die nicht töten und nur innerlich verletzen. Niemand schreibt mir vor, was ich zu tun habe. Liberté toujours. Brandons Welt besteht aus Sex und Suche nach Sex. Pornographie- und Sexsucht bestimmen sein Leben. „Langsam!“, mahnt er eine Prostituierte, die gerade dabei ist, ihr Oberteil über den Kopf abzustreifen. Er will zusehen, wie sich der schlanke Körper offenbart: Du bist würdig, denn du bist von mir geschaffen. Nach dem Bild in meinem Kopf. Die Realität folgt den Bildern. Und sie erschafft neue Bilder. Brandons Leben ist ein Kreislauf von Fiktion und Realität. Sein Tagesablauf ist eine Folge repetitiver Routinen. Sex gegen Geld, One-Night-Stands, Pornographie und Masturbation. Freie Minuten füllt das Internet. Im Büro und zu Hause. Kommt Brandon abends in seine luxuriöse Wohnung im Zentrum Manhattans, greift er so instinktiv zum Ein/Aus-Schalter des Notebooks wie zum Lichtschalter. Die blinkende Graphik der Live-Chats bringt Farbe in eine Wohnung, deren Wände weiß und schmucklos geblieben sind. In seinen Bildern ist der Film virtuos. Das leidvolle Begehren ist variantenreich und ausdrucksvoll ins- zeniert. In Zeitlupeneinstellungen von Brandons Gesicht verschwindet der Unterschied zwischen Lust und Schmerz. Teilweise lässt ein Schleier der Unschärfe Brandons Kopf als hellen, knochigen Schädel erscheinen. In anderen Szenen imitiert die Kamera den pornographischen Blick. Frauen nimmt Brandon als Körperteile war. Als nackte Schulter, als Mund, als Hand, welche die Haltestange der UBahn umfasst. Seine stärksten Szenen hat der Film, wenn er sich Zeit und den Blicken Raum lässt. In der New Yorker Subway trifft Brandon in zwei Szenen auf dieselbe junge Frau. Bei der ersten Begegnung schaut diese immer wieder abwechselnd zu Boden und in seine Augen, die starr und selbstbewusst auf ihr haften. Sie lächelt unsicher und beginnt, schwerer zu atmen. Ihre Brust hebt und senkt sich. Sie presst die Beine zusammen. Als sie aussteigen will, steht er hinter ihr. Mit dem Öffnen der Tür rennt sie davon. In wenigen Schnitten zeigt McQueen den schmalen Grat zwischen Erregung, Aufregung und Angst. Bei der zweiten Begegnung ist die Frau verändert. Offensiv trägt sie einen leuchtend roten Lippenstift wie eine Waffe. Diesmal ist nicht sie wehrlos, sondern Brandon. Hat Brandon sie immer so gesehen? Oder hat sein Blick sie verändert? Brandon ist kein Romantiker. Er glaubt nicht an Ehe und Liebe. Vier Monate dauerte seine längste Beziehung. Ein Träumer ist er trotzdem. Er hätte lieber in den sechziger Jahren gelebt als heute. Als er beides bei einem Date mit seiner Arbeitskollegin Marianne (Nicole Beharie) erzählt, ist diese irritiert. Maria, die Heilige. Er hat sie aus der Ferne begehrt. Zum Date hätte er sich beinahe nicht getraut. Zögerlich und schüchtern hatte er vor dem Restaurant gewartet. Als Marianne ihm nahekommt und zärtlich ist, ist er impotent. Er schickt sie weg, ohne Foto: © 2011 PROKINO Filmverleih GmbH sie noch einmal anzusehen. Anschließend kopuliert er mit einer Escort-Dame vor dem Panoramafens ter eines Stundenhotels. Was die Psychologie seiner Hauptfiguren angeht, bleibt der Film an der Oberfläche. Er zeigt immer nur den Blick von außen. Das Innenleben der Charak tere lässt sich nur erahnen. Besonders auffällig ist diese Lücke, als sich Brandons Schwester Sissy (Carey Mulligan) bei ihm einquartiert. Sie ist eine Sängerin mit unregelmäßigen Auftritten. Ohne Geld, ohne Zuhause, aber mit einer Emotionalität, die Brandon längst verloren hat. Ihre Haare sind blond gefärbt. Darunter sind sie schwarz. Auch Sissy ist ein problematischer Charakter. Sie schwankt zwischen kindlicher Fröhlichkeit und verzweifelter Nähe zum Selbstmord. Auf ihren Armen sind Narben von Schnittwunden zu sehen. Sissy wollte schon immer das Leben spüren. Gerne würde man vielmehr erfahren über die Vergangenheit von Brandon und Sissy. Über ihre Eltern, ihre Kindheit und Jugend. Doch der Film verweigert dies. Vor allem Brandon ist keiner, der von seinen Gedanken und Gefühlen erzählt. Was für ein Typ Mensch Brandon ist, wonach er sich wirklich sehnt, warum genau er unglücklich ist, was er durch die Jagd nach Sex betäuben will, erfährt man bis zum Schluss des Films nicht. Brandon ist mehr Typus als Individuum. „Wir sind keine schlechten Menschen. Wir kommen nur von einem schlechten Ort“, sagt Sissy einmal zu Brandon. Sie meint New Jersey, wo sie zusam men aufgewachsen sind. Und jenen dunklen Ort in uns allen, unter der Oberfläche der Zivilisation. Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin ADVOICE 02/12 19 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 20 Thema Sucht in Serie Der Hype um US-amerikanische Fernsehserien Es ist scheinbar paradox, dass der Niedergang des Fernsehens mit dem Aufstieg der Fernsehserie zusammenfällt. Die Generation Internet sieht nicht mehr fern. Wer sich bei ihr anbiedern will, wie zuletzt Thomas Gottschalk mit seiner täglichen Talkshow „Gottschalk Live“, geht nur umso krachender baden. In den bildungsnahen Schichten ist Fernsehen – abgesehen von Sportübertragungen und cum grano salis – Greisenunterhaltung. Dass es trotzdem noch Massenunterhaltung ist, beschreibt ein Problem, das die Politik beantworten muss. Während das Fernsehen also darniederliegt, erhebt sich aus dessen Asche die Fernsehserie zu ungeahnten Höhen. Der Höhenflug der Fernsehserie bezieht sich vor allem auf ihr gesellschaftliches Ansehen. Serien haben auch früher schon ein großes Publikum gefunden. Neu ist, dass sich der Serienkonsument nicht mehr schämen muss. Seriensucht ist kein Laster mehr. Vielmehr gehört sie mittlerweile auch in Akademikerkreisen zum guten Ton. Dies gilt in erster Linie für Serien US-amerikanischer Herkunft und unter diesen insbesondere für deren anspruchsvolle Variante, die Drama-Serie. Die großen Namen des Genres sind „Die Sopranos“, „Mad Men“, „The Wire“ oder „The West Wing“. Aber auch ein Klassiker wie „Twin Peaks“ zählt dazu. Solche überwiegend für Pay-TV-Kanäle produzierten Serien feiert das Feuilleton beinahe kritiklos. Auch die Jurawelt ist vom Hype erfasst. Studenten, Referendare und Junganwälte konsumieren Staffel nach Staffel. Und selbst die neue Professorengeneration gibt hier gerne enzyklopädische Kenntnisse zu, ohne Angst vor einem Kratzer auf der wohlgepflegten bildungsbürgerlichen Patina. Warum eigentlich? »Gute Serien sind lange Nächte, in denen eine große Geschichte erzählt wird und in denen der Alltag des Betrachters ruht.« Die Antwort ist im Ansatz so einfach wie einleuchtend. Die „neue Fernsehserie“ ist einfach besser als das, was es vorher gab. Kohärenter, aufwendiger und realistischer. Kurz: Näher am Leben. Der Reiz solcher Serien ist, dass sie eine Parallelwelt eröffnen. In diese kann der Zuschauer sich zurückziehen, wenn die Gegenwart plagt oder langweilt. Kinofilme sind kurze Tagträume. Gute Serien sind lange Nächte, in denen eine große Geschichte erzählt wird und in denen der Alltag des Betrachters ruht. Die geschaffenen Traumwelten sind komplex. Voller Namen und Gesichter, Handlungslinien und Wendungen. Eine Serie kann viel breiter erzählen als ein Film und sich auch Zeit für scheinbar Unbedeutendes und Alltägliches lassen. Ähnlich wie in einem echten Traum taucht die Lebenswelt des Zuschauers in der Serie verfremdet wieder auf. Im Vergleich zur Komplexität des wirklichen Lebens ist diejenige der Serie aber leichter beherrschbar. Nach einigen Folgen wird die Welt der Serie vertraut. Man kennt die Handlungsorte und Charaktere und entwickelt Lösungen für deren Probleme. Hat man im echten Leben oft mehr Fragen als Antworten, so ist dies in der Serienwelt umgekehrt. Auch dies gehört zum besonderen Kick der Fernsehserie. Zu einer Sucht wird eine Serie allerdings nur dann, wenn der Eintritt in die Parallelwelt jederzeit möglich ist. Der Stoff, aus dem die Träume sind, muss stets verfügbar sein, so dass der Serienkonsument die Dosis stetig steigern kann. Diese Voraussetzung Der abendliche Serienkonsument von heute muss sich seiner Sucht nicht mehr schämen. Selbst bei Akademikern gehört es inzwischen zum guten Ton. Das gilt vor allem für US-amerikanische 20 ADVOICE 02/12 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 21 Thema ist erst seit einigen Jahren erfüllt. Während der Serienfreund früher an die festen Sendezeiten des Fernsehens gebunden war, ermöglichen nun DVD und Internet einen zeitunabhängigen Zugriff. Und auch hinsichtlich des Ortes bestehen keine Einschränkungen mehr. Dank Notebooks und portablen DVD-Spielern steht dem Seriengenuss auch am Frühstückstisch, im Zug oder auf Reisen nichts mehr im Weg. Die Fernsehserie ist, nachdem sie das Fernsehen verlassen hat, beinahe so flexibel wie ein Buch. »Der Stoff, aus dem die Träume sind, muss stets verfügbar sein.« Das positive Image haben die US-Serien nicht zuletzt auch deswegen, weil sie eben keine deutschen Serien sind. Seit sie über Internet und DVD in der englischen Originalfassung erhältlich sind, schaut man sie – selbstverständlich – in dieser Version. Dadurch zeigt man, dass man in der Weltsprache zu Hause und in der Lage ist, über den deutschen Tellerrand zu blicken. Dies ist der bildungsbürger liche, nach anderer Auffassung snobistische Aspekt des Erfolgs der „neuen Fernsehserie“. Enthusiastische Kritiker vergleichen die amerikani schen Dramaserien oft mit den großen Romanen des 19. Jahrhunderts. Teilweise werden Drehbuchautoren mit Charles Dickens verglichen oder es wird empfohlen, die DVD-Box von „The Wire“ im Bücherregal direkt neben Dostojewski einzuordnen. Tatsächlich erfüllen die Serien heute eine ähnliche Serien, insbesondere die Drama-Variante. Funktion wie früher der Roman. Nur wenige nehmen heute noch die Mühe auf sich, vielhundertseitige Romane zu lesen. Lag auf dem Nachttisch früher der Romanwälzer, so liegt dort heute die Serien-DVD. Zu hoch gegriffene Vergleiche sind aber fehl am Platz. Die neuen Fernsehserien sind zwar wesentlich besser als ihre Vorläufer. An der Spitze angekommen sind sie aber noch lange nicht. Während einzelne Folgen künstlerische Höhepunkte sind, erreichen viele nicht das Niveau eines guten Kinofilms. Zu häufig wird lediglich in die Breite und nicht auch in die Tiefe gehend erzählt. Die Möglichkeit, lange Handlungsbögen zu spannen, wird zu selten genutzt. Und oft gibt es Redundanzen und Wiederholungen, die besonders dann störend auffallen, wenn man mehrere Folgen direkt hintereinander schaut. »Es wird empfohlen, die DVD-Box von „The Wire“ im Bücherregal direkt neben Dostojewski einzuordnen.« Diese Schwächen bestehen in erster Linie, weil die Serien immer noch für das Fernsehen produziert werden. Im Kern ist das Fernsehen eben doch ein Medium, dass dem Zuschauer nichts abverlangen möchte, sondern ihn dort abholen will, wo er ist: auf der Couch, erschöpft, nach Feierabend. Die These lautet daher: Die vergleichsweise hohe Qualität der „neuen Fernsehserie“ ist kein Beweis für die künstlerische Vitalität des Mediums Fernsehen. Denn die Serien sind gerade insoweit überzeugend, als sie kein Fernsehen mehr sind. Wenn die Serien das Fernsehen endgültig verlassen haben und dem gerecht werden, was viele Zuschauer und Kritiker jetzt schon in ihnen sehen, kann Großes entstehen. Einstweilen lohnt es sich, die Entwicklung zu diesem Punkt hin zu verfolgen. Einsteigern ist die Mafia-Familienserie „Die Sopranos“ zu empfehlen. Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin Drei gute Serien Twin Peaks: In dieser David Lynch-Version der Krimiserie ist die Aufklärung des Mordes an einer Kleinstadt-Schönheit weniger wichtig als skurrile Charaktere und andere Absonderlichkeiten. The Wire: Diese komplexe Krimiserie über den Drogenhandel in Baltimore zeichnet sich durch die realistische Darstellung der Milieus aus. The West Wing: Diese Polit-Serie beschreibt den Alltag einer fiktiven US-Regierung und stellt dar, wie im Westflügel des Weißen Hauses Entscheidungen getroffen werden. Fotos: Petra Bork_pixelio.de ADVOICE 02/12 21 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 22 Thema Kippenzählen auf dem Spielplatz Sucht mit den Mitteln des Rechts bekämpfen wurden, das heißt, wenn sie in der Entwöhnung unter Abstinenz erbracht werden kann. Auch hier wurde in den Details nachgebessert mit dem Ziel, den Hebel schon eher und flankierend ansetzen zu können. Im Ergebnis beschloss der G-BA eine Neuregelung, die am 8. Juli 2011 in Kraft trat: Bei Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenabhängigkeit ist nun ausnahmsweise auch dann eine ambulante Psychotherapie möglich, wenn die Patienten noch nicht suchtmittelfrei sind. Allerdings greift die Ausnahmeregelung nur, wenn die Patienten bereits Schritte zu einer baldigen Abstinenz unternommen haben. Die gesetzliche Krankenversicherung zahlt die Behandlung nur, wenn die Patienten bis zum Ende von maximal zehn Behandlungsstunden suchtmittelfrei sein können. Bei einem Rückfall darf die Therapie nur fortgesetzt werden, wenn Maßnahmen eingeleitet werden, um die Abstinenz wieder herzustellen. Höhere Tabaksteuern zur Suchtbekämpfung? Suchttherapien gibt's nur für Patienten, die suchtmittelfrei sind. Nahverkehrsgesellschaften kämpfen mit Alkoholverboten, die Regierung kämpft mit Gesetzen, der Zoll bekämpft den Zigarettenschmuggel und die Behörden kämpfen mit dem Paragraphendschungel. Wir stellen die Regelungen zum Thema Sucht vor, wie sie im Drogenbericht der Drogenbeauftragten genannt werden. Urteilt selbst, ob damit die gesellschaftlichen Gefahren von Sucht, wie sie in unserer Statistik benannt sind, bekämpft werden können. Kinder aus suchtbelasteten Familien sind eines der großen Probleme der deutschen Drogenbeauftragten Mechthild Dyckmans. Rund 2,6 Millionen Kinder leben laut Drogenbericht der Bundesregierung für das Jahr 2011 in suchtbelasteten Familien. Jetzt ruht die Hoffnung auf dem neuen Bundeskinderschutzgesetz, das am 1.1.2012 in Kraft getreten ist. Das neue Gesetz verpflichtet die öffentliche Jugendhilfe, bei einer von Sucht betroffenen Familie mit den örtlichen Suchtberatungsstellen zusammenzuarbeiten. Ob damit der Fall der elfjährigen Chantal, welche 22 ADVOICE 02/12 Foto: Petra Bork_pixelio.de bei ihren drogenabhängigen Eltern lebend an der Heroin-Ersatzdroge Methadon gestorben ist, hätte verhindert werden können? Förderung suchtkranker Arbeitsloser Zum 1. April 2012 ist das „Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ in Kraft getreten. Denn: Suchtprobleme sind unter Arbeitslosen weit verbreitet. Oft sind sie so gravierend, dass es nicht gelingt, die Betroffenen wieder ins Arbeitsleben einzugliedern. Deswegen können seit 2005 erwerbsfähige leistungsberechtigte Suchtkranke eine Suchtberatung nach § 16a Nummer 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) als kommunale Eingliederungsleistung erhalten. Die Psychotherapie-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gab bisher vor, dass eine ambulante Psychotherapie bei Abhängigkeit von Drogen, Alkohol und Medikamenten nur erbracht werden kann, wenn die Betroffenen bereits entgiftet Auch die Tabaksteuern sind in dem Drogenbericht aufgeführt. Mit dem fünften Gesetz zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 21. Dezember 2010 (BGBl I S. 2221) ist das sogenannte Tabaksteuermodell gesetzlich verankert worden. Von 2011 bis 2015 sind jährliche Anhebungen der Tabaksteuer vorgesehen. Die ersten beiden Stufen sind bereits zum 1. Mai 2011 und zum 1. Januar 2012 erfolgt. Weitere Stufen folgen jeweils zum 1. Januar in den Jahren 2013 bis 2015. Abhängig von der jeweiligen Preisklasse erfordert jede Steuererhöhung bei Zigaretten eine steuerinduzierte Preisanpassung von vier bis acht Cent, bezogen auf eine Packung mit 19 Stück Zigaretten und bei Feinschnitttabak von 12 bis 14 Cent, bezogen auf eine Packung mit 40 Gramm. Ein Thema für die Gesetzgebung der Länder ist, basierend auf einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juli 2008 (1 BvR 3262/07, 1 BvR 402/08,1 BvR 906/08), der Nichtraucherschutz in der Gastronomie. Hier wird geregelt, evaluiert und neugeregelt. Eine Studie habe ergeben, dass sich das Rauchen infolge der Nichtraucherschutzgesetze in der Gastronomie nicht in den privaten Bereich verla gert hat. Vielmehr sei zwischen 2007 und 2009 auch bei Rauchern die Zahl der Haushalte, in denen das Rauchen in der Wohnung vollständig unterbleibt, deutlich gestiegen. Das gelte besonders für Haushalte, in denen kleine Kinder leben. Nach einer anderen Studie seien in Bundesländern mit Ausnahmeregelungen, etwa für die getränkegeprägte Gastronomie, lediglich 19 Prozent der Kneipen und Bars AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 23 Thema vollständig rauchfrei. Der Kampf gegen das Rauchen wird sich jetzt vermutlich auf rauchfreie Spielplätze verlagern. 2009/2010 wurden in Heidelberg, Mannheim und Würzburg Zigarettenkippen auf Spielplätzen gezählt. Die Ergebnisse zeigen, dass bei gut kommunizierten Rauchverboten die Kippenzahl deutlich sinke. Als Reaktion darauf hat z. B. Mannheim 2011 das Rauchen auf Spielplätzen untersagt. In einigen anderen Städten werde ein solches Verbot ebenfalls gefordert. Regelmäßig prüfen: Doping und Drogen Auch das „Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport“ aus dem Jahr 2007 taucht im Drogenbericht für 2011 auf. Die Liste der vom Besitzverbot betroffenen Stoffe und der zugehörigen Grenzwerte im Arzneimittelgesetz und der Dopingmittel-Mengen-Verordnung wird unter Beteiligung von Sachverständigen mit Blick auf neue Entwicklungen in der Dopingszene regelmäßig geprüft und angepasst. Nach Art. 3 des DBVG muss die Anwendung der entsprechend geänderten Regelungen bis zum 31. Oktober 2012 evaluiert werden. Im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag wurde – wen wundert's – ein wissenschaftlicher Sachverständiger in die laufende Evaluierung einbezogen. Im Bereich illegaler Drogen wurde die Betäubungsmittel-Binnenhandelsverordnung geändert. Die jährlich rund sieben Millionen Abgabemeldungen einschließlich Lieferscheinen, Empfangsbestätigungen oder Lieferscheindoppel an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) können jetzt auch über das Internet erfolgen. Zudem gibt es neue Regelungen für die Palliativmedizin mit Bedeutung für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung. Um in Deutschland cannabishaltige Fertigarzneimittel herstellen zu lassen und verschreiben zu können, wurde die Position „Cannabis“ in den Anlagen I bis III des BtMG geändert. Für das neu zugelassene verkehrs- und verschreibungsfähige, betäubungsmittelhaltige Schmerzmittel Tapentadol wurde eine Höchstverschreibungsmenge von 18.000 Milligramm in 30 Tagen festgelegt. Diskutiert wird eine Stoffgruppenregelungen im Betäubungsmittelgesetz, ein neuer Straftatbestand im Hinblick auf den Missbrauch neuer psychoaktiven Substanzen sowie Grundstoffüberwachung der 23 international gelistete Chemikalien, die meist legal gehandelt werden. Für Kokain, THC und einige Opiate ist bereits ein Schnelltest zum Drogennachweis im Speichel im Einsatz. Dieser soll noch weiter entwickelt werden und künftig bis zu zehn Rauschmittel auf einmal nachweisen können. Reformen beim Glücksspiel Glücksspiel ist Ländersache. Das regelt der Glücksspielwesenstaatsvertrag (GlüStV). Der erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag soll zum 1. Juli 2012 in Kraft getreten sein und damit die Glücksspielangebote zum Schutz der Spieler und der Allgemeinheit strikt regulieren. Glücksspiel im Internet bleibt grundsätzlich verboten, für Lotterien und Sportwetten werden allerdings Ausnahmen zugelassen. Private Sportwettanbieter brauchen demnach eine Konzes sion. Erstmals gibt es auch Regeln zum gewerblichen Spiel in Spielhallen. Mehrere Spielhallen an einem Standort werden verboten, Spielhallen sollen einen bestimmten Mindestabstand haben. Zudem gibt es Sperrzeiten von mindestens drei Stunden. Im Hinblick auf das Automatenspiel soll die sogenannte Spielverordnung (SpielV) überarbeitet werden. Seit Dezember 2011 liegt der Entwurf der „6. Verordnung zur Änderung der Spielverordnung“ vor und befindet sich derzeit in der Abstimmung. RA Tobias Sommer, Berlin > www.drogenbeauftragte.de ANZEIGE ZPO-Prozessformulare. Die ideale Ergänzung zu allen ZPO-Kommentaren Zivilprozessordnung Kommentiertes Prozessformularbuch Mit Familienverfahren und ZVG Herausgegeben von Prof. Dr. Ingo Saenger, PräsLG Dr. Christoph Ullrich und RA Dr. Oliver Siebert 2. Auflage 2012, ca. 2.250 S., geb., mit CD-ROM, 128,– € ISBN 978-3-8329-7443-5 Erscheint ca. Juni 2012 Weitere Informationen: www.nomos-shop.de/14610 Nomos ADVOICE 02/12 23 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 24 Thema „Ich vertrete Junkies!“ Für drogenabhängige Mandanten braucht man Engagement und ein dickes Fell Wenn über Drogensucht diskutiert wird, dann schießen einem unweigerlich die mahnenden Worte mancher Erziehungsberechtigter oder Lehrer in den Kopf, die einem mit erhobenem Zeigerfinger bedeuteten, es mit Drogen gar nicht erst zu versuchen. Die einen ließen sich nachhaltig beeindrucken und empfanden es als ausreichende Richtschnur, tatsächlich die Hände davon zu lassen. Ein anderer Teil wurde mit derlei pädagogischen Warnungen erst recht angespitzt, sogenannte Rauschmittel auszuprobieren, getreu dem Motto „Je voller, desto doller“. Von den farbenfrohen Verheißungen der Sinneserweiterung und nicht enden wollender Kreativität träumend, glitten einige dann tief hinab in die schlimme Abhängigkeit, die am Ende weder die große Entspannung, noch die ersehnte Schaffenskraft brachte. Stattdessen offenbarte sich für die kleine Gruppe der Schwerstabhängigen von Heroin oder Crack das Grauen auf Erden: Ein Leben aus Beschaffungskriminalität, Flucht vor der eigenen Lebensrealität und die immer wiederkehrenden Schmerzen, wenn der Suchtstoff aufgebraucht ist und nicht mehr im Körper wirken kann. Die Kölner Anwältin Eva Kuhn hat gelernt, persönliche Grenzen zu ziehen. Foto: Patrick Ruppert Für die Kölner Rechtsanwältin Eva Kuhn ist das Alltag. Die 37-jährige Juristin ist durch und durch Strafverteidigerin. Man mag es ihr vielleicht nicht ansehen, dass sie sich mit den menschlichen Abgründen tagtäglich auseinandersetzen muss: klein gewachsen, adrett gekleidet und sehr freundlicher Blick. Das alles täuscht über ihr Talent hinweg, sich im Gefängnis und im Gerichtssaal für ihre BtMG-Mandanten konsequent einzusetzen. Ein dickes Fell besitzt Kuhn längst, und betont, wie wichtig das ist. Junkies neigten dazu, sehr viel, vor allen Dingen Privates vorzutragen. Da seien Filtern und notwendige Distanz das A und O. Im Gespräch mit AdVoice beschreibt sie, was das Besondere an der Strafverteidigung im Bereich BtM ist. A: Was ist anders, wenn man Mandanten vertritt, die drogensüchtig sind? K: Es ist sicher ein anderes Klientel. Wenn man die sogenannten Junkies nimmt, Schwerstabhängige, dann ist das ein ganz anderes Mandatsverhältnis, weil man sehr viel mit sozialen Einrichtungen zu tun hat und nicht selten mit dem ganzen Umfeld des Mandanten, oftmals mit seiner Familie. Und soziale Einrichtungen sind etwa die Drogenhilfe oder Substitutionsstellen. Es ist ein ganzer Verbund von Menschen, mit denen man spricht und die man in die Verfahren mit einbezieht, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. A: Ist es erforderlich, gegenüber BtM-Mandanten besondere Vorkehrungen zu treffen, wie beispielsweise die Handkasse vor Diebstahl zu sichern? K: Das ist aus meiner Erfahrung ein Klischee. Wir hatten das Thema neulich, weil bei uns im Treppenhaus ein Junkie saß, der sich einen Schuss setzte. Ich persönlich habe noch nie schlechte Erfahrungen mit drogensüchtigen Mandanten gemacht. Die sind noch nie aggressiv oder sonst wie auffällig geworden. Diebstähle innerhalb der Kanzlei sind auch noch nicht vorgekommen. Natürlich zeigen die manchmal ein etwas absonderliches Verhalten, weil die häufig nicht nüchtern sind. Aber derlei Vorfälle sind noch nicht passiert. A: Muss man eine besondere Affinität zu BtM entwickeln, um solche Mandate gut betreuen zu können? Wie kann man ein gutes Mandatsverhältnis aufbauen? K: Wenn man ein gutes Verhältnis zu Mandanten aufbauen will, das gilt ganz gleich, welcher Mandant, dann muss – platt gesprochen – die Chemie stimmen und ein Vertrauensverhältnis wachsen. Man muss ein gewisses Einfühlungsvermögen haben. Und wenn ich mir sage, mit solchen Leuten will ich nichts zu 24 ADVOICE 02/12 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 25 Thema tun haben, dann kann ich mit denen auch nicht arbeiten. Technisch kann ich zwar ein vernünftiges Ergebnis erzielen. Aber letztlich kann ich das dann nicht machen. Das gilt auch für andere Randgruppen. A: Wie kommt man rein in die BtM-Szene? K: Es läuft über Empfehlungen, Pflichtverteidigungen und über die sozialen Einrichtungen. Gerade diese Mandanten sind erfahrungsgemäß sehr treue Mandanten, die man über Jahre hat. Das mag auch daran liegen, dass es besondere Verfahren sind, viele nach § 35 BtMG, Therapie statt Strafe. A: Führt das nicht auch zwangsläufig zu einer politischen Positionierung, wenn man mit dem BtMG zu tun hat? K: Nein, das nicht. Man muss natürlich im Blick haben, wie beispielsweise in den einzelnen Bundesländern die „geringe Menge“ in Bezug auf Drogenbesitz definiert wird. Somit musst du auch die dazugehörige Rechtsprechung kennen. A: Ist es nicht frustrierend, wenn die BtM-Mandanten immer wieder wegen ähnlicher Delikte erscheinen und man möglicherweise so erkennen muss, dass sich nichts zum Positiven wendet? K: Die Junkies kommen oftmals wegen des Besitzes kleinster Mengen Drogen oder wegen typischer Delikte aus der Beschaffungskriminalität zu mir, etwa wegen des Vorwurfs des Diebstahls, der Hehlerei oder weil sie schwarzgefahren sind. Das sind klassische Begleiterscheinungen, Begleitdelikte der Drogensucht. Das wird jeder bestätigen können, der mit einer solchen Klientel zu tun hat. Da geht es nicht immer um Handel mit größeren Mengen. Frustrieren tut mich das nicht. A: Gibt es überhaupt Erfolgsbotschaften im Umgang mit Junkies? K: Ja, die gibt es. Zum Beispiel kann ich sagen – und das können nicht alle Kolleginnen und Kollegen behaupten – dass bisher keiner meiner BtM-Mandanten am Drogenkonsum gestorben ist. Von einer Mandantin etwa, deren Vertretung ich nahezu am Anfang meiner anwaltlichen Karriere übernahm, erfuhr ich neulich, dass sie mit Methadon substituiert, also für ihre Verhältnisse clean lebt, und nun Mutter wird. Sie ist aus der Szene raus, benötigt keinen Beikonsum mehr und ist nicht wieder straffällig geworden. Ihren kleinen Bruder habe ich auch als Mandanten. Und der ist inzwischen in Therapie. A: Die Bearbeitung von BtM-Sachen führt also auch zu einem besonderen Einblick in psychosoziale Hintergründe der Mandanten? K: Ja, das ist eine Besonderheit. Wenn man zum Beispiel Wirtschaftsstraftaten hat oder andere Delikte außerhalb des BtMG, bekommt man zwar auch Einblick in die Verhältnisse und die Psyche seiner Mandanten. Man kann sich ja immer damit auseinandersetzen und muss das sogar spätestens im Plädoyer tun. Aber bei BtM-Mandanten, die nicht nur Täter, sondern auch krank sind, erhält man weit mehr Einblick. Wie ich eingangs sagte, lernt man rasch deren ganzes Umfeld kennen, sei es die Familie, das soziale Umfeld, die Drogenhilfe oder die Substitution. Die haben nicht selten einen Rattenschwanz an Betreuung hinter sich. Und damit kommt man zwangsläufig in Kontakt. Das ist auch ein Stressfaktor. Wenn man berücksichtigt, was meine Mandanten teilweise für Auflagen haben und mit wem die alles zusammenarbeiten müssen, wäre es auch für Nichtabhängige ein gewaltiges Problem. A: So sind beinah therapeutische Fähigkeiten Teil des Geschäfts? K: Ja, ein Stückweit gehört das dazu. Man muss sich schon einiges anhören. A: Muss man zum Selbstschutz eine besondere Grenze ziehen? K: Ich denke, dass man dann immer eine besondere Grenze ziehen muss, wenn es zu sehr in die Richtung geht, dass man nicht nur Anwalt sondern auch Therapeut wird. Das ist dann eher ein Ausnutzen des Anwalts. Das ist allerdings nicht unsere Aufgabe. Einfühlungsvermögen, Empathie gehören sicherlich dazu, ebenso das notwendige Engagement. Alles andere ist jedoch Missbrauch der Person als Berater. Hierin liegt gewiss eine Gefahr. Grenzen zu ziehen, kann man aber lernen. A: Wie können jungen Kolleginnen und Kolle gen das lernen? K: Durch die Praxis. Besonders am Anfang der Anwaltskarriere hat man für alles ein offenes Ohr und grenzt nicht so stark ab. So kann es schnell passieren, dass einen die ganze Familie anruft und jeder eine Stunde etwas erzählt. Über die Zeit lernt man zu filtern, was wichtig ist und was nicht. A: Was müsste sich im Bereich BtM-Recht, insbesondere in der Praxis aus Sicht der Strafverteidigerin verändern? K: Es müsste ganz eindeutig mehr Therapieplätze geben. Das kann man zwar fordern, aber das ist eine sozialpolitische Aufgabe und keine Sache der Strafverteidigung. Ansonsten könnte man kritisieren, dass der Umgang mit Drogenkriminalität von Bundesland zu Bundesland verschieden ist. Es wäre gerechter, wenn es einheitlicher wäre. Das Interview führte RA Patrick Ruppert, Köln > Info Rechtsanwältin Eva Kuhn aus Köln vertritt erfolgreich Mandanten, die mit dem BtMG in Konflikt stehen. Im Interview mit AdVoice gewährt sie Einblicke in ihre Arbeit. Zur Person Eva Kuhn studierte Jura an der JohannWolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt. Sie praktiziert seit 2006 in Köln als selbstständige Rechtsanwältin mit den Kernfeldern Strafrecht, Opferschutzrecht und Arbeitsrecht. Sie arbeitet daneben als Dozentin. Kuhn ist zudem Mitglied des Geschäftsführenden Ausschusses der ARGE Anwältinnen im Deutschen Anwaltsverein. § 35 BtMG In der deutschen Gesellschaft hat sich über die Jahrzehnte ein Wandel im Umgang mit Schwerstabhängigen vollzogen. Zunehmend werden „Junkies“ nämlich mehr als Kranke denn als Kriminelle betrachtet. Demnach sah sich auch der Gesetzgeber in der Pflicht, dem geänderten Bild in geeigneter Weise Rechnung zu tragen. Nach § 35 BtMG steht der Gedanke des Heilungsversuchs im Vordergrund, wenn der Verurteilte eine Straftat im Zusammenhang mit Betäubungsmittel begangen hat. Die Vollstreckung einer Haftstrafe kann nämlich zugunsten einer Drogentherapie zurückgestellt werden. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Freiheitsstrafe nicht mehr als zwei Jahre beträgt. Auch kann die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, wenn etwa der Verurteilte die Therapie nicht aufnimmt oder abbricht. Drogenterminologie Als Rechtsanwältin, Rechtsanwalt in der Drogenszene zu arbeiten, bedeutet gleichzeitig, die Gewohnheiten seiner Mandanten, aber auch deren Jargon zu kennen. Wer bisher keinen näheren Kontakt zum BtM-Strafrecht hatte, wird sich mitunter ohne Unterstützung schwer tun. Dankenswerterweise verschaffen einem wenigstens zur Terminologie die Informationsquellen im Internet einen guten Überblick, so unter http://de.wikipedia.org/wiki/Drogen-Glossar. Sinnvolle Informationen rund um die Thematik Drogensucht werden mit weiteren Verweisen auf der Internetseite des Bundesamtes für gesundheitliche Aufklärung bereitgehalten: http://www.bzga.de. pat ADVOICE 02/12 25 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 26 Magazin Ich führe – du folgst Der Anwalt als natürliche Führungskraft? Lässt man das Stichwort „Anwalt als Führungskraft“ durch die Suchmaschinen laufen, findet man Seminare, bei denen es um „Arbeitsrecht für Führungskräfte“ geht. Sie werden von Rechtsanwälten veranstaltet. Gut. Was aber, wenn der Rechtsanwalt – oder die Rechtsanwältin – sich selbst als Führungskraft aus- und fortbilden möchte? Hier stoßen wir erst nach längerem Suchen auf den Hinweis eines längst vergangenen Workshops einer Anwaltskammer. Die Führung von Mitarbeitern steht weder im Studium noch während der Referendarausbildung auf dem Lehrplan. Ist die „Führung“ für Anwälte kein Thema? Doch, Führung ist ein Thema. Manchmal sogar ein großes. Wenn die Abstimmung mit den ReNos nicht klappt, wenn die Kollegen den Eindruck haben, nur noch nebeneinanderher zu arbeiten, wenn unangenehme Entscheidungen nicht deutlich kommuniziert werden oder unklar ist, wer nun wann welche Aufgabe übernimmt – dann läuft mit der Führung etwas nicht rund. Führungsfragen im juristischen Arbeitsumfeld unterscheiden sich letztlich nicht von denen in anderen Unternehmen. Allerdings ergeben sich aus den speziellen Arbeitsfeldern durchaus Schwerpunkte. In den Kanzleien spielt der Gründer/Inhaber der Kanzlei eine sehr zentrale Rolle. Darüber hinaus bilden Sozien, angestellte Rechtsanwälte und Mitarbeiter hier meist zusätzliche „Systeme“, sprich Arbeitswelten, die zwar eng miteinander verflochten sind, aber doch unterschiedliche Interessen haben. Rechtsabteilungen in Unternehmen wiederum haben meist eine nahe Anbindung an Geschäftsleitung und Vorstand, müssen sich aber als „Dienstleister“ für die operativen Bereiche verstehen. Ein sehr wichtiger Schritt ist es, dass sich die Führungskraft ihrer Rolle bewusst ist und diese Rolle annimmt. Das klingt schlicht, ist aber gerade für Berufseinsteiger oder für „Einzelkämpfer“, die lange alleine gearbeitet haben, eine Herausforderung. Man darf nicht nur sagen, was man erwartet, man muss es sogar. Rollen- und Aufgabenklarheit zwischen Führungskraft und Mitarbeiter(in) sind wesentlich. Wenn die Aufgaben nicht klar sind, kommt es zwangsläufig zu Fehlern. Entweder werden Arbeiten doppelt gemacht oder wichtige Dinge gar nicht. Wer möchte, dass die ReNo die aktuellen Akten nach Priorität sortiert auf den Schreibtisch und nicht nur auf den Aktenwagen legt, muss das sagen und im Übrigen auch deutlich machen, welche Pri- 26 ADVOICE 02/12 orität gemeint ist (Frist, Mandant, Projekt, sonstige Dringlichkeiten etc.). Wenn die Rechtsabteilung eines Unternehmens für Vorstandsanfragen täglich bis 18 Uhr erreichbar sein soll, müssen die Anwesenheitszeiten entsprechend organisiert werden, auch wenn das dem Einzelnen zeitlich mal nicht passt. Respekt für Mitarbeiter Bei aller Rollenklarheit als Chef darf der Grundrespekt für die Mitarbeiter aber nicht verlorengehen. Wertschätzung für die Arbeit und auch für den Menschen sind sehr wesentliche Motivatoren und oft wichtiger als ein finanzieller Anreiz. Gute Führung zeigt sich zumeist in schwierigen Situationen. „In unserem Sekretariat wurde eine Mitarbeiterin gemobbt“, erzählt ein Anwalt aus einer mittelgroßen Kanzlei. „Zuerst war ich geschockt, weil ich das den Beteiligten nicht zugetraut habe und mit allen gut zusammenarbeite. Dann wusste ich nicht, wie ich das ansprechen sollte und habe nächtelang nicht geschlafen. Schließlich hab ich dann sowohl Einzelgespräche als auch eine Teamsitzung gemacht. Ich habe meinen Standpunkt deutlich gemacht, aber auch versucht herauszufinden, was zu der Situation geführt hat. Das war sehr wichtig. Die Zusammenarbeit ist jetzt deutlich besser, aber am Anfang war das echt eine Überwindung.“ Idealerweise wächst man in eine Führungsrolle hinein und hat auch ein Vorbild oder einen Mentor, der einem bei Fragen zur Seite steht. Immer mehr Führungskräfte – darunter auch aus der Anwaltschaft – nutzen das Coaching als Möglichkeit, um eigenes Verhalten zu reflektieren und Lösungen in schwierigen Führungsprozessen zu finden. Wie relevant über die eingangs erwähnten Beispiele Führungsaus- und -fortbildung für uns Rechtsanwälte ist, soll die Beantwortung der folgenden Fragen verdeutlichen. 1. Wie sind Führungsaufgaben und inhaltliche Tätigkeit üblicherweise verteilt? Führungskraft sein, ist durchaus eine eigenständige Tätigkeit. Je nach Größe der Organisation und dem persönlichen „Rang“ innerhalb der Hierarchie entfallen 30 bis 50 Prozent der Arbeitszeit auf Führungsaufgaben. In besonderen Situationen ist der Anteil sogar noch höher. 2. Kann man Führen lernen? Manche Menschen fühlen sich von Anfang an in der Führungsrolle wohl und haben eine natürliche Autorität. Sie müssen nicht darüber nachdenken, wie sie Mitarbeiter motivieren oder in schwierigen Phasen mit ihnen angemessen umgehen. Anderen Menschen fällt Führen vom Naturell her eher schwer. Frühere Führungstheorien gingen vom „Great Man“ aus und unterstellten, dass Führen eine angeborene Eigenschaft ist, die man entweder hat oder eben nicht. Heute überwiegt jedoch das Verständnis, dass jeder gute Führungsverhaltensweisen erlernen kann. Wichtig ist zum einen ein Abgleich zwischen Selbstbild und Fremdbild (wie sehe ich mich, wie wirke ich auf andere). Dann kommt es auf Kommunikationstechniken an, die es ermöglichen, in richtiger Weise zu kritisieren, aber auch Lob und Wertschätzung auszudrücken. Relevant ist das Grundwissen, auf unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Führungsstilen einzugehen. Hierbei gibt es keinen einheitlichen Führungsstil für alle. Führung muss immer der Situation und den Personen angepasst werden. Das gilt sowohl für die Führungskraft als auch die Mitarbeiter. Die Kunst ist es, als Führungskraft möglichst viele Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, die zu einem selbst passen. Es gibt zahlreiche Lehrgänge, die angehenden, aber auch erfahrenen Führungskräften hilfreiches Werkzeug vermitteln. Dabei ist weniger theoretisches Wissen gefragt. Vielmehr wird anhand von Rollenspielen, Kommunikationstrainings und manchmal auch mit der Kamera ganz praktisch geübt. Der Besuch solcher Praxisseminare ist sehr empfehlenswert. 3. Warum wird Führung nicht während der Juristenausbildung vermittelt? Vermutlich liegt das an der traditionellen Ausrichtung der Juristenausbildung auf das Richteramt. Richter arbeiten sehr eigenständig. Sie müssen zwar meist auf kollegialer Ebene zusammenwirken. Sie müssen aber weniger Organisationen führen. Bei Anwälten vertraut(e) man wohl einfach darauf, dass sich das Führenkönnen in der Praxis „schon irgendwie einstellt“. Allerdings ist es auch nur begrenzt sinnvoll, Führung ohne praktischen Bezug zu vermitteln. Führen ist sehr interaktiv, und daher braucht es konkrete AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 27 Magazin Situationen, Fragestellungen und Erfahrungen. Nur dann kann eine (angehende) Führungskraft auch wirklich etwas lernen. 4. Gibt es Beispiele für typische Führungsfehler? Viele – hier eine kleine Auswahl: „Ich bin neu und mach jetzt alles anders!“ Doppelbotschaften – „Arbeite eigenständig, hab eigene Ideen. Aber wenn sie anders sind als meine, sind sie nicht richtig.“ Unklare Aussagen über Erwartungen Kritik in der Sache wird in einer Weise geäußert, durch die sich die Person angegriffen fühlt. Die Sache selbst tritt in den Hintergrund, die persönliche Verletzung überwiegt. Das führt oft dazu, dass sich der Fehler wiederholt. Kritik wird aus Unsicherheit nicht geäußert. Die Situation wiederholt sich. Es staut sich Ärger auf, bis es irgendwann mal „kracht“. Schlechtes Selbstmanagement, das andere auffangen müssen 5. Was bringt ein gutes Coaching in Hinblick auf Führung? Coaching steigert die Selbstwirksamkeit, d. h. der „Coachee“ (der gecoacht wird) ist in der Lage, eine zu ihm passende Lösung für eine Situation zu finden. Er führt nicht etwas aus, was ihm jemand anderes empfohlen hat („Also ich an Deiner Stelle würde jetzt mal richtig auf den Tisch hauen!“) und wirkt dabei ggf. ziemlich seltsam, sondern er macht es auf seine Weise und ist damit überzeugend. Oben ist die Luft meist dünn. Das muss man aushalten können. Foto: brandtmarke_pixelio.de holt, um die lautstarken Zurechtweisungen so gering wie möglich zu halten. Der Senior bemüht sich daraufhin, auch mal einen anderen Weg als seinen gelten zu lassen und in Kauf zu nehmen, dass etwas mal länger dauert – und siehe da: Der Junior bekommt es hin und die Arbeitslast sinkt. Die Führungsforschung bestätigt heutzutage, dass die besten Ergebnisse erzielt werden, wenn die Mitarbeiter in (angemessener Weise) in Entscheidungen eingebunden sind und ihnen die Hintergründe für Entscheidungen und Entwicklungen bekannt sind. Der Coach unterstützt diesen Erkenntnisprozess durch Fragen, Hypothesen und auch Methoden, die es dem Coachee ermöglichen, die Situation von oben zu betrachten oder gar neu zu sortieren. 8. Kann man durch Coaching lernen, Hierarchien zu akzeptieren? 6. Ist es überhaupt möglich, Fehler in Führungsprozessen durch Coaching aufzuzeigen? 7. Führt man jeden Menschen auf die gleiche Art und Weise? Im Coaching kann einer Person auf sanfte Weise der Spiegel vorgehalten werden. Meist kommt der Coachee auch selbst darauf. Er erkennt, wie das eigene Verhalten zur Situation beigetragen hat. Als Beispiel: Ein erfahrener Anwalt ärgert sich sehr darüber, dass sich sein junger Kollege jeden Arbeitsschritt absegnen lässt. Er hält ihn für unselbständig - und mittlerweile auch für fachlich weniger stark. Wenn etwas mal nicht so läuft, wie er sich das vorstellt, wird er manchmal auch laut. Weil ihn diese vielen Zwischenschritte nerven, macht er die Arbeit am Schluss doch selbst, klagt aber über zu nehmende Überlastung. Im Coaching versetzt er sich in die Situation des jungen Kollegen und erkennt, dass sich dieser die vielen Rückversicherungen ab- Ganz klar: nein. Menschen sind unterschiedlich. Das gilt für die Führungskraft, aber auch für die Mitarbeiter. Ein junger, unerfahrener Mitarbeiter muss anfänglich stärker geführt und auch kontrolliert werden als ein erfahrener. Manche Menschen brau chen viel Raum für Selbständigkeit und „laufen von alleine“. Würde die Führungskraft ihnen täglich genau sagen, was sie tun sollen, würden sie sich eingeengt fühlen. Andere hingegen brauchen einen klaren Rahmen, weil alles andere ihnen zu unsicher wirkt. Die Möglichkeiten sind mannigfaltig. Die Aufgabe der Führungskraft ist es, vor dem Hintergrund des grundsätzlichen Ziels der Organisation (Kanzlei/Firma/Insititution) diese vielen Eigenschaften so zu strukturieren, dass es funktioniert. Hierarchien gibt es in jeder Organisation – manchmal sogar mehrere innerhalb einer. Beispiel: In einer Kanzlei besteht unter den Berufsträgern eine Hierarchie vom Gründer über die Partner zu den angestellten Anwälten. Es gibt aber auch bei den Mitarbeitern eine Hierarchie, nämlich von der Büroleiterin über die Rechtsanwalts- und Notargehilfen bis zu den reinen Schreibkräften und den Azubis. Zusammenstöße mit Hierarchien – und mögen sie noch so flach sein – kann es immer geben. Manchmal geschehen sie, weil man sie nicht kennt und daher irrtümlich jemanden übergeht, der eigentlich hätte gefragt werden „müssen“. Im Coaching kann man über die Hierarchie reflektieren und auch ergründen, weshalb einen selbst unter Umständen eine bestimmte Konstellation so stört. Es ist möglich, seinen Frieden damit zu machen, oder sich klar darüber zu werden, dass man unter solchen Rangordnungen nicht weiter arbeiten möchte. Es gilt der Grundsatz: „love it – change it – or leave it“. RAin Esther-Maria Roos, Köln ADVOICE 02/12 27 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 28 Magazin Vom Geheimtipp zum Großstadt-Trend Lohnt sich ein Groupon-Angebot für den Anwalt? im November 2011 an die Börse – die Aktie erfuhr nach einem guten Start einen regelrechten Erdrutsch und liegt mittlerweile etwa beim Ausgabewert) stellt sich die Frage, ob man als seriöser Dienstleister die Rabatt-Plattform überhaupt nutzen sollte. Das System bietet einige Vorteile: Man bringt sich ins Gespräch und profitiert unter Umständen vom modernen und frischen Image der Plattform. Ob sich dies allerdings wirtschaftlich auszahlt, ist – vorsichtig ausgedrückt – zweifelhaft. Groupon betreibt seinen Aufwand natürlich nicht allein aus Nächstenliebe. Etwa die Hälfte des Verkaufserlöses bleibt beim Chicagoer Rabatt-Unternehmen. Der Anbieter eines Angebots erhält zudem meist nur für tatsächlich eingelöste Gutscheine Geld. Klarer wird das Prinzip anhand der Rechnung eines realen Beispiels: Ein Rechtsanwalt hatte 100 Coupons für eine Erstberatung zu 19 Euro angeboten. Schnell fanden sich die nötigen 100 Käufer, doch lediglich 20 Personen kamen tatsächlich zur Beratung. Der Anwalt bekam also nur für diese 20 eingelösten Gutscheine Geld von Groupon ausgezahlt – und zwar die genannten 50 Prozent. Den vollen Betrag für die 80 nicht eingelösten Scheine behielt das Unternehmen für sich. Die Rechnung wirkt ernüchternd: insgesamt 190 Euro für den Rechtsanwalt (abzüglich Umsatzsteuer ergibt das 153,90 Euro netto für 20 Erstberatungen), hingegen – ausgehend von dem Durchschnittswert der Groupon-Provisionen in Höhe von etwa 50 Prozent – 1.710 Euro brutto für Groupon. Groupon-Rabatte sind berufsrechtlich nicht unbedenklich. Bei Rabattangeboten sind Enttäuschungen vorprogrammiert. An einem realen Münchner Beispiel zeigt unser Autor, ob es sich lohnt, über das Rabattsystem Groupon zu werben. Groupon steht für Gutscheine, Rabatt-Coupons und Gruppeneinkäufe im Internet. Das amerikanische Unternehmen revolutionierte vor drei Jahren die digitale Schnäppchenjagd und hat sich inzwischen vom Geheimtipp zum populären Großstadt-Trend gemausert. Die Idee dahinter ist auf den ersten Blick ebenso einfach wie reizvoll: Firmen und Dienstleister können über die InternetSeite von Groupon Gutscheine anbieten und machen somit auf sich aufmerksam. Eine professionelle Zahnreinigung mit Bleaching für 100 statt für 300 Euro. Ein Wellnesswochenende im Bayerischen Wald zu 50 Prozent Rabatt oder eine anwaltliche Erstbe- 28 ADVOICE 02/12 Foto: Gabi Schoenemann_pixelio.de ratung für sagenhafte 19 Euro. Der „Deal“ kommt nur dann zustande, wenn eine vorher festgesetzte Käuferzahl erreicht wurde. Das System zahlt sich scheinbar für beide Seiten, Anbieter und Kunden, aus. Der User bekommt sein Schnäppchen, der Anbieter erreicht neue Kunden, die ihm – so die Hoffnung – später auch ohne Rabattangebote erhalten bleiben. Nach anfänglicher Begeisterung häufen sich in letzter Zeit kritische Reaktionen von enttäuschten Nutzern. Käufer erhielten nicht das Angebot, das sie sich eigentlich erhofften, weil die Produktbeschreibung zweideutig formuliert war. Hinzu kommen „Rattenfänger“, die immer wieder versuchen, wertlosen Ramsch zu verhökern. Viele Groupon-User sind deswegen bei angeblichen „Mega-Angeboten“ reflexhaft misstrauisch. Angesichts der allgemeinen Ernüchterung und der Börsenverluste (Groupon ging Zudem erhielt der Rechtsanwalt aus unserem Beispiel durch die 20 Erstberatungen nur ein einziges Mandat, wohingegen die meisten der 20 Schnäppchenjäger auf die im Angebot genannte volle Stunde Erstberatung bestanden – auch wenn die ursprüngliche Rechtsfrage schnell geklärt werden konnte. Sicherlich gibt es auch positive Beispiele für gelungene Rabatt-Aktionen, und unseren Fall könnte man demnach als Worst-Case-Szenario ansehen. Dennoch bleibt: Wer über eine mögliche Groupon-Aktion nachdenkt, sollte wissen, welche Chancen und Grenzen diese beinhaltet. Hinzu kommt, dass derartige Rabatte berufsrechtlich nicht ganz unproblematisch sind, stellen sie doch ein Angebot weit unter Selbstkosten dar. Auch sollte man sich vorher gut überlegen, wie man neu entstandene Kontakte ausbauen kann und somit potentielle Mandanten gewinnt – denn nur dann kann eine Rabatt-Aktion ein erfolgreiches Marketinginstrument sein. RA Velimir Milenkovic, München AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 29 Bei 18 Millionen Titeln finden Sie schnell den richtigen. Ihre Sache, wie Sie die gewonnene Zeit nutzen. Der neue Schweitzer Online-Shop hat viel zu bieten. Von der gigantischen Auswahl mit circa 18 Millionen Titeln inklusive des kompletten Fachkatalogs Schweitzer Vademecum bis hin zur versandkostenfreien und schnellen Lieferung ins Büro oder nach Hause. Und darüber hinaus steht Ihnen das Fachpersonal in den 32 Schweitzer Standorten gerne persönlich oder telefonisch beratend zur Seite. www.schweitzer-online.de AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 30 Magazin Alles was Recht ist In Peking lernen chinesische Studenten deutsches Recht ohne Wenn und Aber Ein Blick ins Gesetz fördert die Rechtsfindung. Wann immer diese juristische Platitüde geäußert wird, missfällt sie durch ihren spöttischen Unterton. Natürlich ist der Ausgangspunkt jeder Falllösung das geschriebene Recht. Das Gesetz rammt die Eckpfeiler in den Boden, an denen kein Rechtsanwender vorbeikommt. Das ist doch klar! Gewiss. Und dennoch drückt der Satz bei Weitem keine Selbstverständlichkeit aus. Das zeigt der Blick in fremde Rechtsordnungen. Geschriebenes Recht und Rechtswirklichkeit fallen hier manchmal weit auseinander. Selbst wenn das ausländische Recht nahezu identisch formuliert ist, wird es doch nach anderen Regeln angewandt und nach eigenen Maßstäben interpretiert. Gesellschaftliche, politische und kulturelle Rahmenbedingungen fließen in die Auslegung ein. Das eigene juristische Handwerkszeug kann sich da schnell als untauglich erweisen. Zum Beispiel China: Hier muss ein Richter neben dem Gesetz zahlreiche weitere Parameter beachten, wenn er eine Entscheidung fällen will. Dazu zählen in offizieller Hinsicht die Gesetzesauslegungen durch den Ständigen Ausschuss des Nationalen Volkskongresses sowie die Auslegungen und Leitentscheidungen des Obersten Volksgerichts. Außerdem ist der Richter aber auch informellen Einflussnahmen durch Akteure der Politik und der Regierung ausgesetzt. So schalten sich die Kommunistische Partei, die Volksstaatsanwaltschaft, der Volkskongress sowie sonstige Regierungsorgane und Sicherheitsbehörden in den Prozess der Entscheidungsfindung ein. Dagegen bietet auch die chinesische Verfassung keinen Schutz. Zwar nennt sie eine Reihe von Grundrechten, die wir dem Namen nach aus dem Grundgesetz kennen. Hierzu zählen laut Artikel 35 unter anderem die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Versammlungs- und die Demonstrationsfreiheit. Artikel 41 gestattet es jedem chinesischen Staatsbürger, Rechtsverletzungen durch staatliche Organe anzuzeigen, sich zu beschweren und Kritik zu üben. Grundrechte ohne Praxis Die Gerichte dürfen aber nicht unmittelbar auf die Verfassung zurückgreifen. Vielmehr hat der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses die ausschließliche Befugnis, die Verfassung auszulegen und ihre Durchführung zu überwachen. Ein Verfassungsgericht gibt es nicht. Die Grundrechte spielen daher im Rechtsalltag so gut wie keine Rolle. Schließlich vermögen auch groß angelegte Gesetzesnovellen eine vermeintlich bewährte Praxis nur langsam umzukrempeln. Nach den im vergangenen März beschlossenen, umfangreichen Ergänzungen der Strafprozessordnung soll zwar der Schutz der Menschenrechte ausdrücklich im Gesetz verankert werden. Jeglicher Zwang zur Selbstbelastung sowie Folter sollen unzulässig sein und der in Gewahrsam genommene Beschuldigte soll das Recht erhalten, einen Verteidiger sowie seine Familie zu kontaktieren. Bis diese Reformen aber in den Polizeipräsidien der einzelnen Provinzen angekommen sind, wird noch eine Menge Wasser den Yangtse hinunterfließen. Der Rechtsstaatsdialog Das zarte Pflänzchen der Modernisierung ist es jedoch wert, gehegt und gepflegt zu werden. Um hierzu einen Beitrag zu leisten, engagiert sich seit Jahren insbesondere die Bundesrepublik Deutschland. Dies hat seinen Grund unter anderem darin, dass weite Teile des chinesischen Rechts von der deutschen Rechtstradition beeinflusst sind. Der sogenannte Rechtsstaatsdialog ist die wohl bekannteste Plattform im Rahmen der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit. Dass aber auch chinesische Studenten deutsches Recht studieren können, dürfte nur wenigen geläufig sein und ist auch in China die Ausnahme. An den Universitäten beruht der Lehrplan auf den Prinzipien des sozialistischen Rechtsstaats. Zwar orientieren sich die Vorlesungen zum Wirtschaftsrecht vermehrt pragmatisch an den neuen ökonomischen Verhältnissen. Die Prüfungen im Fach Marxismus sind aber weiterhin fester Bestandteil der Ausbildung. Institutsalltag in China Morgens um halb neun geht der Unterricht am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften in Peking los. Im Sommersemester steht mittwochs Zivilrecht und freitags Verwaltungs- Im Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften werden die Studenten auf einen Auslandsaufenthalt in Deutschland vorbereitet. 30 ADVOICE 02/12 Fotos: Lasse Schuldt AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:42 Seite 31 Magazin ANZEIGE recht im Vorlesungsverzeichnis. Die Stunde beginnt mit der Wiederholung des Stoffs der letzten Woche. Dann wird ein neuer Fall vorgelesen und gemeinsam die Lösung erarbeitet. Man fühlt sich, als sitze man gerade in einer Arbeitsgemeinschaft einer deutschen Universität: „fraglich ist“, „die Voraussetzungen sind“, „dafür gibt der Sachverhalt keine Anhaltspunkte“ – die chinesischen Studenten beherrschen bereits das wichtigste Vokabular, um das Auslandsjahr in Deutschland zu überleben. Dieses ist der Höhepunkt des dreijährigen Masterstudiums an der China-Universität für Politikwissenschaft und Recht. In den ersten beiden Semestern findet ein intensiver Sprachunterricht statt. Parallel lernen die Studenten die Grundlagen des deutschen Rechts – bis dahin noch auf chinesisch. Im dritten und vierten Semester beginnen dann die deutschsprachigen Vorlesungen und Seminare. Erst nach Bestehen eines strengen Sprachtests geht es schließlich nach Frankfurt, Freiburg, Hamburg, Köln oder München. Dies sind die fünf Kooperationsuniversitäten des Instituts. Traumstadt München Viele Studenten würden gerne nach München gehen. „Die Stadt stelle ich mir schön vor und die Uni hat einen guten Ruf. Ich könnte mir ein Spiel von Bayern München anschauen. Leider ist es auch sehr teuer“, sagt einer von ihnen. Auch Freiburg und Köln sind beliebt. In jedem Fall freuen sich alle auf die gute Luft in den deutschen „Kleinstädten“. Sie wollen die Zeit nicht nur zum Studieren nutzen, sondern auch das deutsche Studentenleben kennenlernen. In Peking ist das Leben auf dem Uni-Campus reglementiert. Männer und Frauen wohnen getrennt. Es gibt eine Sperrstunde, zu der die Studenten zurück im Wohnheim sein müssen. Crashkurse Die Lehrveranstaltungen in Peking werden von deutschen Professoren, Dozenten und Gastdozenten sowie von ihren chinesischen Kollegen mit zum Teil jahrelanger Deutschlanderfahrung gehalten. Sie lehren deutsches Recht ohne Wenn und Aber: Menschenwürde, Gewaltenteilung und Rechtsstaatsprinzip stehen genauso auf dem Lehrplan wie der dreigliedrige Aufbau einer Straftat oder das Widerrufsrecht im Verbraucherschutz. Wegen der Kürze des einjährigen Fachunterrichts haben manche Veranstaltungen zwar beinahe den Charakter eines Crashkurses. Dennoch wird Wert darauf ge legt, den Studenten sowohl die Grundlagen als auch die Falllösung zu vermitteln. So bilden die Grundrechte als Abwehr-, Leistungs- und Schutz rechte den Rahmen für einen baurechtlichen Abrissfall, in dem der Betroffene nicht ordnungsgemäß angehört wurde. Im Strafprozessrecht setzen sich die Studenten mit der sogenannten Hörfalle vor dem Hintergrund der Selbstbelastungsfreiheit auseinander. Sie lernen dabei die Maßstäbe kennen, nach denen in Deutschland Verfassung und Gesetze ausgelegt und angewendet werden: Das Ermessen der Verwaltung wird durch die Verhältnismäßigkeit begrenzt. Dabei sind insbesondere die Grundrechte zu beachten. Welche Ermessensfehler es gibt und wie man die Verhältnismäßigkeit prüft, das beherrschen die meisten Studenten schon im Schlaf. Wie aber ist mit folgendem Fall umzugehen: Eine Landesbauordnung bestimmt, dass die zuständige Behörde eine Baugenehmigung erteilen kann, wenn dem keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegen stehen. Warum hat die Behörde hier noch ein Ermessen? „Damit sie flexibel reagieren kann“, wirft eine Studentin ein. Aber welche Argumente verbleiben der Behörde, die Genehmigung abzulehnen, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind? „Am Ende entscheidet die Behörde. So steht es im Gesetz.“ Die Lösung des Falles ergibt sich aus der deutschen Verfassung. Die Eigentumsfreiheit des Grundgesetzes umfasst nämlich auch die Baufreiheit. Es besteht ein Anspruch auf die Baugenehmigung. „Also wenden wir Artikel 14 direkt an“, schlägt die Studentin vor – eine nach chinesischem Recht völlig undenkbare Lösungsmöglichkeit. Doch sie wird enttäuscht: Im Wege der verfassungskonformen Auslegung wird das „kann“ als „muss“ ausgelegt. Auch in Deutschland können also das geschriebene Recht und die Rechtswirklichkeit auseinander fallen. Das ist eine wichtige Erkenntnis. So können die Studenten am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften neben ihrem chinesischen auch ein deutsches Rechtsgefühl entwickeln. Der Unterricht findet selbstverständlich ohne erhobenen Zeigefinger statt. Unterschiede zwischen China und Deutschland werden angesprochen, die Bewertung wird den Studenten überlassen. In erster Linie sollen sie lernen, stets mit dem Gesetz zu arbeiten. Denn ein Blick ins Gesetz fördert die Rechtsfindung – jedenfalls meistens. Dr. Lasse Schuldt, Peking Info Referendare können am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften in Peking die Wahlstation absolvieren. Sie wirken an der Lehre, an Forschungs projekten und an der Verwaltung des Institutes mit. Chinesischkenntnisse sind von Vorteil, aber nicht er forderlich. Bewerbungen mit Anschreiben und Lebenslauf können an den stellvertretenden deutschen Direktor, Prof. Dr. Marco Haase, gerichtet werden. E-Mail: [email protected] ADVOICE 02/12 31 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:43 Seite 32 Magazin 32 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:43 Seite 33 Magazin Das Amtsgericht Eschwege sorgt im zuweilen tristen Paragraphenalltag für Abwechslung. Der einstige Bewerber auf kommunaler Ebene für die Linkspartei Jörg S. beschäftigt seit Wochen die zuständige Strafabteilung. Der Vorwurf: Titelmissbrauch, Betrug und Urkundenfälschung. Er hätte ganz regulär nach dem Abi eine Banklehre gemacht, dann erfolgreich an der Fernuni Hagen an einem MBA-Programm teilgenommen, um im Anschluss daran „selbstverständlich promoviert“ zu haben. Gegenwärtig jedoch haben so wohl die Staatsanwaltschaft als auch der Einzel- richter Schwierigkeiten, die Version von Jörg S. nachzuvollziehen. Aussagekräftige Dokumente konnte der Angeklagte jedenfalls noch nicht vorlegen. Die Einlassung, er hätte die Doktorwürde in Hawaii offiziell zuerkannt bekommen, half bislang nicht, auch wenn der Titel der an geblichen Doktorarbeit in Zeiten der Finanzkrise geradewegs lehrstuhlverdächtig klingt: „Der neue Markt. Gründe für den Crash. Lösungen für die Zukunft und den Schutz der Investoren.“ Ein Urteil in dem Boulevard-Fall wird in Kürze erwartet. pat Gericht des Monats LIEBES FORUMSMITGLIED, MACH MIT! Sende uns Dein „Gericht des Monats“, d. h. ein hochauflösendes Foto, dessen Rechte Du besitzt, und eine kurze Geschichte dazu, je bedeutsamer, ungewöhnlicher oder auch skurriler – desto besser! > [email protected] Das Amtsgericht Eschwege Foto: Stefanie Salzmann ADVOICE 02/12 33 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:44 Seite 34 Magazin Recht unsicher Juristen in Deutschland leben gefährlich Der jüngste tödliche Vorfall am Amtsgericht Dachau, in dem ein junger Staatsanwalt sein Leben lassen musste, hat die Diskussion um die Sicherheit an deutschen Gerichten neu entfacht. Bereits im Jahre 2009 hatte der niedersächsische Richterbund in einem Thesenpapier auf die zunehmende Gewalt gegen Justizangestellte, gerade gegen Richter und Staatsanwälte hingewiesen. Die Politik reagierte bisher nur schleppend, einheitliche Sicherheitsstandards in der Bundesrepublik sind längst noch keine Selbstverständlichkeit. Einlasskontrollen an Sicherheitsschleusen, wie sie von Flughäfen bekannt sind, sucht man an etlichen Gerichten vergebens. Warum, fragen sich auch immer mehr Anwältinnen und Anwälte, die nicht selten ebenfalls Opfer von gewalttätigen Übergriffen in Gerichtssälen werden. AdVoice hat eine kleine Auswahl der gravierendsten Ereignisse zusammengestellt. DACHAU 2012 DRESDEN 2009 FRANKFURT AM MAIN 1997 Zeugin im Gericht erstochen Tödliche Schüsse auf Ex-Freundin Aus Fremdenhass hatte mitten in einer Verhandlung vor dem Dresdner Landgericht im Jahr 2009 ein Angeklagter eine Zeugin mit einem Messer angegriffen und mit 18 Messerstichen verletzt. Die Frau starb kurz darauf an den Verletzungen. Der Täter wurde sofort überwältigt. tobi Im März 1997 zog im Gerichtsgebäude B in Frankfurt am Main ein Polizeibeamter (39) seine Dienstwaffe und gab mehr als zehn Kugeln auf seine ExFreundin und deren Anwältin ab. Die Ex-Freundin (33) verstarb noch am Ort des Geschehens, die Anwältin wurde schwer verletzt. Der Polizist wollte sich gegen eine Unterhaltsklage seiner ehemaligen Lebensgefährtin zur Wehr setzen. pat ESSEN 1998 Strafrichter erschossen HAMBURG 2005 Bevor sich der Täter mit einem Kopfschuss selbst richtete, brachte ein 69-jähriger Mann einen Strafrichter (52) am Amtsgericht Essen in seinem Dienstzimmer um. Der Täter gelangte unbehelligt in das Gerichtsgebäude und tötete sein Opfer mit einer Pistole russischen Fabrikats. Grund: eine 17 Jahre zuvor verhängte Geldbuße. tobi Richter mit Messer schwer verletzt Weil im März 2005 ein psychisch erkrankte Täter vom Richter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, stürmte dieser in die „Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle“ auf den Richter zu und stach mehrmals mit einem Klappmesser zu. Der Richter überlebte die Attacke schwer verletzt. pat Angeklagter erschießt Staatsanwalt im Gericht EUSKIRCHEN 1994 Anfang des Jahres 2012 hat ein Angeklagter während der Urteilsverkündung eine Pistole aus der Hosentasche gezogen und auf den Staatsanwalt geschossen. Der Jurist erlag kurze Zeit später seinen Verletzungen. Der Richter konnte sich vor den Schüssen wegducken. Im Prozess ging es um die Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt – also Sozialversicherungsbeiträge – in Höhe von 44.000 Euro. Die anwesenden Zeugen vom Zoll, die die Ermittlungen geführt hatten, konnten den Angeklagten im Gerichtssaal überwältigen. tobi Gerichte werden immer häufiger Schauplatz von Gewalttaten. INGOLSTADT 2012 Gemetzel mit 13 Opfern Rentner mit Messer festgenommen Der bisher schlimmste Anschlag auf ein deutsches Gericht fand 1994 im Amtsgericht Euskirchen statt. Der Täter, kurz vorher wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt, feuerte Schüsse ab und zündete einen Sprengsatz. Sieben Menschen erlagen ihren Verletzungen, unter anderem ein 31-jähriger Richter und zwei Anwälte sowie die Ex-Freundin des Täters, sechs Personen wurden schwer verletzt. tobi Foto: Paul-Georg Meister_pixelio.de Auf dem Portal Facebook hatte ein 57-Jähriger seine geplante Bluttat im Amtsgericht Ingolstadt angekündigt. Weil die Justiz rechtzeitig davon Wind bekam, konnte der Rentner, der am 22.5.12 als Nebenkläger in einem Strafverfahren auftrat, durchsucht und noch im Gerichtssaal festgenommen werden. Bei ihm fand die Polizei ein Einhandmesser. pat LANDSHUT 2009 Tod im Erbschaftsstreit Ein 60-jähriger Sportschütze erschoss im April 2009 auf einem Gerichtsflur im Landgericht Landshut seine 48 Jahre alte Schwägerin. Auslöser war ein Erbschaftsstreit. Bei der Schießerei wurden eine weitere Schwägerin des Täters und ein Rechtsanwalt verletzt. Nach den tödlichen Schüssen nahm sich der Mann selbst das Leben. pat > www.sicherheit.info 34 ADVOICE 02/12 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:45 Seite 35 Magazin HAMBURG c ESSEN c EUSKIRCHEN J e n e e sc DRESDEN m i r c L c FRANKFURT / M C ? e INGOLSTADT c c LANDSHUT DACHAU 35 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:45 Seite 36 Magazin GEDICHT DES MONATS Juristen, die Gesetze Sind eure Strick und Netze, Geharnischte zu fangen, Die sonst so herrlich prangen. Aus „Desz anderen Tausend 6. Hundert“ von Friedrich von Logau (1605-1655) 36 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:45 Seite 37 Magazin Entschleunigung - Anwaltschaft wächst langsamer Weitere 2.747 Anwälte drängen auf den Markt Die Zahl der in der Bundesrepublik zugelassenen Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsgesellschaften ist im vergangenen Jahr erneut leicht gestiegen. Das teilte die Bundesrechtsanwaltskammer aufgrund ihrer jährlichen Anwaltsstatistik mit. Die Rechtsanwaltskammern hatten zum 1.1.2012 insgesamt 159.315 Mitglieder (Vorjahr: 156.479), davon 158.426 Rechtsanwälte (Vorjahr: 155.679), 298 Rechtsbeistände (Vorjahr 309), 535 Rechtsanwalts-GmbHs (Vorjahr 453) und 23 RechtsanwaltsAGs (Vorjahr: 22). München ist mit mehr als 20.000 Mitgliedern die größte Anwaltskammer der Bundesrepublik, gefolgt von Frankfurt (17.607), Hamm (13.673) und Berlin (13.191). Auch Köln und Düsseldorf haben jeweils mehr als 10.000 Mitglieder. In Hamburg fehlen noch knapp 400 Kollegen, um diese Marke zu knacken. Zusammen stellen diese sechs Kammern damit mehr als die Hälfte aller deutschen Anwälte. Damit konzentriert sich das Anwaltsgeschäft nach wie vor in den Großenstädten, die als juristische Ballungszentren auch eine viel höhere Anwaltsdichte haben. Schlusslicht bilden mit jeweils weniger als 2.000 Anwälten die Kammern Braunschweig, Bremen, Kassel, Mecklenburg-Vorpommern, Saarbrücken, SachenAnhalt und Zweibrücken. Die Anwaltschaft verzeichnete insgesamt einen Zuwachs, der gegenüber dem Vorjahr (1,58 Prozent) wieder leicht zugenommen hat, aber weiterhin unterhalb der durchschnittlichen Steigerungsrate der letzten zehn Jahre liegt. Während in den Jahren 1996 bis 2001 der Mitgliederzuwachs der Rechtsanwaltskammern über 6 Prozent lag, 2002 bei noch 5,93 Prozent, betrug er 2003 bis 2006 über 4 Prozent und sank seit 2007 von 3,43 Prozent auf 2008 2,87 Prozent, 2009 2,38 Prozent, 2010 1,97 Prozent, 2011 1,60 Prozent und nunmehr 1,76 Prozent. Insgesamt 158.426 Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen waren zum 1.1.2012 in der Bundesrepublik zugelassen, somit 2.747 bzw. 1,76 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anteil der Rechtsanwältinnen an der Gesamtanwaltschaft stieg auf 32,56 Prozent . Damit ist fast ein Drittel der Anwaltschaft weiblich (51.585 Rechtsanwältinnen). Auffallend ist der Zuwachs bei den Rechtsanwaltsgesellschaften: Zum 1.1.2012 war bei den Rechtsanwalts-GmbHs ein Anstieg um 18,10 Prozent auf nunmehr 535 GmbHs zu verzeichnen. Die Anzahl der Partnerschaftsgesellschaften stieg um 8,61 Prozent auf 3.029. RA Tobias Sommer, Berlin ANZEIGE Die Neuauflage 2012 der Formularbibliothek. FormularBibliothek Vertragsgestaltung Herausgegeben von RAuN a.D. Dr. Bernhard Dombek und DirAG Dr. Ludwig Kroiß 2. Auflage 2012, ca. 4.000 S., brosch., in 8 Teilbänden, mit CD-ROM, 198,– € ISBN 978-3-8329-7091-8 Erscheint ca. Juni 2012 Weitere Informationen: www.nomos-shop.de/go/box Nomos ADVOICE 02/12 37 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:45 Seite 38 Magazin Belastungsstörung wegen falscher Beratung Schmerzensgeldansprüche aufgrund von Pflichtverletzung im Anwaltsmandat Der Aufsatz setzt sich mit der Frage auseinander, inwieweit ein Haftungsrisiko für den anwaltlichen Berater besteht, auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch genommen zu werden. lerhafter Auskünfte und Hinweise werde im allge meinen Verkehr regelmäßig dem Empfänger überantwortet und damit dem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet. Stelle nicht von dem Umfang der Pflichtdeckung gem. § 51 BRAO gedeckt ist und das Bedingungswerk entsprechend erweitert. Die Versicherungslücke kann zum Beispiel wie folgt geschlossen werden: 1. § 253 II BGB 3. Haftungsrisiken Mit der Schuldrechtsreform im Jahr 2001 ist auch die Möglichkeit eröffnet worden, einen Berater auf Zahlung von Schmerzensgeld in Anspruch zu nehmen. § 253 II BGB regelt den Anspruch auf Zahlung von Schmerzengeld wie folgt: Viele Mandate haben gerade nicht den Schutz der Rechtsgüter des § 253 II BGB zum Inhalt. Insoweit sind die Rechtsanwälte auch nicht einem Haftungsrisiko ausgesetzt. „§ 253 II BGB: Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.“ Die Inanspruchnahmemöglichkeit des anwaltlichen Beraters auf Basis vorgenannter Rechtsnorm ist bislang weitgehend unbeachtet geblieben, was nicht weiter verwunderlich ist, denn die Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages betrifft in der Regel nicht den Schutz der Rechtsgüter des § 253 II BGB. 2. BGH, Urteil vom 09.07.2009, Az. IX ZR 88/08 In diesem Sinn hat sich auch der BGH mit Urteil vom 9.7.2009, Az. IX ZR 88/08 mit einer Klage auf Geltendmachung von Schmerzensgeldansprüchen wegen der Fehlberatung aus einem Anwaltsmandat auseinandergesetzt. Beklagte Partei war ein Rechtsanwalt, der die Interessen von Mietern gegenüber einer Vermieterin wahrnahm. Die Kinder der Mieter verursachten im Mietobjekt einen Brand, sodass dieses nicht mehr bewohnbar war. Im Zuge der Klärung der Verantwortlichkeiten beging der Rechtsanwalt einen Fehler, indem er die Eintrittspflicht des Haftpflichtversicherers der Mieter verneinte. Die Mieter rechneten nun ihrerseits da mit, das zerstörte Haus im Wert von 600.000 EUR aus eigenen Mitteln wieder aufbauen zu müssen. Aus der Fehlberatung resultierte eine psychische Belastungsstörung mit Krankheitswert, wofür die Mieter Schmerzensgeld forderten. Der BGH wie auch die Vorinstanz ließen den Anspruch an dem notwendigen Zusammenhang zwischen dem Schutzzweck der verletzten Pflicht und dem eingetretenen Schaden scheitern. Die psychische Verarbeitung feh- 38 ADVOICE 02/12 Gleichwohl gibt es aber auch Mandate, wie zum Beispiel der mit der Haftbeschwerde beauftragte Strafverteidiger oder der in einem Abschiebungsverfahren mit der Einlegung von Rechtsbehelfen beauftragte Rechtsanwalt, die gerade den Schutz der in § 253 II BGB aufgeführten Rechtsgüter bezwecken. Das Rechtsgut der Freiheit kann sogar unabhängig von der forensischen Tätigkeit tangiert sein, indem zum Beispiel der Sicherungsarrest gem. §§ 916, 918 ZPO durch anwaltlichen Fehler unnötig verlängert wird (Druckenbrodt, VersR 2010, 601). In Ergänzung zu Ziffer 2.1 besteht Versicherungsschutz für Personenschäden und hieraus resultierende immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) ausschließlich in den Fällen, in denen der Schaden im Rahmen einer versicherten originären Berufstätig keit verursacht wurde und in denen das betroffene Mandatsverhältnis den Schutz der Rechtsgüter des § 253 Abs. 2 BGB zum Gegenstand hat. Dieser Versicherungsschutz wird bis zur Höhe der Pflichtversicherungssumme für Vermögensschäden gewährt. Die Erweiterung gilt nur, sofern hierfür nicht anderweitig Versicherungsschutz besteht. (Auszug aus den Bedingungen HDI-Gerling AVB WSR VH 558:07) Vor diesem Hintergrund ist auch ein Haftungsrisiko vorhanden, das schon vereinzelt vor die Gerichte getragen wurde. So verurteilte beispielsweise das KG Berlin mit Urteil vom 17.1.2005, Az. 12 U 302/03 einen Rechtsanwalt zum Ersatz des immateriellen Schadens, den der Mandant wegen Freiheitsentzuges erlitten hatte. Der Rechtsanwalt hatte es versäumt, den Termin einer Hauptverhandlung in einer Strafsache verlegen zu lassen. 5. Zusammenfassung 4. Versicherungsschutz Die Deckungserweiterung ist nur in den neueren Bedingungswerken zu finden. Eine Umstellung des Vertrages auf aktuelle Bedingungen ist oft prämienneutral möglich. Sie erfolgt nicht automatisch. Vorgenannter Fall der Verurteilung wie auch die Fälle der unberechtigten Inanspruchnahme sind nicht von dem in § 51 BRAO vorgeschriebenen Versicherungsumfang gedeckt. § 51 BRAO regelt den echten Vermögensschaden, also die Situation, bei der weder eine Person noch eine Sache unmittelbar Schaden erleidet. Die Inanspruchnahme auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen einer Pflichtverletzung aus dem Anwaltsvertrag kann vorkommen, dürfte aber selten bleiben. Der in § 51 BRAO beschriebene Umfang der Pflichtversicherung sieht für diesen Fall keinen Versicherungsschutz vor. Achten Sie darauf, ob das Bedingungswerk Ihres Vermögensschaden-Haftpflichtvertrages die Deckungserweiterung beinhaltet. Steffen Eube, HDI-Gerling, Hannover M. a. W.: Es besteht weder im Abwehrschutzbereich für die unberechtigte Inanspruchnahme auf Zahlung von Schmerzensgeld noch im Fall der tatsächlichen Zahlungspflicht eine Übernahmepflicht des Vermögensschaden-Haftpflichtversicherers. Einige Berufshaftpflichtversicherer haben erkannt, dass das Risiko anwaltlicher Tätigkeit an dieser > www.hdi-gerling.de AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:45 Seite 39 Magazin NEWS zusammengestellt von RA Patrick Ruppert, Köln Verpartnern mit weniger Risiko Die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB) kommt. Das hat das Bundeskabinett auf den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums am 16. Mai beschlossen. Angelehnt an die Limited Liability Partnership (LLP) aus dem englischen Rechtsraum, soll es in Deutschland künftig Freiberuflern möglich sein, ihre Haftung für Beratungsfehler auf das Gesellschaftsvermögen zu beschränken. Eine Voraussetzung hierfür ist, dass ein erhöhter Haftpflichtbeitrag entrichtet wird. Mit der neuen Rechtsform sollen auch Mandanten profitieren, die wegen erhöhten Versicherungsschutzes im Falle der Falschberatung verlässlicher mit Entschädigung rechnen können als bei einem materiell weniger gut ausgestatteten Rechtsanwalt, der über sein Privatvermögen voll einstandspflichtig ist. Kein Ermessensspielraum Bereits im vergangenen Jahr hatte der BGH mit der „Toleranzrechtsprechung“ für Wirbel gesorgt, in dem er konstatierte, dass die Erhöhung der Geschäftsgebühr von 1,3 auf 1,5, also eine Abweichung von 0,2 hingenommen werden müsste, weil dies im Ermessen des jeweiligen Rechtsanwalts stünde (Urteil vom 13.1.2011 Az. IX ZR 110/10). Hiergegen richtet sich inzwischen der Widerstand einiger Instanzengerichte. So betonte unter anderem das OLG Celle in einer Entscheidung vom 28.12.2011 (Az. 14 U 107/11), dass der Gesetzgeber für einen Durchschnittsfall gemäß Nr. 2300 VV RVG als Regelsatz eine 1,3 Geschäftsgebühr vorgesehen hätte. Eine Erhöhung selbst um 20 Prozent könnte nur dann in Betracht kommen, wenn die anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ein Ermessensspielraum sei der Rechtsanwaltschaft damit nicht eingeräumt. Robe von schwarzer Farbe ... Zur Amtstracht wird eine weiße Halsbinde getragen.“ Fricke brachte zum Ausdruck, dass er noch nicht einmal eine Krawatte besitze. Als entwürdigend wertete er das richterliche Auftrittsverbot und will sich nun dagegen juristisch zur Wehr setzen. Rechtswissenschaftler für Verjährung bei Plagiatsverdacht Der Bonner Juraprofessor Wolfgang Löwer hat sich angesichts der sich mehrenden Plagiatsverdachtsfälle für eine Verjährungsfrist ausgesprochen. Die jüngsten Vorwürfe eines anonymen Plagiatsjägers richten sich gegen die Bundesbildungsministerin Anette Schavan, die vor 32 Jahren ihre Doktorarbeit abgab und auf 56 von 325 Seiten nicht korrekt zitiert haben soll. Löwer kann sich vorstellen, dass nach zehn Jahren eine Aberkennung der Doktorwürde trotz evidenter Fehler juristisch nicht mehr möglich sein soll. Er zieht damit eine Parallele zu der Bestandskraft der juristischen Staatsprüfung, die nach einem Jahrzehnt gilt. Push the Button Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, die im ECommerce beratend tätig sind, müssen ihre Mandanten darauf vorbereiten, dass die „Buttonlösung“ kommt. Seit dem 9.5. ist das Gesetz zur Änderung des BGB zum besseren Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher im elektronischen Geschäftsverkehr im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Konkret bedeutet das, dass ab 1.8. alle kostenpflichtigen Bestellvorgänge im Internet mit einem Knopfdruck erledigt werden sollen, bei denen aber explizit sämtliche Kosten ohne versteckte Zusätze mit dem Anklicken vorab erkennbar waren. Kostenfallen und ungewollte Abos sollen damit der Vergangenheit angehören. Nicht oben ohne Widerruf der Zulassung bei Vermögensverfall Weil er keinen Schlips trug, wurde der ehemalige Stadtrat Bernhard Fricke als Strafverteidiger beim Amtsgericht München am 26.4.2012 von der Ver handlung ausgeschlossen. Der zuständige Richter verwies den als engagierten Naturschützer tätigen Rechtsanwalt auf die landesrechtlichen Kleidungsvorschriften. Dort heißt es: „Die Amtstracht der Richter, der Staats- und Amtsanwälte, der Urkundsbeamten sowie der Rechtsanwälte besteht aus einer Vermögensverfalls sei nur dann widerlegt, wenn dem in Not geratenen Rechtsanwalt durch Beschluss vom Insolvenzgericht Restschuldbefreiung angekündigt wurde (§ 291 InsO) oder ein vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248 InsO) oder angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorliegt, bei dessen Erfüllung der Schuldner von seinen übrigen Forderungen gegenüber den Gläubigern befreit wird. Nach der gesetzlichen Wertung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO indiziere der Vermögensverfall die Gefährdung der Interessen der Ratsuchenden. Etwas anderes könnte sich aus der Gesamtwürdigung aller Umstände ergeben, für die jedoch der antragende Rechtsanwalt darlegungs- und beweispflichtig ist. Unwirksame Vergütungsvereinbarung bindend Ein Rechtsanwalt muss sich an eine Vergütungsvereinbarung halten, selbst wenn sie unwirksam vereinbart wurde. Eine Ausnahme dürfe es nur dann geben, wenn der Ratsuchende zuvor den Rechtsanwalt unter Vorspiegelung falscher wirtschaftlicher Angaben getäuscht und ihn dazu veranlasst hatte, unter die gesetzlichen Gebühren zu gehen. Das entschied das OLG München mit Urteil vom 2.5.2012 (Az. 15 U 2929/11 Rae). Im zu entscheidenden Fall hatte ein Rechtsanwalt eine unter den gesetzlichen Gebühren liegende Pauschalvergütung für die außergerichtliche und gerichtliche Sachbearbeitung mit dem Mandanten ausgemacht. Als Grund gab er an, er hätte seinem Mandanten wegen angespannter Finanzen entgegen kommen wollen. Nach Verfahrensabschluss stellte er seinem Mandanten jedoch die vollen gesetzlichen Gebühren in Rechnung. Ein solches Vorgehen sei unzulässig, so der 15. Zivilsenat des OLG München, denn Mandanten müssten sich grundsätzlich auf die vorgeschlagene Honorarreglung verlassen können, die ausschließlich Sache des fachkundigen Rechtsanwalts sei. ✍ Immer häufiger sind Zulassungsfragen im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Niedergang von Kanzleien ein Thema. So entschied der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 4.4.2012, Az. AnwZ (BrfG) 62/11, dass die Rechtsanwaltszulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu widerrufen ist, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kanzlei eröffnet worden ist. Die gesetzliche Vermutung des > [email protected] ADVOICE 02/12 39 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 40 Magazin Anwalt ohne Strategie ist wie Reisen ohne Karte Marketing: Das Wichtigste ist zielgruppenorientiertes Networking AdVoice: Gilt der alte Spruch „Wer nicht wirbt, der stirbt!“ noch – und gilt er auch für die Anwaltschaft? Wolfgang Zeiß: Ganz eindeutig: Ja, und das sogar mehr denn je. Allerdings muss der Begriff „werben“ erweitert werden. Es heißt vielmehr so: „Wer sich nicht strategisch positioniert und dementsprechend Wege einschlägt, stirbt!“ – oder er ist schon tot und hat es bloß noch nicht gemerkt. Die klassische Werbung ist ja nur eins der vielen Puzzlestücke, wenn es darum geht, Mandanten zu gewinnen. Das große Ganze, das jeder Unterneh mer anstreben sollte, ist ein effektives und individuelles Marketing. Nun kann man lange diskutieren, was „Marketing“ eigentlich ist oder was es nicht ist. Ich sage: Marketing ist all das, was der Umsatzsteigerung beziehungsweise der Steigerung der Mandantenzahlen dient. Das können auch mal Werbeanzeigen sein, aber es geht noch weit darüber hinaus. A: Welche Gemeinsamkeiten beziehungsweise welche Unterschiede gibt es beim Anwaltsmarketing im Vergleich zum „normalen“ MarketingKunden? Z: Die Gemeinsamkeiten sind offensichtlich: Der Anwalt als Organ der Rechtspflege agiert heute in einem Verdrängungswettbewerb und sollte seine Kanzlei als Unternehmer betrachten, das – wie alle anderen klassischen Marktteilnehmer auch – Marketing betreiben sollte. Der größte Unterschied liegt beim „Produkt“. Autohersteller bieten Autos an. Jeder Käufer kann, bevor er sich für einen Kauf entscheidet, das Auto Probe fahren. Er kann sich hineinsetzen und testen, ob die Sitze bequem sind. Was bietet der Rechtsanwalt an? Eine Beratungsleistung. Diese ist, im Gegensatz zum Auto, unsichtbar. Die Beratungsleistung kann man nicht beschnuppern, in die Hand nehmen oder schauen, ob sie einem steht – sie ist sensorisch nicht wahrnehmbar. Hier liegt die große Herausforderung, denn nichts ist schwerer zu vermarkten, als „unsichtbare“ Produkte. A: Welche Fehler werden beim (Kanzlei-)Marketing am häufigsten begangen? Z: Der Kardinalfehler ist, nicht zu wissen, wo man überhaupt hin will. Um effektives Marketing zu betreiben, muss man wissen, wo man steht, wer angesprochen werden soll, was die Fachkompetenzen sind oder wodurch man sich von Mittbewerbern abhebt. Der Anwalt muss sich folgende Fragen stellen: Was genau möchte ich anbieten? Wer ist die Zielgruppe? 40 ADVOICE 02/12 Wo ist der Zielmarkt? Wenn er das beantwortet hat, kann er sich strategisch auf dem Markt positionieren. A: Wie wichtig ist eine „Marketing-Strategie“? Z: Man kann die Relevanz eines strategischen Marketings gar nicht überbetonen. Im Bild gesprochen, ist ein Rechtsanwalt ohne Strategie ein Reisender ohne Straßenkarte, der sich an jeder Kreuzung überlegen muss, wohin er eigentlich möchte. Eine saubere Marketing-Strategie ist die entscheidende Basis für unternehmerischen Erfolg. A: Der Anwalt sollte sein: Einzelkämpfer oder Networker? Z: Einzelkämpfer werden es zukünftig weitaus schwerer haben als bisher. Ein zielgruppengerechtes Networking ist die einzige Möglichkeit, gegen Lawfirms und Großkanzleien zu bestehen. A: Wie kann ein effektives Networking aussehen? (Stichwort: „Konkurrenz“) Z: Wer Angst vor Konkurrenz hat, ist im falschen Beruf. Die Mitbewerber sind da und es werden laufend mehr. Statt immer nur darüber zu klagen, dass es ein Überangebot an Anwälten gibt, sollte man dies für sich nutzen! Es gilt, ein effektives Netzwerk zu schaffen, das von der Individualität und Spezialisierung der handelnden Persönlichkeiten profitiert. Die Einzigartigkeit eines solchen bedarfsgerechten Netzwerks ist ein entscheidendes Alleinstellungsmerkmal und somit ein klarer Marketing-Vorteil. A: Welche Trends lassen sich beim Kanzlei-Marketing ausmachen? Gibt es vielversprechende „unorthodoxe“ Methoden? Z: Einen wichtigen Trend haben wir gerade angesprochen: Die Vernetzung mit anderen Kanzleien. Aber auch Werbeaufkleber oder Give-Aways können Möglichkeiten sein. Bestimmend ist immer: Marketing muss gut durchdacht und zielgruppenorientiert sein. Sind meine Mandanten hauptsächlich Künstler oder Medienunternehmer, kann ich durchaus innovatives oder sogar schrilles Marketing betreiben. Berate ich hingegen vornehmlich Seniorenstifte, sollte es vielleicht nicht ganz so schrill ablaufen. Man sollte sich auch überlegen, wie Marketing möglichst viele Informationen bieten und dem potentiellen Mandanten Nutzen bringen kann. Eine witzige Idee hatte ein mir bekannter Rechtsanwalt, der sich auf die Beratung von Gastronomen spezialisiert hat. Um auf sich aufmerksam zu machen, ließ er Werbebierdeckel in Paragraphenform anfertigen, die er nun an Restaurants und Gaststätten verteilt. Die Möglichkeiten sind also unbegrenzt, doch auf jeden Fall sollte vor jeder Marketingaktion geklärt werden, ob diese auch rechtlich zulässig ist. A: Inwieweit ist der Mensch „hinter“ dem Anwalt der Schlüssel zum erfolgreichen Marketing? Z: Ich bin überzeugt, dass der „Mensch Anwalt“ tatsächlich der wichtigste Schlüssel zum Erfolg ist. Denn er vereint in sich alle klassischen Funktionen eines Unternehmens: Er ist zugleich Hersteller und Verkäufer seines „Produkts“ und muss alle Teilbereiche seines Unternehmens in einer Person managen. Hinzu kommt, dass nicht allein die Fachkompetenz den Erfolg bringen wird. Von immer größerer Bedeutung werden die sogenannten „weichen Merkmale“. Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Zuverlässigkeit, Kundenorientierung, etc. sind häufig entscheidende Abgrenzungsmerkmale zum Wettbewerber. A: Wie wird sich Ihrer Meinung nach der Markt in den nächsten zehn Jahren verändern? Welche Anforderungen an die Anwaltschaft werden hinzukommen? Z: Der Anwalt wird natürlich auch in zehn Jahren noch benötigt werden. Allerdings gibt es schon jetzt ein Überangebot an Rechtsanwälten und die Neuzulassungen werden weiter steigen, nur nicht so stark wie in letzter Zeit. Angesichts dieses Überangebots und des permanent sinkenden Anteils der „forensischen“ Anwaltstätigkeit wird die größte Herausforderung für die Anwaltschaft sein, „nach vorne zu denken“. Das bedeutet, dass die pro-aktive Beratung zunehmen muss. Der Anwalt darf nicht erst dann tätig werden, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Er muss vorher aktiv werden und so beraten, dass es erst gar nicht zum Rechtsstreit kommt. Unternehmer denken immer nach vorne, die Anwaltschaft sollte zukünftig einen Schwerpunkt in der Mandantenberatung sehen und eine klare strategische Marktpositionierung anstreben. Zusammenfassend würde ich sagen, dass in Zukunft der Anwalt mehr an, als in der Kanzlei arbeiten wird. Das Interview führte RA Velimir Milenkovic, München Wolfgang Zeiß ist Gesellschafter und Geschäftsführer der RS-Gruppe, Frankfurt/M., > www.rs-gruppe.org Die Anwältin und Künstlerin Inger-Kristina Wegener hat den DAT künstlerisch bearbeitet. Sie lebt in Bödelsdorf in Schleswig-Holstein. AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 41 DAT 2012 DAT 2012 BERICHTE UND BILDER 41 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 42 DAT 2012 OLG-Richter trifft Jura-Hirschhausen „DAT für Einsteiger“ auf dem 63. Deutschen Anwaltstag in München Erstmalig gab es auf dem diesjährigen Deutschen Anwaltstag (DAT) eine speziell auf Erstteilnehmer und Berufseinsteiger zugeschnittene Veranstaltung mit dem Titel „DAT für Einsteiger“. Dort trafen die Frischlinge des Anwaltsberufs auf Vertreter des FORUMs Junge Anwaltschaft. Mitveranstalter war neben dem FORUM die Arbeitsgemeinschaft Allgemeinanwalt. In praxisbezogenen Fachvorträgen schafften es OLG-Richter Dr. Nikolaus Stackmann (München) und Großkanzleianwalt Prof. Dr. Peter Bräutigam (München), auf informative und unterhaltsame Weise über wichtige anwaltliche Schlüsselqualifikationen zu sprechen. Es ging um das Schreiben, Reden und Schweigen im Zivilprozess sowie um die Verhandlungskunst. Auf einem Kongress wie dem Deutschen Anwaltstag kann man sich anfangs ein bisschen verloren fühlen. Dieses Jahr reichte die Teilnehmerliste bis zur Zahl 1.101 hinauf. Dementsprechend wuselten die Anzugsträger durch den Gasteig, das große Münchener Kultur- und Bildungszentrum. Anzüge und Rollkoffer haben ja nicht unbedingt die Eigenschaft, menschliche Wärme und Kontaktfreude zu vermitteln. Die nonverbale Kommunikation lautet eher: Sprich mich nicht an, ich bin beschäftigt, habe Wichtigeres zu tun und mit wichtigeren Leuten zu reden. Der Eindruck täuscht aber. Auf einem Anwaltstag kommt man schnell mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten ins Gespräch. Und mit etwas Glück plauscht man plötzlich beim Abendessen mit dem DAV-Präsidenten Prof. Dr. Wolfgang Ewer oder schüttelt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Hand. Wie aber macht man als Neuling den ersten Schritt, der ja – Platitüde hin oder her – der schwierigste ist? Hilfreich ist es, Gleichgesinnte zu finden und auf diese zuzugehen. Dabei half die Veranstaltung „DAT für Einsteiger“. Nach einer Begrüßung durch die Vizepräsidentin des DAV, Edith Kindermann, stellte Silke Waterschek die Nachwuchsorganisation des Anwaltvereins, das FORUM Junge Anwaltschaft, vor. In diesem ist Waterschek Vorsitzende des geschäftsführenden Ausschusses: „Wichtig am FORUM ist der Netzwerkcharakter. Wir helfen uns gegenseitig bei allen Fragen.“ Dies gilt für den DAT, aber natürlich auch allgemein. Beispielsweise gibt es eine Mailingliste, über die Fragen aller Art gestellt werden können, und die hilfsbereite Kollegen meist innerhalb kürzester Zeit beantworten. Dr. Nikolaus Stackmann referierte über Schreiben, Reden und Schweigen im Zivilprozess auf dem „DAT für Einsteiger“. 42 ADVOICE 02/12 Waterschek stellte auch die anwesenden Regionalbeauftragten des FORUMS vor. Diese organisieren in den LG-Bezirken Stammtische, bei denen Berufseinsteiger wichtige Informationen erhalten können. Nützlich war zudem Waterscheks weiterer Hinweis: „Im Forum sind wir alle per Du.“ Denn es ist nicht nur so, dass persönliche Vertrautheit zum Duz-Verhältnis führt. Es funktioniert auch umgekehrt. Das Duzen erleichtert das vertrauensvolle, persönliche Gespräch. Dies zeigte sich im Laufe des Tages und des gesamten Anwaltstags auf angenehme Weise. Nachdem auch DAV-Geschäftsführer Manfred Aranowski einleitende Worte gesprochen hatte, folgten zwei Fachvorträge. OLG-Richter Dr. Nikolaus Stackmann hatte ein praxisbezogenes Vortragsthema gewählt: „Silber und Gold – Über Schreiben, Reden und Schweigen im Zivilprozess“. Inhaltlich muss man nicht viel sagen, es lässt sich alles in der AdVoice nachlesen (siehe S. 47). Der erste Teil des Vortrags ist in dieser Ausgabe erschienen. Drei weitere Teile folgen in den nächsten Heften. Dr. Nikolaus Stackmann hatte seinen Vortrag vorzüglich vorbereitet und ein umfangreiches Handout mit Gliederung und Verweisungen auf einschlägige AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 43 DAT 2012 Rechtsprechung ausgegeben. Sein Vortragsstil war schnörkellos und klar. Seine Ausführungen sachund praxisbezogen. Er ist niemand, der auf Effekte aus ist: „Ich weiß, dass ich keine Witze erzählen kann. Deshalb lasse ich es bleiben.“ Man muss sich Stackmann als einen guten Richter vorstellen. Die Fragen, in welchen Fällen man mit dem Mandanten im Prozess erscheinen sollte und was bei drohender Verspätung zu tun ist, um ein Versäumnisurteil zu vermeiden, behandelte Stackmann unter den Gliederungspunkten „Zu zweit kommen?“ und „Zu spät kommen?“. Dabei huschte einigen Junganwälten ein verträumtes Lächeln über das Gesicht. Der OLG-Richter blieb aber auch hier beim Thema. Stackmann hatte zu Beginn seines Vortrags von der Angst des Redners gesprochen, am Ende mit nichts dazustehen. Diese Angst war unbegründet. Am Ende hatten die Zuhörer eine Fülle praktisch umsetzbarer Anregungen erhalten. Im Anschluss an den Vortrag sollte Stackmann die Frage beantworten, was ihn am meisten an Anwälten nerve. Vor allem nervten ihn Anwälte, die schreien, Emotionen hochschaukeln, drohen und nicht zur Zusammenarbeit mit dem Gericht bereit sind. Auf die Frage, welche Show in den Zivilprozess passe, antwortete er denn auch konsequent: „Keine!“ Ironischerweise war der den zweiten Vortrag haltende Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Bräutigam ein Showman wie er im Buche steht. Münchener, laute Dialektstimme und das, was man in Bayern ein gestandenes Mannsbild nennt. Bräutigams Thema war „Verhandeln – Von Hollywood lernen“. In formaler Hinsicht ließe sich einiges kritisieren. Der Vortrag gehörte zum Genre der PowerPoint-Orgie. Die zahllosen Folien folgten Schlag auf Schlag und nicht unbedingt einer stringenten Gliederung. Zudem waren sie zumeist nicht auf das Wesentliche reduziert. Um den vorgesehenen Zeitplan einhalten zu können, sprach Bräutigam daher jeweils nur Teile des schriftlich Festgehaltenen an. Dennoch kam der Vortrag – zu Recht – glänzend an. Das lag in erster Linie an Bräutigams Persönlichkeit. Der Mann hat Humor und Charme, keine Frage. Sein Vortrag war zu einem guten Teil bayrische Comedy, er selbst so etwas wie die Mischung aus einem Michael Mittermeier der Juristerei und einem bayrischen Jura-Hirschhausen. Die humoristische Wirkung des Vortrags lässt sich nur schwer beschreiben. Auf Dialektsprache basierender Humor entzieht sich mehr noch als jeder andere der schriftlichen Fixierung. Das Publikum hat aber viele Male herzlich gelacht. Inhaltlich sprach Bräutigam einige wichtige Aspekte der Verhandlungskunst an, zumeist in schlagwortartiger Form. Man dürfe andere in Verhandlungen nicht persönlich angreifen, sondern müsse „tough on the issue“, aber „soft on the person“ sein. Zudem müsse man auch mal geduldig aushalten, wenn die Gegenseite Dampf ablässt. Das Motto dazu lautet: „Sei wie ein Esel. Man mag dich schlagen, aber du bewegst dich keinen Millimeter.“ sondern ein guter Zuhörer zu sein. Auch solle man versuchen, sich in die andere Seite hineinzuversetzen und deren Stimmung exakt zu formulieren. Das sogenannte „Spiegeln“, d. h. das Nachahmen des Verhaltens des Verhandlungspartners, sah Bräutigam skeptisch. Denn dieses nerve teilweise. Eine gegenüber Männern häufig funktionierende Verhandlungsstrategie sei die „Strategie der schönen Frau“. Gemäß dieser setzen Frauen ihre optischen Reize manipulativ ein, um Verhandlungsziele zu erreichen. Die genannten Punkte illustrierte Bräutigam mit Ausschnitten aus dem Film „Erin Brockovich“ von Steven Soderbergh, in dem Julia Roberts die Hauptrolle spielt. Das war sowohl passend als auch höchst unterhaltsam. Am Ende gratulierte ein Zuhörer Bräutigam zu seinem Vortrag, worauf dieser erwiderte: „I mochs halt imma a bissl lustig, weil ernst, des holt i ned aus.“ Dafür waren ihm die Zuhörer am Ende dieses lehrreichen Nachmittags sehr dankbar. Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin DAT 2013 Der DAT 2013 wird vom 6. bis zum 8. Juni in Düsseldorf stattfinden. Bräutigam betonte zudem, dass es in Verhandlungen wichtig sei, nicht zu viel selbst zu reden, Helge Heiner und Silke Waterschek vom FORUM mit Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Fotos: Andreas Burkhardt ADVOICE 02/12 43 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 44 DAT 2012 Am Anfang schweißgebadet Anwälte diskutieren auf dem DAT über die Kunst, Anwalt zu werden Es ist eine Kunst, Anwalt zu werden. Eine ebensolche ist es, klug und gescheit darüber zu reden. Auf dem 63. Deutschen Anwaltstag in München diskutierten die Rechtsanwälte Silke Waterschek (Heilbronn), Jürgen Widder (Bochum) und Dr. Christoph Triltsch (Lübeck) über Anwaltsberuf und -ausbildung sowie die Frage, was ihn denn ausmacht, den guten Anwalt. Es entwickelte sich ein anregendes und kurzweiliges Gespräch, an dem sich auch das Publikum engagiert beteiligte. Rechtsanwältin Sabine Gries-Redeker (Bonn) moderierte nicht nur die Diskussion, sondern nahm auch selbst Stellung. Aufgeregt waren sie alle beim ersten Mandat, beim ersten Mal vor Gericht. „Schweißgebadet“ trat Sabine Gries-Redeker dem Gericht gegenüber. Und Jürgen Widder war froh über seine Robe, die den Blick auf die Flecken unter seinen Achseln verdeckte – was im Übrigen der Diskussion über das Tragen der Amtstracht eine neue Note verleiht. Dass auch der Schweiß zur Kunst gehört, weiß der klassisch gebildete Jurist aus Schillers „Lied von der Glocke“. Zu viel Schweiß könnte aber dafür sprechen, dass Studium und Referendariat nur unzureichend auf den Anwaltsberuf vorbereiten. Silke Auch abseits des Podiums wurde auf dem DAT diskutiert. 44 ADVOICE 02/12 Waterschek hielt das Referendariat für „zu wenig praxisnah“. Damit war die alte Frage nach der Qualität der juristischen Ausbildung aufgeworfen. Diese bestimmte die Diskussion über weite Strecken. Kann der frisch gebackene Assessor genug, um der Kunst des Anwaltsberufs gerecht zu werden? Bereits im Studium sahen die Diskutanten Defizite. Dr. Christoph Triltsch meinte, das Studium habe ihn gelehrt, juristisch zu denken und unbekannte Sachverhalte zu lösen. Das wirtschaftlich hochbedeutsame RVG sei aber niemals thematisiert worden. Waterschek wies darauf hin, dass die vorgefertigten Sachverhalte nicht der beruflichen Realität entsprächen. Die Frage „A schießt B vom Baum. B ist tot. Wie ist die Rechtslage?“ stelle sich in der anwaltlichen Berufspraxis doch eher selten. Aus dem Publikum stimmte Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe (Berlin) zu. Er plädierte dafür, das Herausarbeiten und Zusammenfassen von Sachverhalten schon vom ersten Semester an zu üben. Zudem sprach er sich für Rhetorik als Studieninhalt aus. Für das Referendariat forderte Waterschek mehr Praxisbezug durch Workshops, die speziell auf anwaltliche Kompetenzen zugeschnitten sind. Außer- dem hielt sie die Behördenausbildung für überflüssig, wenn man sich für das Berufsziel Rechtsanwalt entschieden habe. Da wollten ihr die anderen Diskussionsteilnehmer nicht zustimmen. Gries-Redeker wies darauf hin, dass sie bei der Verwaltungsbehörde gelernt habe, dass auch das öffentliche Recht Spaß machen kann. Diese Erfahrung helfe ihr auch heute noch weiter. Und Triltsch gab an, dass er nach der Verwaltungsstation zumindest wusste, wohin die berufliche Reise nicht gehen sollte. Im Laufe der Diskussion führten einige Zuhörer aus, dass die Verbesserungsvorschläge zum Teil bereits Realität seien. An den Universitäten gebe es Rhetorikkurse und im Referendariat eine Vielzahl an Workshops mit praxisbezogenen Themen. Zudem müsse eine neunmonatige Anwaltsstation doch eigentlich ausreichen, um die für den Berufsstart erforderlichen Kenntnisse zu vermitteln. Sind also die juristischen Examina schuld an der Misere? Die These lautete, dass die angehenden Volljuristen die anwaltsbezogenen Lernangebote nicht annehmen, weil sie sich aus Angst bzw. Respekt vor den Staatsexamina ausschließlich auf diese konzentrieren. Triltsch konnte dem für seine eigene AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 45 DAT 2012 Person zustimmen. Gleichzeitig bedauerte er im Rückblick die verpassten Lernchancen. Waterschek äußerte, dass den Studenten vom ersten Semester an eingebläut werde, dass die Examensnote den Juristen das ganze Leben begleite und die Karriere festlege. Da sei es klar, dass die Prüfungsvorbereitung während der Ausbildung im Zentrum stehe. Im Publikum gingen die Meinungen zur Prüfungsangst-These auseinander. Eine grundlegende Reform des Prüfungssystems wurde teilweise abgelehnt. Schließlich sei die Ausbildung in Deutschland „gut“. „Never change a winning team“ heißt das im Sport. Aber sind die Staatsexamina tatsächlich ein „winning team“? Im wirklichen Leben und außerhalb der Regeln des Sports lassen sich Sieg und Niederlage oft nicht eindeutig unterscheiden. Besser müsste es eigentlich immer gehen. Deshalb kam es zu zwei Reformvorschlägen, die das Prüfungsverfahren betrafen. Gries-Redeker schlug der Runde vor, den Prüfling vom „Leiden unter der Stoffmenge“ zu entlasten und mehr Methodik als Faktenwissen zu prüfen. Dieser Vorschlag lässt sich folgendermaßen konkretisieren: Einerseits müsste man sich auf einen klar definierten Stoffkern einigen, der als Präsenzwissen vorausgesetzt werden kann, und der im Umfang nur einen Bruchteil des gegenwärtigen Prüfungsstoffs darstellt (z. B. allgemeine Teile der Gesetze, Systematik, Grundsätze). Andererseits müssten in der Prüfung exotische Gesetze geprüft werden, auf die man sich nicht vorbereiten kann. Der Prüfling wäre dann gezwungen, mit seinem juristischen Handwerkszeug neue Argumente zu entwickeln, anstatt nur vorgefertigte Argumentationslinien herunterzubeten. Kreativität ginge über Gedächtnis. Gries-Redekers Vorschlag klingt vernünftig. Wie unsinnig es ist, jahrelang Fakten und Theorien zu pauken, leuchtet jedem ein, der beim Einstieg in den Beruf feststellt, dass er den (zweimal!) auswendig gelernten Prüfungsstoff – soweit es nicht um Grundwissen geht – nur selten gebrauchen kann, weil sich in jedem neuen Fall gänzlich neue Rechtsfragen stellen. Ganz zu schweigen davon, dass das gelernte Wissen ohnehin schnell in Vergessenheit gerät, wenn es nicht mehr regelmäßig aktiviert wird. Prof. Rabe forderte in einem zweiten Reformvorschlag: „Die Abschaffung des Zweiten Staatsexamens. Das ist mein Credo!“. Die zweite Staatsprüfung behindere die Ausbildung. Die Referendare könnten wegen des drohenden Examens die Anwaltsstation nicht ausreichend zur Ausbildung nutzen, sondern seien gezwungen auf „Tauchstation“ zu gehen und Übungsklausuren zu schreiben. Ein Staatsexamen reiche, um festzustellen, ob jemand ein guter Jurist sei. Wann aber ist man nicht nur ein guter Jurist, sondern auch ein guter Anwalt? Beides fällt nicht automatisch zusammen. Gries-Redeker wies darauf hin, dass ein Anwalt neben Fachkenntnissen auch menschliche und soziale Eigenschaften benötige. Sie habe den Fall eines hervorragenden Juristen erlebt, der für den Anwaltsberuf nicht zu gebrauchen war, da er „Verachtung für die Mitmenschen nach außen trug“. Ein Anwalt dürfe nicht nur an Auf dem Podium diskutierten Sabine Fries-Redeker, Jürgen Widder, Dr. Christoph Triltsch und Silke Waterschek. die eigene Karriere denken, sondern müsse sich auch für die Idee der Gerechtigkeit begeistern. Er müsse zudem empathisch sein und Freude an der Wahrnehmung fremder Interessen haben. Widder äußerte, dass auch die Fähigkeit, das Recht für den Mandanten in eine einfache Sprache zu übersetzen, zur Anwaltskunst gehöre. Außerdem sprach er sich dafür aus, die Anwaltskollegen nicht in erster Linie als Konkurrenten zu sehen, sondern gemeinsam daran zu arbeiten, dass das Niveau anwaltlicher Arbeit insgesamt hoch ist. Das sei für das Ansehen des Berufsstandes wichtig. Fachliche Kompetenz und menschliche Qualitäten, ein offenes und kontaktfreudiges Wesen, Einfühlungsvermögen, wirtschaftliches Denken und Organisationstalent machen den guten Anwalt aus. Darauf konnten sich letztlich alle einigen. Und eine Prise Sportsgeist schadet auch nicht. Der auf Zuhörerseite sitzende Dr. Thilo Wagner (Ravensburg) formulierte es so: „Du musst gewinnen wollen, dann kannst du Anwalt werden!“ Dem möchte man im Geiste der Diskussion zurufen: Gewinnenwollen ja, aber mit Fairplay und nicht um jeden Preis. Ass. iur. Matthias Dantlgraber, Berlin > [email protected] Fotos: Andreas Burkhardt ADVOICE 02/12 45 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 46 DAT 2012 Verhandeln nach Drehbuch Lehrfilme sind Erin Brockovich und Pulp Fiction Kinofilme sind idealer Lernstoff, um dem Verhandlungsziel näher zu kommen. Verhandeln ist eine Kulturtechnik, die sich über viele Disziplinen erstreckt und zahlreiche ganz unterschiedliche Fähigkeiten erfordert. Um diesen komplexen interaktiven Prozess leicht fassbar darzustellen, braucht es mehr als nur Worte. In seinem diesjährigen DAT-Vortrag „Verhandeln nach Drehbuch“ beschritt RA Prof. Dr. Peter Bräutigam deshalb einen neuen Weg und veranschaulichte die Stationen und die jeweils angemessenen Vorgehensweisen anhand von Szenen aus bekannten Kinofilmen. Der Vortrag basiert auf dem Buch „Verhandeln nach Drehbuch – Aus Hollywood-Filmen für eigene Ver- Foto: Robert Blanken_pixelio.de handlungen lernen", das er zusammen mit Dr. Agnes Kunkel und Elmar Hatzelmann veröffentlicht hat. Wall Street, der Finanzkrimi über betrügerische Machenschaften an der New Yorker Börse. Naturgemäß sind Verhandlungen Situationen voller (An-)Spannung, Überraschung und Dynamik. Gerade diese, den meisten Menschen eher unbehaglichen Aspekte, nutzen jedoch geschickte Verhandler, um ihren eigenen Verhandlungszielen näher zu kommen. Kinofilme sind hier ideal, um die Dreh- und Angelpunkte von Verhandlungen zu veranschaulichen. Erin Brockovich, eine Tatsachenverfilmung über den erfolgreichen Kampf einer kleinen Anwaltsgehilfin für die angemessene Entschädigung der Opfer eines großen Umweltskandals. Diese vier Filme könnte man – so Peter Bräutigam – in diesem Sinne schon fast als Lehrfilme zum Verhandeln betrachten: Der Pate, der Klassiker über Loyalität und Verrat im organisierten Verbrechen mit Marlon Brando in seiner Glanzrolle als Mafiaboss. Pulp Fiction, der schräge Kultfilm über den „Alltag“ kleiner Auftragskiller der Unterwelt von Los Angeles. ANZEIGE Warengutschein! 10.00 € - Warengutschein! Überzeugen Sie Sie s i ch s elbst! Überzeugen sich selbst! 3 % I N TE R N E T- R A BAT T Bei Angabe des nachfolgenden Aktionscodes: erhalten Sie in unserem Internet-Shop einmalig einen 10 € - Warengutschein. Geben Sie den Code im Warenkorb (bei „Adresseingabe“) ein. Die Aktion ist zeitlich begrenzt bis zum 28.09.2012. Te l e f o n 03 0 / 32 77 5 5 32 46 ADVOICE 02/12 K E I N M I N D E S TB E S TE LLW E R T K E I N E PAUS C H A LE N K E I N E V E R SA N D KO S TE N A B 4 5 € | w w w. a d vo - d i sco u nt . d e AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 47 DAT 2012 Silber und Gold Über Schreiben, Reden und Schweigen im Zivilprozess Gegenstand des Beitrags, der auf einem Vortrag zum Deutschen Anwaltstag 2012 basiert, ist die Kommunikation mit Gericht und Gegner im Zivilprozess. Zunächst geht es um die Abfassung und Gestaltung von Schriftsätzen im Vorfeld eines Termins, im Wesentlichen also Klage- und Klageerwiderung. Im Weiteren wird das Auftreten im Termin behandelt. Der letzte Teil ist Erklärungen nach Schluss der mündlichen Verhandlung und in der Rechtsmittelinstanz gewidmet. I. Einleitung aus seinem Schriftsatz. Denn Hektik ist kein guter Berater, wenn es darum geht, ob in einem Schriftsatz die Grenzen des Anstandes noch gewahrt sind. Ich habe nicht nur einen mit heißer Nadel gestrickten Schriftsatz gesehen, dessen Verfasser die Gäule so durchgegangen sind, dass er gegenüber der Gegen seite die Grenze zur strafbaren Beleidigung überschritten hat. Meine Anregung betrifft aber nicht diese seltenen Fälle. Denn es geht darum, mit den schriftsätzlichen Ausführungen Gehör zu finden. Da spielt natürlich – aber eben nicht ausschließlich – die Wahrnehmung der eigenen Partei eine Rolle. Diese muss für den mandantenorientierten Rechtsanwalt natürlich im Vordergrund stehen. Thema meiner Ausführungen ist nicht die Goldprämierung anwaltlichen Schweigens. Eine solche Erwartung würde auf zwei Fehlvorstellungen beruhen: Schweigen bedeutet im Gerichtsalltag nicht „Nichts“, sondern kann durchaus Erklärungswert haben und sollte daher gezielt eingesetzt werden. Zum anderen haben Richter kein so großes Interesse an untätigen Rechtsanwälten, wie es manchmal scheinen mag. Ohne Rechtsanwälte und deren Klagen wären Richter nämlich brotlos. Ein „Bankenanwalt“ hat es einmal in Bezug auf Anlegerklagen gegen Banken so formuliert: „Ich bin dankbar für jeden Klägervertreter und jede Klage, weil ich sonst nicht für die Beklagten arbeiten kann.“ Im Übrigen hat jeder Richterkollege schon Versäumnisurteile erlassen müssen, bei denen er im Hinblick auf den Inhalt des im Ergebnis schlüssigen Klagevortrag – vorsichtig ausgedrückt – „Bedenken“ hatte. Wichtig ist es aber auch, vom Gericht nicht nur gehört (jeder Richter nimmt Schriftsätze „z. K.“), sondern auch verstanden zu werden. Das gelingt besonders gut mit einer unaufgeregten Darstellung, die den zu beurteilenden Sachverhalt schildert und – so noch nötig – die notwendigen rechtlichen Schlüsse darlegt. Es sollte also z. B. nicht durchgehend von dem mehrfach vorbestraften Kläger die Rede sein. Dennoch kann dieses Detail für den Sachverhalt von Bedeutung sein. In diesem Fall könnte es heißen, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt mit einschlägigen Betrügereien bestreite, wie auch zu Lasten des Beklagten geschehen. Er habe bei den Kaufvertragsverhandlungen versichert, der zu erwerbende Pkw habe einen Kilometerstand von 5.000. Tatsächlich sei schon der Kläger selbst mit dem Auto 70.000 Kilometer gefahren. II. Vor der Sitzung: Schreiben Auf klare Sprache achten „Am Anfang war das Wort … das gilt auch für den Zivilprozess, nur dass hier am Anfang ein Aneinanderreihung von Worten steht, nämlich die Klageschrift. Darauf folgen weitere Worte, für alle gilt: Wenn der Wunsch, mein Wort in Richters Ohr, Rea lität werden soll, ist es ratsam, sich auf das zu besinnen, was man über Worte und deren Wirkung weiß. 1. ALLGEMEINES ZU SCHRIFTSÄTZEN Wichtig ist es aber auch, dass der Schriftsatz sprachlich verstanden wird. Deshalb sollten Fremdworte nur dann benutzt werden, wenn es sicher ist, dass diese von den Adressaten des Schriftsatzes auch verstanden werden. Berücksichtigt man dazu, dass in gerichtlichen Entscheidungen wegen der erforderlichen Allgemeinverständlichkeit Fremdworte so gut wie keinen Platz haben, sollte man klare, verständliche Formulierungen wählen, mit denen sich auch das Gericht verständlich machen könnte. Der Ton macht die Musik, so haben wir es alle einmal gelernt. Dieser Gedanke gilt natürlich auch für das schrift(sätz)liche Wort. Zu empfehlen ist also eine ausgewogene, aber nicht langweilige Sprache. Wer mit Emotionen temperamentvoll diktiert, schläft am besten eine Nacht über seinen Formulierungen und streicht am nächsten Tag unnötig starke Worte Natürlich gibt es technische Fachgebiete, wie etwa das Baurecht, in denen sich eine eigene Fachsprache etabliert hat. Diese kann dann gegenüber Eingeweihten benutzt werden und dient gelegentlich auch als Ausweis besonderer Sachkundigkeit. Es sollte jedoch bedacht werden, dass eine solche Sprache außerhalb des Kreises der Sachkundigen * regelmäßig unverstanden bleibt. So kann der erfahrene Baurechtler natürlich verstehen, was gemeint ist, wenn es heißt, dass in dem Feuchtbiotop gelegene Wohnhaus sei ohne weiße Wanne errichtet worden. Ist der Schriftsatz an eine Spezialkammer für Bausachen adressiert, kann der angedeutete Baumangel in wenigen Sätzen geschildert werden. Dies setzt allerdings voraus, dass man sich vergewissert, dass der Schriftsatz auch tatsächlich bei der Spezialkammer landet. Dies wäre z. B. beim LG München I nur der Fall, wenn sich die Klage gegen die Bauausführenden bzw. -planenden richtet. Soll es aber gegen denjenigen gehen, der das Haus an den Mandanten verkauft hat, ist die Zuständigkeit einer allgemeinen Zivilkammer so gut wie sicher, wenn der Verkäufer am Bau nicht mitgewirkt hat. Für jeden Schriftsatz gilt die im Berufsalltag manchmal verdrängte Regel, erst denken, dann … schreiben. 2. KLAGESCHRIFT Klageschriften leiten das Verfahren ein und werden im Gericht zu allererst von Mitarbeitern aus dem nichtrichterlichen Dienst bearbeitet. Daher sollte auf eine übersichtliche Gestaltung des Rubrums und der Schriftsatzeinleitung höchster Wert gelegt werden. Bevor ein neues Verfahren erstmals dem Richter vorgelegt wird, muss es zuvor durch die Gerichtsverwaltung aktenmäßig erfasst werden. Nach Eingang eines nicht bereits mit einem Aktenzeichen versehenen Schriftstückes wird dieses der allgemeinen Einlaufstelle vorgelegt. Anschließend wird nach Ausscheiden der die Strafabteilung betreffenden Eingaben in der Zentralregistratur für Zivilsachen zunächst geprüft, ob ein bereits anhängiges Verfahren betroffen ist. Nach dieser Einordnung ist weiter zu prüfen, ob es sich um eine mehreren Kammern zugeordnete all gemeinere Angelegenheit handelt oder ob eine Spezialmaterie betroffen ist, für die eine bestimmte Kammer zuständig ist. Hat der Mitarbeiter schließlich den seiner Meinung nach zuständigen Spruchkörper gefunden, wird das gesamte Aktenzeichen gebildet. Vorangestellt ist die Ordnungsnummer des zuständigen Spruchkörpers, gefolgt vom Registerzeichen und der fortlaufenden Registrierung der im laufenden Geschäftsjahr eingegangenen Verfahren. Überarbeitetes Manuskript des am 13.6.12 anlässlich der Veranstaltung „DAT für Einsteiger“ gehaltenen Vortrags, die Vortragsform wurde beibehalten. Fortsetzung auf Seite 48-49 ADVOICE 02/12 > 47 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 48 DAT 2012 Geschäftsverteilung ist im Internet einsehbar Zweifelsfragen lassen sich heute meist über das Internet klären, weil die Geschäftsverteilung vieler Gerichte über deren Homepage abrufbar ist. Bei verbleibender Unsicherheit und besonders eiligen Verfahren empfiehlt sich allerdings die persönliche Übergabe der Klage- oder Antragsschrift in der Zentralregistratur. Dort kann die Frage der gerichtsinternen Zuständigkeit mit den Mitarbeitern des Gerichts geklärt werden. Diese werden regelmäßig daran interessiert sein, Klarheit zu schaffen, weil die korrekte Erfassung der Verfahren zeitaufwendige Umtragungen im Verfahrensregister zu vermeiden hilft. Auch wenn sich der Verfasser einer Klageschrift hinsichtlich der Zuständigkeit sicher ist, werden die Mitarbeiter der Einlaufstelle anhand des Inhalts der Klageschrift prüfen, welcher Spruchkörper zuständig ist. Deshalb ist ein Einleitungssatz der Klageschrift wichtig, der die Zuständigkeit nochmals hervorhebt: „Der Kläger verlangt von der beklagten Bank die Auszahlung des von dieser mit der Begründung ‚Vorfälligkeitsentschädigung’ einbehaltenen und nun eingeklagten Betrags.“ oder: „Die Klägerin verlangt von den beklagten Bauherren die Bezahlung ihrer Schlussrechnung für die Errichtung von deren Wohnhaus in München.“ oder: „Die Kläger verlangen von dem beklagten Rechtanwalt wegen diverser Beratungsfehler Schadensersatz.“ Es kann aber auch heißen: „Der Kläger verlangt vom Beklagten nach dem Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeuges Schadensersatz“. Schließlich sollte sich die Angabe des Streitwerts auf dem Deckblatt der Klage befinden. Die Angabe ist unerlässlich, da die gerichtliche Festsetzung in der Regel auf dieser basiert und nicht anfechtbar ist (s. a. § 61 GKG). Nach OLG Koblenz, NJW-RR 2008, 499 kann die vorläufige Wertfestsetzung nicht isoliert, sondern nur in Verbindung mit einer Vorschussanforderung angefochten werden. Ein Rechtsmittel gegen die vorläufige Streitwertfestssetzung ist danach nicht statthaft1. Konzentration bei der Antragstellung Wichtig ist es, ggf. auf dem Deckblatt einer Klageschrift zu vermerken, dass sich in dieser weitere Anträge befinden, die eine von der üblichen Routine – Zustellung der Klage an die im Rubrum genannten Beklagten – abweichende Sachbehandlung erfordern. Genannt seien etwa in der Klageschrift „versteckte“ Streitverkündungen oder Eilanträge (sofortige Ein stellung der Zwangsvollstreckung bei der Vollstre ckungsgegenklage). Anschließend sollte die volle Konzentration der Antragstellung gelten. Hier ist selbst bei Routinevorgängen das kontrollierende Hinzuziehen eines 48 ADVOICE 02/12 Formularbuches zu empfehlen. Denn gerade bei Antragsannexen wie etwa der Verzugsfeststellung oder der Ordnungsgeldandrohung bei Unterlassungsklagen, kommt es immer wieder dazu, dass die Antragstellung vergessen wird. Geht es im Hauptantrag nicht um Geldzahlungen, muss dem Bestimmtheitsgrundsatz Aufmerksamkeit gewidmet werden. Man sollte sich bei Herausgabeklagen immer vorstellen, man sei der Gerichtsvollzieher, der den angestrebten Titel vollstrecken soll. Dieser kann bei einem Privatmann sicher die Herausgabe von dessen ungenau bezeichneten Pkw durchsetzen, wenn dieser nur einen hat. Das kann sich bei einem Gebrauchtwagenhändler, der sich möglicherweise auf ein bestimmtes Fabrikat spezialisiert hat, schon ganz anders verhalten. Insoweit ist das Gericht aber zur Mithilfe und Hinweiserteilung verpflichtet. In BGH NJW 2006, 695, Rdn. 14 heißt es dazu: „Das Gericht hat nach § 139 ZPO in jeder Lage des Verfahrens auf eine von ihm als sachdienlich angesehene Antragstellung hinzuwirken“. Sachverhalt knapp und zutreffend schildern Zum Inhalt der Klageschrift gilt, dass in dieser zunächst nur der anspruchsbegründende Sachverhalt und sonst nichts anzuführen ist. Es ist überflüssig und gefährlich, sich in dieser bereits mit den vom Gegner vorgerichtlich vorgebrachten Einwänden auseinanderzusetzen. Wer z. B. erwähnt, der Gegner habe Verjährung eingewandt, setzt sich bei der Schlüssigkeitsprüfung des Gerichts vor Erlass eines Versäumnisurteils der Gefahr aus, dass das Gericht ein solches nicht erlässt, weil der Verjährungseinwand nach der eigenen Schilderung des Klägers zutreffend erhoben worden sei. Ähnlich bitter ist es, wenn sich die die Fälligkeit der Klageforderung hindernde fehlende Abnahme bei der Werklohnklage schon aus den Ausführungen des Klägervertreters ergibt. Es gilt also, den Sachverhalt knapp und zutreffend zu schildern. Als Beispiel mag die Beitreibungsklage eines Lieferanten dienen, dessen Abnehmer die letzten Rechnungen nicht bezahlt hat. Schlüssig ist eine solche Klage bereits dann, wenn sie mitteilt, dass die in den als Anlage K 1 bis K 5 beiliegenden Rechnungen aufgeführten Waren aufgrund Bestellung des Beklagten zu den in den als K 6-10 beigefügten Lieferscheinen ausgewiesenen Daten übergeben worden seien, daher werde die Klageforderung geschuldet. In dieser Klage müssen keine Ausführungen zum Inhalt der Schriftstücke K 1-10 erfolgen, da sie lediglich den schlüssigen Inhalt der Klageschrift belegen. Es gilt der Grundsatz: aus BVerfG NJW 1994, 2683: „Es ist keineswegs so, dass die Richter aus den Anlagen selbst hätten zusammensuchen müssen, wie die geltend gemachte Forderung sich nach Grund und Höhe errechnete. Die Anlagen belegten lediglich den Vortrag in der Berufungsbegründung. Die Entstehung der eingeklagten Forderung war in dieser Schritt für Schritt dargelegt. Die beigefügten An- lagen ermöglichten es, den Vortrag anhand der Belege zu überprüfen. Die Anlagen waren durchnummeriert. Im Schriftsatz war auf die zum jeweiligen Vortrag gehörige Anlage mit deren Nummer zutreffend hingewiesen. Die in der Berufungsbegründung zusammengefasst wiedergegebenen Zahlen – namentlich über die unregelmäßigen Leistungen der Bekl. im Jahre 1991 – ließen sich auf diese Weise ohne Mühe aus den Unterlagen nachvollziehen.“ Überflüssige Ausführungen sind Ballast In BGH, Urteil des VII. Zivilsenats vom 19.5.2011, VII ZR 24/08, Rdn. 14/15 ist festgehalten: „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen ... Die Angabe von Einzelheiten zu dem Ablauf bestimmter Ereignisse ist grundsätzlich nicht erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen ohne Bedeutung sind ... Dementsprechend ist eine Partei grundsätzlich nicht gehalten, zur Substantiierung einer Klage, die sich auf eine getroffene Einigung stützt, zu den Umständen dieser Vereinbarung, wie Zeit, Ort oder teilnehmende Personen, detailliert vorzutragen ... Diese Umstände sind Gegenstand der Beweisaufnahme; diese kann nicht davon abhängig gemacht werden, dass sie von der beweispflichtigen Partei im Einzelnen vorgetragen werden ... Zu einer näheren Darlegung kann eine Partei allerdings gezwungen sein, wenn die Gegenpartei ihre Darstellung substantiiert angreift ... Denn der Umfang der jeweils erforderlichen Substantiierung bestimmt sich aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag ...“ Die Gliederung einer Klageschrift ergibt sich wie aus den für den geltend gemachten Anspruch erforderlichen Darlegungen. Dabei wird sich der die Klage rezipierende Richter an das aus der Ausbildungszeit bekannte Schema halten und sich auf die insoweit vorgetragenen Einzelheiten konzentrieren. Weitere Ausführungen sind nur Ballast. Weder interessiert sich das Gericht dafür, dass der Kläger schön und berühmt ist, noch dafür, was dieser vom Beklagten hält. Sollten solche Ausführungen auf Wunsch des Mandanten unerlässlich sein, kann man diese in folgende Wendung kleiden und tunlichst am Ende des Schriftsatzes platzieren: „pflichtgemäß trage ich noch vor“ oder „auf ausdrücklichen Wunsch meines Mandanten weise ich noch auf Folgendes hin“. Zwischenüberschriften sind meist überflüssig Zwischenüberschriften sind meist überflüssig, weil sich der Klagesachverhalt aus dem Tatbestand der Norm ergibt, unter die das Gericht subsumieren soll. Werden sie ausnahmsweise für unerlässlich 1 Zur Streitwertfestsetzung s. a. Stackmann, JuS 2009, 1004. AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 49 DAT 2012 gehalten, sollten die Überschriften aussagekräftig sein. Uninteressant sind etwa „Allgemeines“ oder „Vorüberlegungen“. Inhaltsverzeichnisse werden nur ganz ausnahmsweise nötig sein. Ist dies einmal der Fall, sollte bedacht werden, dass Richter mit solchen nicht rechnen und daher auch nicht danach suchen. Es sollte also das Inhaltsverzeichnis direkt nach Klageantrag und Einleitungssatz nicht allzu detailliert in die Klageschrift eingebaut werden. Pech hatte z. B. eine Kollegin, die ihre etwa 100 Seiten starke Klageschrift mit Akribie untergliedert und mit Zwischenüberschriften versehen hatte, das Inhaltsverzeichnis zu dieser aber gesondert als KAnlage vorlegte. Es fiel mir erstmals in die Hände, als ich für das Urteil die Anlagen nochmals sichtete und sortierte und dabei auf das in der Klageschrift nicht einmal erwähnte Inhaltsverzeichnis stieß. OnlineRadierer? Marktplatz-Recht.de hat ihn! Denn wir nehmen Datenschutz ernst. Bei uns haben Sie die volle Kontrolle über Ihre Daten. Gelöscht ist gelöscht. Spurlos, nachhaltig und endgültig. VorsRiOLG Dr. Nikolaus Stackmann, München In dieser Ausgabe lesen Sie folgende Inhalte I. Einleitung JETZT KOSTENL O ANMELD S EN: MARKTP LAT RECHT.DE Z- II. Vor der Sitzung: Schreiben 1. Allgemeines zu Schriftsätzen 2. Klageschrift In den kommenden Ausgaben werden Sie folgende Inhalte lesen 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. Schriftsatz Beklagtenvertreter Formalfragen Schriftsatz unmittelbar vor der Sitzung Wiederholungen in weiteren Schriftsätzen Bedeutung der Rechtsprechung Bedeutung der Großkommentare Bitte um Hinweise Sachverhalt gestalten? Konsequenzen der gegnerischen Auffassung aufzeigen 12. Darstellung von Theorien 13. Zusammenfassungen III. In der Sitzung: Reden 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Vorbereitung Zu zweit kommen? Partei mitbringen? Zu spät kommen? Suchen in Unterlagen? Respekt? Zuhören? (Lauschen?) Schweigen? IV. Nach der Sitzung: Schweigen? Oder nicht nachgelassener Schriftsatz? 1. 2. 3. 4. 5. Anruf beim Richter? Kontakt zum Richter nach dem Urteil? Besuche beim Richter? Berichtigungsanträge Herabsetzung der 1. Instanz? Kennen Sie unsere Top 10 der lustigsten juristischen Online-Auftritte? Wer braucht einen Online-Radierer? Jetzt ansehen, Favoriten bestimmen und neue hinzufügen. www.online-radierer.de ADVOICE 02/12 49 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:46 Seite 50 NICHT VERPASSEN! 1. JAHRESTAGUNG 2012 FORUM Junge Anwaltschaft FACHVORTRÄGE | MITGLIEDERVERSAMMLUNG | RAHMENPROGRAMM 28. / 29. SEPTEMBER 2012 IM NH HOTEL KÖLN Anmeldung unter: www.davforum.de/jahrestagung ??? Foto: Hemmler AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 13:20 Seite 51 Euer FORUM Durchstarten und gewinnen Soldan zeichnet Gründerkonzepte aus Termine 14./15. September 2012 13. Deutscher Medizinrechtstag, Berlin Symposium unter dem Motto „Das Abschmelzen der Zum 6. Mal seit 2001 schreibt die Hans Soldan GmbH zusammen mit dem Deutschen Anwaltverein/FORUM Junge Anwaltschaft, der Bundesrechtsanwaltskammer und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in diesem Jahr wieder den Soldan Kanzlei-Gründerpreis aus. „Durchstarten und gewinnen“ lautet auch in diesem Jahr die Aufforderung an alle jungen Anwälte/Anwältinnen, die zwischen den Jahren 2008 und 2010 allein oder gemeinschaftlich den Sprung in die Selbständigkeit gewagt haben. Die Preisverleihung findet im Rahmen des Existenzgründerforums des FORUMs Junge Anwaltschaft am 26./27. Oktober 2012 in Würzburg statt. Gewonnen hat, wer die Jury mit dem besten Gründungskonzept und den wirtschaftlichen Ergebnissen seiner Kanzlei überzeugen konnte. Die Ermittlung erfolgt anhand eines systematischen PunkteBewertungsverfahrens, das im Soldan Institut für Anwaltmanagement entwickelt wurde. In der Jury wirken u. a. die Präsidenten der BRAK und des DAV mit. Ausgezeichnet werden die drei überzeugendsten Kanzlei-Gründungskonzepte mit Sachpreisen im Wert von insgesamt 10.000 Euro. Die vollständigen Teilnahmeunterlagen, bestehend aus dem ausgefüllten Bewerbungsformular, dem schriftlichen Gründungskonzept, der Kanzleibroschüre (soweit vorhanden) sowie den Daten und persönlichen Angaben zur Kanzlei und zum Gründer sind bis zum 31. Juli 2012 an folgende Adresse zu senden: Standards – Qualitätsverluste in Medizin und Pflege?" Programm unter: www.medizinrechts-beratungsnetz.de/ deutscher-medizinrechtstag 28./29. September 2012 1. Jahrestagung FORUM Junge Anwaltschaft, Köln Es ist soweit – unsere erste eigene Jahrestagung erblickt am 28. und 29. September 2012 in Köln im NH Hotel Mediapark das Licht der Welt. Der Tagung vorangeschaltet ist ein LB Treffen am 27.9. Die Tagung selbst Hans Soldan GmbH Frau Brigitte Enters-Sczepan Bocholder Straße 259 45356 Essen beginnt dann am 28. September um 9 Uhr. Angeboten werden unter anderem sieben Fortbildungsveranstaltungen. Die Mitgliederversammlung des FORUMs (Tagesordnung siehe unten) findet im Rahmen unserer Jahrestagung am 28. September um 14.15-15.45 Uhr statt. Am 29. September folgt ein RB-Treffen im An- Die notwendigen Teilnahmeunterlagen können auch unter www.soldan.de/gruenderpreis heruntergeladen werden. schluss an das Mittagessen von 14–16 Uhr. Teilnahmebetrag: für Mitglieder für Nicht-Mitglieder 99 Euro 149 Euro Teilnahme an der Veranstaltung für Syndikusanwälte für Nicht-Mitglieder 50 Euro. Es besteht keine Umsatzsteuerpflicht für den Teilnahmebeitrag. Komplett-Programm unter: www.davforum.de/jahrestagung. Mitgliederversammlung des FORUM Junge Anwaltschaft Alle Mitglieder des FORUM Junge Anwaltschaft sind herzlich zur Mitgliederversammlung im NH Hotel Mediapark in Köln am Freitag, den 28.9.2012 von 14.15 – 15.45 Uhr, Raum Roma/Napoli, eingeladen. TAGESORDNUNG Begrüßung 1. Feststellung der Beschlussfähigkeit 2. Genehmigung der Tagesordnung 3. Verlesung und Genehmigung des Protokolls der letzten Mitgliederversammlung 4. Bericht der Vorsitzenden mit Vorstellung neuer Projekte 5. Bericht des Schatzmeisters 6. Bericht der Kassenprüfer 7. Entlastung des Geschäftsführenden Ausschusses 8. Wahl der Kassenprüfer RAin Silke Waterschek FORUM Junge Anwaltschaft / Vorsitzende des Geschäftsführenden Ausschusses ADVOICE 02/12 51 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 52 Euer FORUM 52 Historische Kulisse der EYBA-Konferenz europäischer Juristen - das Colosseum in Rom. AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 53 Euer FORUM International in der ewigen Stadt EYBA-Spring-Conference 2012 in Rom Mit circa 200.000 Mitgliedern zählt die European Young Bar Association (EYBA) zu den wohl größten internationalen Zusammenschlüssen junger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Vom 22. bis 25. März 2012 trafen sich ihre Mitglieder für drei Tage in der ewigen Stadt. Neben der fachlichen Fort- und Weiterbildung stand vor allem die Pflege alter Kontakte sowie das schließen neuer Freundschaften im Vordergrund. trages erörterte Frage, wie in Zukunft mit transnationalen Insolvenzverfahren umgegangen werden sollte. Hier wurde besonderes auf die Problematik des sogenannten „Forum-Shopping“ näher einge gangen, bei dem im Falle einer konkurrierenden internationalen Insolvenzzuständigkeit der Insolvenzschuldner bewusst und systematisch nebeneinander bestehende Zuständigkeiten ausnutzt um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Bereits die Auftaktveranstaltung des Kongresswochenendes stand unter einem guten Stern. Vor der traumhaften Kulisse des Collosseums begann an einem Donnerstagabend die EYBA-Spring-Confrence 2012 in Rom mit einem informellen „Meet and Greet“ der insgesamt ca. 100 Teilnehmer. Nach den offiziellen Begrüßungsworten durch den EYBAVorstand sowie den Präsidenten der römischen Anwaltskammer, bot sich hier bei reichhaltigem Buffet und kühlen Getränken die Möglichkeit, erste Kontakte zu den jungen Kolleginnen und Kollegen zu knüpfen, die von Spanien bis Lettland angereist waren. Trotz einer zunächst rein europäischen Ausrichtung der EYBA traf man hier auch auf zahlreiche US-amerikanische Vertreter der ABA Young Lawyer Devision (American Bar Association, Young Lawyer Devision ), welche die Konferenz für einen Kurzurlaub nach Rom genutzt hatten. Die ABA YLD ist Kooperationspartner der EYBA, wie auch wir Kooperationspartner die ABA YLD sind. Insgesamt boten die durchweg interessanten Vortragsthemen, bei denen unter anderem auch eine Perücke eines englischen Barristers als Anschauungsobjekt herumgereicht wurde, ausreichend Gesprächsstoff für die im Anschluss stattfindenden Diskussionen, welche während der Pausen und gemeinsamen Mittagessen von den Teilnehmern fortgeführt wurden. Obwohl der erste gemeinsame Abend bereits – wohl auch aufgrund des sommerlichen Wetters – bis in die frühen Morgenstunden dauerte, begannen die zweitägigen Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen der Konferenz pünktlich am Freitagmorgen in der Anwaltshalle (Sala Avvocati) des unmittelbar am Tiber gelegenen „Corte Suprema di Cassazione“ (dt.: Oberster Kassationsgerichtshof Italiens). Auch die Abendveranstaltungen, welche die „Rome Young Bar Association“ mit finanzieller Hilfe ver schiedener lokaler Sponsoren organisiert hatte, ließen keine Wünsche offen. So stand neben einem informellen Dinner im direkter Nachbarschaft zum Pantheon gelegenen Club „Shari Vari“ auch ein formelles Galadinner in der Villa Miani statt, zu dem die Gäste, dem Anlass entsprechend, in Abendkleid bzw. Smoking erschienen. Hier ließ man schließlich die „Spring Conference 2012“ mit Blick über das abendliche Rom bei Livemusik und diversen Getränken in würdiger Atmosphäre ausklingen. Römisches Gericht. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass jeder Teilnehmer von der dreitägigen Konferenz wohl nicht nur in fachlicher Hinsicht profitiert haben dürfte. Gerade in Zeiten, in denen sich auch für kleine und mittelständische Kanzleien zunehmend Mandate auf internationaler Ebene abspielen, ist es immer wichtiger, auch einmal den Blick über den nationalen Tellerrand zu wagen, Kontakte zu knüpfen und von den individuellen Erfahrungen und Kenntnissen der europäischen Kolleginnen und Kollegen zu profitieren. Abschließend kann damit den deutschen Kolleginnen und Kollegen, die trotz nahezu 160.000 deutschen Rechtsanwälten nur mit einem Teilnehmer vertreten waren, ans Herz gelegt werden, sich den Erfahrungen, welche EYBA ihren Mitgliedern bietet, zu öffnen und gezielt den internationalen Kontakt zu den europäischen Berufskollegen zu suchen. Die nächste Gelegenheit hierzu bietet sich im Rahmen des „EYBA Annual General Meeting“, welches vom 14. bis zum 16. Juni in Oslo stattfindet. Weitere Informationen sowie die aktuellen Anmeldeformulare sind auf der EYBA-Webseite www.eyba.org verfügbar. RA Christian Grüneberg, Düsseldorf Der Autor ist Rechtsanwalt der international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei Busekist Winter & Partner in Düsseldorf Foto: Tobias Sommer Nach einer kurzen Begrüßung durch die gastgebende „Rome Young Bar Association“ wurden ne ben einem Einblick in verschiedene nationale Themen der Teilnehmerländer, wie dem Berufsrecht der englischen und walisischen Solicitor und ihrer be rufsrechtlichen Regelung im Rahmen des „SRA Code of Conduct“ insbesondere auch internationale juristische Problemstellungen thematisiert. Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle der Vortrag von Prof. Pietro Franzina (Universität Ferrara) über aktuelle Konflikte des internationalen Kauf rechts unter Berücksichtigung der Rom I Verordnung, sowie die im Rahmen eines weiteren Vor- ADVOICE 02/12 53 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 54 FORUM Junge Anwaltschaft im DAV Das FORUM ist: Die Stimme der jungen Anwälte. Eine der größten Arbeitsgemeinschaften innerhalb des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Das FORUM bietet: Fortbildungen. Netzwerke. Lobby. Starthilfe. Antworten und Hilfe für den Berufsstart und die ersten Berufsjahre. Eine Mitgliedschaft zahlt sich aus: Vorteile für alle Anwälte, Assessoren und Referendare bis 40 Jahre (Diese Vorteile bietet nur das FORUM Junge Anwaltschaft.) Kostenlos: Anwaltsmagazin AdVoice Mit Schwerpunktthemen, Erfahrungsberichten Unterhaltsames und Wissenswertes aus der Anwaltschaft, Mitgliederinformationen und natürlich viel Service: Checklisten, Fachanwaltssteckbriefe, Steuerinfos, Tipps zur Haftungsvermeidung u. v. m. Vertretung der Interessen der jungen Anwaltschaft in der Berufspolitik und der anwaltlichen Selbstverwaltung Teilnahme an der Mailingliste, fachliche Unterstützung durch Kollegen, Antworten auf fast jede Frage des Anwaltsalltags, Terminvertretungen, Fällen von Kollegen VORTEILE für alle, die (noch) nicht im DAV sind günstige Konditionen für die Berufshaftpflichtversicherung Mit HDI-Gerling besteht ein Abkommen mit hohem Sparpotenzial exklusiv für FORUMsmitglieder Fortbildung: eigene Seminare und günstigere Konditionen bei anderen Anbietern z. B. Mitglieder-Rabatt teilweise bis zu 50 Prozent bei der Deutschen AnwaltsAkademie Netzwerk und Erfahrungsaustausch national Regelmäßige Stammtische in den allen LG-Bezirken. Kontakte zu örtlichen und überörtlichen jungen Kolleginnen und Kollegen. Regionalbeauftragte als Ansprechpartner, die Euch gern vor Ort weiterhelfen. Netzwerk international Länderbeauftragte als Ansprechpartner bei grenzüberschreitenden Rechtsproblemen. Kontakte zu internationalen Organisationen junger Anwälte und Mitgliedschaft in der European Young Lawyers Bar Association. Vergünstigte Teilnahme bei Veranstaltungen, z. B. beim Deutschen Anwaltstag und Anwaltstagen der Länder Kostenlos: 11x jährlich das Anwaltsblatt günstige Konditionen des DAV (http://anwaltverein.de/leistungen/rabatte) · Auto & Verkehr: z. B. Sonderboni beim Autokauf, vergünstigte Mietewagen · Hotels: Mitgliederrabatte des DAV in vielen Hotels · Fortbildung/Webdienste: z. B. juris DAV · Kommunikation: Rahmenabkommen für Mobilfunk-Rabatte · Versicherungen: z. B. bei der Krankenversicherung und Altersversorgung Rahmenabkommen für kostenlose Kreditkarten NJW-Abo-Ermäßigung um 22 Euro jährlich (Referendare erhalten vom Verlag weitere Ermäßigungen) VORAUSSETZUNGEN für eine Mitgliedschaft: Anwältin/Anwalt unter 40 Jahren, Referendare und Assessoren Jährlicher Mitgliedsbeitrag 50 Euro Ermäßigungen auf 25 Euro: 1. bei Eintritt ab Juli eines Jahres 2. für Mitglieder eines dem DAV angeschlossenen Anwaltvereins Beitritt online: www.davforum.de/anmeldung AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 55 Euer FORUM Schwerpunkt Bildung für junge Anwälte Treffen der Regioanlbeauftragten im Juni in Stuttgart Am ersten Juniwochenende trafen sich die Regionalbeauftragten der verschiedenen Landgerichtbezirke zum Regionalbeauftragtentreffen in Stuttgart. Als Tagungsort dienten Räumlichkeiten der Architektenkammer Baden-Württemberg nebst angrenzender Terrasse und Garten, die Gelegenheit zum fachlichen Austausch auch während der Tagungspausen gaben. Wir konnten in unserem Kreise erfreulicherweise wieder einige neue, engagierte Regionalbeauftragte begrüßen, die sich schnell einfanden und rege an der Diskussion beteiligten. Als regionalen Gast konnten wir Herrn Wolfgang Hertkens als Leiter der Regionaldirektion Stuttgart des HDI Gerling Konzerns begrüßen, der zu der in Kooperation mit dem FORUM angebotenen Berufshaftpflichtversicherung des HDI Gerling Rede und Antwort stand. Die Tagesordnung befasste sich unter anderem weiter mit einer möglichen Kooperation mit der NJW, der Diskussion rund um die Fachanwaltschaften nebst Zulassungsfragen und der Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgemeinschaften im DAV sowie der Ausschussarbeit des FORUM im Bereich Aus- und Fortbildung. Gearbeitet wird auch an einem Starterpaket der Firma Soldan, das tolle Einsteigerangebote für die (Erst)Ausstattung der Kanzlei bereithalten soll. Geplant wurden weitere Veranstaltungen im Jahre 2012, namentlich das Existenzgründerforum in Würzburg am 26./27.10.2012 und insbesondere die erste Jahrestagung des FORUM, die am 28./29. September 2012 in Köln stattfindet und ein interessantes Programm bereithält. Immer mehr Mitglieder und Regionalbeauftragte des FORUM bekleiden inzwischen Vorstandsposi- Engagiert und gut gelaunt - die Regionalbeauftragten des FORUMs. tionen in den örtlichen Anwaltvereinen und bringen die Interessen der Junganwälte so auch regional verstärkt in die Vereinsarbeit ein. Diskutiert wurden auch die Aktivitäten des VDA (Verband deutscher Anwälte e. V.) und dessen Stellung im Vergleich zum DAV. Am Abend der zweitägigen Veranstaltung trafen sich die Teilnehmer zum traditionellen RB-Essen in einem netten italienischen Restaurant bei Pizza & Pasta zu guten und konstruktiven Gesprächen. Insgesamt blicken wir auf ein gelungenes RB-Treffen in schönem Ambiente und mit vielen interessanten Themen zurück, die die Regionalbeauftragten nun mit in ihre Bezirke und an die örtlichen Stammtische nehmen können. RAin Sonka Mehner-Heurs, Hagen Foto: Timo Scharrmann ADVOICE 02/10 55 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 56 Euer FORUM Länderbeauftragte Übersicht aller Länderbeauftragten unter: > www.davforum.de/laenderbeauftragte stellen sich vor Länderbeauftragter RA Annika Schmidt für Dänemark und Schweden Was verbindet Dich mit Dänemark & Schweden? Ich bin gebürtige Nordschleswigerin und als Teil der deutschen Minderheit in Dänemark geboren und aufgewachsen. Nach meinem Studium in Deutschland bin ich wieder nach Dänemark zurückgekehrt. Ich betreibe nun die Anwaltskanzlei ABC EU-Advokat in Odense. Meine Tätigkeitsschwerpunkte sind dänisches Arbeitsrecht, Verkehrsunfallrecht, Inkasso, Vertragsrecht und E-Handel. Mit Schweden verbindet mich, dass meine Mutter Schwedin ist und ich meine Jugend dort verbracht habe. Fremder nackt gebadet wird. Auch schätzen die Schweden eine höfliche Umgangsform und haben ebenso wie die Dänen eine Schlichtungskultur. Wie kannst Du bei Rechtsproblemen helfen? Ich bin bei der Informationsfindung behilflich, biete Rechtsberatung über dänisches Recht und vertrete Mandanten vor dänischen Gerichten. In Sachen, in denen ich nicht selbst tätig bin, helfe ich auch bei der Vermittlung eines geeigneten Rechtsanwalts. Auch für Schweden kann ich mit Informationen und der Vermittlung von Kontakten zu Behörden sowie zu schwedischen Rechtsanwälten behilflich sein. [email protected] Midsommardans, Anders Zorn 1897 Was sollte ein deutscher Anwalt über Dänemark bzw. Schweden wissen? Zum Beispiel hat Dänemark eine Schlichtungskultur. Rechtsstreitigkeiten werden, wenn möglich, stets vermieden. Der Grund hierfür ist einfach: Die Kosten einer Rechtsstreitigkeit sind erheblich und die Anwaltskosten werden auch im Falle eines Obsiegens nicht vollständig ersetzt. Zu Schweden sollte man wissen, dass im Gegensatz zu dem unter Deutschen weit verbreiteten Irrglauben nicht in Anwesenheit Regionalbeauftragte gesucht! Regionalbeauftragte gesucht! An alle FORUMs-Kolleginnen und -Kollegen in den LG-Bezirken Amberg, Bad Kreuznach, Baden-Baden, Bückeburg, Coburg, Cottbus, Memmingen, Mühlhausen, Münster, Stendal, Weiden und Zwickau. In diesen Bezirken ist die interessante Position des Regionalbeauftragten nicht oder nur kommissarisch besetzt. Als engagierte FORUMs-Mitglieder könnt Ihr diese Lücken schließen. Der Regionalbeauftragte ist der Ansprechpartner des FORUM Junge Anwaltschaft vor Ort und organisiert in erster Linie den monatlichen Stammtisch zur Vernetzung der Mitglieder im eigenen Landgerichtsbezirk. Als RB bist Du auch die Schnittstelle zwischen dem Geschäftsführenden Ausschuss und den Mitgliedern vor Ort und stehst in Kontakt mit den anderen RBs im Bundesgebiet. Das FORUM lebt von der Vernetzung aller Mitglieder und der Regionalbeauftragte ist ein wichtiges Bindeglied vor Ort. Der Job macht Spaß und bringt jede Menge Kontakte mit sich. Eine Übersicht aller Regionalbeauftragten findet Ihr im Internet unter: 56 ADVOICE 02/12 > www.davforum.de/469/ AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 57 Bücher-FORUM Recht der elektronischen Medien Beck’sches Mandatshandbuch IT-Recht Computer- und Internetstrafrecht Spindler/Schuster (Hrsg.), 2. Auflage 2011, 1.860 S., 298,00 EUR, Verlag C.H. Beck Auer-Reinsdorff/Conrad (Hrsg.), 1. Aufl. 2011, 1.976 S., 199,00 EUR, Verlag C.H. Beck Annette Marberth-Kubicki, 2. Aufl. 2010, 313 S., 49,00 EUR, Verlag C.H. Beck Der Bereich der elektronischen Medien verändert sich stetig; neue technologische Entwicklungen sind die Ursache und dadurch bedingte aktuelle Rechtsprechung die Folge. Diesen Änderungen will die 2. Auflage des Spindler/Schuster Rechnung tragen. Laut eigenem Anspruch sollen alle für die elektronischen Medien wichtigen materiellen Vorschriften prägnant und übersichtlich dargestellt werden. Im Vergleich zur ersten Auflage ist die Kommentierung des UWG weggefallen. Neu hinzugekommen sind Ausführungen zum StGB, zum UrhG und zum ZugErschwG. Im Bereich des IPR wurde die Kommentierung um die Rom-I- und Rom-II-Verordnung erweitert. Anzumerken ist, dass die jeweiligen Gesetze auszugsweise kommentiert werden. Mit dem Mandatshandbuch IT-Recht legt der Verlag C.H. Beck ein neues, umfassendes Werk zum IT-Recht vor. Das Buch behandelt schwerpunktmäßig das klassische IT-Vertragsrecht sowie Internetrecht und E-Commerce. Aber auch alle anderen Themen werden in Ihrer Verbindung zum IT-Recht umfassend behandelt: u. a. Datenschutz, Compliance und IT-Sicherheit, TK-, Urheber-, Vergabe-, Strafrecht und IPR. Abgerundet wird das Buch durch Kapitel zur Forensik, (außer-)gerichtlicher Streitbeilegung sowie technische Grundlagen und einen technischen Glossar. Wirft man einen Blick in die aktuelle Kriminalstatistik, stellt man schnell fest, dass die Zahl der begangenen „klassischen“ Delikte in den vergangenen Jahren konstant geblieben oder sogar gesunken ist. Stark gestiegen ist jedoch die Zahl der im Internet oder mittels eines Computers begangenen Straftaten. Die Änderungen sind überwiegend gelungen. Die nicht mehr enthaltene Kommentierung des UWG wird wegen ihres geringen Umfangs verzichtbar sein. Die relevanten StGB-Normen werden auf lediglich ca. 50 Seiten kommentiert und sind auf das Wesentliche beschränkt. Hier ist die Chance vertan worden, gerade im Hinblick auf internettypische strafbare Handlungen (z. B. „Phishing“) eine federführende Kommentierung vorzulegen. Diese hätte den guten Gesamteindruck des Buches noch steigern können. Die Aufnahme der Kommentierung des UrhG ist eine sinnvolle Neuerung, da durch die hohe Anzahl an Urheberrechtsverletzungen im Internet ein gesteigertes Bedürfnis nach einer praxistauglichen Kommentierung besteht. Das Werk kann in seiner Gänze ohne Abstriche als praxistauglich bezeichnet werden. Die Verfasser sind überwiegend selbst Praktiker – die Kommentierungen sind demnach auf die tägliche Praxis zugeschnitten. Dabei bieten die Ausführungen auch Juristen, bei denen die Rechte der elektronischen Medien nicht zum „täglich Brot“ gehören, einen guten Einstieg, ohne dass es dadurch an Tiefgang mangelt. Fazit: Der Spindler/Schuster bietet eine erstaunliche Informationsvielfalt, obgleich an einigen Stellen sinnvolle Erweiterungen vorgenommen werden könnten. Die zahlreichen aktuellen Hinweise auf Urteile und Literatur prägen den überdurchschnittlichen Gesamteindruck des Buches. Hinzu kommt, dass Schlagworte fettgedruckt sind, so dass ein schnelles Auffinden der gesuchten Abschnitte innerhalb einer kommentierten Norm möglich ist. Insgesamt erfüllt der Spindler/Schuster seinen Anspruch, eine praxistaugliche Kommentierung der wichtigsten Vorschriften des Rechts der elektronischen Medien vorzulegen. RA Tim Wegmann, LL.M., Velbert Alle Texte enthalten auch Checklisten, Praxishinweise, Formulierungsvorschläge und natürlich umfangreiche Verweisungen auf weitere Literatur, die bei der Mandatsbearbeitung hilfreich sein können. Beispielhaft das Kapitel „Standardklauseln“ (§ 11): Der erste Teil erläutert die Grundregeln des AGB-Rechts mit IT-rechtlichen Besonderheiten (z. B. zu Lizenzbedingungen der Hersteller). Der zweite Teil erläutert die in den verschiedenen IT-Verträgen praxisrelevanten Standardklauseln, z. B. zum Mängelrecht, Mitwirkungspflichten des Kunden und Besonderheiten bei Softwaremiete. Aufgrund der Vielzahl der Bearbeiter und Kapitel bleibt es dabei nicht aus, dass einzelne Informationen sich überschneiden (z. B. erscheint die Abgrenzung der §§ 651 und 633 BGB aufgrund der Vielzahl der betreffenden Stellen [§ 3 Rn. 24 ff., Rn. 42 ff., § 5 Rn. 22 ff., § 8 Rn. 10 ff., § 24 Rn. 1 ff.] als komplizierter, als sie eigentlich ist). Auch kommen, trotz des Gesamtumfangs, manche Bereiche (z. B. das Domainrecht) etwas zu kurz. Der größte Kritikpunkt ist jedoch nicht-inhaltlicher Art: Das sehr dünne, durchsichtige Papier erschwert die Lesbarkeit und Haptik. Alle Autoren, wie auch die Herausgeberinnen, die selbst einige Kapitel beigetragen haben, sind erfahrene Praktiker im IT-Recht, Dozenten in den Fachanwaltslehrgängen und durch eine Vielzahl von Veröffentlichungen an der Rechtsfortbildung im IT-Recht maßgeblich beteiligt. Dabei finden sich neben Anwälten auch vier IT-Sachverständige. Fazit: Mit dem „Mandatshandbuch“ liegt ein beeindruckendes, umfangreiches Werk vor, welches alle relevanten Bereiche des IT-Rechts abdeckt. Die Entstehung aus den Fachanwaltskursen ist diesem, insbesondere durch den didaktischen Aufbau, deutlich anzumerken. Es ist für erfahrene ITRechtler ebenso empfehlenswert wie für Anwälte, die solche Mandate unregelmäßig betreuen. RA Matthias Lachenmann, Elchingen Kein Wunder also, dass immer mehr Fälle mit IT-strafrechtlichem Hintergrund auf dem Schreibtisch des Anwalts landen. Diese Fälle zu bearbeiten, ist nicht immer einfach: Das Computer- und Internetstrafrecht ist kein trennscharf abgrenzbares Rechtsgebiet, sondern weist zahlreiche Schnittstellen zu und Überschneidungen mit anderen Rechtsgebieten auf. Auch ist der oftmals internationale Bezug dieser Taten nicht zu unterschätzen. Hilfe bei der Bearbeitung der Mandate aus dem IT-Strafrecht verspricht nun die zweite Auflage des Werkes Computer- und Internetstrafrecht von Annette Marberth-Kubicki. Neben einem Überblick über die gesetzlichen Grundlagen und Erscheinungsformen des Cyber-Crime werden hier auch Urheberrechtsverletzungen, Haftungsfragen, Fragen zu Täterschaft und Teilnahme sowie zur Beweisgewinnung und Verhandlungsführung thematisiert. Behandelt werden dabei sowohl die einschlägigen Tatbestände des Strafgesetzbuches als auch die im Nebenstrafrecht (z. B. Bundesdatenschutzgesetz, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, Urheberrechtsgesetz, Markengesetz, Telekommunikationsrecht) verankerten Vorschriften. Außerdem geht die Autorin auf Fragen zur Anwendbarkeit des deutschen Rechts in Fällen mit internationalem Bezug sowie zu Ermittlungsmaßnahmen im internationalen Umfeld ein. Das Buch wendet sich in erster Linie an Strafverteidiger, ist aber auch für IT-Rechtler geeignet, die sich in die Materie des IT-Strafrechts einarbeiten möchten. Beiden Gruppen bietet das Buch zum einen ein umfangreiches Glossar zu den im Buch behandelten technischen Begriffen, zum anderen viele Fußnoten, die auf einschlägige Urteile und Fundstellen in der gängigen Kommentarliteratur verweisen. Die Autorin ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht mit eigener Kanzlei in Kiel; seit einigen Jahren ist sie zudem Dozentin im Fachanwaltslehrgang Informationstechnologierecht der Deutschen Anwaltakademie. Fazit: Diejenigen, die bereits intensiver auf dem Gebiet des IT-Strafrechts tätig sind, werden in dem Buch nicht viel Neues erfahren. Sie sollten sich entweder für ein Konkurrenzprodukt entscheiden oder gleich zu den gängigen Kommentaren greifen. RAin Astrid Ackermann, Frankfurt am Main ADVOICE 02/12 57 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 58 Bücher-FORUM Bürgerliches Gesetzbuch Handbuch des Fachanwalts Strafrecht Strafgesetzbuch und Nebengesetze Otto Palandt (Begründer), 71. Aufl. 2012, 3.087 S., 109,00 EUR, Verlag C.H. Beck Jan Bockemühl (Hrsg.), 5. Aufl. 2012, 1.830 S., 139,00 EUR, Carl Heymanns Verlag Thomas Fischer, 59. Aufl. 2012, 2.584 S., 79,00 EUR, Verlag C.H. Beck Der Palandt kommentiert auf über 3.000 Seiten das BGB, das EGBGB in Auszügen samt dem IPR, dem Haager Unterhaltsprotokoll und den Rom I- (vertragliche Schuldverhältnisse) und Rom II-Verordnungen (außervertragliche Schuldverhältnisse) sowie – zum Teil in Auszügen – Nebengesetze wie das AGG, die BGBInfoV, das UKlaG, das ProduktHaftG, das WEG, das LPartG und das GewSchG. Naturgemäß nimmt das BGB mit rund 2.500 Seiten den größten Umfang ein. Das Handbuch des Fachanwalts Strafrecht sollte jedem Strafverteidiger ein Begriff sein. Das Buch führt durch alle Abschnitte des Strafverfahrens. Ein besonderes Augenmerk wird auf die Besonderheiten bei Kapital-, Wirtschaftsstraf-, Betäubungsmittel-, Verkehrs-, Jugendstraf- und Sexualstrafverfahren gelegt. Auch auf die Vertretung von Verletzten in der Nebenklage und Zeugen wird ausführlich eingegangen. Der jährlich erscheinende Beck’sche Kurzkommentar Strafgesetzbuch und Nebengesetze von Prof. Dr. Thomas Fischer, Richter am BGH, liegt in der 59. Auflage vor. Da das Werk auf dem Rechtsstand 2011 ist, sind bereits die neuen Regelungen zum Wertersatz beim Widerruf von Fernabsatzverträgen, zum Vormundschafts- und Betreuungsrecht, zum Unterhaltsrecht und zur Behandlung der GbR im Grundstücks- und Grundbuchrecht enthalten. Bei Paragraphen, die umfangreicher besprochen sind, wie z. B. § 280 BGB zur vertraglichen und § 823 BGB zur deliktischen Haftung, gibt ein Inhaltsverzeichnis mit Verweis auf die entsprechenden Randnummern einen Überblick. Für die Beurteilung von einzelnen Fallkonstellationen geben die zahlreichen Beispielfälle unter Angabe des entsprechenden Urteils wichtige Anhaltspunkte und ggf. sogar die Lösung für den konkreten Fall. So werden etwa bei § 280 im Abschnitt über Pflichtverletzungen von Anlageberatern über eine halbe Seite Beispielfälle aufgezählt, bei welchem Verhalten eine Anlageempfehlung pflichtwidrig bzw. nicht pflichtwidrig war. Auch sonst ermöglichen zahlreiche Fundstellen eine tiefergehende Lektüre. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird zum Teil auf Erläuterungen in anderen Randnummern verwiesen, z. B. bei § 823 BGB auf die Ausführungen zur Zurechnung des Fehlverhaltens von Personal und Organmitgliedern. Teilweise werden vor thematisch zusammenhängenden Paragraphen, beispielsweise den Vorschriften zum Schadensersatz in den §§ 249-253 BGB oder vor § 1363 BGB zur Zugewinngemeinschaft, in einer Vorbemerkung allgemeine Ausführungen gemacht, etwa zu den Schadensarten und der Schadensberechnung bzw. zum ehelichen Güterrecht. Als Praktikerkommentar konzentriert sich der Palandt weitgehend auf die in der Praxis allein maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung. Fazit: Der Palandt ist zu Recht „der“ Standardkommentar im allgemeinen Zivilrecht. Dies belegt auch die stattliche Zahl von inzwischen 71 Auflagen. Obwohl der Palandt offiziell ein „Kurzkommentar“ ist, werden alle in der Praxis relevanten Bereiche ausführlich und mit Verweis auf entsprechende Fundstellen behandelt. Durch die jährliche Neuauflage ist der Leser zudem stets auf dem aktuellen Stand. RAin Tanja Fuß, MPA, Stuttgart 58 ADVOICE 02/12 In die neue 5. Auflage wurden vor allem das Gesetz zur Regelung und Verständigung im Strafverfahren, das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts sowie das zweite Opferrechtreformgesetz eingearbeitet. Rechtsprechung und Literatur sind bis Ende September 2011, zum Teil darüber hinaus, berücksichtigt. Außerdem wurde ein neues Kapitel eingefügt, welches sich mit der forensischen Sprach- und Signalverarbeitung befasst und gerade im Rahmen von Telekommunikationsüberwachungen sehr praxisrelevant ist. Das Werk enthält zahlreiche Checklisten und Musterschriftsätze. Wichtige Hinweise im fließenden Text sind besonders gekennzeichnet. Das Buch verfügt über ein ausführliches Stichwortverzeichnis, sodass relevante Fragestellungen schnell und effizient zu finden sind. Weiterhin wird auch auf das wichtige Thema „Medien“ eingegangen, welches dadurch abgerundet wird, dass anhand vieler Beispiele gezeigt wird, wie viel Einfluss die Medien in Strafverfahren ausüben können. Das letzte Kapitel des Buches widmet sich ganz dem Thema der Rechtsanwaltsvergütung. Zuerst wird hierbei auf die verschiedenen Festsetzungsmöglichkeiten und deren Rechtsmittel eingegangen. Daran schließt sich eine schematische Gebührentabelle an, welche sodann ausführlich besprochen wird. Sämtliche Autoren sind erfahrene Praktiker. Neben den Rechtsanwälten zählen hierzu auch Professoren, Richter, Staatsanwälte, Journalisten und Psychologen. Dies rundet das Werk ab und gibt ihm eine spezielle Ausrichtung, welche für die tägliche Praxis unverzichtbar ist. Fazit: Das Handbuch ist für jeden Strafverteidiger ein unverzichtbares Hilfsmittel und Nachschlagewerk. Das Buch ist sowohl für Fortgeschrittene als auch für Anfänger sehr geeignet, da es sehr ausführlich und verständlich auf die Problemfelder eingeht. Das Stichwortverzeichnis sowie die Muster und Checklisten verhelfen zur schnellen Problemlösung. RAin Christina Worm, Essen Seit der Vorauflage war der Gesetzgeber erneut aktiv. Fünf Änderungsgesetze traten in Kraft. Neu in den Katalog des StGB ist § 237 (Zwangsheirat) aufgenommen worden. § 130 (Volksverhetzung) ist neu gefasst. Verschiedene Normen wurden geändert: §§ 66-66b, 67d, 68b-68e, 113, 114, 121, 125a, 240, 244, 261, 305a. Anzumerken ist, dass die neu gefassten Regelungen zur Sicherungsverwahrung durch die Entscheidung des BverfG v. 4.5.2011 – (siehe Vorbemerkung zu § 66) für verfassungswidrig erklärt wurden und nur vorläufig (mit Einschränkung) anwendbar sind. Ferner beachtet das Werk die Änderungen der im Anhang aufgeführten Nebengesetze. Die in den Vorauflagen begonnene redaktionelle Überarbeitung führt Fischer fort. Anmerkungen zu künftigen Gesetzesvorhaben bei den jeweiligen Normen zeigen neue Entwicklungen auf. Die veröffentlichte und nicht veröffentlichte Rechtsprechung des BGH bis Mitte Oktober 2011 ist eingearbeitet. Ebenso sind die Rechtsprechung der Obergerichte, des BverfG in strafrechtlichen Fragen sowie die wichtigsten Entscheidungen des EGMR integriert. Neue Literatur wertete Fischer bis September 2011 aus. Dabei nimmt er Rücksicht auf die Zielrichtung eines mit fundierter wissenschaftlicher Aufbereitung untermauerten Kurzkommentars für die Praxis. Die Systematik der Kommentierung folgt in bewährter Manier dem Normaufbau. Bei Streitfragen stellt Fischer die gegensätzlichen Ansichten in Literatur und Rechtsprechung dar, bevor er argumentativ die herrschende Meinung entwickelt. Neben den weiterführenden Literaturhinweisen vor den Kommentierungen sind in den Fließtexten ausgewählte Literaturhinweise zu finden. Die Ausführungen sind knapp, aber mit dem Blick für das Wesentliche bearbeitet. Die vorangestellten Gliederungen und die im Fließtext optisch hervorgehobenen Stichworte erleichtern die gezielte Suche. Der weitgehende Verzicht auf Abkürzungen sowie der schnörkellose Stil fördern die Lesbarkeit und das Verständnis der Zusammenhänge. Der Anhang umfasst Auszüge der wichtigsten Nebengesetze, inklusive des neu eingefügten Therapieunterbringungsgesetzes vom 22.12.2010. Das Stichwortverzeichnis rundet das Werk ab. Fazit: Die 59. – hoch aktuelle – Auflage des „Fischer“ überzeugt. Der Praxiskommentar für Gerichte und Kanzleien bietet sichere Lösungen strafrechtlicher Fragen. Unverzichtbar in Praxis und Ausbildung! RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 59 Bücher-FORUM Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen Gesamtes Medizinrecht Betäubungsmittelgesetz Jahn/Krehl/Löffelmann/Güntge, 1. Aufl. 2011, 444 S., 49,95 EUR, Verlag C.F. Müller Bergmann/Pauge/Steinmeyer (Hrsg.), 1. Aufl. 2012, 1.615 S., 158,00 EUR, Nomos Verlag Körner/Patzak/Volkmer, 7. Aufl. 2012, 2.287 S., 119,00 EUR, Verlag C.H. Beck Bei diesem Handbuch handelt es sich um eine Pionierleistung auf dem Gebiet der Verfassungsbeschwerde in Strafsachen. In der Querschnittsmaterie Medizinrecht treffen Gesetze verschiedenster Rechtsgebiete aufeinander. Es ist geprägt vom Ziel einer möglichst optimalen medizinischen Versorgung, aber auch von dem in seiner Gesamtheit finanzierbaren Gesundheitssystem in unserer alternden Gesellschaft. Dieses schnelllebige Rechtsgebiet, das etwa im Sozialrecht häufigen Gesetzgebungsaktivitäten unterworfen ist, hat steigende Fall- und Beratungszahlen. Zu beobachten sind nicht nur mehr Streitigkeiten im Verhältnis Patient/Arzt, sondern auch Prozesse gegen Gesundheits- und Krankenhausverwaltungen. In der Neuauflage des Standardwerks zum Betäubungsmittelrecht treten die Staatsanwälte Jörn Patzak und Dr. Mathias Volkmer – ausgewiesene Kenner des Betäubungsmittelrechts – die Nachfolge von Hans Harald Körner an. Beide Autoren sind oder waren jahrelang in Drogendezernaten tätig. Dr. Matthias Jahn ist Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht und Leiter der Forschungsstelle für Recht und Praxis der Strafverteidigung der Friedrich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg sowie im Nebenamt Richter am Oberlandesgericht Nürnberg. Dr. Christoph Krehl ist Richter am Bundesgerichtshof und Honorarprofessor an der Johann-Wolfgang-Goethe Universität Frankfurt a. M. Dr. Markus Löffelmann ist Richter am Landgericht München. Dr. Georg-Friedrich Güntge ist Oberstaatsanwalt in Schleswig und Lehrbeauftragter an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Das Handbuch informiert schnell und praxisgerecht über die allgemeinen Zulässigkeits- und Substantiierungsanforderungen der Verfassungsbeschwerde in Strafsachen und die inhaltlichen Einzelprobleme quer durch das gesamte Straf- und Strafprozess recht. Das Handbuch gliedert sich dabei inhaltlich in zwölf Teile, wobei Teil 1 die Aufgaben des Strafverteidigers in Verfassungsbeschwerdeverfahren, Teil 2 die Zulässigkeitsvoraussetzungen, Teil 3 die Substantiierungserfordernisse behandelt und die weiteren Teile sich auf die verschiedenen Maßnahmen beziehen, die man mit der Verfassungsbeschwerde überprüfen lassen kann. Darüber hinaus reflektiert dieses Handbuch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Obergerichte zu allen grundrechtsrelevanten Maßnahmen und Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte und zeigt damit die verfassungsrechtlichen Maßstäbe auf. Schließlich finden sich in den Texten deutlich hervorgehoben zahlreiche Erfahrungen der Verfasser und Hinweise für die Praxis. Fazit: Das Handbuch ist ein sehr praxistaugliches Arbeitsbuch für den/die auf dem Gebiet des Strafrechts tätigen Rechtsanwalts/Rechtsanwältin. Die verständlichen und klaren Aus führungen des Autors überzeugen. Aufgrund der Präsentation des gesamten strafprozessualen Instrumentariums wird der/ die Strafverteidiger/Strafverteidigerin in die Lage versetzt, auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seiner täglichen Praxis zurückzugreifen. Das Preis-Leistungsverhältnis ist angemessen. Das Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen. Das 29-köpfige Autorenteam besteht aus erfahrenen Anwälten, Richtern, Wissenschaftlern, Verbands- und Verwaltungsjuristen. Das Werk deckt den Prüfungskatalog des § 14b FAO ab. Ferner soll es – laut Vorwort – ein Hilfsmittel sein, das wichtige Gesetze und aktuelle Rechtsfragen aufbereitet, um Entscheidungs- und Argumentationshilfen für die Beratungsarbeit zu geben. Schwerpunkt ist Patzaks Kommentierung des Betäubungsmittelgesetzes neben den ausführlichen Erläuterungen des Arzneimittel- und des Grundstoffüberwachungsgesetzes von Dr. Volkmer. Den Zielgruppen – Verteidigern, Richtern, Staatsanwälten, Bewährungshelfern, Mitarbeitern therapeutischer Einrichtungen oder Beratungsstellen, Ärzten und Apothekern – soll, ausweislich des Vorworts ein praxistauglicher und gut lesbarer, übersichtlicher Kommentar geboten werden. Der Kommentierungsstand April 2011 ist Spiegel der Aktualität. Die jüngste Rechtsprechung, z. B. das Grundsazurteil des BGH zur Sterbehilfe, ist aufgenommen. Viele gesetzliche Neuerungen sind eingearbeitet, etwa die erheblichen Auswirkungen durch das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes. Die neu gegliederten Erläuterungen sind überarbeitet und inhaltlich erweitert. Dabei folgen die Kommentierungen einem einheitlichen Gliederungssystem, beginnend mit Ausführungen zur Historie/Zweck der Norm, gefolgt von Fallzahlen, Objektivem Tatbestand, Erscheinungsformen, Subjektivem Tatbestand, Rechtswidrigkeit/Schuld, Versuch, Täterschaft/Teilnahme, bevor Erläuterungen zu Rechtsfolgen, Konkurrenzen und Verfahren die Ausführungen abrunden. In dem Werk befinden sich Kommentierungen z. B. des Apothekengesetzes, des BGB, des Medizinprodukterechts, des Personenschadensrechts, des SGB V, des StGB bis zur ZPO. Schwerpunkte bilden wegen der praktischen Bedeutung das Sozial- und das Haftungsrecht. Neben der Rechtsprechung bis Mai 2011 sind die neu in Kraft getretenen Gesetze, etwa das 43. StrafrechtsänderungsG vom 29.7.2009, das Gesetz zur diamorphingestützten Substitutionsbehandlung oder die 21.-25. Betäubungsmittelrechts-ÄnderungsVO nebst wichtigen internationalen Rechtsquellen integriert. Gelungen sind die Ausführungen in § 823 BGB zur ärztlichen Aufklärungspflicht (Aufklärungsformen, -pflichtige etc.). Im Abschnitt Personenschaden ragen neben den Grundlagen, einer Rechtsprechungsübersicht zum Schmerzensgeld bei ärztlichen Fehlern auch die Beispiele zur Schadensabrechnung heraus. Im Abschnitt zum SGB V stechen die §§ 27, 69 hervor. In §§ 14, 15 SGB IX erhält man eine lehrreiche Aufbereitung der Pflegebedürftigkeit und -stufen. Auf über 500 Seiten suchen Patzaks überarbeitete Ausführungen zu §§ 29 ff. BtMG ihresgleichen. Die einführenden Passagen des § 29 BtMG vermitteln die Systematik der BtM-Delikte. Auch der in der Beratungspraxis wichtige Bereich „Drogen im Straßenverkehr“ ist hier platziert. Die Kommentierung des § 29 BtMG umfasst die verschiedenen Tatbestände – von der Verwirklichung des Tatbestandes bis zur Strafzumessung. Die Kommentierung des § 35 BtMG (in fünf Kapitel gegliedert) ist gelungen. Patzak zeigt die Möglichkeiten der Zurückstellung der Strafvollstreckung, erklärt in den Vorbemerkungen zu §§ 35 ff. BtMG Therapiemöglichkeiten sowie die materiellen und formellen Anforderungen der Zurückstellung, die Zurückstellungshindernisse und das -verfahren, mögliche Rechtsmittel bis hin zum Widerruf der Zurückstellung. Es ist zu wünschen, künftig weitere Gliederungen den Kommen tierungen voranzustellen, um die Handhabung zu verbessern. Die Texte überzeugen mit klarem Stil und wenig Abkürzungen. Sie sind mit fettgedruckten Begriffen durchzogen, was die Suche erleichtert. Der Fußnotenapparat zitiert aktuelle Rechtsprechung und Literatur. RAin Anna Carlius, Bonn Fazit: Der Kommentar Gesamtes Medizinrecht fokussiert die Praxis mit wissenschaftlicher Fundierung. Er ist den juristi schen Berufsgruppen des Gesundheitsbereichs für eine hochwertige Beratung zu empfehlen. Ein starker Kommentar! Fazit: Der neue Körner setzt Maßstäbe. Die Autoren übertreffen ihre Ansprüche und bieten dem Neuling einen Einstieg ins Betäubungsmittelrecht und dem erfahrenen Praktiker einen zuverlässigen Begleiter. RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock ADVOICE 02/12 59 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 60 Bücher-FORUM Straßenverkehrsrecht Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht Reiserecht Burmann/Heß/Jahnke/Janker, 22. Aufl. 2012, 1.462 S., 85,00 EUR, Verlag C.H. Beck Himmelreich/Halm (Hrsg.), 4. Aufl. 2012, 2.846 S., 139,00 EUR, Luchterhand Verlag Ernst Führich, 6. Aufl. 2010, 1.331 S., 134,00 EUR, Verlag C.H. Beck Ende Januar 2012 ist die nunmehr 22. Auflage des Burmann/ Heß/Jahnke/Janker erschienen und befindet sich auf dem Rechtsstand vom 1.10.2010. Das Werk ist Teil der Reihe „Gelbe Erläuterungsbücher“ des C.H. Beck Verlages und damit als Kurzkommentar einzuordnen. Im Werk werden nach einer sehr gut aufgebauten Einführung die wichtigsten straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften aus StVG, StVO, StGB, StPO, BGB und VVG kommentiert. Das Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht bietet eine systematische, klar strukturierte und erschöpfende Darstellung des gesamten Verkehrsrechts. Es befasst sich in insgesamt acht Teilen mit den verschiedenen Teilbereichen des Verkehrsrechts. Die ersten drei Teile sind dem Verkehrszivilrecht, dem Verkehrsstrafund Ordnungswidrigkeitenrecht und dem Verkehrsverwaltungsrecht gewidmet. Die nachfolgenden Teile thematisieren die verkehrsrechtlichen Bezüge zum Arbeitsrecht, das Gefahrgutrecht und das Umweltstrafrecht, den Sachverständigen im Verkehrsrecht, anwaltsrechtliche Bezüge (inklusive Gebührenrecht) und abschließend Sonderthemen. Dabei werden alle Themenbereiche aus Sicht von Praktikern für die Praxis geschrieben. Insbesondere die Fußnoten enthalten zahlreiche Fundstellen zu einschlägigen und aktuellen Gerichtsentscheidungen. Der Verfasser des Buches Prof. Dr. Ernst Führich ist Professor für Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Reiserecht an der Hochschule Kempten. Unter Berücksichtigung der zwei Herausgeber haben insgesamt 46 Bearbeiter aus Rechtsanwaltschaft, Richterschaft, Versicherungswirtschaft, Verwaltung, Sachverständige und Psychologen an der Entstehung des Werkes mitgewirkt. Alle sind sie Experten auf ihrem Gebiet und zeichnen sich durch langjährige Berufserfahrung aus. Das Buch ist einer der wenigen Kommentare zum Luftbeförderungsrecht. Ausführlich werden die vorliegende Literatur, Gesetzgebung und Rechtsprechung zu der Verordnung (EG) Nr. 261/ 2004 über Fluggastrechte und zum Montrealer Übereinkommen behandelt. Auch das Bus-, Eisenbahn-, Schiffsbeförderungsrecht und Beherbergungsrecht, die Einbringung von Sachen bei Gastwirten und das Bewirtungsrecht wird dargestellt. Im Bereich des StVG wurden insgesamt sechs Gesetzesnovellen ebenso wie neue Rechtsprechung der deutschen Instanzgerichte und des EuGH, beispielsweise bei § 2 StVG die „Scheffler“Entscheidung hinsichtlich des Fahrerlaubnisrechts, eingearbeitet. Auch gesetzgeberische Neuerungen der StVO wurden in der Neuauflage berücksichtigt. Ergänzt wird die Kommentierung hier durch einige Diagramme, die hervorragend zur Schnellorientierung geeignet sind. Die Kommentierung der einschlägigen Vorschriften des StGB und der StPO erfolgt unter strikter Beachtung derer wesentlichen Inhalte und Auswirkungen auf den Straßenverkehr. Durch diese Fokussierung wird dem Leser im Vergleich zu anderen Kommentaren zum StGB die Arbeit erleichtert. Gleiches gilt für die Kommentierung der §§ 249, 253, 254, 842 BGB. Zu bemängeln ist hier nur, dass keine Kommentierung des § 823 StGB erfolgt ist. Im Bereich des VVG werden nur die allerwichtigsten für das Straßenverkehrsrecht relevanten Vorschriften kommentiert. Dies ist jedoch nicht von Nachteil, da die Bearbeitung der kommentierten Vorschriften kompakt und gut erfolgt. Bei § 81 VVG wird in diesem Sinn ein sehr guter Überblick über die Rechtsprechung zu grober Fahrlässigkeit hinsichtlich der Herbeiführung des Versicherungsfalls gegeben. Der Aufbau der Kommentierung jeder einzelnen Vorschrift erfolgt übersichtlich. Neben Vorbemerkungen und Grundlagen werden die wichtigsten Stichworte im Text optisch hervorgehoben und somit die Orientierung beim Leser erleichtert. Im Anhang des Werks befindet sich darüber hinaus noch ein Abdruck der wichtigsten Verordnungen im Straßenverkehrsrecht. Fazit: Der Burmann/Heß/Janke/Janker ist ein guter und praxisorientierter Kommentar zum Straßenverkehrsrecht. Auch angesichts des relativ günstigen Kaufpreises ist die Anschaffung uneingeschränkt zu empfehlen. RA Martin Bretzler, Hann. Münden Für den im Verkehrsrecht tätigen Rechtsanwalt ist das Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht dadurch, dass es alle Berührungspunkte, die in der anwaltlichen Tätigkeit zum Vorschein kommen, abdeckt, ein ausgezeichneter Begleiter. Es ist nicht nur für den Fachanwalt eine hilfreiche Stütze bei der täglichen Arbeit, sondern insbesondere auch für den Berufsanfänger, der häufiger im Verkehrsrecht tätig ist, auch wenn erwähnt werden sollte, dass die Fülle der präsentierten Informationen den Neuling im Verkehrsrecht schlicht überwältigen kann. Schriftsatzmuster und Checklisten enthält das Werk nicht. Dafür aber zahlreiche Hinweise für die Beratungs- und Vertretungspraxis. Fazit: Das Handbuch des Fachanwalts Verkehrsrecht ist ein Handbuch im wahrsten Sinne des Wortes und hält die Antworten auf nahezu alle Fragen bereit, die in der anwaltlichen Tätigkeit im Verkehrsrecht auftauchen. Jedoch ist zu betonen, dass es gewisse Grundkenntnisse im Verkehrsrecht voraussetzt und für absolute Neueinsteiger zunächst zu umfangreich sein kann. RA Kerem Türker, Berlin Dieser fundierte Reiserechtsratgeber, der zugleich Kommentar und Handbuch ist, hat sich für Reiserechtler als wichtiges und unentbehrliches Arbeitsmittel bewährt. Die Praktikertipps bezie hen sich sowohl auf materielle als auch auf prozessuale Fragen der Rechtsdurchsetzung. Das Handbuch gliedert sich in drei große Abschnitte (1. Reisevertragsrecht, 2. Reiseversicherungen und 3. Individualreiserecht). Die Informationspflichten von Reiseveranstaltern und das Reisevermittlungsrecht werden anschaulich dargestellt. Der Teil „Reiseversicherungen“ ist in drei Kapitel unterteilt, welche die wesentlichen Bereiche der Praxis abdecken. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Reiserücktrittskosten- und Reiseabbruchversicherung, ein zweites Kapitel mit der Reisegepäckversicherung. In einer allgemeinen Einführung werden die Grundlagen der Reiseversicherungen erklärt. Die Musterbedingungen des GDV für Reiseversicherungen werden neu kommentiert. Anschaulich ist ebenfalls der Abschnitt „Reiserecht und Wettbewerbsrecht“. Die 6. Auflage berücksichtigt die UWG Reform. AGB-Klauseln im Reiserecht werden untersucht. Zur Frage des anwendbaren Rechts bei Pauschalreisen findet sich ein guter Überblick, der auch die Rom-I- und Rom-II-Verordnung berücksichtigt. Die internationale Zuständigkeit wird verständlich dargestellt. Der umfangreiche Anhang enthält 32 Checklisten, 14 Schaubilder, Gesetzestexte, Verordnungen, eine Entscheidungssammlung von BGH- und EuGH-Urteilen, die Kemptener Reisemängeltabelle und die Frankfurter Tabelle zur Reisepreisminderung sowie zahlreiche Musterformulare. Fazit: Durch die klare Gliederung findet der Leser schnell fundierte Antworten auf alle wesentlichen Fragen des Reiserechts. Die Anschaffung ist lohnenswert. RAin Antje Krenkel, Berlin 60 ADVOICE 02/12 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 61 Bücher-FORUM Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht in der anwaltlichen Praxis Reinhard Marx, 4. Aufl. 2011, 1.292 S., 119,00 EUR, Deutscher AnwaltVerlag Das von Rechtsanwalt Dr. Reinhard Marx verfasste Handbuch zum Aufenthalts-, Asyl- und Flüchtlingsrecht verfolgt den Anspruch, dem anwaltlichen Nutzer ein auf die praktische Mandatsbearbeitung zugeschnittenes Hilfsmittel zu sein. In 13 Kapiteln, von denen sich acht dem Aufenthaltsrecht und fünf dem Asyl- und Flüchtlingsrecht widmen, stellt der Autor unter Bezug auf die derzeitige Gesetzeslage und die aktuelle nationale wie unionsrechtliche Rechts- und Rechtsprechungsentwicklung sowohl materiell-rechtliche als auch verfahrensrechtliche Besonderheiten des Ausländerrechts umfassend und praxisnah dar. Die einzelnen Kapitel sind systematisch gegliedert und durch selektiven Fettdruck von Kernaussagen und -stichwörtern optisch aufbereitet. Der Text ist durchgehend gut lesbar und weiß ins besondere auch dadurch zu gefallen, dass der Autor seine in der anwaltlichen Praxis erworbene Erfahrung durch kritische Auseinandersetzung mit Legislative und Judikative einerseits, aber auch mit der eigenen Klientel andererseits an den Leser weitergibt. Mit besonderem Nachdruck mahnt der Autor die Anwaltschaft im Aufenthaltsrecht an eine systematische Herangehensweise zur fehlerfreien Durchdringung der strengen formalen gesetzlichen Strukturen sowie im Asylrecht an präzise, umfassende Recherchen als Vorbedingung zur Bewältigung des Glaubwürdigkeitstests, d. h. der nüchternen Einschätzung der Stimmigkeit, Widerspruchsfreiheit, Konkretheit und Erlebnisfundiertheit der Angaben des Mandanten, und zur Durchsetzung eines asylrechtlichen Schutzstatus. Als Handreichung für die anwaltliche Beratungs- und Vertretungspraxis sind dem Werk als Formulierungshilfen 47 Antragsmuster und als eine Art Prüfungsschemata 28 Schaubilder beigegeben. Bereits die Struktur des Handbuchs selbst, daneben auch das übersichtliche Gliederungs- und das umfangreiche Stichwort verzeichnis helfen zuverlässig, sich im Text schnell zurechtzufinden. Fazit: Das Werk bietet eine umfassende Wissensvermittlung und Problemorientierung, die schwerwiegende Fehler vermeiden und praxistaugliche Lösungsansätze finden hilft. Wer das Handbuch einmal in Gebrauch hatte, der wird es in der anwaltlichen Beratungs- und Vertretungspraxis nicht mehr missen wollen. RA Jens David Runge-Yu, Freiburg i. Br. Betriebsverfassungsgesetz Paschke/Berlit/Meyer Reinhard Richardi (Hrsg.), 13. Aufl. 2012, 2.548 S., 165,00 EUR, Verlag C.H. Beck Der Kommentar zum BetrVG von Richardi gilt gemeinhin als der Standardkommentar, welcher sowohl von Rechtsanwälten und Richtern als auch von Mitarbeitern in Personalabteilungen und Betriebsräten benutzt wird. Die Neuauflage berücksichtigt mehr als 100 neue Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte, die Auswirkungen auf das Betriebsverfassungsrecht haben. Neben den Vorschriften des BetrVG wird in dem Werk auch die WO (Wahlordnung) kommentiert. Besonderes Lob verdient vorab die Einleitung, in welcher Richardi die historischen Wurzeln und die Entwicklung des Betriebsverfassungsrechts in Deutschland beleuchtet. Daneben schildert er, woraus sich die Rechtsstellung des Betriebsrats ergibt und weshalb die Betriebsverfassung Gegenstand tarifvertraglicher Regelungen sein kann. Durch diese Darstellung wird der Leser schnell in die Lage versetzt, Sinn und Zweck des BetrVG zu erkennen. Einen besonderen Schwerpunkt legt Richardi auf den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff des § 5 BetrVG. Hierbei werden auf über 60 Seiten sämtliche relevanten Arbeit nehmereigenschaften behandelt. Auch die Definition und Abgrenzung der leitenden Angestellten erfolgt äußerst umfangreich und gut verständlich. Die Neuauflage beschäftigt sich intensiv mit der ergangenen Rechtsprechung in den Bereichen der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG. Eingearbeitet und erweitert wurden hier die Grenzen des Mitbestimmungsrechts bei Zielvereinbarungen und bei der Errichtung und Durchführung von Ethikregeln (Compliance). Eingearbeitet wurde auch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der Weitergeltung nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung. Die Kommentierung jeder einzelnen Norm erfolgt dabei durch eine kurze Gliederung zu Beginn der einzelnen Paragraphen. Vorbemerkungen erleichtern dabei oftmals die historische Einordnung der jeweiligen Norm und ermöglichen deren Verständnis. Ein weiterer Pluspunkt der Darstellung ist ferner, dass nach jeder Norm unter dem Begriff „Streitigkeiten“ dargestellt wird, ob bei spielsweise die Einigungsstelle zuständig ist oder ein Beschlussverfahren durchgeführt werden muss. Fazit: Das von Richardi herausgegebene Werk nimmt zu Recht seinen Platz als Standardkommentar im Bereich Betriebsver fassungsrecht ein. Es ist sowohl für den Vertreter des Arbeitgebers als auch für den Vertreter des Betriebsrats eine gute Wahl. Personalbuch 2012 Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht, Sozialversicherungsrecht Wolfdieter Küttner, 19. Aufl. 2012, 2.829 S., 119,00 EUR, Verlag C.H. Beck Das Personalbuch 2012 bringt in der aktuellen 19. Auflage eine nach Stichworten geordnete Übersicht zu allen Fragen des Personalrechts in den drei Rechtsgebieten Arbeitsrecht, Lohnsteuerrecht und Sozialversicherungsrecht, Stand 1. Januar 2012. Die Bearbeiter des Werkes, das sich nicht nur an Personalabteilungen, Steuerberater und Betriebsräte, sondern auch an Rechtsanwälte und Richter richtet, liefern zu über 400 Stichworten aus der betrieblichen Praxis Antworten und tragen so zu einer umfassenden, raschen und zielorientierten Problemlösung in der arbeitsrechtlichen und betrieblichen Praxis bei. Die Antworten findet der Suchende sicher und einfach durch das ausführliche und mit Querverweisen und Unterpunkten versehende Stichwortverzeichnis. Ergänzt wurde das Personalbuch 2012 in der aktuellen Auflage um die Stichworte Betriebliches Eingliederungsmanagement, Freiwilligendienst, Lohnsteuerabzugsmerkmale sowie Soziale Netzwerke. Berücksichtigt wurde zudem die aktuelle Rechtsprechung des BAG und des EuGH, insbesondere bezüglich der für die Praxis wichtigen Entscheidungen zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften, zum betrieblichen Eingliederungsmanagement, zur sachgrundlosen Befristung, zum Betriebsübergang, zur AGBKontrolle und zum Urlaubsrecht. Auch aktuelle Gesetzesänderungen im Lohnsteuer- und Sozialversicherungsrecht wurden eingearbeitet. Neu bei der aktuellen Auflage ist der kostenfreie Zugriff auf die Online-Version des Personalbuchs 2012. Diese enthält neben dem kompletten Werk die zitierte Rechtsprechung im Volltext sowie sämtliche zitierten Gesetze, Verordnungen und Verwaltungsanweisungen. Exklusiv in der Online-Version verfügbar sind zudem 33 verschiedene Gruppen von Musterformularen zum Personalrecht wie Arbeitsverträge, Aufhebungsvereinbarungen, Sozialplan, etc. Unterjährige Aktualisierungen zum 1.1., 1.7. und 1.10., in Form von Anmerkungen durch die Autoren, runden das Angebot der Online-Version ab. Fazit: Insbesondere aufgrund seiner hohen Aktualität ist das Personalbuch 2012 ein sehr nützliches Werk und bietet - als schnelles Nachschlagewerk - konkrete Lösungen und Antworten auf die gängigen Fragen des personalrechtlichen Alltags. Das Personalbuch 2012 sollte daher in der betrieblichen und rechtlich Beratungspraxis nicht fehlen. Mit der Online-Version gestattet es zudem ein sehr flexibles Arbeiten. RA Dominik Nowak, Bochum RA Martin Bretzler, Hann. Münden ADVOICE 02/12 61 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:47 Seite 62 Bücher-FORUM Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren RVG für Anfänger AnwaltKommentar RVG Redeker/Uechtritz (Hrsg.), 2. Aufl. 2012, 1.666 S., 139,00 EUR, Verlag Dr. Otto Schmidt Horst-Reiner Enders, 15. Aufl. 2012, 765 S., 39,80 EUR, Verlag C.H. Beck Schneider/Wolf (Hrsg.), 6. Aufl. 2012, 2.792 S., 139,00 EUR, Deutscher AnwaltVerlag Das Buch hat gegenüber der ersten Auflage in mehreren Punkten wesentliche Änderungen erfahren: Zunächst ist es hinsichtlich der Handhabung wesentlich benutzerfreundlicher geworden, denn anstelle der losen Blattsammlung ist es nunmehr ein gebundenes Werk. Ferner sind aufgrund von Gesetzesänderungen einige gewohnte Rechtsgebiete weggefallen, so insbesondere das Recht der Wehrpflicht. Hinzugekommen sind jedoch zwei neue Gebiete: das Recht der Informationen und das Spielhallen- und Glücksspielrecht. Der Enders stellt auf rund 800 Seiten alles Wichtige zum RVG dar. In einer auch für Anfänger verständlichen Sprache und mit kurzen prägnanten Sätzen werden in verschiedenen Kapiteln sowohl allgemeine Vergütungsfragen wie Aufbau und Handhabung des RVG bzw. die verschiedenen Gebührenarten als auch, nach Rechtsgebieten bzw. Gebührentatbeständen unterteilt, die einzelnen Gebührentatbestände behandelt. Die 6. Auflage des AnwaltKommentar RVG von Schneider/Wolf ist Beleg für seine große Akzeptanz in der Anwaltschaft. Während in der Vorauflage zwei große Gesetzesnovellen zu integrieren waren, ist die aktuelle Ausgabe davon geprägt, das Werk zu aktualisieren, neue Literatur und die vielfältige jüngste Rechtsprechung bis zum Stand von Oktober 2011 einzupflegen und – wo erforderlich – kritisch zu beleuchten. Die einzelnen Gebührentatbestände beginnen mit dem Abdruck der entsprechenden gesetzlichen Bestimmung. Durch die graue Hinterlegung ist sie deutlich vom restlichen Text abgehoben und bildet daher auch optisch eine Abgrenzung zur vorherigen Vorschrift. Nach allgemeinen Erläuterungen werden anhand mehrerer Beispielsfälle verschiedene Varianten dargestellt und voneinander abgegrenzt. Teilweise wird dies noch durch Praxistipps oder kurze Zusammenfassungen am Ende der Vorschrift ergänzt. Auch Checklisten, beispielsweise zu den Belehrungspflichten bei PKH-Fällen oder Punkten, die bei einer Vergütungsvereinbarung zu beachten sind, machen dieses Werk für Praktiker interessant. Das Autorenteam setzt sich aus erfahrenen Praktikern aus Anwaltschaft, Steuerberatung und Justiz zusammen. Zwei ausgewiesene Gebührenspezialisten – RiAG Peter Fölsch und Dipl.-Rpfl. Joachim Volpert – konnten dazu gewonnen werden. Das Anwaltshandbuch Verwaltungsverfahren untergliedert sich in insgesamt acht Teile (Allgemeines, Bauen, Umwelt, Kommunalabgaben, Wirtschaftsverwaltung, Öffentlicher Dienst, Ausländer, Schule bzw. Hochschule), wobei sich jeder Teilbereich in bis zu vier weitere Unterpunkte aufgliedern kann. In der gebotenen Kürze kann und soll hier nur das Recht der Informationen hervorgehoben werden. Es findet seine Grundlage in dem veränderten Verständnis vom Agieren der Verwaltung. Dieses soll für den Bürger transparenter werden, und so wurden neben den Bundesgesetzen (UIG, IFG, VIG) auch Landsgesetze geschaffen, aus denen der Bürger Ansprüche herleiten kann. Den Autoren gelingt es sehr gut, die neue Materie sehr anschaulich darzustellen, sowohl was die Ansprüche des Bürgers, als auch die denkbaren Gegenansprüche betrifft. Die Autoren haben einen hohen Anspruch zu erfüllen und kommen dem auch nach. Klar und verständlich erläutern sie die jeweiligen Rechtsgebiete sowohl in prozessualer als auch in materieller Hinsicht; sie vertiefen ihre Ausführungen auch anhand von Beispielen oder kleinen Fällen, die sie jeweils optisch hervorheben. Ob man das Fehlen einer CD, auf der Vorschläge für Anträge usw. vorformuliert sind, als „Makel“ ansehen will, muss jeder für sich selbst entscheiden. Fazit: Mit dem Buch ist den Autoren ein praxisnahes Werk und damit ein großer Wurf gelungen, welches sich erwartungsgemäß den neuen Gesetzeslagen stellt und anschaulich darlegt. Es reiht sich problemlos in das vom Verlag gewohnte hohe Niveau ein. RA Dirk Hofrichter, Strausberg Sofern sinnvoll, wird im Text auf andere Kapitel verwiesen. Fußnoten sind separat unterhalb des Textes angegeben, was die Lesbarkeit des Textes deutlich verbessert. Da die Randnummern unabhängig vom jeweiligen Kapitel durchgängig sind, findet man anhand des Sachverzeichnisses schnell die richtige Stelle. Für „ältere Semester“ besonders hilfreich ist, dass im Sachverzeichnis noch die Begriffe der BRAGO enthalten sind mit Verweis auf den entsprechenden neuen Begriff des RVG. Dadurch, dass der Enders Rechtslage und Rechtsprechung bis Juli 2011 beinhaltet, ist der Leser auf dem aktuellen Stand. Bereits berücksichtigt sind insbesondere die Anrechnungsproblematik des § 15 a RVG und die umfangreichen Änderungen durch das zum 1.9.2009 in Kraft getretene FamFG. Der Autor selbst ist ein „Hochkaräter“. Horst-Reiner Enders arbeitete fast 30 Jahre als Bürovorsteher in verschiedenen Anwaltskanzleien. Aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Dozent hat er große Erfahrung darin, den teils schwierigen Stoff verständlich zu vermitteln. Da er seit 1995 zudem als ständiger Autor und Mitarbeiter einer Fachzeitschrift zum Kostenrecht tätig ist, ist er stets auf dem aktuellen Stand. Fazit: Der Enders überzeugt durch seine Vielzahl von Fallkonstellationen und seinem Preis-Leistungsverhältnis. Er ist das Buch zum RVG für Einsteiger und Fortgeschrittene. Konsequent ist der Kommentar den praktischen Bedürfnissen angepasst. Weitgehend verzichtet man auf Literaturstreitigkeiten. Ausführlich erläutern die Autoren die neue Rechtsprechung. In dem klassischen Aufbau geht den Kommentierungen der Gesetzestext mit Literaturhinweisen voraus. Es folgt die detaillierte Gliederung, an die sich die Erläuterungen der RVG-Vorschriften und Ziffern des VV RVG anschließen. Diese folgen der bewährten Systematik der Reihe „AnwaltKommentar“. Nach allgemeinen Hinweisen werden z. B. Regelungsgehalt, Erstattungs- und PKH-/ VKH-Fragen, Praxisempfehlungen oder die Vergütungsfestsetzung dargestellt. Berechnungsbeispiele, Praxishinweise, Schaubilder, Tabellen (z. B. Verfahrenswerte § 16 RVG), ABC-Listen und der Fußnotenapparat helfen bei der Abrechnung. Im Anhang sind Gebührentabellen, Streitwertvorschriften und Streitwertkataloge (z. B. der Sozialgerichtsbarkeit) abgedruckt. Die neuen §§ 24, 59a, 62 RVG sind erläutert. Die RVG-Änderungen nach dem FGG-Reformgesetz führten zu neuer Rechtsprechung, die integriert ist. Klargestellt ist, dass in Kindschaftssachen eine Einigungsgebühr möglich ist. Auch die sich bei den Verfahrenswerten in Familiensachen ergebenden Problemfelder, z. B. die Bewertung einstweiliger Anordnungen in Unterhaltssachen, sind aufbereitet. Höchstrichterlich geklärt ist, wie in wieder aufgenommenen Versorgungsausgleichsverfahren abzurechnen ist. Im Rahmen des § 15a RVG sind wichtige BGH-Urteile zur Behandlung von Altfällen integriert. Eine gelungene Darstellung zu dem oft problematischen Begriff der „Angelegenheit“ ist in § 15 RVG zu lesen. Stark sind die Erklärungen zur Vergütung bei PKHGewährung, besonders bei der Rückwirkung der Beiordnung (§ 48 RVG). Fazit: Der AnwaltKommentar RVG ist die große Hilfe für vielfältige Abrechnungsfragen. Er ist jedem Anwalt wirklich uneingeschränkt zu empfehlen. RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock RAin Tanja Fuß, MPA, Stuttgart 62 ADVOICE 02/12 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:48 Seite 63 Autorenverzeichnis Dr. Nikolaus Stackmann ist Vorsitzender Richter am OLG München. Seit 1987 war er mit Unterbrechungen durch Tätigkeiten als Staatsanwalt und im Bayerischen Obersten Rechnungshof in unterschiedlichen Funktionen am LG München I, vorwiegend im zivilrechtlichen Bereich tätig. A Velimir Milenkovic ist Geschäftsstellenleiter des Bayerischen Anwaltverbandes. www.bayerischer-anwaltverband.de Dr. Lasse Schuldt ist Rechtsreferendar im Bezirk des Kammergerichts Berlin. Er absolviert derzeit seine Wahlstation am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaften in Peking. [email protected] Arne Koltermann ist Assessor und studiert Theater- und Filmkritik an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. [email protected] Esther-Maria Roos ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Coach in Köln. Sie ist Expertin für Konfliktmanagement, Konfliktcoaching und systemische Organisationsentwicklung. www.kanzlei-roos.de Matthias Lachenmann ist selbstständiger Rechtsanwalt in Paderborn mit den Schwerpunkten IT-Recht, gewerblicher Rechtsschutz und Gründungsberatung. www.rechtsanwaeltekoeln.eu Tobias Sommer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht sowie Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz in der Kanzlei 24 IP Law Group. Er war als freier Journalist tätig und ist seit 2006 Chefredakteur der AdVoice. [email protected] Steffen Eube ist angestellter Jurist bei HDI-Gerling Firmen und Privat Versicherung AG und dort im Zentralen Underwriting Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung tätig. [email protected] Christian Grüneberg ist Rechtsanwalt der international ausgerichteten Wirtschaftskanzlei Busekist Winter & Partner in Düsseldorf. [email protected] AdVoice sucht Dich als MODEL! Wenn Du ein besonderes Hobby, eine Passion neben Deinem Anwaltsberuf hast und Dich Deinen KollegInnen vorstellen möchtest, bist Du bei uns richtig. Wir wollen Dich ablichten – sowohl in Deinem Be rufslook (Anzug/Robe) als auch in Deinem HobbyOutfit, ganz gleich, ob Du nun passionierter Taucher, Radfahrerin, Fechter, Malerin, Motorradfahrer oder Surferin bist. Dein Image ist uns wichtig! Trau Dich, melde Dich! > [email protected] ADVOICE 02/12 63 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:48 Seite 64 Service Fotos Titelseite: Das letzte Wort Gudman Design Andrea Vollmer Eine rechtliche Verkomplizierung RainerSturm_pixelio.de Impressum: Redaktion: Stefanie Salzmann, Ass. iur. Matthias Dantlgraber, RA Patrick Ruppert / Bildredaktion: Andrea Vollmer / Bücherforum: RA Jens Jenau / V.i.S.d.P.: RA Tobias Sommer (Chefredakteur) Anschrift wie Herausgeber Fotos S. 2: Stephan Eichler, Stefan Höderath Herausgeber: Geschäftsführender Ausschuss des FORUMs Junge Anwaltschaft im DAV, Berlin Littenstraße 11, 10179 Berlin, Tel. 030/7261520 Erscheinungsweise: vierteljährlich (1./2./3./4. Quartal) Es gilt die Anzeigenpreisliste 1/2012 Anzeigen: sales friendly Verlagsdienstleistungen, Bettina Roos Siegburger Str. 123, 53229 Bonn Tel. 0228/97898-10, Fax: 0228/97898-20 E-Mail: [email protected] So viel Papier will unterschrieben werden. Foto: Rolf van Melis_pixelio.de Bezugspreis: 48,00 Euro (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten für 4 Ausgaben / Einzelheft: 14,50 Euro / Für Mitglieder des FORUMs Junge Anwaltschaft im Deutschen Anwaltverein ist der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten. ISSN 1437-3084 Wir Anwälte predigen unseren Mandanten, potentiellen Mandanten und sowieso jedermann immer wieder eines: alles schriftlich zu vereinbaren und nichts zu unterschreiben, was man sich nicht vorher durchgelesen und verstanden hat. Das hält uns natürlich nicht davon ab, es selbst auch nicht viel besser zu machen, wenn nicht sogar noch schlechter. Schlimmstenfalls lässt man einen neuen Mandanten nur eine Vollmacht unterschreiben, bevor man sich auf den Fall stürzt, um sich später mit ihm über den Umfang des Mandats streiten zu können. Eventuell kommt noch eine Vergütungsvereinbarung dazu und – hoffentlich – irgendwo der Hinweis, dass grundsätzlich der Streitwert für die anschließende Rechnung ausschlaggebend ist – natürlich getrennt unterschrieben. Wer vor sich selbst sichergehen möchte, kann dann dem Mandanten auch noch eine Haftungsbeschränkungsvereinbarung vorlegen, so dass man bei leichter Fahrlässigkeit nur eine Million zu zahlen hat. Das entspannt. Damit ist es natürlich eigentlich noch nicht getan: Wenn wir schon AGB für Mandanten erstellen, ist es naheliegend, auch selbst selbige vorzuhalten. Darauf lässt sich zumindest dann verweisen, wenn der Mandant die Rechnung nicht zahlen möchte, weil diesem nicht in den Sinn kam, dass der Anwalt nicht umsonst arbeitet. Und einen Mandatsvertrag haben wir jetzt noch immer nicht. 64 ADVOICE 02/12 Hat jemand mitgezählt, wie viele Unterschriften des Mandanten nötig sind? Oder überschlagen, wie viel Zeit ein pedantischer Mandant im Büro verbringt, allein, um sich alles durchzulesen – und einen dabei mit Fragen zu einzelnen Punkten zu löchern? So fragte ich mich zu Beginn meiner Anwaltstätigkeit: Kann man überhaupt irgendwie seinen Ansprüchen gerecht werden und alles gesetzesmäßig und ordentlich machen, ohne den Mandanten so zu schockieren, dass er lieber zu einem schlampigen Anwalt rennt? Wie sieht nun die praktikabelste Lösung aus? Mein Vorschlag: Die Vollmacht steht natürlich für sich. Der Mandatsvertrag und die Vergütungsvereinbarung werden zusammengefasst und enthalten den Hinweis auf die Geltung der Mandatsbedingungen. Es folgen die allgemeinen Mandatsbedingungen. Der Hinweis auf die Abrechnung nach dem Gegenstandswert kann in diesen erfolgen.1 Eine Haftungsbeschränkungsvereinbarung legt man den Mandanten nur bei größeren Risiken vor. Ich werde mich jedoch davor hüten, den Gesetzgeber dazu aufzufordern dies alles zu vereinfachen, denn der Gesetzgeber hat sicherlich genug Ideen, um die Sache im Sinne des allseits strapazierten „Schutzes des Verbrauchers” weiter zu verkomplizieren, statt zu vereinfachen und dadurch im Endeffekt einen besseren Schutz des Mandanten und höhere Transparenz zu verhindern. Layout / Satz: gudman design weimar, www.gudman.de Lektorat: Nora Döring, BILDART Druck: Buch- & Kunstdruckerei Keßler GmbH, Weimar Artikel und Beiträge sind Meinungsäußerungen der Autoren und geben nicht immer die Meinung der Redaktion bzw. des Deutschen Anwaltvereins und seiner Gremien wider. Redaktionsschluss: Heft 3/2012, 10. August 2012 ADVOICE 03/12 Image Das Image einer Berufsgruppe ist ein Stimmungsbild ihrer selbst in der Gesellschaft. Das steht nicht fest, sondern unterliegt der Wandlung und Dynamik. AdVoice hat nachgesehen, wo Anwälte stehen, was sie tun und tun könnten, um an ihrem Gesellschaftsbild zu arbeiten. Wir haben also den Begriff Image beim Wort genommen und Anwälte in deren persönlicher Vielfalt portraitiert. Von den Vielfältigen unter euch wünschen wir uns Beiträge fürs nächste Heft und viele bunte Anwaltsbilder. > [email protected] RA Matthias Lachenmann, Paderborn 1 so Reinelt/Strahl, in: Mes, Beck’sches Prozessformularhandbuch, 11. Auflage 2010, Lit. A., I., 1. Anm. 2. 2012_ AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:49 Seite 65 Was auch kommt. Zählen Sie auf uns! Wir haben Ihre Ziele von Anfang an im Blick. Erstklassiger Schutz für Rechtsanwälte, die Mitglied im Forum junger Anwaltschaft sind sowie günstige Einsteigerkonditionen in den ersten 5 Jahren. Firmen und Privat www.hdi-gerling.de Mehr unter Telefon 0511 3031-126, per E-Mail an [email protected] oder senden Sie uns ein Fax 0511 645-1780. 2012_Existenzgr_AP_H_A4_4c.indd 1 14.02.12 16:55 AdVoice 02_12 druck_Layout 1 06.07.12 12:50 Seite 66 Recht hat eine neue @dresse! Auch als kostenlose App erhältlich - Gesetze ohne bestehende Internetverbindung nutzbar - Vorschriften-Notizfunktion mit Synchronisation auf Ihren Geräten - DG Deutsche Gesetze Kommentar in Vorbereitung - inkl. Entscheidungsfinder: mit Fundstelle Entscheidungen suchen - Bereits über 200.000 Mal heruntergeladen Mit Kachel-Oberfläche für schnellen Überblick und einfache Recherche Die aktuelle elektronische Gesetzesausgabe inkl. Deubner DRsp – Deutsche Rechtsprechung. 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