DAT 2011 - Forum Junge Anwaltschaft

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DAT 2011 - Forum Junge Anwaltschaft
Anwalt der Anwälte
G 48742
02/11
FORUM Junge Anwaltschaft im DeutschenAnwaltverein
Thema:
Sex
DAT 2011
BERICHTE UND BILDER
Porno 2.0
Verboten: Lesen beim Sex
Nur affengeil?
Nichtraucher- und Raucherschutz
Der Aldi unter den Anwälten
forum Junge Anwaltschaft
w w w. d a v f o r u m . d e
Editorial
www.davforum.de
Sex geht uns etwas an
Mailingliste:
Fragen rein, Ideen raus!
Sex sells, das ist bekannt! Die Pornoindustrie
setzt weltweit Milliarden um. Die Pornoindustrie
wirbt breit und unverhohlen, weil wir das dank
der 68er-Generation moralisch vertragen können.
Schlüpfrige Marken prangen an Produkten und
buhlen um die Gunst ihrer meist männlichen
Käuferschicht. Wie weit der Werber hierbei allerdings gehen darf, sagt ihm die Rechtsordnung
und eine im steten Wandel befindliche Kasuistik
in der Rechtsprechung. Wo derlei Grenzen überschritten werden, da sind gerade wir Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gefragt. Unsere
These: wo genügend Geld winkt, stehen immer
auch Anwälte bereit, die zu allem bereit sind.
Das FORUM bietet allen m/w Referendaren, Assessoren
und Anwälten bis 40 Jahren
s Mailingliste
Sex geht uns etwas an. Wir wissen das spätestens
seit dem medial breit getretenen Fall Kachelmann.
Mehr als ein Jahr lang haben sich Richter, Strafverteidiger, unzählige Medienvertreter und eine oft
nur nach Sensation gierende Öffentlichkeit über
jedes noch so kleine Detail im Intimleben der Protagonisten hergemacht. Am Ende steht zwar der
Freispruch des Moderators, weil er nicht zweifelsfrei
der Vergewaltigung seiner damaligen Freundin für
schuldig befunden werden konnte. Doch nach der
Juristen- und Medienschlacht sucht man echte
Gewinner vergebens. Wir Rechtsanwälte tragen für
derlei Ergebnisse unter anderem die Verantwortung.
s Interessenvertretung
s Vergünstigungen
s Erfahrungsaustausch
s Stammtische
Sex ist somit eben nicht nur der Gipfel tiefer Liebesbekundung zu einem Partner. Sex ist Triebkanal,
wenn unterdrückt oder verboten nicht selten Grund
tief greifender psychischer Störung, die wie-derum
Missbrauch Schwächerer und Schutzbefohlener
hervorrufen kann. Die katholische Kirche musste
sich jüngst einmal mehr wegen einer Vielzahl von
erwiesenen Missbrauchsfällen mit der Frage ihrer
Glaubwürdigkeit rund um die eigene Sexualmoral
beschäftigen. Sie gibt sich geläutert und beteiligt
sich an materieller Wiedergutmachung außerhalb
der Verjährungsproblematik. Dabei sollte eigentlich
ein Leben in Keusch- und Reinheit, im Zölibat, solche
Auswüchse von Anfang an verhindern.
Mitgliedsbeiträge
% 50,– / 25,– p.a.
Informationen zur
Mitgliedschaft:
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030 / 72 6152-0
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AdVoice
Redaktionsteam
Volker Loeschner, Berlin
Rechtsanwalt
Redaktion und Autor
Guter Sex schweißt Menschen zusammen, am besten ein Leben lang. Das wünscht sich eine Mehrheit.
Wenn es jedoch nichts wird mit der Ewigkeit und die
Beziehung bricht, kommt es mitunter zu gravierenden Reaktionen auf Seiten des Verlassenen. Verlustängste, tiefe Kränkung und verletzter Stolz können
das „Stalking“, das Nachstellen, beflügeln. Es ist
eine Obsession, die krank machen kann und in
jedem Fall strafrechtlich relevant ist. Sie ist kein
Kavaliersdelikt, wie Strafgerichte Verurteilten immer
wieder ins Stammbuch schreiben.
Juristen müssen manchmal über Sex und Pornografie nachdenken. Und zwar beruflich, ob sie wollen oder nicht. Nicht hinter vorgehaltener Hand,
sondern ganz real, in Schriftsätzen, Urteilen und
Mandantengesprächen. Das betrifft nicht nur die
Strafverteidiger bei einschlägigen Delikten. Die einen
geben im Auftrag Ihrer Mandanten Unterlassungserklärungen wegen Urheberrechtsverstößen in Internettauschbörsen für Sexfilmchen ab. Andere kümmern sich um die Mietminderung für einen Puff. Die
Beispiele sind wohl genauso endlos, wie guter Sex
sein sollte.
AdVoice ging alle jenen, zutiefst menschlichen Fragestellungen nach und stellt den juristischen Zusammenhang her. Die Redaktion war sich einig,
dass Aufklärungsarbeit nicht im Sexualkundeunterricht in der weiterführenden Schule endet. Bei
der Recherche zum aktuellen Heft stieß AdVoice
auf Heiteres, Skurriles, Normales aber auch Erschreckendes. Letztlich war es die gesamte Bandbreite der menschlichen Natur, der wir begegneten.
Sie faszinierte und forderte gleichermaßen – ein
Stück weit mehr, als es in den vorhergehenden
Ausgaben zu spüren war. Der aufmerksame Leser
wird das merken. Über Eure Meinungen würden wir
uns diesmal besonders freuen. Gute Lektüre des
„Sexhefts“ wünscht Euch
Euer RA Patrick Ruppert
Tobias Sommer, Berlin
Rechtsanwalt
Chefredakteur
Anke Schiller-Mönch, Weimar
Rechtsanwältin
Redaktion und Autorin
Patrick Ruppert, Köln
Rechtsanwalt
Redaktion und Autor
Stefanie Salzmann, Eschwege
Journalistin
Zentralredaktion
Jens Jenau
Rechtsanwalt
Schloß Holte-Stukenbrock
Bücherforum
Andrea Vollmer, Berlin
Fotografin und Bildredaktion
ADVOICE 02 /11
1
Inhalt
Inhalt
Thema: Sex
4
8
Überall ist Sex
Kurzes und Langes
Nur affengeil?
Sex – nichts als Biochemie?
19
21
DAT in Bildern
50
Frontfrauen bleiben vorn
FORUM wählt neuen GfA
32
37
Porno 2.0
Sex per Mauklick
38
Wenn Liebe zum Wahn wird
Stalking ist kein Kavaliersdelikt
40
27
Unter Zwang
Stalker halten sich für Unschuldsengel
28
Richter lesen Porno
Erotische Literatur oder Porno?
24
Ich bin schwul
Thomas Mann bis Hape Kerkeling
25
Den Opfern zu wenig zugehört
Katholische Kirche und Missbrauch
26
15
Ich lebe unvermählt
Fremde Lebensform Zölibat
18
Sex sells
Sexmarken
14
48
Bis brother is watching ...
24-Stunden-Überwachung
123 Jahre Schwulenparagraph
Ende der Verfolgung
13
29
34
22
12
Statistik
Sex und Recht
Euer FORUM
Jugendschutz oder Zensur
Die Prüfung der FSK
Eine Frage der Eh(r)e
Liebe beim Bund versus Disziplinarrecht
10
Begattet euch!
Lesen ist beim Sex verboten
Magazin
Hinterm Blätterwald
Der Promianwalt Simon Bergmann
Pro Nichtraucherschutz
Kampf dem Kneipenqualm
Pro Raucherschutz
Jetzt qualmts!
Der Aldi unter den Anwälten
Rechtsberatung in der Dumpingspirale
51
Der neue GfA
53
Schwäbisches Allerlei
Bericht ARGE Transportrecht
Bücherforum
58
Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst
AnwaltFormulare Arbeitsrecht
Fachanwaltshandbuch Handelsund Gesellschaftsrecht
Autorenverzeichnis
64
Das letzte Wort
Wo ist der Gerichtsbriefkasten?
64
Impressum
Kommentare zum SGB VII
Handbuch der Eheverträge
und Scheidungsvereinbarungen
Termine
Der „Gläserne Patient“
Elektronische Gesundheitskarte
54
Geschafft!
4x FORUM in Satzungsversammlung
Medizinrecht
Kleine Fische, große Sorgen
Tierschutz im Aquarium
54
Medien und Anwaltschaft
4. Stuttgarter Anwaltstag
Internationales Strafrecht
42
Himmel auf Rührei
Deutsche Antwort auf Ally McBeal
55
Anfechtung und Anwaltshonorar
Junge Insolvenzrechtler
43
News
56
Fachanwalt und „Zentralabitur“
Stellungnahme
44
Krank – Frist versäumt
Fieber kein Wiedereinsetzungsgrund
58
FORUM regional
Neue Regionalbeauftragte für
Viel Arbeit mit Hartz IV
Kanzleigründerbericht
63
Prozesse in Arbeitssachen
53
46
Info + Service
Fachanwaltskommentar Erbrecht
VwVG VwZG
AnwaltKommentar Untersuchungshaft
Creifelds Rechtswörterbuch
_LG München
_LG Berlin

DAT 2011
BERICHTE UND BILDER
Mehr Informationen ab Seite 48!
2
ADVOICE 02 /11
Fotos Inhaltsverzeichnis v.l.n.r.: S. Maret-Hosemann, Maren Beßler, Bernd Wachtmeister, Matthias Guenter, Jürgen-Schöpe_pixelio.de
ADVOICE 02 /11
3
Thema
Überall ist Sex
Onanierende Richter und Sexsucht bei Parkinson
Thema
#1
KEINE FÖRDERUNG
FÜR PROSTITUIERTE
Weil eine Frau, die sich als Prostituierte
selbständig machen wollte, von der Bundesagentur für Arbeit keinen Existenzgründerzuschuss erhielt, zog sie gegen
diese Entscheidung vor Gericht. Der 29.
Senat des Landessozialgerichtes BerlinBrandenburg entschied in seinem Urteil
vom 26.5.2010, AZ: L 29 AL 117/10 BER,
dass die Agentur für Arbeit rechtens gehandelt habe und der Existenzgründerzuschuss abgelehnt werden durfte. Denn
das Bundessozialgericht habe mit seiner
Entscheidung vom 6.5.2009 das Vermittlungsverbot von Prostituierten durch die
Agentur bestätigt. Wenn man nun andererseits Prostitution als selbstständige
Tätigkeit fördern würde, wäre das ein
Wertungswiderspruch.
Foto: Andrea Vollmer
Das Landgericht verurteilte ihn schließlich wegen gemeinschaftlicher Zuhälterei und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und
zehn Monaten auf Bewährung.
Foto: Andrea Vollmer
Das Ganze stieß auf große Aufmerksamkeit in der lokalen Presse. Der städtische
Arbeitgeber des Mannes kündigte ihm
verhaltensbedingt. Dagegen wehrte dieser sich durch drei Instanzen – vergeblich. Zwar gab es zu dem Zeitpunkt
in den einschlägigen Tarifverträgen nicht
mehr die ausdrückliche Regelung, dass
sich Angestellte des öffentlichen Dienstes auch außerhalb ihrer Arbeitszeit so
verhalten müssen, wie es von ihnen
während der Dienstzeit erwartet wird.
Trotzdem habe der Kläger seine Pflicht,
auf Interessen des Arbeitsgebers Rücksicht zu nehmen, durch sein außergerichtliches, strafbares Verhalten, verletzt. Den Bezug zur dienstlichen Tätigkeit sah das Gericht unter anderem deshalb als gegeben, weil der sich Kläger im
Zuge der Ermittlungen darauf berief, dass
er bei der Stadt zu wenig verdiene und
deshalb diesen Nebenjob ausüben müsse.
BAG 28.10.2010, 2 AZR 293/09 asm
4
ADVOICE 02 /11
RICHTER ONANIERT
BEI MORDPROZESS
In Bristow/USA wurde ein Richter zu
vier Jahren Haft und einer Geldstrafe
von 40.000 $ verurteilt, weil er während
mindestens vier Prozessen mit einer Penispumpe unter seinem Tisch onanierte.
Auf den Mitschnitten einer Gerichtsreporterin waren deutlich zischende Geräusche zu hören. Eine Zeugin sagte im
Verfahren gegen ihn aus, dass der Jurist
während eines Mordprozesses 2003 fast
täglich mit einer Penispumpe hantierte.
Ein Polizist trat als weiterer Zeuge gegen ihn auf und erklärte, er war Augenzeuge, wie ein Plastikrohr unter der
Robe des Richters verschwand. In einer
Essenspause fotografierten Beamte die
Pumpe unter dem Tisch des Richters.
Wie aus den Ermittlungsakten weiter
hervorgeht, wurden auch der Teppich,
die Roben und der Richterstuhl untersucht und Sperma gefunden. Das Scherzgeschenk zum 50. Geburtstag habe der
dreifache Familienvater nach eigenen
Angaben gedankenverloren betätigt, er
hätte aber nie onanieren wollen. Im Zuge
der Ermittlungen ging der 59-Jährige
freiwillig in den Ruhestand. vl
HERZRISIKO SEX
Körperliche Aktivitäten sind nicht jedermanns Sache. In diese Kategorie fällt
aber auch Sex. Somit ist bei eher inaktiven Menschen – natürlich nicht nur
Juristen – die körperliche Liebe durchaus mit einem nicht unerheblichen, gesundheitlichen Risiko verbunden. Das
Herz kann also hier noch aus ganz anderem Sinne Schaden nehmen. Das belegt eine neue Metaanalyse von Dr. Issa
Dahabreh und Jessica Paulus aus Boston/USA: Sind sporadische körperliche
oder sexuelle Aktivitäten bei Bewegungsmuffeln ein Auslöseimpuls für
Herzinfarkt und Herztod? Der Titel der
Untersuchung lautet: Association of
Episodic Physical and Sexual Activity
With Triggering of Acute Cardiac Events.
Die wissenschaftliche Auswertung von
14 geeignet erscheinenden Studien ergab folgendes Ergebnis: Kardiale Akutereignisse können bei eher inaktiven
Menschen auch durch zu seltenen, gelegentlichen Sex ausgelöst werden und
zwar um den Faktor 3,5 erhöht. Aber
keine Panik, liebe Bewegungsfaule! Die
Zunahme des kardialen Risikos war absolut betrachtet sehr gering. Außerdem
gilt: Je regelmäßiger und intensiver die
untersuchten Menschen körperlich aktiv waren, desto weniger war von einer
Assoziation mit kardialen Ereignissen zu
sehen. vl
Auch dass mit dem Gesetz zur Regelung
der Rechtsverhältnisse der Prostituierten (ProstG) diese Tätigkeit nicht mehr
sittenwidrig sei, bedeute nicht, dass ein
Anspruch auf Förderung bestünde. Der
Gesetzgeber habe damit nämlich nicht
die Aussage getroffen, dass Prostitution
als reguläre Beschäftigung gebilligt und
staatlich aktiv zu fördern sein. Vielmehr
gebiete es der Schutzgedanke des ProstG,
dass der Ausstieg und nicht der Einstieg
in die Prostitution gefördert werde. asm
Foto: tokamuwi_pixelio.de
KEINE ZUHÄLTEREI
IM ÖFFENTLICHEN DIENST
Fristlos gekündigt hatte eine Stadt ihrem
Straßenarbeiter. Der war der Meinung,
sein Gehalt sei zu gering, um damit die
Familie zu ernähren, und er müsse sich
darum etwas hinzuverdienen. Zuhälterei
schien ihm das geeignete Mittel zu sein.
Gemeinsam mit einem weitern Mann
engagierte er eine 18-jährige tschechische Staatsbürgerin, die für ihn „anschaffen“ gehen sollte. Als die beiden
die Dame wieder in die Heimat zurückschicken wollten, wehrte sie sich. Daraufhin schlug der zum Zuhälter avancierte
Straßenarbeiter die Frau.
SCHMERZENSGELD FÜR SEXSUCHT
Ein 51-jähriger Franzose bekam vor
dem Gericht in Nantes/Frankreich 2011
110.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Der Pharmakonzern muss zusätzlich 11.315 Euro an die Krankenkasse
des Franzosen zahlen, berichtete die
Nachrichtenagentur AFP. Der Patient
wurde nach der Einnahme eines Medikaments gegen Parkinson sex- und spielsüchtig. Er habe die Arznei zwischen
2003 und 2005 eingenommen und daraufhin eine Hypersexualität entwickelt
und sich verstärkt dem Glücksspiel hingegeben.
Seinen ursprünglichen Forderungen von
450.000 Euro gab das Gericht zwar nicht
statt, aber da der Beipackzettel diese
Nebenwirkungen nicht aufgeführt habe,
wurde ihm immerhin der sechsstellige
Betrag zuerkannt. Der fehlende Hinweis
auf diese Nebenwirkungen sei ein schwerer Mangel, hatten seine Anwälte argumentiert. Nach Bekanntwerden des Falles
meldeten sich dem Bericht nach etliche
weitere Patienten, die unter ähnlichen
Nebenwirkungen litten. Es bleibt abzuwarten, ob eine entsprechende Klageflut
einsetzt. vl
„SEX, SEX UND NOCH MAL SEX”
Ex-Oxford-Student Sheridan Simove (39)
hat ein ganz besonderes Buch veröffentlicht: Außer dem reißerischen Titel „Sex,
Sex und noch mal Sex“ gibt es nur 200
völlig leere Seiten. Genau das macht aus
diesem Buch einen ganz besonderen
Bestseller für die männlichen britischen
Studenten, die es als Notizbuch für UniVorlesungen benutzen. Jetzt ist es auch
belegt, dass Männer „nur das eine, aber
wirklich nur das eine!“ im Sinn haben.
Gegenüber der Nachrichtenagentur Ananova erklärte Sheridan, dass die Studenten mit ihren fleißigen Vorlesungs-Mitschriften eigentlich demonstrieren, dass
er mit seiner Theorie falsch liegt. Doch
das störe ihn nicht im Geringsten. Am
Ende von jeder Vorlesung sei alles genauso wie vorher, sagt er. „Ich gehe jede
Wette ein, 100 Prozent der Studenten
werden dann wieder an Sex denken.“
Denn schließlich ist es der Buchtext, auf
den alle Studenten nach dem zuklappen
blicken, der die nächsten Gedanken bestimmt. vl
ANGEBOT FÜR BEZAHL-SEX
EHRVERLETZEND
Wegen Beleidigung verurteilt wurde
ein Mann, der einer 18-jährigen Geld
für sexuelle Dienste bot. (LG Oldenburg,
15.9.2010, Az.: 13 NSs 257/10). Die
Revisionsinstanz bestätigte das Urteil
(OLG Oldenburg, 6.1.2011, Az.: 1 Ss204/
10). Der Angeklagte wollte dieses Angebot ebenso straffrei beurteilt haben
wie einen Kuss auf den Hals in einer
früheren Entscheidung des OLG Oldenburg vom 5.3.2010 (Az.: 1 Ss 23/10).
Dass der dort Angeklagte eine Jugendliche am Hals geküsst und am Ohr geleckt hatte, hatte das Gericht als Nötigung, nicht jedoch als Beleidigung
eingeschätzt. Denn Beleidigung sei eine
Ehrverletzung, „also die Kundgabe einer
Herabsetzung, Geringschätzung oder
Missachtung eines anderen.“ Dafür
reichte der Kuss nicht aus. Wenn aber
jemand seinem Gegenüber Geld für
sexuelle Handlungen biete, signalisiere
er die Einschätzung, sein Gegenüber
werde für Geld sexuelle Handlungen
vornehmen. Das sei sehr wohl ehrverletzend, erfülle also den Tatbestand der
Beleidigung nach § 185 StGB. asm
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5
Thema
Thema
Foto: Michael Schuster_pixelio.de
Überall ist Sex
Foto: gnubier_pixelio.de
Steuerfahndungsbesuch im Bordell und unsexy BHs
VIRTUELLER SEX BEDEUTET
REALES GEFÄNGNIS
Rechtsanwalt Stephan Mathé äußerte
sich gegenüber der Netzeitung zur Problematik von virtuellem Sex in „Second
Life“ mittels Avataren (virtuelle Figuren).
Da auch Kinder und Jugendliche unter
18 Jahren diese virtuellen Welten besuchen, darf auch hier pornographisches Material nicht verbreitet werden
(§ 184 StGB). Tauchen nun zwei Avatare auf, die Sex miteinander haben, so
beziehe sich das Strafgesetzbuch nicht
allein auf die Darstellung echter Menschen, sagte Mathé. Auch die Darstellung von Sex zwischen tier- und menschenähnlichen virtuellen Spielfiguren
ahnde das Strafrecht (§ 184a StGB),
meint der Jurist. „Jeder Second-LifeBesucher sollte sich hüten, derartige
Angebote zu besuchen.“ Schon das
Herunterladen der Grafikdaten auf den
eigenen PC gelte als „Besitzverschaffung“ und könnte strafbar sein. Virtueller Sex mit Avataren in Kindergestalt,
wie er in „Second Life“ vollzogen werde,
könne mit einer Freiheitsstrafe von bis
zu fünf Jahren bestraft werden. Dies
gelte selbst dann, wenn die Figuren von
Erwachsenen gesteuert würden. Ausschlaggebend ist die Darstellungsform
als Kind.
Diese Stellungnahme entstand anlässlich der Meldung, dass die niederländische Staatsanwaltschaft wegen Pornographie in „Second Life“ ermittelt. In
einem virtuellen Swinger-Club waren
die Wände mit realen pornographischen Fotografien tapeziert. Auch sei
der virtuelle Sex zwischen menschlichen Spielfiguren und Tiergestalten
sowie zwischen Avataren in Erwachsenen- und Kindergestalt dort möglich
gewesen. vl
STEUERFAHNDUNG
DARF INS BORDELL
Auch wenn das „älteste Gewerbe der
Welt“ in der Gesellschaft nach wie vor
nicht die gleiche Anerkennung und den
gleichen Stellenwert wie ein „ehrbares“
Gewerbe hat – vor dem Fiskus sind alle
gleich. Ob ehrbar oder nicht – Steuern
müssen gezahlt werden. Das ist nicht
immer ganz einfach, weil ja keiner so
richtig weiß, wer in welchem Umfang
im Rotlichtgewerbe arbeitet. Deshalb
gibt es das „Düsseldorfer Verfahren“:
Der Bordellbesitzer zieht von der Miete
eine Pauschale ein und führt sie an das
Finanzamt ab. Die Teilnahme an dem
Verfahren ist freiwillig.
In einem vom Bundesfinanzhof zu entscheidenden Fall (Beschluss vom 22.12.
2006, Az.: VII B 121/06) hatten die
Richter die Frage zu klären, ob die
Steuerfahndung zur Aufklärung ins Bordell darf, wenn der Besitzer, der vorher
am Düsseldorfer Verfahren teilgenommen hat, nun keine Pauschalen mehr
abführt. Sie darf, sagten die Richter und
zwar in angemessener und zumutbarer
Häufigkeit – im Rahmen des Auftrags
der Steuerfahndung zur Aufdeckung
und Ermittlung unbekannter Steuerfälle. asm
#2
RICHTER BESASS KINDERPORNOS
Sein Ruhegeld aberkannt bekommen hat
ein Richter, weil er wegen des Besitzes
kinderpornografischer Schriften verurteilt worden war. Eine Freiheitsstrafe
von sechs Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, und eine Geldbuße von 10.000
Euro als Bewährungsauflage lautete das
Strafmaß im Strafbefehl. Der dem Strafbefehl zu Grunde liegende Sachverhalt
ist bei Weitem kein Kavaliersdelikt:
Zugriff auf 909 kinderpornogfische
Bilddateien, die Mädchen und Jungen
deutlich unter 14 Jahren bei sexuellen
Handlungen zeigen; Ausdrucke von 453
derartigen Bilddateien; 512 derartige
Dateien gespeichert; 1533 abgespeicherte Bilddateien, in denen die Geschlechtsteile der Kinder in besonders
reißerischer Weise vom Fotografen hervorgehoben werden. 48 dieser Dateien
hatte der Richter a. D. noch zu Dienstzeiten aus einer Gerichtsakte entnommen.
Das für ihn zuständige Dienstgericht in
Karlsruhe strich ihm deshalb das Ruhegehalt und gewährte ihm lediglich für
die Dauer von 24 Monaten einen Unterhaltsbetrag in Höhe von 60 % des Ruhegehaltes. Die auf das Disziplinarmaß beschränkte Berufung wies das Dienstgericht beim OLG Stuttgart mit Urteil
vom 20.10.2009 zurück und bestätigte
damit das erstinstanzliche Urteil. Das
dem Strafbefehl zu Grunde liegende Verhalten stelle ein schwerwiegendes Verhalten im Sinne der §8 LRiG BW und §95
I S.2 LBW BW dar, das mit der Aberkennung des Ruhegehaltes zu ahnden sei.
Die Revison des Richters blieb erfolglos.
RiSt(B) 1/09 asm
NUR UNSEXY BHS IM BERUF
Ein Sicherheitsunternehmen hatte für
die Durchführung von Fluggastkontrollen
im Auftrag der Bundespolizei am Flughafen Köln-Bonn eine „Gesamtbetriebsvereinbarung Dienst- und Schutzkleidung“ erarbeitet, die Stilvorgaben des
Arbeitgebers gingen dem Betriebsrat
jedoch zu weit. Man traf sich vor dem
Landesarbeitsgericht Köln. So mussten
die Richter darüber befinden, ob die
Vorgaben des Arbeitgebers einen zu
starken Eingriff darstellten. Die Dienstkleidung wurde gestellt. Darunter sollten
„BHs/Bustiers oder Unterhemden“ in
„weiß oder neutraler Hautfarbe ohne
Muster/Beschriftungen/Embleme“ beziehungsweise T-Shirts zwingend getragen
werden beziehunsgweise anders farbige
Unterwäsche dürfe in keiner Form durchscheinen. Außerdem sollten Strumpfhosen und Strümpfe „in dunkelblau oder
schwarz“ angezogen werden. Aus Sicherheitsgründen sollten Fingernägel „einfarbig und in maximaler Länge von einem
halben Zentimeter über der Fingerkuppe“
ausfallen. Auch die Wachmänner bekamen Detailregelungen zu spüren. Für
Haarkoloraturen waren nur „natürliche
wirkende Farben gestattet“; das Tragen
von künstlichen Haaren oder „Einflechtungen“ war verboten, wenn es „die Natürlichkeit der Haarpracht beeinträchtigt.“
Die Beschwerde hat jedoch in der Sache
nur teilweise Erfolg. Der Arbeitgeber darf
den Mitarbeiterinnen nicht vorschreiben,
die Fingernägel nur einfarbig zu tragen
und auch die Vorgabe gegenüber den
Mitarbeitern, bei Haarfärbungen nur natürlich wirkende Farben zu tragen sowie
das weitergehende Verbot, künstliche
Haare oder Einflechtungen zu tragen,
wenn diese die Natürlichkeit der Haarpracht beeinträchtigen, sind unwirksam.
Letzteres kann für das Selbstwertgefühl
eines unter frühem Haarverlust leidenden Mitarbeiters von erheblicher Bedeutung sein und das Verbot kann in diesem
Fall das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters entscheidend tangieren. Zudem
liegt hier ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot der §§ 7 Abs. 1, 1 AGG,
vor. Die allein männliche Mitarbeiter betreffenden Regelungen stellen eine unmittelbare Geschlechtsdiskriminierung
dar, da vergleichbare Regelungen für Mitarbeiterinnen nicht existieren. Die anderen Modetipps hielten der richterlichen
Überprüfung stand (Landesarbeitsgericht
Köln, Az. 3 TaBV 15/10). vl
AUSSEREHELICHER SEX BEGRÜNDET
ANFANGSVERDACHT
Das OLG Stuttgart (15 UF 109/10) hat
am 17.8.2010 festgestellt, dass außerehelicher Geschlechtsverkehr einen Anfangsverdacht für eine Vaterschaftsanfechtung begründen kann. Dies gilt
jedenfalls, wenn der außereheliche Sex
in der gesetzlichen Empfängniszeit stattgefunden hat. Gemäß §1600d III BGB
besteht diese von dem 300. bis zu dem
181. Tage (jeweils inklusive) vor der Geburt des Kindes.
Da im vorliegenden Fall die geschiedene Ehefrau selbst gegenüber dem
vermeindlichen Kindsvater eine Affäre
mit dem Nachbarn in der Empfängniszeit zugegeben hat, war der Sachverhalt entsprechend zu würdigen. Das
äußere Erscheinungsbild der Tochter
war Anlass für den Vater, einen nicht
mit der Mutter abgesprochenen DNSTest in Polen zu veranlassen. Das Ergebnis dieser Probe war eindeutig und
führte zur Klageerhebung. Die rechtswidrig genommene Probe konnte im
Prozess natürlich nicht verwendet werden (vgl. BGH, FamRZ 2005, 497/499).
Aber die eigene Aussage der Mutter
wurde ihr zum Verhängnis. Damit bestand ein Anfangsverdacht dafür, dass
der Antragsteller nicht der leibliche
Vater des Kindes ist. Wie erstaunlich,
dass ein Seitensprung mit dem Nachbarn und die anschließende Schwangerschaft erst jetzt durch eine richterliche Entscheidung als Anfangsverdacht
eingestuft wird, die eine Anfechtung der
Vaterschaft begründet. Das mag mitunter schwer nachzuweisen sein – nicht
aber wenn man sich „verplappert“. Wenn
die Frau das dann auch noch – wie hier
– vor Gericht eingeräumt hat, ist es nur
noch schwer wieder aus der Welt zu
schaffen. vl
JURISTENDEUTSCH IM BETT
Dirty Talk ist beim Sex keine Seltenheit
mehr, aber wie steht es mit Juristendeutsch beim Sex? Wie reagieren Juristen bzw. Nicht-Juristen auf entsprechende Anmachsprüche, wenn es heiß
hergeht? Die Umfrage von planet-liebe.de
beschäftigt sich mit folgender Frage:
Was denkst Du/Was würdest Du tun,
wenn Dein Partner Jurist wäre und Juristendeutsch beim Sex spricht? Das
Umfrageergebnis wurde natürlich nach
Geschlechtern getrennt ausgewertet.
Bei den Frauen gibt es eine eindeutige
Positionierung: Keine möchte es und ihr
Partner soll wieder normal sprechen.
Bei den Männern sieht es gänzlich anders aus. Drei von fünf Männern hätten
Spaß daran, anstatt derber Sprüche Juristendeutsch zu hören. Jeweils 20 Prozent ist es egal und die restlichen 20
Prozent halten wie die Frauen die Normalsprache für besser.
In den Kommentaren finden sich folgende Statements: Krava (29 Jahre)
meint: „Ich mag Juristen, wollte selbst
mal einer werden. Ich würde es mit Humor nehmen.“ Benutzer90972 droht
seinem Partner: „...Wenn er nicht damit
aufhört, könnte man auf Dauer mit
Entzug der gegenseitigen Bedürfnisbefriedigung drohen.“ „Wenn’s mir zu bunt
wird, antworte ich: Lass uns f... bis wir
das Kotzen kriegen“, kündigt BrooklynBridge (26 Jahre) an. Fuchs (26) vermutet: „Ich fände das sehr nervig und
es ist nicht auszuschließen, dass es
mich gerade deshalb unglaublich anmachen würde ...“ Und juliahottie (24
Jahre) erklärt freimütig: „Ich würde ihm
erst mal ’ne Lehrstunde in dirty talk
geben.“
Gleichgültig wie unsere Leser zu diesem Thema stehen, Fakt ist: „Essentielle
Voraussetzung jeglichen ... ,Unternehmens’ des Beischlafs ist der zumindest
äußerliche Kontakt der Geschlechtsteile
von Täter und Opfer.“ So jedenfalls for muliert es der österreichische Oberste
Gerichtshof. Welche Formulierungen
sonst noch Einzug an den Ort der
Beiwohnung halten, können nur die
Juristen selbst beantworten; aber dies
unterliegt der anwaltlichen Schweigepflicht ... vl
Foto: S. Hofschlaeger_pixelio.de
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ADVOICE 02 /11
ADVOICE 02 /11
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Thema
Thema
Nur affengeil?
Ist unser Sexualverhalten nichts als biochemische Prägung?
„Ich sterbe vor Hunger“. Wir reißen die Kühlschranktür auf und vergessen alle guten Vorsätze, die Linie betreffend. Keine Sorge: Hungergefühl überwältigt uns bereits, während wir noch
Wochen bis Monate vom Hungertod entfernt
sind. Die Evolution hat uns einen Frühalarm,
einen unwiderstehlichen Trieb zur Nahrungsaufnahme in die Wiege gelegt. „Ich sterbe vor Lust.“
ist ebenfalls ein heftiger Instinkt, der immerhin
den Fortbestand unserer Art sichert. Diesem Trieb
werden nicht so leicht mildernde Umstände zugebilligt wie dem Hunger. Gesellschaftliche Regeln
setzen in allen Kulturen Grenzen. Allerdings
wirken die kulturellen Zügel nur bedingt. In den
westlichen Industriestaaten geben 10-25 Prozent aller Frauen an, bereits mindestens einmal
Opfer von sexuellen Übergriffen geworden zu
sein. Vom Standpunkt unserer Gene aus gesehen
erfüllt unser Dasein als Individuum nur einen
Zweck: Die geschlechtliche Fortpflanzung und
Brutpflege, bis die Staffel von der nächsten
Generation übernommen wird. Dazu haben wir
ein Orchester von Hormonen im Blut, die per
Trieb und Instinkt unser Verhalten steuern. Darüber steht ein kulturelles Regelwerk, das die
individuellen Triebe in sozialverträgliche Bahnen
lenken soll.
Triebstoffe
Was wir uns alles auf unsere romantische Ader
einbilden. Das Hohelied der unsterblichen Liebe,
rosarotes Verliebtsein bei größtmöglichem Ausstoß
von Gedichten, Liedern und anderen Pretiosen, lebenslange Treue, aufopfernde Fürsorge für unsere
Sprösslinge, liebevoller Umgang mit den Generationen vor und nach uns. Eine menschliche Hochkultur eben. Was sind wir nicht den niederen Tieren
überlegen.
Nur hält diese Sichtweise einem kurzen Blick in
Wikipedia, der modernen Form von Brehms Tierleben, leider nicht stand. Unser Verhalten ist viel
mehr biochemisch geprägt als es Bewunderern
menschlicher Hochkultur lieb sein kann. Die kulturellen Regeln, die unseren biologischen Verhaltenskodex ergänzen, bleiben durch die Zivilisationsvarianten erstaunlich stabil.
Ahnungslos, ob das Weibchen empfängnisbereit ist oder nicht.
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ADVOICE 02 /11
Foto: Andrea Vollmer
Ein Blick in die Tierwelt zeigt uns Parallelen zu allen
Spielarten des menschlichen Paarungsverhaltens.
Da gibt es die Bergwühlmäuse, die ein wahres
Lotterleben führen. Einzelgänger begatten wahllos,
was ihnen vor die Flinte kommt, und nach kurzer
Brutpflege wenden sich die Weibchen dem nächsten Partner zu. Sehr viel näher an unserer Vorstellung von Liebesglück sind die eng verwandten
Präriewühlmäuse! Sie begegnen im zarten Alter der
Adoleszenz ihrem Traumpartner, sind per Prägung
lebenslang treu an diese(n) gebunden, und ziehen
gemeinsam ihre vielfältige Kinderschar auf. Dennoch gibt es keine romantische Droste-Hülsoff im
Mauspelz. Dagegen finden sich sehr wohl signifi kante Unterschiede in der Dichte von Oxytocinrezeptoren, den Empfängern für das chemische
Signal des Hormons Oxytocin. Die treue Mausvariante hat eine Unzahl dieser Rezeptoren in ihrem
Hirn. Dieses Treuehormon regelt beim Menschen
die Milchbildung nach der Geburt und wahrschein lich auch die Prägung der engen Bindung der Mutter
an ihr Kind. Liebe und Treue sind also vermutlich
rein biochemische Phänomene.
Untreue aber auch. Die in den meisten menschlichen Kulturkreisen propagierte Monogamie ist
keine menschliche Besonderheit. Leider liefern auch
hier wieder die herrschsüchtigen Gene schlechte
Nachrichten für Romantiker. Die häufig als Beispiel
besungenen Singvögel, die ein Leben lang mit
einem Partner zusammen brüten, haben noch weit
mehr Kuckuckseier im Gelege als ihre zweibeinigen
Bewunderer. Diese Eier stammen nicht vom Kuckuck,
sondern aus Seitensprüngen des Singvogelweibchens. Beim Menschen beträgt die Häufigkeit von
ehelichen Kindern mit biologisch abweichendem
Vater nur etwa 10-20 Prozent.
Wo stehen wir im Vergleich mit der Treueskala der
Wühlmäuse? Untersuchungen an Primaten haben
ergeben, dass der Hang zu promiskem Verhalten
mit der Hodengröße korreliert. Die Fortpflanzungsstrategie bei Schimpansen, die in Rudeln mit häufig wechselnden Partnern kopulieren, ist einfach:
Das Männchen hat sehr große Hoden. Es überschwemmt die Zufallspartnerin geradezu mit
männlichem Samen, um die Wahrscheinlichkeit
eigenen Nachwuchses gegen die Nebenbuhler zu
optimieren. Dagegen haben die gewaltigen Gorillamännchen, die als Einzelgänger wenig Geschlechtspartnerinnen finden, recht winzige Hoden. Kleine
Spermamengen reichen hier zum Erfolg. Menschenmännchen? Liegen etwa im Mittelfeld.
Goldig und abartig
Sind die süüüß! Wer kennt nicht den Entzückensschrei, den niedliche Tierbabys auslösen. Ein Beispiel für unsere Prägung auf das Kindchenschema.
Eigentlich soll der menschliche Säugling mit seinen
großen Kulleraugen und Stupsnase beschützt und
liebkost werden. Unser Brutpflegetrieb springt da
auf andere Spezies über. Homosexualität könnte
ein ähnliches Beispiel für eine schwache Prägung
sein. Die Evolution rechnet sich hier vielleicht einen
Vorteil bei der Fortpflanzung aus: Homosexualität
ist in der Tierwelt weit verbreitet und homosexuelle
Tierpaare sind erfolgreicher bei der Aufzucht von
„geliehenem“ Nachwuchs sein als Hetero-Paare.
Die Spielarten von Sexualität, die die Evolution hervorgebracht hat, sind in der menschlichen Kultur
immer wieder stark eingeschränkt worden. Von
martialischer genitaler Verstümmelung bis zur
Strafbarkeit sexueller Praktiken und zum Verbot
pornographischer Schriften reicht die restriktive
Palette menschlicher Kultur. In den modernen
Industriestaaten hat sich erst in den letzten Jahrzehnten ein toleranterer Umgang mit Varianten
menschlicher Sexualität herausgebildet. Gibt es für
die historischen Restriktionen beim Sex biologische
Hintergründe? Soll die schwache Prägung durch
kulturelle Restriktionen abgesichert werden?
Ein interessantes Beispiel ist das Tabu der sexuellen
Ausbeutung von Kindern. Vor dem Hintergrund der
verheerenden Folgen des Missbrauchs von Kindern
für die individuelle Entwicklung ist der Sinn dieser
Regel klar. Es fällt aber auf, dass Pädophilie in
manchen entwickelten Ländern mit geradezu mittelalterlichen Sanktionen wie Pranger belegt ist
und sogar in den Gefängnissen, sonst nicht gerade
einem Hort der Hochachtung des gesellschaftlichen Regelwerks, die Kinderschänder auf der
niedrigsten Stufe stehen. Ohne die bis heute umstrittene Psychopathologie zu betrachten, könnte
man Pädophilie rein verhaltensbiologisch als eine
„Fehlprägung“ beschreiben.
Das Menschenweibchen schreit seine Lust und
Fruchtbarkeit trotz Dekolleté und Minirock nicht
mehr heraus, die östrale Phase ist für das
Männchen nicht mehr sichtbar. Was könnte der
Gewinn dieser Entwicklung sein? Jahrelange
Brutpflege erfordert Hilfe vom starken Geschlecht,
langfristige Ressourcen, gefühlte ewige Bindung.
Da könnte es nützlich sein, wenn Männchen sich
auf gut Glück ein wenig abmühen müssen, werben
und Geschenke bringen, ahnungslos, ob das
Weibchen empfängnisbereit ist oder nicht. Das
Verstecken von Überreizen könnte außerdem
aggressives männliches Verhalten abmildern und
entschärfen. Vielleicht ist ein Echo auf diese
biologisch und kulturell verborgenen Reize die
meist männliche Lust auf erotische Bilder, von
hoher Kunst bis Pornografie, heute der größte
Inhaltsanteil des Internets.
Biohure und Bioheilige?
Keineswegs hat die Evolution erst beim Menschen
den Tauschhandel Geschenke und Nahrung gegen
sexuelle Gefälligkeit erfunden, betrachte man nur
einmal ein Singvogelpärchen beim Nestbau. Aber
mit dem Versteck des Östrus, der Paarungsorgane,
der weiblichen Lust und mit der Scham wurde ein
neues Kapitel aufgeschlagen: Der Tauschhandel im
Dienste der Fortpflanzung ist zu neuen Höhen
aufgebrochen. Die Hürden für das männliche Werben und Drängen wurden gleichsam höher gelegt.
Von der Versorgungsehe bis zur Prostitution zeugt
unsere menschliche Kultur von diesem biologischen Wendepunkt. Dass unsere moderne Medizin
das Geburtsrisiko für die Mutter auf ein normales
Maß reduziert hat, wird diese archaischen Prägungen und Rituale unberührt lassen. Zu tief sind
sie in unserer biochemischen Maschinerie verankert.
Vier Besonderheiten unterscheiden die menschliche Sexualität von der der Tierwelt: die versteckten Geschlechtsorgane, der verdeckte Eisprung, die
extrem lange Brutpflege und der bewusste
Zusammenhang zwischen Zeugung und Geburt. Im
Savannenrudel der Trockennasenaffen ist die
leuchtende Signalfunktion der rot angeschwollenen, unwiderstehlichen Schamlippen der BonoboWeibchen verloren gegangen. Mit dem aufrechten Gang versteckt sich die Grotte der Lust zwischen langen, inzwischen oft bestrumpften Beinen,
und einem verlockend gerundeten Gesäß. Zwei
runde, pralle Brüste mit großen Brustwarzen mögen zwar die Fernwirkung verstärken. Aber die
starken, knallroten Reize des Bonoboweibchens
werden ersetzt durch subtilere Verführungen. Und
das Versteck des Schoßes geht einher mit passendem Verhalten, kulturell erweitert: Die Scham, die
verhüllende Kleidung.
Vielfältig spiegeln sie sich in unserem Kultur- und
Rechtssystem, vom Verbot unzüchtiger Schriften
bis zum Tatbestand der Vergewaltigung. Im Gegensatz zu unseren meisten säugenden Artverwandten
entscheidet beim Menschen letztlich das Weibchen,
ob und mit welchem Partner es zur Fortpflanzung
kommt. Dies ist sogar in den patriarchalischsten
Gesellschaften eine anerkannte Regel. Die komplizierte Verhaltensmechanik erforderte männliche
Initiative oder sogar Aggressivität, um dem Weibchen die genetische Qualität des Erzeugers zu
beweisen und die Durchführung des Fortpflanzungsaktes zu sichern. Ein gewisses Maß an männlicher sexueller Aggressivität ist für den Erfolg der
Fortpflanzung unerlässlich und wohl deshalb auch
weiblich erwünscht. Eine delikate Balance hat die
Evolution bei uns Zweibeinern da hervorgebracht,
die unsere Gerichte und Medien bis heute in
hohem Maße beschäftigt.
Das Risiko beim Sex für das Menschenweibchen ist
groß. Das hohe Todesrisiko bei einer Geburt erzwingt geradezu das Versteckspiel des menschlichen Weibchens für eine erfolgreiche Fortpflanzungsstrategie.
Dr. Albrecht Lepple, Pontarlier
> www.wikipedia.org/wiki/Sexualität
ADVOICE 02 /11
9
Thema
Weil die Zeit nicht
alles heilen kann.
Eine Frage der Eh(r)e
Liebe beim Bund versus Disziplinarrecht
In dem Fall nicht. Denn sie ist nicht mit irgendjemandem verheiratet, und ihre Affäre ist auch nicht
irgendwer. Beide haben den gleichen Arbeitgeber –
sie sind Kameraden bei der Bundeswehr. Nicht, dass
es nicht auch im „normalen Leben“ Probleme geben
kann, mit der Frau eines anderen eine Affäre zu
haben. Wenn es aber die Frau eines BundeswehrKameraden ist, kann das gravierende Folgen haben.
Denn dann tritt das Truppendienstgericht auf den
Plan. „Einbruch in die Kameradenehe“ heißt der Vorwurf, der Kürzung der Bezüge, sogar Degradierung
nach sich ziehen kann.
§12 Satz 2 Soldatengesetz normiert die Verpflichtung zur Kameradschaft, die die Achtung der Würde,
der Ehre und der Rechte der Kameraden umfasst.
Richtig problematisch wird es, wenn er sich die Frau
eines Untergeben ausgesucht hat. Denn der Vorgesetzte hat für seine Untergebenen zu sorgen und
ihnen ein gutes Beispiel zu sein. So steht es in §§10
Abs. 3 und 17 Abs.2 Satz 1 SG. So hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom
16.4.2002, 2 WD 43, 01; Truppendienstgericht Süd
einen solchen Fall zu beurteilen gehabt.
Die obersten Richter sahen zwar von einer Dienstgradherabsetzung ab, kürzten das Ruhegehalt aber
um 1/10 für die Dauer von drei Jahren. „Ein Soldat,
der sexuelle oder sonstige ehewidrige Beziehungen
zu der Ehefrau eines Kameraden unterhält, lässt es
an der gebotenen Achtung der ehelichen Lebensgemeinschaft seines Kameraden mangeln“, heißt es in
der Entscheidung. Das sei insbesondere dann der
Fall, wenn die Ehe (noch) nicht gescheitert sei, die
häusliche Gemeinschaft noch fortbestehe und mindestens ein Ehepartner an der Ehe festhält. Die gesetzliche Zerrüttungsvermutung des §1566 BGB
spielt hier bei der Beurteilung eine Rolle.
In dem vom BVerwG zu entscheidenden Fall aus
dem Jahre 2002 war es schließlich so, dass jedenfalls
der Ehemann (und Kamerad) an der Ehe festhalten
wollte. Es entlastet den in die Kameradenehe Ein brechenden also nicht, wenn sie ihm signalisiert, sie
10
ADVOICE 02 /11
habe ohnehin schon von ihrem Ehemann Abstand
genommen und die Ehe sei am Ende. Verlassen darf
er sich darauf nicht.
Begründet wird diese Strafbarkeit eines vielleicht
verwerflichen, jedoch allzu oft menschlichen Verhaltens mit der Schlagfertigkeit der Truppe. Wenn der
Ehemann in den Einsatz zieht, soll er sich darauf verlassen können, dass zu Hause alles gut ist. Wenn er
sich dann Gedanken darüber machen muss, ob seine
Frau ihm treu ist, schwächt ihn das. Deshalb kann
es auch nicht sein, dass ein Kamerad Anlass für eine
Affäre der Ehefrau ist. Die Spannungen zwischen
den beiden würden eben die Schlagkraft der Truppe
schwächen. Brisanter wird das Ganze, wenn der
direkte Befehlsgeber die Affäre der Ehefrau ist, wegen seiner besonderen Fürsorgepflicht gegenüber
dem Ehemann. Dass es manchmal wirklich Liebe ist,
spielt weniger eine Rolle, höchstens beim Strafmaß.
Irgendwie klingt das alles logisch, wenn auch ein
wenig antiquiert. Man mag sagen, wer sich zur Truppe
verpflichtet, weiß dass vorher, und diese Regularien
sind eben Teil des „Arbeitsvertrages“, die man in Kauf
nimmt – völlig unjuristisch natürlich. Doch gerade
in Zeiten, in denen Frauen ein wichtiger Teil dieser
Truppe sind, steht diese Regelung in einem anderen
Licht. Es bedarf keiner wissenschaftlichen Studien,
um zu wissen, dass dort, wo sich Frauen und Männer begegnen, diese auch einander begehren, sich
ineinander verlieben können – das ganz normale
Leben eben.
Ein weiterer Aspekt ist da schon juristischer. Man
stelle sich vor, er verliebt sich in eine Kameradin, die
die Ehefrau eines Kameraden ist. Dann muss er sich
dazu nicht äußern, aber sie. Sie ist nämlich Soldatin
und die muss in dienstlichen Angelegenheiten die
Wahrheit sagen, §13 Abs. 1 SG. Ja, die Wahrheit sagen
müssen andere Zeugen auch. Nur sie ist ja in dem
Fall an der zu sanktionierenden Handlung beteiligt.
Wer mit anderen einen Diebstahl begangen hat, war
auch am Diebstahl beteiligt, muss aber nichts sagen,
weil er sich nicht selbst belasten muss. Und sie? Sie
belastet nicht sich, nur ihn, muss deshalb aussagen
– streng genommen alles, bis ins letzte Detail. Damit
läuft sein Aussageverweigerungsrecht ins Leere.
Oder hat sie auch eine Sanktion zu erwarten, weil
sie ja den eigenen Ehemann, der ja auch ihr Kamerad
ist, betrogen hat? Das ginge wohl zu weit. Jedenfalls
wäre das dann ein Eingriff in die Ehe der beiden – so
jedenfalls die Auffassung der Autorin.
RAin Anke Schiller-Mönch, Weimar
Ende der Soldatenehe.
herrlein smilla_pixelio.de
§ 10 Pflichten des Vorgesetzten
(1) Der Vorgesetzte soll in seiner Haltung
und Pflichterfüllung ein Beispiel geben.
(2) Er hat die Pflicht zur Dienstaufsicht und
ist für die Disziplin seiner Untergebenen
verantwortlich.
(6) Offiziere und Unteroffiziere haben innerhalb und außerhalb des Dienstes bei ihren
Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren,
die erforderlich ist, um das Vertrauen als
Vorgesetzte zu erhalten.
§ 12 Kameradschaft
Der Zusammenhalt der Bundeswehr beruht
wesentlich auf Kameradschaft. Sie verpflichtet alle Soldaten, die Würde, die Ehre und die
Rechte des Kameraden zu achten und ihm in
Not und Gefahr beizustehen. Das schließt
gegenseitige Anerkennung, Rücksicht und
Achtung fremder Anschauungen ein.
Was auch kommt. Zählen Sie auf unsere
9HUP|JHQVVFKDGHQ+DIWSÁLFKW
§ 13 Wahrheit
(1) Der Soldat muss in dienstlichen Angelegenheiten die Wahrheit sagen.
Ob auf Ihre Versicherung hundertprozentig Verlass ist, zeigt sich immer erst, wenn
ein Schaden eintritt. Mit HDI-Gerling haben Sie einen verlässlichen Partner an Ihrer
6HLWH3URÀWLHUHQ6LHYRQXQVHUHUODQJMlKULJHQ6FKDGHQHUIDKUXQJGHU([SHUWLVH
XQVHUHULQWHUQHQ)DFKMXULVWHQXQGXQVHUHU)LQDQ]VWlUNHDOV7HLOGHV7DODQ[.RQ]HUQV
§ 17 Verhalten im und außer Dienst
(2) Sein Verhalten muss dem Ansehen der
Bundeswehr sowie der Achtung und dem
Vertrauen gerecht werden, die sein Dienst
als Soldat erfordert. Außer Dienst hat sich
der Soldat außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er
das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft
beeinträchtigt.
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Firmen und Privat
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30659 Hannover
Telefon 0511-3031-126
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Er sieht sie – lange Beine, tolle Figur, dunkle
Haare, genau sein Typ Frau. Sie findet ihn auch
nicht schlecht. Sie kommen ins Gespräch. Eins
führt zum anderen, irgendwie. Am nächsten
Morgen das böse Erwachen. Nein, nicht dass sie
neben ihm liegt. Sie hat Familie, Kinder sind im
Spiel. Trotzdem. Es war schön. Die beiden treffen
sich, immer wieder über einen langen Zeitraum.
Na und? Ist doch Privatsache.
Thema
Thema
123 Jahre „Schwulenparagraph“
„Ich bin schwul - und das ist auch gut so!“
Mit Abschaffung des §175 StGB 1994 endete die Strafverfolgung Homosexueller
Künstler, Politiker und Militärs – Sechs berühmte Schwule
Der „Schwulenparagraph“: Das Gesetz, das gleichgeschlechtliche Liebe zur Straftat machte und
Schwule und Lesben zu Verbrechern werden ließ,
wurde erst 1994 abgeschafft. Am 1. Januar 1872
wurde aus dem exakt ein Jahr zuvor in Kraft
getretenen Strafgesetzbuch des Norddeutschen
Bundes das Reichsstrafgesetzbuch. § 175 RStGB
stellte insbesondere sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter
Strafe. Insgesamt wurden etwa 140.000 Männer
nach den verschiedenen gültigen Fassungen des
§ 175 verurteilt. Im Volksmund wurden Schwule
auch als „175er“ bezeichnet.
Die gültige Fassung des § 175 RStGB vom 1.1.1872
bis zum 1.9.1935 lautete: „Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen
wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf
Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“
Handeln stets eine gewisse Stärke und Dauer haben
müsse. Auf dieser Grundlage kam es zwischen 1950
und 1969 zu mehr als 100.000 Ermittlungsverfahren
und etwa 50.000 rechtskräftigen Verurteilungen.
Erst 1969 wird der § 175 StGB gelockert (s.g. 1. BRDReform): Waren beide über 21 Jahre (damals Alter
der Volljährigkeit) oder unter 18 Jahre alt, so war der
Kontakt straffrei. War einer der Männer über 21, der
andere unter 21 Jahre so wurde nur der ältere bestraft. Waren beide zwischen 18 und 21 Jahre alt, so
machten sich jedoch beide strafbar. 1972 kam es zu
einer 2. Reform. Seitdem waren nur noch homosexuelle Handlungen mit männlichen Jugendlichen
unter 18 Jahren (Änderung der Volljährigkeit) strafbar, wogegen das Schutzalter bei lesbischen und
heterosexuellen Beziehungen bei 14 Jahren lag.
Im Jahr 1935 verschärften die Nationalsozialisten
den § 175, indem sie die Höchststrafe im Zuge einer
Umdefinition vom Vergehen zum Verbrechen von
vier Jahren auf fünf Jahren Gefängnis vornahmen.
Unter Strafe gestellt wurde hier bereits der „lüsterne
Blick“, der selbstverständlich einer freien Interpretation Tür und Tor öffnete. Eine gegenseitige Berührung war nicht mehr erforderlich. Auf das Vorliegen
von „beischlafähnlichen Handlungen“ wurde nicht
mehr abgestellt. Ein Kuss, eine leichte Berührung,
der bloße Verdacht, eine Kleinigkeit reichte, um im
Zuchthaus oder Konzentrationslager zu landen.
Allein zwischen 1937 und 1939 wurden fast 100.000
Männer in der geheimen „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“
erfasst. Mehr als 100.000 Homosexuelle wurden
von den Nazis verschleppt und gefoltert, etwa 15.000,
der mit einem rosa Winkel gebranntmarkten Opfer
wurden umgebracht.
1949 bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der § 175 in der Version der NS-Fassung
1935 übernommen: „(1) Ein Mann, der mit einem
anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm
zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Alles bis dahin geltende Recht blieb
in Kraft „soweit es dem Grundgesetz nicht widerspricht“, § 123 Abs. 1 GG. In einer Reihe von Entscheidungen schloss sich der Bundesgerichtshof
(BGH) der Rechtssprechung des Dritten Reiches an,
wonach der Tatbestand der Unzucht keine gegenseitige Berührung voraussetzte. Allerdings wurde
aus dem Merkmal „treiben“ abgeleitet, dass das
12
ADVOICE 02 /11
Am 11. August 1987 hob das Oberste Gericht der
DDR ein Urteil wegen § 151 StGB-DDR mit der
Begründung auf, dass „Homosexualität ebenso wie
Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens
darstellt.“ Ein Jahr danach strich die Volkskammer
der DDR in ihrem 5. Strafrechtsänderungsgesetz den
§ 151 ersatzlos.
Im Zuge der Rechtsangleichung zwischen den beiden deutschen Staaten nach 1990 musste sich der
Bundestag entscheiden, ob er den § 175 StGB-BRD
streichen oder ihn in der bestehenden Form auf die
neuen Bundesländer übertragen wollte. Im Jahr
1994 entschied man sich mit Ablauf der Rechtsangleichungsfrist mit dem 29. Strafrechtsänderungsgesetz vom 31.5.1994 den § 175 StGB zu
streichen. Dies geschah auch vor dem Hintergrund
der inzwischen eingetretenen gesellschaftlichen
Veränderungen. Neu eingefügt wurde der § 182
„Sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ mit einem
relativen Schutzalter von 16 Jahren, der geschlechtsneutral formuliert wurde und den Verkehr zwischen
einem Volljährigen und einer Person unter 16 Jahren
unter Strafe stellt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
hat die Bestrafung einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen als Verstoß
gegen die Europäische Menschenrechtskonvention
(EMRK) eingestuft ebenso die Festlegung unterschiedlicher strafrechtlicher Schutzaltersgrenzen.
Deutschland ratifizierte die Europäische Menschenrechtskonvention am 5.12.1952.
1971 schlägt Rosa von Praunheims Film „Nicht der
Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in
der er lebt“ wie eine Bombe ein und löst eine kontroverse gesellschaftliche Diskussion aus. Homosexuelle Clubs und Initiativen werden gegründet.
Deutschlands Homosexuelle organisieren sich.
Bei Gründung der Deutschen Demokratischen Republik 1949 übernahm diese den § 175 in einer entschärften Fassung von 1871. 1968 wurde mit der
Schaffung eines eigenen Strafgesetzbuches der Paragraph aufgehoben und § 151 StGB-DDR eingeführt.
123 Jahre mussten vergehen, bevor der „Schwulenparagraph“ entgültig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde. Die Verfolgung, eine Ära der Angst
und des Versteckens hat ein Ende. Das Ausmaß der
individuellen Unfreiheit steckt noch immer in vielen
Köpfen und bestimmt teilweise auch noch heute
das Handeln. Strafgesetze sind Spiegelbilder der
gesellschaftlichen und politischen Kultur. Der Wertewandel zu mehr sexueller Freiheit zeigt die heutige
Auffassung des selbstbestimmten Lebens. Im Strafgesetzbuch werden die Grenzen der Freiheiten bestimmt. Diese Grenzen werden durch die Veränderungen in der Gesellschaft verschoben. Natürlich
gibt es keine grenzenlose Freiheit, aber mehr
Freiheit ohne Grenzen. Die Ansichten der Menschen müssen sich in ihren Köpfen verändern, eine
Gesetzesänderung allein kann einen Wertewandel
nicht bewirken.
RA Volker Loeschner, Berlin
Gustav Gründgens, Schauspieler und Regisseur
* 22.12.1899 in Düsseldorf, † 7.10.1963 in Manila
Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister Berlin
* 1.10.1953 in West-Berlin
Der Schauspieler und Regisseur Gustav Gründgens
wurde bekannt durch seine Interpretation der Rolle
des Mephisto in Goethes Faust I, die er erstmals
1932 spielte. Als Protegé von Hermann Göring wird
er erst zum künstlerischen Leiter des Preußischen
Staatstheaters ernannt, später wird er Senator der
Reichskulturkammer und Intendant des Preußischen
Staatstheaters. 1926 heiratet er Erika Mann, die lesbische Tochter Thomas Manns. Die Ehe wird 1929
wieder geschieden. Ab 1933 wird die Ehe für Gründgens zum Mittel für ein unproblematischeres Leben,
privat wie beruflich. Um die bisexuelle Schauspielerin Marianne Hoppe und sich selbst vor Nachstellungen der Nazis zu schützen, heiratet das Paar
1936. 1946 werden sie geschieden.
Klaus Wowereit wuchs als Jüngster mit zwei Brüdern und zwei Schwestern ohne Vater in einer
römisch-katholischen Familie auf. Neben seinen
Studentenjobs unterstützte ihn einer seiner Brüder
finanziell und er pflegte wiederum später jahrelang
seinen nach einem Unfall querschnittsgelähmten
Bruder und seine krebskranke Mutter. Er studierte
Rechtswissenschaft an der FU Berlin. Danach war
Wowereit Regierungsrat zur Anstellung beim Senator für Inneres in Berlin. Wowereit ist seit 1993 mit
dem Neurochirurgen Jörn Kubicki (* 1965) liiert, mit
dem er seit 2005 in einer gemeinsamen Wohnung
lebt. Seit dem 16. Juni 2001 ist er Regierender
Bürgermeister von Berlin und seit dem 13. November
2009 stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD.
Im Juni 2001 erklärte Klaus Wowereit auf einem
Sonderparteitag der SPD öffentlich: „Ich bin schwul
– und das ist auch gut so!“ Er war damit der erste
deutsche Spitzenpolitiker, der so offen zu seiner
Homosexualität stand.
Thomas Mann, Schriftsteller
* 6.6.1875 in Lübeck, † 12.8.1955 in Zürich
Thomas Mann gehört zu den bedeutendsten Erzählern deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Für
seinen ersten Roman „Buddenbrooks“ (erschienen
1901) erhielt er 1929 den Nobelpreis für Literatur. Er
unterdrückte ein Leben lang seine homosexuellen
Neigungen, betrachtete sie als Schwäche und
Krankheit. Seine Antwort war Selbstzucht und Triebunterdrückung. So heiratete er 1905 seine Frau
Katja, mit ihr hatte er insgesamt sechs Kinder, von
denen Erika, Klaus und Golo die drei ältesten sind.
Seine posthum veröffentlichen Tagebücher zeigen
aber klar, dass Thomas Mann sich vor allen zu jungen
Männern hingezogen fühlte. Ganz besonders in „Tod
in Venedig“, aber auch in vielen anderen seiner
Erzählungen und Romane kann man homoerotische
Tendenzen finden. In seinen Tagebüchern bedankte
er sich bei seiner Frau für ihre Toleranz und ihr Verständnis. Die Beziehung zu seiner Frau soll trotz der
sechs Kinder eher kameradschaftlich gewesen sein.
Rosa von Praunheim, Filmregisseur
* 15.11.1942 in Riga, Lettland
Der als Holger Radtke Geborene gab sich selbst den
Künstlernamen Rosa von Praunheim. Mit seinem
Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern
die Situation, in der er lebt“ (1971) gilt er als öffentlicher Wegbereiter und einer der Mitbegründer der
politischen Schwulen- und Lesbenbewegung in der
Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 1970er.
In 30 Jahren drehte von Praunheim über 50 Filme.
Neben Homosexualität waren seine Themen „ältere,
vitale Frauen“ (z. B. Evelyn Künneke und Lotti Huber)
und seit den späten 1980er Jahren die AIDS-Prävention. Er wuchs in Ost-Berlin auf und flüchtete 1953
mit seiner Familie in den Westen. Im Jahr 1969 heiratete er die Schauspielerin Carla Egerer (alias Carla
Aulaulu). 1971 ließ sich das Paar scheiden. Er wohnt
in Berlin und lebt in einer festen Beziehung mit
seinem Mitarbeiter Oliver Sechting.
Günter Kießling, Vier-Sterne-General
Stellvertretener NATO-Oberbefehlshaber
* 20.10.1925 in Frankfurt/O., † 28.8.2009 in Rendsburg
Hans-Peter Wilhelm Kerkeling
Komiker und Schauspieler
* 9.12.1964 in Recklinghausen
Der Vier-Sterne-General der Bundeswehr und stellvertretende NATO-Befehlshaber Günter Kießling
geriet 1984 mit der sogenannten „Kießling-Affäre“
ins Licht der Öffentlichkeit: Ihm wurde Erpressbarkeit wegen seiner angeblichen Homosexualität vorgeworfen. Kießling versicherte Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU), dass die Vorwürfe jeder
Grundlage entbehrten. Dennoch stufte der Verteidigungsminister Kießling als Sicherheitsrisiko ein. Er
wurde 1983 vorzeitig aus dem Dienst verabschiedet,
nach Entkräftung der Vorwürfe aber 1984 wieder in
Dienst genommen. 1984 verließ er die Bundeswehr
aus gesundheitlichen Gründen.
Der Komiker und Schauspieler Hans-Peter Wilhelm
Kerkeling ist als Hape Kerkeling bekannt. Seinen
Durchbruch erlangte er 1984/85 mit der Musik- und
Ulk-Show Känguru. In der RTL-Talkshow Explosiv –
Der heiße Stuhl outete Rosa von Praunheim Kerkeling 1991 als homosexuell. 1989 bis 2000 produzierte
Kerkeling zahlreiche TV-Formate und Spielfilme. Mit
seinen Kunstfiguren Horst Schlämmer und der
Sängerin Uschi Blum trat er in verschiedenen TVShows auf und präsentierte sie 2009 zur Bundestagswahl in seinem Film „Isch kandidiere!“. 2011
trennte sich Kerkeling nach 28 Jahren von seinem
Lebensgefährten.
Fotos v.l.n.r.: schwulesmuseum, Raymond Angeles Berlin - San Francisco, www.klaus-wowereit.de
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Thema
Thema
Eine Frage der Verjährung?
„Den Opfern zu wenig zugehört“
Die katholischen Kirche und der sexuelle Missbrauch Minderjähriger
Es steht außer Zweifel, dass mit den 2010 ruchbar gewordenen sexuellen Missbrauchsfällen eines
der düstersten Kapitel der katholischen Kirche aufgeschlagen wurde. An konfessionellen Schulen,
Erziehungs- wie Freizeiteinrichtungen und in den
Kirchen selbst gab es zahlreiche Meldungen von
sexuellen Übergriffen auf Kinder und Jugendliche,
verübt von Laien und Klerikern.
Zunächst sah es danach aus, als handelte es sich
um einige wenige Vorfälle, so auch die erste Reaktion der Kirchenvertreter. Als jedoch immer mehr
Opfer bereit waren, nach vielen Jahren des Schweigens an die Öffentlichkeit zu gehen, um über ihr
individuell erlittenes Martyrium zu berichten, musste die marginalisierende Darstellung eilig korrigiert
werden. Die Meldungen in der Presse über die
unsittlichen Verfehlungen der Geistlichen und
Ordensleute überschlugen sich. Dementis wirkten
wie zwecklos, jeder Priester war in der fälschlichen
öffentlichen Wahrnehmung ein potentieller Täter.
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
Erzbischof Robert Zollitsch, hatte alle Mühe und
Not, die hoch emotionalisiert geführte Diskussion
um die Aufarbeitung der angezeigten Missbrauchs-
fälle in geordnete Bahnen zu lenken. Es kam gar
zum Eklat zwischen der Katholischen Kirche und
der Bundesregierung, als Zollitsch Justizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ultimativ aufforderte, bestimmte im Fernsehen gemachte Äußerungen zurückzunehmen, die den
Eindruck erweckt hätten, die Kirche arbeite nicht
konstruktiv mit den Justizbehörden im Sinne der
Aufklärung zusammen. Vom Sonderweg der Kirche
war schnell die Rede. Die eigentlichen Opfer
drohten bei diesem Streit völlig in den Hintergrund
zu geraten.
Entschädigung für Opfer
Inzwischen ist ein Jahr vergangen, und die Wogen
zwischen dem Ministerium und der Deutschen
Bischofskonferenz sind wieder geglättet. Auf ihrer
Herbstvollversammlung 2010 räumten die deutschen Bischöfe ein, sie hätten in der Vergangenheit
den „Opfern zu wenig zugehört“. In einem selbstkritischen Appell gaben sich die Kirchenoberen
geläutert und erklärten sich grundsätzlich bereit,
neben der Unterstützung der Behörden bei der
Ahndung von Sexualstraftaten einen Entschädi-
Sexuelle Übergriffe auf Kinder und Schutzbefohlene sind eines der düstersten Kapitel der katholischen Kirche.
gungsbeitrag für vergangenes und größtenteils
schon verjährtes Unrecht zu leisten. 5.000 Euro
Einmalzahlung sollen die minderjährigen Missbrauchs opfer demnach erhalten. Darüber hinaus
könnten bei akutem Bedarf die Kosten der Psychotherapie oder Paarberatung getragen werden. Hinzukämen 500.000 Euro, der in einen „Präventionsfond“ eingezahlt würde, so das Angebot der katholischen Kirche im soge nannten runden Tisch,
einem Arbeitskreis, der sich unter anderem aus
Vertretern der Kirchen, der Bundesregierung – wie
Landesregierungen und Opfer verbänden zusammen setzt.
Zu wenig, mahnte etwa die Opfervertretung „eckiger
Tisch“ an, die für jeden Geschädigten 80.000 Euro
fordert. Die gegenwärtige rechtliche Situation ist
uneinheitlich und für die meisten Betroffenen
zunächst ungünstig. Sexualdelikte werden, in Erinnerung rufend, in den §§ 174 ff StGB geregelt.
Problem hierbei ist, dass die meisten Delikte als
Vergehen bestraft werden, die ab der Begehung der
Tat binnen drei beziehunsgweise fünf Jahren verjähren. Im Höchstfall – bei besonders schweren
Taten – tritt die Verjährung nach spätes tens zehn
Jahren ein.
Fotos: Karl-Michael Soemer, mk-Helling_pixelio.de
Bei den meisten Vorkommnissen, nämlich dort, wo
sich die Opfer erst Jahrzehnte später überhaupt
melden, ist eine strafrechtliche Ahndung nicht mehr
möglich. Opferanwälte müssen diesen Umstand im
Blick haben. Bestrebungen, die strafrechtliche Verjährung zu verlängern oder gar vollständig entfallen
zu lassen, fanden bisher keine einheitliche Zustimmung. Zivilrechtlich ist die bisherige Situation aus
Sicht der Opfer ähnlich problematisch. Grundsätzlich gilt zunächst nach § 195 BGB die dreijährige
Verjährungsfrist. Beginn der Frist ist der Schluss des
Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der
Anspruchsberechtigte von den begründenden Anspruchsumständen und der Person des Schädigers
Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit
erkennen musste. Jedoch wurde mit der Novelle des
Schuldrechts am 26.11.2001 mit dem § 208 BGB
dafür gesorgt, dass Ansprüche wegen Verletzung
gegen die sexuelle Selbstbestimmung erst dann verjähren können, wenn der oder die Geschädigte das
21. Lebensjahr vollendet hat oder, sofern eine häusliche Gemeinschaft mit dem Schädiger besteht, diese
beendet wurde. Das mag auf den ersten Blick
betrachtet ein Fortschritt für die Wahrnehmung von
Opferinteressen sein. Tatsächlich erweist sich dieses
Instrumentarium jedoch auch dann nicht als tauglich, wenn die jeweilige Missbrauchsbiographie viele
Jahre später nach der gesetzlichen Verjährungshemmung ans Tageslicht kommt. Auch diesbezüglich ist in der Politik die Heraufsetzung der Verjährungsfrist ein Thema, nämlich auf 30 Jahre für
Schadensersatzansprüche aus Missbrauchstaten.
Ein Gerichtsurteil sorgte indes inmitten der kontrovers geführten Debatte für Furore. Das Landgericht
Osnabrück entschied am 29.12.2010, dass die Verjährung von drei Jahren erst dann zu laufen beginnt,
wenn ein durch den Missbrauch traumatisiertes
Opfer die Verdrängung der Tat überwunden hätte
und sich daran erinnern könnte (LG Osnabrück, Az.:
12 O 2381/10). Es sprach dem heute 36 Jahre alten
Kläger gegen seinen ehemaligen Nachbarn (73) ein
Schmerzensgeld 20 Jahre nach der Tat zu. Das Urteil
ist zwar noch nicht rechtskräftig und liegt dem OLG
Oldenburg zur Entscheidung vor. Käme die Berufung
aber zu dem gleichen Ergebnis wie die Vorinstanz,
wäre dies eine Sensation und könnte ein Stück weit
die „Sicherheit“, in der sich manch Täter wähnt,
auflösen.
Päpstlicher Erlass
Ungeachtet der weltlichen Fallbearbeitung hat der
Vatikan reagiert und mit päpstlichem Erlass im
Sommer 2010 die kirchenrechtliche Verjährung
sexuellen Missbrauchs von zehn auf 20 Jahre
hochgesetzt. Außerdem hat Papst Benedikt XVI.
festgeschrieben, dass sowohl der Besitz als auch die
Verbreitung kinderpornographischen Materials ein
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ADVOICE 02 /11
Verbrechen darstellt. Hiermit dürften viele der
nunmehr sehr alten Täter dennoch ungeschoren
davon kommen. Es ist aber als ein Fingerzeig in
Richtung eines sich wandelnden Umgangs mit
sexuellem Missbrauch innerhalb der katholischen
Kirche zu werten.
Anzuwendendes Recht
WELTLICH
Die innerkirchliche juristische Würdigung bezieht
sich auf die Regeln des „Codex Iuris Canonici“ (CIC),
die es dem Heiligen Stuhl im Rom ermöglicht,
Fehlverhalten der Kleriker (ordinierte Priester) zu
sanktionieren. Sexueller Missbrauch Minderjähriger
hatte in der Vergangenheit nicht selten zur Folge,
dass die Täter kirchenstrafrechtlich versetzt wurden,
sofern sichergestellt war, dass im neuen Wirkungskreis keine Wiederholungsgefahr vom Versetzten
ausgehen konnte. In gravierenden Fällen konnten
geistliche Täter auch mit der Entlassung aus dem
Priesteramt rechnen. Letztlich war dies jedoch eine
nach weltlichen Regeln schwer durchschaubare Ermessensentscheidung.
Das kanonische Recht steht mit seinen besonderen
Strafrechtsnormen wie eine Art Disziplinarrest, das
dem Beamtenrecht vergleichbar ist, neben den
weltlichen Gesetzen. Der antiquiert erscheinende
CIC wird durch eine Vielzahl von Auslegungsregeln
wie Kommentierungen ergänzt und soll so auf
aktuelle Sachverhalte angepasst werden. Die aktualisierten sogenannten „Leitlinien für den Umgang
mit sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch
Kleriker, Ordensangehörige und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Deutschen
Bischofskonferenz“ schreiben zudem verpflichtend
vor, wie bei Bekanntwerden von entsprechenden
Deliktsfällen zu verfahren ist.
Inwieweit das komplizierte Regelwerk des Kirchenrechts und die reuigen Absichtsbekundungen der
Kirche dazu führen, Missbrauchstäter einer gerechten Strafe zu zuführen, das wird allerdings die Zeit
zeigen. Es wäre nicht nur im Sinne aller Opfer. Es
wäre auch in Sinne der Angehörigen der Kirche, die
auf eine moralisch glaubhafte Einrichtung ihres
Glaubens setzen.
RA Patrick Ruppert, Köln
Sexueller Missbrauch ist kein Thema, das nur
die Kirchen betrifft. Alle gesellschaftlichen
Bereiche sind tangiert, wie spätestens seit den
Vorfällen an der Odenwaldschule und anderen
nichtkonfessionellen Bildungseinrichtungen
klar geworden sein sollte. Diesem Problemkreis
will die Bundesregierung mit einem aktuellen
Gesetzesentwurf begegnen. Im Kern sollen die
Rechte der Opfer deutlich gestärkt werden.
Strafrecht (StGB)
§ 174
§ 176
§ 176a
§ 176b
§ 182
§ 184b
§ 184c
Problem
Sexueller Missbrauch
von Schutzbefohlenen
Sexueller Missbrauch von Kindern
Schwerer sexueller Missbrauch
von Kindern
Sexueller Missbrauch von Kindern
mit Todesfolge
Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
Verbreitung, Erwerb und Besitz
kinderpornographischer Schriften
Verbreitung, Erwerb und Besitz
jugendpornographischer Schriften
Verfolgungsverjährung §§ 78ff.
Zivilrecht (BGB)
§ 253
Immaterieller Schaden
(Schmerzensgeld)
Problem
Verjährung §§ 195, 199 (drei Jahre),
jedoch Hemmung nach § 208 bei
Ansprüchen wegen Verletzung gegen
die sexuelle Selbstbestimmung bis
21. Lebensjahr/Beendigung der
häuslichen Lebensgemeinschaft mit
dem Schuldner
KIRCHLICH
Codex Iuris Canonici (CIC) =
„kanonisches Recht“ von 1983
Kirchenstrafrecht:
Canon 1395 § 2 „Ein Kleriker, der sich auf andere
Weise gegen das sechste Gebot des Dekalogs
verfehlt hat, soll, wenn nämlich er die Straftat
mit Gewalt, durch Drohungen, öffentlich oder
an einem Minderjährigen unter sechzehn Jahren
begangen hat, mit gerechten Strafen belegt
werden, gegebenenfalls die Entlassung aus dem
Klerikerstand nicht ausgenommen.“
Entschädigungsanspruch:
Canon 128 „Jeder, der widerrechtlich durch eine
Rechtshandlung oder auch durch eine andere mit
Vorsatz oder aus Fahrlässigkeit vorgenommene
Handlung einem anderen Schaden zufügt, ist
verpflichtet, den Schaden wiedergutzumachen.“
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Thema
Thema
„Ich lebe unvermählt“
Die fremde Lebensform Zölibat
Zur Person
Der Zölibat
Dr. Wolfgang Picken (43) ist katholischer
Pfarrer im Bad Godesberger Rheinviertel
und Dechant von Bad Godesberg. Er studierte neben katholischer Theologie Philosophie, Politik- und Sozialwissenschaften. Er
ist Gründer der Bürgerstiftung Rheinviertel,
einem bundesweiten Pilotprojekt sozialer
Reorganisation. 2010 sprach der promovierte Politologe vor dem Deutschen Juristentag in Berlin. Besondere Schwerpunkte
seiner seelsorgerischen Tätigkeit liegen in
der Jugendarbeit und der Sterbe- und Trauerbegleitung. Picken gilt als ein ausgemachter
Kenner des Vatikans und der Stadt Rom.
Seine privaten Interessen gehören der Kunstgeschichte sowie der klassischen Musik.
Kirchenjuristen wissen, dass der Zölibat nicht
unmittelbar der Bibel zu entnehmen ist. Er ist
historisch gewachsen und letztlich auch eine
Antwort auf die ausufernde Dekadenz der im
Mittelalter regierenden Kirchenfürsten. Im
Codex Iuris Canonici, der normierten Rechtsquelle der katholischen Kirche, heißt es im
Canon 277, dort unter § 1 wörtlich: „Die
Kleriker sind gehalten, vollkommene und
immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie
zum Zölibat verpflichtet, der eine besondere
Gabe Gottes ist, durch welche die geistlichen
Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen
Christus anhangen und sich freier dem Dienst
an Gott und den Menschen widmen können.“
Das Gebot ist auch heute noch bindend und
im letzten großen Konzil von 1962-1965
bestätigt worden. Die Befreiung (eine Dispens) von der Zölibatsverpflichtung, die nur
der Papst erteilen kann, führt rechtlich automatisch zum Verlust des Priesteramts (Canon
291). Dieser Aspekt ist vor allem in der Laientheologiebewegung ständiger Diskussions punkt, da viele Anhänger die Ehe und das
Priesteramt für miteinander vereinbar halten.
Schützenhilfe erhalten sie mitunter von namhaften Theologen wie Hans Küng, der die
Abschaffung des Zölibats fordert.
A: Wie findet man sich im Zölibat zurecht? Eine
Fastenzeit ist endlich, der Zölibat nicht.
P: Diese Lebensform ist nicht statisch, sondern wie
alles im Leben in Bewegung. Mal geht es einem
extrem gut damit, mal ist es schwierig. In jedem Fall
setzt der Zölibat viele Energien frei und schafft
Raum für die Beziehung zu Gott.
A: Mit welchen Vorurteilen gilt es rund um den
Zölibat aufzuräumen?
P: Es ist ein Vorurteil, dass nur Menschen mit einer
kranken oder defizitären Sexualität den Zölibat wählen. Die sexuelle Fixierung unserer Zeit benutzt die
Ehelosigkeit des Priesters als Projektionsfläche ihrer
Fantasien. Das hat manchmal schon perverse Züge.
A: Der Zölibat wird von einigen Menschen mit
den schlimmen Missbrauchsfällen der zurückliegenden Zeit in negativer Weise in Verbindung
gebracht. Wie wäre dem glaubhaft zu begegnen?
P: Es gibt keine nachweisbare Relation zwischen
Zölibat und Missbrauch. Die forensische Statistik
weist aus, dass Missbrauch unter Zölibatären nicht
häufiger vorkommt als in der Gesamtbevölkerung.
Missbrauch ist eine schlimme anthropologische
Konstante.
A: Könnte es sein, dass der Zölibat möglicherweise auf kurz oder lang entfallen wird?
P: Ich denke nicht, dass der Zölibat fällt. Die Kirche
braucht nicht weniger Entschiedenheit für Gott, son dern mehr, wenn sie dem Glauben neue Bedeutung
verleihen will.
> www.kirche-im-rheinviertel.de
„Mal geht es einem extrem gut damit, mal ist es schwierig", sagt Dr. Wolfgang Picken über das Leben im Zölibat. Auf alle Fälle setze es viele Energien frei.
Es waren die 1970er Jahre, die Eltern und Großeltern in seltsam beblümten Langgewändern raus
trieb, um mit lauter Rockmusik, psychedelischen
Drogen und freier Liebe der Prüderie des Nachkriegsdeutschlands den Garaus zu machen. Freilich galt dies längst nicht für die breite Mehrheit.
Zum einen war Deutschland in Ost und West
geteilt, in der früheren DDR durfte derart freiheitlich nicht gedacht und gelebt werden. Zum
anderen war es vornehmlich eine studentische
Revolte, außerparlamentarisch organisiert und
in erster Linie intellektuelle Kreise ansprechend.
Aber die gesamte Bevölkerung nahm von den Umbrüchen Notiz und profitierte letztlich langfristig. 40
Jahre später sind die Mitglieder der „Kommune 1“, die
sich noch als Ausdruck des progressiven Protests einst
haben nackt von hinten ablichten lassen, weit entfernte Geschichte. Inzwischen ist das längst wiedervereinigte Deutschland völlig „durchsexualisiert“.
Der Zölibat (aus dem Lateinischen von caelebs, unvermählt leben) ist eines der am wenigsten verstandenen Lebensformen. Über ihn wurde insbesondere
in den zurückliegenden Jahren viel gedacht und
auch geschrieben. Das Verständnis für ihn ist jedoch
damit kaum gewachsen, obgleich nicht nur Geistliche der christlichen Weltkirchen bewusst mit ihm
leben. Buddhistische Mönche etwa kennen ebenso
die Existenz völliger Keuschheit. Doch gerade aus
christlicher Sicht könnte dieser Lebensentwurf, der
in der römisch-katholischen Kirche für Priester und
Ordensleute verpflichtender Bestandteil ist, ein Irrweg sein, denn immerhin schuf Gott den Menschen
als „Mann und Frau“, so die Bibel. Und wie war das
mit der Sentenz „seid fruchtbar und mehret Euch“?
Der katholische Priester Dr. Wolfgang Picken aus
Bonn kennt die Vielzahl von kritischen Fragen zum
Zölibat. Gegenüber AdVoice leistet er ein Stück weit
Aufklärungsarbeit und erläutert seine Motivation,
bewusst zu sagen: „Ich lebe unvermählt.“
Die Werbung lebt es vor und zeigt wie selbstverständlich reichlich Fleisch, wohin man schaut. Aufreger sind hiermit nicht mehr zu erzielen. In solchen
Zeiten tritt alternatives Verhalten, ein gänzlich anders
ausgerichtetes Leben eher in den Hintergrund. Wo der
Sex breit regiert, wirkt es fast wie ein Anachronismus,
wenn Menschen dem bewusst abschwören, in Entaltsamkeit, ja Ehelosigkeit leben wollen.
A: Ist der Zölibat heute noch zeitgemäß?
P: Mehr denn je, denn die Welt braucht heute
deutliche Zeichen der Entschiedenheit und Begeisterung für den Glauben an Gott und die Liebe zum
Menschen. Unsere Welt mit ihren unendlichen
Differenzierungen und Kompromissen sollte froh
und dankbar für jeden sein, der konsequent für
seine Ideale und Werte lebt.
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Foto: Patrick Ruppert
A: Warum ist ein zölibaterer Lebensentwurf
gerade der katholischen Kirche so wichtig?
P: Der Priester lebt nach dem Verständnis der Kirche
in der besonderen Stellvertretung Christi. Er soll die
vorzugsfreie Liebe Gottes vermitteln und in einem
besonders intensiven Verhältnis zu Gott stehen.
Deshalb liegt es nahe, dass der Priester dieselbe
Lebensform wählt, die von Jesus selbst überliefert
ist: Die Ehelosigkeit. Das bedeutet ein Leben ohne
die spezielle Bindung an eine Person, um ganz
offen sein zu können für die Beziehung zu Gott
und den Menschen, zu denen der Dienst den Priester sendet.
A: In der Bibel wird in der Schöpfungsgeschichte
von Mann und Frau gesprochen, was beinhalten
könnte, dass der Zölibat gerade nicht im Sinne
der Religionsausübung sein kann.
P: Die biblische Verwiesenheit von Mann und Frau
aufeinander ist grundsätzlicher Natur und zutreffend, aber sie ist keine Handlungsanweisung. Die
Leidenschaft für Gott und der Dienst am Evangelium ist unabhängig davon ein eigener Wert und
Lebensinhalt. Als solcher hat er im religiösen Kontext von altem und neuem Testament immer eine
eigene Bedeutung besessen. Für Gott alles stehen
und liegen lassen, ist ein biblisches Ideal, wenn
man beispielsweise an die Jünger am See Genezareth denkt.
A: Wäre eine umfassende Seelsorge im Ergebnis
nicht erfolgreicher, wenn der Priester aus eigener Anschauung die Probleme einer Partnerschaft/Ehe kennt?
P: Eigene Anschauung und Erfahrung können für
einen Beruf hilfreich sein, sind aber nicht die einzigen
Kriterien für eine Qualifikation. Das wissen wir von
vielen Berufen! Auch muss ein verheirateter Familienvater nicht automatisch kompetent in Familienund Eheangelegenheiten sein, nur weil er selbst in
dieser Situation steht. Die persönliche Situation qualifiziert nicht per se. Ferner muss bedacht werden,
dass Familie und priesterlicher Dienst in ihren Ansprüchen vielfach gegeneinander stehen. Die Aufgabe des Priesters verlangt eine Priorisierung auf die
Sendung zu den Menschen. Ehe und Familie bedeuten eine Priorisierung auf Frau und Kinder. Die
Konkurrenz dieser Ideale kann dauerhaft zur Belastung und Überforderung führen. Die wenigsten
können Diener zweier Herren sein!
A: Wie lebt sich's im Zölibat? Ist das vergleichbar einer Diät?
P: Der Zölibat ist nicht zuerst Verzicht sondern Gewinn. Man kann seine Kräfte und Energien ganz
seinem Dienst widmen. Ohne Frage gibt es auch
schmerzliche Seiten. Aber wenn man ehrlich ist,
gibt es die in jedem Lebensentwurf. Einsamkeit
kennen beispielsweise nicht nur Zölibatäre.
Das Gespräch führte
RA Patrick Ruppert, Köln
A: Was ist das Bereichernde des Zölibats?
P: Der Zölibat ermöglicht eine „rücksichtslose“ Konsequenz in der Gestaltung der eigenen Berufung,
macht verfügbar. Er ist ein wichtiges Zeichen dass,
die Begeisterung für den Glauben einen Menschen
in Besitz nehmen und ausfüllen kann. Und diese
Lebensform sensibilisiert für die vielen Entbehrungen, unter denen das Leben steht. Verzicht üben und
damit leben müssen, ist ein Grundthema des Daseins. Das schafft eine große Nähe in der Seelsorge.
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Thema
Sex sells: Sexmarken
„Recht und Sex“ ist keine Marke
Sex sells! Und das muss abgesichert werden. Am
besten mit einer eingetragenen Marke. Allein
beim Deutschen Patent- und Markenamt sind
183 Sexmarken eingetragen, also Marken, wo
Leute Geld ausgegeben haben, um sich den Begriff „SEX“ in irgendeinem Zusammenhang
schützen zu lassen. Nur 57 dieser Marken sind
jedoch eingetragen, erstaunlich oft also scheitern die Markenanmeldungen oder werden nicht
verlängert.
2010 erteilet der Deutsche Werberat acht
„öffentliche Rügen" an Unternehmen, deren
Werbung sich sexistischer, gewaltverherrlichender oder diskriminierender Inhalte
bediente.
Sex is...
...LIKE PERSIL
da weiß man, was man hat
...LIKE EHRMANN
keiner macht mehr an
Ein promovierter Jurist hat im Jahr 2008 tatsächlich versucht, die Marken Recht und Sex und Sex
und Recht zu sichern, im Register ist jedoch lakonisch vermerkt: Eintragung nicht möglich. Mit dem
gleichen Hinweis scheiterten beispielsweise Sex im
Kuhstall, eine Sex Apotheke, der vermutlich unglaubliche Planet Power Sex sowie und Sex-ausBerlin.
...LIKE AOL
bin ich schon drin?
...LIKE DOUGLAS
come in and find out
Anrufen sollte man früher mal beim SEX`O`PHON.
Geplant war 1998 ein Sex-Branchenbuch, doch die
Akten zu diesen Marken sind bereits vernichtet.
Erspart bleibt uns auch die Ballermann Sex Band.
Eingetragen in das Register und damit markenrechtlich geschützt sind aber neben Future Sex,
Tropica Sex und Voodoo Sex eine ganze Reihe von
Wort-Bildmarken. Wie die Recherche zeigt, ist auch
Sex Sells eine Marke, immerhin eingetragen für
Papier, Bekleidungsstücke und Bettwäsche.
Thema
...LIKE NOKIA
connecting people
LSD
...LIKE NIKE
just do it
...LIKE PEPSI
ask for more
RA Tobias Sommer, Berlin
...LIKE SAMSUNG
everybody is involved
...LIKE COCA COLA
enjoy
...LIKE PRINGLES
einmal gepoppt, nie mehr gestoppt
...LIKE AUDI
Vorsprung durch Technik
…LIKE MCDONALDS
ich liebe es
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Seid fruchtbar und begattet Euch
HEUTE
Warum Lesen beim ehelichen Beischlaf verboten ist
Sex wird schon immer auch rechtlich als wesentlicher Bestandteil einer Ehe angesehen. Das ergibt sich aus §1353 BGB, dessen Verständnis
sich seit Einführung des BGB nicht wesentlich
verändert hat.
Die 4. Auflage des „Palandt“ aus dem Jahre 1941
sagt ganz klar, dass zu den ehelichen Pflichten neben der Pflicht zum Zusammenleben und zur Treue
auch die Pflicht zum ehelichen Verkehr und zur
Erzeugung von Kindern gehört. (Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 4. Auflage, 1941, § 1353 Ziff. 2)
»Kinderzeugen dahingegen // Macht
Vergnügen und bringt Segen, // Wenns
geschieht im Ehebett // Standesamtlich
und honett.« Otto Julius Bierbaum
Nach der 41. Auflage ist die Ehe „Geschlechtsgemeinschaft und verpflichtet zum ehelichen Verkehr
in Zuneigung, nicht in Gleichgültigkeit oder indem
Widerwillen zur Schau getragen wird.“ (Palandt,
Bürgerliches Gesetzbuch, 41. Auflage, 1982, § 1353
Ziff. 2) b)
Die 69. Auflage beschreibt allgemein die zwischen
Ehegatten bestehende Rechtspflicht zur ehelichen
Lebensgemeinschaft und zur Verantwortung füreinander. Gleichzeitig wird nach dem Verständnis des
Verfassers eine gegenseitige Zuneigung durch die
Eheschließung indiziert, welche je nach individuellen
Verhältnissen (Alter, Gesundheitszustand, psychische
Disposition) nach dem traditionellen Eheverständnis
auch die Pflicht zur Geschlechtsgemeinschaft entspricht. (Palandt/Brudermüller, Bürgerliches Gesetzbuch, 69. Auflage, 2010, § 1353 Rn. 2 u. 7)
»Hat man also die Pflicht zum
ehelichen Beischlaf, dann ist auch
eine Pflichtverletzung denkbar.«
Wenngleich in der 69. Auflage aus dem Jahre 2010
bereits leise Zweifel anklingen, ob die Pflicht zur
Geschlechtsgemeinschaft aufrecht zu erhalten ist,
wird diese Auflage, wie auch die 41. Auflage aus
dem Jahre 1982 in einer Entscheidung des BGH
vom 2.11.1966, Az.: IV ZR 239/65 zitiert.
Es ging um die Frage der Zerrüttung einer Ehe.
Anno 1966 galt noch das Schuldprinzip. Es reichte
also nicht aus, vorzutragen, dass Mann und Frau
sich nicht mehr leiden können.
Hat man also die Pflicht zum ehelichen Beischlaf,
dann ist auch eine Pflichtverletzung denkbar. Der
Kläger, der bereits in zwei Instanzen gescheitert war,
trug vor, dass die Zerrüttung der Ehe aus der Einstellung seiner Ehefrau zum ehelichen Verkehr entstanden sei. Diese habe ihm erklärt, dass sie beim
Geschlechtsverkehr nichts empfinde und dabei imstande sei, Zeitung zu lesen. Der eheliche Verkehr sei
eine reine Schweinerei und schwanger wolle sie
auch nicht werden.
Der Kläger hatte sich dann einer anderen Frau zugewandt. Das Berufungsgericht sah darin einen
Ehebruch und den Widerspruch der Ehefrau gegen
das Scheidungsbegehren des Ehemannes als begründet an.
Der BGH hatte sich nun mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Ehe zu scheiden war, oder eben
nicht. Der Bundesgerichtshof verwies die Sache
zurück. Aber nicht, ohne zuvor deutlich die Ansicht
des erkennenden Senates über den ehelichen Beischlaf zum Ausdruck zu bringen:
IN 50 JAHREN
»Die Frau genügt ihren ehelichen
Pflichten nicht schon damit, dass
sie die Beiwohnung teilnahmslos
geschehen lässt.«
BGH / 02.11.1966, Az.: IV ZR 239/65
„Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht
schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos
geschehen lässt. Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen, zu denen die
Unwissenheit der Eheleute gehören kann, versagt
bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden,
so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in
ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und
verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur
Schau zu tragen. Denn erfahrungsgemäß vermag
sich der Partner, der im ehelichen Verkehr seine
natürliche und legitime Befriedigung sucht, auf die
Dauer kaum jemals mit der bloßen Triebstillung zu
begnügen, ohne davon berührt zu werden, was der
andere dabei empfindet.“
Und schon gar nicht, so der BGH, dürfe der Partner,
dem es nicht gelingt, Befriedigung im Verkehr zu
finden, seine persönlichen Gefühle in verletzender
Form aussprechen. Das sei geeignet, die „eheliche
Gemeinschaft, zu deren Vollzug in der Regel die
ständige Wiederholung der geschlechtlichen Vereinigung gehöre, an ihrer Wurzel zu untergraben.“
Zeichnung: Alexandra Eckert
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Thema
Thema
Apropos Wurzel, auch in einem Fall, den das Oberlandesgericht Hamm im Jahre 1979 zu entscheiden
hatte, war der ausbleibende eheliche Beischlaf die
Wurzel allen Übels. Eine Ehefrau hatte um Armenrecht für eine Härtefallscheidung nachgesucht. Die
Ehefrau bemängelte, dass normaler Geschlechtsverkehr in der Ehe aufgrund einer bei ihrem Ehemann
vorliegenden Phimose praktisch nie möglich gewesen sei. Der Geschlechtsverkehr habe ihr Schmerzen
bereitet und sie habe sich deshalb verweigert. Daraufhin sei ihr Ehemann dazu übergegangen, sich
selbst zu befriedigen und das Bett zu beschmutzen.
Ein weiteres Festhalten an der Ehe sei ihr deshalb
nicht mehr zumutbar.
»Die Ehefrau bemängelte, dass
normaler Geschlechtsverkehr in
der Ehe aufgrund einer bei ihrem
Ehemann vorliegenden Phimose
praktisch nie möglich gewesen sei.«
Das Familiengericht hat das Armenrecht verweigert.
Das OLG Hamm nahm in seinem Beschluss vom
26.3.1979, Az.: 3 WF 9/79, mit dem zunächst nur
über die Gewährung des Armenrechts entschieden
wurde, auf die oben zitierte Entscheidung des BGH
Bezug und führte aus, dass sich an der Bedeutung
der Geschlechtsgemeinschaft für den Vollzug der
Ehe auch unter dem zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Recht nichts geändert habe. Nach
Auffassung des OLG Hamm liege ein Scheitern der
Ehe aufgrund der Bedeutung der sexuellen Seite der
Ehe nahe, wenn die Ausübung des Verkehrs nicht
möglich sei und dieser Zustand nicht zu beheben
sei. Ein nicht behebbarer Zustand liege auch dann
vor, wenn einer der Ehegatten einen zur Behebung
erforderlichen medizinischen Eingriff verweigere.
»Kein Sex“ sei eher selten ein Thema,
wohingegen „zu viel Sex, nämlich mit
anderen Personen als dem Ehepartner“
Inhalt einer Vielzahl veröffentlichter
Entscheidungen sei.«
24.3.1999 zum Amtsgericht Brühl Az.: 32 F 65/98.
20 Jahre später, 1999, befasste sich das Amtsgericht
Brühl mit der Frage der Unterhaltskürzung wegen
Verweigerung des Geschlechtsverkehrs. Der NochEhegatte verweigerte den Trennungsunterhalt, weil
die Noch-Ehefrau sich geweigert habe, der sexuellen
Seite der Ehe nachzugehen.
Zeitung besser nach dem Sex lesen. Das kann sonst juristischen Ärger nach sich ziehen.
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Foto: Andrea Vollmer
Die Ehefrau behauptete, sie habe sich nicht verweigert und ehelicher Geschlechtsverkehr habe
stattgefunden. Das Amtsgericht hat am 24.3.1999
zum Az.: 32 F 65/98 entschieden, dass der „Beweis,
das etwas nicht geschehen sei“ nicht geführt werden könne und die Beweislast für den Nachweis des
stattgefundenen Geschlechtsverkehrs der Ehefrau
auferlegt, der diese nicht genügt habe.
Weiter heißt es: „Die Nichterfüllung einer der Hauptpflichten aus der Pflicht zur eheliche Lebensgemeinschaft wiegt ebenso schwer wie die anderen
Gründe, die nach § 1579 BGB zur Versagung des
Unterhalts berechtigen.“ Dies sei, so das Amtsgericht, eine selbstverständliche Konsequenz, wofür
sich aber in der Literatur kein Beleg finde. „Kein
Sex“ sei eher selten ein Thema, wohingegen „zu viel
Sex, nämlich mit anderen Personen als dem Ehepartner“ Inhalt einer Vielzahl veröffentlichter Entscheidungen sei.
Darüber hinaus führt das Amtsgericht aus, dass
nicht nur die Sicherung der wirtschaftlichen Basis
der Eheleute die Grundlage für die „Ehe als kultu relle Errungenschaft des Menschen“ sei, sondern
auch die Sicherung der Folgen aus der als weithin
selbstverständlich praktizierten Geschlechtsgemeinschaft, nämlich der Versorgung und Betreuung der gemeinsamen Kinder aus der Gemeinschaft.
Daraus zog das Gericht den Schluss, dass die Verweigerung der Ehefrau die nur äußerlich gelebte
Gemeinschaft der Ehegatten derart reduziert habe,
dass auch ihr Anspruch auf Unterhalt zu reduzieren sei.
Zuvor, am 16.5.1991 hat das Kammergericht zum
Aktenzeichen 16 UF 7355/90 entschieden, dass ein
einseitiges Fehlverhalten des unterhaltsberechtigten
Ehegatten i.S. von § 1579 Nr. 6 BGB nicht vorliege,
wenn dieser vier außereheliche geschlechtliche Beziehungen aufgenommen habe, nachdem der Ehepartner ihm 17 Jahre lang sexuelle Kontakte fast
vollständig verweigert habe.
Weitere 20 Jahre später am 17.11.2009 hat das OLG
Oldenburg im Rahmen einer PKH-Beschwerde ausgeführt, dass ein Anspruch der Antragstellerin auf
Trennungsunterhalt gem. § 1361 Abs. 1 BGB wegen
eines schwerwiegenden, ausschließlich bei ihr liegenden Fehlverhaltens ausgeschlossen sei. Sie habe
auf der Internetseite www.poppen.de ihr Profil
eingestellt. Dies sei ein schwerwiegendes Verhalten
und es handle sich nicht, wie von der Antragstellerin vorgetragen, um einen „völlig normalen Chatroom“, in dem beispielsweise über Autos kommuniziert werde. Der Domain-Name und auch der
Einführungstext auf der Startseite sprächen für
sich. Der Einführungstext auf der Startseite lautete
wie folgt: „Poppen.de–100 % kostenlose Sexkontakte.
Interessiert Ihr Euch für Swingerclubs, gemeinsame
Saunabesuche oder wollt einfach Euren sexuellen
Horizont erweitern? Ihr mögt Rollenspiele, vielleicht
sogar bizarre Spielarten, seid Swinger, sucht nach
Sexkontakten oder einem Seitensprung? Herzlich
willkommen bei der Community für mehr als das
konventionelle Miteinander!“
Stürme der gesellschaftlichen und sexuellen Liberalisierung sind über das Land gefegt. Sex ohne Ehe
ist inzwischen vollkommen normal, aber eine Ehe
ohne Sex kann noch immer problematisch sein. Laut
BGH ist darüber hinaus nicht nur kein Sex ein
Problem, sondern auch spaßfreier Sex. Es darf bezweifelt werden, ob die Ansicht des damals erkennenden 4. Senats heute noch so vertretbar wäre.
Ausdrücklich überholt ist das Urteil jedoch nicht.
Deshalb gilt beim ehelichen Beischlaf: „Lächeln und
knuddelig aussehen!“
RAin Theresa Nentwig, Arnstadt
Statistik: Sex und Recht
Marken beim DPMA mit dem Wort „Sex“: 185, davon eingetragen mit der Dienstleistung
Rechtsberatung: 1 I So oft haben Deutsche Sex pro Woche: 2 mal. So oft haben sie Lust auf
Sex pro Woche: 4-5 mal I Studierende in Berlin, die sich vorstellen können, in der Prostitution
zu arbeiten: jeder Dritte I Tatsächlich aktiv im Rotlichtmilieu: jeder 27. Studierende (= 3,7 %),
davon in einer festen Beziehung: 52,3 % I Anteil, jener die durch diese Tätigkeit Probleme in
der Partnerschaft haben: 60 % I Studierende in Berlin, die sich vorstellen können, Sex für Geld
zu haben: jeder Vierte I Anteil der Männer, die beim Sex ans Telefon gehen, wenn es klingelt: 10 %
Anteil der Frauen die beim Sex ans Telefon gehen, wenn es klingelt: : 17% I Verfahrenseingänge
bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien im Jahr 2010: 1269 I Bislang von der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien insgesamt indizierte Werke, wobei auch Filme:
2645, Telemedien: 2482, Printmedien, u. a. Bücher: 529
Zusammengestellt von RA Tobias Sommer, Berlin
Quellen: Destatis, Statista, Studie des Studienkolleggs zu Berlin, eigene Recherchen
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Thema
Thema
Dieser Ausschuss besteht aus fünf Personen: Dazu
zählen zunächst zwei Vertreter der Filmwirtschaft
und zwei Vertreter der öffentlichen Hand. Letztere
repräsentieren die Bundesländer sowie die verschiedenen Lebensbereiche wie Religion, Lehrerschaft
usw. Peter Werner vertritt beziehungsweise präsentiert den Freistaat Thüringen.
Jugendschutz oder Zensur
Die Prüfung der Freiwilligen Selbstkontrolle – FSK
„Oft gehe ich dann nach meinen Prüfungen ins
Kino und beobachte die Zuschauer. Wenn dann
die Kinder gebannt im Kinosessel sitzen und an
bestimmten Stellen die Hände vor die Augen
nehmen, dann vergleiche ich – lag ich richtig?“
in Deutschland nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden. Also führt für keinen Produzenten,
der sein Werk in die Kinos bringen möchte, der Weg
vorbei an Wiesbaden und der FSK.
Peter Werners Augen funkeln, er sprüht vor Begeisterung. Keine Frage – er liebt seine Arbeit. Der Diplompädagoge prüft und beurteilt Filme unter anderem
für die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft,
die FSK, und das, obwohl er längst im wohlverdienten
Ruhestand ist. Doch auf seine Erfahrung und sein
Wissen wollte niemand verzichten. So schaut sich
Peter Werner regelmäßig in Wiesbaden Filme an und
entscheidet mit, ob die Kinder erst ab sechs oder zwölf
Jahren in die Kinos dürfen.
Über 100.000 Filme geprüft
Ganz so freiwillig wie sie klingt, ist sie dann irgendwie doch nicht, die Freiwillige Selbstkontrolle. Denn
ohne Prüfsiegel, sprich Altersfreigabe, darf ein Film
Die erteilt seit 1949 Altersfreigaben für Filme, seit
den 80er Jahren auch für Videos, DVDs und andere
Trägermedien, die für die öffentliche Vorführung
und Verbreitung vorgesehen sind. Über 100.000
Filme hat die FSK bisher geprüft, Peter Werner hat
irgendwann aufgehört zu zählen. 1993 wurde er
durch das Thüringer Ministerium für Prüfaufgaben
berufen. Doch nur Filme anschauen und bewerten
– so war das nicht: „Erst mal musste ich drei Tage
auf die Bank“, erinnert er sich und fügt hinzu:
„Aber wir wurden von Anfang an integriert, durften
unsere Meinung sagen.“
Der pensionierte Lehrer Peter Werner prüft Filme für die FSK. Zentrales Kino dafür ist das Murnau-Filmtheater in Wiesbaden.
Zunächst reiste er als Sachverständiger nach Wiesbaden zu den Prüfwochen. Zwischen 10 und 14
Wochen sind das pro Jahr. Die teilen sich in Thüringen insgesamt sechs Prüfer. Als freier Projektmitarbeiter ist Peter Werner gefragt: „Naja, ich
habe auch kurzfristig Zeit. Das kommt schon vor,
dass ich Donnerstag einen Anruf bekomme: Wir
brauchen dich nächste Woche zwei oder drei Tage.“
Dann packt er seinen Koffer und fährt nach Wiesbaden ins Murnau-Filmtheater, das Deutsche Filmhaus.
„Wir haben dort beste Bedingungen.“ Peter Werner
berichtet von der Murnau-Stiftung, deren Aufgaben, schwelgt in Filmgeschichte, an der er ja irgendwie schon ein wenig mitgewirkt hat mit seinen
Entscheidungen. Und dann berichtet er, wie eine
solche Entscheidung abläuft: „In der Regel wird ein
Film, der in die Kinos kommen soll, dem Arbeitsausschuss vorgelegt“, beginnt er zu berichten.
Dem „Fünferausschuss“ vorangestellt ist wie jedem
Ausschuss ein Vorsitzender. „Das ist ein ständiger
Vertreter der Landesjugendbehörden, der fest bei
der FSK angestellt ist und vom federführenden
Ministerium in Rheinland-Pfalz berufen wird“, erklärt der Experte. Er selbst ist nicht selten Ausschussvorsitzender, auch als freier Mitarbeiter. Als
erfahrener Sachverständiger agiert er dann in Vertretung des Ständigen Vertreters. In seiner Funktion
als Ausschussvorsitzender leitet er die Prüfung,
verliest den Antrag. „Dann gibt es den Knopfdruck
für die Technik, und der Film läuft ab.“
Fokus Gewalt und Sexualität
Peter Werner ist in seinem Element. „Wir schauen
auf sehr vieles. Jugendschutzrelevante Kriterien wie
Gewalt und Sexualität. Das Frauenbild, religiöse
Aussagen, politische Tendenzen.“
Foto v. l. n. r.: Sascha Mönch, FSK
Je mehr er aufzählt, desto klarer wird, dass das
nichts mit „einfach mal Filme schauen“ zu tun hat.
Sich auf Erzähltempo, Ton, Kameraführung, Schnitt
zu konzentrieren, das alles zu bewerten und einzuordnen – dazu gehört Erfahrung. „Nein, das ist
nicht einfach. Aber deshalb sind wir ja auch fünf“,
relativiert Werner ein wenig. Und dann, wenn der
Film gelaufen ist? Dann gibt der Vorsitzende eine
erste Einschätzung ab. Bei einem FSK-6-Film zum
Beispiel, das ist oft ein Kinderfilm: „Der muss eine
klar verständliche Geschichte haben, darf die
Kinder nicht überfordern, keine Angst einflößen.
Da spielen die Tongestaltung, aber auch die Lichtgestaltung – hell und dunkel – eine gewichtige
Rolle“, weiß Werner.
Am Schluss einer Prüfung steht die Entscheidung,
die vom Sachverständigen in einem Jugendentscheid festzuhalten ist. Den kann der Antragsteller
akzeptieren oder von der nächsten (Berufungs)Instanz, dem Hauptausschuss, überprüfen lassen.
Er kann den Film aber auch um bestimmte Szenen
kürzen und erneut zur Entscheidung vorlegen. „Die
Zeit ist da schon manchmal knapp, wenn der Film
fünf oder sechs Wochen vor dem geplanten Filmstart nicht die gewünschte Freigabe bekommt“,
weiß Peter Werner um die Gewichtigkeit seiner
Arbeit auch für die Filmwirtschaft.
Persönliche Distanz finden
Wenn ein Film keine Freigabe bekommt, kann das
den Produzenten richtig Geld kosten. „Das kommt
jede Woche vor. Die Gründe sind verschieden: Gewalt, Pornografie, Verunglimpfung von Religion,
Missachtung der Menschenwürde.“ Werner wird
nachdenklich: „Es gab Filme, da wachte man nachts
auf“, blickt er zurück. „Heute habe ich gelernt, damit
umzugehen, eine persönliche Distanz aufzubauen.
Aber am Anfang war das schwer“, erzählt er.
Solche Filme werden dann der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien in Bonn gemeldet. Dort
ist Peter Werner auch Länderbeisitzer. Das Bonner
Gremium setzt solche Filme auf den Index. Dann
dürfen sie nicht mehr beworben werden. In ganz
extremen Fällen reagiert die Staatsanwaltschaft. An
dieser Stelle begegnen sich Rechtsgüter auf höchster Ebene, z. B. Kunstfreiheit vs. Jugendschutz.
Kinder-Medienkompetenz
Zurück zur FSK: Ob Filme, die noch vor 15 Jahren
ab 16 freigegeben wurden, heute auch mal ab zwölf
freigegeben werden? Nein, da könne man keine generelle Tendenz erkenne. Die Medienkompetenz habe
sich aber deutlich verbessert. Kinder und Jugendliche hätten immer stärkeren Zugang zu den Medien.
Die Wirkmechanismen seinen anders geworden.
Kinder und Jugendliche würden schnell geschnittene Filme besser verkraften. Auch die Wirkmächtigkeit von Gewalthandlungen würde heute ganz
anders eingeordnet. Die gestiegene Medienkompetenz habe eine positive Auswirkung auch auf die
Verarbeitung von Filmen und Werbespots. Durch die
tägliche Übung wirke das Filmgeschehen nicht mehr
frontal. Zuschauer können heute viel besser zwischen
realer und fiktiver Gewalt unterscheiden. „Wenn wir
dann ältere Filme neu prüfen, führt das schon zu
einer anderen Betrachtungsweise und auch Einordnung.“
RAin Anke Schiller-Mönch, Weimar
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Thema
Thema
Big Brother is watching …
Porno 2.0
Sexualstraftäter unter 24-Stunden-Überwachung
Was man(n und frau) über die Lust per Mausklick wissen sollte
Eigentlich haben wir es immer irgendwie geahnt.
Porn sells. Die Industrie rund um die anschaubare fleischliche Lust hat in den letzten Jahren
sprunghaft zugenommen. Sie hat längst das
Internet für sich als multimediale Werbe- und
Verkaufsplattform entdeckt. Wer heute noch in
die Videothek um die Ecke schleicht, um in der
abgegrenzten „Schmuddelecke“ nach einschlägigen Filmen zu suchen, dabei möglicherweise das
Risiko eingeht, von den Nachbarn als „Perversling“ gebranntmarkt zu werden, gehört zweifelsohne zum Auslaufmodell, hat selber Schuld.
Kommen jetzt alle frei?
Foto: Thomas Max Müller_pixelio.de
vl
Dürfen Schwerverbrecher, die nach ihrer Haftentlassung als rückfallgefährdet gelten, dauerhaft von der Polizei observiert werden? Karl D.
wurde wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung von drei minderjährigen Mädchen zu
einer Freiheitsstrafe von insgesamt 20 Jahren
verurteilt. Seit März 2009 ist er wieder frei. Er
hat seine Haftstrafe abgesessen. Nachträgliche
Sicherungsverwahrung war rechtlich nicht möglich. Nun wohnt der 59-Jährige bei seinem Bruder,
dessen Ehefrau und Kindern in deren Einfamilienhaus in Heinsberg-Randerath in NordrheinWestfalen mit 1.400 Einwohnern.
verlassen zu können. Ein umfassendes soziales
Bewegungsfeld wird erstellt. Ist dies alles gerechtfertigt, um die Bevölkerung vor Ort zu schützen?
schlug auch vor, die Familie könnte die Polizei
telefonisch darüber informieren, wenn sie ohne
den vorbestraften Bruder das Wohnhaus verlasse.
Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen
hat mit Urteil vom 24.1.2011 – Aktenzeichen 6 K
140/10 – entschieden, dass die polizeiliche Dauerüberwachung von Karl D. und damit auch der Familie
seines Bruders rechtmäßig ist. Gutachterliche Feststellungen ließen nach wie vor den Schluss zu, dass
Karl D. eine Gefahr für die Allgemeinheit sei. Die
Kosten für den Einsatz schätzt der Landrat auf
mindestens 100.000 Euro monatlich.
Seitdem demonstrieren die Anwohner, die NPD und
auch Menschen, die der rechten Szene zugeordnet
werden, täglich mit Plakaten und verlangen, dass
Klaus D. dort wieder auszieht. Die Angst der Eltern
vor weiteren Übergriffen ist groß. Aber nicht nur
die Demonstranten stehen vor dem Haus: Jetzt
steht auch ein Container gegenüber. Darin sitzen
mindestens vier Polizei-Beamte, die daraus das
Anwesen und seine Bewohner beobachten. Wenn
Karl D. einen Fahrradausflug mit seinem Bruder
macht, folgen ihnen die Polizisten auf Fahrrädern.
Aber auch wenn der Bruder von Karl D. das Haus
allein in seinem Auto verlässt, folgen ihm manchmal Polizeifahrzeuge. Offensichtlich vermutet man,
dass der observierte Karl D. sich im Kofferraum des
Fahrzeugs versteckt hält, um unbemerkt das Haus
Klaus D. und seine Verwandten hatten vor dem
Verwaltungsgericht Aachen argumentiert, dass die
Dauerüberwachung sie in ihrem Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung verletze. Die Vorschrift des § 16a Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (PolG NRW), die eine Dauerobservation erlaube, sei zu unbestimmt und zudem unverhältnismäßig. Selbst wenn man diese Vorschrift
für anwendbar hielte, lägen die konkreten Voraussetzungen der Norm nicht vor. Karl D. unterziehe sich jetzt einer ambulanten Therapie, so dass
von ihm keine Gefährlichkeit im Sinne von § 16a
PolG NRW ausgehe. Außerdem hätten mildere
Mittel wie z. B. das Anbringen einer elektronischen
Fußfessel einer Dauerüberwachung vorgezogen
werden müssen. Rechtsanwalt Wolfram Strauch
Der Vorsitzende Richter der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen hat in seiner mündlichen
Urteilsbegründung ausgeführt, dass die Kammer
die Regelung des Polizeigesetzes für anwendbar
halte. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der
Norm könne mit einer verfassungskonformen Auslegung begegnet werden. Ferner sei die Anwendung der Vorschrift im konkreten Fall rechtmäßig
erfolgt, da die Gutachten auf eine Gefahr für die
Allgemeinheit hinwiesen. Ermessensfehler sieht
das Verwaltungsgericht nicht.
Zur Dauerüberwachung müssen die Länder spezielle Polizeigesetze erlassen.
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Eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft kann
unter diesem Druck als fast unmöglich angesehen
werden. Die Wiedereingliederung gehört jedoch zum
Kern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies und
das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
mögen Zweifel daran begründen, ob eine verfassungskonforme Auslegung der Dauerüberwachung
überhaupt bestätigt werden kann. Die Kammer hat
die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Berufungsinstanz ist das Oberverwaltungsgericht Münster. Berufung ist eingelegt, teilte der Rechtsanwalt
mit. Die Rechtmäßigkeit der Observierung bleibt offen.
RA Volker Loeschner, Berlin
Medialer Sex geht seit geraumer Zeit auch bequem
von daheim. Günstig zu erstehenden Computern
und flotten Internetverbindungen sei Dank. Bemerkenswert ist das, was Statistiken über Pornographie
im www auswerfen. Das US-amerikanische Good
Magazine hat sich im Jahre 2007 der erotischen
Erbsenzählerei angenommen und Folgendes unter
anderem zu Tage gefördert: Zwölf Prozent aller
Webseiten waren pornographischer Natur. 25 Prozent aller Suchmaschinenanfragen drehten sich
um Pornographie. 35 Prozent aller Downloads hatten mit Porno zu tun. Jede Sekunde sahen 28.258
Internetnutzer Pornos über das Internet.
Die stetig steigende Nachfrage nach „frischen“ Sexinhalten sorgte für 266 neue Pornoseiten pro Tag.
Und selbstverständlich war und ist „Sex“ das weltweit meistgefragte Suchwort im Cyberspace. Es ist
ein Milliardengeschäft, das nicht nur im hollywood-nahen San Fernando Valley realisiert wird.
3.075,64 Dollar wurden weltweit pro Sekunde für
Erotikmaterial ausgegeben. Da ist es kein Wunder,
dass neben den klassischen Paysites auch Gratisangebote wie Pilze aus dem Boden auf den Internetmarkt schießen.
auf, die rechtlich Beflissene rasch auf den Plan rufen.
Es beginnt bereits mit dem Zugang zu Youporn, der
denkbar simpel nahezu jedermann, ob groß ob klein,
offen steht. Denn lediglich ein kurzer Hinweis warnt
davor, dass beim Klick auf den Enter-Button eine
Seite betreten wird, die Erwachsenenkram zeigt.
Geringe Englischkenntnisse reichen aus, um sich
Zutritt zu verschaffen. Das ist nicht gerade gelebter
Jugendschutz im Internet, dachten sich viele. Und
so nahm es nicht Wunder, dass das Portal Youporn
2007 beim Provider Arcor gebannt wurde.
Es ist aber nicht nur der mangelnde Schutz minderjähriger Surfer, der Konkurrenzunternehmen und
die Behörden umtreibt. Es sind auch die Fragen
rund um das „Recht am eigenen Bild“. Man mag gar
nicht das Wort Kunsturhebergesetz (KUG) in den
Mund nehmen, wenn es um derlei Kategorien geht.
Doch auch wenn „Porno“ selten den geltenden Kunstbegriff tangieren dürfte, das benannte Nischengesetz kommt zur Anwendung. § 22 KUG normiert
den Persönlichkeitsrechtsschutz, sagt, dass der
Abgebildete entscheidet, ob er veröffentlicht werden möchte. Wer sich also auf Youporn, Redtube
und ähnlichen Scharfmacher-Internetseiten mit
freiem Content umtut, dürfte sich hier schon die
Frage stellen, ob die Hobby-Kameramänner (manchmal auch -frauen) die oder den Liebsten stets
gefragt haben, bevor das Selbstgedrehte hochgeladen wurde. Die einfache Antwort lautet Nein.
Und somit dürfen alle Medienrechtler frohlocken
und sich mit passenden Abmahnschreiben bewaffnen, sollten sie von ungewollten Pornostars mandatiert werden.
Doch Obacht, die Betreiber solcher Seiten lieben es
verschleiert. Selten bekommt man einen Macher
vor Gericht oder einen klaren Verantwortlichen. Die
Impressumspflicht aus dem Telemediengesetz gilt
für deutsche Unternehmen. Youporn und Co. kön nen somit beinahe alles tun und lassen. Die Betreiber von Youporn sind bis heute unbekannt. Ein
gewisser Jeffrey Parker aus London wird als juristischer Vertreter genannt. Die eigentlichen Eigentümer jedoch bleiben weiterhin im Hintergrund
und sehen dem wilden Treiben von irgendwo zu.
Die Inhaberin der Domain ist die Midstream Media
International NV mit Unternehmenssitz in Curaçao,
was zu den niederländischen Antillen gehört.
Anspruchsdurchsetzung gegen Übersee lässt Rechtsanwaltsherzen höher schlagen. Einfach ist gewiss
anders! Die Hostserver sollen indes in den Vereinigten Staaten beheimatet sein. Intransparenz gehört hier leider zum Geschäftsmodell. Und last but
not least sollte man als Berater im Hinterkopf
haben, dass es auch um allerhand Werbung geht,
die mit dem Aufruf von Free-Porn-Seiten geht.
Pop-Ups sind Standard. Wettbewerbsrechtler werden hierbei an das Verbot von Exit-Pop-Ups erin nern (LG Düsseldorf, Urteil v. 26.3.2003, Az. 2a O
186/02) oder an geringe Erfolgsaussichten, wenn
es um das Verbieten von Gewinnzusagebannern
geht. Es ist ein Dschungel aus banaler Hinterhoferotik, Halblegalem, Undurchsichtigem und kommerzieller Gier. Das sollte man wissen, wenn man
sich Clip für Clip vorwärts klickt.
RA Patrick Ruppert, Köln
Letzte Warnung auf der Youporn-Startseite. Wer entert, ist drin, egal ob sechs- oder sechzigjährig.
Screenshot: Andrea Vollmer
Das Videoportal „Youtube“ stand einmal mehr Pate,
als die namensverwandte Seite „Youporn“ im Jahre
2006 online ging. Pornos für alle und für umsonst.
Die Inhalte liefern in erster Linie die Nutzer selbst.
Amateurfilmchen, mehr oder wenig schlampig abgedreht, geben darüber Auskunft, was in heimischen Schlafzimmern Kreatives passiert. Hinzu
gesellen sich Videoclips von kommerziellen Anbie tern, die sexhungrige Klicker anlocken und in Abos
bringen sollen.
So weit, so gut, könnte man meinen, oder: jedem
Tierchen sein Plaisierchen. Wäre es so leicht, könnte man das Kapitel „Free Porn“ gleich zuschlagen.
Tatsächlich aber taucht eine Reihe von Problemen
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Thema
Thema
Wenn Liebe zum Wahn wird
Unter Zwang
Stalking ist kein Kavaliersdelikt
Stalker sehen sich als Unschuldsengel
Der Begriff Stalking stammt aus dem Englischen,
kommt ursprünglich aus der Jagdsprache und
beschreibt eine Vielzahl von Handlungen: „heranpirschen“, „verfolgen“ oder „nachstellen“. Daher
wird in Deutschland der Begriff Nachstellung
benutzt. Im Jahr 2007 wurden in der polizeilichen Kriminalstatistik für Deutschland 11.401
Fälle mit dem Tatvorwurf der Nachstellung gemäß § 238 StGB, der am 31.3.2007 in Kraft trat,
erfasst. Die Statistik von 2009 erfasste 200.210
Fälle, rund 85 % der Täter waren dabei Männer,
die als Ex-Partner mit einer Art Tunnelblick
gegen das Objekt ihrer Begierde vorgingen.
Nicht nur Prominenten wird nachgestellt. Nach
einer Studie des Zentralinstituts für seelische
Gesundheit in Mannheim werden fast zwölf Prozent aller Menschen in Deutschland im Laufe ihres
Lebens mindestens einmal gestalkt, davon sind 80
Prozent Frauen. Jeden kann es treffen: Brief-/SMS/E-Mail-/Telefon-Terror, plötzliches Auftauchen im
Freundeskreis, vor der Haustür warten, beschatten,
auflauern, Einschüchterung und Belästigung, Zwang
und Nötigung oder sogar das Eindringen in den
Privatraum – all das kann Menschen passieren, die
von jemandem gestalkt werden.
Das Stalken führt bei den Opfern zu Ängsten, nirgendwo fühlt sich der Betroffene sicher, so wie ein
Tier bei einer Hetzjagd. Die physischen und psychischen Auswirkungen sind für Opfer häufig erheblich und führen oft zu schweren Traumata. Um
Aussagen über den Verlauf, die Gefährlichkeit und
mögliche Interventionsstrategien zu treffen, haben
Forscher eine Typologisierung durchgeführt und
unterscheiden jetzt fünf verschiedene StalkingTypen: Der zurückgewiesen Stalker (der/die Ex), der
intimitätssuchende Stalker (Beziehungssuchender),
der inkompetente Verehrer (Sexinteressierter), der
ärgergetriebene Stalker (Rechthaber) und den Jagdstalker, der einen sexuellen Übergriff heimlich plant
und plötzlich zuschlägt. Stalking entwickelt Suchtcharakter. Das gesamte Denken und Fühlen kreist
zwanghaft nur um die eine Person und auch die
Täter leiden: 60 % der Stalker sind depressiv, die
Hälfte leidet unter Schlafstörungen, 41 % unter
Nervosität und 38 % unter Angst, ergab eine Studie
der TU Darmstadt.
Die einfache Nachstellung wird gemäß § 238 Abs.
4 StGB nur auf Antrag verfolgt. In schwereren
Fällen gelten aufgrund des gleichzeitig geänderten
§ 112 a Abs. 1, Satz 1 StPO geringere Anforderungen an die Untersuchungshaft.
Mail-, SMS-, Telefonterror oder ständige Verfolgung führt bei Stalking-Opfern zu Ängsten und dem Gefühl, das Tier bei einer Hetzjagd zu sein.
RA Volker Loeschner, Berlin
Foto: Martin Schemm_pixelio.de
Rechtsanwalt Marek Schauer studierte in Potsdam
und an der FU Berlin und sieht seinen Arbeitsschwerpunkt im Bereich Straf- und Sozialrecht.
Er ist Mitglied des FORUMs Junge Anwaltschaft
Berlin und vertritt regelmäßig Stalking-Täter vor
Gericht. In seiner beruflichen Praxis ist ihm noch
kein Stalker begegnet, der tatsächlich eine Therapie
begonnen hat.
A: Die Notwendigkeit des neuen § 238 StGB
wurde kontrovers diskutiert, da man der Ansicht war, die bestehenden Gesetze würden ausreichende Möglichkeiten zur Strafverfolgung
bieten. Läuft die Stalkingnorm im Strafrecht ins
Leere?
S: Ins Leere greift die Norm nur aus tatsächlichen
Gründen: Die Täter sind mit der strafrechtlich aufgemachten Kalkulation – „Lass es, oder es gibt eine
Sanktion!“ – schwer zu erreichen, da sie unter
einem psychologisch motivierten Zwang stehen.
Daneben sind die Anforderungen der Norm mit
„beharrlich“ (in Bezug auf das Verhalten des Täters)
und „schwerwiegende Beeinträchtigung der Lebensgestaltung“ (in Bezug auf das Verhalten des
Opfers) sehr hoch angesetzt.
A: Welchen Tatvorwürfen sind die Täter ausgesetzt? Nötigung und Körperverletzung in
Tateinheit mit § 238 StGB?
S: Stalking-Beschuldigten wird in der Regel nicht
vorgeworfen, körperliche Gewalt ausgeübt zu haben.
In einigen Fällen kommt Tateinheit mit Beleidigung
hinzu: Statt physischer Gewalt wird hier mit verbaler Gewalt gearbeitet. Falls die Täter physische
Gewalt ausüben oder diese androhen, zeigen die
Opfer gegenüber der Polizei dieses auch an, ohne
den Sachverhalt des Stalkings gesondert anzuzei gen. Die Vorgehensweise der Behörden entspricht
meist der Anzeige.
A: Hat Cyber-Stalking oder Cyber-Mobbing an
Bedeutung zugenommen?
S: Ja, da immer mehr Menschen das Internet als
zweiten Lebensraum nutzen und somit ihre
Probleme auch dorthin tragen und versuchen, sie
dort zu lösen. Das Internet bietet hier mutmaßlich
eine Anonymität, so dass sich der Täter sicher fühlt.
Das beobachte ich in der Praxis sehr oft.
A: Was raten Sie einer Mandantin, die Opfer ist,
als Erstes zu tun?
S: Ich rate ihr vor allem, sich nicht auf die strafrechtliche Verfolgung des Täters zu verlassen – aus
eigener Erfahrung und gelungenen Verteidigungs-
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strategien, die ich auch meinen Kollegen unterstelle.
Vielmehr rate ich ihr, sich auf das Gewaltschutzgesetz zu berufen und damit gegen den Täter vorzugehen. Hier greift die sogenante Bannmeile, die
nach §§ 935 ff ZPO und speziell nach § 1 GewSchG
zu beantragen ist.
Das Opfer muss glaubhaft machen, dass eine
Person vorsätzlich seinen Körper, seine Gesundheit
oder seine Freiheit widerrechtlich verletzt hat. In
solch einer Situation kann das Gericht anordnen,
dass sich der Täter von der Wohnung oder Orten,
wo sich das Opfer aufhält, fernhalten muss. Sach lich zuständig sind für das Gewaltschutzgesetz die
Familiengerichte. Dem Antragssteller obliegt bei
möglicher örtlicher Zuständigkeit mehrerer Familiengerichte nach § 211 FamFG ein Wahlrecht. So
kann es sinnvoll sein, das Familiengericht zu wählen, das am Ort der Tat liegt oder auch am Aufenthaltsort des Täters.
Der Beschluss des Gerichts erfolgt zügig, meistens
binnen einiger Tage oder weniger Wochen, je nach
Komplexität des Falles. Ordnungsgeld oder Ordnungshaft werden erst dann verhängt, wenn der
Stalker sich nicht an die Bannmeile hält oder das
Ordnungsgeld nicht zahlt oder ein solches nicht
mehr sachgerecht ist.
A: Wie nehmen Sie die Täter wahr? Haben diese
ein Schuldbewusstsein und wären offen für eine
Therapie?
S: Ein Täter sieht in sich selbst einen „Unschuldsengel“, gleichgültig wie drückend die Beweislage ist.
In meiner Praxis konnte ich noch nicht beobachten,
dass ein Täter auch eine Therapie begonnen hat.
A: Gelangt das Problem Stalking erst langsam
ins Bewusstsein der Behörden? Welches Verhalten beobachten Sie bei den ermittelnden Behörden?
S: Die Behörden nehmen in immer mehr Fällen von
Stalking die Ermittlungen auf. Daraus resultiert
aber auch gleich das nächste Problem: Das Lesen
von 200 SMS zzgl. Mails usw. bindet selbstverständlich erhebliche Ermittlungsressourcen. Zudem
haben diese Nachrichten überwiegend strafrechtlich irrelevanten Inhalt und sind privater Natur. Ein
Verhalten wird strafrechtlich manchmal erst ab
einer gewissen Quantität relevant. Gleichzeitig
müssen die überlasteten Ermittelungsbehörden
sich mit dieser sehr quälenden Masse der Kommunikation auseinandersetzen. Das klappt nicht
vernünftig.
> Stalking-Opfer-Webseiten
www.deutsche-stalkingopferhilfe.de
www.no-stalking.de
www.frauen-gegen-gewalt.de
www.weisser-ring.de
www.polizei-beratung.de
> Stalking-Täter-Webseiten
Auch für Stalking-Täter werden Hilfen
angeboten, sofern Einsicht besteht:
www.stop-stalking-berlin.de
www.selbsthilfenetz.de
www.psychotherapiesuche.de
www.beratung-therapie.de
A: Wann werden die ermittelnden Behörden
tätig, bei zum Beispiel 100 SMS am Tag?
S: Es gibt keine bestimmte Anzahl an SMS oder
Mails, die den Tatbestand des Stalkings erfüllen.
Voraussetzung ist, ob die Selbstbestimmung des
Opfers „Ich will nicht mehr belästigt werden“ offen
und klar geäußert wurde. Dieses Statement kann das
Opfer schon nach zwei oder zehn SMS abgegeben
haben. Auch eine Art Prognose ist zu berücksichtigen: Kann dem bisherigen Verhalten des Täters
entnommen werden, dass das Stalking nicht aufhören wird? Dagegen fällt die Inhaltskontrolle in den
Rahmen der Beleidigungsdelikte. Außerdem ist das
Vorliegen von schwerwiegenden Lebensbeeinträchtigungen erforderlich. Hier ist der BGH streng und
die Norm entsprechend lasch. Ein Rufnummernwechsel wird nicht als schwerwiegend angesehen.
Im Gegensatz dazu ist die Notwendigkeit einer
Psychotherapie für das Opfer durchaus als schwerwiegend einzustufen. Zynisch ist das schon, denn
die Stalking-Opfer müssen nach dem BGH eine ganze
Menge aushalten, bis es zu einer Bestrafung kommt.
A: Was macht die Vertretung eines StalkingTäters so schwierig? Unter welchen Umständen
würden Sie das Mandat beenden?
S: Schwierig ist ein Täter, wenn er auf seinen Rechtsbeistand nicht mehr hört und diesen nur benutzt, um
die Ermittlungsbehörden „wegzuzaubern“, damit er
weiter stalken kann. Schon beim ersten Anzeichen
lege ich in solchen Fällen das Mandat sofort nieder.
Das Gespräch führte
RA Volker Loeschner, Berlin
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Thema
Thema
Wenn Robenträger Porno lesen
Meisterstück erotischer Literatur oder indexverdächtiger Porno?
„Josefine Mutzenbacher“, BVerfGE 83, 130-155,
ist eine der grundlegenden Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts. Der Pornoroman eines
unbekannten Autors, der 1906 unter dem Titel
„Josefine Mutzenbacher: Die Lebensgeschichte
einer wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt“
erstmals erschien und der inzwischen als Meisterstück der erotischen Literatur gilt, beschäftigte 84 Jahre später sogar Deutschlands ranghöchste Robenträger in Karlsruhe.
Rechtlich interessant: Die zahlreichen Nachdrucke
und Fortschreibungen wurden urheberrechtlich nie
verfolgt. Zu der Entscheidung „Josefine Mutzenbacher“ kam es, weil die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften das Werk in die Liste der
jugendgefährdenden Schriften aufgenommen hatte.
Dagegen klagte der Rowohlt Verlag, der das Buch,
versehen mit einem Glossar zur „Wiener Dirnensprache“, neu verlegt hatte und nun nicht mehr
vertreiben konnte.
Zahlreiche Richter, Verwaltungsjuristen, Anwälte
und Justiziare haben in diesem Verfahren das
Buch jedenfalls aus juristischer Perspektive gelesen. Sie mussten beurteilen, ob die Schilderungen Kunst sind und damit grundgesetzlich
geschützt, oder ob es sich um jugendgefährdende Inhalte handelt, die zu indizieren sind. Wie so
oft, gingen hierbei die Meinungen weit auseinander.
Das Bundesverwaltungsgericht hatte die Indizierung als rechtmäßig bestätigt, das Bundesverfassungsgericht entschied jedoch, dass es an einer
Abwägung mit dem Grundrecht der Kunstfreiheit
des Artikels 5 GG fehle und hob alle vorhergehenden Entscheidungen auf. Die Bundesprüfstelle
ließ jedoch nicht locker, stellte in einem neuen
Verfahren die höchstrichterlich geforderte Abwägung an, kam erneut zu dem Ergebnis, dass die
Inhalte jugendgefährdend sind und setzte das
Buch erneut auf die Liste der jugendgefährdenden
Schriften. Die Parteien klagten wiederum durch
mehrere Instanzen. Das VG Köln hob die Indizierung auf, doch das OVG Münster entschied wieder
zugunsten der Bundesprüfstelle. In dem abschließenden Urteil des OVG Münster heißt es:
„Gegen die Einschätzung und Gewichtung der
jugendgefährdenden Wirkung des Romans ist
nichts zu erinnern. [...] sexueller Kindesmissbrauch
wird ausführlich und in einer für pornografische
Erzeugnisse üblichen aufreizenden Weise geschildert und [...] einschränkungs- und kritiklos verharmlost und verherrlicht. [...] Die Hauptfigur der
Josefine Mutzenbacher agiert dabei im Alter
zwischen 7 und 13 Jahren. [...] Hinweise, die dem
jugendlichen Leser signalisieren könnten, dass
diese Aussagen problematisch und kritisch zu betrachten sein könnten, finden sich an keiner Stelle.
Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften hat das Buch auf seinen Index gesetzt. Dagegen hatte der Rowohlt-Verlag geklagt.
Folgerichtig fehlt etwa jede Andeutung, dass eines
der Kinder Schaden erlitten hätte. Die erwachsenen
Sexualpartner – bei Licht betrachtet handelt es sich
um Kinderschänder – finden zudem ihre Rechtfertigung, nämlich als Opfer triebhafter, genusssüchtiger Kinder [...]. Die Klage wird abgewiesen,
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in
beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.” Die Revision gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes wurde von Bundesverwaltungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit war der Streit beendet. Weitere Rechtsmittel
gab es nun nicht mehr.
In die Rechtsgeschichte ist der Fall durch die Abwägung zur grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit
eingegangen. Kunst und Pornografie können nach
Ansicht der Bundesverfassungsrichter Hand in Hand
gehen. Das hatten die Richter am höchsten Verwaltgunsgericht noch anders gesehen. Das Bundesverfassungsgericht hatte ausgeführt:
„... 1. a) Die indizierte Schrift fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Dabei mag es
zweifelhaft sein, ob dies schon deshalb zu bejahen
ist, weil sich das Werk als Roman bezeichnet und
das Ergebnis einer anerkannten künstlerischen
Tätigkeit – der eines Schriftstellers – darstellt.
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b) Dass der Roman möglicherweise zugleich als
Pornographie anzusehen ist, nimmt ihm nicht die
Kunsteigenschaft. Die insoweit in BVerfGE 30, 336
(350) anklingenden und in der angegriffenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (S. 14
des Urteilsabdrucks) aufgenommenen Zweifel greifen nicht durch. Kunst und Pornografie schließen
sich – wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zu Henry Millers Opus Pistorum zutreffend
erkannt hat (BGH, NJW 1990, S. 3026 [3027]) –
nicht aus. Die Kunsteigenschaft beurteilt sich vielmehr nach den in BVerfGE 67, 213 (226 f.) aufgeführten Kriterien. Ihre Anerkennung darf nicht
von einer staatlichen Stil-, Niveau- und Inhaltskontrolle oder von einer Beurteilung der Wirkungen des Kunstwerks abhängig gemacht werden
(vgl. BVerfGE 75, 369 [377]; 81, 278 [291]). Solche
Gesichtspunkte können allenfalls bei der Prüfung
der Frage eine Rolle spielen, ob die Kunstfreiheit
konkurrierenden Rechtsgütern von Verfassungsrang zu weichen hat.“
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die vorherigen Entscheidungen damit aufgehoben, erlaubt
war das Buch damit aber noch lange nicht. Die
Verfassungsrichter mussten sich, ob sie sollten
oder nicht, die Erlebnisse von Josefine Mutzenbacher zu Gemüte führen, verwenden in ihrem
Urteil auch das Wort Pornografie, doch die Entscheidung, ob Kunst oder nicht bzw. Pornografie
oder nicht, haben sie nicht gefällt. Damit ging der
Streit in die zweite Runde.
RA Tobias Sommer, Berlin
Foto: Tobias Sommer
}
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Das Werk weist aber die der Kunst eigenen Strukturmerkmale auf: Es ist Ergebnis freier schöpferischer Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen
und Fantasien des Autors in der literarischen Form
des Romans zum Ausdruck kommen (vgl. BVerfGE
30, 173 [188 f.]; 67, 213 [226]). Elemente schöpferischer Gestaltung können in der milieubezogenen
Schilderung sowie in der Verwendung der wienerischen Vulgärsprache als Stilmittel gesehen werden.
Der Roman lässt außerdem eine Reihe von Interpretationen zu, die auf eine künstlerische Absicht
schließen lassen. So könnte er etwa als eine Persiflage auf den Entwicklungsroman aufgefasst werden.
Ferner ließe sich die Titelheldin als Verkörperung
männlicher Sexualphantasien deuten, die als Reaktion auf eine Erziehung gesehen werden, deren Ziel
die Unterdrückung des Geschlechtlichen war. Auch
parodistische Elemente sind vielfach erkennbar.
»Elemente schöpferischer Gestaltung
können in der milieubezogenen
Schilderung sowie in der Verwendung der
wienerischen Vulgärsprache als
Stilmittel gesehen werden.«
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Die schauen die Mitarbeiter durch, legen sie vorsortiert auf die Schreibtische der Anwälte. Und
abends, wenn er mal fernsieht, „dann ist es häufig
so, dass wir schon ahnen, welches Mandat uns am
nächsten Morgen erreicht“, erzählt Bergmann.
Hinterm bunten Blätterwald
Simon Bergmann vertritt fast ausschließlich Sportler und Prominente
Der wollte übrigens eigentlich eine künstlerische
Laufbahn einschlagen; Kunst, Architektur – das
war sein Plan. Doch der Vater, kein Unbekannter in
der Kunstszene, riet ihm ab. „Lass das. Die gibt’s wie
Sand am Meer. Mach doch lieber Jura“, waren die
Worte des Vaters, auf die er gehört hat. „Man hat
ja immer so Phasen. Da hatte ich zum Glück grade
eine, in der ich den Rat meines Vaters schätzte, auf
ihn hörte“, erinnert er sich und macht mit der
Entscheidung, die er damals getroffen hat, keinen
unzufriedenen Eindruck. Doch so war das nicht
immer: Bis zum ersten Staatsexamen habe er immer
wieder mit seinem Entschluss gehadert. Dann das
bestandene Examen, das war ein richtiges Erfolgserlebnis.
»Hinten angestellt hat er sich nicht. Er
hat sich was getraut.«
„Jetzt mach was draus!“, dachte er und entschied
sich für Urheberrecht, Medienrecht und Sportrecht.
Diese Rechtsgebiete scheinen seine Interessen vernünftig zu verknüpfen. Und irgendwie liegen für
ihn Künstler und Anwalt dann doch gar nicht so
weit auseinander: „Eine gewisse Selbstdarstellung
brauchen beide. Sich immer bescheiden hinten
anzustellen, macht auch keinen Sinn.“
In der Kanzlei Schertz Bergmann am Berliner Ku’damm geben sich Prominente aller Couleur die Klinke in die Hand.
Nein, einen Fachanwalt habe er bewusst nicht
gemacht, er wollte nicht auf Eines fixiert sein.
Rechtsanwalt Simon Bergmann, Partner der
Kanzlei Schertz Bergmann in Berlin, versteht
sich nicht als reinen Medien- und Urheberrechtler. Im Gewerblichen Rechtsschutz, Arbeitsrecht und Sportrecht ist er ebenso zu Hause.
Und das schätzen seine Mandanten.
»Wenn es in der Zeitung heißt,
Herr Lauterbach habe seine Frau
schon in der Hochzeitsnacht betrogen –
ja, dann müssen Sie mit dem
darüber sprechen.«
„Das ist ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal unserer Kanzlei. Schauspieler sind Arbeitnehmer. Das
ergänzt sich gut“, weiß Bergmann. Und er weiß
auch: „Man muss auch seine Grenzen kennen.“ So
gibt er zum Beispiel Strafsachen in die Hände eines
sachverständigen Kollegen.
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„Da muss man aber wissen, dass der andere Anwalt
auch gut ist“, fügt er hinzu, denn eine schlechte
Empfehlung könne genauso gut den Mandanten
kosten. Türöffner sei oft das Presserecht. „Da kann
man in relativ kurzer Zeit viel für den Mandanten
durchsetzen, und der kommt dann oft auch mit
anderen Fällen.“
Der Erfolg gibt ihm recht. In der Kanzlei in bester
Lage am Berliner Ku’damm geben sich Promis die
Klinke in die Hand. Mit Namen ist Bergmann zurückhaltend. Doch ein paar sind auf Grund der
öffentlichen Berichterstattung bekannt: Gottschalk,
Grönemeyer, di Lorenzo oder Lauterbach. Ein wenig
ehrfürchtig wäre ich schon, wenn einer der vier mir
gegenüber sitzen würde. So ganz richtig sei das
aber nicht, so die Empfehlung des Experten in
Sachen Prominenz. Vor Ehrfurcht zu erstarren sei
ganz und gar falsch. „Wenn es in der Zeitung heißt,
Herr Lauterbach habe seine Frau schon in der
Hochzeitsnacht betrogen – ja, dann müssen Sie mit
dem darüber sprechen.“
Foto: Andrea Vollmer
Eine gewisse Natürlichkeit und der gute Draht zum
Mandanten gehöre da dazu. Das Interesse am Mandanten, seinem Leben und schließlich seinen Problemen sei ganz wichtig. Oft ginge es „nur“ darum,
einfach mal darüber zu reden. Da müsse nicht immer ein großes juristisches Problem dahinter stehen.
„Meine Mandanten wissen, dass nicht immer gleich
die Gebührenuhr tickt“, sagt Bergmann.
»Und abends, wenn er mal fernsieht,
„dann ist es häufig so, dass wir schon
ahnen, welches Mandat uns am
nächsten Morgen erreicht.“«
Wie wichtig das Interesse am Leben des Mandanten ist, zeigt ein Blick ins Bücherregal. Kommentare,
dicke Standardwerke – ganz klar. Und daneben: ein
bunter Blätterwald. Illustrierte, Magazine, eben
alles, worin etwas über die Mandanten der Kanzlei
stehen könnte, das sind dann so an die 150 Zeitungen pro Woche.
Bergmann denkt und berichtet über den Weg, der
ihn dorthin geführt hat, wo er heute ist. Nein, hinten angestellt hat er sich nicht. Er hat sich was
getraut, den Bogen dabei aber nicht überspannt.
So führte ihn dieser Weg nach dem zweiten Staatsexamen ein halbes Jahr nach Paris und von dort
ins Justiziariat der Deutschen Welle. „Ich wollte
diese Verknüpfung Medien und Sport“, und genau
die hatte er dort. Die weltweiten Senderechte für
40 Sekunden Boris Becker in Wimbledon zu bekommen – bezahlbar(!) zu bekommen. Nein, Scheu
darf man da wirklich nicht haben als junger Berufseinsteiger.
»Medien und Sport,
das gehört zusammen.«
„Medien und Sport, das gehört zusammen.“
Bergmann lebt diese Einstellung. Er bewarb sich bei
den wenigen Kanzleien, die Sportrecht im Repertoire hatten, bekam aber eine Absage nach der
anderen, da niemand der angesprochenen Kollegen
Bedarf an einem weiteren Rechtsanwalt hatte. Als
endlich ein Angebot kam, lehnte er wiederum ab.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) suchte einen Juristen. „Das war aber Frankfurt“, erinnert
sich der gebürtige Berliner. Er wollte einfach nicht
weg. Und dann bekam er es doch noch, DAS Berliner
Angebot. Ein Eishockey-Verein suchte einen Justiziar mit Aussicht auf den Geschäftsführerposten.
Falsche Bescheidenheit wäre hier fehl am Platz
gewesen. „Ich wusste, es wird schwierig, aber es
bringt mich weiter.“ Eine richtige „Initialzündung“
sei das gewesen und „eine extrem fruchtbare Zeit“,
schließlich sitzen auf der Tribüne die VIPs.
In der Zeit habe er die Scheu im Umgang mit Prominenten verloren, nicht den Respekt. Claudia
Pechstein hat er dort kennengelernt, einer seiner
späteren Mandantinnen. Sie fragte, ob sie mal zum
Eishockey kommen dürfe. Klar durfte sie. Am Buffet
kamen sie ins Gespräch. Die Chemie stimmte. Anderthalb Jahre später war ihm dann das Risiko als
Geschäftsführer des Klubs doch zu groß. „Ich hatte
schon unruhige Nächte. Keine Halle, die Finanzen –
der Verantwortungsdruck ist nicht ohne.“ Bergmann ging zur Hertin Anwaltssozietät in Berlin,
nicht aber, ohne Claudia Pechstein seine Visitenkarte zu geben.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis das erst juristische Problem kam. Es ging um Werbeflächen auf
Pechsteins Rennanzug. Die wollte allein der Verband vermarkten. Claudia Pechstein erinnerte sich
an Bergmann und der sich an das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Schließlich gehört Claudia Pechsteins Körper Claudia Pechstein, und über den kann
nicht einfach der Verband bestimmen. Es gab einen
Vergleich und das wohl einzige Bündnis zwischen
den ewigen Rivalinnen Claudia Pechstein und Anni
Friesinger – gemeinsam gegen den Verband mit
einer guten Einigung.
»Schließlich gehört Claudia Pechsteins
Körper Claudia Pechstein.«
2005 schließlich wagte Simon Bergmann den Weg
in die Selbständigkeit. Gemeinsam mit Dr. Christian
Schertz, mit dem er zusammen studierte, gründete
er die eigene Kanzlei Schertz Bergmann und weiß:
„Das war eine gute Entscheidung.“ Dass sein Kollege derjenige ist, der in der Öffentlichkeit steht,
selbst schon mal auf einer Titelseite zu sehen ist,
das ist ihm ganz recht. Er sei eher der zweite Mann,
der ruhig im Hintergrund agiert. Wenn beide in der
Öffentlichkeit stehen wollten, würde das nicht
klappen. Man ergänze sich gut in den rechtlichen
Kompetenzen. „Wir sitzen oft , so wie wir jetzt hier
sitzen, und reden über die Fälle“, schätzt Bergmann
die kurzen Wege der kleinen Kanzlei. Klein sieht er
dabei als Vorteil: „Hier hat der Mandant nicht -zig
Ansprechpartner. Es ist überschaubarer, und vor
allem ist eine persönliche Bindung möglich. ‚Man
dat annehmen, abrechnen und tschüss’ funktioniert nicht.“ Davon ist er überzeugt.
RAin Anke Schiller-Mönch, Weimar
Promis vor dem Kadi
Kurz vor Andruck dieser AdVoice-Ausgabe
fiel es, das Urteil im Prozess des populären
Wettermoderators. Der Angeklagte Jörg
Kachelmann durfte letztlich als freier Mann
das Gerichtsgebäude verlassen. Es war nicht
nur ein heftiger juristischer Schlagabtausch
zwischen den Organen der Rechtspflege. Es
war vor allen Dingen eine Medienschlacht
um Meinungsmache und Meinungslenkung.
So war es wenig verwunderlich, dass Anklage und Verteidigung die Massenmedien
gezielt mit Informationen versorgten, in der
Hoffnung, mit einem großen Medieninteresse der Wahrheit in öffentlicher Art und
Weise auf die Spur zu kommen.
Wenn Personen der Zeitgeschichte derart
betroffen sind, schlägt die Stunde der „Promiund „Medienanwälte“. Rechtsanwalt Ralf
Höcker (40) aus Köln, der unter anderem das
Topmodel Heidi Klum betreut, gehört zum
Expertenteam um Kachelmann. Er war und
ist verantwortlich für den medienrechtlichen
Informationsfluss, versorgt Pressevertreter
und droht im Zweifel mit einstweiliger Ver fügung, wenn durch die Berichterstattung
das Image seines berühmten Mandanten
beschädigt werden könnte. Hierbei geht es
um den Schutz der Privatsphäre, die Prominente ohnehin nur sehr eingeschränkt
genießen können. Aufgrund eines erheblichen Öffentlichkeitsinteresses, gerade wenn
Stars oder Sternchen vor dem Kadi stehen,
erscheint es nur als fair, wenn Medienanwälte wie Höcker zusätzlich an der Seite der
bekannten Angeklagten stehen.
RA Patrick Ruppert, Köln
§
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A: Warum soll in der Gastronomie nicht mehr
geraucht werden?
S: Wegen der großen Gesundheitsgefahr, die vom
Passivrauchen ausgeht. In Deutschland sterben jährlich über 3.300 Menschen an den Folgen des Passivrauchens.
Pro Nichtraucherschutz
Ärzte fordern absolutes Rauchverbot
2006/2007 begann der Versuch, die Bevölkerung
in Deutschland mit Gesetzesnovellen vor dem
Rauchen zu schützen. Nur Verbote alleine genügen allerdings nicht, denn ohne Kontrollen
verpufft die abschreckende Wirkung von Bußgeldern. Fehlt es an einem Konsens über den
Nichtraucherschutz? Interessiert das Rauchverbot keinen? Rauchen ist laut Weltgesundheitsorganisation die wichtigste vermeidbare Einzelursache von Krankheit und Tod. In Folge des
Rauchens sterben in Deutschland jährlich ca.
140.000 Menschen.
Johannes Spatz, 68, Arzt und ehemaliger Gesundheitsstadtrat, ist Berlins bekanntester Kämpfer für
den Nichtraucherschutz. Für ihn sind die Ausnahmen des Rauchverbots im Nichtraucherschutzgesetz
die Regel. Er hält das Gesetz nur für ein Alibi, von
dem kein ernstzunehmender Gesundheitsschutz
ausgeht. Er will Zigaretten endgültig aus Berlins Gas-
Johannes Spatz fordert das absolute Rauchverbot auch für Berlin.
tronomie verbannen: Die Volksinitiative „Frische Luft
für Berlin“, deren Sprecher Spatz ist, setzt sich für
einen konsequenten Nichtraucherschutz in der Gastronomie ein, von dem nicht nur Gäste, sondern vor
allem auch Angestellte profitieren. Darüber hinaus
fordert sie eine Verbesserung des Nichtraucherschutzes in Gesundheitseinrichtungen und ein
Rauchverbot auf Kinderspielplätzen. Kurz nach der
Einführung des sogenannten Nichtraucherschutzgesetzes Berlin vom 14. Mai 2009 war Johannes
Spatz in Berlins Kneipen unterwegs: Von 27 Gaststätten in der Simon-Dach-Straße im Szene-Bezirk
Friedrichshain hielten sich zwölf nicht an die Vorschriften. Er stellte die Vergehen in einer Liste zusammen und meldete diese dem Bezirk. Den Lokalbetreibern drohten Geldstrafen zwischen 200 und
1000 Euro. Insgesamt wurden 98 Gaststätten, 27
Internetcafés und 44 Spielhallen besucht. In mehr
als der Hälfte der Lokalitäten wurde geraucht. Dabei hielten sich auch Kinder/Jugendliche dort auf.
Foto: Andrea Vollmer
Regina Kneiding, Sprecherin der Senatsverwaltung,
merkt zu diesem Ergebnis an: „Generell gab es noch
nie so viel Nichtraucherschutz wie jetzt in Berlin.“
An den Wochenenden seien Mitarbeiter des Ordnungsschutzes seit Frühjahr 2010 nicht mehr nur
bis 22 Uhr, sondern bis 24 Uhr unterwegs, um
Gaststätten zu kontrollieren. In der Zeit danach
kann auch die Polizei Kontrollen vornehmen. 3.325
Kontrollen wurden 2010 durchgeführt, wie aus der
Beantwortung einer kleinen Anfrage von November 2010 im Abgeordnetenhaus hervorgeht. Davon
wurde mit 1.540 fast die Hälfte in FriedrichshainKreuzberg durchgeführt, einem von insgesamt zwölf
Berliner Bezirken. Die eingenommenen Bußgelder
Berlins stiegen jedenfalls von 2008 bis 2010 von
rund 28.500 Euro (Juli bis Dezember 2008) auf
zuletzt fast 123.000 Euro (Januar bis November
2010) an. Rein rechnerisch ergibt sich somit ein
Bußgeld in Höhe von 36,99 Euro je Kontrolle.
Johannes Spatz fordert das absolute Rauchverbot,
wie es in Bayern besteht und jetzt im Saarland
durch den Verfassungsgerichtshof Saarbrücken –
Urteil vom 28.3.2011, Az. Lv 3/10, Lv 4/10 und Lv
6/10) – bestätigt wurde, auch für Berlin. Ziel ist ein
Nichtraucherschutzgesetz ohne Ausnahmen für die
Gastronomie – egal ob es sich um Bars, Cafés oder
Restaurants handelt. Am 14. April 2011 wurden dazu
27.000 Unterschriften zusammen mit dem Antrag
auf Behandlung der Volksinitiative „Frische Luft für
Berlin“ dem Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses übergeben. Die AdVoice sprach mit Johannes Spatz über Hoffnungen und Erwartungen.
A: Welche politischen Aktivitäten erhoffen Sie
sich von dieser Aktion?
S: Optimal würde es laufen, wenn ein interfraktioneller Antrag von allen Parteien befürwortet
würde, in dem eine rauchfreie Gastronomie ohne
Ausnahme, eine Verschärfung des Nichtraucherschutzes in Krankenhäusern und ein Rauchverbot
auf Kinderspielplätzen stehen würden.
A: Kann ein absolutes Rauchverbot eher akzeptiert werden als eine Regelung mit zahlreichen
Ausnahmen?
S: Die Ausnahmen führen dazu, dass in der Mehrzahl von Gaststätten, Bars und Diskotheken so wie
in Internetcafés und Spielhallen geraucht wird.
Verschärfend kommt hinzu, dass die vielen Ausnahmen das Gesetz unkontrollierbar machen. Auch
haben wir den Eindruck, dass das Nichtraucherschutzgesetz nach 22 Uhr nahezu vollkommen
außer Kraft gesetzt ist.
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Juristische Gemengelage
wichtiger Grundrechte
„Das durch Art. 2 II 2 Grundgesetz (GG) gesicherte Interesse am Gesundheitsschutz kann
in Konflikt treten mit der von Art. 2 I GG
geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit
der Raucher und den nach Maßgabe des Art.
12 I GG geschützten Interessen der Tabak industrie sowie der Gastwirte. Zwischen diesen
muss und kann ein verhältnismäßiger Aus gleich gefunden werden. [Quelle: Rossi, Matthias/Lenski, Sophie-Charlotte: Föderale Regelungsbefugnisse für öffentliche Rauchverbote,
in: Neue Juristische Wochenschrift 37/2006, S.
2657-2661, 2661]
A: Wie sollen denn die Bezirke die Überwachung
rauchfreier Zonen auf Spielplätzen sicherstellen?
S: Zunächst müsste in dem neuen Nichtraucherschutzgesetz ein klares Rauchverbot auf Kinderspielplätzen verankert werden. Der nächste Schritt
wäre, diese Regelung auf den Spielplätzen auszuschildern. Erst an letzter Stelle steht eine gelegentliche Kontrolle durch das Ordnungsamt.
A: Wo sollte man rauchen dürfen?
Dort wo eine andere Person nicht mitrauchen muss.
FCTC-Tabakrahmenübereinkommen
A: Wer sollte Zigaretten vertreiben dürfen?
S: Tabak enthält mehr als 70 Substanzen, die Krebs
erzeugen können. Die Liste der Krankheiten, die vom
Rauchen verursacht bzw. verstärkt werden, ist endlos.
Auch das Suchtpotential von Nikotin ist sehr hoch
und mit dem des Heroins gleichzusetzen. Daher wäre
es gut, Tabakprodukte in Apotheken zu verkaufen.
A: Welche Sanktionen halten Sie für angemessen, um den Nichtraucherschutz umzusetzen?
S: Auf jeden Fall sollte man die bisherige Praxis
ändern, durchschnittlich nur 200 Euro zu verlangen,
wenn ein Wirt wegen des Rauchens in seiner Gast stätte belangt wird. Auch sollte jeder Bezirk in gleicher Weise vorgehen. Die Unterschiede der Praxis
in der Bußgeldvergabe sind nicht durch unterschiedliches Verhalten der Wirte, sondern durch das der
Kontrollbehörden zu erklären.
A: Nichtraucherschutz ist derzeit im Landesrecht zu regeln. Sehen Sie ein bundeseinheitliches Regelungsbedürfnis?
S: Natürlich sollten wir eine bundesweite Regelung
haben. Es kann nicht von der länderspezifischen Situation abgeleitet werden, warum wir verschiedene
Regelungen haben. Es wäre ein Leichtes, auf Bundesebene § 5 Abs. 2 Arbeitsstättenverordnung zu streichen, der das Rauchen in Gaststätten ermöglicht.
A: Warum gibt es im Gegensatz zu fast allen
europäischen Ländern in Deutschland so große
Defizite bei der Tabakkontrolle?*
S: Deutschland ist die Hochburg der Tabaklobby in
Europa. Hier wurde seit über 30 Jahren ein dichtes
Beziehungsgeflecht zwischen Tabakindustrie, Regierung und Politik entwickelt. Dabei spielten konzertierte Kampagnen eine große Rolle, in denen
Wissenschaftler und Ärzte die Interessen der Tabakindustrie vertreten und einzelne Politiker eingespannt werden.
Das Gespräch führte
RA Volker Loeschner, Berlin
Das Rahmenübereinkommen zur Eindämmung
des Tabakgebrauchs (Framework Convention
on Tobacco Control – FCTC) der Weltgesundheitsorganisation ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der bisher von über 160 Staaten ratifiziert
wurde. Deutschland erkannte den Vertrag mit
dem Gesetz zur Umsetzung des Rahmenübereinkommens vom 19. November 2004 an und
hat sich damit verpflichtet, das Rahmenübereinkommen umzusetzen. Ziel des Rahmenübereinkommens ist es, „heutige und zukünftige Generationen vor den verheerenden
gesundheitlichen, sozialen und die Umwelt
betreffenden Folgen des Tabakkonsums und
des Passivrauchens zu schützen.“ In den Leitlinien zu den einzelnen Artikeln des Übereinkommens gibt die Weltgesundheitsorganisation Empfehlungen zur Umsetzung des
Rahmenübereinkommens.
Artikel 8 des Tabakrahmenübereinkommens
der Weltgesundheitsorganisation
Schutz vor Passivrauchen
(1) Die Vertragsparteien erkennen an, dass
wissenschaftliche Untersuchungen eindeutig
bewiesen haben, dass Passivrauchen Tod,
Krankheit und Invalidität verursacht.
(2) Jede Vertragspartei beschließt in Bereichen
bestehender innerstaatlicher Zuständigkeit
nach innerstaatlichem Recht wirksame gesetzgeberische, vollziehende, administrative und/
oder sonstige Maßnahmen zum Schutz vor
Passivrauchen am Arbeitsplatz in geschlossenen Räumen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, an geschlossenen öffentlichen Orten und
gegebenenfalls an sonstigen öffentlichen Orten,
führt solche Maßnahmen durch und setzt
sich auf anderen Zuständigkeitsebenen aktiv
für die Annahme und Durchführung solcher
Maßnahmen ein.
Der Tabakkonsum Jugendlicher
und junger Erwachsener sinkt in 2010
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat im Februar 2011 die aktuellen Zahlen des Tabakkonsums Jugendlicher
und junger Erwachsener aus 2010 in Deutschland veröffentlicht. Die Zahl der rauchenden
Jugendlichen in Deutschland geht zurück. Nur
noch 13 % der Jugendlichen im Alter von 12
bis 17 Jahren greifen zur Zigarette, 1979 waren
es noch 30,2 %. Gegenüber dem letzten Höchstwert im Jahr 2001 hat sich der Anteil rauchender Jugendlicher innerhalb von neun Jahren
mehr als halbiert. Von den jungen Erwachsenen im Alter von 18 bis 25 Jahren rauchen
gegenwärtig 38,2 %. In allen Altersgruppen
gibt es mehr Raucher als Raucherinnen. Die
Raucherquote bei 22- bis 25-jährigen Männern
beträgt 42 %; dem stehen in der entsprechenden Altersgruppe 40,7 % Raucherinnen gegenüber. 2004 waren 44,8 % der Männer in
dieser Gruppe Raucher, bei den Frauen ergab
sich 2008 ein Wert von 43,8 %.
Diese positiven Veränderungen gehen einher
mit strukturellen und verhaltenspräventiven
Maßnahmen zur Förderung des Nichtrauchens, die in Deutschland in den letzten Jahren
verstärkt umgesetzt wurden. Strukturelle Maßnahmen zielen dabei auf eine Veränderung
der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
des Rauchens. Sie umfassen z. B. Tabaksteuererhöhungen, die Erschwerung des Zugangs zu
Zigarettenautomaten für Jugendliche, Einschränkungen der Werbung für Tabakprodukte, Rauchverbote in öffentlichen Räumen, darunter Gaststätten und insbesondere auch
Schulen sowie das Abgabeverbot von Tabakwaren an Jugendliche unter 18 Jahren.
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Pro Raucherschutz
„Rauch und Sprache“ – Auszug aus „Gebratene Störche“ von Toni Mahoni
Nicht mal die Italiener, diese so freien, selbstbestimmten Angeber, haben protestiert! Von heut auf
morgen: Espresso ohne Kippe! Kein Problem!
Ich steckte mir noch eine an. Rauche ich eben zwei
auf einmal. Könnse mir mal, die Herren da oben.
Ich stellte eine neue Pfanne auf den Herd. Speck
auslassen, zwei Eier drüber, Schrippe, Kaffee –
Frühstück. Man muss etwas unternehmen, dachte
ich mir. Was für eine Schande, wenn wir diesen
Nichtraucherquatsch auch einfach so sang- und
klanglos über uns ergehen lassen! Es muss doch
schon irgendwo eine Protestgemeinschaft geben!
Demonstrationen, Anschläge müssen vorbereitet
werden! Ich war stinksauer.
Ich musste handeln! Im Netz fand ich, wo auch
immer ich suchte, nur das Geseire von Nichtrauchern. Nichtraucherschutz hier, Suchtberatung da,
nix weiter. Keine freche Raucherseite, die allen mal
in den Hintern tritt. Nix. Nur Gesülze. Ich setzte
mich an den Küchentisch und entwarf ein Flugblatt. Darauf ein Herz, statt eines Pfeils durchbohrt
von einer brennenden Kippe. Ein Kreis drum herum
mit: I love Zigarette. Ab zum Kopierladen, 500 Kopien
ziehen. Ich kaufte noch Klebeband und fing sofort
an, durch die Cafés zu ziehen. Die meisten öffneten
gerade. Ich fragte gar nicht erst, ob ich was kleben
dürfe. In jeweils beiden Klos brachte ich die A4große Liebesbotschaft an. Eine sinnvolle Art, den
Tag zu nutzen. Früher hatte ich viel rumgehangen
und Kunst mit Sinnlosigkeit verwechselt, heute
verwechselte ich lieber Tatendrang damit.
Der Berliner Toni Mahoni ist nie ohne Zigarette und Kaffee anzutreffen und fordert, dass sich Nichtraucher doch ihre eigenen Kneipen bauen sollen.
Ich schnitt mir zarte Scheibchen ab und legte sie
in die warme Pfanne. Gerade wurde das Fett
glasig und begann, ausgelassen zu brutzeln, da
bimmelte das Telefon. Bimmel-Bimmel. Ach!
Sehnsüchtig sah ich noch ein paar Sekunden das
herrliche Schauspiel an, dann schlurfte ich zum
Apparat. »Mahoni hier, wat jibs?«, fragte ich nur
halb freundlich. »Dpa, Frau Sowiesomöller hier,
Deutsche Presse Agentur, hallo Herr Mahoni,
haben Sie zwei Minuten Zeit? Wir wollen von
Ihnen ein Statement zur Gesundheitsministerkonferenz, Thema Nichtraucherschutz. In deutschen Gaststätten herrscht mittlerweile ein
striktes Rauchverbot, außerhalb Berlins ist es
auch in Kneipen nicht mehr möglich zu rauchen,
was halten Sie davon?« (...)
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Ich sagte zu Frau Dingsmöller: »Nüscht halt ick
davon. Ick will roochn inna Kneipe und mir nich
irgendwelche Sauberlungen ankieken. Gaststätte is
mir ejal! Kneipe is schlimm! Wat denken denn diese
Hirnis, wozu ’ne Kneipe da is? Is doch keen Krankenhaus. ’ne Kneipe is zum Saufen, Rumsauen, zum
Fressen und zum Qualmen da! So sieht dit doch ma
aus!« Ein bisschen wütend wurde ich schon. Ich hatte
bisher extra alle Artikel zum Thema gemieden, weil
sich mein Blutdruck sofort verdoppelte, wenn ich die
empörten Gesichter irgendwelcher Weicheimuttis
gesehen hatte, die mir vorschreiben wollten, was ich
in einer Kneipe mache und was nicht.
»Nichtraucher sollen sich ihre eigenen Kneipen
bauen!«, sagte ich noch und: »Wenn Se dit wirklich
Foto: T. Mahoni
durchbekommen, dann jibtit richtee Ärger! Aba
richtee! Und zwar nich mit pipapo Nichtrauchermethoden, nich mit Anwalt Demokratiejelaber!
Denn jibtit ma ’n paar vorn Latz, jibtit dann, könnse
jerne schreiben!« Ich atmete durch. Die konnte ja
nichts dafür, die Frau Dingsmöller. Aber trotzdem.
Der Speck roch verbrannt. Sofort schmiss ich das
Telefon weg und machte mich verärgert daran, die
Pfanne zu schrubben. Erst mal eine rauchen.
Dass es mal so weit kommen würde! In der Kneipe
nicht rauchen. Als das in Irland losging, dachte ich
schon, da würde gleich ein Bürgerkrieg losbrechen,
aber nichts! Gar nichts! Die Iren saufen jetzt, ohne
zu rauchen, und alle sagen, sie finden es gar nicht
schlecht. Zum Heulen.
Jetzt wird zurückdiskriminiert. Ich verklebte alle
Zettel in Friedrichshain City, auch auf dem Klo vom
Nichtraucher-Biorestaurant. Wieder zu Hause, war
es bereits Nachmittag geworden, Peggy fragte mich
nach meinem Befinden. »Jut, jut! Ick war gerade in
allen Kneipen Friedrichshains. Raucherschutz betreiben.« Peggy raspelte eine Möhre. »Haste Rauchbomben geworfen?« Peggy war gleich wieder herrlich pragmatisch. »Nee, nur Zettel verklebt uff den
Klos.« Ich zeigte ihr mein Zigarettenherz. »Ach, Toni,
das ist doch albern! Was willst du denn damit
bewegen?« Peggy schüttelte ihr Haupt. »Nix will ick
bewegen. Ick mach mir Luft. Ick ärger die Nichtraucher!«, sagte ich und ärgerte mich über Peggy,
die Nichtraucherin. »Na ja, mir isses wurst.« Peggy
drückte eine Zitrone über den Möhrenraspeln aus
und kostete. »Mit meinem Vater sollteste dich zusammensetzen. Da könnt ihr schön über Nichtraucher
herziehn und euch dabei die Lungen teeren!« (...)
Am nächsten Morgen klingelte das Telefon Sturm
und zwang mich aus dem Bett. »Mahoni«, murmelte ich und sah mich als zerknittertes Wrack im
Spiegel. »Maschke hier! Herr Mahoni, ich gratuliere
Ihnen zu dem gelungenen Interview im Tagesspiegel! Erfrischende Ansichten geben Sie zum Besten!
Vielleicht ist es mal an der Zeit, dass Sie uns besuchen kommen! Sagen wir etwa heut am Abend.
Bringen Sie meine Tochter mit und dann können
wir uns beide einmal gepflegt unterhalten! Was
denken Sie?« »Ja«, sagte ich nur. »Gut, dann erwarte
ich euch gegen acht zum Abendbrot. Einen guten
Tag!« »Tschüs!« (...)
Ich verließ die Wohnung, um Besorgungen zu machen, und kaufte mir den Tagesspiegel. Berlinteil
Überschrift: »Mahoni: Kneipen sind zum Rumsauen
da!« Na super! Es war natürlich ein verdammter
Nichtraucherartikel und Mahoni war das dumme,
uneinsichtige Raucherschwein. Dennoch, meine
Meinung stand klar und deutlich in der Zeitung,
»Nichtraucher sollen sich ihre eigenen Kneipen
bauen!« Super Arbeit! Dass ein Haufen Kinder
raucht, dass ein Haufen Lungen schwarz ist und
dass die Regierung einen Haufen Kohle für Krebsbehandlungen ausgeben musste, stand ebenfalls
drin. Aber das war nichts Neues. Neu war die militante Sprache der Raucher. Jetzt qualmt’s! (...)
Hab jeroocht und hab jeredet
Wat ooch is, ick komm und seh dit
Schreib it uff und tret it breiter
Mach viel Qualm um jar nüscht weiter
»Nö, ick bleib beim Bier, danke!« »Gut. Die Frauen
mögen sich nicht verstoßen fühlen und sind jederzeit im Kabuff willkommen!«, rief er Peggy und ihrer
Mutter zu. Damit gingen wir durch den langen Flur,
der von oben bis unten mit Literatur vollgestopft
war, ins Rauchzimmer. Es war ein Traum von einem
Zimmer. Und es schien tatsächlich ausschließlich
dieser einen, wunderbaren Beschäftigung zu dienen:
Rauchen. Herzstück war natürlich der Rauchertisch, ein flaches, quadratisches Tischlein aus edlem
Holz, ein Schachbrett eingelassen und eine Glasplatte darüber. Darauf der große Kristallaschenbecher. Um den Tisch standen zwei einladende Klubsessel aus weichem Leder, in denen wir sogleich
Platz nahmen. Ein Bücherregal zeigte uns die schönen Rücken seiner leinengebundenen Bewohner.
»Etwas Musik«, sprach Herr Maschke und knipste
mit einer Fernbedienung den Klassiksender an. Hinter
ihm an der Wand prangte ein Pfeifenregal, mit
unzähligen Piepen bestückt. Darunter, auf einem
Wandtisch, zwei große Messingschalen, auf denen
weitere Pfeifen in einem wilden Haufen lagen. Herr
Maschke griff sich daraus gezielt einige Stücke
heraus und wählte sich dann zwei bestimmte. Er
legte sie vor sich auf den Tisch und begann damit,
sie zu säubern. »Das sind die Pfeifen, denen ich
derzeit den Vorzug gebe«, sagte er mit einer Kopfbewegung gegen die Messingschalen. (...)
»Auf die Rehabilitation des Genusses, Herr Mahoni!«
Wir stießen an, mit Wein und Bier, mit Pfeife und
Kippe. Ein feiner Moment. Ich nutzte ihn, um ihn
noch zu verfeinern: »Bitte nennen Sie mich doch
jetzt einfach Toni. Oder Mahoni ohne Herr. Dit irritiert mich voll.« Herr Maschke nickte. Er trug ein
dunkles, weinrotes Hemd mit schwarzer Krawatte,
seine Brille hatte er auf den Kopf geschoben, ein
Finger tippte auf die Sessellehne zum Takt der Musik.
»Also Toni. Der Etikette halber müsstest du mich
jedoch noch ein Weilchen siezen, junger Mann. Der
Ältere bietet dem Jüngeren das Du an – das ist die
Regel. Aber wir können ganz feierlich schon mal das
Doktor und das Professor ablegen, dann ist uns
beiden geholfen. Nicht wahr?« »Ja. Herr Maschke, so
machen wir dit!« »Wie kam es denn zu diesem Interview im Tagesspiegel? Ich las, dass die Meldung von
der dpa stammte.« Herr Maschke saß zurückgelehnt
im Sessel und hatte nun augenscheinlich unser
Gespräch eröffnet.
»Ja. dpa hatte anjerufen und mich ausgequetscht.
Ick hab immer mal so Filmchen jemacht und ins
Internet jestellt, da is quasi nix weiter zu sehen als
mein Gesicht und wat ick denn so erzähle. Dabei hab
ick natürlich immer jeroocht, weil ick sowieso immer
rooche und denn ham se mich quasi als Hardcoreraucher hingestellt. Denn hab ick noch so ’n Lied
jemacht, dit lief ooch ab und an im Radio, dit heißt
Zigarette und handelt ooch davon. So war dit allet!«
»Aha!« Herr Maschke nickte. »Dem entnehme ich,
dass du dich viel in der sogenannten Öffentlichkeit
bewegst?« »Na ja. Mal so, mal so. Nich dass ick ’ne
Sendung habe oder wat. Nur so sporadisch eben.«
Ich trank ein Schlückchen und fühlte mich irgendwie
nicht recht verstanden. Offensichtlich kamen aus
meinem Mund nur zerhackte Fetzen, während sich
mein Gegenüber gewählt und exakt ausdrückte. Da
Herr Maschke jedoch keinerlei Anstalten machte,
mich zu verbessern, oder gar nachzufragen, schien
das erst einmal in Ordnung zu gehen.
»Weißt du, normalerweise lehne ich die ganze Diskussion über das Rauchen schlichtweg ab, da sie –
so wie sie momentan geführt wird – natürlich alle
möglichen Argumente für die Seite der Nichtraucher
rekrutiert. Es ist ja ein regelrechter Fitness- und Gesundheitswahn ausgebrochen, der medial zu einem
sich selbst versorgenden System aufgeblasen wurde.
Eine Maschine, die immer neue Feindbilder schafft
und endlos weiterwächst.« Ich nickte ein paarmal,
ob der schlauen Worte, und drehte mir lauschend
eine neue Zigarette.
»Dass das Rauchen nicht die Gesundheit fördert,
ist seit je her bekannt, ebenso wie man weiß, dass
ein gesundes Leben in der Regel Krankheiten vorbeugt. An den Argumenten hat sich seit Jahrzehnten nicht das Geringste verändert, also muss sich
der Umgang mit diesen Argumenten verändert
haben.
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Magazin
Mir ist in dieser Diskussion zu wenig Platz für die
wesentlichen Schlagworte, die das Rauchen überhaupt erst zu einer sinnvollen Handlung machen
und nicht zu einer vermeintlichen Sucht. Und hierbei spreche ich von den drei wichtigen Werten:
Hochgenuss, Tradition und Selbstbestimmung!« Herr
Maschke zog mit seiner Pfeife exakte Linien durch
die Luft. Danach musste er erst mal neu anfeuern. Er
paffte und ließ ein paar hübsche Wölkchen aufsteigen. Mein Kopf war angenehm leer angesichts der
guten und richtigen Worte. Herr Maschke räusperte.
»Und nun hat dein Artikel einen wirklich interessanten und neuen Aspekt eingebracht, wobei es,
nebenher gesagt, absolut egal ist, dass es sich um
einen raucherfeindlichen Bericht handelt. Es geht
um die Vorstellung, dass Kneipen ausschließlich
von Rauchern erbaut und betrieben wurden und
dass nun mit dem Gesetz quasi eine Enteignung
stattfindet. Und Enteignung bedeutet Bevormundung, Zwang und Beschneidung der Freiheit! Nun
ist ja nicht das Argument an sich das Überzeugende, da sich in Wahrheit natürlich Raucher wie Nichtraucher vom Wirt angezogen fühlen. Das Schwerwiegende an der Aussage ist der Witz.
Magazin
Es ist einfach ein guter Witz. Er macht sich über beide
Parteien scheinbar gleichermaßen lustig, hinterlässt jedoch Sympathie für die Raucher und wirft
ein schales Licht auf die Nichtraucher. Zur Folge
hat das, dass der Artikel, egal welche Lesart man
ansetzt, ein Erfolg für die Freiheit des Rauchgenusses ist, und zwar in massenwirksamer Weise.«
»Jenau!«, rief ich, fasziniert, was man in meinen
kleinen Wutausbruch am Telefon alles hineininterpretieren konnte.
»Weiterhin schleicht sich die Vorstellung ein, Nicht raucher seien außerstande, sich selber Kneipen zu
bauen. Man sieht vor dem inneren Auge unbeholfene Leute auf einer riesigen Baustelle verzweifeln.
Mütter mit Kinderwagen, Büroangestellte und Akademiker versuchen, einen Balken aufzurichten. Ein
lustiges Bild. Demgegenüber erkennt man, dass die
rauchende Fraktion regelrecht gebraucht wird.
Handwerker und Bauarbeiter, flink und rauchend,
springen ein und errichten das Haus. Die Folge ist
eine Kompetenzverschiebung zugunsten der Raucher. Also alles in allem ein kleines Meisterwerk,
dieses Interview!« Herr Maschke richtete sich lächelnd auf und klopfte seine Pfeife aus.
»Das Faszinierende ist natürlich, dass diese Aussage
von dir stammt. Ich gehe einmal davon aus, dass
du diese kleine Suggestivfolge nicht konstruiert hast.
Angenommen also, es ist ein instinktiv suggestivstarkes Stück, dann herzlichen Glückwunsch, dann
hast du gute Instinkte, junger Mann!«
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Der Aldi unter den Anwälten
Rechtsberatung in der Dumpingspirale
Junge Kolleginnen und Kollegen machen sich vor
dem Start in die Selbständigkeit darüber nicht
immer vertiefte Gedanken: die Konkurrenz. Die
Flut der auf den Markt drängenden Juristen ist
so groß, dass der erkennbare Verdrängungswettbewerb längst in Niederungen der Discountdienstleistungen abgerutscht ist. Vorbei sind die Goldgräberzeiten, in denen es lediglich ausreichte, ein
Schild an die Tür zu nageln, man sei niedergelassener Rechtsanwalt.
Jeder junge Anwalt sollte sich bei der Gründung des
eigenen Büros im Klaren darüber sein, dass es reichlich Mitbewerber gibt. Mitunter fallen einige Berufsträger in Sachen Dumpingspirale auf, indem sie
Mitstreiter und die verantwortlichen Rechtsanwaltskammern durch ihr Werben auf den Plan rufen.
Nicht alles, was zu gefallen scheint, ist berufsrechtlich erlaubt, ist wettbewerbsrechtlich lauter.
Zwar gilt auch mit der Öffnung des Rechtsberatungsmarktes eine fortschreitende Liberalisierung,
hiermit einhergehend auch die Öffnung der starren
an das RVG gekoppelten Honorare. Doch die Grenze,
so gebietet es das Standesrecht, ist dann überschrit ten, wenn die Bewerbung der „Günstig-Kanzlei“ das
Sachlichkeitsgebot des § 43 BRAO übersteigt.
Das bekannteste Beispiel aus der jüngeren Geschichte lieferte Rechtsanwalt Dr. Welf Haeger mit seinem
Internetportal „Anwaltsdiscounter.de“. Er bewarb
seine Rechtsberatung unter einem „Einheitspreis“
von 36 Euro pro Stunde. Die Rechtsanwaltskammer
in Hamm schaltete sich daraufhin ein und leitete
unter dem 11.8.2010 gegen Haeger ein aufsichtsrechtliches Verfahren ein, weil dieser mit der Gestal tung seiner Internetseite und seiner Preisangabe den
irreführenden Eindruck erwecke, die Anwaltsgebühren lägen zur freien Disposition. Inzwischen, so ließ
Haeger selbst auf seiner Homepage vermelden, hatte
der Vorstand der Kammer ihm die Zulassung widerrufen – der Grund jedoch: Vermögensverfall.
Haeger, der im Privatfernsehen eher zu zweifelhaftem Ruhm u. a. in „Das Supertalent“ kam, steht nicht
allein mit seiner Idee der Verbilligung von Anwaltsdienstleistung. Prominenteste Vertreter sind inzwischen diverse Telefonhotlines, die zum Teil mit regelrechten Kampfpreisen um die Gunst potentieller
Mandanten buhlen. Unter „beratungsflat.de“ soll es
die „günstige Alternative zum Anwaltsbesuch für
nur 4,58 Euro“ geben. „frag-einen-anwalt.de“ wirbt
mit einem Durchschnittspreis von 35 Euro und „Antworten in unter einer Stunde“. „office-24-7.pblo.de“
schließlich verspricht ab einer Grundgebühr pro
Monat von 9,95 Euro mit dem „Basic“-Tarif kleinen
Büros, Selbständigen und Existenzgründern Rechtsberatung rund um die Uhr, sieben Tage die Woche.
Dass bei vielen dieser Angebote noch weitere Kosten
wie Minutengebühren und Extraauslagen pro Anruf
hinzutreten, wird selten auf den ersten Blick deutlich. Ausgeklügelte Preissysteme, vergleichbar mit
Handytarifen machen die Übersichtlichkeit für Mandanten schwierig. Mit den ursprünglichen Vorstellungen des RVG hat dies nichts zu tun. So manch
einem mag das Nackenhaar zu Berge stehen bei
einem Blick auf die entsprechenden Homepages, die
mit hübschen Blondinen im Call-Center-Look Vertrauen suggerieren wollen. Wo bleibt dort die seriöse
Individualberatung, die auch ihren Wert trägt und
bewusst auf vordergründiges Anlocken über den
Preis verzichtet? Zerstören gar Discounter und Beratungshotlines die freie Advokatur?
Dass „billig-billig“ kein Garant für einträgliche Geschäfte ist, musste die Discountkette Juraxx erleben.
Rechtsanwalt Eugen Boss startete 2003 die Idee, ein
breites Günstig-Filialnetz von Kanzleien über die
Bundesrepublik zu spinnen. Für bereits ab zehn Euro
konnten Ratsuchende seinerzeit etwa in Berlin, Köln,
Lübeck, Frankfurt am Main, München und Würzburg
rasche Antworten auf ihre Rechtsfragen erhalten –
Beratung im Schnellimbissverfahren. In den 34 Büros
arbeiteten insgesamt 150 Junganwälte als Partner,
die dem Gründer zunächst ein Darlehen in Höhe von
50.000 Euro gewähren mussten. Das erschien den
Berufsanfängern zukunftsträchtiger, als ein eigenes
Büro zu eröffnen. Dass die Geschäftsidee wegen zu
unterschiedlicher Vorstellungen der Sozien, den zu
schwankenden Einnahmen an den Standorten, aber
auch wegen erheblicher Vorwürfe, die die Qualität
der Beratung betrafen, nicht tragfähig war, ahnten
viele der jungen Partneranwälte zunächst nicht.
2007 war der Traum der Billigkette mit ihrer Insolvenz jedoch ausgeträumt. Zu der Zeit war es ein
Novum, dass eine überörtliche Sozietät insolvent
wurde. Die einstigen Partner dürften in dem noch
nicht abgeschlossenen Verfahren wohl nicht mehr
ihre fünfstellige Einlage zurückbekommen.
Beim Blitzstart als Sozius fehlt naturgemäß der realistische Blick auf die Kostenseite einer Partnerschaft.
Was den Preis für Dienstleistungen betrifft, sollte
stets daran gedacht werden, dass ein zementierter
Ruf als „Billigheimer“ stets nachteilig ist. Auch Mandanten wissen Kompetenz zu schätzen und lassen
sich das auch etwas kosten. Wer versucht, Kolleginnen und Kollegen deutlich und werbewirksam zu
unterbieten, der zieht nicht nur den Ärger der Konkurrenz auf sich, der riskiert unter Umständen auch
ein Kammerverfahren, wie das Beispiel von Dr. Haeger
zeigt. Wer in Sorge vor drohender Beschäftigungslosigkeit für Versicherungen und Internethotlines
Telefonberatung als Selbständiger macht, sollte stets
im Hinterkopf behalten, dass außerhalb dieser Systeme andere Preise zu anderen Beratungskonditionen abgefragt werden bzw. müssen. Wer das in seine
Entscheidungen aufnimmt, wird weder sich noch
den Konkurrenten das Wasser abgraben.
RA Patrick Ruppert, Köln
Billig – kein Garant für Geschäfte. Foto: Gabi Schoenemann
Welche Lehren sind hieraus zu ziehen? Zunächst hilft
nach dem zweiten Staatsexamen sich die grundsätzliche Frage zu stellen, ob eine Anstellung oder die
Selbstständigkeit in Betracht kommt. Bei der Selbständigkeit sollte nicht voreilig Geld in eine vermeintlich verlockende Partnerschaft investiert werden. Erst
einige Jahre Berufserfahrung helfen, Verdienstentwicklungen besser abzuschätzen.
Kontakt: [email protected] | 030 / 72 6152-0
Starthilfe | Fortbildungen | Netzwerk
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Magazin
Magazin
Der „Gläserne Patient“
Elektronische Gesundheitskarte – Schweigepflichtentbindung statt Datenschutz?
Im derzeit größten technischen Infrastrukturprojekt in Deutschland werden 80 Millionen gesetzlich und privat Versicherte ab Oktober 2011
nach und nach mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) ausgestattet. Der Bund hat am
1.1.2011 die Krankenkassen per Gesetz zur Einführung „verdonnert“.
Im Gesetzestext des GKV-Finanzierungsgesetzes
heißt es: „Bei Krankenkassen, die bis zum 31.12.2011
nicht an mindestens zehn Prozent ihrer Versicherten
elektronisch Gesundheitskarten nach § 291 a SGB V
ausgegeben haben, reduzieren sich abweichend von
Absatz 4 Satz 2 die Verwaltungsausgaben im Jahr
2012 gegenüber dem Jahr 2010 um zwei Prozent.“
„Rund 127.000 niedergelassene Ärzte, 65.000 Zahnärzte, 21.000 Apotheker, 2.200 Kliniken sowie fast
250 gesetzliche und private Krankenversicherer
sollen vernetzt werden.“, so informiert die AOK auf
ihrer Webseite. Die eGK ersetzt dann die bisherige
Versichertenkarte der Krankenkassen. Mit diesem
Austausch sind erhebliche Eingriffe in persönliche
Patientendaten verbunden. Ärzte und Experten warnen noch immer vor Sicherheitslücken bei der Datensicherheit und sprechen schon jetzt von einem
„Gläsernen Patienten“.
Was ist noch geheim?
Die ärztliche Schweigepflicht betrifft nicht nur Diagnosen sondern bereits die Tatsache des Arztbesuches
selbst. Das Arztgeheimnis ermöglicht eine Weitergabe von Informationen nur mit Offenbarungsbe fugnis. Diese Offenbarungsbefugnis kann in einer
Schweigepflichtentbindungserklärung durch den
Patienten selbst oder in einer gesetzlich eröffneten
Befugnis oder aus einer sachgerechten Interessenabwägung im Einzel(not)fall folgen.
Wer als Patient Leistungen einer gesetzlichen Krankenkasse in Anspruch nimmt, muss sich jedoch
damit abfinden, dass er damit konkludent zum
Ausdruck bringt, mit der Weitergabe aller für die
Feststellung der Leistungspflicht der Krankenkasse
erforderlichen Tatsachen, zu denen etwa auch die
entsprechende Diagnose seiner Erkrankung zählt,
einverstanden zu sein (vergleiche § 60 SGB I). Im
Hinblick auf die Einführung der eGK (elektronische
Patienten-Chip-Karte mit Lichtbild) stellt sich allerdings die Frage, wie diese bisher schon schwierige
Abstufung zwischen einem unbedingt notwendigen
Datentransfer und einer weitergehenden Datenübertragung zu handhaben ist.
80 Millionen Versicherte sollen ab Oktober diesen Jahres mit der elektronischen Gesundheitskarte ausgestattet werden.
Damit einher geht die Frage, wer in Zukunft die Verfügungsrechte über die Gesundheitskarte besitzt
und damit über ihre Verwendung entscheiden kann.
Diese Verfügungsbefugnis könnte sowohl an das
Eigentum (§ 903 Satz 1 BGB) oder an das informationelle Selbstbestimmungsrecht (Artikel 1 Absatz 1
in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 GG) anknüpfen.
Als gesetzlich Krankenversicherter nimmt der Patient
auf Kosten der Krankenkasse Leistungen in Anspruch.
In diesem Fall gibt es keine Möglichkeit der Speicherung, Übermittlung und Verarbeitung von Leistungsabrechnungsdaten zu widersprechen. Form, Inhalt,
Übermittlung und Aufbewahrung der Abrechnungsunterlagen/Vordrucke werden durch die Spitzenverbände der Krankenkassen und die Kassenärztlichen
Bundesvereinigungen vereinbart (§ 295 Absatz 3 SGB
V). Der Umfang dieser konkludenten Zustimmungspflicht dürfte mit eGK-Einführung weiter zunehmen.
MKT-Terminal, also keinen E-Card-fähigen-Kartenleser, in der Praxis stehen hat, kann die neue Karte
nicht einlesen und muss, wenn er mit der KV die
Leistungen abrechnen will, auf ein Ersatzverfahren
zurückgreifen.
Nach § 291 Absatz 2 SGB V müssen die neuen
elektronischen Gesundheitskarten über ein Lichtbild
des Versicherten verfügen. Stellt der Versicherte
seiner Krankenkasse kein Lichtbild zur Verfügung,
darf die Krankenkasse laut Gesetz keine eGK ausstellen. Allerdings kann der Arzt die Behandlung
verweigern beziehungsweise eine Privatrechnung
ausstellen, wenn man keine gültige Versichertenkarte vorweisen kann.
Im Wesentlichen soll die neue eGK über mehrere
Funktionen verfügen, die im Chip in unterschiedlichen Bereichen abgelegt sind. Verpflichtend ist die
Nutzung der Funktionen Stammdaten (Name, Geburtsdatum, Versicherungsstatus). Derzeit noch als
freiwillige Funktion geplant ist das elektronische
Rezept (anstelle des Papierrezeptes, das Rezept wird
vom Arzt auf die Karte geschrieben und von der
Apotheke ausgelesen) und die elektronische Patientenakte. Patienten und Ärzten soll die Möglichkeit
gegeben werden, Befunde und andere medizinische
Informationen zu speichern und „in die Hände des
Patienten“ zu geben.
Neue Kartenleser
Nach den Bestimmungen werden die Versicherten
ihre alten Karten bei Erhalt der neuen abgeben
müssen. Jeder Arzt, der ab Oktober 2011 kein neues
Zu diesem Zweck werden die elektronischen Akten
vom Arzt verschlüsselt (mit dem kryptographischen
Schlüssel aus der Patientenkarte) und auf den Servern der Gesellschaft für Telematikanwendungen
der Gesundheitskarte mbH (gematik) gespeichert.
Wenn der Patient die Daten abrufen möchte, werden
die verschlüsselten Daten wieder vom Server geholt
und erst in der Arztpraxis oder einem speziellen Terminal mit der Versichertenkarte wieder entschlüsselt.
Die Formulierung, dass der Patient seine Daten in
Händen hält, ist irreführend und falsch, denn
welcher Patient hat schon ein MKT-Lesegerät und
die entsprechende Computersoftware zu Hause auf
seinem Computer, sofern er einen besitzt.
Ein Verfahren, in dem der Patient die alleinige Hoheit
über den kryptographischen Schlüssel hätte, wäre
aus medizinrechtlicher Sicht datenschutzfreundlicher. Es scheint absolut illusorisch, dass Zusatzfunktionen jetzt in den Test kommen, denn dafür
fehlt die Zeit. Primär wird mit der Ausgabe der elektronischen Gesundheitskarte der größte Praxistest
der Funktionalität an Millionen von gesetzlich Krankenversicherten erfolgen.
identifizieren. Der Versicherte muss ihnen dafür aber
die Erlaubnis erteilt haben. Arztbriefe, Befunde oder
Laborwerte bleiben ohne Freigabe durch den Versicherten elektronisch verschlüsselt. Zum Schutz vor
Missbrauch werden zusätzlich die letzten 50 Zugriffe auf Daten und Verordnungen gespeichert, so
dass jederzeit kontrolliert werden kann, wer wann
mit den Daten zu tun hatte.
jeweilig unerwünschten Einträge bearbeiten lassen?
Die Umsetzbarkeit nicht nur dieses Details wird noch
Jahre der Entwicklung erforderlich machen. Angeblich soll 2013 jeder Patient die eGK in Benutzung
haben. But the roll out goes on …
RA Volker Loeschner, Berlin
Fazit
Interessant ist die Frage, wer konkret mit den Daten
in welchem Umfang arbeiten kann. Angedacht ist
jeder Facharztgruppe einen eigenen Schlüssel und
somit eine Zugriffsmöglichkeit auf die gespeicherten
Daten der jeweiligen eGK einzuräumen. Denkbar ist
dann eher nicht, dass ein Orthopäde auf die Diagnosen des Neurologen Zugriff hat. Auf der anderen
Seite ist die Einholung einer Zweitmeinung durch
einen weiteren Arzt dieser Fachrichtung unter
Umständen nicht mehr unvoreingenommen/unparteiisch möglich, da dieser mit dem gleichen Schlüssel
Zugriff auf die bereits gespeicherten Diagnosen
seines Fach-Kollegen hat und auf „kopieren und
einfügen“ gehen kann. Außerdem ist unklar, wie eine
Trennung nach Facharztgruppen funktionieren
kann: Wenn z. B. der Orthopäde einen geschwollenen Fuß sieht, kann er gar nicht wissen, dass der
Gefäßchirurg bereits eine Beinvenenthrombose diagnostiziert hat. Ferner müsste dann bei freiwilliger
Teilnahme am Hausarztmodell wenigstens der Hausarzt Zugriff auf alle Diagnosen der einzelnen Facharztgruppen haben. Allerdings ist auch weiterhin im
Gespräch, dass jeder Arzt auf den ersten Blick die
Diagnosen und Verordnungen aller Ärzte sieht, die
der Patient besucht hat. Dann kennt der Orthopäde
die Diagnose Syphilis des Gynäkologen.
§ 291a Sozialgesetzbuch V,
Elektronische Gesundheitskarte
Absatz 1: „Die Krankenversichertenkarte (...)
wird bis spätestens zum 1. Januar 2006 zur
Verbesserung von Wirtschaftlichkeit, Qualität
und Transparenz der Behandlung (...) zu
einer elektronischen Gesundheitskarte erweitert.“
Im Sozialgesetzbuch steht immer noch, dass
die neue Karte Anfang 2006 eingeführt
wird. Vor allem durch technische Probleme,
aber auch durch politische Diskussionen hat
sich die Karte bereits um mehr als vier Jahre
verspätet. Ein weiterer Grund für die Verspätung ist, dass der Zeitbedarf für die Einführung der neuen Technik unterschätzt wurde.
Bekomme ich als Patient die Möglichkeit, Auskunft
über alle Zugreifenden zu erhalten und vor allem: Wie
schaffe ich es, eine fehlerhafte Eintragung wieder
löschen zu lassen (z. B. bei Patientenverwechslung)?
Es erscheint notwendig, hier eine ausdrückliche
schriftliche Schweigepflichtentbindungserklärung
vom Patienten abzufordern, was eine dezidierte Aufklärung über die Datenverwendung voraussetzt. Der
Prozess sollte keinesfalls über eine konkludente
Schweigepflichtentbindungserklärung gelöst werden.
Der Gesetzgeber hat in § 291a Absatz 3 Satz 4 SGB V
geregelt, dass die Einwilligung bei der ersten Verwendung der Karte auf dieser zu dokumentieren ist.
Also: Der kranke Patient mit Schmerzen und Leidensdruck sucht einen Arzt auf und muss entscheiden,
ob er seine Zustimmung zur Nutzung gibt oder nicht
behandelt wird.
Wer ist zugriffsberechtigt?
Laut Aussage der AOK werden zum Beispiel nur
Angehörige der Heilberufe, das sind beispielsweise
Haus- oder Krankenhausärzte, medizinische Daten
sehen dürfen, wenn sie sich mit einem „Ausweis“
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Richtig ist, dass der Patient rechtlich jederzeit über
seine Daten verfügen kann. Soll der Orthopäde alle
„unerwünschten“ Einträge aller anderen Fachärzte
löschen/sperren können oder muss der Patient jeden
Facharzt einzeln aufsuchen und durch diesen die
Fotos v.l.n.r.: gematik GmbH; Uta Herbert, Matthias Balzer_pixelio.de
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Magazin
Magazin
Kleine Fische, große Sorgen
Immer exotischere Haustiere erfordern neue Schutzbestimmungen
auch weitere überregionale Vereine und Verbände,
ein Totalverbot von Tierbörsen für den falschen Ansatz. Der illegale Handel würde sich nur verstärken
und den Handel über das Internet unkontrollierbar
machen. Das Verbot träfe den überregionalen Verband Deutscher Vereine für Aquarien- und Terrarienkunde e. V. (VDA), der sein hundertjähriges
Bestehen feiert, hart, denn viele seiner Mitglieder
bieten eigene Fisch-Nachzuchten auf Tierbörsen an.
Vor allem auch nicht-organisierte Aquarianer und
Terrarianer nutzen Tierbörsen, um dort den Kontakt
zu Gleichgesinnten finden und ein beratendes Gespräch zu suchen.
Eine deutliche Tendenz ist erkennbar, für Börsenveranstalter nicht nur eine allgemeine Sachkunde
nach § 2 Tierschutzgesetz (TierSchG) zu fordern. In
zahlreichen Fällen wurde bereits ein Nachweis der
Sachkunde nach § 11 TierSchG gefordert, der eine
dreitägige Schulung mit anschließender Prüfung
erforderlich macht (www.sachkundenachweis.de).
Aquarianer Florian Lahrmann beim Angeltrip in Bolivien.
Das Europäische Übereinkommen zum Schutz
von Heimtieren von 1987 gibt folgende Definition von Heimtieren (Council of Europe 1987,
Art. 1): „Der Ausdruck Heimtier bezeichnet ein
Tier, das der Mensch in seinem Haushalt zu
seiner eigenen Freude und als Gefährten hält
oder das für diesen Zweck bestimmt ist.“
Waren es früher noch Meerschweinchen und Wellensittiche, die neben Hund und Katze typische
Haustiere waren, wird es jetzt zunehmend exotischer: Vogelspinne, Kaiman und Würge- oder
Giftschlange müssen es heute schon sein, damit
man mit seinem Haustier auch „Staat“ machen kann.
Statt Goldfisch oder Stichling aus heimischen Gewässern findet sich heute Clownfisch Nemo samt
Anemone im Salzwasseraquarium mit High-TechAusstattung. Der Ausbruch einer Kobra aus ihrem
Terrarium führt zu einem Großeinsatz von Feuerwehr und THW. Das Mehrfamilienhaus wird geräumt
und die betreffende Wohnung Zentimeter für
Zentimeter abgesucht, bis das Tier gefunden wird.
Ein Afrikaner, der einer Kobra in ihrer natürlichen
Umgebung begegnet, reagiert weitaus gelassener
und schiebt sie mit einem Stock zur Seite.
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Foto: privat
Momentan gibt es Bestrebungen, den Import von
wild lebenden und somit auch von vivaristisch interessanten Tierarten zu reglementieren. Grund
dafür ist die Tatsache, dass immer mehr Arten wohl
auch auf Grund von veränderten klimatischen Bedingungen es schaffen oder schaffen könnten, sich
in unseren Breiten zu etablieren und dann keine
natürlichen Fressfeinde hätten. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN plant zum Ende
des Jahres 2011 ein neues Tierschutzgesetz einzubringen, welches erweiterte Forderungen in Bezug
auf die Sachkunde für das Züchten von nichtdomestizierten Wirbeltieren, dazu gehören fast alle
Aquarienfische, beinhaltet.
Mitte Dezember 2010 luden der Deutsche Tierschutzbund und Pro-Wildlife zur Pressekonferenz in Berlin
ein. Sie legten ein Positionspapier vor, in dem sie ein
Verbot jeglicher Tierbörsen fordern, weil die Leitlinien
für Tierbörsen des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz teilweise
mangelhaft umgesetzt wurden, wie sie in zahlreichen Besuchen des vorangegangenen Jahres feststellen mussten. Der Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz e. V. (BNA) hält, wie
Nachdem der Tierschutz als Staatsziel im Artikel
20a GG verankert wurde, erfolgte die kontinuierliche Erweiterung des TierSchG. Für aufmerksame
Mitbürger ergibt sich häufig die eine oder andere
Frage aus ganz alltäglich entstehenden Situationen. Rechtsanwalt Florian Lahrmann, Justiziar des
VDA und Mitglied im Forum Junge Anwaltschaft
Berlin, stellt sich hier interessanten Fragen rund
ums liebe Tier.
A: Wie kommt ein Rechtsanwalt dazu, Justiziar
eines Aquaristikverbandes zu werden und welche
Aufgaben hat dieser?
L: Eigentlich bin ich Fachanwalt für Familienrecht.
Aber ich bin schon seit meiner Kindheit begeisterter Hobby-Aquarianer. Schon als Jugendlicher
war ich im Vorstand des Aquarienvereins meiner
Heimatstadt aktiv. Als Justiziar des Verbands ist es
meine Aufgabe, die Mitglieder juristisch zu beraten.
Die Anfragen, die dabei an mich gerichtet werden,
haben aber weit überwiegend gar nichts mit Tierschutzrecht, sondern mit Vereinsrecht zu tun. Etwa
zu Themen wie der Eintragung des Vereins in das
Vereinsregister, Vorstandswahlen, Gemeinnützigkeit. Natürlich kommen aber auch Anfragen von
Mitgliedern, die Probleme mit Behörden oder Amtsveterinären haben. Eingebunden in die Leitung des
Verbandes beschäftige ich mich auch mit der
Natur- und Tierschutzproblematik intensiv, aber
mehr auf einer politischen Ebene. Es ist sehr wichtig, den Aquarianern und Terrarianern eine Stimme
zu geben.
A: Warum engagierst Du Dich für die Belange
von Aquarianern und Terrarianern?
L: Noch vor wenigen Jahren galt dieses Hobby,
überhaupt die Beschäftigung mit der Natur und
mit Tieren, als sinnvolle Freizeitgestaltung mit naturwissenschaftlichem Bildungspotenzial. Heute
stehen wir zunehmend in der Kritik, die leider oft
mehr ideologisch als sachlich geprägt ist. Dabei
wächst eine Generation von Kindern heran, die
einen Frosch nicht von einer Kröte unterscheiden
kann, die noch nie Kaulquappen gekeschert und
zuhause die Metamorphose beobachtet hat. Wie
sollen die einen Bezug zur Natur bekommen und
lernen, dass sie erhaltenswert ist?
A: Der VDA bemüht sich um die Anerkennung
als Naturschutzverband. Welche Hürden sind
hier zu nehmen?
L: Das für die Anerkennung zuständige Umweltbundesamt verleiht diese Anerkennung auf Antrag
an Vereinigungen, die vorwiegend die Ziele des
Umweltschutzes fördern und die weiteren Anerkennungsvoraussetzungen des § 3 Gesetzes über
ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/
35/EG (UmwRG) erfüllen. Voraussetzung ist z. B.,
dass der Verein bereits seit mindestens drei Jahren
in diesem Bereich aktiv ist und eine Gemeinnützigkeit nachweisen kann. Unsere Vereine entfalten
ein breites Spektrum an Naturschutzaktivitäten,
dazu gehören u. a. Arterhaltungs-Zuchtprogramme,
die Pflege von Biotopen, das Unterhalten von didaktisch wertvollen Ausstellungen.
A: Wie erkenne ich, ob eine Tierbörse die Bestimmungen des Tierschutzes einhält? Macht es
einen Unterschied, ob dort Tiere getauscht werden oder professionelle Händler Tiere anbieten?
L: Börsen sind ein Refugium der privaten Züchter
und Liebhaber, professionelle Händler haben dort
nichts zu suchen. Missstände, wie sie jetzt bei
einigen Terraristik-Börsen von zwei Tierschutzorganisationen aufgegriffen und angeprangert wurden,
bekämpfen wir. Daher tritt der VDA für eine Zertifizierung von Tierbörsen ein, die ein standardisiertes Gütesiegel erhalten sollen. Wer sich an die ausgearbeiteten Vorgaben hält, kann es beantragen.
Der Börsenbesucher kann dann sicher sein, dass
auf der zertifizierten Börse tierschutzgerecht ausgestellt und gehandelt wird. Gegenwärtig existiert
bereits eine VDA-Börsenordnung, die das gewährleistet und an die sich unsere Vereine als Veranstalter halten müssen. Wir sprechen uns strikt
gegen ein generelles Tierbörsenverbot aus. Nur auf
Börsen haben private Züchter die Möglichkeit, mit
ihren Nachzuchten auch ihr Wissen und ihre Erfahrung an Interessierte weiterzugeben, die ihre
Tiere tauschen oder kaufen. Der Zoofachhandel
kann so etwas nicht leisten. Der Zoofachverkäufer
kann seinen Kunden zwar gut allgemein beraten,
aber er hat niemals ein so spezialisiertes Fachwissen
über die vom ihm verkauften Tiere.
Natürlich kann ein Züchter, der diese zuhause – oft
unter Einsatz von unglaublich viel Zeit, Liebe und
Mitteln – selbst züchtet, praxisnahe Tipps und Antworten auf ganz anderer Ebene geben.
A: Was behandelt die Börsenordnung des VDA?
L: In der Börsenordnung des VDA sind viele Selbstverständlichkeiten geregelt: Es dürfen nur selbst
gezüchtete Tiere oder schon gebrauchtes Zubehör
angeboten werden. Die Anbieter müssen die erforderlichen Kenntnisse über die tier- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen besitzen. Ebenso sind
konkrete Bestimmungen zum Tierschutz, insbesondere zur Mindestgröße und Ausstattung der Verkaufsbecken festgelegt. Natürlich darf die Abgabe
von Tieren nur in geeigneten Behältnissen erfolgen.
A: Der VDA bietet Schulungen für den allge meinen und den qualifizierten Sachkundennachweis nach § 11 des Tierschutzgesetzes an.
Was lernt man in einer solchen Schulung?
L: Die Schulungen nach § 2 sind für private Heimtierhalter gedacht, die Schulungen nach § 11 sind
für Gewerbetreibende. Es wird durch die Schulung
Grundlagenwissen für die Fachbereiche „Süßwasser“,
„Meerwasser“ oder „Terraristik“ erworben und in
der abschließenden Prüfung das Gelernte unter
Beweis gestellt.
A: Sollte jeder Tierhalter eine Schulung für
einen allgemeinen Sachkundenachweis ablegen
um sein Tier artgerecht halten zu können?
Wann ist ein Sachkundenachweis sinnvoll?
L: Es gibt Tierhalter, die nie einen solchen Lehrgang
besucht haben, sich aber seit Jahrzehnten mit Tie ren beschäftigen und mehr Wissen als jeder Sachkundeprüfer haben. Natürlich kann man sich das
entsprechende Wissen über die Tiere, die man halten möchte, auch ohne Sachkundeprüfung selbst
aneignen. Die alte Kulturtechnik des Lesens ist hier
oft sehr hilfreich. Ich bin grundsätzlich eher für die
Eigenverantwortung des Menschen. Wichtiger als
eine bestandene Prüfung ist, dass jeder, der die
Verantwortung für ein Tier übernimmt, das Tier
auch artgerecht halten kann. Ein Sachkundenachweis hilft dabei, das nötige Wissen zu erwerben,
deshalb sind solche Nachweise sinnvoll. Der VDA
betreibt Information und Aufklärung nicht nur bei
diesen Sachkundelehrgängen, sondern auch tagtäglich in unserer deutschlandweiten Vereinensarbeit. Wer Probleme mit seinem Aquarium hat und
erfahren möchte, wie es richtig geht, der bekommt
bei uns Hilfe. Das ist ganz konkreter Tierschutz.
A: Welche Aufgaben nimmt der VDA noch im
Tierschutzbereich wahr?
L: Der VDA engagiert sich besonders gegen Qualzuchten. Das sind Tiere, die aufgrund züchterischer
Veränderung nicht mehr artgerecht leben können.
Nackthunde sind ein bekanntes Beispiel. Ähnliches
gibt es auch bei Fischen, z. B. Blasenaugen oder
extreme Schleierschwänze bei Goldfischen oder
deformierte Wirbelsäulen bei Papageienbuntbarschen. Das gleiche gilt auch für Fische, die mittels
transplantierter Algengenen leuchten oder künstliche Farbmuster eintätowiert bekommen haben.
Der Gesetzgeber hat Qualzuchten zwar verboten,
bezüglich der Fische aber nicht festgelegt, welche
Züchtungen konkret unter das Gesetz fallen. Wir
bemühen uns um eine genaue Festlegung, damit
das Verbot greifen kann und solche Horrorgeschöpfe aus den Zooläden verschwinden.
A: Wie steht der VDA zu dem geplanten Gesetz
der Grünen, das eine Ausbreitung von nicht
einheimischen Arten verhindern will?
L: Invasive Arten sind tatsächlich ein riesiges
Problem. Das würde aber nicht ansatzweise dadurch gelöst, dass die für die Heimtiertierhaltung
erlaubten Arten auf ein Mindestmaß beschränkt
werden. So werden Aquarianer zu Unrecht zum
Sündenbock gemacht. Ein Beispiel: Der Europäische
Edelkrebs ist fast ausgestorben, obwohl noch vor
wenigen Jahrhunderten unsere Flüsse so voll von
den Tieren waren, dass sie die größte Eiweißquelle
für die arme Bevölkerung gebildet haben. Er wurde
fast vollkommen verdrängt durch nordamerikanische Krebsarten, die hier eingeschleppt wurden
und eine für den Edelkrebs tödliche Seuche mitbrachten. Diese Seuche breitete sich aber schon ab
1860 aus – da gab es noch keine Aquaristik.
Das Gespräch führte
RA Volker Loeschner, Berlin
§ 2 Tierschutzgesetz (TierSchG)
Wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat,
1.
muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren,
pflegen und verhaltensgerecht unterbringen,
2.
darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass
ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder
Schäden zugefügt werden,
3.
muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse
und Fähigkeiten verfügen.
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Magazin
Magazin
Witzig, sexy, frech
NEWS
Die deutsche Ally McBeal – Auszug aus „Himmel auf Rührei“ von Birthe Mayer
Zusammengestellt von RA Patrick Ruppert
Der Roman beginnt viel zu früh und mit Kopfschmerzen: Katharina Beck, Rechtsanwältin in
München, jung, attraktiv und erfolgreich, überlebt – wenn auch ziemlich verkatert – die Hochzeit eines befreundeten Paares trotz all der Peinlichkeiten, die eine solche Feier für begleiterlose
Frauen in ihrem Alter so bietet. Es gelingt ihr,
sich erfolgreich vor dem Brautstraußwerfen zu
drücken, nicht aber vor der Frage, ob es wohl
auch für sie den einen Mann gibt. Dieser Frage
nachzugehen, erweist sich als kompliziert und
amüsant zugleich. Denn das Leben der Anwältin
aus Leidenschaft ist alles andere als langweilig:
es ist eine turbulente Mischung aus Kanzleiwahnsinn und Männerzirkus.
„MAN KÖNNTE DAS ALLES AUCH EIN
BISSCHEN BUDDHISTISCH SEHEN“
Wir erwischen gerade noch den letzten Platz. Das
kleine Lokal in dem Hinterhof nahe der Staatsanwaltschaft ist wie immer rappelvoll. Überall um uns
herum sitzen Juristen, oder sagen wir, die Trefferquote beträgt zumindest 99%. Man erkennt sie
meistens schon am Aussehen. Leider. Ein Großteil
von ihnen trägt eine Brille. (Wie ich eigentlich auch,
aber dann bin ich auf Kontaktlinsen umgestiegen.)
Das kommt davon, weil man immer so viel Kleingedrucktes lesen muss, ernsthaft! Ich weiß nicht,
warum, aber sämtliche Fachzeitschriften und Gesetzestexte sind Schriftgröße 9. Höchstens. Und die
Klausurangaben, die man in der Uni und später in
den Staatsexamina vorgelegt bekommt (und das
sind nicht wenige), sind grundsätzlich im Schreibmaschinenschriftbild mit einfachem Zeilenabstand.
Einen durchschnittlichen Juristen, der in irgendeiner Form am Gericht tätig ist, erkennt man ferner
daran, dass er oft eine ausgesprochen langweilige
Frisur hat und sich schlecht kleidet. Man kann hier
noch differenzieren zwischen Staatsbeamteten –
Richter und Staatsanwälte – und Anwälten. Bei
den Anwälten gibt es den klassischen Einzelanwalt,
der vornehmlich vor dem Amtsgericht auftritt und
hier, vor allem, wenn es sich schon um ein etwas
älteres Exemplar handelt, gerne auch mal mit
grünlich schillernder speckiger Robe oder kariertem
Sakko in Kombination mit einer ausgeleierten
Cordhose aufschlägt. Das passt dann hervorragend
zu den älteren Richtermodellen, deren Kleiderauswahl zwar glücklicherweise größtenteils durch ihre
Robe verhüllt ist, aber nicht die weißen Tennissocken in den Birkenstocklatschen verdeckt. Anders
hingegen Anwälte aus Großkanzleien, die vornehmlich in der Beratung tätig sind und Gerichte
lediglich noch aus ihrer Referendarszeit kennen.
Birthe Mayers Romanheldin geht der Frage nach, ob es in ihrem Leben den einen Mann für sie gibt.
Die wiederum tragen nur Anzüge aus feinsten
Stöffchen, oftmals maßgeschneidert (wenn es sich
um Seniorpartner handelt), dicke Seidenkrawatten,
teure Manschettenknöpfe und steif gebügelte Hemden mit eingesticktem Namenskürzel – selbstverständlich aus der Reinigung, denn für so profane
Dinge wie Haushalt oder Wäsche bleibt bei den
Arbeitszeiten eh kein Raum. Die weibliche Variante
des Juristen ist nicht viel besser: je nach Kategorie
variiert es zwischen wallenden Röcken, Modeschmuck und Ökostrickjacken (Amtsgericht) oder
Kostümchen in gedeckten Farben, Pumps und der
obligatorischen Perlenkette (Großkanzlei). Christine
und ich konnten diese Art von Frauen schon an der
Uni nicht leiden. Das waren dann die, die mit den
spießigen Typen aus der schlagenden Verbindung
zusammen waren, bei deren Anblick es uns schon
würgte. Selbstverständlich sind wir die lebenden
Beispiele dafür, dass jede Regel eine Ausnahme
besitzt. Das schönste Kompliment, das man mir
machen kann, ist denn auch: Du siehst gar nicht
wie eine Rechtsanwältin aus! Der entscheidende
Punkt ist allerdings die innere Einstellung. Auch ich
trage gezwungenermaßen manchmal ein klassisches graues Kostüm samt hellrosa Bluse oder einen
dunkelblauen Hosenanzug – es ist schließlich genau
wie die Robe Arbeitkleidung.
Foto: privat
}
Roman „Himmel auf Rührei“, Birthe Mayer,
Edition Löwenherz
Die Autorin ist in München aufgewachsen,
liebt jedoch Hamburg und die Nordsee. Nach
ihrem Jurastudium arbeitete sie sechs Jahre
als Prozessanwältin. Heute ist sie bei einem
großen Prozessfinanzierer. Vom eigenen Buch
träumte sie lange, bis sie 2006 die Geschichte
von „Himmel auf Rührei“ auf einem Zettel skizzierte, den sie 2009 als Roman niederschrieb.
Jetzt ist sie da die deutsche Ally McBeal.
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Niederlage im Contergan-Prozess
Rechtsanwalt Otmar Korte (49) aus Norderstedt ist
eines von geschätzt 5.000 Opfern, die an den Aus wirkungen des Arzneimittels Contergan leiden. Das
Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid der
Chemie-Grünenthal GmbH wurde Ende der 1950er
Jahre Müttern zur Schmerzlinderung während der
Schwangerschaft verschrieben und verursachte
unter anderem bei den Neugeborenen schwere
Missbildungen. 50 Jahre danach musste Korte nun
in eigener Sache vor dem Landgericht Bonn eine
Niederlage hinnehmen. Er hatte die Bundesregierung wegen angeblicher Mitschuld auf einen symbolischen Schadensersatz in Höhe von 5.001 Euro
verklagt. Die Richter befanden, dass der Anspruch
verjährt sei. Zudem bestünden keinerlei Amtshaftungsansprüche gegenüber dem Bund. (LG Bonn,
Urteil vom 13.4.2011, Az.: 1 O 211/10)
Verschwiegensheit der Anwälte höherwertig
Das Kammergericht Berlin hat die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwälte als höherwertiger
gegenüber dem Datenschutz eingestuft. Nach dem
Leitsatz ist ein Rechtsanwalt wegen § 38 Abs. 3
Satz 2 BDSG im Hinblick auf § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB
nicht verpflichtet, dem Datenschutzbeauftragten
mandatsbezogene Informationen zu geben, die
seiner Verschwiegenheitspflicht unterliegen. Die
Vorschrift des § 38 Abs. 3 Satz 1 BDSG enthalte
keine dem § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BDSG entsprechende Bestimmung, nach der sich auch bei nichtöffentlichen Stellen die Kontrollbefugnis des Datenschutzbeauftragten auf diejenigen personenbezogenen Daten erstreckt, die der beruflichen Geheimhaltung unterliegen, entschieden die Richter.
(KG Berlin, Beschluss vom 20.8.2010, Az.: 1 Ws (B)
51/07)
„Abmahnanwalt“ gibt auf
Der wegen der Durchsetzung zahlreicher dubioser
Forderungen im Bundesgebiet bekannt gewordene
Rechtsanwalt Olaf Tank gibt auf und schloss Anfang des Jahres seine Kanzlei in Osnabrück. Tank
war bereits im vergangenen Jahr vor dem Amtsgericht Marburg auf Schadensersatz verklagt worden.
Das Gericht warf dem Juristen vor, dass er an einer
Tat teilgenommen hätte, die von der Rechtsordnung nicht gedeckt gewesen war. Darüber hätte
sich Tank bei vernünftigem Ermessen im Klaren sein
müssen. Tanks Mandantin war die Content Service
Ltd., die potentielle Kunden über das Internet in
Abonnements verwickelte. Es wird gemutmaßt, dass
eine hohe Rückforderungslast auf den Rechtsanwalt zukommen könnte, die einen geordneten
Kanzleibetrieb künftig unmöglich macht. (Quelle:
Osnabrücker Zeitung)
Erledigungsgebühr verdient
Im Ordnungswidrigkeitsverfahren verdient ein
Rechtsanwalt nach Nr. 5115 VV RVG eine zusätzliche Gebühr, wenn sich durch seine Mitwirkung
das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt.
Höchstrichterlich war bisher nicht geklärt, wie weit
die Mitwirkung zur Gebührenauslösung gehen
musste. Der BGH hat nun entschieden: „Für die
Mitwirkung an der Erledigung des Verfahrens kann
es genügen, wenn der Verteidiger seinem Mandanten rät, zu dem erhobenen Vorwurf zu schweigen,
und dies der Verwaltungsbehörde mitteilt.“ Die Erfordernisse sind somit eher gering. Allerdings solle
das dann nicht gelten, so die Richter in Karlsruhe,
wenn unabhängig der Einlassung des Betroffenen
offenkundig sei, dass dieser die ihm vorgeworfene
Ordnungswidrigkeit nicht begangen haben könne.
(BGH, Urteil vom 20.1.2011, Az.: IX ZR 123/10)
Anwaltshaftung verjährt
Erhebt ein Rechtsanwalt hinsichtlich eines verjährten Anspruchs pflichtwidrig eine aussichtslose
Klage, so liegt in der Einlegung eines Rechtsmittels
gegen ein die Klage abweisendes Urteil keine einen
neuen Schadensersatzanspruch auslösende Pflichtwidrigkeit, sondern lediglich ein auf der ursprünglichen rechtlichen Fehleinschätzung beruhendes
weiteres Versäumnis, das – in unverjährter Zeit –
die Anknüpfung für eine Sekundärhaftung bilden
kann, so der Bundesgerichtshof. Mögliche Schadensersatzansprüche der klagenden Immobiliengesellschaft gegen die betroffene Rechtsanwaltskanzlei wegen Falschberatung waren jedoch längst
verjährt. In dem vorliegenden Fall begann die dreijährige Verjährungsfrist bereits mit einem durch
die beklagte Anwaltskanzlei eingereichten, nicht
erfolgversprechendem Antrag auf Erlass eines
Mahnbescheids gegen einen Schuldner der Klägerin zu laufen. Das war am 5.7.2000. Im streitigen
Verfahren wies das zuständige Landgericht am
26.2.2004 die Forderung zurück. Auch die Berufung
dagegen blieb ohne Erfolg – Abweisung am
17.3.2005. Tatsächlich war ein eventueller primärer
Schadensersatzanspruch am 7.7.2003 verjährt, ein
sekundärer am 7.7.2006, deutlich vor der Klagezu stellung am 11.12.2006 an die in Regress genommene Rechtsanwaltskanzlei. (BGH, Urteil vom
3.2.2011, Az.: IX ZR 105/10)
Amt zahlt PKV für Anwalt
Ein selbständig tätiger und privat Krankenversicherter kann von dem Träger der Grundsicherung für
Arbeitsuchende die Übernahme seiner Beiträge zur
privaten Krankenversicherung in voller Höhe verlangen. Dies entschied das Bundessozialgericht. In
dem zu entscheidenden Fall hat der seit Beendigung seiner Referendarzeit als selbständiger Rechtsanwalt tätige sowie privat krankenversicherte
Kläger einen Beitrag für seine private Krankenversicherung in Höhe von 207,39 Euro monatlich zu
tragen. Auf seinen erneuten Antrag vom Januar
2009 bewilligte der Beklagte ihm SGB II-Leistungen
nur unter Berücksichtigung eines Zuschusses zur
privaten Krankenversicherung in Höhe von 129,54
Euro monatlich. Nun bejahte das Bundessozialgericht die Übernahme der Beiträge zur privaten
Krankenversicherung in voller Höhe durch den
Grundsicherungsträger. Die schriftlich niedergelegten Motive enthielten Hinweise auf einen
„bezahlbaren Basistarif“. Schließlich sei das verfassungsrechtlich garantierte Existenzminimum betroffen, weshalb die Lücke zu schließen sei. Der
Empfänger von ALG II, der in der GKV freiwillig
versichert sei, zahle keinen Eigenanteil an Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Für die
im Basistarif versicherten ALG II Empfänger müssen
dies analog gelten. (Bundessozialgericht, Urteil
vom 18.1.2011 – Az.: B 4 AS 108/10 R)
Anwaltsdiscounter verliert Zulassung
Dr. Welf Haeger, Betreiber des Internetportals „anwaltsdiscounter.de“ hat seine Rechtsanwaltszulassung verloren. Die Rechtsanwaltskammer Hamm hat
mit Verfügung vom 11.3.2011 den Widerruf ausgesprochen. Als Grund nannte sie Vermögensverfall.
Haeger, der sich zu Unrecht gegängelt fühlt, will nun
gegen den Entzug gerichtlich vorgehen. Zudem hat
er nach dem Vorbild von Wikileaks eine Internetseite
eingerichtet, auf der er die Öffentlichkeit über den
Gang des gesamten Verfahrens auf dem Laufenden
halten will. Abgelegt hat er unter anderem sämtliche
Schriftdokumente des Kammerverfahrens. Haeger
war im Vorfeld wegen seines radikalen Einheitspreissystems für Rechtsberatung, „36 Euro pro Stunde
netto für alles“, ins Gerede gekommen.
> Gebt uns Eure News! Teilt uns mit, wenn Ihr etwas Neues aus der Jurawelt erfahrt.
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Magazin
Krank geworden – Frist versäumt
Fieber kein genereller Wiedereinsetzungsgrund
Die Erkrankung eines Rechtsanwalts kann unter
Umständen zu einem Haftungsproblem führen,
denn auch für diesen Fall hat der Anwalt Sorge
zu tragen, dass keine Fristen versäumt und anstehende Termine wahrgenommen werden.
Als Teil der Vorsorge ist die Führung des Fristenkalenders anzusehen. Er soll nicht nur das Gedächtnis des Anwalts entlasten, sondern auch einem
Vertreter die Bearbeitung fristgebundener Angelegenheiten ermöglichen (St. Rspr. des BGH u. a.
VersR 1975, 1005, NJW-RR 2001, 1577 zitiert in
Borgmann/Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl.,
2005, XIII, § 58, Rn. 51).
Die Sorgfaltspflicht geht allerdings noch weiter. So
ist z. B. der Anwalt gehalten, seine Abwesenheit zu
regeln, die nicht nur voraussehbare Abwesenheitszeiten, wie z. B. Urlaub, sondern auch den Fall
plötzlich auftretender Ereignisse erfasst (Borgmann,
a. a. O., Rn. 67). Auch bei einer länger andauernden
Erkrankung muss für den Fall plötzlicher Verschlechterung Vorsorge getroffen sein (Feiber in Münchener
Kommentar zur ZPO, 1992, § 233, Rn. 37).
Widerlegbarkeit
Auf die sich abzeichnende vorhersehbare oder chronische Erkrankung kann rechtzeitig reagiert werden.
Das Büropersonal weiß, an wen es sich als Vertreter
zu wenden hat. Falls kein Personal vorhanden ist,
spricht der Anwalt die Zeit seiner Abwesenheit
direkt mit dem Vertreter ab. Ein in diesen Fällen
gleichwohl entstehendes Fristversäumnis stellt
regelmäßig einen unwiderlegbaren Haftungsgrund
und damit einen Anwaltsregress dar.
Fälle plötzlich auftretender Erkrankungen werden
auch an der Abwesenheitsregelung gemessen. Ein
hieraus resultierendes Fristversäumnis kann ebenfalls zu einer schuldhaften Pflichtverletzung des
Anwaltsvertrages führen. Allerdings hat der Rechtsanwalt die Möglichkeit, die Vermutung des Verschuldens seines Handelns zu widerlegen und nach
den Regeln über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Folgen seines Versäumnisses
unmittelbar zu beseitigen. Beides – also die Möglichkeit, das Verschulden der Pflichtverletzung zu
widerlegen, wie auch die Frage, wann kein Verschulden und damit die Voraussetzung für die Gewährung der Wiedereinsetzung vorliegen – unterliegt demselben Maßstab (Borgmann, a. a. O., XIII,
§ 56, Rn. 6).
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Verschuldensmaßstab
Nur wenn die Krankheit so plötzlich auftrat, dass es
dem Rechtsanwalt unmöglich war, seinen Vertreter
zu unterrichten, kann die Wiedereinsetzung berechtigt sein. Die Frage ist für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen und soll anhand nachfolgender
Krankheitsbilder exemplarisch beantwortet werden.
a) Psychische Erkrankungen
Jede akute schwere Erkrankung, die plötzlich eintritt und zur Denk- und Handlungsunfähigkeit führt,
kann für die Dauer einen Grund für die Gewähr der
Wiedereinsetzung darstellen (Feiber, a. a. O.).
Psychische Erkrankungen werden dabei seltener als
Einsetzungsgrund vorgetragen. Eine seelische
Erregung, die es einer Partei unmöglich machte,
eine Frist einzuhalten, wurde beispielsweise vom
BGH mit Beschluss vom 23.1.1985 – Az.: IVb ZB
55/84 anerkannt. In diesem Kontext steht auch eine
Entscheidung des BGH vom 5.6.1981 – Az.: I ZB 5/81
zugunsten eines Rechtsanwalts, der durch den
unerwartet schnellen Tod seiner Mutter und der
wenige Tage später erfolgten Geburt seines dritten
Kindes einer besonderen seelischen Belastung ausgesetzt war. Die persönliche Situation war durch
die Betreuung der erst drei und sechs Jahre alten
Kinder zusätzlich belastet. Negativ hat sich der BGH
am 10.11.1982 – Az.: IVb ZB 162/82 zur vorübergehend nervösen Erschöpfung geäußert und diese
nicht als Einsetzungsgrund akzeptiert.
b) Physische Erkrankungen
Mit Beschluss vom 10.1.1973 – Az.: IV ZB 92/72 hat
der BGH festgestellt, dass von einem Anwalt, der
plötzlich mit hohem Fieber das Bett hüten musste,
nicht verlangt werden kann, dass er die ablaufenden Fristen im Gedächtnis behält, noch dass er
sachgerechte Maßnahmen zu ihrer Wahrung trifft.
Diese Entscheidung stellt jedoch keinen Freibrief
für alle fiebrigen Erkrankungen dar. Beispielsweise
lehnte am 28.8.2008 das BVerwG mit Az.: 6 B 22/08
das Wiedereinsetzungsgesuch einer Rechtsanwäl tin, die wegen eines fiebrigen grippalen Infektes
eine Frist versäumte, ab. Das Wiedereinsetzungsgesuch wurde abgelehnt, da nicht dargelegt wer den konnte, warum die Abwesenheitsregelung
nicht griff. Einem seit Jahren an schweren Herzrhythmusstörungen leidenden Rechtsanwalt wurde
vom OVG Lüneburg mit Beschluss vom 23.4.2010 –
Az.: 8 PA 63/10 ebenfalls keine Wiedereinsetzung
gewährt.
Dieser erlitt, obwohl er einige Zeit beschwerdefrei
war, überraschend und in einer bis dahin unbekannten bedrohlichen Art Herzrhythmusstörungen,
die ihn so irritierten und verängstigten, dass ihm
die geistige Schaffenskraft zur Fertigung eines
Schriftstücks fehlte. Auch hier mangelte es an der
Darlegung organisatorischer Vorkehrungen.
In einem aktuellen Fall setzte sich das OVG Lüneburg mit Beschluss vom 20.4.2011 – Az.: 11 LA
57/11 mit der Erkrankung eines Rechtsanwalts
auseinander, der eine Gerichtsverhandlung nicht
wahrgenommen hatte. Auf einer vorangegangenen
Sitzung verspürte dieser eine leichte Übelkeit, die
sich auf der Fahrt zum anstehenden Termin einhergehend mit massiven Kreislaufbeschwerden verstärkte. Der Anwalt brach die Fahrt ab und verbrachte den Rest des Tages zu Hause im Bett. Am
nächsten Tag ging es ihm wieder gut. Der nach
Abbruch der Fahrt unterrichtete Sozius beantragte
vor Beginn noch die Aufhebung des Termins, was
das VG jedoch ablehnte. Das OVG glaubte aber dem
Rechtsanwalt, der sein Wiedereinsetzungsgesuch
ohne Vorlage eines ärztlichen Attestes glaubhaft
gemacht hatte, und gab seinem Antrag statt.
Mit Beschluss vom 5.4.2011 – Az.: VIII ZB 81/10
gewährte der BGH einem aus dem Urlaub erkrankt
zurückkommenden Einzelanwalt Wiedereinsetzung.
Dieser begab sich unmittelbar nach seiner Urlaubsrückkehr wegen einer Magen-Darm-Grippe, begleitet von starken Schwindelattacken in ärztliche Behandlung. Die Kürze der zur Verfügung stehenden
Zeit und der Umfang des zu bearbeitenden Prozessstoffes ließen eine Bearbeitung durch den Vertreter
nicht zu. Erschwerend kam hinzu, dass die Mitarbeiterin des erkrankten Rechtsanwalts wegen einer
Armverletzung in ihrer Schreibfähigkeit stark eingeschränkt war.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine
plötzlich auftretende Erkrankung die Gewährung
der Wiedereinsetzung rechtfertigen kann. Jedoch
muss der Rechtsanwalt in seinem Einsetzungsge such nicht nur nähere Angaben zur Art und Schwere
der Krankheit machen, sondern auch darlegen,
welche Vorsorgemaßnahmen er für den Fall einer
plötzlichen Abwesenheit getroffen hat und warum
diese nicht gegriffen haben.
Steffen Eube, HDI-Gerling, Hannover
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Viel Arbeit mit Hartz IV
Corinna Unger spezialisierte sich erfolgreich auf Sozialrecht und Hartz IV
Kann ein Mensch mit 364 Euro Regelleistung
überleben? Und wie finanziert eine Rechtsanwältin ihr Dasein, trägt die Kosten der Kanzlei,
zahlt Steuern, stellt ihre Alterssicherung und die
Krankenversicherung sicher, wenn sie Hartz IVMandate ganz überwiegend mit Beratungs- und
Prozesskostenhilfe betreut? Dass es funktioniert,
haben zahlreiche Leistungsempfänger und ich
als Sozialrechtsanwältin aus Thüringen bewiesen.
Seit Mai 2007 betreibe ich als Einzelanwältin eine
auf das Grundsicherungsrecht spezialisierte Kanzlei. Nach erfolgreichem Bestehen des 2. Staatsexamens hatte ich das Glück, für zwei Jahre lang
als Sachbearbeiterin in einer Arge SGB II in der
Widerspruchstelle eine befristete Anstellung gefunden zu haben. Leider (oder inzwischen zum Glück)
wurde diese Stelle nach Ablauf der Befristung nicht
weiter verlängert, sodass ich als junge Mutter vor
der Wahl stand, meine eigenen Akte von den ehemaligen Kollegen bearbeiten zu lassen oder das
erworbene Wissen sinnvoll einzusetzen.
Hartz IV von Anfang an
Also entschied ich mich zu einem mutigen Schritt:
Die Gründung der Kanzlei Corinna Unger. Dabei
stand von Anfang an fest, dass es sich bei dieser
Kanzlei um eine auf das Sozialrecht – und insbesondere das Hartz IV – ausgerichteten Kanzlei handeln soll. Diese Entscheidung gleich zu Beginn der
Gründung war außerordentlich wichtig, da das gesamte Marketingkonzept und auch die sonst noch
zu berücksichtigenden Dinge hierauf auszurichten
waren. Zunächst habe ich einen Businessplan erstellt und errechnet, welche finanziellen Mittel zur
Eröffnung dieser „Hartz IV-Kanzlei“ notwendig sein
würden. Das waren gar keine so großen Kosten, so
dass eine Fremdfinanzierung nicht notwendig war.
Wichtig war auch die Auseinandersetzung mit Konkurrenten, wobei ich feststellen konnte, dass es nur
eine geringe Anzahl Fachanwälte für Sozialrecht in
Gera gibt, und ich aus meiner Behördentätigkeit ja
wusste, wie viele der ortsansässigen Anwälte wirklich über fundiertes Wissen verfügen.
Als junge Mutter vor die Wahl gestellt: Hartz IV oder eigene Kanzlei.
Foto: sonne-lacht-blende-8
Büro mit Ikea-Möbeln
Als Nächstes mussten geeignete Büroräume gesucht und angemietet werden, wobei auch hierbei
wiederum auf die zu erwartenden Mandanten
Rücksicht zu nehmen war. Dies sind in einer Kanzlei für Sozialrecht vor allem Leistungsempfänger
ohne umfangreiche finanzielle Möglichkeiten,
weshalb sich meine Kanzleiräume unmittelbar im
Stadtzentrum an einem Hauptschnittpunkt der
öffentlichen Verkehrsmittel befinden. Die Büroräume wurden so gewählt, dass der Mandant ohne
„Scheu“ den Weg zum Anwalt findet, das heißt die
Büroräume befinden sich nicht in einer pompösen
Villa, sondern in einem normalen Bürogebäude und
sind auch nicht mit Parkett und rustikaler Einrichtung, sondern „mit Möbeln eines schwedischen
Einrichtungshauses“ ausgestattet.
Es mussten vor Eröffnung der Kanzlei viele unterschiedliche, kostenauslösende Entscheidungen
wie zum Beispiel zur Kranken- und Berufshaftpflichtversicherung getroffen werden. Hier empfiehlt es sich besonders, Preise und Angebote
sorgfältig zu vergleichen. Grundsätzlich sollte man
sich aber immer fragen: Was benötige ich für den
Start in die Selbstständigkeit wirklich? Gleich zu
Beginn habe ich mich für die Arbeit mit einer Anwaltssoftware entschieden und bin darüber mehr
als froh. Ohne dieses Programm und insbesondere
sein Vorhandensein vom ersten Tag an, wäre der
Arbeitsalltag nicht zu meistern gewesen. Dazu
kamen so profane Dinge wie die Auswahl eines
Telefonanbieters, schließlich muss das Internet einwandfrei funktionieren und die Wahl einer Bank
für den Geschäftsverkehr.
Flyer an Brennpunkten
Eine weitere wichtige, wenn nicht die wichtigste
Säule für den Kanzleierfolg überhaupt, ist die Bekanntmachung beziehungsweise der Wiedererkennungswert. Die entscheidende Werbemaßnahme wurde daher an einem Sonntag vor Eröffnung
der Kanzlei durchgeführt. Ich ließ 30.000 ganz
einfache, aber einprägsame Flyer im Postkartenformat mit einer der kostenlosen Tageszeitungen
in den „sozialen Brennpunkten der Stadt“ verteilen.
Hierauf war nur der Hinweis enthalten, dass es
jetzt in Gera eine Anwaltskanzlei gibt, die sich mit
Hartz IV beschäftigt und, dass es die Möglichkeit
der Beantragung von Beratungs- und Prozesskostenhilfe gibt.
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Und diese Werbung war der Beginn eines Mandantenandrangs, welcher bis heute anhält. Inzwischen
befinde ich mich im vierten Kanzleijahr. Ich führe
eine Vielzahl von Widerspruchsverfahren und Klageverfahren durch und kann diese in der ganz überwiegenden Anzahl erfolgreich für meine Mandanten
zu Ende führen.
Tag durch die angestellten Rechtsanwaltsfachangestellten geschrieben und versendet werden können. Es gibt eine Vielzahl von selbst entworfenen
Textbausteinen, die nur auf den jeweiligen Sachverhalt angepasst werden müssen.
Aufgaben delegieren
Laut meiner Statistik wurden im letzten Jahr 65
Prozent aller Einnahmen auf dem Gebiet des SGB
II durch die Behörde, also die Gegenseite, gezahlt,
der Rest über PKH, RSV, die Mandanten selbst und
Beratungshilfe. Das bedeutet, dass der ganz überwiegende Anteil der in Rechnung gestellten Gebühren zwar sicher ist, aber oft ein halbes Jahr
vergeht, bis die Staatskasse die Zahlung anweist.
Auch diese Besonderheiten sollten bei einer Kanzleigründung bedacht werden.
Es wurden bislang zirka 2200 Mandate bearbeitet,
wobei es mir natürlich leicht fällt, bereits auf den
ersten Blick die Rechtswidrigkeit eines Bescheides
zu erkennen. Bei Vorsprachen von Mandanten werden daher fast ausschließlich, bereits im Beisein
des Mandaten, die entsprechenden Schriftsätze
diktiert, so dass diese überwiegend noch am selben
Am Anfang ist es mir ziemlich schwer gefallen, anfallende Aufgaben zu delegieren. Doch wenn man
sich überlegt, wie viel wert eine Anwaltsstunde ist,
sollte man so viel anfallende Arbeit wie möglich
weiterleiten. Kostenrechnungen, Wiedervorlagen
oder Buchhaltung sind Dinge, mit denen sich ein
Anwalt nicht beschäftigen muss. Sofern zuverlässiges Personal vorhanden ist, können diese Sachen
durch Refas erledigt werden und brauchen nur
stichprobenartig kontrolliert zu werden.
Mandanten erziehen
Und ganz wichtig für eine funktionierende Kanzlei
ist die Erziehung der Mandanten. Es ist nicht Aufgabe des Anwalts, Beratungshilfeanträge oder
PKH-Anträge auszufüllen und zu kontrollieren. Es
werden immer wieder unausgefüllte Anträge einfach eingereicht und sollen dann durch die Kanzlei
vervollständigt werden: Nein, dies lässt die Zeit
eines Anwalts nicht zu. Dies muss man den Mandanten klar machen und konsequent sein.
Zwischenzeitlich habe ich den Fachanwaltslehrgang Sozialrecht besucht und warte nun auf die
Verleihung des Titels. Entscheidend für den Erfolg
der Kanzlei war also ganz eindeutig die Spezialisierung, die sich konsequent in allem widerspiegelt.
Und die steigenden Umsatz- und Gewinnzahlen
zeigen ja schließlich deutlich, dass das Kanzleikonzept außerordentlich erfolgreich ist.
Fazit
Es gibt auch heute noch einige Rechtsgebiete, in
denen auch Berufseinsteiger erfolgreich arbeiten
können. Wichtigster Punkt sollte jedoch immer
eine entsprechende Spezialisierung und Vermarktung sein.
RAin Corinna Unger, Gera
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DAT 2011 Impressionen
Impressionen DAT 2011
Fotos: Andrea Vollmer
Das Palais des Congrès im französischen Strasbourg
war Veranstaltungsort des diesjährigen DATs.
Das Palais de Congrès in der europäischen Zone
von Strasbourg bietet Architektur aus Glas im Grünen.
Traditionell: das Treffen der Regionalbeauftragten
des FORUMs Junge Anwaltschaft auf dem DAT.
Europa weht über allem. Hier die europäischen
Flaggen vor dem Palais de l'Europe.
Flaute am juris-Stand? Mal sehen, was weiter unten los ist?
Das Palais des Droits de l'Homme beherbergt den
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Das idyllische Viertel Petit France am Ill im Herzen
von Strasbourg.
Ein letztes Mal zusammen. Der bisherige GfA des FORUMs.
Im Bild Manfred Aranowski, Rita Schulz-Hillenbrand, Linda
Schwarzer, Silke Waterschek und Helge Heiner.
Deutscher Anwaltstag auf französischen Boden.
Das Gebäude des Europarates.
Strasbourg gilt auch als Hauptstadt Europas.
Kurze Pause und Zeit für Gespräche.
Die Regionalbeauftragten des FORUMs vor der Sitzung.
Anwaltschaft im Spiegel.
In der komfortablen Lounge im Palais des Congrès konnte
man sich zwischendurch vom Tagungsstress erholen.
24, 25, 26 ...
Auszählung der Stimmzettel zur Wahl des neuen GfA.
Das Palais de l'Europe ist Sitz des Europarates. Dort werden
parlamentarische Versammlungen des Rates abgehalten.
Abstimmung auf der Mitgliederversammlung
des FORUMs.
Im Palais des Congrès.
Trotz der langen Anreise war die Mitgliederversammlung
des FORUMs gut besucht.
Palais de l'Europe in Strasbourg.
Redebeitrag mit Szenenapplaus.
Hartmut Kilger, ehemaliger Präsident des DAV,
auf der Mitgliederversammlung.
Gebäude des Europäischen Parlaments.
Kongressstimmung auf dem DAT.
Frank Röthemeyer (re.) im Gespräch.
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Euer FORUM
Euer FORUM
Frontfrauen bleiben vorn
Die, die die Geschäfte führen
FORUM wählt neuen GfA – Waterschek und Schwarzer bleiben Vorsitzende
Auf dem DAT hat die Mitgliederversammlung einen neuen GfA gewählt
Zuvor berichtete die Vorsitzende über die wichtigsten Ereignisse der vergangenen beiden Jahre.
Hier ist zunächst das gelungene 15-jährige Jubiläum des FORUM zu erwähnen, das Anfang Juni
2010 unter anderem im Hotel „Ellington“ in Berlin
stattfand und den Teilnehmern neben hervorragenden Vorträgen auch eine erstklassige RundumVersorgung, vor allem aber eine „standesgemäße“
Party am Abend bot. Es folgten sodann Berichte zu
den Projekten „Ab in die Vorstände“, Zusammenarbeit mit anderen Arbeitsgemeinschaften des DAV
sowie ein zusammenfassender Bericht hinsichtlich
der DAV-Vorstandswahlen vom 1. Juni 2011 und
den Bemühungen des FORUM, einige Änderungen
in der DAV-Satzung vorzunehmen.
Hände hoch!
Foto: Andrea Vollmer
Am 3. Juni 2011 fand im Rahmen des Deutschen Anwaltstages (DAT) in Straßburg die
jährliche Mitgliederversammlung des FORUM
Junge Anwaltschaft statt. Neben dem umfassenden Bericht der Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses (GfA), Rechtsanwältin
Silke Waterschek, standen die diesjährigen
Wahlen des GfA im Mittelpunkt der Tagesordnung. Mit 42 wahlberechtigten Mitgliedern und
einigen Gästen, darunter der ehemalige DAVPräsident Hartmut Kilger und der ehemalige
Regionalbeauftragte des LG-Bezirks Offenburg
Malte Dedden, war die Versammlung außerordentlich gut besucht.
Während Silke Waterschek, Linda Schwarzer und
Helge Heiner noch einmal kandidierten, traten
Carolin Ott, Wolfram Schlosser und Tobias Sommer
leider nicht mehr für den GfA an. Sie wurden mit
Lob und Dank für das Geleistete von der Vorsitzenden gebührend verab
schiedet.
Jürgen-Schöpe_pixelio.de
Foto:
50
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Bekanntermaßen wurden zwei der drei Änderungsanträge des FORUM Junge Anwaltschaft in der
entsprechenden Versammlung am 12. November
2010 abgelehnt, da die erforderliche, satzungsändernde 2/3-Mehrheit nicht erreicht wurde. Trotzdem erfreute sich das FORUM an großem Zuspruch
für die Änderungswünsche, war die einfache Mehrheit doch immer gegeben. Dennoch, ein gewisses
„Geschmäckle“ bleibt, denn obwohl die Änderungsvorschläge des FORUM noch im Sommer 2010
unterstützt wurden und Zuspruch aus „höheren
Sphären“ erfolgte, wurde diese Unterstützung im
November dann unerwartet und ohne Vorwarnung
versagt. Doch die Message, die nicht nur vom GfA,
sondern auch von den Regionalbeauftragten an die
FORUM-Mitglieder transportiert wird ist ein klares
„Wir geben nicht auf, jetzt erst recht!“.
Die DAV-Vorstandswahl hat zu großer Verwunderung bei den FORUMs-Mitgliedern geführt. Von
drei kandidierenden FORUMs-Mitgliedern wurde
nicht eins in den Vorstand gewählt, was vor allem
in Bezug auf Axel Thönneßen fassungsloses Kopfschütteln bei den Mitgliedern hervorrief. Als Ehrenmitglied des FORUM Junge Anwaltschaft war er
persönlich in der Mitgliederversammlung anwesend und berichtete über den Verlauf der Wahl aus
seiner Sicht. Hierbei äußerte er seinen ganz per-
sönlichen Eindruck, dass es einen gewissen „Gegenwind“ gegen das FORUM gibt und die kandidierenden Mitglieder möglicherweise ganz bewusst
nicht in den Vorstand gewählt wurden. Noch bevor
Axel Thönneßen seinen Platz im Auditorium unter
großem Applaus wieder einnehmen konnte, meldete
sich Hartmut Kilger zu Wort.
Foto: Andrea Vollmer
Dieser verneinte die Vermutung von Axel Thönneßen. Es habe in den letzten Jahren viele Gruppierungen gegeben, die nicht in den DAV-Vorstand
gewählt wurden und daraufhin eine ablehnende
Haltung des DAV vermutet hätten. So hätten sich
nach der Wende beispielsweise die Kollegen aus
den neuen Bundesländern beklagt, wenn keins ihrer
Mitglieder in den Vorstand gewählt wurde. Ebenso
habe es eine Zeit gegeben, wo keine Frau gewählt
wurde, worüber sich dann die Frauen echauffiert
hätten. Dass in diesem Jahr kein FORUMs-Mitglied
gewählt wurde, habe ganz sicher nichts mit dem
FORUM zu tun. Axel Thönneßen, der zuvor bereits
Vorstandsmitglied war und noch sehr aktiv im
FORUM mitarbeitet, teilte diese Ansicht nicht.
Die Sprecherin der im Dezember 2008 gegründeten
Arbeitsgruppe „Junge Insolvenzrechtler“, Rechtsanwältin Ilka Spriestersbach, Regionalbeauftragte LG
Koblenz, berichtete über die Fortschritte und Aktivitäten der vom FORUM Junge Anwaltschaft und
der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung gemeinsam
gegründeten Gruppe. Neben den zweimal im Jahr
stattfindenden Tagesseminaren wird derzeit eine
Workshop-Reihe ins Leben gerufen, die regional
angeboten und spezielle Fachfragen behandeln wird.
Besonders interessant: Für die sogenannten „Juniormitglieder“ der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung wird die Teilnahmegebühr des nächsten
Deutschen Insolvenzrechtstages erheblich reduziert.
Details hierzu werden noch erarbeitet und gesondert bekannt gemacht.
Die ARGE Verkehrsrecht bietet inzwischen ebenfalls
eine Vergünstigung des Mitgliedsbeitrags für FORUMMitglieder an. Auch hier gibt es eine sogenannte
„Juniormitgliedschaft“. Der Jahresbeitrag beträgt
50 Euro.
Nach dem Bericht des Kassenwarts und der Kassenprüfer sowie deren Neuwahl wurde die Sitzung
geschlossen. Wir dürfen gespannt sein auf die
Ereignisse, die bis zur nächsten Mitgliederversammlung in München 2012 noch eintreten werden.
RAin Ilka Spriestersbach, Koblenz
Viele bekannte, aber auch einige neue Gesichter im Geschäftsführenden Ausschuss des FORUMs Junge Anwaltschaft. Auf der Mitgliederversammlung des FORUMs auf dem DAT in Strasbourgh wurde
er für zwei Jahre neu gewählt. RA Christoph Triltsch (Kasse), RAin Linda Schwarzer (RB-Betreuung), RA Frank Röthemeyer (Berufsrecht), RAin Silke Waterschek (Vorsitzende), RA Helge Heiner
(Kooperationen) und RAin Astrid Ackermann (Seminare und Fortbildungen) – (v. l. n. r.) Ausgeschieden sind RA Tobias Sommer, RA Carolin Ott und RA Wolfram Schlosser.
!!!!!!!!!
Zu den weiteren gewählten Kandidaten gehörten
Dr. Christoph Triltsch, Regionalbeauftragter LG Kiel,
Astrid Ackermann, Regionalbeauftragte LG Frankfurt/Main und Frank Röthemeyer, Regionalbeauftragter LG Hechingen und Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses der FORUM Junge Anwaltschaft. Vorsitzende bleibt Silke Waterschek. Linda
Schwarzer ist stellvertretende Vorsitzende und führt
das Ressort „Regionalbeauftragte“ ebenfalls weiter.
Gestatten?
!
Vorstellung der neuen GFA-Mitglieder
Dr. Christoph Triltsch ist seit Anfang 2006 als selbständiger Rechtsanwalt
in Lübeck tätig. Seit 2008 ist er Regionalbeauftragter des FORUMs für den
Landgerichtsbezirk Kiel. Im neuen Geschäftsführenden Ausschuss wird er
insbesondere für die Kasse zuständig sein und sich wie bisher auch im
Ausschuss Berufsrecht des FORUM Junge Anwaltschaft engagieren.
Astrid Ackermann ist seit 2007 als Rechtsanwältin zugelassen, betreibt
in Frankfurt am Main eine Kanzlei im Medien- und IT-Recht und ist dort
auch Regionalbeauftragte. Im Geschäftsführenden Ausschuss wird sie für
das Ressort „Seminare & Fortbildungen“ zuständig sein. Außerdem fällt
der Relaunch der Homepage des FORUMs in ihren Aufgabenbereich.
Frank Röthemeyer ist seit 2004 Rechtsanwalt in Balingen und für das
FORUM Regionalbeauftragter für den LG-Bezirk Hechingen. Seit Anfang
2011 ist er Vorsitzender des Berufsrechtsausschusses des FJA. Im GfA will
er sich besonders für die berufsrechtlichen Themen einsetzen, die aktuell
diskutiert werden und von großer Bedeutung für junge AnwältInnen sind.
✗
Der Geschäftsführende Ausschuss des FORUMs Junge Anwaltschaft
wird jeweils für zwei Jahre gewählt. Kandidieren kann jeder, der
Mitglied im FORUM Junge Anwaltschaft ist.
ADVOICE 02 /11
51
Euer FORUM
Das FORUM ist:
Die Stimme der jungen Anwälte.
Eine der größten Arbeitsgemeinschaften
innerhalb des Deutschen Anwaltvereins
(DAV).
Das FORUM bietet:
Fortbildungen. Netzwerke.
Lobby. Starthilfe.
Antworten und Hilfe
für den Berufsstart und die ersten
Berufsjahre.
Kostenlos:
Anwaltsmagazin AdVoice
Mit Schwerpunktthemen,
Erfahrungsberichten
Unterhaltsames und Wissenswertes aus
der Anwaltschaft, Mitgliederinformationen
und natürlich viel Service: Checklisten,
Fachanwaltssteckbriefe, Steuerinfos, Tipps
zur Haftungsvermeidung u. v. m.
Teilnahme an der Mailingliste,
fachliche Unterstützung durch Kollegen,
Antworten auf fast jede Frage des
Anwaltsalltags, Terminvertretungen,
Fällen von Kollegen
günstige Konditionen für die
Berufshaftpflichtversicherung
Mit HDI-Gerling besteht ein Abkommen
mit hohem Sparpotenzial exklusiv für
FORUMsmitglieder
Fortbildung:
eigene Seminare und günstigere
Konditionen bei anderen Anbietern
z. B. Mitglieder-Rabatt teilweise bis zu
50 Prozent bei der Deutschen
AnwaltsAkademie
Netzwerk und Erfahrungsaustausch
national
Regelmäßige Stammtische in den allen
LG-Bezirken. Kontakte zu örtlichen und
überörtlichen jungen Kolleginnen und
Kollegen. Regionalbeauftragte als
Ansprechpartner, die Euch gern vor
Ort weiterhelfen.
Netzwerk international
Länderbeauftragte als Ansprechpartner bei
grenzüberschreitenden Rechtsproblemen.
Kontakte zu internationalen
Organisationen junger Anwälte und
Mitgliedschaft in der European Young
Lawyers Bar Association.
Schwäbisches Allerlei
Eine Mitgliedschaft zahlt sich aus:
Vorteile für alle Anwälte, Assessoren
und Referendare bis 40 Jahre
(Diese Vorteile bietet nur das FORUM
Junge Anwaltschaft.)
Vertretung der Interessen
der jungen Anwaltschaft in der
Berufspolitik und der anwaltlichen
Selbstverwaltung
Vergünstigte Teilnahme
bei Veranstaltungen, z. B. beim Deutschen
Anwaltstag und Anwaltstagen der Länder
VORTEILE
für alle, die (noch) nicht im DAV sind
Kostenlos: 11x jährlich das Anwaltsblatt
günstige Konditionen des DAV
(http://anwaltverein.de/leistungen/rabatte)
· Auto & Verkehr: z. B. Sonderboni beim
Autokauf, vergünstigte Mietewagen
· Hotels: Mitgliederrabatte des
DAV in vielen Hotels
· Fortbildung/Webdienste: z. B. juris DAV
· Kommunikation: Rahmenabkommen
für Mobilfunk-Rabatte
· Versicherungen: z. B. bei der
Krankenversicherung und
Altersversorgung
Rahmenabkommen für kostenlose
Kreditkarten
NJW-Abo-Ermäßigung um 22 Euro
jährlich (Referendare erhalten vom Verlag
weitere Ermäßigungen)
VORAUSSETZUNGEN
für eine Mitgliedschaft:
Anwältin/Anwalt unter 40 Jahren,
Referendare und Assessoren
Jährlicher Mitgliedsbeitrag 50 Euro
Ermäßigungen auf 25 Euro:
1. bei Eintritt ab Juli eines Jahres
2. für Mitglieder eines dem DAV
angeschlossenen Anwaltvereins
Beitritt online: www.davforum.de/anmeldung
Tagungsbericht ARGE Transport- und Speditionsrecht
Zum zweiten Mal fand am 6./7. April 2011 die
Jahrestagung der ARGE Transport- und Speditionsrecht im DAV als Mehrtagesveranstaltung
statt. Nach der Auftaktveranstaltung, welche
im Jahre 2010 standesgemäß auf einem Schiff
im Hamburger Hafen tagte (vgl. AdVoice 2/2010,
S. 56) trat in diesem Jahr die Allianz-Versicherungs-AG in Stuttgart als Gastgeber auf.
Aufgrund der ständig wachsenden, internationalen
Warenströme sowie der immer stärker globalisierten
Wirtschaft handelt es sich beim Transport- und Speditionsrecht um einen Bereich, welcher international
ausgebildete Juristen anspricht, die den Blick über
den Tellerrand nicht scheuen und gerne auch mit
grenzüberschreitendem Bezug tätig sind. Gleichwohl
handelt es sich bei dieser Fachanwaltschaft um eine
eher kleine Fachanwaltschaft, deren Zahl in den
letzten Jahren konstant geblieben ist. Aktuell sind
zirka gut 500 Rechtsanwälte in Deutschland mit
diesem Schwerpunkt tätig.
Bunt gemischt wie das Abendessen am ersten Tag,
welches nach Einschätzung einheimischer Schwaben
ein Potpourri der Schwäbischen Küche darbot, war
auch das Programm der Veranstaltung. Angefangen
bei den Folgen des Handels- und Beförderungsembargos gegen den Iran ging es über „das Windhundprinzip“ bei konkurrierenden Verfahren in Europa,
welches sich mit der unterschiedlichen Rechtsprechung deutscher und niederländischer Gerichte befasste, weiter über einen Vortrag zu den „möglichen
Fallstricken einer Streitverkündung“ und die neuere,
transportrechtliche Rechtssprechung des OLG Düsseldorf schließlich zum Verwerfungsbeschluss nach §
522 Abs. 2 ZPO. Die interessanten Vorträge, welche
zeigen, wie facettenreich die Fachanwaltschaft Transport- und Speditionsrecht ist, waren eingebettet in
teilweise lebhafte Diskussionen mit dem Auditorium.
➩
FORUM
Junge
Anwaltschaft
im DAV
Termine
12. August 2011
Die Gesamtzahl der Teilnehmer belief sich in diesem
Jahr auf 62. Der Preis der Veranstaltung lag mit 190
Euro für Mitglieder der ARGE Transport- und Speditionsrecht im DAV beziehungsweise EUR 250 Euro
für Nichtmitglieder im unteren bis mittleren Rahmen dessen, was man vergleichbar bezahlt. Einen
Rabatt für Mitglieder des Forums gab es (noch) nicht.
Leider war trotz eines recht langen Arbeitstages
(Start neun Uhr morgens, Ende 16 Uhr nachmittags)
die Zahl der zu erzielenden Fortbildungsstunden
für den Erhalt der Fachanwaltschaft auf sechs beschränkt, so dass auch diesmal der Besuch der Veranstaltung nicht ausreichend war, um die Fortbildungspflicht von zehn Stunden jährlich in vollen
Umfang zu erfüllen. Die Veranstalter kündigten
jedoch an, diesen „Mangel“ im nächsten Jahr beheben zu wollen. In Frankfurt ist, in Zusammenarbeit
mit der Fraport AG, eine Zwei-Tages-Veranstaltung
geplant, welche der Fortbildungspflicht für Fachanwälte in vollem Umfang genügen würde. Voraussichtliches Datum hierfür ist der 18./19.4.2012.
Warnemünde
Warnemünder Anwaltstag
Landesanwaltstag
Mecklenburg-Vorpommern
Thema: Gebührenrecht
Teilnahmegebühren:
DAV-Mitglieder 99 €
Mitglieder FORUM Junge Anwaltschaft 79 €
Referendare 49 €
26./27. August 2011
Dessau-Roßlau
10. Landesanwaltstag Sachsen-Anhalt
28./29. Oktober 2011
Darmstadt
FORUM + 3
Carsten Vyvers, Frankfurt/M.
Transport- und Speditionsrecht: Blick über den Tellerrand auf internationale Warenströme.
Foto: Marvin Siefke_pixelio.de
Anmeldung über:
DeutscheAnwaltAkademie
Tel.: 030/726153-181
[email protected]
www.anwaltakademie.de
11./12. November 2011
Gelsenkirchen
Berufseinsteigerforum
„Start in den Anwaltsberuf“
Anmeldung über:
DeutscheAnwaltAkademie
Tel.: 030/726153-181
[email protected]
www.anwaltakademie.de
ADVOICE 02 /11
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Euer FORUM
Euer FORUM
Vier sind drin
Anfechtung und Anwaltshonorar
FORUMs-Mitglieder in der Satzungsversammlung
Ein Seminarbericht der Arbeitsgruppe Junge Insolvenzrechtler
In nahezu allen Kammerbezirken liegen zwischenzeitlich die Ergebnisse für die Wahlen zur Satzungsversammlung vor. Zeit also für die Wahlnachlese,
vor allem für die Bezirke, in denen das FORUM eigene Kandidaten unterstützt hat. Um es gleich vorwegzunehmen: leider hat es nicht für alle Kandidaten gereicht, was wir sehr bedauern, zumal in
den meisten Fällen nur wenige Stimmen gefehlt
haben. Hier hat sich die Reduzierung der Delegiertenzahl um die Hälfte schmerzhaft bemerkbar gemacht. Wären genauso viele Delegierte gewählt
worden wie beim letzten Mal, dann wären wohl
alle FORUMs Kandidaten erfolgreich gewesen. So
hat es aber nicht geklappt im Kammerbezirk Hamm,
im Kammerbezirk Stuttgart und im Kammerbezirk
Schleswig-Holstein. Im Kammerbezirk Köln hat es
eine der beiden Kandidatinnen geschafft, die andere
aber leider nicht. Wir gratulieren herzlich zur Wahl
Regina Rick, München / Linda Schwarzer, Köln /
Stefan Paul, Dresden / Sabine Geistler, Freiburg
und freuen uns auf eine produktive und enge Zusammenarbeit.
Wir würden uns natürlich freuen, wenn die Erfolge
unserer Kandidaten andere Mitglieder dazu motivieren könnten, ihrerseits bei Wahlen ihres Anwaltvereins oder ihrer Kammer anzutreten, wobei das
FORUM unter dem Motto „Ab in die Vorstände“
hierzu nach Kräften Unterstützung anbietet. Auch
wäre es schön, die jetzt nicht gewählten Kandidaten bei anderer Gelegenheit wieder mit ebensoviel Elan und Engagement anzutreffen.
RAin Carolin Ott, Landshut
Regina Rick
Stefan Paul
Linda Schwarzer
Sabine Geistler
Medien und Anwaltschaft
Die Arbeitsgruppe Junge Insolvenzrechtler, die
als gemeinsame „Tochtergruppe“ des FORUMs
Junge Anwaltschaft und der Arbeitsgemeinschaft
Insolvenz und Sanierung im DAV gebildet wurde,
hatte Anfang Mai zu ihrer 6. Veranstaltung nach
München geladen. Thema waren die Grundlagen
der Insolvenzanfechtung, die vom Referenten,
Herrn Prof. Dr. Michael Huber, Präsident des
Landgerichts Passau, sehr eingängig und ansprechend aufbereitet wurden.
Aufbauend auf einer Checkliste zur Prüfung von
Anfechtungsansprüchen behandelte Prof. Huber
die Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung und
die gängigsten Anfechtungstatbestände. Mit vielen
Skizzen und Anekdoten schaffte es der Referent,
die Teilnehmer den ganzen Tag durch die äußerst
praxisrelevante, aber stellenweise doch unübersichtliche Thematik zu geleiten. Bemerkenswert
war, dass Prof. Huber immer Wert darauf legte,
Tipps für die tägliche Arbeit zu geben, z. B. indem
er für Insolvenzverwalter Methoden zum Aufspüren von anfechtbaren Handlungen aufzeigte.
Diskutiert wurde auch über eine Gefahr, die Anwälten generell bei der Insolvenz eines (früheren)
Mandanten droht, wenn der Anwalt oder die An wältin Forderungen des Mandanten eingetrieben
hat, aber nicht bezahlt wurde. Hat ein Drittschuldner des Mandanten an den Anwalt auf der Grund lage von dessen Geldempfangsvollmacht gezahlt,
liegt die Überlegung nahe, mit den Honoraransprüchen gegen den Auszahlungsanspruch des Mandanten aufzurechnen. Diese Aufrechnung ist jedoch unzulässig und unwirksam, wenn innerhalb
von drei Monaten nach der Aufrechnung ein Insolvenzantrag über das Vermögen des Mandanten
gestellt wird.
Die Befriedigung des Anwalts war im geschilderten
Fall inkongruent und anfechtbar nach § 131 InsO,
da er regelmäßig nach dem Mandatsvertrag keinen
Anspruch auf Befriedigung durch Aufrechnung,
sondern nur einen Zahlungsanspruch gegen den
Mandanten hat. Der Insolvenzverwalter muss die
Zahlung jedoch nicht gesondert anfechten, sondern kann einfach die Auskehr der Mandantengel-
der verlangen, da dieser Anspruch nicht durch die
unzulässige Aufrechnung erloschen ist (§ 96 Abs. 1
Nr. 3 InsO). Der Anwalt kann seine Honorarforderung dagegen nur zur Insolvenztabelle anmelden
(§§ 87, 174 ff. InsO) und erhält im besten Falle eine
geringe Quote ausgezahlt. Anfechtungsfest kann
daher vom Anwalt nur dann aufgerechnet werden,
wenn ihm vom Mandanten die einzutreibende Forderung bereits im Mandatsvertrag zur Sicherung
der Honoraransprüche abgetreten wurde.
Die nächste Veranstaltung der Arbeitsgruppe Junge
Insolvenzrechtler wird Anfang Dezember diesen
Jahres stattfinden. Ort und Thema wird der Beirat
rechtzeitig bekannt geben. Außerdem setzt die Arbeitsgruppe im Herbst ihre Workshopreihe fort, in
der in regionalen, halbtägigen Veranstaltungen über
praktische Fragen in der Insolvenz diskutiert wird.
Dr. Claudia Cymutta, Mannheim
Auf dem 4. Stuttgarter Anwaltstag wurde um gegenseitiges Verständnis geworben
Woher kommt das Honorar, wenn auch noch der Mandant insolvent ist?
Der 4. Stuttgarter Anwaltstag am 28. März war
sicher ein Höhepunkt im Jahreskalender der
Stuttgarter Anwaltschaft. Nach der Begrüßung
folgten Fortbildungen im Bereich Mietrecht, Arbeitsrecht, Familienrecht und Verkehrsrecht, die
in jeweils drei auf die Forbildungspflicht anrechenbaren Fortbildungsstunden einen Einblick
in die aktuelle Rechtsprechungsentwicklung in
den jeweiligen Fachgebieten gaben.
Die Referenten konnten sich durchweg blicken
lassen: Herr Borth kennt sich mit der Handhabung
der Familienrechtsrechtsprechung bestens aus. Er
hat die Bundesgesetzgebung dadurch beeinflusst
und wusste interessante Fallgestaltungen zu erzählen.
Mit Feingefühl für die Geschichten, die hinter dem
Rechtsfall stecken, vermittelt er auch „Softskills“. Im
Verkehrsrecht gab es einen Überblick über die derzeit
aktuellen Brennpunkte. Für Mietrecht und Arbeitsrecht standen in den Tagungsunterlagen die Skripte
für die Vorträge ebenfalls allen Anwaltstagsbesuchern zur Verfügung.
54
ADVOICE 02 /11
Einer der Höhepunkte war auch der Vortrag von
Bernhard Töppert, der als Journalist aus Funk und
Fernsehen bekannt ist. Dieser ging auf verschiedene Aspekte der Zusammenarbeit und Wechselwirkung von Medien und Anwaltschaft ein. Mit
aktuellen Fällen und Videoeinspielungen illustrierte
er seine Botschaft. Dabei ging es ihm darum, das
gegenseitige Verständnis und die Sensibilität für
die Belange der Medien und der Anwaltschaft zu
fördern. Dies ist sicherlich bei der noch immer
oftmals bestehenden Unsicherheit der Anwaltschaft
gegenüber den Medien gut gelungen.
In den Vortragspausen war eine umfassende Verpflegung mit Kaffee und Mittagessen gewährleistet. Die
Besucherdichte war recht gut dafür, dass der Anwaltstag an einem Montag stattfand. Der Vorteil
eines regionalen Anwaltstages ist in jedem Fall, dass
man bekannte Gesichter wiedersieht und Gespräche sich schnell durch Gemeinsamkeiten entwickeln.
Der Stand des Anwaltvereins Stuttgart und des
FORUMs Junge Anwaltschaft stand den ganzen
Anwaltstag zur Verfügung.
Sehr gerne wurde die Zeitschrift AdVoice mitgenommen. Auch ältere Kollegen interessierten sich dafür
und versprachen, bei ihren jüngeren Kollegen für die
Arbeitsgemeinschaft der jungen Anwälte zu werben.
Vor allem die Werbemittel waren sehr beliebt. Es
ergaben sich nette Gespräche mit Kollegen, die sich
auch für den Stammtisch des FORUMs interessierten
und tatsächlich auch zum April-Stammtisch kamen.
In zwei Jahren wird dann der 5. Stuttgarter Anwaltstag stattfinden. Ein herzliches Dankeschön an den
Anwaltsverein Stuttgart, der die hervorragende
Organisation übernommen hat und dem FORUM
Junge Anwaltschaft immer hilfreich zur Seite steht.
RAin Gabriele Knöpfle, Stuttgart
Nicht nur wer lesen, sondern auch wer
schreiben kann, ist klar im Vorteil. Berichtet
uns über Veranstaltungen, an denen ihr
teilgenommen oder aktiv mitgewirkt habt.
> [email protected]
Foto: duxschulz_pixelio.de
Profit maximieren
Mitglieder des FORUMs Junge Anwaltschaft,
die sich mehr oder weniger mit dem Insolvenzrecht befassen und Mitglied in einem
örtlichen Anwaltsverein sind, können bei
Eintritt in die Arbeitsgemeinschaft Insolvenz
und Sanierung doppelt profitieren:
Sie können für fünf Jahre die Juniormitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft Insolvenz und Sanierung beantragen, mit der
der Jahresbeitrag auf 10 Euro ermäßigt wird.
Außerdem können sie Mitglied in der Arbeitsgruppe Junge Insolvenzrechtler werden
und an deren Veranstaltungen zu einem
vergünstigten Beitrag teilnehmen.
ADVOICE 02 /11
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Euer FORUM
Euer FORUM
unter den Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen
allgemein als auch unter den Fachanwälten und
Fachanwältinnen im Besonderen begründen könnten. Bevor in dieser Hinsicht belastbare Feststellungen nicht getroffen sind, ist nach Auffassung
des FORUM Junge Anwaltschaft Handlungsbedarf
durch nichts begründet.
Fachanwalt und „Zentralabitur“
Stellungnahme zum Entwurf der Satzungsversammlung
tenzen und damit einhergehend auf die Erschwerung des Zuganges zu den Fachanwaltschaften für
junge Kolleginnen und Kollegen darstellen.
Das FORUM Junge Anwaltschaft im DAV sieht sich
deshalb veranlasst, die in der immer noch aktuellen
Diskussion wesentlichen Gesichtspunkte der Ablehnung sowohl der Übertragung der Prüfungskompetenz als auch der Einführung eines „Zentralabiturs“ aus Sicht gerade der direkt davon
betroffenen Jungen Anwältinnen und Anwälte
darzustellen.
Das bisherige System der Nachweise besonderer
Kenntnisse im entsprechenden Fachgebiet gem.
§ 43c BRAO in Verbindung mit der Fachanwaltsordnung wird grundsätzlich als gut und im Kern
nicht als korrekturbedürftig angesehen. Insbesondere wird das Konzept eines „Zentralabiturs“ mit
alleiniger Prüfungskompetenz der Rechtsanwaltskammern abgelehnt. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, den durch die 4. Satzungsversammlung
angestrebten Änderungen des § 43 c BRAO auch
weiterhin nicht nachzugeben.
Das FORUM lehnt ein inhaltliches Prüfungsrecht der RAK bei Fachanwaltstiteln ab.
Der Geschäftsführende Ausschuss des FORUM
Junge Anwaltschaft hat einen Ausschuss Berufsrecht des FORUM Junge Anwaltschaft eingerichtet. Dieser hat zum Thema Fachanwalt
und „Zentralabitur“ und zum entsprechenden
Entwurf der Satzungsversammlung die nachfolgende Stellungnahme verfasst, die innerhalb
des DAV verteilt wurde. Die Stellungnahme ist
auch abrufbar unter www.davforum.de.
Das FORUM Junge Anwaltschaft im DAV begrüßt
die aktuelle Mitteilung des Bundesjustizministeriums vom 3.5.2011 an den Präsidenten der Bun desrechtsanwaltskammer, wonach der Vorschlag
der 4. Satzungsversammlung, den Rechtsanwaltskammern ein inhaltliches Prüfungsrecht bei der
Entscheidung über die Verleihung von Fachanwaltstiteln einzuräumen, abgelehnt wird.
56
ADVOICE 02 /11
Foto: Thomas Siepmann_pixelio.de
Die Justizministerin begründet ihre Entscheidung
damit, dass noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Anwaltschaft darüber bestünden, ob und wie die Regelungen in der BRAO
über die Fachanwaltschaften geändert werden
sollten.
Das derzeitige Bestreben der Kammern dient augenscheinlich und vordringlich dem Zweck, den
Kammern ein Prüfungsmonopol zu übertragen. Es
besteht die Befürchtung, dass mit dieser Alleinstellung eine „closed-shop“-Situation mit erheblicher Zugangsbeschränkung besonders für Berufseinsteiger entstehen könnte. Gerade in kleinen
Bundesländern und Kammerbezirken würden sich
die Ausschussmitglieder der Rechtsanwaltskammern dem Vorwurf ausgesetzt sehen, wachsende
Konkurrenz verhindern zu wollen.
1.)
Dem ist insoweit zuzustimmen, denn auch das
FORUM Junge Anwaltschaft als ein nicht unerheblich großer Teil der Anwaltschaft missbilligt ein
inhaltliches Prüfungsrecht von Kollegen, welches
diese gegenüber ihren eigenen künftigen Mitbewerbern auf dem Anwaltsmarkt ausüben könnten, ganz ausdrücklich.
Das FORUM Junge Anwaltschaft hat aus der aktuellen Diskussion um das „Zentralabitur“ und die
Übertragung der Prüfungskompetenz die Notwendigkeit der Qualitätssicherung im Hinblick auf die
Anforderungen beim Erwerb eines Fachanwaltstitels – und das Recht, die Fachanwaltsbezeichnung
weiter zu führen – als wesentliches Interesse der
Anwaltschaft verstanden. Gerade für junge Kollegen
und Kolleginnen ist die Möglichkeit des Nachweises
einer Qualifizierung von dauerhaftem Interesse.
Allerdings dürfte die Entscheidung der Justizministerin noch nicht das Ende des Bemühens vieler
Kammern auf Übertragung der begehrten Kompe-
Es ist allerdings vorab festzuhalten, dass es nach
aktueller Kenntnis keine empirischen Feststellungen
gibt, die überhaupt einen Qualitätsverfall sowohl
Eine Abgrenzung der schon tätigen „alten“ Fachanwälte und Fachanwältinnen zu „neuen“ Fachanwälten und Fachanwältinnen erscheint ohnehin
nicht wünschenswert und tatsächlich kaum durchführbar. Eine Aberkennung der nach ursprünglicher
Fachanwaltsordnung verliehenen Titel kommt
nicht in Betracht, auch eine Kennzeichnung oder
Nachschulung würde allenfalls zu einem ZweiKlassen-System und der Verwässerung der Fachanwaltstitel insgesamt führen. Dem falschen Rückschluss, dass „alte“ Fachanwälte und Fachanwältinnen weniger qualifiziert seien als die dann
„neuen“ Fachanwälte und Fachanwältinnen muss
mit einer klaren Absage an das vorgeschlagene
Konzept der Satzungsversammlung entgegen getreten werden. Schließlich sollten rechtsuchende
Bürger Sicherheit bei der Wahl eine Rechtsanwaltes/einer Rechtsanwältin durch die Fachanwaltsbezeichnung finden. Eine Untergliederung und Titel
unterschiedlicher Art würden nur verwirren und
eher vor einem rechtzeitigen Gang zum Anwalt/zur
Anwältin abhalten.
Ebenso falsch ist die Vorstellung, dass jüngere
Kollegen und Kolleginnen aufgrund der fortschreitenden Spezialisierung eine umfangreichere Fach anwaltsausbildung benötigen.
Im Gegenteil fallen gerade die oft als „Berufseinsteiger“ und „wenig erfahren“ bezeichneten Kollegen
und Kolleginnen durch eine unterdurchschnittliche
Zahl von Haftungsfällen bei den Versicherern auf.
Zudem sollte der vorbereitende Fachanwaltslehrgang nicht in erster Linie Kandidaten und Kandidatinnen hervorbringen, welche besonders gut geeignet sind an drei vorbestimmten Tagen Klausuren
zu schreiben, sondern insbesondere Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen, welche bestmöglich
die Interessen ihrer (zukünftigen) Mandanten und
Mandantinnen zu vertreten wissen.
Jeder Referent und jede Referentin – zumeist erfahrene Kollegen und Kolleginnen – kann aus
eigener praktischer Erfahrung besondere Hinweise
geben, welche bei der Angleichung auf einen ge meinsamen (kleinsten?) Nenner verloren gingen.
Die angestrebte Gleichheit der Schwierigkeitsanforderungen bei der Wissensvermittlung und theoretischen Prüfung könnte konsequent ohnehin nur
durch einen von bislang keiner Seite gewünschten
Multiple-Choice-Test erreicht werden. Eine gewisse
Freiheit in der Wissensvermittlung erscheint deshalb im Umkehrschluss zwingend.
Rücksicht zu nehmen wäre aus Sicht des FORUM
Junge Anwaltschaft auch auf die terminlichen Be dürfnisse erkrankter Kollegen und Kolleginnen
sowie auf den hohen Anteil der Kolleginnen, die
Mutter sind. Mit nur zwei jährlichen Klausurblöcken
als zentrale Prüfungen wären faire Chancen un realistisch und im Ergebnis eine durch nichts gerechtfertigte und abzulehnende Ungleichbehandlung. Schlussendlich sieht das FORUM Junge Anwaltschaft die Gefahr deutlich steigender Kosten
der Kandidaten sowohl wegen der zentralen Prüfungen als auch aller Rechtsanwälte durch steigende Kammerbeiträge. Es erscheint nicht plausibel,
vor allem im Hinblick auf Raummieten, Personal kosten, Kosten für die Erstellung von Klausuren und
Korrekturen die bisher nicht angefallenen Positionen ohne Beitragssteigerung bewältigen zu
können. Die Entscheidung über den Erwerb eines
Fachanwaltstitels noch mehr als bisher von finan zieller und nicht geistiger Leistungsfähigkeit abhängig zu machen, widerspricht genau dem Ziel der
Sicherung der Qualität anwaltlicher Dienstleistungen.
Aus Sicht des FORUM Junge Anwaltschaft gibt es
somit keinen vernünftigen Grund, das bestehende
System in der grundsätzlichen Konstruktion zu verändern.
2.)
Mit dem Ziel „Qualitätssicherung statt Zugangsbeschränkung“ plädiert das FORUM Junge Anwaltschaft für die grundsätzliche Beibehaltung des
bisherigen Systems bei moderaten Anpassungen in
einzelnen Aspekten. Der Schwerpunkt ist dabei
eher zu setzen bei den Vorschriften über den langfristigen Erhalt der Fachanwaltsbezeichnung, nicht
beim Erwerb. Insoweit wären allerdings weitergehende Studien über den zu einzelnen Fachanwaltschaften bestehenden konkreten Bedarf im Vorfeld
anzustreben.
Die von der Satzungsversammlung in ihrem bisherigen Entwurf angestrebte Heraufsetzung der
Fortbildungsverpflichtung von 10 auf maximal 15
Stunden je Kalenderjahr würde im Sinne der Sicherung einer weiterhin hohen Qualität nach Erwerb
des Fachanwaltstitels grundsätzlich unterstützt,
wobei auf weitere als bisher bestehende Sanktionen zu verzichten ist und andererseits der Zugang zur Fachanwaltschaft flexibilisiert werden
sollte. Der verantwortungsbewusste Fachanwalt
wird die Anzahl an Weiterbildungsstunden jährlich
absolvieren, die ihm notwendig erscheint, um die
aktuellen Gegebenheiten seines Fachgebiets fundiert seinen Mandanten und Mandantinnen, Gericht und Gegner vermitteln zu können. Fortbildungsunwillige wird man jedoch weder über die
gesteigerte Anzahl von weiteren Weiterbildungsstunden noch durch etwaige Sanktionen erreichen.
Ansatzpunkt kann – sofern man den Rechtsanwalt
und die Rechtsanwältin auch als Dienstleistungsunternehmen versteht – nach Auffassung des
FORUM Junge Anwaltschaft nur der (potentielle)
Mandant/die Mandantin sein. Dieser muss zukünftig (und kann es bereits heute durch die Fortbildungsbescheinigung des DAV) in der Lage sein,
durch die transparente Dokumentation der Fortbildung die jeweilige Qualifikation des Fachanwalts
und der Fachanwältin erkennen zu können. Im Vergleich mit anderen freien Berufen, wie z. B. Steuerberatern, wäre der solchermaßen dokumentierte
Fortbildungsaufwand auch in heraufgesetztem
Umfang vertretbar.
Auch die Möglichkeit, eine nicht bestandene Klausur oder ein Defizit in der nachzuweisenden Fallzahl durch ein freiwilliges Fachgespräch kompensieren zu können, wird als grundsätzlich sinnvoll
erachtet. Gewünscht wäre aus Sicht des FORUM
Junge Anwaltschaft in diesem Falle die Aufwertung
des fakultativen Fachgespräches durch eine höhere
Wertung mit bis zu 25 % im Verhältnis und/oder als
Kompensation zu den zu erbringenden theoretischen und praktischen Nachweisen. Gerade der
Praxiskompetenz als wesentlicher Teil der Qualifikation würde hierdurch ein höherer Stellenwert
eingeräumt.
Die Flexibilisierung des maßgeblichen Bewertungszeitraumes und die Anpassung der nachzuweisenden Fallzahlen je nach Besonderheit des jeweiligen
Fachgebietes wäre insoweit weiterführender als
eine Umgestaltung des gesamten Systems. Nicht
die Menge der Fälle sondern die Qualität der Bearbeitung macht den Fachanwalt und die Fachanwältin wesentlich aus.
Des Weiteren befürwortet das FORUM Junge Anwaltschaft die Qualifizierung und Zertifizierung der
Anbieter sowohl der Fachanwaltslehrgänge als
auch der (Pflicht-)Fortbildungsveranstaltungen. Ob
die Satzungsversammlung hierzu Vorgaben machen
kann, wird allerdings mit Skepsis gesehen. Praktikabler dürfte die Beauftragung eines externen
Institutes sein. Der mit einer Qualifizierung und
Zertifizierung der Anbieter verbundenen Sicherung
der hohen Standards beim Erwerb der theore tischen Kenntnisse und bei den laufenden Fortbildungen sollte – unabhängig von der Frage der
Prüfungskompetenz und der Einführung eines
zentralen Klausurexamens – aus Sicht des FORUM
Junge Anwaltschaft im Rahmen der Reformpläne
eine zeitlich vorrangige und deutlich hervorgehobene Bedeutung zukommen.
23. Mai 2011
Mitglieder des Ausschusses:
Frank Röthemeyer, Balingen (Vorsitzender)
Dr. Christoph Triltsch, Lübeck
Juliane Ernst, Gera
Monique Köster, Rostock
ADVOICE 02 /11
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Euer FORUM
Regionalbeauftragte
stellen sich vor
Regionalbeauftragter RA Markus Groll
für den LG-Bezirk München
Nach sieben Jahren beherzten Einsatzes für das
FORUM hat Sirka Huber das Amt des Regionalbeauftragten für die LG-Bezirke München I und II
abgegeben. Ich freue mich, seit 1. April dieses
jahres in ihre Fußstapfen treten zu dürfen.
Ich bin 33 Jahre alt, wurde in Starnberg geboren
und ging dort zur Schule. Nach meinem Zivildienst in Russland studierte ich in München, wo
ich auch mein Referendariat absolvierte. Danach
verwirklichte ich meinen Studientraum und bin
seit 2008 selbständiger Anwalt für Immobilienrecht in München.
Foto: Michaela Schöllhorn_pixelio.de
Als neue Regionalbeauftragte für den LG-Bezirk
Berlin habe ich ab Mai 2011 die Nachfolge von
Karsten U. Bartels angetreten. Anlässlich dessen
möchte ich mich kurz vorstellen:
Ich bin seit Februar 2010 in Berlin als Rechtsanwältin zugelassen. Schwerpunkt meiner anwaltlichen Tätigkeit bei RöverBrönner ist die steuerund gesellschaftsrechtliche Gestaltungsberatung.
In meiner Funktion als Regionalbeauftragte liegt
mir insbesondere die Fortführung des monatlichen Stammtischs am Herzen, der jeden 3. Montag im Monat um 19.30 Uhr im Restaurant „Cum
Laude“ der Humboldt-Universität zu Berlin, Universitätsstraße 4, stattfindet.
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NEU
Unser Stammtisch, zu dem ich herzlich einlade,
findet jeden ersten Mittwoch im Monat um 19.30
Uhr beim Marktwirt in der Heiliggeiststraße 2 in
München (am Viktualienmarkt) statt.
Bei meiner Existenzgründung konnte ich auf
zahlreiche der vielen und großartigen Hilfestellungen des FORUMs zurückgreifen. Ich freue mich,
durch mein Engagement als RB ein wenig zurückgeben zu dürfen.
[email protected]
Mein Ziel ist es, noch mehr Kollegen für das
FORUM zu begeistern und den Stammtisch als
Plattform für den fachlichen und persönlichen
Austausch, auch für Referendare und Assessoren,
Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst
AnwaltFormulare Arbeitsrecht
Prozesse in Arbeitssachen
Axel Groeger (Hrsg.),
1. Aufl. 2010, 1.512 S., 99,00 EUR,
Verlag Dr. Otto Schmidt
Stefan Lunk (Hrsg.),
1. Aufl. 2011, 1.630 S., mit CD-ROM, 129,00 EUR,
Deutscher AnwaltVerlag
Frank Lansnicker (Hrsg.),
2. Aufl. 2011, 1.008 S., 98,00 EUR,
Nomos Verlag
Charakteristisch für das Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst sind
die erheblichen Unterschiede gegenüber dem allgemeinen
Arbeitsrecht. Hier sei an die unübersichtlichen Tarifvertragswerke
(z. B. TVöD, TV-L) erinnert. Aber auch das Haushaltsrecht, der
verfassungsrechtliche Grundsatz des gleichen Zugangs zu jedem
öffentlichen Amt oder die massive Umstrukturierungsmaßnahmen der letzten Jahre erschweren den Zugang zum Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst.
Anfang 2011 erschienen die AnwaltFormulare Arbeitsrecht. Sie
sind dem sich wandelnden Anforderungsprofil vom früheren
Forensiker zum nunmehr stärker gestaltenden Anwalt geschuldet.
Eine Entwicklung, die nicht nur für Groß- und Mittelkanzleien
sondern eher für die gesamte Anwaltschaft gilt. Insbesondere für
Berufseinsteiger ist die Vertragsgestaltung einerseits herausfordernd aber auch haftungsträchtig. Das folgt nicht nur aus der
Tatsache, dass unsere Gesellschaft die komplizierten und umfangreicheren Sachverhalte in immer komplexeren Vertragswerken regelt.
Das von einem 9-köpfigen Autorenteam – bis auf einen LAGRichter alles Fachanwälte für Arbeitsrecht – auf den aktuellen
Stand von Gesetzgebung und Rechtsprechung gebrachte Handbuch „Prozesse in Arbeitssachen“ tritt mit dem Anspruch an, dem
Anwalt ein Werkzeug an die Hand zu geben, mit dessen Hilfe er
einen arbeitsrechtlichen Rechtsstreit schnell und erfolgreich im
Sinne des Mandanten (außer-)gerichtlich abschließend regeln
kann.
Axel Groeger und sein 16-köpfiges Autorenteam mit Spezialisten
aus Anwaltschaft, Justiz und Wissenschaft haben den Anspruch,
ein Handbuch zu erstellen, das eine praxisorientierte Aufbereitung
des Arbeitsrechts im öffentlichen Dienst und Hilfestellungen
anbieten soll, um Probleme zu erkennen und zu lösen.
In meiner Freizeit engagiere ich mich als ehrenamtlicher Mitarbeiter der Rechtsanwaltskammer
München bei der Erstellung von Gebührengutachten und spiele Trompete in der Blaskapelle
Bernried und im Bundesjuristenorchester. Seit
dreieinhalb Jahren bin ich nun begeistertes Mitglied im FORUM.
Regionalbeauftragte RAin Jana Mähl
für den LG-Bezirk Berlin
Foto: Rolf Handke_pixelio.de
Bücher-FORUM
Beginnend mit dem Grundlagenteil, orientiert sich das Werk
primär am Verlauf eines Arbeitsverhältnisses, von dessen
Begründung über die Durchführung bis zur Beendigung. Dem
Teilzeit- und befristeten Arbeitsverhältnis sind eigene Teile
gewidmet. Breiten Raum geben die Autoren wichtigen Themen
des öffentlichen Dienstes wie der Ein-/Um- und Rückgruppierung,
sozialversicherungsrechtlichen Besonderheiten, dem Personalvertretungsrecht, der Restrukturierung, den Sparten- und berufsgruppenspezifischen Regelungen sowie den Besonderheiten des
kirchlichen Dienstes.
auszubauen. Dazu werde ich auch weiterhin Referenten einladen, die sowohl über ihre beruflichen Erfahrungen als auch über aktuelle und
grundlegende anwaltliche Themen sprechen.
[email protected]
Eingängig und verständlich bereitet die Autorin Schlewing die
schwierigen Eingruppierungsgrundsätze auf. Dies gilt ebenfalls
für die Ausführungen zu den Sparten- und berufsgruppenspezifischen Regelungen im öffentlichen Dienst. Darin arbeitet der
Autor Vogel etwa für die Krankenhäuser fundiert und mit Blick
für das Wesentliche die facettenreichen tariflichen Regelungen
und arbeitsrechtlichen Probleme heraus.
Die im Fließtext fettgedruckten Schlagwörter erleichtern die
gezielte Suche. Hilfreich sind die Checklisten, optisch hervorgehobenen Formulierungsmuster, Hinweise, Schaubilder und Berechnungsbeispiele. Der Fußnotenapparat zitiert neuere Rechtsprechung. Das detaillierte Stichwortverzeichnis rundet das Werk ab.
Fazit: Den Autoren gelingt ein fundiertes Handbuch für den
schnellen Zugriff. Es beschränkt sich auf das Wesentliche,
ohne die wissenschaftliche Gründlichkeit zu vernachlässigen.
Es dient einerseits der Einarbeitung. Andererseits ist der erfahrene Anwalt dankbar für das profunde Nachschlagewerk.
Ohne Zweifel hat das Handbuch „Arbeitsrecht im öffentlichen
Dienst“ das Zeug zum Standardwerk und besetzt eine Nische
in der Arbeitsrechtsliteratur.
Unter der Herausgeberschaft von Rechtsanwalt Prof. Dr. Stefan
Lunk besteht das Autorenteam aus ausschließlich im Arbeitsrecht
tätigen Praktikern aus der Anwaltschaft, Unternehmensjuristen,
Richtern und Hochschullehrern.
Das Charakteristikum des Werks: Die Vertragsmuster und
Schriftsatzformulare sind eingebettet in vielfältige praxisrelevante
Hinweise und rechtliche Grundlagen, Praxistipps (nicht nur zur
Haftungsvermeidung), Checklisten, Literatur- und Rechtsprechungshinweisen.
Aufgeteilt ist das Formularbuch in drei Paragrafen, denen je eine
ausführliche Gliederung vorausgeht. Der Schwerpunkt ist §1 zum
Individualarbeitsrecht. Der Aufbau folgt dem Ablauf des Arbeitsverhältnisses von der Anbahnung über den Arbeitsvertrag bis zu
dessen Beendigung und Abwicklung. Darin besonders hervorzuheben sind die Kapitel der Arbeitsvertragsklauseln, in dem ca.
140 Klauseln mit prägnanten Erläuterungen und diversen Formulierungsvorschlägen vorgestellt sind, und zur Beendigung des
Arbeitsverhältnisses. § 2 widmet sich dem Kollektivarbeitsrecht
mit umfangreichen Ausführungen und Mustern zum Betriebsverfassungsrecht, zum Betriebsübergang und zum Arbeitsrecht
in der Insolvenz. Das Prozessrecht mit detaillierten Erläuterungen
des wichtigen Kündigungsschutzprozesses, Anträge im Beschlussverfahren und der einstweilige Rechtsschutz sind in § 3
verortet. Unter taktischen Aspekten ist dieser Teil für den nicht
immer im Arbeitsrecht tätigen Anwalt wichtig.
Die 483 Muster und Schriftsatzbeispiele sind auf der beigefügten
CD-ROM abrufbar und in die eigene Textverarbeitung einzuarbeiten.
Fazit: Die AnwaltFormulare Arbeitsrecht sind ein außergewöhnlich gelungenes Werk und für eine hochwertige arbeitsrechtliche Beratung unabdingbar. Das Konzept, die Muster
mit den praxisnahen Erläuterungen und rechtlichen Grundlagen zu verknüpfen, überzeugt sehr. Hiermit wird ein echter
Mehrwert für die effektive Mandatsarbeit erzielt.
In 10 Kapiteln stellt das übersichtlich gegliederte Handbuch die
typischen arbeitsrechtlichen Konfliktfelder dar, dabei zunächst
dem Gang des Mandats folgend. Am Anfang stehen Mandatierung und vorgerichtliche Vertretung (§ 1). Sodann steht u. a.
das arbeitsrechtliche Urteils- und Beschlussverfahren im Fokus
(§ 2). Hieran schließen sich Ausführungen zum äußerst praxisrelevanten Vergleich (§ 3) und ein kurzer Überblick zur Zwangsvollstreckung (§ 4) an. Die Folgekapitel befassen sich mit materiellrechtlichen Darstellungen zum Arbeitsverhältnis, chronologisch von der Anbahnung (§ 5) über Rechte und Pflichten (§ 6)
bis hin zu Änderung und Beendigung (§ 7), ergänzt um die
Themen Befristung (§ 8), Betriebsübergang (§ 9) und betriebliche
Altersversorgung (§ 10).
Die materiell- und prozessrechtlichen Ausführungen, die auch
Fragen der Darlegungs- und Beweislast sowie sozial- und steuerrechtliche Aspekte integrieren, sind praxisnah aufbereitet und
orientieren sich folgerichtig konsequent an der Rechtsprechung
des BAG, bzw. ergänzend der Instanzgerichte.
Von besonderem Wert sind die zahlreichen Praktikerhinweise der
Autoren, die den Nutzer des Werks mit konkreten Handlungsoptionen inner- und außerhalb des Prozesses vertraut und ihn
insbesondere auf haftungsrelevante Fallstricke bei der Bearbeitung des Mandats aufmerksam machen. Daneben unterstützen
zahlreiche Musteranträge und -texte, Checklisten sowie themenbezogene Hinweise auf weiterführende Literatur und auf nützliche Webseiten die praktische Verwertung des im Handbuch
dargestellten Inhalts.
Fazit: Das Konzept, die materiellrechtlichen Fragen typischer
arbeitsrechtlicher Problemfelder an prozessualen Konstellationen abzuhandeln und dem Nutzer des Werks Praktikerhinweise bezüglich der sich vor-, inner- und nachprozessual
ergebenden Chancen und Risiken an die Hand zu geben, ist
eine rundherum gelungene Synthese. Die Arbeit mit dem
Handbuch ist kenntnisfördernd und gewinnbringend, das
Werk somit einer Kaufempfehlung wert.
RA Jens David Runge-Yu, Freiburg i. Br.
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
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Bücher-FORUM
Fachanwaltshandbuch Handels- und
Gesellschaftsrecht
Thomas Wachter (Hrsg.),
2. Aufl. 2010, 3.621 S., mit CD-ROM, 178,00 EUR,
ZAP Verlag (LexisNexis)
Das Fachanwaltshandbuch Handels- und Gesellschaftsrecht von
Thomas Wachter gliedert sich in die drei Bereiche Handelsrecht,
Gesellschaftsrecht und berufsrechtliche Aspekte, wobei der mittlere naturgemäß aufgrund des umfangreicheren Stoffes der mit
Abstand größte ist.
Im ersten Teil behandelt das Buch auf rund 430 Seiten alle
relevanten handelsrechtlichen Themen, wie etwa den Kaufmannsbegriff, die Prokura, die Firma, das Handelsgeschäft und das
Handelsvertreterrecht. Der dritte Teil informiert auf rund 50
Seiten über die Voraussetzungen und das Verfahren zur
Erlangung des Fachanwaltstitels. Dazwischen befasst sich der
umfangreiche mittlere Teil zunächst mit den verschiedenen
Gesellschaftsformen und widmet sich dann einzelnen konkreten
rechtlichen Sachverhalten (z. B. Umstrukturierung, Unternehmenskauf, Nachfolge). Aber auch Bezüge zu anderen Rechtsgebieten wie dem Familienrecht (z. B. Unternehmensbewertung,
Ehevertrag, Regelungen zum Zugewinnausgleich) und dem
Bilanz- und Steuerrecht werden hergestellt.
Das Buch bietet eine schnelle Orientierung und liest sich flüssig.
Die Sätze sind bewusst kurz gehalten, Schachtelsätze werden
vermieden. Fachbegriffe werden zunächst umschrieben und
anschließend in Klammern genannt. Eingeschobene Kästchen
enthalten Hinweise für die Praxis und an entsprechenden Stellen
werden – grau hinterlegt und unter Verweis auf die beiliegende
CD – Formulierungsbeispiele gebracht. Angenehm ist auch, dass
jeweils die maßgebenden Gesetzesparagraphen genannt und –
wo sinnvoll – Querverweise (z. B. zur Kaufmannseigenschaft) oder
Verweise zu benachbarten Rechtsgebieten (z. B. Notwendigkeit
familienrechtlicher Genehmigungen) gemacht werden. Die zahlreichen Hinweise, Checklisten, Tabellen und zusätzliche Randthemen wie z. B. Beurkundungen und Finanzierungen bieten eine
echte Hilfe.
Fazit: Das Fachanwaltshandbuch Handels- und Gesellschaftsrecht des Münchner Notars Thomas Wachter liegt nun in
2. Auflage vor und überzeugt als „junges“ Buch durch seine
Aktualität und seine z. T. namhaften Autoren wie Dr. Heribert
Heckschen. Zahlreiche Gesetzesänderungen der letzten Zeit
(z. B. MoMiG, ARUG, BilMoG) konnten berücksichtigt werden,
so dass die Informationen auf dem aktuellen Stand von
Gesetz und Rechtsprechung sind. Auf Grund seiner Klarheit,
seiner inhaltlichen Breite und der vielen Praxistipps ist es
nicht nur für angehende Fachanwälte, sondern auch für er fahrene Praktiker ein empfehlenswertes Nachschlagewerk
und rechtfertigt den Preis von 178,00 €.
Kommentar zum SGB VII
Eichenhofer/Wenner (Hrsg.),
1. Aufl. 2011, 1.124 S., 119,00 EUR,
Luchterhand Verlag
Der seit Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs bestehende, von
Georg Wannagat begründete und bislang als Loseblattwerk erscheinende Kommentar zum Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erscheint nun erstmals in gebundener Form. Die
Herausgeber und der Verlag tragen damit den heutigen Informationsbedürfnissen sowie den Erwartungen der Praxis Rechnung.
Kostenbelastung durch etwaige Ergänzungslieferungen sowie die
Bindung von Arbeitskraft durch die Einordnung dieser gehören
damit der Vergangenheit an und verschaffen dem „Eichenhofer/
Wenner“ einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Kasseler „Loseblattkonkurrenz“.
Der Kommentar selbst berücksichtigt das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz sowie die aktuellen Änderungen durch
das Dritte Gesetz zur Änderung des SGB IV. Die Kommentierung
der einzelnen Normen des SGB VII ist sehr übersichtlich gehalten,
in der Regel steht der Kommentierung der jeweiligen Norm eine
Inhaltsübersicht voran. Die Erläuterungen überzeugen besonders
auch durch ihre leichte Verständlichkeit und gute Lesbarkeit, die
es dem Anwender ermöglichen, sich schnell und zielsicher
innerhalb der Kommentierung zu bewegen und die gesuchten
Informationen zu finden.
Die materiellrechtlichen Erläuterungen zu den einzelnen Normen
sind insgesamt sehr gut gelungen. Besonders positiv sind die
Ausführungen zu § 8 hervorzuheben. Der anwaltliche Praktiker,
der mit der Geltendmachung von Rechten aus einem Arbeitsunfall mandatiert ist, findet hier das Wesentliche kompakt
erläutert. Alle regelmäßig wiederkehrenden Fragen rund um den
Arbeitsunfall werden zuverlässig beantwortet. Der Rechtsanwalt
findet so eine überaus effektive Arbeitshilfe für den täglichen
Einsatz. Einziger kleiner Kritikpunkt ist das Fehlen der Berufskrankheiten-Verordnung. Der Abdruck der BKV wäre für den
täglichen Einsatz wünschenswert gewesen, da dies die Arbeit in
Zusammenhang mit einem Berufskrankheitenmandat insoweit
erleichtert hätte, als man nicht ein weiteres Werk in die
Mandatsbearbeitung einbinden müsste.
Fazit: Insgesamt ist der „Eichenhofer/Wenner“ jedoch ein sehr
gelungener Kommentar zum SGB VII und stellt eine echte
Alternative zum Kasseler Kommentar dar. Wer dann noch ein
gebundenes Werk einem Loseblattwerk vorzieht, wird im
„Eichenhofer/Wenner“ ein hervorragendes Werkzeug für die
tägliche Arbeit finden.
Bücher-FORUM
Handbuch der Eheverträge und
Scheidungsvereinbarungen
Fachanwaltskommentar Erbrecht
Medizinrecht
VwVG VwZG
Andreas Frieser (Hrsg.),
3. Aufl. 2011, 2.166 S., 144,00 EUR,
Luchterhand Verlag
Andreas Spickhoff (Hrsg.)
1. Aufl. 2011, 2.554 S., 178,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Gerhard Sadler,
7. Aufl. 2010, 694 S., 69,95 EUR,
Verlag C.F. Müller
Auf knapp 300 Seiten gibt Gerrit Langenfeld dem Leser einen
roten Faden in die Hand, um unter anderem Eheverträge und
Scheidungsvereinbarungen erfolgreich zu überprüfen, zu beurteilen sowie zu entwerfen.
Das Kompaktwerk Fachanwaltskommentar Erbrecht beinhaltet
die Kommentierung aller erbrechtlich relevanten Vorschriften. So
kommentieren die Autoren nicht nur das 5. Buch des BGB,
sondern auch die erbrechtlichen Schnittstellen im BGB, im
BeurkG, im HGB, in der HöfeO, im GrdstVG, in der InsO, in der ZPO,
im FamFG, im RVG und im ErbStG.
Das Werk beginnt mit den Grundlagen der Vertragsgestaltung,
hier insbesondere mit den Besonderheiten des Ehevertrages und
der Scheidungsfolgenvereinbarung. Auch dem im Familienrecht
nicht schwerpunktmäßig tätigen Anwalt wird durch diese
Erläuterungen der Einstieg ins Familienrecht erleichtert, zumal
ergänzende Lektüre nicht notwendig ist. Im Anschluss werden die
für die Praxis sehr wichtigen Teilgebiete des Familienrechtes
erörtert. Neben Vereinbarungen zum Güterrecht führt der Autor
die wichtigsten Gestaltungen zum nachehelichen Unterhalt, dem
Versorgungsausgleichsanspruch auf. Bei keinem Kapitel fehlen
hier die sehr hilfreichen Ausführungen und Kommentare, um die
Folgen und Auswirkungen jeder Vereinbarung erfassen zu können.
Die Vorauflage des Kommentars wurde im Hinblick auf die am
1.1.2010 in Kraft getretene Erbschaftsreform überarbeitet. Nach
Inhaltsverzeichnis und Abkürzungsverzeichnis folgt eine Übersicht über die Erbrechtsreform 2010. So wird der Leser darauf
hingewiesen, dass für erb- und familienrechtliche Ansprüche statt
der bisher 30-jährigen Verjährungsfrist nunmehr auch die Regelverjährung von drei Jahren gilt. Ferner erfolgt ein Hinweis auf die
Einführung der zeitabhängigen Abschmelzung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs in § 2325 II 1 BGB. Mit jedem Jahr, das
zwischen dem Schenkungsvollzug und dem Erbfall verstreicht,
mindert sich der Pflichtteilsergänzungsanspruch um 1/10.
In der Reihe Beck’sche Kurzkommentare ist Anfang 2011 der
Kommentar Medizinrecht erschienen. Das Medizinrecht ist noch
ein recht neues aber äußerst zukunftsträchtiges Rechtsgebiet mit
einem kontinuierlich steigenden Beratungsbedarf. Dieser wachsende Beratungsbedarf rührt sicher aus dem permanenten
medizinischen Fortschritt mit den damit einhergehenden besseren medizinischen Möglichkeiten sowie der demografischen
Entwicklung her.
Der Kommentar widmet sich zwei (Bundes-)Gesetzen, welche für
die meisten Rechtsanwälte wohl eher Randerscheinungen sein
werden, für die Verwaltung und die Ihnen gegenüberstehenden
Rechtsanwälte und die damit befassten Richter aber von
maßgeblicher Bedeutung sind: Das Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) und das Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG). Die
Neuauflage wurde notwendig, um die zwischenzeitlich erlassenen
Gesetzesänderungen und europarechtlichen Vorgaben sowie die
neueste Rechtsprechung einzuarbeiten.
Gerrit Langenfeld,
6. Aufl. 2011, 298 S., mit CD-ROM, 49,50 EUR,
Verlag C.H. Beck
Neben der Bezugnahme auf die aktuelle Rechtsprechung erläutert
und führt der Autor die wichtigsten Formulierungen auf, welche
dem Leser die Umsetzung im konkreten Fall – nicht zuletzt durch
die beigefügte CD-ROM – erleichtern. In der Neuauflage wurden
neben der Reform des familiengerichtlichen Verfahrens, der
Reform des Versorgungsausgleichs und den Änderungen beim
Zugewinnausgleich ebenfalls die Änderungen der Hausratsverordnung berücksichtigt.
Im Anschluss an die jeweiligen Gesetzestexte folgen diverse
Literaturhinweise und allgemeine Ausführungen, bevor die
jeweilige Vorschrift in jedweder Hinsicht kommentiert wird.
Fazit: Gerade im Bereich der Eheverträge und Scheidungsvereinbarungen ist es wichtig, den Mandanten umfassend
über die Folgen und Auswirkungen der familienrechtlichen
Regelungen zu beraten. Gerade im Hinblick auf Vereinbarungen im modifizierten Zugewinnausgleich gelingt dem
Autor der Spagat zwischen hilfreichen Erläuterungen und
Kommentierungen und den wichtigsten Formulierungen für
die Umsetzung. Obwohl das Werk an einzelnen Stellen manche Punkte aufgrund der Fülle nur oberflächlich behandeln
kann, bleibt es dennoch unentbehrlich als Arbeitshilfe für
diejenigen, die sich mit Eheverträgen und Scheidungsvereinbarungen auseinanderzusetzen haben. Sowohl für den
Berufsanfänger, als auch für den im Familienrecht langjährig
tätigen Rechtsanwalt bietet das Werk eine gute Lektüre, um
den Mandanten im Rahmen der Vertragsgestaltung zu
beraten.
Die Autoren des Kommentars sind auf dem Gebiet des Erbrechts
erfahrene Praktiker und Wissenschaftler. Neben Fachanwälten für
Erb-, Familien- und Steuerrecht und Notaren haben auch Richter,
Rechtspfleger und Professoren an diesem umfassenden Kommentar zum Erbrecht mitgewirkt.
RA Tobias Rist, Stuttgart
RA Mathias Klose, Regensburg
Das Werk enthält neben umfassenden Kommentierungen
verschiedene Praxis- und Gestaltungshinweise, Musterformulierungen und Abrechnungsbeispiele. So enthält es auch ein umfassendes Muster einer Vorsorgevollmacht.
Fazit: Die Kommentierung aller relevanten Vorschriften des
Rechtsgebiets Erbrecht in nur einem Band stellt ein gelungenes und überschaubares, täglich einsetzbares Informationsund Nachschlagewerk für den auf dem Gebiet des Erbrechts
tätigen Anwalt dar.
RAin Inés Kraus, Mainz-Kostheim
Ausweislich des Vorworts will der Kommentar dem medizinrechtlichen Praktiker helfen, das facettenreiche Rechtsgebiet zu
erschließen, das in unterschiedlichsten Gesetzen kodifiziert ist.
Das Autorenteam um den Herausgeber Andreas Spickhoff,
bestehend aus Rechtsanwälten, Professoren, Richtern und Verwaltungsjuristen, steht aufgrund seiner langjährigen Erfahrung
und wissenschaftlichen Reputation für eine hohe Bearbeitungsqualität.
Das Werk überzeugt mit höchster Aktualität. Bei einem Stand von
September 2010 ist das Gesetz zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften vom 24.7.2010
ebenso wie die Entscheidung des BGH zur Sterbehilfe bereits
eingearbeitet. Es gelang sogar, schon einen Ausblick auf das
Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der gesetzlichen Krankenversicherung – AMNoG zu geben.
Die über 40 wichtigsten Regelungsbereiche/Gesetze des Medizinrechts sind vollständig oder in Auszügen in alphabetischer
Reihenfolge kommentiert, etwa das Vertragsarztrecht, die zivilund strafrechtliche Arzthaftung, das Kranken- und Pflegeversicherungsrecht, das Grundgesetz, das Berufs- und Vergütungs recht, das Krankenhausrecht und das Medizinprodukte- und
Apothekenrecht. Die Besonderheiten des zivil-, straf- und sozialrechtlichen Verfahrensrechts sind in eigenen Abschnitten verortet.
Ein 54-seitiges Stichwortverzeichnis rundet den Kommentar ab.
Fazit: In einem einzigen – umfangreichen – Band gelingt es
dem Autorenteam, das weit verästelte Medizinrecht wissenschaftlich zu durchdringen, dabei aber die Praxis keinesfalls
zu vernachlässigen. Mit dem klaren Aufbau bei den Kommentierungen und eindeutiger sprachlicher Darstellung eignet
sich das Werk sowohl zur Einarbeitung als auch als Nachschlagewerk für die tägliche Beratung und Mandatsbearbeitung. Insbesondere Anwälten mit medizin-, gesundheitsoder sozialrechtlicher Ausrichtung und anderen mit dem
Medizinrecht befassten Juristen ist die Arbeit mit dem neuen
Kommentar sehr zu empfehlen.
Sofern die Länder nicht auf das VwVG und das VwZG verweisen,
sondern eigenständige Gesetze erlassen haben, differieren die
einzelnen Landesgesetze untereinander bzw. gegenüber dem
kommentierten VwVG allenfalls marginal, sodass im Falle des
Handelns einer Landesbehörde die Ausführungen Sadlers ohne
weiteres übernommen werden können. Weichen die landesgesetzlichen Regelungen ab, weist der Autor ausdrücklich darauf
hin und gibt auch weitere Hinweise. Am Ende der Kommentierung
zur jeweiligen Norm nennt der Autor die entsprechende Landesregelung, sodass das Suchen nach dieser dem Nutzer
abgenommen wird.
Die für Juristen so wichtigen Schlagworte werden jeweils fett
gedruckt hervorgehoben. Dies erleichtert die schnelle Suche nach
ihnen ungemein. Viele Absätze gewährleisten eine klare und
übersichtliche Struktur und vereinfachen das Lesen erheblich.
Weiterhin positiv sticht die zum Teil sehr umfangreiche Auflistung
der Fundstellen insbesondere der Rechtsprechung aber auch der
Literatur hervor. Wünschenswert wäre es jedoch, wenn die
Darstellung der Fundstellen einheitlich erfolgen würde. Mal
werden die Fundsstellen hintereinander, mal untereinander
aufgelistet. Aber dies schmälert keinesfalls den positiven Eindruck
dieses Buchs.
Weiterhin befinden sich im Anhang unter anderem sechzig
Muster mit Hinweisen, wie die jeweilige Behörde den Bescheid
über die Zwangsmaßnahme in den verschiedensten Konstellationen aufzubauen hat. Insofern ist dieser Anhang auch für den
Rechtsanwalt wertvoll, um sich dort einen Überblick nach möglichen Fehlern innerhalb des Bescheides verschaffen zu können.
Fazit: Man merkt dem Buch sehr wohl an, dass es von einem
Praktiker stammt und sich an Praktiker richtet. Wer sich mit
der Materie näher befassen will oder muss, dem sei dieses
Buch wärmstens ans Herz gelegt. Die gebotene Leistung wird
dem Preis außerordentlich gerecht.
RA Dirk Hofrichter, Strausberg
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
RAin Tanja Fuß, MPA, Stuttgart
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Bücher-FORUM
Autorenverzeichnis
Internationales Strafrecht
AnwaltKommentar Untersuchungshaft
Creifelds Rechtswörterbuch
Sabine Gless,
1. Aufl. 2010, 327 S., 54,00 EUR,
Helbing & Lichtenhahn Verlag
Stefan König (Hrsg.),
1. Aufl. 2011, 583 S., mit CD-ROM, 109,00 EUR,
Deutscher AnwaltVerlag
20. Aufl. 2011, 1.500 S., 46,00 EUR,
Verlag C.H. Beck
Strafrechtsfälle mit grenzüberschreitenden Bezügen stellen in der
Regel besondere rechtliche Herausforderungen dar. Die mit
solchen Fällen einhergehenden Fragen erscheinen gerade jungen
Juristen oft fremd und verwirrend. Es geht dabei um grundsätzliche Probleme wie: „Welches Recht ist anwendbar?“, „Wer
übernimmt die Strafverfolgung?“ und „Inwieweit besteht eine
Pflicht der nationalen Behörden zum Tätigwerden?“
Seit Jahresbeginn ist der AnwaltKommentar Untersuchungshaft
erhältlich. Ein Schwerpunkt der Neuerungen in der Strafprozessordnung betraf den Vollzug der U-Haft. Nach der Föderalismusreform ist dieser in dem verfahrensbezogenen Regelungsbereich
(StPO) und bezüglich des Vollzugs der U-Haft durch die LandesUntersuchungshaftvollzugsgesetze geregelt.
Deutsch – Juristen, Juristen – Deutsch: In die Reihe der populären
kleinen Übersetzungshilfen nicht nur für Fremdsprachen, sondern
auch anderer Arten von Gegenpolen aus dem LangenscheidtVerlag würde auch der altbewährte Creifelds passen, um sowohl
Nicht-Juristen als auch Juristen die mitunter komplizierte juristische Sprachwelt zu erläutern.
Das Werk kommentiert das gesamte Untersuchungshaftrecht, das
sich bezüglich der Landes-Untersuchungshaftvollzugsgesetze an
dem Musterentwurf für ein Untersuchungshaftvollzugsgesetz
(ME UVollzG) anlehnt. Diesem – von 12 Ländern erarbeiteten Entwurf – folgt der größte Teil der Länderkodifikationen mit geringen Abweichungen. Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen,
Niedersachen und Nordrhein-Westfalen scherten aus und legten
eigene in Aufbau und Systematik abweichende Gesetze vor. Diese
Landesgesetze sind in dem Kommentar an entsprechender Stelle
im Kontext der Vorschriften des ME UVollzG erläutert.
Der Creifelds sorgt auf 1.500 Seiten in nunmehr 20. Auflage für
den notwendigen Durchblick. Angefangen von A wie Abänderungsklage bis zu Z wie Zwölftafelgesetz und darüber hinaus auch
mit einem Anhang mit fünfzehn Schaubildern oder Beispielen.
Man erfährt nicht nur die Bedeutung von Begriffen wie Plagiat,
Handelsbrief oder Forstrügesachen, sondern erhält auch jeweils
eine teilweise ausführliche Umschreibung. So findet sich unter
dem Stichwort „Form(-erfordernisse, -vorschriften)“ eine mehr seitige Erklärung, der es auch an Rechtsprechungsnachweisen
zum Thema Oberschrift bei Bank-Überweisungsformularen nicht
mangelt.
Das Lehrbuch von Sabine Gless eignet sich hervorragend für einen
ersten Einstieg in die Materie sowie zur Auffrischung bestehender
Grundkenntnisse. Es erfordert vom Leser gerade kein besonderes
Vorwissen im Internationalen Strafrecht und bietet einen grundsätzlichen Überblick über diesen immer bedeutender werdenden
Bereich des Rechts.
Ziel des Buches ist es, die notwendigen Überlegungen in Zusammenhang mit Strafrechtsfällen mit Auslandsbezug zu strukturieren. Das Buch ist keine Fallsammlung und kein Übungsbuch.
Es geht gerade nicht darum, einzelne Fallbeispiele detailliert zu
lösen. Vielmehr soll der Leser ein Gespür dafür entwickeln, wo die
generellen Problemfelder und Herausforderungen für die Beteiligten liegen.
Dabei folgt das Lehrbuch in seiner Systematik der traditionellen
Einteilung des Internationalen Strafrechts. In klarer Sprache fin den sich Ausführungen zum Strafanwendungsrecht („Besteht ein
Strafverfolgungsanspruch eines Staates?“), zur Rechtshilfe in
Strafsachen („Bedarf es zur Durchsetzung eines Strafverfolgungsanspruches einer Unterstützung durch andere Staaten?“) und
zum Europäischen Strafrecht („Verlangen übergeordnete europäische Rechtsvorgaben ein bestimmtes Vorgehen?“).
In einem großen Abschnitt zum Völkerstrafrecht wird darüber
hinaus ein Überblick über die Entwicklung und den derzeitigen
Stand im einschlägigen Völkerrecht gegeben. Hierbei geht es im
Wesentlichen um die Frage: „Besteht ein internationaler Strafanspruch?“
Die Autoren um Herausgeber Stefan König entstammen der
Anwaltschaft, der Justizvollzugsverwaltung, der Richterschaft
und Wissenschaft. Der AnwaltKommentar Untersuchungshaft
verfolgt zweierlei Ziele. Zunächst soll er eine an der Praxis
orientierte – konzentrierte – Kommentierung bieten. Des Weiteren
soll auf die sich erst langsam entwickelnde Rechtsprechung zum
Untersuchungshaftvollzug eingewirkt werden und Ansätze für
bisher ungelöste Fragen geboten werden. Diese sind von einer
liberalen Auslegung der auch nach einer Inhaftierung dem
Verdächtigten verbleibenden Freiheitsrechte geleitet. Insofern
wundert es nicht, dass die Autoren recht kritische Anmerkungen
zu verschiedenen Neuregelungen des Untersuchungshaftrechts
einfließen lassen.
Kommentiert sind die Vorschriften des ME UvollzG und die
maßgeblichen StPO-Normen (§§ 112-130, 140, 141 und 147148a). Den Erläuterungen ist der Gesetzestext mit einer Gliederung vorangestellt. Allgemeine Hinweise folgen, bevor der
Regelungsgehalt der Norm beleuchtet wird. Innerhalb der Kom mentierungen zum ME UvollzG schließen sich Ausführungen zu
anderen Landesgesetzen mit abweichenden Regelungen an. Eine
Synopse der abweichenden Ländergesetze und das Stichwortverzeichnis runden das Werk ab. Die beigefügte CD-ROM
umfasst die bis zum 01.11.2010 verabschiedeten Landesgesetze
zur U-Haft.
Fazit: Die Autorin war von 1997 bis 2005 als Referentin am
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales
Recht, Sachgebiet Europa, Länderreferat Schweiz, tätig. Seit
2005 ist sie Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht
an der Universität Basel. Folglich weist das Buch an verschiedenen Stellen einen besonderen schweizerischen Bezug
auf. Ein eigenes Kapitel ist zum Beispiel der Zusammenarbeit
der Schweiz mit der EU und ihren Mitgliedstaaten gewidmet.
Gerade der internationale Teil des Lehrbuchs ist allerdings
auch für deutsche Leser ausgezeichnet zu verwenden.
Fazit: Dem Spezialisten wie auch dem Junganwalt, der nicht
immer als Strafverteidiger auftritt, ist die Nutzung des neuen
AnwaltKommentars Untersuchungshaft im Interesse seiner
Mandanten zu raten.
RAin Angela Hubert, Schwäbisch Gmünd
RA Jens Jenau, Schloß Holte-Stukenbrock
62
ADVOICE 02 /11
Der Creifelds fehlt wahrscheinlich in keiner Uni-Bibliothek einer
juristischen Fakultät und dürfte den meisten Juristen auch als
zuverlässiger Wegbegleiter durch den Begriffs-Dschungel in so
mancher Hausarbeit gedient haben. Er eignet sich auch
hervorragend für alle rechtsinteressierten Laien, da er auf eine
verständliche, aber dennoch umfassende und korrekte Umschreibung setzt. 12.000 Stichworte lassen kaum eine Frage übrig.
Fraglich ist aber dennoch, ob sich die Autoren einen Gefallen
damit getan haben, einzelne Stichwörter zu „verstecken“. So findet
sich beispielsweise der Vertrag von Lissabon weder unter „V“ noch
unter „L“, sondern unter dem Stichwort Europäische Integration.
Wer dies findet, darf sich glücklich schätzen.
Im Anhang finden sich noch insgesamt 15 Übersichten – teils als
Schaubilder, teils als Tabellen gestaltet. Diese veranschaulichen
beispielsweise den Rechtsmittelzug von sechs verschiedenen
Gerichtsbarkeiten und dürften sich eher an juristische Laien
richten.
Fazit: Bei 12.000 Stichwörtern deckt der Creifelds auch
zahlreiche Begriffe ab, die einem Juristen nicht auf Anhieb
geläufig sein dürften. Als Nachschlagewerk ist er ein zuverlässiger Begleiter. Wie andere Lexika dürfte der Creifelds
künftig Schwierigkeiten haben, sich gegen Wikipedia oder
andere Online-Lexika zu behaupten.
Dr. med. Albrecht Lepple-Wienhues ist Privatdozent für Physiologie
an der Universität Tübingen und Accountmanager bei einem führenden
schweizer Medizingeräteentwickler. Er lebt im Jura in Frankreich.
Patrick Ruppert ist seit 2002 Rechtsanwalt in Köln. Er hat sich auf medienund urheberrechtliche Fragestellungen spezialisiert. Neben dem Anwaltsberuf arbeitet er als freier Journalist und Autor. Er war vor Gründung
seiner Kanzlei u. a. für die Deutsche Welle und den Deutschlandfunk tätig.
www.lawyal.de
Tobias Sommer ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und
Medienrecht sowie Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz. Nach dem
Jurastudium war er als freier Journalist für Tageszeitungen und das
Fernsehen tätig. Seit 2006 ist er Chefredakteur der AdVoice.
[email protected]
Corinna Unger ist seit 2007 selbstständige Rechtsanwältin in Gera mit
dem Schwerpunkt Sozialrecht, insbesondere SGB II. Zudem ist sie Sozius
der Kanzlei Unger, Wipper & Kollegen in Jena.
www.ra-unger.eu
Anke Schiller-Mönch, Anwältin mit eigener Kanzlei in Kromsdorf bei
Weimar. Ihre Schwerpunkte sind Medien- und Urheberrecht sowie Sportrecht. Sie arbeitet zudem als freie Journalistin und berät Sportvereine und
Unternehmen zum Thema Öffentlichkeitsarbeit.
[email protected]
Toni Mahoni ist Frontmann der Toni-Mahoni-Band und schaffte es mit
seinen Video-Blogs bis in die Tagesschau. Markenzeichen: rauchige Stimme,
Tasse Kaffee, selbstgedrehte Zigarette. Er ist 1976 geboren und in BerlinKöpenick aufgewachsen. Sein Buch ist sein erster Ausflug in die Literatur.
www.tonimahoni.com
Theresa Nentwig ist in Arnstadt selbständige Rechtsanwältin mit Schwerpunkten im Familien-, Arbeits- und Arzthaftungsrecht. Zudem ist sie Vorstandsmitglied im Erfurter Anwaltverein und Regionalbeauftragte des
FORUM für den LG Bezirk Erfurt.
[email protected]
Dr. Claudia R. Cymutta arbeitet als selbstständige Rechtsanwältin,
Dozentin und Autorin in Mannheim. Ihre Schwerpunkte sind das Insolvenzrecht, Urheberrecht und die Beratung von Existenzgründern. Sie ist
Mitglied im Beirat der Arbeitsgruppe Junge Insolvenzrechtler.
[email protected]
Gabriele Knöpfle ist seit 2005 Anwältin und in Stuttgart als Fachanwältin
für Verkehrsrecht tätig. Sie studierte in Augsburg und Lund/Schweden und
ist für das FORUM Junge Anwaltschaft Regionalbeauftragte für den
Landgerichtsbezirk Stuttgart.
[email protected]
Steffen Eube ist angestellter Jurist bei HDI-Gerling Firmen und Privat
Versicherung AG und dort im Zentralen Underwriting VermögensschadenHaftpflichtversicherung tätig.
[email protected]
Carsten Vyvers hat parallel zu seinem Studium eine Ausbildung als Speditionskaufmann absolviert. Er ist als Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht in einer Kanzlei in Frankfurt/M. beschäftigt. Er berät Unternehmen
der Transport-, Speditions- und Logistikbranche.
[email protected]
Ilka Spriestersbach ist seit 2005 zugelassene Rechtsanwältin in Koblenz
und seit 2008 in eigener Kanzlei tätig. Ihre Schwerpunkte sind Mietrecht,
Insolvenzrecht, Pferderecht und allgemeines Zivilrecht. Sie ist RB für den
LG-Bezirk Koblenz und Mitglied in der ARGE Insolvenzrecht und Sanierung.
[email protected]
RA Florian Wörtz, Stuttgart
Volker Loeschner ist in eigener Kanzlei für Zahn- und Medizinrecht in
Berlin im Arzthaftungs- und Versicherungsrecht tätig. Er berät Mitglieder
des Deutschen Bundestages bei der Entwicklung des ersten Patientenrechtegesetzes, referiert und veröffentlicht in der Tagespresse und online.
www.zahn-medizinrecht.de
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ADVOICE 02 /11
63
Service
Wo ist der Gerichtsbriefkasten?
ADVOICE 03/11
Erlebt von RA Tobias Sommer, Berlin
Das Ziel: Einwurf eines fristwahrenden Mahnbescheidantrags beim Zentralen Mahngericht Berlin,
dem Amtsgericht Wedding, Adresse Schönstedter
Str. 5. Laut Internet ist dies auch der Standort des
Briefkastens.
Problem 1: An der Adresse Schönstedter Str. 5
steht ein Briefkasten mit dem deutlichen Hinweis
Kein Einwurf bitte. (Foto 1)
Problem 2: Am Mahngericht an der Adresse Schönstedter Str. 5 ist kein anderer Briefkasten zu finden.
Gedanke: Bei verschuldeten Verspätungen könnte
die Frist nicht gewahrt sein.
Problem 4: Was gilt beim Einwurf eines fristwahrenden Briefes in den falschen Briefkasten beim
richtigen Gericht? Kann diese Frage überhaupt vor
Ort gelöst werden?
Gedanke: Aufgeben gilt nicht, noch mal bei der
Schönstedter Str. 5 gucken.
Gedanke: Mal beim AG Wedding gucken, Adresse:
Brunnenplatz 1. Schließlich ist das AG Wedding ja
das Zentrale Mahngericht.
Wer lange genug sucht, der findet auch die Erklärung für den fehlenden Briefkasten an der richtigen Adresse und die Lösung für alle Probleme,
und zwar gut getarnt von innen an eine der verschlossenen Türen geklebt. (Foto 3)
Problem 3: Deutlicher Hinwies am Briefkasten des
AG Wedding (Foto 2). Was genau bedeutet „schnellere Erstbearbeitung“? Kann ich den Brief fristwahrend hier einwerfen?
Das Fazit: Auch beim Einwurf fristwahrender Schreiben in einen Gerichtsbriefkasten sollte eine Zeitreserve eingeplant werden. Entfernung zwischen
den beiden Adresse: 100 Meter.
Mich frisst
die Frist
Haareraufend wird jeder Anwalt zuweilen
stöhnen: Mich frisst die Frist! Mit der
Psychologie des Fristendrucks, mit praktischen Tipps zum Fristenkalender, Art und
Gattung von Fristen, Wiedereinsetzungsmöglichkeiten und Geschichten aus dem
Leben eines Fristenjägers und Vielem mehr
aus der unerschöpflichen Fristenvielfalt
wird AdVoice sich in seiner SeptemberAusgabe auseinandersetzen. Über Themenvorschläge freut sich die Redaktion unter:
AUF DER EINEN SEITE GÜNSTIG.
AUF DER ANDEREN EXKLUSIV.
DIE PRIVATE GRUPPENVERSICHERUNG
FÜR RECHTSANWÄLTE.
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> [email protected]
Gestalten Sie als Rechtsanwalt ihre eigene Gesundheitsreform!
Redaktionsschluss: Heft 2/2011 (Juni-Ausgabe), 22. Juli 2011
Impressum:
Redaktion: Stefanie Salzmann, RAin Anke Schiller-Mönch, RA
Patrick Ruppert, RA Volker Loeschner / Bildredaktion: Andrea
Vollmer / Bücherforum: RA Jens Jenau / V.i.S.d.P.: RA Tobias
Sommer (Chefredakteur) Anschrift wie Herausgeber
Fotos S. 2: Stephan Eichler, Stefan Höderath
Herausgeber: Geschäftsführender Ausschuss
des FORUMs Junge Anwaltschaft im DAV, Berlin
Littenstraße 11, 10179 Berlin,
Tel. 030/7261520
Erscheinungsweise:
vierteljährlich (März / Juni / September / Dezember)
Es gilt die Anzeigenpreisliste 1/2011
1
2
Anzeigen:
sales friendly Verlagsdienstleistungen, Bettina Roos
Siegburger Str. 123, 53229 Bonn
Tel. 0228/97898-10, Fax: 0228/97898-20
E-Mail: [email protected]
Bezugspreis:
48,00 Euro (inkl. MwSt.) zzgl. Versandkosten
für 4 Ausgaben / Einzelheft: 14,50 Euro / Für Mitglieder des
FORUMs Junge Anwaltschaft im Deutschen Anwaltverein
ist der Bezug der Zeitschrift im Mitgliedsbeitrag enthalten.
ISSN 1437-3084
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Oder per Post an: DKV AG, R2GU, 50594 Köln, Telefon 02 21 / 5 78 45 85, www.dkv.com/rechtsanwaelte, [email protected]
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Telefon beruflich
Layout / Satz: gudman design weimar, www.gudman.de
Lektorat: Nora Döring, BILDART
angestellt
selbstständig
AV-0211
Druck: Liebeskind Druck, Apolda
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ADVOICE 02 /11
Artikel und Beiträge sind Meinungsäußerungen der Autoren
und geben nicht immer die Meinung der Redaktion bzw. des
Deutschen Anwaltvereins und seiner Gremien wieder.
Ich vertrau der DKV
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