Vom Teufelstisch zum Knoblauchstrand

Transcription

Vom Teufelstisch zum Knoblauchstrand
20
TÜRKEI
22. September 2007
Ayvalık
Vom Teufelstisch zum Knoblauchstrand
Nur wenige deutsche Touristen verirren sich in diese Region. Dabei ist das
Wasser hier ausgesprochen sauber und es geht wunderbar ruhig zu.
Schon der Höllenfürst war am schönsten
Platz der Welt und verhalf ihm so zu seinem Namen: Seytan Sofrasi, des Teufels
Tisch. Eine kleine, bewaldete Anhöhe in
der türkischen Bucht von Ayvalik an der
Oliven-Riviera. Wir stehen neben einer
tiefen, dunklen Felsspalte, die mit einem
schweren Gitter gesichert ist. „Wenn du
da ein Geldstück hineinwirfst und einen
Wunsch äußerst, so heißt es, kümmert
sich der Teufel persönlich um seine Erfüllung“, sagt Cemil Uysal, mein türkischer Reiseführer, und lächelt.
Wir verzichten auf den Teufelspakt und
genießen stattdessen den faszinierenden
Blick auf das Ägäische Meer bis hinüber
zur griechischen Insel Lesbos, mit dem
Hafenstädtchen Ayvalik, dem Knoblauchstrand von Sarimsakli, dem wohl
schönsten Sandstrand weit und breit, der
Halbinsel Alibey, wo die Olivenbäume bis
ins Meer wachsen, und den vielen unbewohnten Eilanden. Weit draußen sehen
wir den Nationalpark Kaz Dagi im Dunst
versinken. Dort soll in sehr alten Zeiten
der erste Schönheitswettbewerb stattgefunden haben.
Eine echte Misswahl - man höre und staune, unter griechischen Göttinnen: Aphrodite, Athene und Hera, diese drei hatten
sich um den Apfel für die Schönste beworben. Ein Königssohn namens Paris
traf die schwere Wahl. Wie man weiß,
machte Aphrodite, die Göttin der Liebe,
das Rennen, da sie ihm die schöne Helena versprach. In Erinnerung an das überirdische Ereignis gibt es heute noch alljährlich einen Wettbewerb - allerdings unter den weltlichen Damen im Lande. Bei
einer Wahl unter den attraktivsten Urlaubsgebieten der Türkei aber würde die
Olivenküste mit Sicherheit aufs Treppchen kommen. Diese erstreckt sich an
der türkischen Westküste - die griechischen Inseln sind zum Greifen nahe von dem kleinen Ort Dikili bis hinauf zu
den Dardanellen mit ihrer Provinzhauptstadt Canakkale.
Durch das offene Fenster meines Mietautos strömt mir der Duft von frischem Olivenöl entgegen. Er kommt aus den kleinen Fabriken, die in den Feldern stehen
und die Früchte von mehr als drei Millionen Olivenbäumen verarbeiten. Der Star
an der Küste ist unbestritten das reizvolle
Hafenstädtchen Ayvalik mit seinen
30.000 Einwohnern, knapp 150 Kilometer
nördlich von Izmir. Hier landen auch die
Urlauberjets. In etwa zweieinhalb bis drei
Autostunden erreichen die Passagiere
über eine vierspurige Schnellstraße ihr
Ziel. Wer selbst fährt, sollte vorsichtig
sein. Mehr als 90 Stundenkilometer sind
nicht erlaubt und überall wacht die Polizei mit ihren Radarfallen.
Ayvalik, von den türkischen Urlaubern
schon lange entdeckt und geschätzt, ist
für deutsche Touristen immer noch ein
weißer Fleck auf dem Reiseatlas. Was erwartet den deutschen Feriengast, der bisher die türkische Riviera um Antalya bevorzugte, an den Stränden der Olivenküste? Was hat Ayvalik, was Antalya
nicht hat? Ich kenne beide Urlaubsregionen und meine: Es ist der Charme der
Menschen, die Leichtigkeit ihres Lebens,
die Art, wie sie den Tee zubereiten, den
Wein kredenzen, den Fisch servieren. Es
sind die holprigen Pflastergassen, die
Eselskarren, die alten Häuser mit den hohen Portalen, einst von den Griechen gebaut, die hier bis in die Zwanzigerjahre
hinein lebten. Dann gibt es noch die vielen kleinen Inseln, die sich wie ein schützender Halbkreis um den Hafenort gruppiert haben. Und, nicht zuletzt, die endlosen Olivenplantagen, die die gesamte
Küste in in ein sanftes, angenehmes
Grün tauchen. „Für mich ist Ayvalik der
schönste Ferienort auf der ganzen Welt“,
versichert mir Erol Gökdemir.
Der 67-jährige Maschinenbau-Ingenieur
hat in Deutschland studiert und lebt in Istanbul. Die Olivenküste ist sein bevorzugtes Urlaubsdomizil. Warum? Die
Strände sind hier genauso schön wie an
der Südküste, aber das Wasser ist sauberer und im Sommer kühler und damit angenehmer. Die Luft ist hervorragend, sie
gilt als die beste in Europa. Die Menschen sind höflicher als anderswo, zivilisierter und friedlicher. So hektisch und
stressig es in Antalya zugeht, so ruhig
und erholsam lässt es sich hier in Ayvalik
leben. Das Essen ist billiger, und nirgendwo bekommt man einen besseren und frischeren Fisch.
Am nächsten Tag lädt mein Reiseführer
zu einer kleinen Erkundungsfahrt. Cemil
Uysal dirigiert mich sicher zu einem bewachten Parkplatz am Hafen. Am Kai liegen Ausflugsschiffe und unzählige Fischerboote. Von hier geht täglich eine
Fähre nach Lesbos. Sie braucht zwei
Stunden. Die kleinen Boote werden gerade entladen. Die Fischer bieten ihre Ware
für ein paar Türkische Lira an. Kreuzfahrtschiffe können den Hafen nicht anlaufen. Das Meer ist nicht tief genug sechs bis sieben Meter, an manchen Stellen sogar nur einen Meter. Wir schlendern durch die alten Gassen. Die Läden
bieten Lederwaren, Schmuck, Kupfergegenstände und Wasserpfeifen an. Die Verkäufer sind freundlich. Keiner von ihnen
hält mich fest, zieht mich am Ärmel in
sein Geschäft oder redet auf mich ein. Allerdings spricht auch niemand Deutsch,
hin und wieder trifft man jemand, der ein
wenig Englisch kann. Auf dem Markt
gibt es, was das Herz begehrt: Tomaten,
Äpfel, Apfelsinen, Paprika, Salat und Papalina, das sind kleine sardellenähnliche
Fische zum Braten. „Die Türkei gehört
zu den wenigen Ländern, die sich selbst
versorgen können“, erklärt Cemil voller
Stolz. Die meisten Einheimischen haben
wenig Geld. Viele müssen im Monat mit
600 Türkischen Lira auskommen, das
sind nicht einmal 300 Euro.
Wir haben Hunger. Cemil kennt ein kleines Lokal. Eine Art Imbissstand. Wir setzen uns auf zwei wackelige Hocker. Der
Ober bringt uns ein Glas Ayran und einen Teller gemischten Salat mit Köfte. Eine schmackhafte Mahlzeit für den kleinen Hunger zwischendurch für zusammen nicht einmal drei Euro.
Auf nach Alibey, von den Einheimischen
auch Cunda genannt. Früher war es nur
mit dem Schiff zu erreichen, heute ist es
durch einen Damm und eine Brücke mit
Ayvalik verbunden. Überall stehen knorrige, schattenspendende Olivenbäume,
kleine gemütliche Hotels und alte, teils
zerfallene Kirchen aus griechischer Zeit
mit kostbaren Marmorarbeiten und
kunstvollen Deckenbemalungen. Aber
das Highlight ist die Strandpromenade.
Hier flanieren Hunderte, nein, Tausende
von türkischen Urlauber. Es herrscht eine heitere Stimmung. Ich glaube, ich bin
an diesem Tag der einzige Deutsche.
Aus dem kleinen Hafen laufen Boote aus.
Sie fahren zu den unbewohnten Inseln
und in die kleinen Buchten. Wir kommen an einem Kaffeehaus vorbei. Die
Menschen genießen die Sonne, türkischen Kaffee und türkischen Tee. Den
Kai entlang - wie Perlen an einer Schnur
aufgereiht - die Fischrestaurants. Ihre Tische weiß gedeckt, die fangfrische Ware
in großen gläsernen Kühlbehältern ausgestellt. Dorade, Rotbrasse, Spitzbrasse,
Skorpionfisch - Mittelmeerfische aus türkischen Gewässern. Wir kehren ins „Bay
Nihat“ ein. „Es hat den besten Ruf“, verrät mir Cemil.
Der nächste Tag bringt pures Urlaubsgefühl. Der Sandstrand von Sarımsaklı,
acht Kilometer vom Zentrum Ayvaliks
entfernt, ist ein wunderschöner Naturstrand mit klarem, sauberen Wasser. Hier
liegen auch die meisten Ferienhotels. Das
Grand Hotel „Temizel“, ein familiengeführtes Vier-Sterne-Haus, mit eigenem
Strand und großer Pool-Landschaft, und
das Hotel „Mare“ mit einem Pool auf
dem Dach und dem Strand vor der Tür.
„Wir sind ein Urlaubsgebiet mit Zukunft“, sagt Kadir Temizel, mit 29 Jahren
einer der jüngsten Hotelchefs an der Küste. Seinem Vater und seinem Onkel gehört das Grand Hotel. Der junge Mann betont: „Wir lassen unseren schönen
Strand, wie er ist. Die Natur bleibt unberührt. Wir bauen an unseren Küsten keine Betonklötze. Bei uns gibt es keine Bausünden.“ Aber da ist noch etwas, das die
Ägäisküste für den Feriengast so attraktiv macht: Troja und Bergama mit der
Akropolis von Pergamon, zwei der berühmtesten türkischen Ausgrabungsstätten.
Auf dem Rückweg zum Flughafen nach
Izmir biege ich nach einer Dreiviertelstunde auf der Küstenstraße nach links
ab. Bergama mit seinen 50.000 Einwohnern ist ein überschaubares Handwerkerstädtchen. Noch ursprünglich und
sehr türkisch das Zentrum mit seinen engen Gassen und den vielen kleinen Geschäften, Werkstätten und Teestuben.
Hoch über der Stadt sind die historischen
Reste und Ruinen des antiken Pergamon
und die Akropolis aus dem 2. Jahrhundert vor Christus zu bestaunen. Am römischen Tempel treffe ich eine deutsche
Gruppe, die auf einer Rundreise ist. Unter ihnen die Hamburger Gabriela und
Andreas Akens aus Poppenbüttel. Begeistert berichten sie: „Wir waren in Troja, sind an der Olivenküste entlanggefahren und besichtigen jetzt Pergamon.“ Eine Tour von Istanbul bis Antalya. Acht tolle Tage - und einfach eine wunderbare
Reise.