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3. Quartal 2008 Arbeitsrecht News MITBESTIMMUNGSRECHTE DES BETRIEBSRATS BEI ETHIK-RICHTLINIEN von Jan Hufen, München Rechtsanwalt [email protected] ++49 89 20 60 42 200 Bei der Implementierung von Ethikregeln stellt sich für alle Unternehmen, vor allem aber für Konzernunternehmen, die verständlicherweise von Vorgaben der Konzernmutter nicht abweichen möchten, die Frage, inwieweit der Betriebsrat Einfluss auf die Gestaltung dieser Regeln hat. Unter den Begriffen „Code of Ethics“ oder „Ethik-Richtlinien“ versteht man inhalt Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei Ethik-Richtlinien Neue BAG-Rechtsprechung zu Aktienoptionen im Arbeitsrecht Mitbestimmungsverletzung und die Früchte des verbotenen Baumes „Big Brother is watching You“— aber nicht ohne Zustimmung des Betriebsrates die Aufstellung von Verhaltenskodices, deren Beachtung unter anderem die Sicherstellung des fairen Wettbewerbs, den Schutz von Unternehmenseigentum, die Verhinderung von Interessenkonflikten und die Sicherstellung von gesetze1 skonformen Verhalten der Mitarbeiter bezweckt. Letztlich sollen durch solche Regelungen Gesetzesverstöße verhindert und das Image des Unternehmens 3 verbessert werden. Vermehrt wird dabei auf konzerneinheitliche Regelungen zurückgegriffen. Überdies sind börsennotierte US amerikanische Unternehmen aufgrund des Sarbanes-Oxley Acts verpflichtet, derlei Ethikregeln aufzustellen. 6 Das BAG hat kürzlich mit Beschluss vom 22. Juli 2008 (1 ABR 40/07) zu der 9 Frage Stellung genommen, welchen Einfluss der zuständige Betriebsrat bei der Implementierung von Ethikregeln hat. 2 n DER SACHVERHALT Demnach schließen ausländische Regelungen, die wie der In dem entschiedenen Fall führte das deutsche Tochterun- Sarbanes-Oxley Act die Einführung von Ethikrichtlinien für ternehmen des Honeywell-Konzerns, einer Unternehmens- bestimmte Unternehmen zwingend vorsehen, betriebs- gruppe der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie, weltweit verfassungsrechtliche Mitbestimmungsrechte nicht aus. einen „Code of Business Conduct“ ein. Dieser Verhaltensko- Unternehmen können sich also nicht darauf berufen, dass in dex regelte unter anderem das Verhalten untereinander, anderen Staaten Sanktionen drohen, sollte die Ethikrichtlinie sowie gegenüber Dritten, und enthielt Regelungen zur nicht in der gewünschten Form implementiert werden. Durchsetzung der Gleichberechtigung im Betrieb und zur Verhinderung von Diskriminierungen, der Vermeidung von Die vorliegende Entscheidung des BAG bedeutet demnach Interessenkonflikten, dem Schutz von Unternehmenseigen- auch keine Änderung der Rechtsprechung im Hinblick auf tum und –daten, sowie die Verpflichtung zur Meldung von sog. Whistleblowing-Systeme. Unter Whistleblowing versteht Verstößen (sog. „Whistleblowing-System“). man die Verpflichtung von Arbeitnehmern Verstöße anderer Arbeitnehmer unter Namensnennung zu melden. In diesem n DIE ENTSCHEIDUNG Zusammenhang bleibt es bei dem bisherigen Ansatz, dass Das BAG entschied, dass der Betriebsrat grundsätzlich der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hat. mitzubestimmen hat, wenn der Arbeitgeber Regelungen erlässt, die die betriebliche Ordnung betreffen. n FAZIT In der Praxis müssen sich Unternehmen also auf die Kon- Allerdings begründet nach dem BAG das Mitbestimmungs trolle einzelner Teile ihrer Ethikregel einstellen. Letztlich recht bezüglich einer oder mehrerer Regelungen nicht ist bei jeder einzelnen Regelung gesondert zu fragen, ob automatisch ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich des diese von einem Mitbestimmungstatbestand erfasst ist. Gesamtwerks. Vielmehr ist jede einzelne Regelung auf ihre Um die Kontrolle und den Diskurs mit dem Betriebsrat zu Mitbestimmungspflichtigkeit hin zu prüfen. Diese Fest- erleichtern, sollte der mitbestimmungspflichtige Teil der stellung erhöht zwar den Arbeitsaufwand im Vorfeld der Regelungen schon im Vorfeld optisch abgesetzt werden, Diskussion mit dem Betriebsrat, andererseits bietet sich die um zu weitgehende Forderungen des Betriebsrats zu ver- Möglichkeit durch geschickte Aufteilung der Themenge- hindern und damit Streit zu vermeiden. biete den Verdacht, es bestünde ein Mitbestimmungsrecht, gar nicht aufkommen zu lassen. NEUE BAG-RECHTSPRECHUNG ZU AKTIENOPTIONEN IM ARBEITSRECHT Das BAG stellte überdies klar, dass Vorschriften, die ausschließlich die Arbeitsleistung konkretisieren, nicht von der Mitbestimmung des Betriebsrats erfasst sind. Gleiches von Friederike Göbbels gilt nach Ansicht des BAG auch für Angelegenheiten, die München Rechtsanwältin/Fachanwältin f. Arbeitsrecht [email protected] ++49 89 2060 42 200 gesetzlich abschließend geregelt sind. Dementsprechend sind vor allem Regelungen, die Diskrimierungen im Sinn des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verhindern sollen der Einflussnahme des Betriebsrats entzogen. Klar ist, dass Um Arbeitnehmer durch eine langfristig erfolgsorientierte die Grenzziehung zwischen mitbestimmungspflichtigen Erwerbschance möglichst eng ans Unternehmen zu binden, Regelungen zum Ordnungsverhalten und Konkretisierungen ist die Zusage von Bezugsrechten aus Aktienoptionsplänen der Regelungen des AGG schwer fällt. Letztlich wird in die- nach wie vor eine gängige Form der Mitarbeiterbeteiligung. sem Zusammenhang nur ein Blick ins Gesetz und die dort Die Gewährung erfolgt manchmal direkt durch den verankerten Schutzgüter helfen. Arbeitgeber. Häufig findet man aber auch die Konstellation, dass die Zusage durch ein anderes Konzernunternehmen, Als gesetzliche Regelung im Sinne der vorliegenden nämlich in der Regel durch die Konzernmutter erfolgt. Entscheidung sieht das BAG allerdings nur in Deutschland Wer gegenüber dem Arbeitnehmer für erfolgte Zusagen bindendes Recht an, also nationales Recht oder Europarecht. einstehen muss, ist im jeweiligen Einzelfall auf Basis der getroffenen Absprachen und Umstände zu ermitteln. 3 Das BAG hat in diesem Jahr schon zwei Entscheidungen Arbeitsverhältnisses erfolgt, reicht nicht aus, um es zum zum Thema Aktienoptionen gefällt. Nachfolgend werden die Inhalt des Anstellungsverhältnisses zu zählen. wichtigsten Aussagen dieser Entscheidungen zusammen- • Diese im Jahr 2003 aufgestellte Aussage hat das BAG fassend dargestellt: mit der aktuellen Entscheidung vom Januar 2008 • In Fortführung der Rechtsprechung des BAG aus dem explizit bestätigt, darüber hinaus aber darauf aufmerk Jahre 2003 ist mit dessen Urteil vom 16. Januar 2008 sam, dass im Falle der Gewährung durch ein anderes (7 AZR 887/06) bestätigt worden, dass Bezugsansprüche Konzernunternehmen eine eigenständige Einstands- auf Aktienoptionen dann nicht zum Inhalt des Arbeits- pflicht des Arbeitgebers in Betracht kommen kann. verhältnisses werden, wenn nicht der Arbeitgeber Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien nämlich die selbst, sondern ein anderes Konzernunternehmen die Teilnahme des Arbeitnehmers an dem Aktienoptions- Aktienoptionen zusagt. In einem solchen Fall können programm eines anderen Konzernunternehmens, so von dem begünstigten Arbeitnehmer Ansprüche grund- ist der Arbeitgeber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass sätzlich nur gegenüber dem vertragsschließenden Kon- diese Teilnahme erfüllt wird. Eine solche Verpflichtung zernunternehmen geltend gemacht werden. Es handelt kann ausdrücklich im Rahmen der arbeitsvertragli- sich nicht um Ansprüche, die Bestandteil des Arbeits- chen Vereinbarungen eingegangen werden. Möglich verhältnisses werden, sondern sie stehen rechtlich selb- ist aber auch, dass sich die Zusage lediglich aus den ständig neben dem Arbeitsvertrag. Gesamtumständen und dem Verhalten des Arbeitgebers ergibt. Das BAG hat den Streitfall, der der Entschei- • Schon am 12. Februar 2003 erging durch das BAG dung vom Januar 2008 zu Grunde liegt, in Anbetracht (10 AZR 299/02) ein grundlegendes Urteil bezüglich dieser denkbaren Möglichkeit zur weiteren Aufklärung der Frage, was im Rahmen eines Betriebsübergangs an das LAG Hessen zurückverwiesen. Anhaltspunkte mit Ansprüchen aus einem Aktienoptionsplan passiert, für eine Einstandspflicht sieht das BAG darin, dass im die dem Arbeitnehmer nicht durch den Arbeitgeber, Einstellungsgespräch die Optionsgewährung durch sondern durch die Konzernmutter zugesagt worden die Muttergesellschaft von Arbeitgeberseite mehr- sind. Der arbeitsgerichtliche Prozess wurde damals fach angesprochen und als Zusatzleistung zum Gehalt aus Sicht des Betriebserwerbers durch unsere Kanzlei dargestellt worden ist. Es ist daher denkbar, dass der begleitet. Jones Day hatte den Unternehmenskauf Arbeitgeber sich neben der Muttergesellschaft gegen- betreut, im Rahmen dessen ein deutsches über dem Arbeitnehmer verpflichtet, dafür Sorge zu Tochterunternehmen eines finnisch geführten Konzerns tragen, dass dieser in das Optionsprogramm einbezo- veräußert worden war. Das Erwerberunternehmen gen wird. Wie der Sachverhalt vom LAG Hessen weiter wurde anschließend von einem der übernommenen aufgeklärt und bewertet wird, bleibt abzuwarten. Fest- Mitarbeiter verklagt. Dieser verlangte, dass die von der gestellt werden kann auf jeden Fall bereits heute, dass früheren finnischen Konzernobergesellschaft gewährten größte Vorsicht geboten ist, sofern der Arbeitgeber den Aktienbezugsrechte auch nach dem Betriebsübergang Arbeitnehmer bzw. Bewerber auf im Konzern existie- weiter gewährt oder wenigstens Schadensersatz rende Aktienoptions- oder andere Mitarbeiterbeteili- geleistet werden sollte. Die Klage blieb in allen drei gungsprogramme aufmerksam macht, darauf hinweist Instanzen erfolglos. Das LAG München sowie das BAG oder diese in Bezug nimmt. Hieraus kann ggf. eine stellten fest, dass die von einer Konzernmutter eigen- eigene Verpflichtung hergeleitet werden. Kann diese ständig gegenüber dem Arbeitnehmer des anstellenden nicht erfüllt werden, liegt ein Vertragsbruch vor, der ver- Tochterunternehmens übernommene Verpflichtung schiedenste Konsequenzen nach sich ziehen kann, wie nicht von einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB zum Beispiel eine Schadensersatzklage. erfasst wird. Zusagen, die von mit dem Arbeitgeber verbundenen Konzernunternehmen gegenüber einem • In dem am 28. Mai 2008 vom BAG entschiedenen Fall Arbeitnehmer erfolgen, sind nicht Gegenstand des (10 AZR 351/06) lag unstreitig die Situation vor, dass Arbeitsverhältnisses. Alleine die Tatsache, dass die sich der Arbeitgeber nicht zusammen mit der emittie- Zusage aus Anlass des mit im Konzern bestehenden renden Konzerngesellschaft sondern alleine gegenüber 4 dem Arbeitnehmer verpflichtet hatte, diesem zum festgelegten Preis die Aktien zu verschaffen. Im Streit war hier nicht die Frage, wer die Verschaffungspflicht eingegangen war, sondern ob diese Pflicht auf Grund der Beendigung des Anstellungsverhältnisses weggefallen war. Die nachfolgend geschilderten Aspekte wurden in diesem Zusammenhang erörtert und die Rechtsmeinung des BAG zu den schon seit längerer Zeit diskutierten Themen fixiert. • H ä u f i g w e r d e n d i e G e w ä h r u n g u n d / o d e r d a s Behaltendürfen von Sonderleistungen davon abhängig gemacht, dass sich der Mitarbeiter zu einem bestimmten Datum noch in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet. Derartige Bindungen an das Unternehmen können wegen Eingriffs in die Berufsfreiheit je nach Einzelumständen als unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers bewertet und vor diesem Hintergrund als unwirksam kassiert werden. In Aktienoptionsprogrammen finden sich häufig—wie auch in dem entschiedenen Fall—Bindungs- und Verfallklauseln. So entfällt das Recht zur Ausübung der Bezugsrechte, sobald er sich in einem gekündigten Arbeitsverhältnis befindet. Das BAG hat in diesem Zusammenhang explizit ausgeführt, dass die von der Rechtsprechung ent- Gemäß der Auffassung des BAG ist deswegen eine langfri- wickelten Rechtsgrundsät ze bezüglich bestimmter stige Verhaltenssteuerung durch eine mehrjährige Wartezeit Sonderleistungen (insbesondere Gratifikationen) nicht bezüglich des Ausübungsrechts zulässig. Eine zweijäh- uneingeschränkt auf Aktienoptionen übertragen werden rige Wartezeit ist vom Gesetzgeber im Aktiengesetz sogar können. Wesentliches Argument hierfür ist, dass das Wesen verankert worden, soweit es um die isolierte Ausgabe von der Aktienoption ein anderes ist als das der herkömmlichen Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Führungskräfte geht, Sondervergütungen. Die Besonderheit der Aktienoptionen die für die erstmalige Ausübung gesetzlich eine Wartezeit ist dabei das ungleich größere spekulative Element. Der von mindestens zwei Jahren erfordert. Eine gesetzliche Arbeitnehmer kann nicht zuverlässig mit der Werthaltigkeit Obergrenze bezüglich der Wartezeit gibt es nicht. Ohne der Bezugsechte rechnen; selbst wenn die eigene und die selbst hierzu Stellung zu nehmen verweist das BAG in Unternehmensleistung gut und erfolgreich gewesen sind, diesem Zusammenhang auf die überwiegend vertretene kann der Aktienkurs allein durch externe Faktoren wie Auffassung, dass eine Bindungsdauer bis zu fünf Jahren z.B. Konjunktur- und Zinsentwicklung negativ beeinflusst noch angemessen ist. Argument hierfür ist die in § 624 BGB werden. Im Extremfall—so führt das BAG aus—„können vorgesehene Regelung, der gemäß das Kündigungsrecht die Optionsrechte von einem Tag auf den anderen wertlos eines Arbeitnehmers nicht länger als für fünf Jahre ausge- werden“. Der bezugsberechtigte Arbeitnehmer muss daher schlossen werden kann. stets mit dem Verlust der Werthaltigkeit der Optionsrechte rechnen. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand Wegen des spekulativen Charakters gewährter Aktienoptio- eines daraus resultierenden Vermögenswerts besteht daher nen hält es das BAG für zulässig, das Ausübungsrecht des nur sehr eingeschränkt. Bloße Erwerbschancen sollen Arbeitnehmers so zu regeln, dass es mit der Beendigung jedoch nicht den gleichen arbeitsrechtlichen Schutz genie- des Anstellungsverhältnisses generell verfällt. Dies soll ßen wie gesicherte Vergütungsbestandteile. 5 daher nicht nur für den Fall gelten, dass das Arbeitsverhält- ausländische Rechtsordnungen wenden in solchen Fällen nis während der noch laufenden Wartezeit endet, sondern eine Theorie der „Frucht des verbotenen Baumes“ an und auch bezüglich Bezugsrechten, deren Wartezeit bereits entnehmen dieser, dass illegal erworbene Kenntnisse auch abgelaufen ist. Das BAG erkennt zwar, dass dies auf Seiten prozessual nicht verwertbar sind. des Arbeitnehmers zu erheblichen finanziellen Nachteilen führen kann. Soweit Optionsrechte erst nach Beendigung Die deutsche Rechtsprechung geht einen anderen Weg— des Arbeitsverhältnisses durch steigende Aktienkurse wert- und kommt in manchen Fällen auch zu einem anderen haltig werden, wird dem Arbeitnehmer dennoch kein bereits Ergebnis. Wesentlich ist zunächst, dass auch das BAG erdienter Verdienst sondern lediglich eine Verdienstchance für manche Bereiche des Arbeitsrechts eine Theorie ent- entzogen. Deswegen liegt keine unangemessene Benach- wickelt hat, die derjenigen des „verbotenen Baumes“ in teiligung vor. gewisser Weise recht ähnlich ist. So sollen Maßnahmen des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung des Betriebsrats entbehren, auch individualrechtlich (d.h. MITBESTIMMUNGSVERLETZUNG UND DIE FRÜCHTE DES VERBOTENEN BAUMES dem Arbeitnehmer gegenüber) unwirksam sein, sog. Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. Anwendung findet diese Theorie insbesondere bei der Mitbestimmung von Georg Mikes nach § 87 BetrVG, unter die vielfältige Maßnahmen wie Frankfurt Rechtsanwalt/Fachanwalt f. Arbeitsrecht [email protected] ++49 69 9726 3939 die hier relevante Taschenkontrolle, Leistungskontrollen u n d d i e g e g e n w ä r t i g s e h r re l e v a n t e n h e i m l i c h e n Videoüberwachungen fallen, ebenso jedoch beispielsweise Abänderungen von Entlohnungsgrundsätzen. In seinem Urteil vom 13. Dezember 2007 (2 AZR 537/06) hat das BAG über einen Sachverhalt entschieden, dessen inter- n KEIN BEWEISVERWERTUNGSVERBOT essantester Gesichtspunkt die Frage war, wie mit illegal Das BAG kommt im hier entschiedenen Fall zunächst zu erworbenen Erkenntnissen in einem Kündigungsschutz- dem nicht überraschenden Zwischenergebnis, dass die verfahren umzugehen ist. In dem entschiedenen Fall hatte Taschenkontrolle dem Mitbestimmungsrecht des Betriebs- der Arbeitgeber, ein Drogeriebetreiber, durch eine Taschen- rates unterliegt. Der Betriebsrat hatte zwar an der entspre- kontrolle erfahren, dass eine Mitarbeiterin einen Lippenstift chenden Betriebsvereinbarung mitgewirkt, doch war verein- entwenden wollte. Die Taschenkontrolle erfolgte, obwohl die barungswidrig kontrolliert worden. Dies allein, so folgert das dazu erforderlichen Voraussetzungen nach der Betriebsver- BAG, führt aber weder unter allgemeinen Erwägungen noch einbarung Personalkontrolle nicht vorlagen. nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung zur prozessualen Unverwertbarkeit des Ergebnisses. Der Fall weist einige sehr instruktive Aspekte auf. Vergleichsweise banal ist noch die neuerlich bestätigte Hinsichtlich der allgemeinen Erwägungen führt das BAG Erkenntnis, dass auch die Entwendung geringwertiger aus, dass der in der Kontrolle liegende Verstoß es nicht Sachen durch den Arbeitnehmer eine außerordentliche rechtfertigt, eine zwischen den Prozessparteien unstrei- Kündigung rechtfertigen kann. Damit wird eine „Tradition“ tige Tatsache nicht zu berücksichtigen. Diese Tatsache konsequent fortgesetzt, die sich schon bei anderen gering- bestand darin, dass die Klägerin einen Lippenstift aus wertigen Dingen zeigte, etwa der Entwendung eines dem Arbeitgebersortiment in ihrem Besitz hatte. Die Bienenstichs oder einer Portion Fisch aus einer Kantine, der Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, hatte noch dort andernfalls über das Wochenende verdorben wäre; gegenteilig entschieden. Nach Auffassung des BAG käme in beiden dieser berühmt-berüchtigten Fälle hatte es zur ein Verwertungsverbot jedoch nur in Betracht, wenn es fristlosen Kündigung ausgereicht. die dafür erforderliche gesetzliche Grundlage gibt, oder wenn in der Verwertung ein Eingriff in eine verfassungs- n THEORIE DER WIRKSAMKEITSVORAUSSETZUNG rechtlich geschützte Grundposition läge. Keine der beiden Im Kern geht es hier jedoch darum, dass der Arbeitgeber Möglichkeiten sah das BAG als gegeben an. Es gab zu Information hatte , die er gar nicht haben durfte . Viele auch verstehen, dass es hinsichtlich der Rechtswidrigkeit 6 der Erlangung des Beweismittels und dessen Verwertung n FOLGERUNGEN AUS DEM URTEIL unterscheidet. Erst wenn die Verwertung ein perpetu- Das Urteil lehrt zweierlei: Einerseits gibt es keinen ierender Eingriff in eine rechtlich erheblich geschützte Automatismus, wonach eine betriebsverfassungswidrig Position erfolgt, kann ein prozessuales Verbot einer durchgeführ te Maßnahme immer zur prozessualen Verwertung in Betracht kommen. Andernfalls bleibt es Unverwertbarkeit der gefundenen Ergebnisse führt. So beim Parteibeibringungsgrundsatz, also dem Prinzip, dass gesehen gibt es also keine Früchte des verbotenen rechtserhebliche und von einer Partei in das Verfahren ein- Baumes. Andererseits hebt das BAG sehr deutlich her- geführte Tatsachen zu berücksichtigen sind. vor, dass etwa bei Verletzung von verfassungsrechtlich geschützten Positionen eine Schwelle erreicht sein dürfte, Auch die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen führt die eine Beweisverwertung nicht mehr zulässt. Denkbare nach BAG zu keinem anderen Ergebnis. Es sprächen schon Anwendungsfälle könnten etwa die unzulässige Durchsicht erhebliche systematische Erwägungen gegen ein Verbot, von privaten E-Mails auf dem Computersystem des den Sachvortrag einer Partei oder einen entsprechenden Arbeitgebers sein, wenn dem Arbeitnehmer ansonsten Beweis zu verwerten. Auch kann aus einer Verletzung einer die private Nutzung des Computersystems gestattet Betriebsvereinbarung noch nicht auf eine Verletzung des ist. Betroffen wäre dann das Persönlichkeitsrecht oder Persönlichkeitsrechts geschlossen werden; vielmehr wäre Briefgeheimnis. Ähnlich könnte die zuvor schon genannte dies im Einzelfall festzustellen. Gerade im vorliegenden Situation zu betrachten sein, in der der Arbeitgeber heim- Fall hatte jedoch die Klägerin in die Kontrolle eingewil- lich Videoaufnahmen anfertigt. Man darf wohl erwarten, ligt. Ihr Persönlichkeitsrecht wurde deshalb nicht in ver- dass sich längerfristig eine Kasuistik entwickelt, die vermut- fassungsrechtlich bedenklichem Maß beeinträchtigt. Das lich nicht ganz widerspruchsfrei sein wird und die es dem BAG hat ausdrücklich offen gelassen, ob der Fall ohne die Arbeitgeber nicht leicht machen wird, Prognosen zu treffen. Einwilligung anders zu entscheiden gewesen wäre. 7 8 “BIG BROTHER IS WATCHING YOU”— ABER NICHT OHNE ZUSTIMMUNG DES BETRIEBSRATES die „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“ handelte. Die Nutzung von Videokameras zur Feststellung, ob und welche Von Jörg Rehder Arbeitnehmer Briefsendungen stehlen, stellt zweifellos einen Frankfurt Rechtsanwalt; Attorney at Law (Maryland und Minnesota); Solicitor (England und Wales) [email protected] ++49 69 9726 3122 Fall der „Nutzung von technischen Einrichtungen“ dar. Nachdem die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die Einrichtung einer stationären Vi d e o ü b e r w a c hu n g e r fo l g l o s v e r li e fe n , w u rd e di e Der Frage inwieweit der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer Einigungsstelle angerufen. Einigungsstellen sind Gremien, mittels elektronischer Geräte, Überprüfung von Emails, deren Mitglieder zur Hälfte vom Arbeitgeber und zur Abhören von Telefonaten oder dem Einsatz von Aufnahme- Hälfte vom Betriebsrat ernannt werden. Zusätzlich wird der geräten überwachen darf, wurde von jeher ein erhebliches Vorsitzende gemeinsam von Arbeitgeber und Betriebsrat Maß an Aufmerksamkeit geschenkt. Eine neue Entschei- ernannt (sofern sich die Betriebsparteien auf keinen dung des BAG (1 ABR 16/07) gewährt zusätzliche Einblicke, Vorsitzenden einigen können, wählt das zuständige welche Maßnahmen ein Arbeitgeber ergreifen darf, um Arbeitsgericht einen geeigneten Vorsitzenden aus). seine Arbeitnehmer zu überwachen. Der entschiedene Fall betraf die Einführung einer Videoüberwachung. n ABSCHLUSS EINER BETRIEBSVEREINBARUNG Die angerufene Einigungsstelle beschloss eine Betriebsver- n EINSATZ VON VIDEOKAMERAS AM ARBEITSPLATZ einbarung zum Einsatz einer stationären Videoanlage. Diese Der Arbeitgeber betrieb ein großes Briefverteilzentrum Betriebsvereinbarung sah die Videoüberwachung im Innen- in Lübeck. Innerhalb eines Zeitraumes von 10 Monaten und Außenbereich vor und enthielt unter anderem folgende meldeten 250 Kunden Verluste von Briefsendungen. Der Regelungen: Arbeitgeber kam zu dem Schluss, dass einige Arbeitnehmer • Die Videoanlage sollte Rufschädigende Briefdiebstähle Briefe stehlen würden—die Frage war lediglich welche durch Arbeitnehmer vermindern und sollte ausschließ- Arbeitnehmer. lich zur Aufklärung von Straftaten sowie zur Vorbeugung vor weiteren Straftaten benutzt werden. Anlässlich früherer Vorkommnisse hatten sich Arbeitgeber und Betriebsrat darauf geeinigt, eine versteckte Überwachungskamera zu installieren, nachdem der Arbeitgeber • Einzelne Bestimmungen legten die Standorte der 13 konkrete Verdachtsmomente gegen einzelne Arbeitnehmer Videokameras, sowie das Verbot von Tonaufnahmen wegen des Diebstahls von Briefsendungen hatte. Der fest. damalige Verdacht bestätigte sich, als jene Arbeitnehmer beim Diebstahl gefilmt wurden. Im Unterschied zur dama- Bedienungselemente der Videoanlage waren in einem ligen Situation hatte der Arbeitgeber im entschiedenen Fall Schrank unterzubringen, der nur mit zwei Schlüsseln jedoch keine Anhaltspunkte, welche Arbeitnehmer für die geöffnet werden konnte. Einer dieser Schlüssel sollte in Diebstähle verantwortlich sein könnten. der Obhut des Arbeitgebers, der andere in der Obhut des Betriebsrats verbleiben. Dies diente auch dazu die einseitige Veränderung der Standorte oder der Anzahl der n EINBEZIEHUNG VON BETRIEBSRAT UND Videokameras durch den Arbeitgeber zu verhindern. EINIGUNGSSTELLE Der Arbeitgeber verhandelte nun erneut mit dem Betriebs- • Die Videoüberwachung sollte nach Ermittlung des oder rat über den Einsatz von Videokameras am Arbeitsplatz der Täter unverzüglich eingestellt werden. zur Ergreifung der Schuldigen. Zur Verhandlung mit dem Betriebsrat war der Arbeitgeber wegen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats verpflichtet, da es sich um 9 • Aufgezeichnete Bilddaten waren spätestens 60 Tage nach Herstellung zu löschen, es sei denn, sie wurden zur Beweissicherung benötigt. • Die Arbeitnehmer sollten vor dem erstmaligen Einsatz der Videokameras vom Arbeitgeber informiert werden; neu eingestellte Arbeitnehmer sollten ein vom Arbeitgeber verfasstes Informationsblatt erhalten. Beim Entwurf der Regelungen der Betriebsvereinbarung musste die Einigungsstelle nicht nur die Vorgaben des Bundesdatenschut zgeset zes beachten (da die Überwachung von Arbeitnehmern mittels Videokamera auch von diesem Gesetz erfasst wird), sondern auch eine Abwägung des Arbeitgeberinteresses an der Verhinderung von Verlusten oder Beschädigungen von Briefsendungen, dem Schutz von Kunden- und Lieferanteneigentum sowie dem Schutz des Briefgeheimnisses gegen das Grundrecht der Arbeitnehmer auf Schutz ihres Persönlichkeitsrechts am Arbeitsplatz vornehmen. Im Zuge dieser Abwägung musste insbesondere das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet Ein Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer mittels tech- werden. nischer Einrichtungen überwachen will, kann dies nicht ohne Einbeziehung des Betriebsrates tun. Außerdem muss jede getroffene Regelung des Arbeitgebers ver- n VERHÄLTNISMÄSSIGKEITSPRINZIP— DIE REGELUNG MUSS GEEIGNET, ERFORDERLICH hältnismäßig und angemessen sein und die Grundrechte UND ANGEMESSEN SEIN des Arbeitnehmers achten. Wenn diese fundamentalen Was ist wichtig bei der Beachtung des Verhältnismäßig- Voraussetzungen nicht beachtet werden, ist es sehr wahr- keitsprinzips? Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass (i) scheinlich, dass der Arbeitgeber mit einem arbeitsge- mit Hilfe der getroffenen Regelung (Einsatz von Videoka- richtlichen Verfahren konfrontiert wird und überdies mit meras zur Überwachung von Arbeitnehmern) der erstrebte einer Strafe wegen der Verletzung von Schutzgesetzen— Zweck gefördert werden kann (Verhinderung des Verlusts vor allem des Bundesdatenschutzgesetzes und des von Briefsendungen), wobei den Betriebsparteien ein Betriebsverfassungsgesetzes rechnen muss. gewisser Beurteilungsspielraum verbleibt, (ii) die Regelung erforderlich ist (eine Regelung ist als erforderlich anzusehen, wenn kein anderes, gleich wirksames und weniger einschneidendes Mittel zur Verfügung steht.), und (iii) die Regelung bei Würdigung der Gesamtumstände nicht unverhältnismäßig ist. Obwohl das BAG entschied, dass ein Aspekt der von der Einigungsstelle verfassten Betriebsvereinbarung nicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit genügte, befand das Gericht, dass die Betriebsvereinbarung insgesamt dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Genüge tat und es dementsprechend dem Arbeitgeber erlaubt war, seine Arbeitnehmer mittels Videokamera zu überwachen. 10 Ihre Ansprechpartner FRANKFURT Georg Mikes MÜnCHEN Hochhaus am Park Rechtsanwalt/Fachanwalt Prinzregentenstraße 11 Rechtsanwältin/Fachanwältin Grüneburgweg 102 für Arbeitsrecht 80538 München für Arbeitsrecht 60323 Frankfurt am Main [email protected] Tel.: ++49 89 2060 42 200 [email protected] Tel.: ++49 69 9726 3939 Friederike Göbbels Fax: ++49 89 2060 42 293 Fax: ++49 69 9726 3993 Jones Day Büros Weltweit Atlanta Hong Kong München Silicon Valley Beijing Houston Neu Delhi Singapur Brüssel Irvine New York Sydney Chicago London Paris Taipeh Cleveland Los Angeles Pittsburgh Tokyo Columbus Madrid San Diego Washington Dallas Mailand San Francisco Frankfurt Moskau Shanghai Die hier dargebotenen Informationen, Meinungen und Rechtsansichten sind nicht als fallspezifische juristische Beratung gedacht und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 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