arbeitsrecht news

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arbeitsrecht news
3. Quartal 2008
Arbeitsrecht News
MITBESTIMMUNGSRECHTE DES BETRIEBSRATS
BEI ETHIK-RICHTLINIEN
von Jan Hufen,
München
Rechtsanwalt
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Bei der Implementierung von Ethikregeln stellt sich für alle Unternehmen, vor
allem aber für Konzernunternehmen, die verständlicherweise von Vorgaben der
Konzernmutter nicht abweichen möchten, die Frage, inwieweit der Betriebsrat
Einfluss auf die Gestaltung dieser Regeln hat.
Unter den Begriffen „Code of Ethics“ oder „Ethik-Richtlinien“ versteht man
inhalt
Mitbestimmungsrechte
des Betriebsrats bei
Ethik-Richtlinien
Neue BAG-Rechtsprechung
zu Aktienoptionen im
Arbeitsrecht
Mitbestimmungsverletzung
und die Früchte des
verbotenen Baumes
„Big Brother is watching You“—
aber nicht ohne Zustimmung
des Betriebsrates
die Aufstellung von Verhaltenskodices, deren Beachtung unter anderem die
Sicherstellung des fairen Wettbewerbs, den Schutz von Unternehmenseigentum,
die Verhinderung von Interessenkonflikten und die Sicherstellung von gesetze1
skonformen Verhalten der Mitarbeiter bezweckt. Letztlich sollen durch solche
Regelungen Gesetzesverstöße verhindert und das Image des Unternehmens
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verbessert werden. Vermehrt wird dabei auf konzerneinheitliche Regelungen
zurückgegriffen. Überdies sind börsennotierte US amerikanische Unternehmen
aufgrund des Sarbanes-Oxley Acts verpflichtet, derlei Ethikregeln aufzustellen.
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Das BAG hat kürzlich mit Beschluss vom 22. Juli 2008 (1 ABR 40/07) zu der
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Frage Stellung genommen, welchen Einfluss der zuständige Betriebsrat bei der
Implementierung von Ethikregeln hat.
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n DER SACHVERHALT
Demnach schließen ausländische Regelungen, die wie der
In dem entschiedenen Fall führte das deutsche Tochterun-
Sarbanes-Oxley Act die Einführung von Ethikrichtlinien für
ternehmen des Honeywell-Konzerns, einer Unternehmens-
bestimmte Unternehmen zwingend vorsehen, betriebs-
gruppe der Luftfahrt- und Verteidigungsindustrie, weltweit
verfassungsrechtliche Mitbestimmungsrechte nicht aus.
einen „Code of Business Conduct“ ein. Dieser Verhaltensko-
Unternehmen können sich also nicht darauf berufen, dass in
dex regelte unter anderem das Verhalten untereinander,
anderen Staaten Sanktionen drohen, sollte die Ethikrichtlinie
sowie gegenüber Dritten, und enthielt Regelungen zur
nicht in der gewünschten Form implementiert werden.
Durchsetzung der Gleichberechtigung im Betrieb und zur
Verhinderung von Diskriminierungen, der Vermeidung von
Die vorliegende Entscheidung des BAG bedeutet demnach
Interessenkonflikten, dem Schutz von Unternehmenseigen-
auch keine Änderung der Rechtsprechung im Hinblick auf
tum und –daten, sowie die Verpflichtung zur Meldung von
sog. Whistleblowing-Systeme. Unter Whistleblowing versteht
Verstößen (sog. „Whistleblowing-System“).
man die Verpflichtung von Arbeitnehmern Verstöße anderer
Arbeitnehmer unter Namensnennung zu melden. In diesem
n DIE ENTSCHEIDUNG
Zusammenhang bleibt es bei dem bisherigen Ansatz, dass
Das BAG entschied, dass der Betriebsrat grundsätzlich
der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht hat.
mitzubestimmen hat, wenn der Arbeitgeber Regelungen
erlässt, die die betriebliche Ordnung betreffen.
n FAZIT
In der Praxis müssen sich Unternehmen also auf die Kon-
Allerdings begründet nach dem BAG das Mitbestimmungs­
trolle einzelner Teile ihrer Ethikregel einstellen. Letztlich
recht bezüglich einer oder mehrerer Regelungen nicht
ist bei jeder einzelnen Regelung gesondert zu fragen, ob
automatisch ein Mitbestimmungsrecht hinsichtlich des
diese von einem Mitbestimmungstatbestand erfasst ist.
Gesamtwerks. Vielmehr ist jede einzelne Regelung auf ihre
Um die Kontrolle und den Diskurs mit dem Betriebsrat zu
Mitbestimmungspflichtigkeit hin zu prüfen. Diese Fest-
erleichtern, sollte der mitbestimmungspflichtige Teil der
stellung erhöht zwar den Arbeitsaufwand im Vorfeld der
Regelungen schon im Vorfeld optisch abgesetzt werden,
Diskussion mit dem Betriebsrat, andererseits bietet sich die
um zu weitgehende Forderungen des Betriebsrats zu ver-
Möglichkeit durch geschickte Aufteilung der Themenge-
hindern und damit Streit zu vermeiden.
biete den Verdacht, es bestünde ein Mitbestimmungsrecht,
gar nicht aufkommen zu lassen.
NEUE BAG-RECHTSPRECHUNG ZU
AKTIENOPTIONEN IM ARBEITSRECHT
Das BAG stellte überdies klar, dass Vorschriften, die ausschließlich die Arbeitsleistung konkretisieren, nicht von
der Mitbestimmung des Betriebsrats erfasst sind. Gleiches
von Friederike Göbbels
gilt nach Ansicht des BAG auch für Angelegenheiten, die
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gesetzlich abschließend geregelt sind. Dementsprechend
sind vor allem Regelungen, die Diskrimierungen im Sinn des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes verhindern sollen
der Einflussnahme des Betriebsrats entzogen. Klar ist, dass
Um Arbeitnehmer durch eine langfristig erfolgsorientierte
die Grenzziehung zwischen mitbestimmungspflichtigen
Erwerbschance möglichst eng ans Unternehmen zu binden,
Regelungen zum Ordnungsverhalten und Konkretisierungen
ist die Zusage von Bezugsrechten aus Aktienoptionsplänen
der Regelungen des AGG schwer fällt. Letztlich wird in die-
nach wie vor eine gängige Form der Mitarbeiterbeteiligung.
sem Zusammenhang nur ein Blick ins Gesetz und die dort
Die Gewährung erfolgt manchmal direkt durch den
verankerten Schutzgüter helfen.
Arbeitgeber. Häufig findet man aber auch die Konstellation,
dass die Zusage durch ein anderes Konzernunternehmen,
Als gesetzliche Regelung im Sinne der vorliegenden
nämlich in der Regel durch die Konzernmutter erfolgt.
Entscheidung sieht das BAG allerdings nur in Deutschland
Wer gegenüber dem Arbeitnehmer für erfolgte Zusagen
bindendes Recht an, also nationales Recht oder Europarecht.
einstehen muss, ist im jeweiligen Einzelfall auf Basis der
getroffenen Absprachen und Umstände zu ermitteln.
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Das BAG hat in diesem Jahr schon zwei Entscheidungen
Arbeitsverhältnisses erfolgt, reicht nicht aus, um es zum
zum Thema Aktienoptionen gefällt. Nachfolgend werden die
Inhalt des Anstellungsverhältnisses zu zählen.
wichtigsten Aussagen dieser Entscheidungen zusammen-
• Diese im Jahr 2003 aufgestellte Aussage hat das BAG
fassend dargestellt:
mit der aktuellen Entscheidung vom Januar 2008
•
In Fortführung der Rechtsprechung des BAG aus dem
explizit bestätigt, darüber hinaus aber darauf aufmerk­
Jahre 2003 ist mit dessen Urteil vom 16. Januar 2008
sam, dass im Falle der Gewährung durch ein anderes
(7 AZR 887/06) bestätigt worden, dass Bezugsansprüche
Konzernunternehmen eine eigenständige Einstands-
auf Aktienoptionen dann nicht zum Inhalt des Arbeits-
pflicht des Arbeitgebers in Betracht kommen kann.
verhältnisses werden, wenn nicht der Arbeitgeber
Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien nämlich die
selbst, sondern ein anderes Konzernunternehmen die
Teilnahme des Arbeitnehmers an dem Aktienoptions-
Aktienoptionen zusagt. In einem solchen Fall können
programm eines anderen Konzernunternehmens, so
von dem begünstigten Arbeitnehmer Ansprüche grund-
ist der Arbeitgeber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass
sätzlich nur gegenüber dem vertragsschließenden Kon-
diese Teilnahme erfüllt wird. Eine solche Verpflichtung
zernunternehmen geltend gemacht werden. Es handelt
kann ausdrücklich im Rahmen der arbeitsvertragli-
sich nicht um Ansprüche, die Bestandteil des Arbeits-
chen Vereinbarungen eingegangen werden. Möglich
verhältnisses werden, sondern sie stehen rechtlich selb-
ist aber auch, dass sich die Zusage lediglich aus den
ständig neben dem Arbeitsvertrag.
Gesamtumständen und dem Verhalten des Arbeitgebers ergibt. Das BAG hat den Streitfall, der der Entschei-
• Schon am 12. Februar 2003 erging durch das BAG
dung vom Januar 2008 zu Grunde liegt, in Anbetracht
(10 AZR 299/02) ein grundlegendes Urteil bezüglich
dieser denkbaren Möglichkeit zur weiteren Aufklärung
der Frage, was im Rahmen eines Betriebsübergangs
an das LAG Hessen zurückverwiesen. Anhaltspunkte
mit Ansprüchen aus einem Aktienoptionsplan passiert,
für eine Einstandspflicht sieht das BAG darin, dass im
die dem Arbeitnehmer nicht durch den Arbeitgeber,
Einstellungsgespräch die Optionsgewährung durch
sondern durch die Konzernmutter zugesagt worden
die Muttergesellschaft von Arbeitgeberseite mehr-
sind. Der arbeitsgerichtliche Prozess wurde damals
fach angesprochen und als Zusatzleistung zum Gehalt
aus Sicht des Betriebserwerbers durch unsere Kanzlei
dargestellt worden ist. Es ist daher denkbar, dass der
begleitet. Jones Day hatte den Unternehmenskauf
Arbeitgeber sich neben der Muttergesellschaft gegen-
betreut, im Rahmen dessen ein deutsches
über dem Arbeitnehmer verpflichtet, dafür Sorge zu
Tochterunternehmen eines finnisch geführten Konzerns
tragen, dass dieser in das Optionsprogramm einbezo-
veräußert worden war. Das Erwerberunternehmen
gen wird. Wie der Sachverhalt vom LAG Hessen weiter
wurde anschließend von einem der übernommenen
aufgeklärt und bewertet wird, bleibt abzuwarten. Fest-
Mitarbeiter verklagt. Dieser verlangte, dass die von der
gestellt werden kann auf jeden Fall bereits heute, dass
früheren finnischen Konzernobergesellschaft gewährten
größte Vorsicht geboten ist, sofern der Arbeitgeber den
Aktienbezugsrechte auch nach dem Betriebsübergang
Arbeitnehmer bzw. Bewerber auf im Konzern existie-
weiter gewährt oder wenigstens Schadensersatz
rende Aktienoptions- oder andere Mitarbeiterbeteili-
geleistet werden sollte. Die Klage blieb in allen drei
gungsprogramme aufmerksam macht, darauf hinweist
Instanzen erfolglos. Das LAG München sowie das BAG
oder diese in Bezug nimmt. Hieraus kann ggf. eine
stellten fest, dass die von einer Konzernmutter eigen-
eigene Verpflichtung hergeleitet werden. Kann diese
ständig gegenüber dem Arbeitnehmer des anstellenden
nicht erfüllt werden, liegt ein Vertragsbruch vor, der ver-
Tochterunternehmens übernommene Verpflichtung
schiedenste Konsequenzen nach sich ziehen kann, wie
nicht von einem Betriebsübergang gemäß § 613a BGB
zum Beispiel eine Schadensersatzklage.
erfasst wird. Zusagen, die von mit dem Arbeitgeber
verbundenen Konzernunternehmen gegenüber einem
• In dem am 28. Mai 2008 vom BAG entschiedenen Fall
Arbeitnehmer erfolgen, sind nicht Gegenstand des
(10 AZR 351/06) lag unstreitig die Situation vor, dass
Arbeitsverhältnisses. Alleine die Tatsache, dass die
sich der Arbeitgeber nicht zusammen mit der emittie-
Zusage aus Anlass des mit im Konzern bestehenden
renden Konzerngesellschaft sondern alleine gegenüber
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dem Arbeitnehmer verpflichtet hatte, diesem zum festgelegten Preis die Aktien zu verschaffen. Im Streit war
hier nicht die Frage, wer die Verschaffungspflicht eingegangen war, sondern ob diese Pflicht auf Grund
der Beendigung des Anstellungsverhältnisses weggefallen war. Die nachfolgend geschilderten Aspekte
wurden in diesem Zusammenhang erörtert und die
Rechtsmeinung des BAG zu den schon seit längerer
Zeit diskutierten Themen fixiert.
• H ä u f i g w e r d e n d i e G e w ä h r u n g u n d / o d e r d a s
Behaltendürfen von Sonderleistungen davon abhängig gemacht, dass sich der Mitarbeiter zu einem
bestimmten Datum noch in einem ungekündigten
Arbeitsverhältnis befindet. Derartige Bindungen an
das Unternehmen können wegen Eingriffs in die
Berufsfreiheit je nach Einzelumständen als unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers bewertet und
vor diesem Hintergrund als unwirksam kassiert werden.
In Aktienoptionsprogrammen finden sich häufig—wie auch
in dem entschiedenen Fall—Bindungs- und Verfallklauseln.
So entfällt das Recht zur Ausübung der Bezugsrechte,
sobald er sich in einem gekündigten Arbeitsverhältnis
befindet. Das BAG hat in diesem Zusammenhang explizit ausgeführt, dass die von der Rechtsprechung ent-
Gemäß der Auffassung des BAG ist deswegen eine langfri-
wickelten Rechtsgrundsät ze bezüglich bestimmter
stige Verhaltenssteuerung durch eine mehrjährige Wartezeit
Sonderleistungen (insbesondere Gratifikationen) nicht
bezüglich des Ausübungsrechts zulässig. Eine zweijäh-
uneingeschränkt auf Aktienoptionen übertragen werden
rige Wartezeit ist vom Gesetzgeber im Aktiengesetz sogar
können. Wesentliches Argument hierfür ist, dass das Wesen
verankert worden, soweit es um die isolierte Ausgabe von
der Aktienoption ein anderes ist als das der herkömmlichen
Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Führungskräfte geht,
Sondervergütungen. Die Besonderheit der Aktienoptionen
die für die erstmalige Ausübung gesetzlich eine Wartezeit
ist dabei das ungleich größere spekulative Element. Der
von mindestens zwei Jahren erfordert. Eine gesetzliche
Arbeitnehmer kann nicht zuverlässig mit der Werthaltigkeit
Obergrenze bezüglich der Wartezeit gibt es nicht. Ohne
der Bezugsechte rechnen; selbst wenn die eigene und die
selbst hierzu Stellung zu nehmen verweist das BAG in
Unternehmensleistung gut und erfolgreich gewesen sind,
diesem Zusammenhang auf die überwiegend vertretene
kann der Aktienkurs allein durch externe Faktoren wie
Auffassung, dass eine Bindungsdauer bis zu fünf Jahren
z.B. Konjunktur- und Zinsentwicklung negativ beeinflusst
noch angemessen ist. Argument hierfür ist die in § 624 BGB
werden. Im Extremfall—so führt das BAG aus—„können
vorgesehene Regelung, der gemäß das Kündigungsrecht
die Optionsrechte von einem Tag auf den anderen wertlos
eines Arbeitnehmers nicht länger als für fünf Jahre ausge-
werden“. Der bezugsberechtigte Arbeitnehmer muss daher
schlossen werden kann.
stets mit dem Verlust der Werthaltigkeit der Optionsrechte
rechnen. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand
Wegen des spekulativen Charakters gewährter Aktienoptio-
eines daraus resultierenden Vermögenswerts besteht daher
nen hält es das BAG für zulässig, das Ausübungsrecht des
nur sehr eingeschränkt. Bloße Erwerbschancen sollen
Arbeitnehmers so zu regeln, dass es mit der Beendigung
jedoch nicht den gleichen arbeitsrechtlichen Schutz genie-
des Anstellungsverhältnisses generell verfällt. Dies soll
ßen wie gesicherte Vergütungsbestandteile.
5
daher nicht nur für den Fall gelten, dass das Arbeitsverhält-
ausländische Rechtsordnungen wenden in solchen Fällen
nis während der noch laufenden Wartezeit endet, sondern
eine Theorie der „Frucht des verbotenen Baumes“ an und
auch bezüglich Bezugsrechten, deren Wartezeit bereits
entnehmen dieser, dass illegal erworbene Kenntnisse auch
abgelaufen ist. Das BAG erkennt zwar, dass dies auf Seiten
prozessual nicht verwertbar sind.
des Arbeitnehmers zu erheblichen finanziellen Nachteilen
führen kann. Soweit Optionsrechte erst nach Beendigung
Die deutsche Rechtsprechung geht einen anderen Weg—
des Arbeitsverhältnisses durch steigende Aktienkurse wert-
und kommt in manchen Fällen auch zu einem anderen
haltig werden, wird dem Arbeitnehmer dennoch kein bereits
Ergebnis. Wesentlich ist zunächst, dass auch das BAG
erdienter Verdienst sondern lediglich eine Verdienstchance
für manche Bereiche des Arbeitsrechts eine Theorie ent-
entzogen. Deswegen liegt keine unangemessene Benach-
wickelt hat, die derjenigen des „verbotenen Baumes“ in
teiligung vor.
gewisser Weise recht ähnlich ist. So sollen Maßnahmen
des Arbeitgebers, die der notwendigen Mitbestimmung
des Betriebsrats entbehren, auch individualrechtlich (d.h.
MITBESTIMMUNGSVERLETZUNG UND DIE
FRÜCHTE DES VERBOTENEN BAUMES
dem Arbeitnehmer gegenüber) unwirksam sein, sog.
Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung. Anwendung
findet diese Theorie insbesondere bei der Mitbestimmung
von Georg Mikes
nach § 87 BetrVG, unter die vielfältige Maßnahmen wie
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die hier relevante Taschenkontrolle, Leistungskontrollen
u n d d i e g e g e n w ä r t i g s e h r re l e v a n t e n h e i m l i c h e n
Videoüberwachungen fallen, ebenso jedoch beispielsweise
Abänderungen von Entlohnungsgrundsätzen.
In seinem Urteil vom 13. Dezember 2007 (2 AZR 537/06) hat
das BAG über einen Sachverhalt entschieden, dessen inter-
n KEIN BEWEISVERWERTUNGSVERBOT
essantester Gesichtspunkt die Frage war, wie mit illegal
Das BAG kommt im hier entschiedenen Fall zunächst zu
erworbenen Erkenntnissen in einem Kündigungsschutz-
dem nicht überraschenden Zwischenergebnis, dass die
verfahren umzugehen ist. In dem entschiedenen Fall hatte
Taschenkontrolle dem Mitbestimmungsrecht des Betriebs-
der Arbeitgeber, ein Drogeriebetreiber, durch eine Taschen-
rates unterliegt. Der Betriebsrat hatte zwar an der entspre-
kontrolle erfahren, dass eine Mitarbeiterin einen Lippenstift
chenden Betriebsvereinbarung mitgewirkt, doch war verein-
entwenden wollte. Die Taschenkontrolle erfolgte, obwohl die
barungswidrig kontrolliert worden. Dies allein, so folgert das
dazu erforderlichen Voraussetzungen nach der Betriebsver-
BAG, führt aber weder unter allgemeinen Erwägungen noch
einbarung Personalkontrolle nicht vorlagen.
nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung zur prozessualen Unverwertbarkeit des Ergebnisses.
Der Fall weist einige sehr instruktive Aspekte auf.
Vergleichsweise banal ist noch die neuerlich bestätigte
Hinsichtlich der allgemeinen Erwägungen führt das BAG
Erkenntnis, dass auch die Entwendung geringwertiger
aus, dass der in der Kontrolle liegende Verstoß es nicht
Sachen durch den Arbeitnehmer eine außerordentliche
rechtfertigt, eine zwischen den Prozessparteien unstrei-
Kündigung rechtfertigen kann. Damit wird eine „Tradition“
tige Tatsache nicht zu berücksichtigen. Diese Tatsache
konsequent fortgesetzt, die sich schon bei anderen gering-
bestand darin, dass die Klägerin einen Lippenstift aus
wertigen Dingen zeigte, etwa der Entwendung eines
dem Arbeitgebersortiment in ihrem Besitz hatte. Die
Bienenstichs oder einer Portion Fisch aus einer Kantine, der
Vorinstanz, das Landesarbeitsgericht Hamm, hatte noch
dort andernfalls über das Wochenende verdorben wäre;
gegenteilig entschieden. Nach Auffassung des BAG käme
in beiden dieser berühmt-berüchtigten Fälle hatte es zur
ein Verwertungsverbot jedoch nur in Betracht, wenn es
fristlosen Kündigung ausgereicht.
die dafür erforderliche gesetzliche Grundlage gibt, oder
wenn in der Verwertung ein Eingriff in eine verfassungs-
n THEORIE DER WIRKSAMKEITSVORAUSSETZUNG
rechtlich geschützte Grundposition läge. Keine der beiden
Im Kern geht es hier jedoch darum, dass der Arbeitgeber
Möglichkeiten sah das BAG als gegeben an. Es gab zu
Information hatte , die er gar nicht haben durfte . Viele
auch verstehen, dass es hinsichtlich der Rechtswidrigkeit
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der Erlangung des Beweismittels und dessen Verwertung
n FOLGERUNGEN AUS DEM URTEIL
unterscheidet. Erst wenn die Verwertung ein perpetu-
Das Urteil lehrt zweierlei: Einerseits gibt es keinen
ierender Eingriff in eine rechtlich erheblich geschützte
Automatismus, wonach eine betriebsverfassungswidrig
Position erfolgt, kann ein prozessuales Verbot einer
durchgeführ te Maßnahme immer zur prozessualen
Verwertung in Betracht kommen. Andernfalls bleibt es
Unverwertbarkeit der gefundenen Ergebnisse führt. So
beim Parteibeibringungsgrundsatz, also dem Prinzip, dass
gesehen gibt es also keine Früchte des verbotenen
rechtserhebliche und von einer Partei in das Verfahren ein-
Baumes. Andererseits hebt das BAG sehr deutlich her-
geführte Tatsachen zu berücksichtigen sind.
vor, dass etwa bei Verletzung von verfassungsrechtlich
geschützten Positionen eine Schwelle erreicht sein dürfte,
Auch die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzungen führt
die eine Beweisverwertung nicht mehr zulässt. Denkbare
nach BAG zu keinem anderen Ergebnis. Es sprächen schon
Anwendungsfälle könnten etwa die unzulässige Durchsicht
erhebliche systematische Erwägungen gegen ein Verbot,
von privaten E-Mails auf dem Computersystem des
den Sachvortrag einer Partei oder einen entsprechenden
Arbeitgebers sein, wenn dem Arbeitnehmer ansonsten
Beweis zu verwerten. Auch kann aus einer Verletzung einer
die private Nutzung des Computersystems gestattet
Betriebsvereinbarung noch nicht auf eine Verletzung des
ist. Betroffen wäre dann das Persönlichkeitsrecht oder
Persönlichkeitsrechts geschlossen werden; vielmehr wäre
Briefgeheimnis. Ähnlich könnte die zuvor schon genannte
dies im Einzelfall festzustellen. Gerade im vorliegenden
Situation zu betrachten sein, in der der Arbeitgeber heim-
Fall hatte jedoch die Klägerin in die Kontrolle eingewil-
lich Videoaufnahmen anfertigt. Man darf wohl erwarten,
ligt. Ihr Persönlichkeitsrecht wurde deshalb nicht in ver-
dass sich längerfristig eine Kasuistik entwickelt, die vermut-
fassungsrechtlich bedenklichem Maß beeinträchtigt. Das
lich nicht ganz widerspruchsfrei sein wird und die es dem
BAG hat ausdrücklich offen gelassen, ob der Fall ohne die
Arbeitgeber nicht leicht machen wird, Prognosen zu treffen.
Einwilligung anders zu entscheiden gewesen wäre.
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“BIG BROTHER IS WATCHING YOU”—
ABER NICHT OHNE ZUSTIMMUNG DES
BETRIEBSRATES
die „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die
Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“ handelte. Die
Nutzung von Videokameras zur Feststellung, ob und welche
Von Jörg Rehder
Arbeitnehmer Briefsendungen stehlen, stellt zweifellos einen
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Fall der „Nutzung von technischen Einrichtungen“ dar.
Nachdem die Verhandlungen zwischen Arbeitgeber
und Betriebsrat über die Einrichtung einer stationären
Vi d e o ü b e r w a c hu n g e r fo l g l o s v e r li e fe n , w u rd e di e
Der Frage inwieweit der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer
Einigungsstelle angerufen. Einigungsstellen sind Gremien,
mittels elektronischer Geräte, Überprüfung von Emails,
deren Mitglieder zur Hälfte vom Arbeitgeber und zur
Abhören von Telefonaten oder dem Einsatz von Aufnahme-
Hälfte vom Betriebsrat ernannt werden. Zusätzlich wird der
geräten überwachen darf, wurde von jeher ein erhebliches
Vorsitzende gemeinsam von Arbeitgeber und Betriebsrat
Maß an Aufmerksamkeit geschenkt. Eine neue Entschei-
ernannt (sofern sich die Betriebsparteien auf keinen
dung des BAG (1 ABR 16/07) gewährt zusätzliche Einblicke,
Vorsitzenden einigen können, wählt das zuständige
welche Maßnahmen ein Arbeitgeber ergreifen darf, um
Arbeitsgericht einen geeigneten Vorsitzenden aus).
seine Arbeitnehmer zu überwachen. Der entschiedene Fall
betraf die Einführung einer Videoüberwachung.
n ABSCHLUSS EINER BETRIEBSVEREINBARUNG
Die angerufene Einigungsstelle beschloss eine Betriebsver-
n EINSATZ VON VIDEOKAMERAS AM ARBEITSPLATZ
einbarung zum Einsatz einer stationären Videoanlage. Diese
Der Arbeitgeber betrieb ein großes Briefverteilzentrum
Betriebsvereinbarung sah die Videoüberwachung im Innen-
in Lübeck. Innerhalb eines Zeitraumes von 10 Monaten
und Außenbereich vor und enthielt unter anderem folgende
meldeten 250 Kunden Verluste von Briefsendungen. Der
Regelungen:
Arbeitgeber kam zu dem Schluss, dass einige Arbeitnehmer
• Die Videoanlage sollte Rufschädigende Briefdiebstähle
Briefe stehlen würden—die Frage war lediglich welche
durch Arbeitnehmer vermindern und sollte ausschließ-
Arbeitnehmer.
lich zur Aufklärung von Straftaten sowie zur Vorbeugung
vor weiteren Straftaten benutzt werden.
Anlässlich früherer Vorkommnisse hatten sich Arbeitgeber
und Betriebsrat darauf geeinigt, eine versteckte Überwachungskamera zu installieren, nachdem der Arbeitgeber
• Einzelne Bestimmungen legten die Standorte der 13
konkrete Verdachtsmomente gegen einzelne Arbeitnehmer
Videokameras, sowie das Verbot von Tonaufnahmen
wegen des Diebstahls von Briefsendungen hatte. Der
fest.
damalige Verdacht bestätigte sich, als jene Arbeitnehmer
beim Diebstahl gefilmt wurden. Im Unterschied zur dama-
Bedienungselemente der Videoanlage waren in einem
ligen Situation hatte der Arbeitgeber im entschiedenen Fall
Schrank unterzubringen, der nur mit zwei Schlüsseln
jedoch keine Anhaltspunkte, welche Arbeitnehmer für die
geöffnet werden konnte. Einer dieser Schlüssel sollte in
Diebstähle verantwortlich sein könnten.
der Obhut des Arbeitgebers, der andere in der Obhut des
Betriebsrats verbleiben. Dies diente auch dazu die einseitige Veränderung der Standorte oder der Anzahl der
n EINBEZIEHUNG VON BETRIEBSRAT UND
Videokameras durch den Arbeitgeber zu verhindern.
EINIGUNGSSTELLE
Der Arbeitgeber verhandelte nun erneut mit dem Betriebs-
• Die Videoüberwachung sollte nach Ermittlung des oder
rat über den Einsatz von Videokameras am Arbeitsplatz
der Täter unverzüglich eingestellt werden.
zur Ergreifung der Schuldigen. Zur Verhandlung mit dem
Betriebsrat war der Arbeitgeber wegen des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats verpflichtet, da es sich um
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• Aufgezeichnete Bilddaten waren spätestens 60 Tage
nach Herstellung zu löschen, es sei denn, sie wurden
zur Beweissicherung benötigt.
• Die Arbeitnehmer sollten vor dem erstmaligen Einsatz
der Videokameras vom Arbeitgeber informiert werden; neu eingestellte Arbeitnehmer sollten ein vom
Arbeitgeber verfasstes Informationsblatt erhalten.
Beim Entwurf der Regelungen der Betriebsvereinbarung
musste die Einigungsstelle nicht nur die Vorgaben
des Bundesdatenschut zgeset zes beachten (da die
Überwachung von Arbeitnehmern mittels Videokamera
auch von diesem Gesetz erfasst wird), sondern auch eine
Abwägung des Arbeitgeberinteresses an der Verhinderung
von Verlusten oder Beschädigungen von Briefsendungen,
dem Schutz von Kunden- und Lieferanteneigentum sowie
dem Schutz des Briefgeheimnisses gegen das Grundrecht
der Arbeitnehmer auf Schutz ihres Persönlichkeitsrechts am
Arbeitsplatz vornehmen. Im Zuge dieser Abwägung musste
insbesondere das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet
Ein Arbeitgeber, der seine Arbeitnehmer mittels tech-
werden.
nischer Einrichtungen überwachen will, kann dies nicht
ohne Einbeziehung des Betriebsrates tun. Außerdem
muss jede getroffene Regelung des Arbeitgebers ver-
n VERHÄLTNISMÄSSIGKEITSPRINZIP—
DIE REGELUNG MUSS GEEIGNET, ERFORDERLICH
hältnismäßig und angemessen sein und die Grundrechte
UND ANGEMESSEN SEIN
des Arbeitnehmers achten. Wenn diese fundamentalen
Was ist wichtig bei der Beachtung des Verhältnismäßig-
Voraussetzungen nicht beachtet werden, ist es sehr wahr-
keitsprinzips? Der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass (i)
scheinlich, dass der Arbeitgeber mit einem arbeitsge-
mit Hilfe der getroffenen Regelung (Einsatz von Videoka-
richtlichen Verfahren konfrontiert wird und überdies mit
meras zur Überwachung von Arbeitnehmern) der erstrebte
einer Strafe wegen der Verletzung von Schutzgesetzen—
Zweck gefördert werden kann (Verhinderung des Verlusts
vor allem des Bundesdatenschutzgesetzes und des
von Briefsendungen), wobei den Betriebsparteien ein
Betriebsverfassungsgesetzes rechnen muss.
gewisser Beurteilungsspielraum verbleibt, (ii) die Regelung
erforderlich ist (eine Regelung ist als erforderlich anzusehen, wenn kein anderes, gleich wirksames und weniger
einschneidendes Mittel zur Verfügung steht.), und (iii) die
Regelung bei Würdigung der Gesamtumstände nicht unverhältnismäßig ist. Obwohl das BAG entschied, dass ein
Aspekt der von der Einigungsstelle verfassten Betriebsvereinbarung nicht dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit
genügte, befand das Gericht, dass die Betriebsvereinbarung insgesamt dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Genüge
tat und es dementsprechend dem Arbeitgeber erlaubt war,
seine Arbeitnehmer mittels Videokamera zu überwachen.
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