Starke Schuldnerberater – ein Webfehler im ESUG?
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Starke Schuldnerberater – ein Webfehler im ESUG?
Starke Schuldnerberater – ein Webfehler im ESUG? Köln. Kaum kommt in den ersten Großverfahren das Instrumentarium des ESUG zum Einsatz, regt sich Kritik, dass einzelne Regelungen – vor allem die zur Bildung des vorläuigen Gläubigerausschusses und zur Verwalterauswahl – Missbräuchen Vorschub leisten. Schuldnerberater scheinen nun im Insolvenzverfahren viel mehr Einluss auszuüben als die Gläubiger. Text: Peter Reuter I N D at - R e p o rt 0 6 _ 2 0 1 2 »In einigen Verfahren drängt sich der Eindruck auf, dass weniger das Gläubigerinteresse als das Interesse am Mandatserhalt der Sanierungsberater im Vordergrund steht«, sagt der Vorsitzende des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), Dr. Christoph Niering. »Es sind Grenzüberschreitungen zu beobachten, die Zweifel an der Transparenz der Auswahlentscheidung und damit der Unabhängigkeit der bestellten Sachwalter und Insolvenzverwalter aufkommen lassen.« Obwohl zur Praxis nach dem ESUG bislang keine übergreifenden Auswertungen vorliegen, sei bereits jetzt erkennbar, dass einzelne Berater vermehrt zur Bestellung bestimmter Verwalter neigen und dass die von diesen Beratern des Schuldners vorgeschlagenen Mitglieder der vorläuigen Gläubigerausschüsse (GA) fast ausschließlich dieser Empfehlung folgen, stellt der Potsdamer Insolvenzrichter Dr. Thorsten Graeber fest. Da der Schuldner die GA-Mitglieder vorschlagen kann, habe sich die Position der Gläubiger nur scheinbar gestärkt, während die des Schuldners hinsichtlich der Verwalterauswahl »extrem gestiegen« sei. »Die von einzelnen Beratern stammenden Vorschläge variieren zur Person des Verwalters kaum, was angesichts der unterschiedlichen Anfor- derungen aus den verschiedenen Verfahren erstaunlich ist.« Dies erwecke den Anschein, so Dr. Graeber, dass es bei diesem Vorschlag weniger um die Fähigkeiten des Verwalters in Bezug auf die Anforderungen im konkreten Verfahren als um eine allgemein geneigte Zusammenarbeit zwischen Berater und Verwalter gehe. Nicht immer seien die Anhaltspunkte dieser »Grenzüberschreitungen« fassbar, sagt Dr. Niering. Fehlerhafte Gläubigerlisten, unzureichende Aufklärung der beteiligten Gläubiger im Vorfeld der Auswahlentscheidung, unvollständige Angaben zur Unabhängigkeit oder Leistungsfähigkeit des zu bestellenden Verwalters oder Sachwalters ließen Zweifel daran aufkommen, ob allen Beteiligten an einer transparenten und den Gläubigerinteressen dienenden Verwalterauswahl gelegen sei. Etwas diplomatischer drückt es der BRSI-Vorsitzende Eugen M. Angster aus: »Der Prozess und die Beteiligten müssen sich in ihre Rollen noch eininden. Es kommt zu einer Verschiebung der gewohnten Verantwortlichkeiten, die in einigen Fällen zu offensichtlich emotionalen Entscheidungen geführt hat.« Sein Verband sei überzeugt, dass es sich aber in den nächsten Monaten, wenn mehr Dr. Thorsten Graeber, Insolvenzrichter am AG Potsdam: »Das gesetzgeberische Ziel der Stärkung der Gläubiger im Eröffnungsverfahren wurde wohl verfehlt und dem Schuldner Möglichkeiten zur Beeinlussung des Verfahrens gegeben, welche nicht immer im Interesse der Gläubiger sind.« Foto: LeitnerR/Fotolia 26 H i n t e r g r u n d RA Professor Rolf Rattunde, Mitglied im Vorstand des Fachverbandes Sanierungs- und Insolvenzberatung des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU): »Gegenüber der früheren Situation bringt das ESUG den Vorteil, dass die Einlussnahme nunmehr transparent, ofiziell stattindet. Die Personalvorstellungen sind nun aktenkundig.« 27 RA Dr. Christoph Niering, Vorsitzender des Verbands Insolvenzverwalter Deutschlands (VID): »Es sind Grenzüberschreitungen zu beobachten, die Zweifel an der Transparenz der Auswahlentscheidung und damit der Unabhängigkeit der bestellten Sachwalter und Insolvenzverwalter aufkommen lassen.« Erfahrungen mit den Verfahren vorliegen, einschwingen werde bzw. Verfahrensanpassungen erfolgen würden. »Die Spreu vom Weizen bei den Beratern wird sich dort trennen, wo die Erfahrung und die Entscheidungskompetenz, welches Verfahren das aussichtsreichste Ergebnis erzielen kann und wird, vorhanden sind oder nicht.« Dass es Kritik an der Transparenz der Verwalterauswahl durch den vorläuigen GA gibt, verwundert Dr. Frank Nikolaus, Vorsitzender des Sanierer-Verbandes TMA Deutschland. »Wesensmerkmal des Vor-ESUG-Zustandes war ja gerade die vollkommene Intransparenz. Was jedenfalls dann unproblematisch gewesen wäre, wenn der Richter seine Entscheidung rein im stillen Kämmerlein nach Aktenlage getroffen hätte. Üblich war aber das Antichambrieren. Was nun erreicht ist, ist wenigstens ein Minimum an Transparenz.« Es könne nicht mehr danach gehen, wer als erster beim Richter im Zimmer sitzt, aber auch nicht danach, wer aus Sicht des Gerichts »wieder mal »an der Reihe« wäre. »Das war doch die Praxis bisher, ein schreiender Gegensatz zu der Geeignetheit für den Einzelfall, den der § 56 InsO postuliert.« So sieht es auch Verwalter Professor Rolf Rattunde, der im Vorstand der BDU-Fachverbandes Sanierungs- und Insolvenzberatung sitzt: »Gegenüber der früheren Situation bringt das ESUG den Vorteil, dass die Einlussnahme nunmehr transparent, ofiziell stattindet. Die Personalvorstellungen sind jetzt aktenkundig.« Gläubigerausschüsse aus »Family and Friends« Der TMA-Vorsitzende räumt ein, dass vereinzelt auch die Bildung von Gläubigerausschüssen zu beobachten sei, »die fragwürdig erscheinen und ein wenig an »Family and Friends« erinnern«. Natürlich gebe es wirtschaftliche Anreize am Mandatserhalt oder an der Verwaltervergütung. »Dem kann nur mit Transparenz – die gibt es jetzt ein Stück weit – und Checks and Balances entgegengetreten werden.« Hier seien die Gerichte gefordert, die sich professionell verhalten sollten, sagt Dr. Nikolaus. »Klare Vorgaben, welche Informationen das Gericht erwartet, die Anerkennung von präsumtiven Gläubigerausschüssen.« Es könne nicht sein, dass ein Fall »durchgewunken« werde, wenn der Geschäftsführer »mit seinen drei besten Freunden« aus der Gläubigerschaft komme, noch, dass Gerichte sich mit dem ESUG anlegten, es völlig ignorierten und erst einmal einen vorläuigen Verwalter, auch bei gut vorbereitetem Eigenverwaltungsantrag und Sachwaltervorschlag, einsetzten und diesen dann zugleich als Gutachter beauftragten. »Damit soll der Gutachter über seinen eigenen Job und Umsatz entscheiden. Das ist grotesk, ist aber in einigen, auch namhaften Fällen so oder so ähnlich geschehen.« Das Problem sei doch nicht neu, sagt RA Rattunde. Auch bisher sei bei Antragstellung oder bei dessen Vorbereitung von Seiten des Schuldners, der antragstellenden Gläubiger oder ihrer Berater versucht worden, Einluss auf die Auswahlentscheidung des Gerichts zu nehmen. Die Vorschläge sollten auch jetzt für das Insolvenzgericht Anlass sein, die Unabhängigkeit des vorgeschlagenen Verwalters besonders zu kontrollieren. »Es ist die Lebenserfahrung vieler Berater, auch meine, dass der Mandant Vorschlägen manchmal folgt, zuweilen aber nicht. Im Übrigen ist der Kreis derer, die solche Beratungen vornehmen, keineswegs eng und begrenzt, sodass von einer Beraterszene, in der jeder jeden kennt, gar nicht gesprochen werden kann. Die Gefahr eines Kartells sehe ich nicht.« In größeren Verfahren, rät Rattunde, sollten die Gerichte Sonderverwalter einsetzen, um Anfechtungs- und Haftungsansprüche gegenüber den Vorgeschlagenen und ihren Beratern zu überprüfen. »Für den vorgeschlagenen Verwalter hätte dies den Vorteil, der Plicht entbunden zu sein, denjenigen verklagen zu müssen, der ihn selbst vorgeschlagen hat.« Da die Unabhängigkeit des Verwalters eine der zentralen Säulen des ESUG sei, sagt Dr. Niering, sollte die Auswahlentscheidung durch den vorläuigen GA und die Gerichte einer »eingehenden Prüfung« unterzogen werden. »Dabei sollte sich die gerichtliche Entscheidung nicht nur auf die nahezu ungeprüfte Umsetzung der Entscheidung des vorläuigen GA beschränken.« Von einigen Verwaltern werde jedoch übersehen, darauf weist RiAG Dr. Graeber hin, »dass auch aus nicht rechtsgeschäftlichen Verbindungen zwischen dem Verwalter und dem Berater Anzeigeplichten gegenüber dem Insolvenzgericht erwachsen können, um eventuelle Befürchtungen von Interessenkollisionen anzuzeigen.« Tatsächliche Un- Dr. Frank Nikolaus, Vorsitzender des Sanierer-Verbandes TMA Deutschland e. V.: »Sehr wohl zu beobachten ist, dass sich Verwalter nun im Pitchen üben. Sie werden vorstellig bei den Sanierungsberatern, um sich für eine mögliche Insolvenz ins Spiel zu bringen. Und wissen Sie was? Gut so!« 28 H i n t e r g r u n d abhängigkeitsmängel dürften aber nur »extrem selten« anzutreffen sein, da diese bei einer Nichtbeachtung durch den Verwalter »erhebliche Konsequenzen« über das konkrete Verfahren hinaus haben könnten. Engagement der Gläubiger nicht gewachsen I N D at - R e p o rt 0 6 _ 2 0 1 2 Foto: Euroforum Trotz der durch das ESUG erweiterten Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger ist deren Engagement – im Gegensatz zu dem der Schuldnerberater – nicht deutlich gewachsen. »Schon im Gesetzgebungsverfahren wurde von vielen Experten bezweifelt, dass mit den zusätzlichen Einlussmöglichkeiten der Gläubiger auch im selben Maß deren Engagement zunimmt«, sagt Dr. Niering. Die Beteiligung bestimme letztendlich auch an der Teilhabe am inanziellen Erfolg des Verfahrens. Daran habe das ESUG nichts ändern Versuche der Gerichte, das Verfahren außerhalb der normierten Grenzen zu beeinlussen, widerspreche der Stellung der Gerichte. »Die Zusammensetzung der vorläuigen Gläubigerausschüsse liegt faktisch in der Hand des Schuldners und seiner Berater. Den bislang unbeteiligten Gläubigern fehlen faktisch die notwendigen Informationen, um aktiv und rechtzeitig im Eröffnungsverfahren mitwirken zu können.« Die Möglichkeiten des Insolvenzgerichts abweichend von einem Schuldnervorschlag Gläubiger in den vorläuigen Gläubigerausschuss aufzunehmen, seien aus administrativen und zeitlichen Zwängen gering, sodass es einer erheblichen Energie und Motivation der Gerichte bedürfe, von dem zulässigen und vom Gesetzgeber vorgesehenen Vorschlag des Insolvenzschuldners abzuweichen. »Hierdurch hat insbesondere der Insolvenzschuldner gute Möglichkeiten, ihm ungenehme Gläubiger von der Beteiligung im Eröffnungsverfahren fernzuhalten.« Eugen M. Angster, Vorstandsvorsitzender der Bundesvereinigung Restrukturierung, Sanierung und Interim Management (BRSI) e. V.: »Die Spreu vom Weizen bei den Beratern wird sich dort trennen, wo die Erfahrung und die Entscheidungskompetenz, welches Verfahren das aussichtsreichste Ergebnis erzielen kann und wird, vorhanden sind oder nicht.« können. »Dafür müsse auf Seiten der Gläubiger das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass eine optimale und ausgewogene Durchsetzung der Gläubigerrechte nicht unbedingt auch dem Interesse der Schuldner und ihrer Berater entspricht. In Kenntnis dessen sollten sich die Gläubiger vor allem bei der Eigenverwaltung von Beginn an aktiv in die Entscheidungsprozesse und insbesondere die Auswahl des Verwalters einbringen.« Einen gesteigerten Einsatz der Gläubiger im Eröffnungsverfahren ohne Initiative der Schuldner könne er nicht erkennen, sagt RiAG Dr. Graeber. »Das gesetzgeberische Ziel der Stärkung der Insolvenzgläubiger im Eröffnungsverfahren wurde wohl verfehlt und dem Insolvenzschuldner Möglichkeiten zur Beeinlussung des Verfahrens gegeben, welche nicht immer im Interesse der Gläubiger sind.« Hierauf zu reagieren, sei Aufgabe des Gesetzgebers. Eine deutliche Veränderung im Auswahlverfahren stellt Dr. Nikolaus fest: Verwalter müssen sich im Pitchen messen lassen. »Sie werden vorstellig bei den Sanierungsberatern, um sich für mögliche Insolvenzen ins Spiel zu bringen. Und wissen Sie was? Gut so!« Es solle auch in Deutschland internationale Geplogenheiten geben und der Verwalter oder besser Sachwalter, sei einer von mehreren Sanierungsprotagonisten. »Und wie alle anderen hat er sich ordentlich zu präsentieren, sich einem Auswahlverfahren mit anderen zu stellen, und dafür auf den möglichen Fall vorzubereiten und seine »Eignung für den Einzelfall«, um den § 56 InsO zu zitieren, herauszustellen.« Präsentieren sollten sie sich den Gläubigern, sagt Dr. Nikolaus. »Dass sie dazu eingeladen werden von Sanierungsberatern, die schon da sind, naturgemäß aber von den Gläubigern längst akzeptiert sind, ist doch nur normal.« «