Das Spiel mit der Geschichte

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Das Spiel mit der Geschichte
Das Spiel mit der Geschichte
Historische Narration in Dokumentarfilm und Game
D OMINIK W ESSELY
History is our playground. Join us.
UBISOFT-CLAIM
History sells. Nach einem inzwischen zwei Jahrzehnte währenden Boom
historischer Themen im Fernsehen hat nun auch die Games-Industrie die
Vergangenheit für sich entdeckt. Die Ubisoft Adventure-Reihe ASSASSIN’S
CREED, in denen ein Mann namens Desmond Miles (der Avatar des
Players) mit Hilfe eines Computers die genetischen Erinnerungen seiner
Vorfahren durchläuft, dabei durch verschiedene Epochen reist und
historisch verbürgten Persönlichkeiten wie Richard Löwenherz oder
Leonardo da Vinci begegnet, ist mit fast 40 Millionen verkauften
Exemplaren einer der größten kommerziellen Erfolge der vergangenen
Jahre. Zum Spielspaß kommt für den Gamer nun also auch die Möglichkeit,
gewissermaßen im Vorübergehen noch allerlei Wissenswertes über die
Vergangenheit zu erfahren. Jedenfalls bewarb Ubisoft den zweiten Teil der
ASSASSIN’S CREED-Reihe dezidiert mit dem Argument akribischer
Recherche bei der Entwicklung des Games: So seien die Game Designer
extra in die Städte Florenz, Venedig und Rom gereist, um vor Ort Maße
und Aussehen der Stadtarchitekturen zu studieren und damit für ein
Höchstmaß an Authentizität in der Gestaltung des Spieluniversums zu
sorgen.1
1
Hausar, Gernot: »Der Stadt ihre Spieler. Historische Metropolen in Assassin’s
Creed I und II«, http://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/geschichte/lehrstuehle/
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Natürlich hat es auch schon in früheren Jahren Games in historischen
Settings gegeben, wie etwa die SIEDLER- oder die ANNO-Reihe. Mit
ASSASSIN’S CREED aber wurde sowohl durch den Realismus der grafischen
Darstellung als auch durch die Verknüpfung des Spieluniversums mit
historischer Faktizität ein Maß an Immersion erreicht, das Gaming zum
Zeitreise-Erlebnis zu machen verspricht. Es sind also wesentliche Fragen
der Vermittlung historischen Wissens berührt, die nicht nur Gamer und
Game-Developer betreffen, sondern auch die angestammten Felder der
Medienproduktion, namentlich den Dokumentarfilm. Tatsächlich schien der
Dokumentarfilm in den vergangenen beiden Jahrzehnten in der
Aufarbeitung und Aufbereitung historischer Themen ein originäres
Betätigungsfeld gefunden zu haben, das mitverantwortlich war für den
Boom nonfiktionaler Formate vor allem im Fernsehen: Von Ägypten über
die hellenistische und römische Antike, von der Zeit der Völkerwanderung
über die Wikinger bis zu Karl dem Großen und den Staufern – der Erste
und Zweite Weltkrieg seien hier bewusst ausgeklammert –, es gibt
praktisch keine Epoche und keine historische Persönlichkeit, die in den
letzten 20 Jahren nicht Gegenstand einer filmischen Dokumentation
geworden ist. Sender wie die BBC in England oder ARD/ZDF in
Deutschland haben Historie in Geschichten übersetzt, in Filmerzählungen,
die die Vergangenheit massenattraktiv und für ein großes Fernsehpublikum
aufbereiten. Dabei ist über die Jahre hinweg eine konsequente Annäherung
des Dokumentarischen an fiktionale Erzählformen zu beobachten. Sie hält
bis heute an.
Der nun durch Serials wie ASSASSIN’S CREED ausgelöste Boom des
Genres „History Adventure“ wirft wesentliche Fragen auf sowohl
hinsichtlich des Geschichtsverständnisses ihrer Macher als auch im
Hinblick auf Fragen der Vermittlung von historischen Themen. Im
Folgenden soll es deshalb darum gehen, die unterschiedlichen Strategien
der Wissensvermittlung bei Developern von (Serious) Games wie bei
Dokumentarfilmern zu analysieren, um anschließend den Versuch einer
qualitativen Bewertung vorzunehmen: Welche Themen bzw. welche
Formen der Vermittlung eignen sich für eine Darstellung im
Dokumentarfilm? Welche als Szenario für ein Game? Exemplarisch
viii-geschichte-der-fruehen-neuzeit/forschung/tagungen/fnz-videogames/vorlprog/gernot-hausar/
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dargestellt wird die Problematik anhand eines 360°-Projektes der Berliner
Filmproduktion Filmtank, die derzeit unter dem Titel NEW HORIZON ein
aufwändiges zweiteiliges Dokudrama und parallel dazu ein Single-PlayerGame über die Geheimmissionen der Seefahrer Ferdinand Magellan und
Francis Drake entwickelt.
"Der Film hat dieses Prinzip der alten räumlichen Künste – die Distanz
und die abgesonderte Geschlossenheit des Kunstwerkes – zerstört. (…) Ich
gehe mit, ich fahre mit, ich stürze mit – obwohl ich körperlich auf
demselben Platz sitzen bleibe".2 Mit diesen Worten beschrieb der
ungarische Filmtheoretiker und Regisseur Béla Balász im Jahr 1938 die
besondere Wirkungsmacht des Films auf den Zuschauer – in Abgrenzung
zu den traditionellen Kunstformen wie beispielsweise dem Tafelbild oder
dem Theater. Das grundsätzlich Neue am Film war für Balász der hohe
Grad an Immersion, die „Vereinnahmung der Sinne“ des Zuschauers durch
das Gesamtkunstwerk Film, das in sich alle anderen bestehenden Künste
(darstellende Kunst, Literatur, Musik, Architektur, Fotografie)
aufgenommen und diese amalgamisiert hatte. Heute, 75 Jahre später,
verliert Balászs Gedanke nichts von seiner Gültigkeit, wenn wir den Begriff
„Film“ durch den Begriff „Game“ ersetzen: Tatsächlich ist dem Film in den
vergangenen 25 Jahren durch das Aufkommen der Games nichts anderes
widerfahren als den angestammten Künsten 100 Jahre zuvor durch das
Aufkommen des Kinematographen. Wie einst der Film so hat auch das
Game die bestehenden Künste in sich aufgenommen, um sie dann um eine
nur ihm eigene Qualität zu bereichern: die Interaktion. Die viel zitierte
immersive Kraft der Games liegt genau hierin begründet: in der
Möglichkeit der Interaktion zwischen dem Spieler und dem Spiel. Dies ist
tatsächlich der fundamentale Unterschied zwischen Game und Kino. Zwar
versuchte das Kino in den vergangenen Jahrzehnten mit diversen
technischen „Aufrüstungsrunden“ – von Cinemascope über Dolby
Surround bis 3D – das immersive Filmerlebnis zu perfektionieren. Seinem
Wesen nach aber bleibt der Film eine lineare, in sich abgeschlossene
Narration, die vom Zuschauer mehr oder weniger passiv rezipiert wird.
2
Balász, Béla: »Zur Kunstphilosophie des Films«, in: Franz-Josef Albersmeier
(Hg.), Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Reclam Verlag 1995, S. 204-226.
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Eine Spielart des Films, der Dokumentarfilm, hat sich aber auch schon
vor dem Aufkommen der Games schwer getan, die immersive Kraft des
Kinos mit voller Wucht zu entfalten, und das, obwohl gerade am Anfang
des Dokumentarfilms genau so ein Überwältigungsmoment gestanden
haben soll: Die Legende berichtet, dass Zuschauer panisch schreiend aus
dem Saal gestürzt seien, als die Brüder Lumière im Jahre 1895 ihre ersten
dokumentarischen Schwarzweiß-Bilder eines einfahrenden Zuges über die
Leinwand flimmern ließen.
Dass der Dokumentarfilm dennoch über Jahrzehnte hinweg im Ruf
stand, seine Sujets eher reflektierend und aus einer Position der kritischen
Distanz zu erzählen, dafür gibt es – allemal in Deutschland – historische
Gründe: Der Schrecken über den Missbrauch dokumentarischer Bilder
durch die Propaganda des NS-Regimes, aber auch über die unleugbare
Faszination, die von der Überwältigungsästhetik Riefenstahlscher Prägung
ausgehen kann – er steckte den Nachkriegs-Dokumentaristen noch in den
Gliedern. So hat sich, verkürzt gesprochen, mindestens in Deutschland nach
1945 eine Form des Dokumentarfilms durchgesetzt, die den Möglichkeiten
filmischer Wirkung durch eine starke Emotionalisierung des Publikums
misstraute.
Diese von Skepsis geprägte Art der Wirklichkeitsvermittlung hatte
Auswirkungen auch auf die Themenwahl der Filmemacher: Soweit es um
historische Sujets ging, handelte es sich in den 1960er und 1970er-Jahren
überwiegend um Filme zur Geschichte des Nationalsozialismus. Dies kann
einerseits als Ausdruck der Notwendigkeit verstanden werden, in der
bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft einen überfälligen, weil lange
Jahre verdrängten Diskurs über das Dritte Reich zu führen. Es hat aber auch
zu tun mit der ästhetischen, kulturellen und politischen Sozialisation vieler
Akteure dieser Generation: Filmemachern wie Peter Nestler, Eberhard
Fechner oder Klaus Wildenhahn wäre es im Traum nicht eingefallen, ihre
dokumentarischen Sujets mit Hilfe von gecasteten Protagonisten, Special
Effects, Reenactments oder scoreartiger Filmmusik ans Publikum zu
bringen. In Bezug auf die Wahl historischer Sujets bedeutete die
selbstauferlegte Beschränkung auf streng dokumentarische Verfahren wie
Zeitzeugeninterviews oder die „teilnehmende Beobachtung“ aber auch eine
thematische (Selbst-)Beschränkung: Denn wo es keine Bilder (mehr) gibt,
und keine lebenden Zeitzeugen, da lässt sich mit den klassischen
dokumentarischen Mitteln nichts mehr ausrichten. In Abwandlung eines
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Wittgenstein-Satzes ließe sich auch sagen: „Wovon man nichts zeigen
kann, darüber kann man auch nichts erzählen.“
Es war vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen, das diese Haltung
durchbrach und allmählich damit begann, andere historische Sujets (und
damit auch neue Erzählformen) zu etablieren: Wolfang Menge (Buch) und
Ulrich Schamoni (Regie) realisierten im Jahre 1979 in einer Mischform aus
Spielszenen, Dokumentation und Musik-Revue die 50er-Jahre-Rückschau
WAS WÄREN WIR OHNE UNS?, 1984 folgte die fünfteilige Reihe SO LEBTEN
SIE ALLE TAGE, in der sie ein historisches Sujet in einer Mischform aus
Dokumentar- und Spielfilmteilen aufbereiteten (in diesem Fall die
Geschichte Preußens) – sehr zum Missfallen der damaligen Kritik.3 Es
sollte noch einmal einige Jahre dauern, ehe diese Erzählform auch im
Mainstream der Programme ankam. Die Sendereihe ZDF EXPEDITION
brachte mit Unterreihen wie IMPERIUM und SPHINX ab Ende der AchtzigerJahre aufwändig produzierte Episoden der Antike, des Mittelalters und der
frühen Neuzeit auf den Bildschirm; hier wurde Geschichte massenattraktiv
für ein Primetime-Publikum aufbereitet. Die Frage nach der filmischen
Darstellbarkeit von Sachverhalten einer Zeit, aus der es meist nur wenige
Bildzeugnisse und Quellen, ganz sicher aber keine laufenden Bilder oder
Zeitzeugen gibt, sie wurde von den Programmmachern beantwortet, indem
man – auch mit Hilfe der neu aufkommenden digitalen Techniken –
ungeniert Anleihen beim Spielfilm nahm: Die Verwendung von
Spielfilmausschnitten oder eigens inszenierten Spielszenen zur Illustration
historischer Ereignisse (Reenactments), Computeranimationen, Castings
auch für Protagonisten aus dem so genannten „wirklichen Leben“, der
Einsatz komplexer und aufwändiger Filmtechnik zum Zwecke der
konsequenten audiovisuellen Durchgestaltung nonfiktionaler Narrationen –
all dies gilt inzwischen auch im Bereich der so genannten Doku-Formate
als erzählerischer Standard. Von Dokumentarfilm im eigentlichen Sinne
kann hier schon lange nicht mehr gesprochen werden. Vielmehr scheint es,
als wollten heute viele Filmemacher ihr Publikum vergessen machen, dass
es Dokumentarfilme sieht.
3
Schoeps, Julius H.: »So lebten die Preußen alle Tage?«, in: Die Zeit vom
24.08.1984, http://www.zeit.de/1984/35/so-lebten-die-preussen-alle-tage
N.N.: »Bei Preußens«, in: Der Spiegel vom 12.03.1984, http://www.spiegel.de/
spiegel/print/d-13509011.html
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Die zunehmende Fiktionalisierung historischer Dokumentationen, die
Überführung von Geschichtsdarstellung in Historienerzählung wirft einige
gewichtige Fragen auf: Wie stark ist unser Bild von bestimmten
historischen Epochen durch fiktionale Bilder geprägt? Wie ist es um die
„Authentizität“ dieser fiktionalen Bilder bestellt? Das Phänomen ist nicht
neu: Bereits in früheren Jahren fanden Spielfilmbilder unkommentiert
Eingang in historische Dokumentationen, beispielsweise über Ereignisse
des Ersten Weltkriegs: Der Sturm der Revolutionäre auf das Winterpalais
während der Oktoberrevolution 1917 wurde in sowjetischen Lehrfilmen mit
Aufnahmen aus Eisensteins OKTOBER von 1928 illustriert4,
Schlachtgeschehen an der Westfront des Jahres 1918 mit Aufnahmen aus
dem amerikanischen Spielfilm ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT aus
dem Jahr 1930.5 Doch die inzwischen selbstverständliche und im Alltag
nicht mehr hinterfragte Praxis, vergangene Epochen mit Hilfe fiktionaler
Bilder im Rahmen von Geschichtserzählungen zu visualisieren, führt zu
einer Kollektivierung des Geschichtsbildes, die nicht zu unterschätzen ist.
Der Historiker Thomas Scharff weist darauf hin, dass das gegenwärtig
vorherrschende Mittelalterbild wesentlich durch Spielfilme wie
BRAVEHEART von Mel Gibson (1995) oder DER NAME DER ROSE von JeanJacques Annaud (1986) geprägt worden ist, die bestimmte, vom Publikum
als archetypisch und authentisch wahrgenommene Mittelalter-Chiffren
etabliert haben: archaische Brutalität (im Falle von BRAVEHEART), oder
Dreck (im Falle von DER NAME DER ROSE).6 Häufig wird bei der
Herstellung fiktionaler „historischer“ Bilder darauf verwiesen, dass sich die
Macher für die Richtigkeit der in ihren Bildern dargestellten Realitäten
verbürgen. Tatsächlich haben sowohl Annaud7 als auch Gibson8 mit genau
4
Waschik, Klaus: »Virtual Reality. Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als
Erinnerungskontrolle
in
den
1930er-Jahren«,
http://www.zeithistorische-
forschungen.de/site/40208991/default.aspx
5
Chapman, James: War and Film, London: Reaktion Books LTD 2008, S. 49f.
6
Scharff, Thomas: »Wann wird es richtig mittelalterlich. Zur Rekonstruktion des
Mittelalters im Film«, in: Mischa Meier/Simona Slanička (Hg.), Antike und
Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion, Köln: Böhlau
Verlag 2007, S. 63-84.
7
Annaud, Jean-Jacques: »Die Abtei des Verbrechens. Making Of ›Der Name der
Rose‹«, Warner Bros.: Special Edition DVD. Bestell-Nr. 3447695.
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diesem Argument die „Authentizität“ ihrer Filme zu betonen versucht:
Historiker hätten bei der Recherche beratend zur Seite gestanden und auf
die Korrektheit der Details wie Kleidung, Waffen etc. geachtet. Was dabei
aus dem Blickfeld gerät, ist die schlichte Wahrheit, dass am Ende jeder,
auch der bestens recherchierte Mittelalter-Film, nichts anderes ist als eine
Interpretation des Mittelalters, also eine Wirklichkeitskonstruktion. Diese
Selbstverständlichkeit zu betonen erscheint notwendiger denn je.
Einem vergleichbaren Legitimationsdruck wie die der (historischen)
Wahrheit verpflichteten Dokumentarfilmer waren und sind Game-Designer
und Developer in ihren Produktionen bislang nicht ausgesetzt gewesen:
Qua defintionem ging (und geht) es bei der Entwicklung von Games primär
um Fragen der Anwendbarkeit im Sinne des Spielspaßes, und nicht um
Wahrung der Faktizität. Selbst dort, wo dezidiert realitätsbezogene Games
entwickelt wurden, wo Games serious geworden sind – beispielsweise in
den Simulationsspiele der US Army –, ist die Authentizität des Settings nur
in Bezug auf den Spielzweck relevant (die wirklichkeitsnahe
Trainingssituation im Flugsimulator beispielsweise), nicht aber im Sinne
eines journalistischen code of conduct.
Dass nun ein Major wie Ubisoft bei der Veröffentlichung des Eingangs
schon erwähnten Serials ASSASSIN’S CREED das Argument der Authentizität
ins Feld führt, kann getrost als Teil der Marketingstrategie verstanden
werden. Es mag aber auch ein Indiz dafür sein, dass sich innerhalb der
Computerspiel-Industrie ein Bewusstsein dafür entwickelt hat, „dass die
entworfenen virtuellen Räume eine Arena bilden, innerhalb der auch ernste
Themen behandelt werden, wie beispielsweise religiöse Konflikte oder
Ansprüche der Geschichtsschreibung.“9 Eine Vermutung, die durch
Aussagen der Produzentin von ASSASSIN’S CREED, Jade Raymond,
scheinbar bestätigt wird:
„One of our main objectives was to – of course – make the art direction
as realistic and as close to the historical references that we found; but the
difficulty about – you know – having a subject where guys walk around in
armour and look like knights and stuff like that is that it tends to be
8
N.N.: »Braveheart. Wallace's Father and Maternal Grandfather«,
http://www.baronage.co.uk/bphtm-01/wallace1.html
9
Huber,
Simon:
Spiel
um
historische
Diplomarbeit, Wien 2013, S. 8-9.
Authentizität.
Unveröffentlichte
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associated with fantasy. And one of the important things to us was making
sure, that the game and the feeling and the location was really relevant to
people.“10
Die Sorge, dass ASSASSIN’S CREED versehentlich als Fantasy-Titel
wahrgenommen werden könnte, dass also der Anspruch der Macher an die
historische Authentizität des Spieluniversums von den Usern unterlaufen,
oder schlimmer noch: gar nicht erst erkannt werden könnte, diese Sorge
scheint in der Tat ein neues Phänomen in der Computerspiel-Industrie zu
sein. Gleichzeitig zeigt Raymonds Aussage aber auch, dass die
Orientierung an der historischen Faktizität ein selbstgestellter Anspruch ist,
der sich primär nicht der Geschichtsschreibung verpflichtet sieht, sondern
der Erwartungshaltung potentieller User: „One of the important things to us
was making sure, that the game and the feeling and the location was really
relevant to people.“ Diese Doppelstrategie – das Aufrufen der Historie zum
Zwecke der (Selbst-)Legitimierung und ihr gleichzeitiges Unterlaufen,
wenn es im Sinne des Spielspaßes geboten erscheint, führt in der konkreten
Ausgestaltung des Spiels zu einem Mash Up, zu einem „historischen
Puzzle“11, in dem sich korrekte historische Details mit den Phantasien der
Game-Designer verbinden. So steht beispielsweise im Jerusalem des 12.
Jahrhunderts der Felsendom in seiner heutigen Gestalt. Unter den Waffen,
die der Gamer im Spielverlauf erwerben kann, befinden sich einerseits
Wurf- und Stichwaffen, die konkreten historischen Waffen nachgebildet
worden sind, andererseits aber auch eine Art „Geheimpistole“, die es
niemals gegeben hat. Um sie innerhalb des Game-Kontextes zu
„authentifizieren“, findet der Spieler ihre Bauanleitung auf einem Blatt, das
einer Zeichnung von Leonardo da Vinci nachempfunden ist. Wir haben es
also mit einem „Spiel um historische Authentizität“12 zu tun, nicht aber mit
einem Game, das den Ansprüchen der Historiographie gerecht wird.
Angestrebt wird eben nicht die Nähe zu Quellen und Zeugen, angestrebt
10
N.N.:
»Assassin’s
Creed.
Jade
Raymond.
Frag
Dolls
Interview«,
http://www.gametrailers.com/videos/cslkka/assassin-s-creed-jade-raymond--frag-dolls-interview
11
G. Hausar: »Der Stadt ihre Spieler. Historische Metropolen in Assassin’s Creed
I und II«
12
S. Huber: Spiel um historische Authentizität.
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wird in erster Linie die Nähe zur Vergangenheit.13 Darauf verweist auch der
Disclaimer im Startbildschirm von ASSASSIN’S CREED: „Inspired by
historical events. This work of fiction was designed, developed and
produced by a multicultural team of various religious faiths and believes.“
Ganz geheuer scheint den Machern von Assassin’s Creed ihr spielerischer
Umgang mit der Geschichte dann doch nicht zu sein – warum sonst haben
sie die Notwendigkeit gesehen, an prominenter Stelle darauf hinzuweisen,
dass dieses Game das Ergebnis einer interkulturellen, interreligiösen
Teamarbeit ist?
Wie weit also lässt sich dieses Spiel mit der Geschichte treiben? Wie
würden wohl die Produzenten von ASSASSIN’S CREED gehen, würde man
das Setting auf Epochen ausdehnen, deren Quellen sehr viel besser
dokumentiert sind? Was wäre, wenn Desmond Miles nicht nur bis in den
amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, sondern auch noch weiter ins Dritte
Reich reisen würde? Müsste das Ergebnis notwendigerweise ein
tarantineskes sein, in dem der Assassine durch die Flure der Reichskanzlei
schleicht, den Dolche im Gewande? Müsste er sich auf die Wachtürme von
Auschwitz-Birkenau
schwingen,
um
SS-Schergen
die
Kehle
durchzuschneiden? Ist Historie also der uneingeschränkte playground der
Gamer, der Spielplatz, zu dem Ubisoft die Gaming-Gemeinde einlädt?
Oder gibt es angesichts der historischen Faktizität auch Grenzen des Spiels?
Mit ähnlich gelagerten Fragen beschäftigen sich derzeit auch die
Macher von NEW HORIZON. Von Anfang an als so genanntes 360°-Projekt
geplant, also als Parallelentwicklung von Fernsehdokumentation und
Game, erzählt NEW HORIZON die Geschichte der geheimen Missionen
hinter den Weltumsegelungen von Ferdinand Magellan und Francis Drake.
Produziert wird NEW HORIZON von der Berliner Produktionsfirma
Filmtank, die sich mit diesem Projekt erstmals von ihrem angestammten
Geschäftsfeld der Dokumentarfilmproduktion in den Bereich der
interaktiven Medien begibt. Unter Leitung des Produzenten Michael
Grotenhoff arbeiten zwei Entwicklerteams parallel an der Umsetzung der
TV-Dokumentation (2 mal 45 Minuten) und des Single-Player-Games. Eine
zentrale Frage der Projektentwicklung, so Michael Grotenhoff, sei die
Definition der beiden Projektteile gewesen: Was kann, was soll die TVDokumentation leisten, was das Game? An welchem Punkt ergänzen sich
13
Ebd., S. 15.
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die beiden Medien? Wo gehen Game und Dokumentation gewissermaßen
getrennte Wege in der Publikums- bzw. User-Ansprache? 14 Die Struktur
der TV-Dokumentation stand in den Grundzügen relativ früh fest: Jeweils
eine Folge beschäftigt sich mit den Weltumsegelungen Magellans (1519 –
1522) und Sir Francis Drakes (1577 – 1580). Vor allem zu den Seereisen
Magellans sind in jüngerer Vergangenheit wesentliche neue
Forschungsergebnisse veröffentlicht worden.15 In der Gegenwartsebene der
TV-Dokumentation begleitet der Film mehrere Geschichtsforscher bei
ihren Recherchen und erzählt so von den historischen Hintergründen der
Reisen. In einer zweiten Handlungsebene werden in einer Art
Rückblendendramaturgie einzelne Momente des historischen Geschehens
in Spielszenen visualisiert. Der Problematik der „Bebilderung“ von
Geschichte sind sich die Produzenten dabei bewusst: „Spielszenen in
historischen Dokumentationen geben immer vor, dass sich die Ereignisse
tatsächlich wie gezeigt zugetragen haben. Die historische Wirklichkeit wird
gesetzt; dabei wird nicht hinterfragt, ob sich die Ereignisse nicht vielleicht
auch ganz anders zugetragen haben könnten, dass die handelnden Personen
womöglich ganz anders waren.“16 Aus diesem Grund haben sich die
Macher von NEW HORIZON für eine neuartige Form der Visualisierung
entschieden: Die Spielhandlungen werden mit Schauspielern in einer Green
Box mit Hilfe des Motion Capture-Verfahren gefilmt. Diese Rohdaten
werden
anschließend
weiterbearbeitet,
wobei
Bildhintergründe
(Schiffsarchitektur, Landschaft, Meer) eingefügt werden; darüber hinaus
werden die Bilder aber auch „zeichnerisch überarbeitet“, d.h. es findet
faktisch eine Übermalung statt, die den Look in Richtung einer graphic
novel verändert, dabei aber die lebendige Mimik und Emotionalität des
schauspielerischen Ausdrucks bewahrt.
14
Michael Grotenhoff im Gespräch mit Dominik Wessely, Interview vom 5. April
2013.
15
Pohle, Jürgen: Deutschland und die überseeische Expansion Portugals im 15.
und 16. Jahrhundert. LIT-Verlag Münster 2000.
16
Michael Grotenhoff im Gespräch mit Dominik Wessely, Interview vom 5. April
2013.
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Abbildung 1: NEW HORIZON
Quelle: Filmtank GmbH
Annäherung an Historie findet hier also nicht auf dem Wege des
detailverliebten Nachinszenierens von Vergangenheit statt; vielmehr wird
ganz bewusst der Weg in die visuelle Abstraktion gewählt: Weg von einem
vorgeblichen, meist allzu schlichten Realismus – hin zur Bilderwelt der
Comics und Games. Die Bilder behaupten nicht mehr „So ist es gewesen!“,
vielmehr weisen sie sich in ihrer Künstlichkeit und Kunstfertigkeit als
Artefakte aus. Sie dienen nicht der Illustration von Geschichte, vielmehr
versuchen sie diese zu deuten.
Das Entwicklerteam des NEW HORIZON-Games stand dagegen vor ganz
anderen Herausforderungen. Markiert üblicherweise die Entwicklung der
Spielmechanik den Anfang des Entwicklungsprozesses, so verlief der Weg
hier umgekehrt: Die Designer um Games-Director Michael Scheuerl
mussten die Spielidee ausgehend von einer konkreten historischen Situation
entwickeln, ein ungewohnter Prozess. „Wir mussten erst lernen, die
historische Welt als eine Quelle von Inspiration zu begreifen, nicht als eine
Anhäufung von Beschränkungen.“17 So recherchierte das Entwicklerteam
zunächst einmal intensiv, und eignete sich allerhand Wissen zur Seefahrt
des 16. Jahrhunderts im Allgemeinen und zu den Reisen Magellans und
17
Scheuerl, Michael: »Das Crossmedia-Projekt New Horizon« in: Making Games
Magazin 03 (2012), S. 66-69.
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Drakes im Besonderen an. Erst nach Abschluss dieser Recherchephase
begann die eigentliche Entwicklungsarbeit am Game-Design. Die einzelnen
Konzeptionsphasen des Games nachzuzeichnen, würde an dieser Stelle den
Rahmen sprengen – im Rahmen von NEW HORIZON entstehen nun zwei
interaktive Anwendungen: Zum einen ein browserbasiertes Strategiespiel,
in dem der Spieler die Welt der Entdecker aus der Perspektive eines
spanischen Admirals erleben kann. Der Spieler ist für das Zusammenstellen
und das Manövrieren der Flotte über die Weltmeere verantwortlich, ebenso
für das Leben an Bord, die Vorratshaltung usw. Strategisches Ziel ist die
Etablierung und Bewahrung eines weltweiten Handelsnetzes. Eine zweite
interaktive, multimediale Anwendung firmiert derzeit noch unter dem
Arbeitstitel „Logbücher“: Auf einer interaktiven Weltkarte kann der Nutzer
über die Weltmeere schweifen und sich dabei vertiefende Informationen zu
Magellan und Drake und zum Verlauf ihrer Reisen erschließen. Hier findet
er historische Textquellen, aber auch kurze Videos und Audioinhalte. Das
Konzept der Online-Logbücher ist auch das Ergebnis der im
Entwicklungsprozess von NEW HORIZON gesammelten Erfahrungen: Es
zeigte sich nämlich, dass die Überfrachtung des Single-Player-Games mit
historischen Informationen am Ende dem Gameplay im Wege stand: Ein
Spiel kann bis zu einem Wissen Grad historisches Basiswissen vermitteln.
Wird es aber konzeptionell überfrachtet, wird aus dem Spiel früher oder
später eine interaktive Lernanwendung – auf Kosten des Spielspaßes.18
Wie kann Historie in Zukunft mit Hilfe audiovisueller Medien also
vermittelt werden? Die Erfahrung der Geschichte ist immer auch die
Erfahrung ihrer Interpretation, insoweit handelt es sich um einen offenen
Prozess. Die „historische Dokumentation“ als eine an Fakten orientierte,
auf Abgeschlossenheit drängende, weil in sich selbst abgeschlossene
lineare filmische Erzählung scheint in den gegenwärtig bestehenden
Formen in ihren Entwicklungsmöglichkeiten weitgehend ausgereizt.
Gehört also History Gamesdie Zukunft der Geschichtsvermittlung?
Auch das darf bezweifelt werden. Games wie ASSASSIN‘S CREED verraten
uns relativ wenig über das Mittelalter. Sie verraten uns allerdings sehr viel
über die Art und Weise, wie sich Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts
die Welt des Mittelalters vorgestellt haben. Insofern stellen sie selbst ein
18
Michael Scheuerl und André Blechschmidt im Gespräch mit Dominik Wessely;
Interview vom 27. März 2013.
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geschichtliches Dokument dar. Der Medienhistoriker Claus Pias plädiert
ohnehin dafür, Spielinhalte nicht überzubewerten: „Computerspiele
handeln nicht von japanischen Niedlichkeiten oder indiziertem Splatter,
sondern von usability – und damit von Computerspielen selbst.“19 Inhalte
(auch historische) können vom Spieler nur in dem Maße „erfahren“
werden, in dem sie durch Hard- und Softwarekonfigurationen
vorstrukturiert worden sind. Insoweit erzählen History Games weniger von
Geschichte als davon, wie Geschichtliches berechenbar und damit spielbar
gemacht worden ist.20 Vor diesem Hintergrund scheint die Frage, wie wir
ein kritisches Instrumentarium zur Methodik der Vermittlung historischen
Wissens entwickeln können nicht weniger wichtig als die Frage der
Kanonisierung dieses Wissens selbst.
L ITERATUR
Annaud, Jean-Jacques: »Die Abtei des Verbrechens. Making Of ›Der Name
der Rose‹«, Warner Bros.: Special Edition DVD. Bestell-Nr. 3447695.
Balász, Béla: »Zur Kunstphilosophie des Films«, in: Franz-Josef
Albersmeier (Hg.), Texte zur Theorie des Films, Stuttgart: Reclam
Verlag 1995, S. 204-226.
Chapman, James: War and Film, London: Reaktion Books LTD 2008.
Hausar, Gernot: »Der Stadt ihre Spieler. Historische Metropolen in
Assassin’s Creed I und II«, http://www.phil-fak.uniduesseldorf.de/geschichte/lehrstuehle/viii-geschichte-der-fruehenneuzeit/forschung/tagungen/fnz-videogames/vorl-prog/gernot-hausar/
Huber, Simon: Spiel um historische Authentizität. Unveroöffentlichte
Diplomarbeit, Wien 2013.
N.N.: »Assassin’s Creed. Jade Raymond. Frag Dolls Interview«,
http://www.gametrailers.com/videos/cslkka/assassin-s-creed-jaderaymond---frag-dolls-interview
N.N.: »Bei Preußens«, in: Der Spiegel vom 12.03.1984,
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13509011.html
N.N.: »Braveheart. Wallace's Father and Maternal Grandfather«,
19
Pias, Claus: Computer Spiel Welten, Zürich: Diaphanes Verlag 2010, S. 307.
20
S. Huber: Spiel um historische Authentizität, S. 10.
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http://www.baronage.co.uk/bphtm-01/wallace1.html
Pias, Claus: Computer Spiel Welten, Zürich: Diaphanes Verlag 2010.
Scharff, Thomas: »Wann wird es richtig mittelalterlich. Zur Rekonstruktion
des Mittelalters im Film«, in: Mischa Meier/Simona Slanička (Hg.),
Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation –
Projektion, Köln: Böhlau Verlag 2007, S. 63-84.
Scheuerl, Michael: »Das Crossmedia-Projekt New Horizon« in: Making
Games Magazin 03 (2012), S. 66-69.
Schoeps, Julius H.: »So lebten die Preußen alle Tage?«, in: Die Zeit vom
24.08.1984, http://www.zeit.de/1984/35/so-lebten-die-preussen-alletage
Waschik, Klaus: »Virtual Reality.
Sowjetische Bild- und Zensurpolitik als
Erinnerungskontrolle in den 1930er-Jahren«,
http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40208991/default.aspx
F ILME
ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (USA 1930, R: Lewis Milestone)
BRAVEHEART (USA 1995, R: Mel Gibson)
DER NAME DER ROSE (D/F/I 1986, R: Jean-Jacques Annaud)
OKTOBER (UDSSR 1928, R: Sergei M. Eisenstein)
TV-S ENDUNGEN
SO LEBTEN SIE ALLE TAGE (D 1984, R: Ulrich Schamoni)
WAS WÄREN WIR OHNE UNS? (D 1979, R: Ulrich Schamoni)
ZDF EXPEDITION (D seit 1982)
C OMPUTERSPIELE
ANNO 1404 (Ubisoft 2009, O: Related Designs/Blue Byte Software)
ASSASSIN’S CREED (Ubisoft 2007, O: Ubisoft Montreal)
DIE SIEDLER (Blue Byte 1993, O: Blue Byte)
NEW HORIZON (Filmtank 2013, O: Filmtank)