Modellbasierte prädiktive Regelung in der industriellen Praxis

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Modellbasierte prädiktive Regelung in der industriellen Praxis
Modellbasierte prädiktive Regelung
in der industriellen Praxis
Industrial Application of Model Predictive Control
Rainer Dittmar und Bernd-Markus Pfeiffer
Modellbasierte prädiktive Regelungen (MPC) haben sich in der Prozessindustrie zur StandardTechnologie für die Lösung anspruchsvoller Mehrgrößen-Regelungsaufgaben entwickelt. Der
vorliegende Beitrag erläutert Grundlagen, Anwendungseigenschaften und Ursachen für den
industriellen Erfolg von MPC, gibt eine Übersicht über Aufbau und Funktionen kommerziell
verfügbarer MPC-Programmsysteme und zeigt aktuelle Entwicklungstrends auf.
Model Predictive Control (MPC) is widely used in the process industries to solve challenging
multivariable constrained control problems. The paper explains reasons for the industrial success of MPC and describes the structure and functionalities of commercially available MPC
packages. Finally, current trends of the industrial application of MPC are discussed.
Schlagwörter: Prädiktive Regelung, gehobene Methoden der Prozessführung,
Mehrgrößenregelung
Keywords: Model predictive control, advanced process control, multivariable control
1 Einführung
Mit dem Begriff ,,modellbasierte prädiktive Regelungen“1
(Model Predictive Control, kurz MPC) wird eine ganze
Klasse von Regelalgorithmen bezeichnet, die sich dadurch
auszeichnen, dass ein Modell für das dynamische Verhalten
des Prozesses nicht nur in der Entwurfsphase, sondern explizit auch im laufenden Betrieb der Regelung benutzt wird.
In der Praxis werden überwiegend lineare Prozessmodelle
verwendet, die durch aktive Anlagentests und anschließende Systemidentifikation gewonnen werden. MPC-Regler
mit linearen Prozessmodellen werden auch mit dem Kürzel LMPC bezeichnet. Für MPC-Regler mit nichtlinearen
Modellen wird die Bezeichnung NMPC verwendet.
Von frühen Vorläufern abgesehen, wurden MPC-Regelungen zuerst Mitte der 70er Jahre im Raffineriesektor und
in der Petrochemie im großindustriellen Maßstab eingesetzt. Hervorzuheben sind die Entwicklungen des IDCOM(Identification/Commande)-Algorithmus durch die Fa.
Adersa in Frankreich [1] und des DMC-(Dynamic Matrix
Control)-Algorithmus bei Shell in den USA [2]. Diese Entwicklungen wurden in den ersten Jahren vor allem durch
1
In der deutschen Fachliteratur wird oft auf den Zusatz ,,modellbasiert“
verzichtet und einfach von ,,prädiktiven Regelungen“ gesprochen.
590
in der Industrie tätige Regelungs- und Verfahrenstechniker
vorangetrieben, bevor sie auch größere Aufmerksamkeit im
akademischen Bereich erregten. Inzwischen hat sich die Situation gewandelt: die Zahl der Veröffentlichungen zu MPC
ist stark angestiegen, und für LMPC gibt es eine ausgereifte
Theorie (siehe z. B. [3] bis [5]). In deutscher Sprache liegt
eine einführende Darstellung vor, die sich in erster Linie an
Anwender in der Praxis wendet [6]. Zur industriellen Anwendung von MPC sind zwei ausführliche Übersichten [7]
und [8] verfügbar, aus denen auch Einzelheiten zu einigen marktgängigen MPC-Programmsystemen entnommen
werden können.
Tabelle 1 zeigt die Entwicklung der Gesamtzahl der industriellen MPC-Anwendungen in der Prozessindustrie und
deren Verteilung auf unterschiedliche Branchen. Die Zahlen wurden durch Befragung der Anbieter von MPCProgrammsystemen ermittelt. In Wirklichkeit ist die Zahl
der Anwendungen noch deutlich höher, weil In-HouseEntwicklungen mancher Firmen (u. a. Statoil, Borealis,
RWE npower) ebenso wenig erfasst worden sind wie Speziallösungen (z. B. Profilregelungen bei Papiermaschinen
oder Walzprozessen). Nicht berücksichtigt wurden auch
eingebettete Lösungen, d. h. MPC-Algorithmen, die in speicherprogrammierbare Steuerungen oder prozessnahe Kom-
at – Automatisierungstechnik 54 (2006) 12 / DOI 10.1524/auto.2006.54.12.590 © Oldenbourg Wissenschaftsverlag
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ÜBERSICHT
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ponenten von Prozessleitsystemen integriert wurden. Aus
der Tabelle ist zweierlei ersichtlich: erstens beschleunigt
sich das Wachstumstempo der Anwendung, zweitens werden zunehmend nicht-traditionelle Anwendungsfelder erschlossen. So ist die Zahl der Anwendungen im Bereich
Raffinerie/Petrochemie von 80% im Jahr 1995 auf 59%
heute gefallen. Allerdings ist auch in diesem Sektor die
absolute Zahl der Anwendungen deutlich gestiegen. Der
Umsatz an Software und Dienstleistungen auf dem Gebiet
Tabelle 1: Zahl der MPC-Anwendungen (LMPC und NMPC) und Verteilung nach Branchen (die Zahlen für 1995 und 1999 wurden [7]
bzw. [8] entnommen, die Zahlen für 2005 durch eigene Erhebung ermittelt).
Raffinerien
Petrochemie
Chemie
Papier und Zellstoff
Polymer
Luft und Gas Utilities
Nahrungsgüter
Bergbau und Metallurgie
Kraftwerke
Industrieöfen
Zement
Andere
Gesamtzahl der
Anwendungen
1995 [7]
1999 [8]
2005
67,2%
13,0%
8,5%
2,0%
k. A.
k. A.
0,5%
0,7%
k. A.
1,9%
k. A.
4,2%
55,7%
15,3%
4,6%
1,9%
1,1%
1,6%
1,5%
1,0%
k. A.
1,1%
k. A.
16,1%
49,2%
9,9%
15,6%
3,8%
6,3%
5,9%
3,5
1,5
0,2
k.A.
1,3
2,7
2233
4635
9456
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Advanced Process Control betrug im Jahr 2005 weltweit
ca. 320 Mio. Dollar, die jährliche Wachstumsrate liegt bei
ungefähr 10 Prozent [9]. Daran haben MPC-Anwendungen
den größten Anteil.
Insgesamt kann man behaupten, dass kein anderes gehobenes Regelungsverfahren eine solche industrielle Erfolgsgeschichte aufzuweisen hat. MPC ist heute das wichtigste
,,Arbeitspferd“ für die Lösung anspruchsvoller Regelungsaufgaben in der Prozessindustrie, überwiegend bei kontinuierlich betriebenen Anlagen. Im Raffinerie- und Petrochemiebereich gehört die Anwendung von MPC inzwischen
zum Stand der Technik.
Im vorliegenden Aufsatz wird das Grundkonzept von MPCRegelungen zunächst kurz erläutert und in die Hierarchie der Automatisierungsfunktionen eingeordnet. Danach
werden Ursachen für den industriellen Erfolg der MPCTechnologie diskutiert und der Aufbau kommerziell verfügbarer MPC-Programmsysteme beschrieben. Abschließend
werden gegenwärtige Entwicklungstrends aufgezeigt. Die
Darstellung konzentriert sich auf LMPC-Regler und auf
den Bereich der Prozessindustrie.
2 LMPC-Grundlagen
und Einordnung in der Hierarchie
der Automatisierungsfunktionen
LMPC-Regelalgorithmen haben folgende konstituierende
Elemente gemeinsam, die hier am Beispiel eines Eingrößensystems (Bild 1) erläutert werden. Eine ausführliche
Bild 1: Zur Arbeitsweise prädiktiver Regelungen.
591
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R. Dittmar, B.-M. Pfeiffer: Modellbasierte prädiktive Regelung in der industriellen Praxis
gleichungsmäßige Darstellung für Mehrgrößensysteme liegt
z. B. in [10] vor.
Die hier verwendete Nomenklatur macht auf den ersten
Blick deutlich, um welche Art von Vektoren es sich jeweils
handelt: der normale Überstrich kennzeichnet den Mehrgrößenfall, während Pfeile für solche Vektoren verwendet
werden, die eigentlich Zeitreihen darstellen: der Pfeil nach
rechts bezeichnet in die Zukunft gerichtete zeitliche Folgen,
der Pfeil nach links in die Vergangenheit gerichtete Folgen.
Großbuchstaben werden für Matrizen reserviert.
A Prädiktion
Vorhersage der freien
Bewegung der Regelgröße
yf (k + 1 : k + n P |k) = ŷ f (k + 1|k) . . . ŷ f (k + n P |k) und der
zukünftigen Regeldifferenzen e = w
− y über einen in der
Regel endlichen Prädiktionshorizont n P auf der Grundlage
• der gespeicherten historischen Verläufe der Steuergrö←
ßen u(k) = [u(k − 1) . . . u(k − j) . . .], der Regelgrößen
←
y(k) = [y(k) . . . y(k − j) . . .] und messbaren Störgrößen
←
z (k) = [z(k − 1) . . . z(k − j) . . .],
• eines gegebenen zukünftigen Sollwertverlaufs
w(k
+ 1|k) = [w(k + 1|k) . . . w(k + n P |k)],
• einer angenommenen Folge zukünftig konstanter Werte
der Steuergrößen u(k + j) = u(k − 1) j ≥ 0, die alle
gleich dem letzten eingestellten Wert sind,
• eines Schätzwerts für nicht messbare Störgrößen und
– im Fall der Verwendung eines Zustandsmodells –
der Schätzwerte für die nicht messbaren Zustandsgrößen
x̂(k) und
• eines dynamischen Prozessmodells.
Das dynamische Prozessmodell kann dabei im Prinzip jede
beliebige Form annehmen. Während früher die Verwendung
nichtparametrischer Modelle (FIR, FSR) im Vordergrund
stand, verwenden moderne LMPC-Algorithmen auch parametrische Übertragungsfunktions- und in jüngster Zeit
Zustandsraummodelle.
Die Vorhersage über den gesamten Prädiktionshorizont
wird also mit einer einzigen Matrixmultiplikation berechnet. Die kompakte Darstellung verdeutlicht, dass der Rechenaufwand für die Prädiktion gering ist.
B Dynamische Optimierung
Ermittlung einer Folge zukünftiger Steuergrößenänderungen ∆u(k)
= [∆u(k) . . . ∆u(k + n C − 1)] über einen Steuerhorizont n C durch Lösung eines Optimierungsproblems
im Echtzeitbetrieb. Die Zielfunktion dieser Optimierung
bewertet in der Regel zwei Aspekte der Regelgüte: die
zukünftigen Regeldifferenzen und die Stellaktivität. Der
Kompromiss zwischen beiden kann über Gewichtsmatrizen
Q und R beeinflusst werden:
min J = eˆ(k + 1|k)T Q eˆ(k + 1|k) + ∆u(k)
T R ∆u(k)
∆u(k)
(3)
Es ist möglich, Ungleichungs-Nebenbedingungen (NB) für
die Steuergrößen
u min (k) ≤ u(k + j) ≤ u max (k)
j = 0, 1, . . . n C − 1
∆u min (k) ≤ ∆u(k + j) ≤ ∆u max (k)
j = 0, 1, . . . n C − 1
(4)
und für die Regelgrößen
ymin (k) ≤ y(k + j) ≤ ymax (k)
j = 1, 2, . . . n P
(5)
bei der Optimierung explizit zu berücksichtigen. Die Steuergrößen dürfen also nur in bestimmten Grenzen und mit
einer bestimmten Verstellgeschwindigkeit verändert werden. Andererseits ist es möglich, für die Regelgrößen sowohl Sollwerte (ymin (k) = ymax (k)) als auch Sollbereiche
bzw. obere/untere Grenzwerte vorzugeben. Werden Zustandsmodelle verwendet, können darüber hinaus Nebenbedingungen für die Zustandsgrößen
x min (k) ≤ x(k + j) ≤ x max (k)
j = 1, 2, . . . n P
(6)
berücksichtigt werden.
Für den klassischen DMC-Algorithmus, der auf einem
FSR-Modell basiert, lautet die Prädiktionsgleichung
y(k
+ 1 : k + n p |k) = G ∆u(k
: k + n c − 1)
+ yf (k + 1 : k + n p)
(1)
←
mit der freien Bewegung yf (y(k), G, ∆ u), und der
(n p xn c )-,,Dynamik-Matrix“ G aus Sprungantwort-Koeffizienten des FSR-Modells:
⎡
⎤
h(1)
0
···
0
..
⎥
⎢
..
⎥
⎢ h(2)
.
h(1)
.
⎢
⎥
⎢ ..
⎥
..
.
.
⎢ .
⎥
.
.
0
⎥
G=⎢
(2)
⎢
⎥
..
..
⎢ h(n c )
⎥
.
.
h(1)
⎢
⎥
⎢ .
⎥
..
..
..
⎣ ..
⎦
.
.
.
h(n p ) h(n p − 1) · · · h(n p − n c + 1)
592
Bei einem linearen Prozessmodell resultiert dann ein Optimierungsproblem mit quadratischer Zielfunktion und linearen Nebenbedingungen (Q P-Problem), das in jedem
Abtastintervall zu lösen ist. Hierfür gibt es sicher und
schnell konvergierende Suchverfahren. Der sich aufgrund
von ∆u(k)
= [∆u(k) . . . ∆u(k + n C − 1)] ergebende Verlauf der Regelgrößen heißt ,,erzwungene Bewegung“ des
Systems.
Falls bei der Optimierung die Nebenbedingungen nicht berücksichtigt werden, lässt sich das Optimierungsproblem
analytisch lösen. Man erhält einen so genannten ,,schlanken
LMPC-Regler“, bei dem im Online-Betrieb keine Optimierungsrechnung mehr erforderlich ist. Der Rechenaufwand
ist dann um Größenordnungen niedriger. Für das vereinfachte Gütekriterium
!
J(∆u)
= eT e + λ∆uT ∆u = min
(7)
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ÜBERSICHT
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!
∂J =
erhält man aus den notwendigen Bedingungen ∂∆
0̄ das
u
DMC Reglergesetz als geschlossene Formel:
−1 T
∆u = C w
mit C = G T G + λI
G
(8)
− yf
Falls w
= yf , d. h. die freie Bewegung ohnehin auf der
Solltrajektorie verläuft, sind keine weiteren Änderungen
der Stellgröße erforderlich, also ∆u = 0. Ansonsten ergeben sich Änderungen der Stellgröße proportional zur zukünftigen Regeldifferenz (nicht zur vergangenen, wie beim
PI-Regler!). Die rechenaufwändige Matrix-Inversion verarbeitet das Prozessmodell und lässt sich daher vorab offline
durchführen, um die zeitinvariante Reglermatrix C zu erhalten.
C Prinzip des gleitenden Horizonts
Obwohl im vorhergehenden Schritt eine Folge von Steuergrößenänderungen berechnet wurde, wird nur das erste Element dieser Folge an den Prozess ausgegeben. Im nächsten
Abtastintervall erfolgt eine Neuberechnung nach Verschiebung aller Datenvektoren um einen Abtastschritt. Diese
Vorgehensweise bezeichnet man als Prinzip des gleitenden
Horizonts. Seine Anwendung ermöglicht eine schnelle Reaktion auf Störgrößenänderungen.
D Schätzung nicht messbarer Störgrößen
und Vorhersagekorrektur
Die Prädiktion des zukünftigen Verhaltens der Regelgrößen
ist aus zwei Gründen unsicher: erstens wegen der Unsicherheit des Prozessmodells, zweitens aufgrund nicht messbarer Störgrößen. Die Vorhersagegenauigkeit kann verbessert
werden, wenn aktuelle Werte der gemessenen Regelgrößen in den Algorithmus einbezogen werden. Die einfachste
und noch heute verbreitete Möglichkeit besteht darin, die
Differenz zwischen der aktuell gemessenen und der ein Abtastintervall vorher prädizierten Regelgröße zu bilden und
damit die gesamte Vorhersage zu korrigieren:
ỹ(k + j|k) = ŷ(k + j|k) + y(k) − y(k|k − 1)
j = 1 . . . nP
(9)
Implizit wird so angenommen, dass eine zukünftig konstante Störgröße auf die Regelgröße wirkt, und dass sich
diese nicht messbare Störgröße durch d(k + j) = y(k) −
y(k|k − 1) schätzen lässt. Für stabile Prozesse lässt sich
zeigen, dass dieses Vorgehen dem LMPC-Regler integrales Verhalten verleiht und bleibende Regeldifferenzen
für sprungförmige Eingangssignale beseitigt werden können [3]. In der theoretischen LMPC-Literatur hat es sich
heute durchgesetzt, Zustandsraummodelle zur Beschreibung des Systemverhaltens zu verwenden und darin ein
Modell der nicht messbaren Störgrößen zu integrieren, z. B.
x̄(k + 1)
x̄(k)
A 0
B
=
+
ū(k)
0 I
0
d̄(k + 1)
d̄(k)
x̄
ȳ(k) = C I
+ ν(k)
(10)
d̄
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Das erlaubt eine kompakte Beschreibung von Mehrgrößensystemen und erleichtert die Analyse des LMPCRegelungssystems. Die Entwicklung moderner Methoden
der Systemidentifikation ermöglicht es zudem einfacher
als früher, Zustandsmodelle aus experimentell gewonnenen
Messdaten zu schätzen. Als neue Aufgabe ergibt sich die
gemeinsame Schätzung der nicht messbaren Zustands- und
Störgrößen mit Hilfe von Beobachtern oder Kalman-Filtern,
vgl. dazu die Diskussion in [3] und [5]. Diese jüngeren
Entwicklungen der LMPC-Theorie wurden weitgehend im
,,State Space Controller“ der Fa. Aspen Technology berücksichtigt, dessen Entwicklung in [11] beschrieben wird.
In der regelungstechnischen Literatur wird oft übersehen,
dass industriell eingesetzte LMPC-Regler im Mehrgrößenfall über eine integrierte Funktion der statischen Arbeitspunktoptimierung verfügen, die dann aktiviert werden
kann, wenn genügend Freiheitsgrade vorhanden sind bzw.
wenn ein Überschuss an manipulierbaren Variablen besteht, der aktuell nicht für die Erfüllung der Regelungsziele
benötigt wird. In diesem Fall wird vor den anderen beschriebenen Schritten oder simultan ein statisches Optimierungsproblem gelöst, in dem optimale stationäre Werte der
Steuer- und Regelgrößen ū ss und ȳss ermittelt werden. Die
in LMPC integrierte Arbeitspunktoptimierung wird auch als
,,lokale“ Optimierung bezeichnet, weil einerseits ein lokal
gültiges, lineares Prozessmodell verwendet wird, und weil
andererseits nur der Anlagenteil einbezogen wird, der durch
die im LMPC-Regler konfigurierten Steuer- und Regelgrößen erfasst wird. Als Zielfunktion dieser Optimierung
können z. B. die lineare Funktion
min J = c̄u ū ss + c̄ y ȳss
ū ss , ȳss
(11)
oder die quadratische Funktion
min J = ( ȳss − ȳziel )T Q ss ( ȳss − ȳziel )
ū ss , ȳss
+(ū ss − ū ziel )T Rss (ū ss − ū ziel )
(12)
verwendet werden. Die NB sind dieselben wie im dynamischen Optimierungsproblem, das Prozessmodell besteht
aus den Streckenverstärkungen, die dem dynamischen Modell entnommen werden können. Im ersten Fall handelt
es sich um eine betriebswirtschaftliche Zielfunktion, wobei
die Vektoren c̄u und c̄ y aus Preis- oder Kosteninformationen
bestimmt werden. Im zweiten Fall wird versucht, solche
stationären Werte zu finden, die möglichst dicht an Zielwerten ū ziel und ȳziel liegen, welche ihrerseits durch den
Anwender vorgegeben oder durch eine weitere übergeordnete, anlagenweite Optimierung gefunden werden.
Die Einbettung von MPC-Regelungen in die Hierarchie der
Funktionen der Prozessautomatisierung ist in Bild 2 dargestellt.
Daraus geht zunächst hervor, dass MPC-Regelungen auf
eine Schicht von PID-Basisregelungen aufsetzen. Ausgangsgrößen von MPC-Reglern wirken daher meist auf
593
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ÜBERSICHT
Bild 2: Einbettung von MPC in die Automatisierungshierarchie.
die Sollwerte dieser unterlagerten Regelkreise (Kaskadenstruktur), nur in seltenen Fällen direkt auf Stelleinrichtungen. MPC-Anwendungen sind häufig das Herzstück von
Advanced-Control-(AC)-Projekten, in denen aber auch andere AC-Funktionen entworfen und realisiert werden, z. B.
Softsensoren zur Berechnung schwer messbarer Prozessgrößen. Wie oben beschrieben, verfügen MPC-Regler über
eine integrierte Funktion der lokalen statischen Arbeitspunktoptimierung. Unabhängig davon können in größeren
Anlagen übergeordnete Funktionen zur Koordinierung von
MPC-Regelungen einzelner Anlagenabschnitte vorhanden
sein. Eine weitere Option besteht in der Nutzung einer globalen, anlagenweiten Funktion zur statischen Arbeitspunktoptimierung unter Nutzung rigoroser Prozessmodelle (RealTime Optimization, RTO). Schließlich besteht häufig eine
Verbindung zu MES-(Manufacturing Execution Systems)und ERP-(Enterprise Resource Planning)-Systemen, die betriebswirtschaftliche Funktionen abdecken. Insofern nehmen MPC-Regelungen häufig einen zentralen Platz in der
Automatisierungshierarchie von Prozessanlagen ein.
3 Erfolgsursachen der industriellen
Anwendung von MPC-Regelungen
MPC-Technologien weisen Anwendungseigenschaften auf,
die einer Reihe von Anforderungen an die Regelung komplexer verfahrenstechnischer Anlagen in besonderer Weise
gerecht werden und ihren Erfolg in der Industrie begründen. Die wichtigsten werden im Folgenden kurz charakterisiert.
Viele verfahrenstechnische Prozesse besitzen einen ausgeprägten Mehrgrößencharakter. Das betrifft sowohl einzelne
Prozesseinheiten wie Rektifikationskolonnen oder Reaktoren, gilt aber erst recht für ganze Anlagenabschnitte. MPC-
594
Regelalgorithmen lassen sich ihrereseits besonders einfach
vom Eingrößen- auf den Mehrgrößenfall erweitern: bei
MPC-Programmsystemen ist die Zahl der Steuer- und Regelgrößen sowie der messbaren Störgrößen frei konfigurierbar. MPC-Regler mittlerer ,,Größe“ haben im Raffineriebereich zwischen 10 und 20 Ausgangsgrößen (Steuergrößen)
und 20 bis 40 Eingangsgrößen (Regelgrößen und messbare Störgrößen). Es sind aber auch wesentlich ,,größere“
Anwendungen mit jeweils mehr als 100 Ein- und Ausgangsgrößen bekannt geworden [8].
In verfahrenstechnischen Prozessen treten Beschränkungen
(Ungleichungs-NB) für die Steuer- und Regelgrößen auf.
Die Steuergrößen dürfen in der Regel nur in bestimmten
Bereichen und mit einer bestimmten Geschwindigkeit manipuliert werden. Für Regelgrößen sind oftmals nicht Sollwerte (Gleichheits-NB), sondern Sollbereiche oder Grenzwerte einzuhalten bzw. deren Verletzung zu verhindern.
Der optimale Arbeitspunkt solcher Anlagen liegt häufig
am Schnittpunkt mehrerer Anlagen-Nebenbedingungen. Je
nach Betriebszustand der Anlage kann der ,,Flaschenhals“
an verschiedenen Stellen auftreten, d. h. die eine oder andere Nebenbedingung (NB) den aktuell am meisten begrenzenden Faktor darstellen. MPC-Algorithmen berücksichtigen solche Nebenbedingungen in expliziter und systematischer Art und Weise durch die Lösung eines beschränkten
Optimierungsproblems in Echtzeit. Anti-Windup-Methoden
sind ein natürlicher Bestandteil von MPC-Reglern, da bei
der Prädiktion die begrenzten Stellgrößen berücksichtigt
werden.
Unter Produktionsbedingungen sind Ausfälle von Messund Stelleinrichtungen nicht völlig zu vermeiden. Größere
Störungen können intensive Bedienereingriffe und Handfahrweisen erfordern. Dadurch können Situationen entstehen, in denen ursprünglich für eine MPC-Regelung vor-
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gesehene Steuer- und/oder Regelgrößen zeitweilig nicht
zur Verfügung stehen. Regelgößen mit Ungleichungs-NB
brauchen überdies solange nicht in der Regelung berücksichtigt zu werden, solange diese NB nicht verletzt
sind oder eine Verletzung vorhergesagt wird. Die Zahl
der Steuer- und Regelgrößen kann daher nicht nur unterschiedlich groß sein (nicht-quadratische Mehrgrößensysteme), sondern sich auch in der Betriebsphase ändern.
MPC-Regelungsalgorithmen sind in der Lage, die aktuelle Struktur des Mehrgrößensystems (Zahl der verfügbaren
Steuergrößen und der zu berücksichtigenden Regelgrößen)
automatisch zu erkennen und die in der jeweiligen Situation
beste Steuerstrategie zu ermitteln.
Da MPC-Regler über ein internes Prozessmodell verfügen, sind sie in der Lage, vorausschauend zu arbeiten und
bereits zu einem frühen Zeitpunkt auf sich anbahnende
Grenzwertverletzungen der Regelgrößen zu reagieren. Sie
sind daher auch besonders für die Regelung von Strecken
mit komplizierter Dynamik (große Totzeiten, Allpassverhalten) geeignet.
Der optimale Betriebspunkt einer Anlage ist nicht unveränderlich, sondern er variiert mit den technischen und ökonomischen Bedingungen, unter denen sie betrieben wird. Zu
diesen Bedingungen gehören sich ändernde Rohstoffzusammensetzungen, schwankende Rohstoff- und Energiepreise,
veränderliche Marktsituationen usw. Gerade in der Prozessindustrie ist es daher betriebswirtschaftlich geboten, den
optimalen Arbeitspunkt einer Anlage fortlaufend zu ermitteln und anzufahren. MPC-Regelungen verfügen über
eine integrierte Funktion der statischen Arbeitspunktoptimierung, die es ermöglicht, die optimalen stationären Werte
der Steuer- und Regelgrößen zumindest für den Anlagenteil
zu ermitteln, der von den im MPC-Regler konfigurierten
Steuer- und Regelgrößen ,,umfasst“ wird.
Das Grundkonzept einer MPC-Regelung ist für alle Anwender, also auch für Anlagenfahrer intuitiv verständlich,
ohne den mathematischen Hintergrund aufzurollen. Der
für Einsatzvorbereitung und Betriebsbetreuung erforderliche Aufwand ist überschaubar, die dazu notwendigen
Kenntnisse lassen sich in relativ kurzer Zeit erwerben.
Die Weiterentwicklung von MPC-Technologien hat in den
letzten Jahren dazu geführt, dass die Projektkosten (relativ
zu den sonstigen Kosten der Automatisierung) bei steigender Qualität der Anwendungen gesunken sind. Dazu haben
z. B. solche Entwicklungen wie die Verwendung standardisierter Datenschnittstellen (OPC-Technologie), die Entwicklung browserbasierter Visualisierungswerkzeuge, die
Verkürzung der Anlagentests u. a. beigetragen. Auch dies
hat nicht unwesentlich zur Beschleunigung der Verbreitung von MPC-Reglern und zur Erschließung weiterer Einsatzgebiete beigetragen. Advanced-Control-Projekte unter
Einsatz der MPC-Technologie amortisieren sich im Raffineriebereich durchschnittlich erfahrungsgemäß in einem
Zeitraum von weniger als einem Jahr. In anderen Bereiche der Prozessindustrie liegt die durchschnittliche Amortisationsdauer bei ca. zwei Jahren. Sie werden deshalb
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zunehmend als eine attraktive Möglichkeit gesehen, Prozessanlagen kostengünstiger zu betreiben. Beispielsweise
wird in [12] die Amortisierung eines AC-Projekts in einer
Hydrocracker-Anlage in nur zwei Monaten dokumentiert.
Informationen über die Amortisationsdauer von ca. 30 ACProjekten bei der BASF Ludwigshafen finden sich in [13].
Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, dass der erfolgreiche Einsatz von MPC an bestimmte Voraussetzungen
gebunden ist. Dazu gehören insbesondere ein ausreichend
hohes Niveau der Basisautomatisierung einschließlich der
Instrumentierung mit einem Prozessleitsystem. Auch bei
Vergabe eines AC-Projekts an einen externen Dienstleister
ist die Entwicklung einer hinreichenden Kompetenz und der
Aufbau einer personellen Mindestkapazität beim Anwender
erfahrungsgemäß unabdingbar.
4 MPC-Projektabwicklung
und Programmsysteme
Bei der Abwicklung von Advanced-Control-Projekten unter Nutzung der MPC-Technologie hat sich ein Vorgehen in
folgenden Schritten bewährt [6]:
• Herausarbeitung der ökonomischen Ziele des ACProjektes und Sammlung von Daten zur Beschreibung
des Ist-Zustandes der Anlagenfahrweise,
• Erarbeitung einer Kosten-Nutzen-Analyse und Konzipierung der AC-Funktionen,
• Überprüfung der Basisautomatisierung, insbesondere der
in das MPC-Konzept einzubeziehenden PID-Basisregelungen und Lösung anlagentechnischer Probleme,
• Vorbereitung und Durchführung von aktiven Versuchen
an der Prozessanlage mit dem Ziel der Modellbildung,
• Entwicklung von Prozessmodellen für das dynamische Verhalten in allen Steuer- und Störkanälen der
Mehrgrößen-Regelstrecke unter Verwendung von Programmpaketen zur Prozessidentifikation,
• Konfiguration des MPC-Reglers, Offline-Simulation des
geschlossenen Regelungssystems, Grobeinstellung der
Reglerparameter,
• Portierung des MPC-Reglers auf die Zielhardware, Inbetriebnahme und Feineinstellung der Reglerparameter,
• Gestaltung einer nutzerfreundlichen Bedienoberfläche
für die Anlagenfahrer,
• Training und Dokumentation,
• Evaluierung der Ergebnisse des AC-Projekts,
• Wartung, Pflege und Anpassung des MPC-Regelungssystems im laufenden Anlagenbetrieb.
Noch vor ca. 15 Jahren bestanden MPC-Programmsysteme
lediglich aus dem Programmcode des eigentlichen Regelalgorithmus, der im Online-Betrieb auf einem übergordneten
Prozessrechner lief und über dezidiert entwickelte Schnittstellen mit dem Prozessleitsystem kommunizierte, und einem Offline-Werkzeug für Reglerkonfiguration und Simulation des geschlossenen Regelungssystems. Projektspezifische Anpassungen wurden durch Modifikationen des Sourcecodes realisiert. Um die Bedienung des MPC-Reglers
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ÜBERSICHT
durch den Anlagenfahrer vom Prozessleitsystem aus zu
ermöglichen, war die aufwändige Entwicklung von Bedienbildern und Kommunikationsfunktionen zwischen PLS und
Prozessrechner erforderlich. Prozessmodelle wurden noch
überwiegend durch manuelle Auswertung von Sprungantworten gewonnen.
Dieses Bild hat sich in der Zwischenzeit völlig gewandelt:
Die Komponenten von MPC-Programmsystemen unterstützen heute wesentlich mehr Phasen eines Advanced-ControlProjekts und stellen überdies neuartige Funktionen bereit:
• Bewertung (Control Performance Monitoring) und Optimierung unterlagerter PID-Regelkreise,
• Testsignalgenerierung, inzwischen auch für die simultane Anregung mehrerer Eingangssignale,
• Systemidentifikation. Neben den bekannten Identifikationsverfahren werden inzwischen auch moderne
Subspace-Methoden zur Identifikation linearer Zustandsmodelle und Methoden zur Identifikation im geschlossenen Regelkreis eingesetzt,
• Konfiguration des MPC-Reglers und der Simulation des
geschlossenen Regelungssystems im Offline-Betrieb,
• Kommunikation zwischen Prozessleitsystem und MPCRegler über eine standardisierte Schnittstelle – MPCProgramme verfügen heute über einen OPC-Client, der
sich mit dem OPC-Server des PLS verbindet,
• Bedienung und Beobachtung des MPC-Reglers durch
den Anlagenfahrer. Es kommen zunehmend browserba-
•
•
•
•
sierte Oberflächen zum Einsatz, und die projektspezifische Entwicklung von Bedieninterfaces entfällt,
Dynamische Koordination von mehreren MPC-Reglern
in großen Anlagen (z. B. Ethylenproduktion): Aktionen
von MPC-Reglern vorgeschalteter Anlagenteile werden
durch MPC-Regler nachgeschalteter Anlagenteile berücksichtigt,
Kopplung zu Programmen, die eine übergeordnete, anlagenweite Arbeitspunktoptimierung (RTO) realisieren,
Kopplung zu anderen Programmen, die ein rigoroses nichtlineares Prozessmodell der Anlage bereitstellen und für Entwurf und Simulation des statischen
und dynamischen Anlagenverhaltens eingesetzt werden (Fließschema-Simulatoren, Dynamik-Simulatoren,
Operator-Trainingssysteme),
Control Performance Monitoring für den MPC-Regler
selbst.
In Tabelle 2 sind am Beispiel der Firmen Aspen Technology und Honeywell Komponenten von MPC-Programmsystemen im weiteren Sinn aufgelistet. Andere Anbieter
haben diese Teilfunktionen in einem Paket integriert (z. B.
Pavilion Technologies in Pavilion8).
Tabelle 3 zeigt eine Übersicht der wichtigsten kommerziell verfügbaren MPC-Regler und deren Anbieter. Bei
den meisten Produkten handelt es sich um LPMC-Regler,
NPMC-Produkte sind durch einen Stern gekennzeichnet.
Tabelle 2: Bestandteile von MPC-Programmsystemen im weiteren Sinn am Beispiel von Aspen Technology (A) und Honeywell (H).
Funktion
Produkte
Control Performance Monitoring für
unterlagerte PID-Regelkreise
(Bewertung, Diagnose)
A: Aspen Watch
H: Loop Scout
Softsensoren auf der Grundlage empirischer
Prozessmodelle
A: Aspen IQ, Aspen IQ Powertools
H: Profit SensorPro
Softsensoren auf der Grundlage
theoretischer Prozessmodelle für ausgewählte
Raffinerieprozesse
H: Profit Toolkit
Planung von Anlagentests, Generierung
univariater und multivariater Testsignale
A: Aspen SmartStep
H: Profit Stepper
Identifikation des dynamischen Verhaltens
der Mehrgrößen-Regelstrecke
A: DMCplus Model
H: APC Identifier
LMPC-Regler
H: Profit Controller (früher: RMPCT)
A: DMCplus, State-Space Controller
NMPC-Regler
(für Polymerisationsanlagen)
A: Aspen Apollo
H: Profit NLC
(in Kooperation mit PAS Inc., USA)
Koordinierung von LMPC-Regelungen
in großen Prozessanlagen
A: DMCplus Composite
H: Profit Optimizer
Control Performance Monitoring für LMPCRegler (DMCplus bzw. Profit Controller)
A: Aspen Watch
H: Profit Expert (APC Scout)
Dynamik-Simulatoren auf der Grundlage
rigoroser Prozessmodelle
A: Aspen Dynamics
H: UniSim
Bedienung und Visualisierung der
LMPC-Regler
A: Production Control Web Center
H: Profit Viewer, Profit Assistant
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Tabelle 3: MPC-Programmsysteme – Anbieter und Produkte.
Anbieter
MPCProgrammsystem
Web-Adresse
Anbieter
Aspen
Technology
(USA)
DMCplus, State
Space Controller
Aspen Apollo *
www.aspentech.com
Sherpa Engi- IDCOM/HIECON www.sherpa-eng.com
neering (F) PFC
früher
Adersa
Honeywell
(USA)
Proft Controller
Profit Loop
Profit NLC *
www.honeywell.com/sites/acs Axens
MVAC
(Frankreich)
www.axens.net
Pavilion
Pavilion8 *
Technologies (Process Perfecter)
(USA)
www.pavtech.com
Perceptive
ControlMV *
Engineering
(GB)
www.perceptive-engineering.co.uk
Shell Global SMOC
Solutions
(NL)
www.shell.com
Neste
Jacobs Oy
(Finnland)
NAPCON
www.nesteengineering.com
SimsciEsscor
(USA)
Connoisseur
www.simsci-esscor.com
ControlSoft
(USA)
MMC
www.controlsoftinc.com
IPCOS
(NL/B)
INCA
www.ipcos.be
Adaptive
Resources
(USA)
QuickStudy
www.adaptiveresources.com
ABB
(Italien)
Predict & Control
www.abb.com
IDEAS
Brainwave
Simulation
and Control
(Canada)
www.brainwave.com
Intelligent
GMAX, GMAX-I
Optimization
(USA)
www.intellopt.com
ParOS (GB) ParOS Controller
www.parostech.com
PAS (USA) STAR Controller
NOVA NLC *
Galaxy
www.pas.com
Optima
Powerware
(USA)
AutoPilot
www.pseoptima.com
Maverick
MVC/O *
Technologies
(USA)
www.mavtechglobal.com
Prediktor
(N)
APIS MPC
www.prediktor.no
Matrikon
(Canada)
ProcessACT
www.matrikon.com
Cybernetica EMPC
(N)
CENIT *
Capstone
Technology
(USA)
MACS
www.capstonetechnology.com CyboSoft
(USA)
MFA
www.cybosoft.com
www.easydeltav.com
MATLAB MPC
Toolbox
www.mathworks.com
Emerson
DeltaV Predict/
Process
DeltaV PredictPro
Management
(USA)
Die MATLAB MPC-Toolbox ist für Zwecke der Aus- und
Weiterbildung sehr gut geeignet, aber in der verfügbaren
Form noch nicht für industrielle Anwendungen im Umfeld der Prozessführung einsetzbar. In Tabelle 3 nicht erfasst sind In-House-Entwicklungen wie z. B. SEPTIC (Statoil, Norwegen), RapidMVC (RWE npower, Großbritannien) oder OnSpot (Borealis, Schweden). Insgesamt steht
also heute ein breites Spektrum von MPC-Produkten und
Dienstleistungen zur Verfügung.
The
Mathworks
Inc. (USA)
MPCWeb-Adresse
Programmsystem
www.cybernetica.no
5 Aktuelle Entwicklungstrends
5.1 Verkürzung der Zeit für Anlagentests
und Modellbildung
Die in LMPC-Reglern verwendeten Prozessmodelle für das
dynamische Verhalten werden auf der Grundlage von Messreihen identifiziert, die durch aktive Anlagentests gewonnen
werden. Die traditionelle Vorgehensweise besteht darin, die
Steuergrößen (und wenn möglich auch die messbaren Stör-
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ÜBERSICHT
größen) nacheinander manuell mehrfach sprungförmig in
verschiedener Richtung und mit unterschiedlichen Amplituden zu verstellen und die Sprungantworten der Regelgrößen
aufzuzeichnen. Bei einer größeren Zahl von Steuergrößen
und träger Systemdynamik führt das zu sehr langen Versuchszeiträumen (mehrere Wochen sind nicht unüblich) und
hohen Projektkosten. Ein Drittel bis die Hälfte der Projektkosten sind erfahrungsgemäß bei dieser Vorgehensweise der
Phase Anlagentest/Modellbildung zuzuordnen.
Daher sind in den letzten Jahren verstärkt Anstrengungen
unternommen worden, die Anlagentests zu verkürzen und
so die Projektkosten deutlich zu reduzieren, siehe z. B. [14].
Inzwischen bieten verschiedene MPC-Programmsysteme
die Option, multivariate Testsignale zu generieren. Diese
werden dann automatisch und simultan an den Prozess
bzw. als Sollwertverstellungen an die unterlagerten PIDRegelkreise ausgegeben. Je nach den konkreten Randbedingungen werden heute bereits fünf bis zehn Eingangsgrößen simultan angeregt, bei guten Vorkenntnissen (keine
Erstidentifikation) auch wesentlich mehr. Die in Tabelle 2
genannten Werkzeuge SmartStep (Aspen Technology) und
ProfitStepper (Honeywell) sind Beispiele für die Anwendung dieser Vorgehensweise.
Gleichzeitig werden neue Entwicklungen der Theorie der
Systemidentifikation aufgegriffen und in die Modellbildungswerkzeuge der LMPC-Pakete integriert [15]. Hervorzuheben sind insbesondere
• der Einsatz von Subspace-Identifikationsmethoden zur
Schätzung von linearen Zustandsmodellen,
• Verfahren zur Identifikation von Mehrgrößensystemen
im geschlossenen Regelkreis und
• die Bereitstellung von Informationen über die erreichte
Modellgüte in dem für die LMPC-Regelung interessanten Frequenzbereich.
LMPC-Pakete verfügen in der Regel über integrierte Modellbildungswerkzeuge. Darüber hinaus sind auch weitere
Identifikationsprogramme vorhanden , die die Modellbildung für LMPC zum Ziel haben, z. B. TaiJi ID (TaiJi
Control, NL, und Matrikon, Kanada).
5.2 Anwendung auf nichtlineare
und zeitvariante Systeme
Die erfolgreiche Anwendung von LMPC-Verfahren ist an
die Voraussetzung gebunden, dass die Prozesse in einer
mehr oder weniger engen Umgebung eines festen Arbeitspunktes betrieben werden, und dass sich das statische
und dynamische Verhalten während der Betriebsdauer nicht
wesentlich ändert. Das ist bei vielen kontinuierlich betriebenen Raffinerie- und Petrochemieanlagen der Fall, was
neben anderen Faktoren den hohen Anteil dieser Branchen an der Zahl der MPC-Anwendungen erklärt. Für eine
große Zahl potentieller Einsatzfälle in der Prozessindustrie
sind die Voraussetzungen der Linearität und Zeitinvarianz
jedoch nicht erfüllt (Mehrprodukt-Polymerisationsanlagen,
Batch-Prozesse, Kraftwerksanlagen mit vielen Lastwechseln u. v. m.).
598
Daher werden seit Jahren in Forschung und Praxis verschiedene Ansätze verfolgt, MPC-Regelungen auf solche
Prozesse zu übertragen. Diese Ansätze lassen sich wie folgt
klassifizieren:
•
•
•
•
LMPC-Erweiterungen,
Adaptive LMPC-Regelungen,
Robuste LMPC-Regelungen,
MPC-Regelungen mit nichtlinearem Prozessmodell
(NMPC).
LMPC-Erweiterungen: Bereits seit Jahren werden durch
eine Reihe von LMPC-Programmsystemen folgende Optionen unterstützt und auch regelmäßig praktisch eingesetzt:
• die Änderung von Parametern der in LMPC-Reglern
verwendeten linearen Prozessmodelle (z. B. Streckenverstärkungen, Totzeiten) im Online-Betrieb,
• die Anwendung nichtlinearer Transformationsbeziehungen auf Regel- und/oder Steuergrößen mit dem Ziel
der Linearisierung der Zusammenhänge zwischen diesen
Größen,
• die Verwendung einer ,,Bank“ linearer Prozessmodelle,
zwischen denen in Abhängigkeit vom Arbeitspunkt stoßfrei umgeschaltet wird,
• die Linearisierung von Prozessmodellen entlang vorab
optimierter Trajektorien, wobei das nichtlineare Modell zur Offline-Berechnung der Trajektorien verwendet
wird, und im Online-Betrieb der LMPC-Regler nur noch
kleinere Abweichungen von der Trajektorie ausregeln
muss.
Was adaptive prädiktive Regelungen mit fortlaufender Identifikation des Prozessmodells angeht, so reicht die Geschichte hier zwar weit zurück: eine ganze Klasse prädiktiver Regelungsalgorithmen wurde im Zusammenhang mit
der Theorie der adaptiven Regelung entwickelt und unter
der Bezeichnung ,,Generalized Predictive Control (GPC)“
verallgemeinert [16]. Allerdings gibt es nur wenige, überdies meist nicht-adaptive Eingrößen-GPC-Anwendungen in
der internationalen Prozessindustrie. Das liegt in erster Linie daran, dass das Mehrgrößen-GPC-Verfahren bisher nur
in ein MPC-Produkt integriert wurde (RapidMVC der Fa.
RWE npower). Generell ist über industrielle Anwendungen von adaptiven prädiktiven Regelungen mit fortlaufender Identifikation des Prozessmodells bisher kaum berichtet worden. Unter den in Tabelle 3 aufgelisteten MPCProdukten weist allein der ,,STAR Controller“ der Firma
PAS (USA, füher DOT Products Inc.) die Fähigkeit zur
Online-Adaption des Prozessmodells auf.
Robuste LMPC-Regelungen berücksichtigen die Unsicherheit des Prozessmodells beim Reglerentwurf bzw. im Regelungsalgorithmus. Die Suche nach effizienten Verfahren für robuste LMPC-Regelungen und nach Methoden
der Robustheitsanalyse ist eine aktuelle Forschungsrichtung (siehe [17] und die darin zitierte Literatur). Robustheitsaspekte werden in den marktgängigen LPMCProgrammsystemen derzeit nur ansatzweise berücksichtigt.
Große Fortschritte wurden in den letzten Jahren bei der
Entwicklung und Anwendung von modellprädiktiven Re-
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gelungen mit nichtlinearen Prozessmodellen (NMPC) erreicht [18]. Charakteristisch für NMPC-Regelungen ist,
dass das Grundkonzept und wichtige Merkmale von MPC
erhalten bleiben. Es wird ,,nur“ das lineare durch ein nichtlineares dynamisches Prozessmodell ersetzt. Damit verbunden ist jedoch ein im Allgemeinen wesentlich größerer
Aufwand für die theoretische, empirische oder hybride Modellbildung, für die Lösung der dann nichtlinearen Optimierungsprobleme im Echtzeitbetrieb und die Schätzung des
aktuellen Systemzustands durch erweiterte Kalman-Filter
oder Filter mit gleitendem Horizont [19].
Es wundert daher nicht, dass NMPC-Lösungen immer
noch einen geringen Anteil an der Gesamtzahl der MPCAnwendungen aufweisen, und dass es auch deutlich weniger konkurrierende NMPC-Werkzeuge gibt. Beispiele für
NMPC-Regler, die auf empirischen Prozessmodellen basieren, sind Pavilion8 (früherer Name ProcessPerfecter) der
Fa. Pavilion [20] und Aspen Apollo der Fa. Aspen Technology [21]. Während Aspen Apollo ausdrücklich für den
Polymerbereich konzipiert ist, sind für Pavilion8 darüber
hinaus u. a. auch Anwendungen im Bereich der Zementund der Nahrungsgüterindustrie bekannt geworden. Beide
Programmsysteme erlauben nicht nur die Modellierung
nichtlinearen statischen Prozessverhaltens, sondern auch
der Abhängigkeit der Systemdynamik vom Arbeitspunkt.
Polymers NLC (PAS Inc., USA) und ,,Dynamic Optimization“ (ABB) sind hingegen Beispiele für NMPC-Regler,
die intern ein rigoroses Prozessmodell nutzen. Während
der erstgenannte für den Einsatz in Polymerisationsanlagen
konzipiert ist, wurde der zweite zuerst im Kraftwerksbereich eingesetzt [22].
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Die zu den Koppelbausteinen gelieferten Bedienbilder für
die Operator Station ermöglichen den Anlagenfahrern die
routinemäßige Bedienung und Beobachtung des Prädiktivreglers in der gewohnten Umgebung, als ob es sich um
eine Gruppe von Einzelreglern handeln würde.
Die gestiegene Leistungsfähigkeit der prozessnahen Komponenten (PNK) von PLS eröffnet heute aber die technische
Möglichkeit, MPC-Regelalgorithmen direkt auf den PNK
ablaufen zu lassen. Der Vorteil besteht in einer besseren
Integration zwischen PLS und MPC-Paket hinsichtlich des
Engineerings, der Kommunikation mit dem System der Basisregelungen und der Bedienung durch den Anlagenfahrer.
Vorreiter dieser Entwicklung ist die Firma Emerson Process
Management (früher Fisher-Rosemount), die seit einigen
Jahren das Produkt DeltaV Predict (inzwischen auch DeltaV PredictPro) anbietet. Dieser LMPC-Regler ist auf PNK
(Typ MD) des PLS DeltaV lauffähig. Während DeltaV Predict noch deutliche Beschränkungen hinsichtlich der Zahl
der Steuer- und Regelgrößen aufwies, erlaubt DeltaV Predict Pro die Konfiguration von bis zu 40 Steuer- und bis
zu 80 Regelgrößen, ist also auch für größere Anwendungen geeignet. Nach Angaben des Anbieters ist auch bei
einer Maximalkonfiguration und einer Abtastzeit von 30 s
der Prozessor nur zu 10% ausgelastet.
Andere PLS-Hersteller haben inzwischen nachgezogen
bzw. entsprechende Entwicklungen initiiert. So bietet Honeywell für das PLS Experion PKS den MPC-Eingrößenregler Profit Loop als für bestimmte Anwendungen geeignete Alternative zu PID-Reglern an.
Die überwiegende Mehrzahl der in Tabelle 3 aufgelisteten MPC-Werkzeuge sind Programmsysteme, die über
eine OPC-Schnittstelle mit dem PLS kommunizieren. Das
ermöglicht eine Entscheidung für ein bestimmtes MPCProdukt unabhängig von dem in der Anlage eingesetzten
PLS. Der projektspezifische Engineering-Aufwand fällt jedoch geringer aus, wenn eine standardisierte Integration des
MPC-Pakets in das PLS vorhanden ist. Das ist bei Profit Controller/Experion PKS (Honeywell), INCA/Simatic
PCS 7 (IPCOS/Siemens), Predict& Control/Industrial IT
800xA (ABB) und anderen Kombinationen der Fall. Beispielsweise werden zur Integration von INCA (oder anderen externen MPC-Paketen) in Simatic PCS 7 folgende
Funktionen innerhalb des Prozessleitsystems in Form einer
Bibliothek von Koppelbausteinen angeboten:
Für Simatic PCS7 (Siemens) ist ein schlanker MehrgrößenMPC in Entwicklung. Er verarbeitet bis zu vier Stellund Regelgrößen sowie eine messbare Störgröße in einem
Standard-Funktionsbaustein mit vorgefertigtem Bedienbild
auf der Operator Station. Betriebsarten und Handhabung
sind so weit wie möglich an den Standard-PID-Regler des
Leitsystems angelehnt. Konfiguration und Inbetriebnahme
können mit Hilfe eines dazu passenden Engineering-Tools
ohne regelungstechnische Spezialkenntnisse durchgeführt
werden: Vom Benutzer sind nur die Priorität der einzelnen
Regelgrößen sowie der Preis für die Bewegungen einzelner Stellgrößen, d. h. die Gewichtungsfaktoren im quadratischen Gütekriterium vorzugeben. Über einen Führungsgrößenfilter kann die gewünschte Einschwingzeit für jede
Regelgröße bei einem Sollwertsprung spezifiziert und online nachgetunt werden. Der schlanke Prädiktivregler wird
Teil der ,,Advanced Process Library“, die darüber hinaus
noch weitere Regelungsfunktionen enthält:
• Verwaltung von Statusinformationen und Betriebsarten
sowie stoßfreie Umschaltung für jeden unterlagerten
PID-Regler,
• Aufbereitung von Messwerten einschließlich Filterung
und Ausreißer-Behandlung,
• zentrale Umschaltung auf externen MPC, Überwachung
der Kommunikation sowie Rückfallstrategie auf vorprojektierte konventionelle Prozessführung.
• PID Gain Scheduling,
• Butterworth Tiefpass-Filter,
• Templates für dynamische Störgrößenaufschaltung
(Lead-Lag feedforward), ablösende Regelung (Override
control), Smith Prädiktor usw.,
• Control Performance Monitoring ,
• Verbesserter PID-Tuner (Optimierung) mit Zusatzfunktionen z. B. Modell-Verifikation, Regelkreis-Simulation.
5.3 Integration in Prozessleitsysteme
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R. Dittmar, B.-M. Pfeiffer: Modellbasierte prädiktive Regelung in der industriellen Praxis
ÜBERSICHT
Die ,,Advanced Process Library“ wird zukünftig als Nachfolger der bisherigen Standard-Bibliothek zum Serienumfang des Prozessleitsystems gehören.
5.4 MPC für schnelle Systeme
MPC-Regler werden bisher in der Prozessindustrie für relativ träge Prozesse eingesetzt, die MPC-Reglerabtastzeiten
liegen meist zwischen 10 s und 5 min. Trotz der schnellen
Entwicklung der Rechnerleistung scheitert eine Anwendung des MPC-Konzepts auf sehr schnelle Prozesse (mit
Zeitkonstanten im Bereich von Millisekunden) auch bei
linearen Prozessmodellen daran, dass ein QP-Problem in
Echtzeit gelöst werden muss. Daher gibt es bereits seit Jahren Bemühungen, durch Vereinfachung traditioneller MPCRegelalgorithmen und elegante numerische Verfahren zu
verkürzten Rechenzeiten zu kommen. Ein einfacher Ansatz dazu ist die Vernachlässigung der Nebenbedingunen
bei der Optimierung (vgl. schlanker Prädiktivregler). Ein
solcher Regler begrenzt seine Stellgrößen korrekt, aber es
kann nicht garantiert werden, dass immer die mathematisch optimale Lösung des beschränkten Problems gefunden
wird. Der schlanke Algorithmus eignet sich daher primär
für kleinere und quadratische Mehrgrößenprobleme.
Ein Durchbruch in Richtung schnellere Berechnung ist die
Formulierung des MPC-Problems als multiparametrisches
Optimierungsproblem. Die Grundidee besteht darin, statt
in jedem Abtastintervall online die optimale, vom aktuellen Systemzustand abhängige, Stellgrößenfolge ∆u(k)
=
[∆u(k) . . . ∆u(k + n C − 1)] zu berechnen, offline die Gesamtheit aller Lösungen ∆u(k)
= F(x̄(k)) zu finden und im
Online-Betrieb als sehr schnell auswertbare Zuordnungstabelle zu präsentieren. Der Rechenaufwand wird auf diese
Weise in die Entwurfsphase verlagert. Er wächst überproportional mit der Zahl der Steuer- und Regelgrößen,
da der Zustandsraum geeignet partitioniert werden muss.
Außerdem muss ausreichend Speicherplatz für die Zuordnungstabelle vorhanden sein [23]. Bisher sind nur wenige industrielle Anwendungen parametrischer MPC-Regler
für ,,kleine“ Mehrgrößensysteme bekannt geworden [24].
Inwieweit es gelingt, diesen Ansatz auch auf größere
Probleme anzuwenden und einen den traditionellen MPCReglern vergleichbaren Komfort hinsichtlich Engineering,
Reglereinstellung und Bedienung zu erreichen, bleibt abzuwarten. Um die Vermarktung dieser Technologie bemüht
sich derzeit die Fa. ParOS, ein Spin-off des Imperial College London.
5.5 Control Performance Monitoring (CPM)
In den letzten fünfzehn Jahren sind unter dem Begriff
Control Performance Monitoring (CPM) Methoden und
Werkzeuge für die systematische Überwachung. Bewertung und Diagnose von PID-Basisregelkreisen entwickelt
worden [25]. Die Entwicklung von CPM-Methoden für
MPC-Mehrgrößenregelungen sind zur Zeit Gegenstand der
Forschung. Obwohl die Entwicklung noch nicht so weit
fortgeschritten ist wie bei PID-Eingrößenregelungen, bie-
600
ten inzwischen einige der in Tabelle 3 aufgelisteten Anbieter von MPC-Programmsystemen CPM-Tools für ihre
MPC-Regler an. Dazu gehören z. B. Aspen Watch (Aspen Technology), APC Scout (Honeywell) oder MDPro
(Shell Global Solutions). Bei Pavilion8 sind CPM-Metriken
in die MPC-Software integriert. Diese Werkzeuge liefern
z. B. Hinweise über die Genauigkeit der Vorhersage der
Regelgrößen und damit über die Modellgüte, statistische Informationen über die aktiven Nebenbedingungen des MPCReglers, oder ermöglichen die Bewertung der Regelgüte
durch Performance-Indizes. Es sind auch einige CPMWerkzeuge für MPC-Regelungen verfügbar, die nicht von
den MPC-Anbietern selbst stammen, darunter ProcessDoc
(Matrikon, Kanada) und Plant Triage (Expertune, USA).
6 Zusammenfassung
Die industrielle Anwendung von MPC weist hohe Wachstumsraten auf. Sie beschränkt sich inzwischen nicht mehr
auf Raffinerie- und Petrochemieanlagen, sondern dringt
u. a. auch in die Bereiche Chemie, Papier und Zellstoff,
Luft und Gas, Glas, Zement und Nahrungsgüter vor. Umfragen [26] zeigen eine überdurchschnittlich hohe Zufriedenheit der Anwender mit MPC-Lösungen (in Relation
zu anderen gehobenen Regelungsverfahren). Neben großen
Konti-Anlagen kommen zunehmend auch kleinere und
mittlere Anlagen sowie Regelungen mit schnelleren Abtastzeiten in Betracht. Der Übergang von der individuellen
Speziallösung zu serienmäßigen Produkten (zumindest für
LMPC) geht einher mit steigendem Reifegrad der Software
und sinkenden Kosten für Konfiguration und Inbetriebnahme. Für die nächsten Jahre sind weitere Entwicklungen in Richtung adaptiver und robuster LMPC-Verfahren,
schneller LMPC-Regelungen und eine bessere softwaretechnische Unterstützung des gesamten Lebenszyklus von
LMPC-Anwendungen zu erwarten. Die industrielle Anwendung von NMPC steht trotz unbestreitbarer Fortschritte
nach wie vor am Anfang der Entwicklung, die Ausschöpfung des vorhandenen großen Potentials hängt hier wesentlich von der weiteren Entwicklung effektiver Methoden und
Werkzeuge der Modellbildung ab.
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Manuskripteingang: 2. Januar 2006.
Prof. Dr.-Ing. Rainer Dittmar vertritt das Fachgebiet Automatisierungstechnik an der FH Westküste
in Heide/Holstein. Hauptarbeitsgebiete: industrielle
Anwendung von gehobenen Methoden der Prozessführung, Model Predictive Control.
Adresse: Fachhochschule Westküste, Fritz-Thiedemann-Ring 20, 25756 Heide, Tel.: +49(0481) 8555325, E-Mail: [email protected]
Dr.-Ing. Bernd-Markus Pfeiffer ist bei der Siemens AG Projektleiter für die Themengruppen Asset Management und Advanced Process Control in
der Vorfeldentwicklung (,,Advanced Technologies
and Standards“) des Geschäftsbereichs Automation
and Drives. Daneben ist er Lehrbeautragter an der
Universität Karlsruhe.
Adresse: Siemens AG, A&D ATS 32, 76181 Karlsruhe, Tel.: +49(721)595-5973, Fax: -6728,
E-Mail: [email protected]
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