Gedichtinterpretation

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Gedichtinterpretation
Gedichtinterpretation – Beispiel einer Klassenarbeit im Sinne des Nachteilsausgleichs für
einen Schüler mit Asperger-Syndrom, 9. Klasse Gymnasium
Vorbemerkung:
Bei diesem Schüler zeigten sich folgende Besonderheiten und Auswirkungen seiner
Autismus-Spektrum-Störung
• Zeitverzögerungen in der Umsetzung von Denkprozessen
• Probleme Zusammenhänge aus dem Kontext oder in einer umfassenden
Fragestellung zu erkennen
• Mangelnde Empathie für bestimmte Situationen und Personen
• Wortwörtliches Verstehen von Sprache / Deutung von Sprache / Begriffsverständnis
• Der Ausdruck eigener Gefühle und das Erkennen/ Verstehen von Gefühlen und
Gedanken anderer (Sozialverhalten) fallen schwer
Im Nachteilsausgleich bei Leistungsüberprüfungen wurde festgelegt:
• Einräumen von mehr Zeit ( individuelles Festlegen durch die Lehrkraft)
• Stellen klarer Anweisungen (v.a. kleinschrittige Strukturierung offener
Fragestellungen)
• Bei Aufgaben, die ein Hineinversetzen in fremde Perspektiven/ Empathie erfordern:
Hilfestellungen (Spektrum von kleinschrittigeren Anweisungen über Multiple choice zu
Alternativthemen; dabei Niveau halten)
• Bei Textformulierungen die autismusspezifischen Sichtweisen beachten.
Interpretation von Gedichten
Die autismusspezifischen Schwierigkeiten des Schülers zeigten sich vor allem bei der
Interpretation von Gedichten, hierbei war neben der konkreten Umsetzung des
Nachteilsausgleichs das Vermeiden von Reizwörtern (z.B. „interpretieren“) notwendig,
um eine Blockade zu verhindern und das Einlassen auf die Aufgabenstellung zu
ermöglichen. Da die Auswahl zwischen mehreren angebotenen Gedichten für diesen Schüler
ein großes Problem darstellte und ihn völlig überforderte, erhielt er bei der Klassenarbeit nur
ein Gedicht (die Mitschüler drei). Hinsichtlich der Bewertung erwies sich die Offenlegung
des Erwartungshorizontes für die Klasse auch als Hilfe für den Schüler, seine Leistung
einzuschätzen und die Note ohne Diskussion anzunehmen.
Umsetzungsbeispiel: Klassenarbeit in Deutsch zum Thema „Großstadtlyrik“
Anhang 1: für den Schüler zum Thema Großstadtlyrik vorausgewähltes Gedicht:
„Städter“ von Alfred Wolfenstein
(Anmerkung: Es wurde das Gedicht gewählt, zu dem der Schüler vermutlich am ehesten
Zugang finden konnte.)
Anhang 2: Auflistung der Aufgaben
Anmerkung: Die Aufgaben wurden im Vorfeld der Klassenarbeit mit der Klasse so erarbeitet
und für diesen Schüler als „Leitfaden“ während der Arbeit visualisiert. Bei Aufgaben, die ein
Interpretieren erfordern, wurde mit Multiple choice gearbeitet ohne das Anspruchsniveau zu
senken.
Anhang 3: Erwartungshorizont
© Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, 2012
Anhang 1: Alfred Wolfenstein: „Städter“
Dicht wie die Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, dass die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.
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Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams* die zwei Fassaden
* Straßenbahnen
Leute, ihre nahen Blicke baden
Ineinander, ohne Scheu befragt.
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
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Dass ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
Unser Flüstern, Denken ... wird Gegröle ...
- Und wie still in dick verschlossner Höhle
Ganz unangerührt und ungeschaut
Steht ein jeder fern und fühlt: alleine.
Lies dir das Gedicht durch und bearbeite dann die Aufgaben.
Anhang 2: Aufgaben
1) Schreibe einen Basissatz.
2 P.
2) Schreibe eine Einleitung, die zum Thema des Gedichtes hinführt.
4 P.
3) Beantworte folgende Fragen in jeweils einem vollständigen Satz.
a) Welches Metrum wird verwendet?
1 P.
b) Welches Reimschema liegt vor?
1 P.
c) Welche besondere Gedichtform wird verwendet?
1 P.
d) Aus wie vielen Sätzen besteht das Gedicht?
1 P.
e) Wie sind diese Sätze auf die Strophen verteilt?
1 P.
4) Fasse den Inhalt jeder Strophe kurz zusammen.
8 P.
5) Beschreibe, wie die Strophen inhaltlich zusammenhängen.
2 P.
6) Finde in jeder Strophe zwei Stilmittel. Schreibe dann einen zusammenhängenden
Text, in dem du alle Stilmittel zitierst und benennst.
© Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, 2012
12 P.
Achtung: Du brauchst sie NICHT zu interpretieren.
7) Kreuze jeweils die Möglichkeit an, die am nachvollziehbarsten ist.
5 P.
a) In der ersten Strophe hat der Leser den Eindruck, dass …
O die Menschen sich in der Stadt frei entfalten können.
O der Asphalt auf den Straßen erneuert werden muss.
O die vielen Häuser in der Stadt die Menschen einengen und ihnen keinen Schutz
bieten.
O eine menschenleere Stadt am schönsten ist.
b) In der zweiten Strophe wird deutlich, dass …
O die Menschen in den Straßenbahnen zu wenig Distanz zueinander haben.
O die meisten aus Umweltschutzgründen mit der Straßenbahn fahren.
O es in den Straßenbahnen zu laut ist, weil zu viel geredet wird.
O die Menschen sich in dieser Stadt sehr mögen und Körperkontakt suchen.
c) In der dritten Strophe zeigt sich, dass …
O das lyrische Ich ein depressiver Mensch ist.
O dass man sich immer in die eigenen vier Wänden zurückziehen kann.
O die Menschen zu viel Lärm in ihren Wohnungen machen.
O die Bewohner keine Privatsphäre und keine Geheimnisse mehr haben.
d) In der vierten Strophe wird deutlich, dass …
O der Mensch trotzdem isoliert ist.
O das lyrische Ich sich eine Schutzhöhle bauen möchte.
O der Seh- und Tastsinn die beiden zentralen Sinneswahrnehmungen sind.
O das lyrische Ich sich am wohlsten fühlt, wenn es endlich alleine ist.
e) In „Städter“ von Wolfenstein wird gezeigt, dass …
O es dem Menschen am besten geht, wenn er alleine ist.
O eine Stadt alles bietet: Wenn man möchte, kann man etwas mit anderen
Menschen machen, wenn man möchte, kann man sich zurückziehen.
O die Menschen in der Stadt einsam sind, obwohl sie ständig von vielen anderen
Menschen umgeben sind, und darunter leiden.
O Häuser falsch gebaut werden, weil sie zu dicht beieinander stehen, und der
Mensch sich deshalb kleine Höhlen in seiner Wohnung bauen soll, um für sich zu
sein.
8) Erkläre, welche Vor- und Nachteile eine Großstadt hat.
10 P.
Achtung: Erläutere drei oder vier Punkte genauer mit Hilfe von Belegen und
Beispielen und liste sie nicht nur auf.
Viel Erfolg!
© Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, 2012
Anhang 3: Erwartungshorizont
1) Basissatz: Autor, Titel, Textsorte, Thema
2) Einleitung: Ausführung eines Einleitungsgedankens
3) a) fünfhebiger Trochäus (Daktylus in Vers 1)
b) umarmender Reim in den Quartette, efggef in den Terzetten
c) Sonnet
d) vier Sätze
e) Quartette: Strophe = Satz; Terzette: vierter Satz verbindet die
beiden
4) 1. Strophe: Beschreibung der Häuser und Straßen; 2. Strophe:
viele Menschen in den Straßenbahnen; 3. Strophe: fehlende
Privatsphäre zu Hause; 4. Strophe: ungewollte Einsamkeit/
Isolation
5) Blicklenkung ähnlich wie bei einem Kamerazoom: Häuser –
Straßenbahnen – Wohnungen – in den Einzelnen
immer
näher an den Menschen
6) 1. Strophe:
8 P.
2 P.
2 P.
2. Strophe:
2P.
3. Strophe:
2P.
4 Strophe:
2P.
Zitate
7) a) 3. Satz
b) 1. Satz
c) 4. Satz
d) 1. Satz
e) 3. Satz
8) Ausführung eines Punktes mit Erläuterung, Beleg, Beispiel
4 P.
5 P.
3 P.
Ausführung eines 2. Punktes mit Erläuterung, Beleg, Beispiel
3 P.
Ausführung eines 3. Punktes mit Erläuterung, Beleg, Beispiel
3 P.
Anordnung (Gliederung der Antwort)
1 P.
sprachliche Gestaltung
- Ausdrucksvermögen
-
2 P.
4 P.
1 P.
1 P.
1 P.
1 P.
1 P.
Rechtschreib- und Zeichensetzungskompetenz
Gesamt
© Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur, 2012
4 P.
4 P.
56 P.