Springtime in Munich – Die Münchner Gruppe 1969

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Springtime in Munich – Die Münchner Gruppe 1969
 Bildrausch Filmfest Basel 25. – 29.5.2016 Programmübersicht Kataloginformationen zum Spezialprogramm SPRINGTIME IN MUNICH Die Münchner Gruppe 1966–1969 50 Jahre ist es her, dass der Frühling in München Einzug hielt, Papas Kino gleich mehrfach für tot erklärt wurde und May Spils, Roger Fritz, Rudolf Thome, Eckehart Schmidt und Klaus Lemke mit dem Regelwerk des amerikanischen Genrekinos jonglierten. Ihre Filme sind schnell, sexy und unendlich cool; sie reissen mit und sie transportieren das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Zum Jubiläum holt Bildrausch die wichtigsten Akteure nach Basel und will genau wissen, wer mit wem was gedreht hat! 48 STUNDEN BIS ACAPULCO von Klaus Lemke BRD, 1967, 81 Minuten Vorfilm: HENKER TOM von Klaus Lemke (BRD, 1966, 10 Minuten) DETEKTIVE von Rudolf Thome BRD, 1969, 91 Minuten Vorfilm: JANE ERSCHIESST JOHN, WEIL ER SIE MIT ANN BETRÜGT von Rudolf Thome (BRD, 1968, 15 Minuten) JET GENERATION von Eckhart Schmidt BRD, 1968, 98 Minuten Vorfilm: FRÜHSTÜCK IN ROM von Max Zihlmann (BRD, 1965, 17 Minuten) MÄDCHEN, MÄDCHEN von Roger Fritz BRD, 1967, 102 Minuten Vorfilm: GALAXIS von Rudolf Thome (BRD, 1967, 13 Minuten) ZUR SACHE SCHÄTZCHEN von May Spils BRD, 1968, 78 Minuten Vorfilm: MANÖVER von May Spils (BRD, 1966, 10 Minuten) KURZFILMPROGRAMM von Marran Gosov und Martin Müller BRD, 1966-­‐‑69, 96 Minuten Theaterstrasse 22, 4051 Basel presse@bildrausch-­basel.ch, www.bildrausch-­basel.ch Tel +41 61 205 98 80, Fax +41 61 205 98 89 1 48 STUNDEN BIS ACAPULCO von Klaus Lemke BRD, 1967, 81 Minuten Frank Murnau will ein anderes Leben, und das zügig: Top-­‐‑Frauen gehören dazu, viel Geld, und eben auch ein paar harte Gegner. Kann er alles haben. Fü r die Kohle, Basis jeden Jet-­‐‑Set-­‐‑Daseins, soll der Verkauf von Industriegeheimnissen sorgen, wobei der alte Mann in Acapulco mehr dafür zu bieten scheint als der alte Mann am Schliersee. Die Frauen sind schon da, denn Frank sieht Bombe aus, einfach cool. Die Gegner, schliesslich, lassen auch nicht lange auf sich warten und hö ren auf Namen mit Kinoklang wie Cameron und Grunder. Am Ende: ein Nullsummen-­‐‑ spiel, ganz klassisch. Klaus Lemke sagte immer, dass fü r ihn und seine Spiessgesellen amerikanische Filme Dokumentationen darü ber waren, wie das Leben sein soll. Und so machte er dann seinen ersten Langfilm: Als Reenactment dieses Kinos, ganz exakt zugeschnitten auf bundesdeutsche Verhä ltnisse – BRD-­‐‑
Lä ssigkeit, BRD-­‐‑Schö nheit, BRD-­‐‑Melancholie, welthaltig, kosmopolitisch wie wenig, was es vorher und nachher im hiesigen Film gab. Ein Film darüber, wie man sich hinsetzt, Musik hört (z.B. ein Summer in the City-­‐‑Instrumentalcover), dabei mit jedem Schluck Wasser oder Whiskey das Verstreichen der Zeit formt. Ein Film über alles. DETEKTIVE von Rudolf Thome BRD, 1969, 91 Minuten «Kann sein, man müsste in einem bestimmten Alter sein, in München leben, am Kino Spass haben, selber Filme machen wollen, hübsche Mädchen mögen und Gitanes rauchen», schreibt Wolf-­‐‑Eckhart Bühler 1971 über Thomes in München gedrehte Filme. Irgendwie scheint Mü nchen Ende der 60er-­‐‑Jahre der Nabel der Welt zu sein, zumindest entsteht dieser Eindruck, wenn man die frühen Filme von Rudolf Thome (noch-­‐‑
mal) sieht. Da regiert die Coolness einer ganzen Generation, da ist vieles reine Oberflä che, wofür es dunkle Sonnenbrillen, schnittige Autos, Mädchen in Miniroöcken und ein paar Waffen als verwegene Accessoires braucht. Ein schöner Text von Norbert Grob: «Zwei Männer und eine Frau: Das sind zwei Privatdetektive und ihre Sekretärin. Wie alle kleinen Unternehmen haben sie zuallererst einmal: ein Büro. In dem gibt es einen Schreibtisch, an dem keiner was tut, eine kleine Reiseschreibmaschine, auf der niemand schreibt, und einen Aktenschrank, in dem nichts steht. Später räumt die Möbelspedition das Büro völlig leer, da die letzten Raten unbezahlt blieben. Da gehen die drei dann anderen Geschäften nach... Es geht um Geld, um Mord und Entführung, um Liebe und Tod, um ganz komplizierte Gefühle. In Detektive geht es ums Kino, also um das Leben.» JET GENERATION von Eckhart Schmidt ∙ BRD, 1968, 98 Minuten «Wie Mädchen heute Männer lieben», verhiess damals das Filmplakat. Das muss man sich ungefähr so vorstellen: «Ein Flugzeug landet in München-­‐‑Riem, und ein Mädchen, blond, blass und sehr schick, ent-­‐‑
steigt dem Düsenvogel wie ein Engel der Swinging Sixties. Dann ertönt ein Song, der internationales Beat-­‐‑
Flair verbreitet. Carroll (Dginn Moeller) aus New York sucht nach ihrem Bruder, der seit einigen Monaten vermisst wird. Schmidt zeigt ein München der Gegensätze: angesagte Szene-­‐‑Treffs, altehrwürdige Wirts-­‐‑
häuser, das Oktoberfest und den Bau der ersten U-­‐‑Bahnlinie. «Eine neue Generation auf der Suche: bei Schmidt kommt das alles ganz unaufdringlich daher. Die Suche nach ihrem Bruder führt Carroll schliess-­‐‑
lich zu dem charismatischen Modefotografen Raoul (Roger Fritz), dem die Männer genauso verfallen sind wie die Frauen. Auch sie kann sich dem gefährlichen Charme dieses Dandys, der hin-­‐‑ und her-­‐‑jettet zwi-­‐‑
schen Rom, London und München, nicht entziehen. Eine Love Story voller Unberechenbarkeiten beginnt zwischen ihr und diesem Provokateur der Gefühle. Gegensätze durchdringen sich: Anziehung und Ableh-­‐‑
nung, Liebe und Hass, Aufbruch und Melancholie, ein unbändiger Drive und Trance bis zur Lethargie. Lo-­‐‑
ving, Munich 1968.» Theaterstrasse 22, 4051 Basel presse@bildrausch-­basel.ch, www.bildrausch-­basel.ch Tel +41 61 205 98 80, Fax +41 61 205 98 89 2 MÄDCHEN, MÄDCHEN von Roger Fritz BRD, 1967, 102 Minuten Angela treibt eher der Zufall als Absicht zurück in jenes Herrenhaus, aus dem sie vor Jahren gerissen und in ein Erziehungsheim gesteckt worden war, weil die Minderjährige ein Verhältnis hatte mit dem Senior, einem lä̈ ssig-­‐‑sportlichen Mann von Welt, Fabrikbesitzer und Lokalmatador, der die Damen zu nehmen versteht, wie sie kommen, selbst wenn das Knastzeit heisst, wie diesmal, ihretwegen. Einmal da, nimmt sich der Junior ihrer an, linkisch aber bestimmt. Dann kommt der Senior wieder heim, und eigentlich kö nnten sich die Hausherren ja auch gut Angela teilen, meinen die, so implizit, aber ... I'll be there, with a love that will shelter you / I'll be there, with a love that will see you through singt David Llywelyn, während Angela und Junior sich im Gras nun so richtig näherkommen. Ein Moment geiler Raserei, wie ein Riss in diesem ansonsten subversiv-­‐‑subtilen, angelegentlich fast surrealen Kammerspiel, dessen visuelle Herr-­‐‑
lichkeit und Klarheit zu erschüttern weiss. Ein Film schön wie das Funkeln smaragdener Katzenaugen. Nur Roger Fritz, der in Wirklichkeit allertollste Mann des BRD-­‐‑Kinos, konnte dieses Monument machen. Nur er. ZUR SACHE SCHÄTZCHEN von May Spils BRD, 1968, 78 Minuten Auch so kann es beginnen: «Wir haben auf Restmaterial von grossen Filmproduktionen gedreht, wir sind nachts mit einer Flasche Schnaps in die Kopieranstalten gegangen, und befreundete Kopiermeister haben uns umsonst die Muster entwickelt und so haben wir eigentlich von uns aus selbst das filmische Hand-­‐‑
werk erlernt.» (Peter Schamoni, Produzent) Und was dann dabei herauskommt, ist nicht nur der erfolg-­‐‑
reichste deutsche Film des Jahres, sondern darüber hinaus die Blaupause für die Unbeschwertheit des Schwabinger Lebensstils zwischen Eiscafé́ und «Tü rkendolch» (legendäres Münchner Studentenkino), wo man sich in amerikanischen Gangsterfilmen die Posen für das eigene Dasein abschaute. Im Zentrum ein «Edelgammler» (Werner Enke), der versucht, sich an ein etwas spiessiges Töchterchen aus besserem Hau-­‐‑
se (Uschi Glas) ranzumachen und ihr beizubringen, was «fummeln» bedeutet. Will man den Film beschrei-­‐‑
ben, landet man früher oder später bei Enkes dahingenuschelten Sprüchen, die zu geflügelten Worten einer ganzen Generation von Schwabinger Tagedieben wurden («Pseudophilosophie ist so eine ernste Sache, da muss man wahnsinnig drauf aufpassen, dass am Ende nix bei rauskommt»). Und bei Enkes Daumenkino-­‐‑Vorfü hrung. Und überhaupt wird es böse enden! KURZFILMPROGRAMM von Marran Gosov und Martin Müller BRD, 1966-­‐‑69, 96 Minuten MEISTENS COOL, MANCHMAL GEFÄHRLICH: MARRAN GOSOV UND MARTIN MÜLLER Anfang der 1960er verliess der Nomenklatura-­‐‑Spross Tzetan Marrangosoff seine bulgarische Heimat gen München-­‐‑Schwabing, um etwas Anderes zu machen. Das war dann: Kino. Gosov (wie er sich hier nannte) hatte einen raren Sinn fürs Anekdotische, Episodische, immer haarscharf vorbei am kinematografischen Kalauer: Er wusste, wie man Szenen aus den Eigenwilligkeiten seiner Performer heraus entwickeln kann. Man nehme etwa Dieter Augustin, der gleich in mehreren seiner Filmen den Gustl gab, ein Boheme-­‐‑
Kleverle, der auf stets absurde Weisen versucht zu Geld zu kommen – in PFEIFFER (1965) z.B. durch die Gründung einer total engagierten politischen Zeitung, für die alle schreiben dürfen, wenn sie ihm 'was zahlen. Örtlichkeiten waren Gosovs zweite Energiequelle, wie man aufs Spektakulärste in POWER SLIDE (1966) sieht, der zu einem bedeutenden Teil in einem Carrera-­‐‑Bahn-­‐‑Café spielt, wo Jungs Rennautos ihre Runde drehen lassen – was offenbar einfacher ist als die Beschäftigung mit Frauen. Überhaupt, grosses Problem: In SABINE 18 (1967), z.B. springen die Herren der entjungferungswilligen jungen Dame dauernd von der Bettkante. Einer davon: Martin Müller, der Jüngste der Münchner Gruppe, der von Klaus Lemke den Erlös des Verkaufs einer Warhol Marylin bekam, um seinen ersten längeren Film zu drehen. ANATAHAN ANATAHAN (1969) ist Aufbruch und Abschluss in einem: Da sind alle nochmal lässig, cool und gefährlich! Theaterstrasse 22, 4051 Basel presse@bildrausch-­basel.ch, www.bildrausch-­basel.ch Tel +41 61 205 98 80, Fax +41 61 205 98 89 3 Talk ZUR SACHE, SCHÄTZCHEN! Filmschaffende der Neuen Münchner Gruppe im Gespräch SA 28. 5., 15:30, Bildrausch Lounge Wer mit wem wann was gedreht hat, als der Frühling nach München kam und die verkrusteten Strukturen der Vätergeneration sich allmählich auflösten; als man anstatt über eine neue Förderpolitik zu debattieren (was die «Oberhausener» taten) lieber im Eiscafé sass, um ein Drehbuch zu entwickeln, das dann mit ein paar Freunden an Orten, die man kannte, den Frauen, die man toll fand, und der Musik, die man liebte, schnell realisiert wurde. Darum geht es im grossen Talk mit Gästen der Sektion «Springtime in Munich – Die Neue Münchner Gruppe 1966–1969». Rudolf Thome, Roger Fritz, Martin Müller und Klaus Lemke im Gespräch mit Rainer Knepperges (Filmemacher und Autor) über das damalige kulturelle Klima in der nördlichsten Stadt Italiens, und wie es zur explosionsgleichen Entfaltung dieses kreativen Potenzials kam, das München für kurze Zeit in die Hauptstadt des deutschen Films verwandelte. Theaterstrasse 22, 4051 Basel presse@bildrausch-­basel.ch, www.bildrausch-­basel.ch Tel +41 61 205 98 80, Fax +41 61 205 98 89 4 Essay von Kurator Bernd Brehmer Vier Jahre sind seit der Unterzeichnung des Oberhausener Manifests bereits vergangen. Papas Kino wurde für tot erklärt und die Erneuerung des deutschen Films gefordert – was bis 1966 allerdings nicht stattge-­‐‑
funden hat. Die internationalen Anfangserfolge einiger weniger Regisseure haben zwar neue Wege aufge-­‐‑
zeigt, aber ehe sie beschritten werden können, werden sie von fragwürdigen Institutionen und Interes-­‐‑
sensgruppen auch schon wieder verbaut. Und so wundert’s nicht, wenn im Januar 1967 das Zentralorgan der westdeutschen Filmtheorie, die Filmkritik, fragt: «Ist die Zukunft schon vorüber?» Da kämpfen sich Alexander Kluge, Edgar Reitz und Hans Rolf Strobel ab mit Gesetzentwürfen zur staatlichen Filmförderung und deren Umsetzung oder Verwerfung und fordern schon ein weiteres Manifest, als in München eine kleine Horde filmbesessener Aficionados an ihrer eigenen Version und Vision vom Filmemachen bastelt. «Rudolf Thome, Eckhart Schmidt, Klaus Lemke, Max Zihlmann, Marran Gosov, May Spils, Martin Müller, Werner Enke. Die neue Münchner Gruppe der späten Sechzigerjahre. Musik hören, ins Kino gehen, das Leben leben. Dass das grosse Glück, das grosse Kino gleich um die Ecke lauern konnte, das hatten sie von der Nouvelle Vague. Die Münchner Cafés, die Trottoirs vor den Kinos mit den Schaukästen wurden in ih-­‐‑
ren Filmen selbst Kino-­‐‑Schauplätze.» Zuerst Kurzfilme: «Filmskizzen, die andeuten, was kommen wird. Filme, geschrieben an einem Nachmittag im Café oder nachts am Küchentisch, während die Freundin schläft. Filme wie Tagebuch-­‐‑Notizen, die heute Momentaufnahmen sind der Sechzigerjahre» (Hans Schif-­‐‑
ferle). Es sind Fingerübungen, die doch schon auf Grosses hindeuten, man spürt förmlich die Energie und Leidenschaft in den Startlöchern. Thome und Schmidt sind damals auch als Filmkritiker tätig und machen in ihren Texten keinen Hehl aus der Begeisterung für das amerikanische und französische Kino. Im Gegen-­‐‑
satz zu ihren Kollegen in Paris, auch diese auteurs avant la lettre, kennen sie den Luxus einer Kinemathek noch nicht und müssen somit ihre Seherfahrungen in den Münchner Tageskinos sammeln. Frieda Grafe bringt es auf den Punkt: «Der Traum vom amerikanischen Kino ist nicht neu, und er ist euro-­‐‑
päisch. Er ist entstanden aus der neidvollen Bewunderung für ein Kino, das frei ist von allen Ablagerungen durch andere Künste und Kunstvorstellungen. Amerikanisches Kino, das ist ein Synonym für reinen Film.» Anfang 1967 wird ebenfalls in der Filmkritik die Nachricht verbreitet, dass drei Angehörige der «Neuen Münchner Gruppe» (in Abgrenzung zur «Münchner Gruppe», die grösstenteils aus Unterzeichnern des Oberhausener Manifests bestehen) ihre ersten Langfilme in Angriff nehmen wollen: Klaus Lemke will Time for Action, zu dem er das Drehbuch gemeinsam mit Max Zihlmann verfasst hat, drehen, Eckhart Schmidt plant Nach Amerika. Beide Filme will Rob Houwer produzieren, eine Zentralfigur des Jungen Deutschen Kinos, der bereits erfolgreich mit Volker Schlöndorff zusammengearbeitet hat. Und Rudolf Thomes erster Langspielfilm soll Transistor 5000 heissen. Von den genannten Filmtiteln wird man aller-­‐‑
dings nie wieder etwas hören. Stattdessen drehen die drei kurz hintereinander 48 Stunden bis Acapulco (Lemke, 1967), Jet Generation (Schmidt, 1968) und Detektive (Thome, 1969). Man ist befreundet, hat ähnliche filmische Leidenschaften und eine unbändige Lust am Filmemachen, am Geschichtenerzählen und hilft sich gegenseitig. «Die Münchner präsentieren sich als ein Tier mit mehreren Köpfen, Gedanken und Funktionen werden hin-­‐‑ und hergeschoben wie ein Bierglas. Das sieht dann so aus: Klaus Lemke und Dieter Geissler in einem Film von Rudolf Thome, Buch: Max Zihlmann (Galaxis). Dieter Geissler in einem Film von Klaus Lemke, Buch: Max Zihlmann, Regie-­‐‑Assistenz: Martin Müller (48 Stunden bis Acapulco). Martin Müller und Klaus Lemke in einem Film von Martin Müller, Buch: Marran Gosov (Die Kapitulation). Und so weiter und so weiter» (Film, Juli 1967). Lemke, Thome und auch Martin Müller eint das Spiel mit den Posen: wie sich jemand hinsetzt, die dunkle Sonnenbrille aufsetzt, eine Zigarette anzündet und das Geld zählt. Da entscheidet die Wahl des richtigen Musikstücks in der Jukebox regelrecht über das zukünftige Schicksal. Und wie nebenbei erfährt man, gefil-­‐‑
tert durch das amerikanische Kino, so einiges über westdeutsche Befindlichkeiten der späten Sechziger-­‐‑
jahre. Eckhart Schmidt, der sich selbst nie richtig zu einer Gruppe dazugehörig fühlt, ist mehr an Warhol und Antonioni orientiert und inszeniert seine Girl-­‐‑Pop-­‐‑Ikonen wie in einem Blow up an der Isar. Und mit-­‐‑
tendrin Roger Fritz, für den es als charismatischen Modefotografen, der bereits für das Zeitgeist-­‐‑Magazin Theaterstrasse 22, 4051 Basel presse@bildrausch-­basel.ch, www.bildrausch-­basel.ch Tel +41 61 205 98 80, Fax +41 61 205 98 89 5 twen das Lebensgefühl der Sixties reflektierte, nur eine Frage der Zeit ist, bis auch er seinen ersten Film realisiert: Mädchen Mädchen (1967), ein «subversiv-­‐‑subtiles, fast surreales Kammerspiel» (Olaf Möller), steht da wie ein einsamer Solitär inmitten der vibrierenden Aufbruchstimmung. Und überhaupt die Mäd-­‐‑
chen, respektive Frauen, die häufig Dreh-­‐‑ und Angelpunkt des Erzählens sind. Iris Berben, Uschi Obermai-­‐‑
er, Ingrid Caven, Helga Anders, Uschi Glas, um nur die bekanntesten zu nennen; aber auch Dginn Moeller, Monika Zinnenberg, Isi ter Jung, deren Namen wie abenteuerliche Verheissungen klingen und über die man eigene Artikel verfassen müsste, um jeder einzelnen und ihrer faszinierenden Aura gerecht zu wer-­‐‑
den. Und hinter der Kamera, inmitten all der ernsthaften Männer, versucht sich eine zierliche, junge Frau durchzusetzen, die 1962 nach München kommt, ein paar Model-­‐‑Jobs annimmt und zwei Kurzfilme (Manö-­‐‑
ver und Das Portrait, 1966) dreht mit denen sie ein wenig Beachtung erntet, um dann den kommerziell erfolgreichsten Film der ganzen Bewegung zu stemmen: May Spils. Ihr Zur Sache, Schätzchen (1968) schlägt ein wie eine Bombe und ist über Jahre hinweg DER Hit der Schwabinger Studentenkinos. Die Sprü-­‐‑
che von Co-­‐‑Autor und Hauptdarsteller Werner Enke sind zu geflügelten Worten geworden, haben zeitlose Gültigkeit und können einem auch heute noch über die eine oder andere peinliche Situation hinweghelfen. Eine gewisse Aussenseiterposition hat Marran Gosov inne, ein Bulgare in Schwabing, der sagt, dass Film nichts mit Soziologie zu tun habe, sondern eine populäre Kunst sei, wie Jahrmarkt oder Varieté. Immer haarscharf am Klamauk vorbei, trifft er doch einen sehr authentischen Tonfall für seine kleinen, klug poin-­‐‑
tierten Alltagsgeschichten. Gosov dreht zwischen 1965 und 1975 27 Kurzfilme, die zum Zweck der Steu-­‐‑
erminderung für die Kinos von den grossen Filmverleihern als Vorfilme angeboten werden, und fünf Spiel-­‐‑
filme. 1969 startet die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) ihren Lehrbetrieb, wo sich im ersten Jahrgang die sogenannten «Sensibilisten» (in Abgrenzung zu den «Politischen» der Berliner dffb) zusam-­‐‑
menfinden: Wim Wenders, Gerhard Theuring, Matthias Weiss. Rainer Werner Fassbinder und Werner Schroeter, die sich beide erfolglos um Aufnahme beworben haben, spielen sowieso sehr bald in einer ganz anderen Liga, und Werner Herzog ist bereits in exotischeren Ländern und Sphären unterwegs. 1970 dreht Rudolf Thome noch Rote Sonne und 1972 Fremde Stadt (mit Roger Fritz in der Hauptrolle) in München und Umgebung, dann verabschiedet er sich Richtung Südsee. Zurück in Deutschland realisert er mit Berlin Chamissoplatz (1980) den schönsten deutschen Liebesfilm der achtziger Jahre und fortan praktisch jedes Jahr einen neuen Film. May Spils und Werner Enke machen noch einige kommerziell recht erfolgreiche Filme in München, bevor sie mit ihrem letzten Film von der Verleihfirma sehr unfein abserviert werden; Marran Gosov geht zurück nach Bulgarien, wo er zum Kulturminister ernannt wird; Roger Fritz erregt noch einmal Aufmerksamkeit mit seiner exzessiven Tour de Force des deutschen Genrefilms Mädchen mit Gewalt (1970) und widmet sich dann erfolgreich der Fotografie (und später auch der Gastronomie). Mar-­‐‑
tin Müller gibt mit Anatahan Anatahan (1969) ein deutliches Statement darüber ab, wie alles mit allem zusammenhängt (Leben, Kino, Musik) und ist bis heute einer der gefragtesten Tonmänner im deutschen Kino; Klaus Lemke hat nach Negresco – Eine tödliche Affäre (1968) keine Lust mehr auf gross budgetierte Arbeiten und verschwindet nach Hamburg, wo er 1972 mit Rocker, obwohl ursprünglich fürs Fernsehen produziert, ein unumstössliches Monument des deutschen Films schafft. Erst 1979 kehrt er zum Kinofilm (und nach München) zurück und läutet mit Ein komischer Heiliger (1979) seine dritte Schaffensperiode ein. Seither arbeiten er und auch Eckhart Schmidt, der aktuell einen neuen Spielfilm in Rom dreht, uner-­‐‑
müdlich als echte Guerilleros des Independent Films. Auch um immer wieder aufs Neue herauszufinden, was es bedeutet, mit hübschen Frauen hübsche Sachen zu machen, getreu einem gerne zitierten Motto der Nouvelle Vague. Vielleicht gelingt es dieser Filmreihe ja auch, dem Herzschlag einer Generation zu lauschen, um dabei erleichtert festzustellen: The Beat goes on! Bernd Brehmer Theaterstrasse 22, 4051 Basel presse@bildrausch-­basel.ch, www.bildrausch-­basel.ch Tel +41 61 205 98 80, Fax +41 61 205 98 89 6