Das Umfeld muß stimmen – die „Rosenkompanie“ Wusterwitz

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Das Umfeld muß stimmen – die „Rosenkompanie“ Wusterwitz
Das Umfeld muß stimmen – die „Rosenkompanie“ Wusterwitz
„Lieber Wochen, Monate oder gar Jahre harter, entbehrungsreicher Dienst und Trennung
von der Familie als nur eine Stunde Krieg“ – das waren die Worte des ehemaligen Ministers
für Verteidigung, Armeegeneral Heinz Hoffmann 1981 auf dem X. Parteitages der SED.
Diese Worte waren auch das Leitmotiv für das Handeln vieler Angehöriger der
Funktechnischen Truppen, nicht nur für die Berufs-und Zeitsoldaten, sondern auch für die
meisten Wehrpflichtigen. Wie kaum an anderer Stelle in der NVA hatten die Soldaten,
Unteroffiziere, Fähnriche und Offiziere täglich Kontakt mit dem Gegner. Sei es auf den
Bildschirmen in den Funkmeßstationen oder auf den Luftlagekarten in den Gefechtsständen.
NATO-Fliegerkräfte operierten vor unserer Staatsgrenze, Verletzungen des Luftraumes der
DDR waren keine Seltenheit und zur direkten Aufklärung auch unserer Kompanie setzte der
Gegner pausenlos Aufklärungsflüge vom Typ C-130 in den Luftverbindungskorridoren (K1-K3)
nach Westberlin ein. Unterstützt wurden diese Ausklärungsaktivitäten durch Fahrzeuge der
westlichen Miltärverbindungsmissionen, die sich von Zeit zu Zeit bis auf wenige Meter den
Kompanien näherten. Der „Kalte Krieg“, in dem die Welt mehrfach am Rande eines 3.
Weltkrieges stand, prägte den militärischen Alltag.
Der Dienst in einer Funktechnischen Kompanie war kein „Zuckerlecken“. Unsere Kompanie
war in das Diensthabende System des Warschauer Vertrages eingebunden. Das hieß, die
Radarantennen drehten sich Tag und Nacht, Sonn- und Feiertage einbezogen. Die Funkorter
an den Bildschirmen sowie die Besatzungen in den Gefechtsständen hatten nervenzerrende
Aufgaben zu erfüllen. Die Arbeit erfolgte in abgedunkelten Räumen, das Sonnenlicht
bekamen sie oft nur zur Mittagsablösung zu Gesicht. Für Soldaten und Unteroffiziere stand
Urlaub in der Regel alle 12 Wochen an und die wöchentliche Arbeitszeit der Berufssoldaten
betrug oft bis zu 100 Stunden. Den Anforderungen an eine hohe Kampfkraft und
Gefechtsbereitschaft Rechnung tragend, wurde unsere Kompanie im Laufe der Jahre mit
modernster Funkmeßtechnik (P-14, P-37, K-66 sowie automatisierte Führungstechnik)
ausgerüstet. Der politischen und militärischen Führung war aber auch bewußt, daß gute
Dienst- und Arbeitsbedingungen wichtige Grundvoraussetzungen für die Moral der Truppe
sind und wesentlich die Leistungsbereitschaft prägen. Im Unterschied zu großen
Truppenteilen bei den Landstreitkräften, betrug die Personalstärke einer funktechnischen
Kompanie (FuTK) ca. 80 bis 100 Mann – im Prinzip lebte und arbeitete man wie in einer
großen Familie. Kompaniechef oder Hauptfeldwebel kannten jeden Soldaten mit Namen.
1975 übernahm Major Sterz die Funktion des Kompaniechefs. Schon in den 60-iger Jahren
diente er als Nachrichten-Unteroffizier in der FuTK Wusterwitz. Unter seiner Führung
veränderte sich das äußere Erscheinungsbild der Kompanie wesentlich. Mit Spaten und
Schaufel bewaffnet pflanzte er gemeinsam mit den Soldaten und Offizieren hunderte von
Rosenstöcken und viele Obstbäume. Das Ergebnis ließ sich sehen. Beim Betreten der
Kompanie wehte Jedem der Rosenduft um die Nase. Angenehm für jeden
Kompanieangehörigen oder Besucher beim Passieren der Wache. So kam es, daß sich die
Kompanie zur „Vorzeige-Kompanie“ entwickelte und verbreitet den Spitznamen „RosenKompanie“ trug. Der Politstellvertreter hielt regelmäßig Hinweise, Vorschläge und Kritiken
des Personalbestandes in einem Tagebuch fest. So wurde nichts vergessen, und das Buch
leistete seinen Beitrag zu manch positiver Veränderung. In einem Eintrag beklagten sich
einmal Soldaten über die mangelnde Qualität der Frühstücksbrötchen. Diese wurden täglich
morgens um 4 Uhr im Hubschraubergeschwader Brandenburg abgeholt. Wie groß war dann
aber eines Tages die Freude und Überraschung, als es morgens warme, backfrische Brötchen
direkt von Bäcker gab! Problem benannt – Problem gelöst!
Schwieriger war die Unterbringung junger Berufssoldaten und Absolventen der
Offiziersschule in der Kompanie. Das betraf insbesondere Ledige. In den 70-iger Jahren
herrschte noch verbreitete Wohnungsnot in der DDR. Da ging es den Berufssoldaten nicht
viel besser. Als Mitte der 80-iger Jahre die Hauptinstandsetzung der Kompaniegebäude
anstand, trafen sich Kompaniechef und Hauptfeldwebel zu einer „Spinnstunde“. Wie können
wir die Hauptinstandsetzung dazu nutzen, daß im Ergebnis Dienst-, Arbeits- und
Lebensbedingungen entstehen, die sich sehen lassen können? Das Umfeld muß stimmen,
wenn von den Kompanieangehörigen Höchstleistungen im Diensthabenden System erwartet
werden. Die „Spinnstunde“ trug Früchte! Nach vollendeter Hauptinstandsetzung konnte sich
der Personalbestand über schöne Speise-, Klub-, Unterkunfts - und Diensträume freuen –
und die kaserniert untergebrachten Berufssoldaten über ein neu entstandenes
Ledigenwohnheim mit Wohn- und Schlafräumen, Einbauküche und Bad. Der positive Ruf des
Ledigenwohnheims drang sogar bis zu den Redakteuren der Zeitschrift „VOLKSARMEE“. 1989
besuchte ein Redakteur die Kompanie. In seinem Bericht zitierte er Leutnant Tschersich als
einen von 5 „Heimbewohnern“. „Die Unterbringung ist umwerfend. Ich fühle mich hier wohl
und das hilft mit das Warten auf eine Wohnung leichter zu ertragen“. Der 24-jährige
Leutnant ist verheiratet und hat ein Kind. Mitbewohner Fähnrich Jachmann lobt das
Kümmern der Kompanieleitung um die Belange der Kompanieangehörigen. Bei ihm sei das
Gefühl gewachsen, es sei „seine Dienststelle“. Das Essen in der Kompanie ist so gut, daß die
Einbauküche des Ledigenwohnheims fast immer verwaist sei.
Damit das Umfeld der Kompanie stimmte, wurde auch immer Kontakt zur Gemeinde
Wusterwitz gepflegt. Trotz strenger militärischer Geheimhaltungsbestimmungen führte die
Kompanie kein „Inseldasein“. Von Anfang an bestand eine enge Verbindung zu den Bürgern,
ortsansässigen Betrieben und kommunalen Einrichtungen. Im Winter 1970 half die
Kompanie mit schwerer Räumtechnik Wusterwitz vom Schneechaos zu befreien. Eine enge
Patenschaft bestand mit der Schule. Schüler und Lehrer besuchten regelmäßig die Kompanie
und konnten so Einblick in die schwere und verantwortungsvolle Arbeit der Soldaten
bekommen. Soldaten wurden in die Sportgemeinschaft Blau/Weiß Wusterwitz integriert und
nahmen an Sportwettkämpfen teil. Ausdruck für den engen Kontakt zur Bevölkerung ist
auch, daß über 20 Kompanieangehörige hier ihr Liebe gefunden haben, Familien gründeten
und echte Wusterwitzer wurden.
Mit der politischen Wende in der DDR und der sich daraus ergebenden Vereinigung beider
deutscher Staaten schlug 1990 die letzte Stunde für die NVA und somit auch für die
Kompanie Wusterwitz. Ab Mitte 1990 kam es in der Kompanie zu ersten persönlichen
Kontakten mit Angehörigen der Bundeswehr. Eine noch ein Jahr zuvor unvorstellbare
Situation wurde über Nacht Realität. Plötzlich standen sich „Feinde“ friedlich gegenüber.
3. Oktober 1990: Die DDR existiert nicht mehr. Mit einem Tagesbefehl werden Soldaten,
Unteroffiziere, Fähnriche, Offiziere und Zivilbeschäftigte in die Bundeswehr eingegliedert.
Die NVA-Uniform wird gegen die Bundeswehruniform getauscht. Für viele Berufssoldaten
kein einfacher Schritt. Ein Teil der Berufskader scheidet im Dezember 1990 auf eigenen
Wunsch aus der Bundeswehr aus, ein anderer Teil stellt den Antrag zur Übernahme in die
Bundeswehr auf Probe und arbeitet weiter in der Kompanie. Im Januar 1991 wird die
Kompanie Wusterwitz der neu gegründeten Radarführungsabteilung 31 Parchim unterstellt
und in die Radarführungskompanie 313 umbenannt. Die englische Umgangssprache hält
Einzug und Kompanieangehörigen nennen sich jetzt „ WUSTERWITZ TIGERS“. Die
Bundeswehr investiert viel Geld in den Um- und Ausbau der Kompanie.
1994 fällt die Bundeswehrführung die Entscheidung, den Standort Wusterwitz aufzugeben.
Am 18. Februar 1994 schreibt die „MÄRKISCHE ALLGEMEINE“:
RADARANLAGEN IN WUSTERWITZ ABGESCHALTET
„Mit einem symbolischen Knopfdruck wurde am 17.2 um 14:00 Uhr der Radarbetrieb in
Wusterwitz für immer abgeschaltet. Die bisher von hier sichergestellten Aufgaben der
Luftraumüberwachung werden nun an einer Radarstation in Berlin-Tempelhof übernommen.
Für 20 Zivilbeschäftigte steht eine ungewisse Zukunft bevor, für keinen Zivilisten konnte ein
festes Angebot für einen Einsatz in anderen Bereichen der Bundeswehr gemacht werden …“
Nach dem Abzug der Bundeswehr zogen Diebstahl und Vandalismus in das herrenlose Objekt
ein. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde entwendet. Gleichzeitig wurde das
Gelände als illegale Mülldeponie genutzt. Die Situation entspannte sich erst, als ein privater
Investor das Grundstück vom Bundesvermögensamt erwarb und einen Reiterhof gründete.
Diese Geschäftsidee konnte sich auf Dauer aber nicht halten. Seit 2010 stand die ehemalige
Kompanie wieder leer. Nach jüngsten Gerüchten soll das Gelände seit Ende 2011 einen
neuen Eigentümer haben, der hier ein Heim für Alkoholkranke schaffen will.
Auch nach über 20 Jahren höre ich manchmal noch nachts im Traum das leise Surren der
Radaranlagen. Der Traum versetzt mich in die Vergangenheit. Auf den Bildschirmen kreisen
pausenlos Auslenkstrahlen der Antennen, machen jedes Luftziel als reiskorngroßen
Leuchtpunkt sichtbar. An den Sichtgeräten Männer mit Weitblick, stundenlang mit hoher
Konzentration beobachten sie jeden Leuchtpunkt. Plötzlich meldet der Diensthabende
Techniker der P14 an den Gefechtsstand: „SR-71 im Anflug! Standort 330 Grad, Entfernung
480 km, Höhe 190, Geschwindigkeit 1800 km/h!“ Ein strategisches Aufklärungsflugzeug
nähert sich aus England kommend mit großer Geschwindigkeit der Staatsgrenze der DDR.
Eine MIG-25 der sowjetischen Luftstreitkräfte startet als Abfangflugzeug vom Flugplatz
Werneuchen. Der Diensthabende des Gefechtsstandes löst das akustische Signal
„Bereitschaftsstufe 1“. Weitere Radarstationen kommen zum Einsatz, um den Gegner
lückenlos im Auge zu behalten. Doch was nun??? Meine Augen gehen auf, das akustische
Signal war das Klingeln meines Weckers. Ein neuer Tag als Versicherungsmakler in
Wusterwitz beginnt. Auch in dieser Tätigkeit habe ich mit Bildschirmen zu tun, aber diese
sind nicht mehr rund sondern rechteckig und nennen sich PC oder Laptop.
Ich denke gern an die Jahre im Diensthabenden System zurück. Es war ein harter Dienst mit
vielen Entbehrungen für uns und unsere Familien, aber jeder von uns kann stolz darauf sein,
daß wir als ein Teil des militärischen Gleichgewichts an der Sicherung des Friedens
mitgewirkt haben und dies im Sinnes der eingangs erwähnten Worte von Armeegeneral
Heinz Hoffmann.
Bernd Lachmann
Informationen zum Autor:
Dienstzeit in der FuTK Wusterwitz von 1969 bis 1990
 1969 - 1972 Unteroffizier auf Zeit /Funkorter-Gruppenführer automatisiertes
Führungssystem WP-02U
 Seit 1975 ehrenamtlicher Parteisekretär
 1973 - 1990 Berufsunteroffizier / Fähnrich letzter Dienstgrad: Stabsoberfähnrich
- Qualifikationen: Klassifikation Stufe I als Techniker AFS WP 02-U /WP-02 M
- Zulassung als Diensthabender des Gefechtsstandes
- 1981 Fähnrichlehrgang in Bad Düben mit Abschluß Ingenieur Flugsicherung