Unsere Fans sind einmalig

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Unsere Fans sind einmalig
Bericht | Text und Foto: Manuel Schumann
„Unsere Fans sind einmalig“
Interview mit Preußentrainer Pavel Dotchev
Manuel Schumann sprach mit PreußenTrainer Pavel Dotchev unter anderem
über Aufstiegsträume, leidenschaftliche
Fans sowie Momente des Scheiterns.
~: Herr Dotchev, weshalb mögen
Sie keine Statistiken?
Pavel Dotchev: Ganz einfach: Jedes Spiel
läuft anders. Fußball ist keine Wissenschaft. Mein ehemaliger Trainer hat das
einmal gut auf den Punkt gebracht:
„Schaue ich mir zum zweiten Mal das
neueste Theaterstück meiner Frau an, so
weiß ich bereits vorher, wer den König
umbringt – das langweilt mich.“ Ihm
reiche es, sich die Premiere anzuschauen.
Beim Fußball dagegen, sagte er, wisse
man vorher nie, welches Team gewinnt.
Genau das mache den Reiz aus. Dem
kann ich nichts hinzufügen (lächelt).
~: Vor fast einem Jahr haben Sie
das Traineramt in Münster übernommen.
Sowohl im Klub als auch im Umfeld wurde
damals heftig gestritten, die Stimmung
war aufgeheizt. Waren Sie überrascht
vom Ausmaß?
Pavel Dotchev: Ich war sowohl überrascht als auch ein wenig irritiert über
die Schärfe der Diskussion. Das war in
der Tat eine extreme Phase, in der einige
Beteiligte vermutlich an ihre Grenzen
gestoßen sind. Die Folge: Das Team war
total verunsichert. Ich bin daher unheimlich froh, dass wir gemeinsam die
Kurve gekriegt haben.
~: Welche Schritte waren zunächst
entscheidend?
Pavel Dotchev: Sicherlich die harte Arbeit
mit der Mannschaft - es ging auch darum,
die Köpfe der Spieler frei zu bekommen.
Ich hatte nämlich den Eindruck, ihnen
fehle ein Fahrplan. Leider waren damals
viele Spieler verletzt, zudem liefen diverse Verträge aus. Kurz: Es ging einiges
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durcheinander. Es war es an der Zeit, gemeinsam ein klares Ziel zu formulieren.
~: Sie sprachen offen vom Abstiegskampf…
Pavel Dotchev: Ich spürte sofort: Es
bringt jetzt nichts, Druck herauszunehmen und Dinge schön zu reden. Ich
hielt es stattdessen für wichtig, den
Druck zu erhöhen. Zwar wollten viele
das Wort „Abstiegskampf“ nicht hören,
aber darauf wollte ich keine Rücksicht
nehmen. Rückblickend hat uns all das
zusammengeschweißt.
~: Ist es Ihnen wichtig, dass Sie bei
den Spielern beliebt sind?
Pavel Dotchev: Ein Trainer wird nur dann
respektiert, wenn er fachlich kompetent
ist – die Spieler haben dafür ein feines
Gespür. Würde ich die KumpeltypSchiene fahren, hätte aber fachlich nur
wenig zu bieten, wäre ich auf verlorenem
Posten. Das geht im Fußball ganz schnell
nach hinten los.
~: Wie würden Sie denn Ihre Art
beschreiben?
Pavel Dotchev: Viel kommunizieren,
dabei aber eine gewisse Distanz halten.
Einige Leute sagen über mich, ich sei ein
demokratischer Diktator (lacht). Ganz
deutlich: Meine Tür steht den Spielern
immer offen, dennoch verfolge ich eine
klare Linie, von der ich nicht abweiche.
~: Ihr Torwart Daniel Masuch sagte
vor Kurzem „Unser Trainer lässt sich nie
aus der Ruhe bringen und zieht immer
sein Ding durch.“ Herr Dotchev, was
bringt Sie aus der Ruhe?
Pavel Dotchev: An der Seitenlinie bin ich
extrem emotional, das hat er damit wohl
eher nicht gemeint (lächelt). Im Ernst: Ich
hasse Unehrlichkeit. Merke ich, dass ein
Spieler lügt oder mir Blödsinn erzählt, bin
ich alles andere als ruhig. Ich mag Leute,
die das Herz am richtigen Fleck haben.
~: Sie sind zuletzt häufig für Ihre
Transfers gelobt worden, der Grundtenor
lautet, sie hätten große Talente nach
Münster geholt. Worauf kommt es bei der
Zusammenstellung einer Mannschaft an?
Pavel Dotchev: Manchmal muss man
auch ein wenig Glück haben. Ich habe
sowohl in Paderborn als auch in Münster
ein gutes Händchen gehabt, das ist richtig. Leider übersehen viele Beobachter,
welch harte Arbeit dahinter steckt. Es
geht ja nicht nur um die fußballerischen
Fähigkeiten eines Neuzugangs, sondern
auch um dessen Charaktereigenschaften.
Es wäre fahrlässig, sich lediglich auf
die sportliche Seite einzuschießen. Ein
Spieler kann noch so talentiert sein, hat
er einen schlechten Charakter, schadet er
dem Team mehr, als er ihm durch seine
Spielweise nutzt.
~: Sie arbeiten gern mit jungen
Spielern…
Pavel Dotchev: Absolut. Das macht mir
unheimlich viel Spaß. Ich bevorzuge
Spieler mit Perspektive, Spieler, die ich
formen kann, denen ich einen Weg
aufzeigen kann. Für mich steht dabei
Motivation im Vordergrund. Die Jungs
müssen ambitioniert sein, sie müssen
etwas Großes erreichen wollen und sich
zudem mit dem Verein identifizieren.
~: Wie würden Sie Ihr Spielsystem
beschreiben? Worauf legen Sie besonderen Wert?
Pavel Dotchev: Ich halte nicht viel von der
Mythe, es gebe ein ideales Spielsystem.
Eine Partie ändert sich permanent – das
betrifft sowohl das Tempo als auch die
taktische Ausrichtung. Ich lege Wert darauf, dass meine Spieler flexibel sind, dass
sie variieren können – je nach Situation.
~!: Heißt: Dem Gegner das eigene
Spiel aufdrängen?
Pavel Dotchev: Natürlich. Wir haben uns
noch nie am Gegner orientiert. Nochmal: Ein Spielsystem ist lediglich eine
mögliche Ausgangssituation, mehr nicht.
Man sollte den Kram daher auch nicht
überbewerten. Überspitzt gesagt: Eine
Fußballpartie bedeutet stets organisiertes
Chaos.
~: Sie haben vor zehn Jahren Ihre
Spielerkarriere beendet - stimmen Sie
jenen Experten zu, die behaupten, früher
habe es mehr Spieler mit Ecken und Kanten gegeben?
Pavel Dotchev: Persönlichkeit ist auch im
Fußball wichtig, keine Frage. Man muss
aber ehrlich sagen, dass es heutzutage
nicht mehr darauf ankommt, dass ein
oder zwei Spieler eine Mannschaft anführen - diese Zeiten sind vorbei. Bestes
Beispiel: Borussia Dortmund. Die haben
alle wichtigen Aufgaben auf mehrere
Schultern verteilt, es gibt dort keinen typischen Anführer. Alle Spieler müssen auf
dem Platz Verantwortung übernehmen,
auch die jungen Leute. Jeder einzelne
Profi hat schließlich seine Stärken, von
denen das Kollektiv profitiert. Es wäre
daher äußerst gefährlich, ein Gebilde
auf zwei Hauptpersonen aufzubauen.
Das war früher anders. Es ist einfach eine
andere Generation.
~!: Ein Trainer à la Branko Zebec,
der mit seinen Spielern nur das Nötigste
sprach, würde heute scheitern?
Pavel Dotchev: Wahrscheinlich, ja. Kommunikation ist nicht nur wichtig, sondern
sogar entscheidend. Jene Spieler, die
nicht in der Stammelf stehen, müssen bei
Laune gehalten werden. Ich kann nicht
am Spieltag alles von ihnen einfordern,
sie allerdings im Trainingsbetrieb links
liegen lassen. Ein Trainer ist auch ein
Pädagoge, er muss vermitteln. Eine
Saison ist lang, jeder Spieler bekommt
seine Chance und wird irgendwann
gebraucht. Ein Trainer wäre blöd, wenn
er sich ausnahmslos auf die derzeitigen
Stammkräfte konzentrieren würde.
~: Herr Dotchev, was zeichnet die
Preußen-Fans aus?
Pavel Dotchev: Unsere Anhänger sind
einmalig! Ich kann das beurteilen, denn
ich habe in meiner Karriere bereits so
einige Vereine kennen gelernt. Eine
derartige Identifikation und Leidenschaft
habe ich zuvor bei keinem meiner Klubs
erlebt - das ist großartig. Wir müssen hier
eher aufpassen, nicht zu leidenschaftlich
zu werden (lächelt).
~: Was schätzen Sie an dem Klub?
Pavel Dotchev: Ich liebe diese Kombination aus Tradition und Moderne. Fankultur,
Stadion, Umfeld – das passt einfach! Ich
will aber nicht verschweigen, dass unsere
Fans auch kritisch sind, die schauen ganz
genau hin, was in ihrem Klub so abgeht.
Das gefällt mir. Die Leute hier in Münster
stehen wie eine Eins hinter uns.
~: Die Anhänger träumen bereits
vom Aufstieg. Haben Sie manchmal den
Eindruck, Sie müssten die Euphorie in der
Stadt bremsen?
Pavel Dotchev: Auf keinen Fall. Das
wäre lächerlich. Eher wollen wir diese
Stimmung für uns nutzen; wir wollen
auf der Euphoriewelle schwimmen! Die
fantastische Unterstützung der Fans kitzelt sicherlich bei jedem Spieler ein paar
Prozentpunkte heraus.
~!: Wann geben Sie das Ziel „Aufstieg“ heraus?
Pavel Dotchev: Gar nicht. Was würde uns
das bringen? Mir ist viel wichtiger, dass
die Mannschaft eine Siegermentalität an
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den Tag legt. Ich will ein Team sehen,
dass in jedem Spiel auf Sieg spielt. Das ist
mein Anspruch. Zaghaftes Defensivspiel
ist nicht meine Welt. Besitzt eine Mannschaft eine solche Mentalität, ergibt sich
der Rest von selbst. Realistisch wäre der
Aufstieg in einem Jahr. Passiert es früher,
umso besser. Aber: Wir können nur Woche
für Woche Gas geben und schauen, was
dabei herauskommt. Den Druck haben
die anderen.
~: Ist Zweitligist Eintracht Braunschweig ein Vorbild?
Pavel Dotchev: Auf diese Stufe sollten wir
uns noch nicht stellen. Bei der Eintracht
arbeiten die Verantwortlichen bereits
seit Jahren in derselben Konstellation
zusammen - das ist ein großer Vorteil.
Sie haben sich von Jahr zu Jahr verbessert
– in nahezu allen Bereichen. Davor kann
man nur den Hut ziehen. Unser Team
ist neu zusammengestellt, um das Wort
„zusammengewürfelt“ zu vermeiden.
Braunschweig besitzt ein besseres Fundament, das sich die Verantwortlichen
dort auch hart erarbeitet haben. Aber Sie
haben recht, es gibt sicherlich Parallelen
zwischen der Eintracht und Preußen. Wir
haben allerdings noch einiges nachzuholen.
waren auch viele Missverständnisse und
Gerüchte im Umlauf. Ich ging 2010 zurück
zu meinem Heimatklub ZSKA Sofia (bulgarischer Rekordmeister, Anm. d. Red.),
um zu helfen. Präsident Emil Kostadinov
(Ex-Bayern-Profi, Anm. d. Red.) hatte
mich angerufen und gefragt, ob ich mir
das vorstellen könne. Ich sagte „Ja, ok,
das ist eine Herausforderung, ich bin
dabei“.
~: Sie hatten sich die Arbeit in Sofia
aber anders vorgestellt?
Pavel Dotchev: Eindeutig! Die Voraussetzungen waren unprofessionell und
unseriös, würde ich sie als „korrupt“
bezeichnen, läge ich auch nicht komplett
falsch. Nach zwei Monaten war mir klar:
Hier habe ich nichts zu suchen. Ich löste
meinen Vertrag kurze Zeit später auf. Das
war eine Riesenenttäuschung für mich,
ein herber Rückschlag.
~: Sie waren vor Ihrem Engagement in Münster fast ein Jahr lang
arbeitslos – war das die schlimmste Zeit
Ihrer Karriere?
Pavel Dotchev: Das war in der Tat eine
schwierige Zeit – sehr belastend.
~: Hat sich Ihre Einstellung zu dem
Beruf zu jener Zeit verändert?
Pavel Dotchev: Ein wenig schon. Ich will
aber auch etwas klarstellen, denn damals
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~: Sofia, Sandhausen – zwei große
Enttäuschungen. Was haben Sie daraus
gelernt?
Pavel Dotchev: Ich bekam anschließend
zwei weitere Angebote, die ich dankend
abgelehnt habe. Ich wollte nicht schon
wieder etwas überstürzen, sondern
absolut überzeugt sein von einer neuen
Aufgabe. Vorher hätte ich wahrscheinlich
bei einem der Angebote spontan zugesagt. Mir wurde mal wieder deutlich:
Passt das Umfeld nicht, ist der Trainer auf
verlorenem Posten. Das Gegenteil sieht
man jetzt hier in Münster. Die Arbeit
macht mir Riesenspaß.
~: Wann ziehen Sie nach Münster?
Pavel Dotchev: Ich fahre zwei bis drei Mal
in der Woche nach Hause nach Paderborn
- und übernachte die restlichen Tage in
einem Hotel in Münster. Ich kann mir
aber vorstellen, langfristig hier zu arbeiten. Ich bin zurzeit auf der Suche nach
einer Wohnung als Zweitwohnsitz.
~: Welche langfristigen Ziele verfolgen Sie?
~: Kontinuität als Schlüssel zum
Erfolg?
Pavel Dotchev: Unbedingt. Vor einer
Saison viel Geld raushauen und dann
kurzfristig oben mitspielen, das kann
beinahe jeder. Aber sich mit bescheidenen Mitteln Schritt für Schritt nach oben
arbeiten und dabei die eigene Identität
pflegen- das hat Stil! Deshalb habe ich
auch nur lobende Worte übrig für meinen
Kollegen in Braunschweig. Dort wächst
etwas Nachhaltiges. Das verdient höchsten Respekt.
Sie sich mal vorstellen! Das sind Sachen,
denen man als professioneller Trainer
fassungslos gegenübersteht.
~: Einen Monat später schlugen Sie
das Kapitel „SV Sandhausen“ auf.
Pavel Dotchev: Rückblickend muss ich
zugeben, dass ich dort zu schnell eingestiegen bin– ich hatte den Kopf offenbar
noch nicht frei. Das ist der einzige Punkt,
den ich zu jener Zeit falsch gemacht
habe. Ich wollte dort etwas verändern,
eine neue Linie reinbringen; ich dachte
langfristig. Zunächst hatte ich die Mannschaft stabilisiert, ihr Gesicht verändert.
Dann wurde ich leider nicht ausreichend
unterstützt, sondern eher blockiert. Das
hat einfach nicht gepasst. Ich fühlte mich
auch nie wirklich wohl in Sandhausen.
~: Weshalb nicht?
Pavel Dotchev: Ein Alltags-Beispiel:
Ich bin nach dem Training vom Platz
gegangen, als plötzlich ein Mensch von
der Stadt auf mich zu kam und sagte,
ich würde zu viel trainieren. Das müssen
Pavel Dotchev: Kein Trainer kann die
nächsten fünf, sechs Jahre vorausplanen.
Trotzdem ist es mein persönliches Ziel,
mit Preußen Münster aufzusteigen, den
Klub in der Zweiten Liga zu etablieren,
Tendenz: Bundesliga. Auch wenn der
eine oder andere diese Aussage für übertrieben hielte: Münster hat ein enormes
Potenzial. Dieser Klub hat langfristig
das Zeug in der Bundesliga zu spielen.
Natürlich rede ich jetzt nicht über die
kommenden zwei, drei Jahre (lacht).
Was hat der SC Freiburg, was Preußen
nicht hat? Zur Erinnerung: Im letzten Jahr
spielte der SC Paderborn lange Zeit um
den Aufstieg in die Bundesliga. Warum
sollte nicht irgendwann Preußen Münster
oben mitmischen? Es ist alles eine Frage
der Kontinuität und Professionalität.
~: Vielen Dank für das Gespräch,
Herr Dotchev. Eine Frage habe ich noch:
Ihr Lieblingsort in Münster?
Pavel Dotchev: (Pause) Das Spielfeld im
Stadion, und zwar: nach einem gewonnen Spiel! #