Wagnis wie gewohnt - GSK Stockmann + Kollegen

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Wagnis wie gewohnt - GSK Stockmann + Kollegen
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SONDERBEILAGE DER FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
FREITAG, 3. FEBRUAR 2012
A1
Mittelstand
Neutrales Votum
Warum Manager bei heiklen Entscheidungen verstärkt FairnessOpinions einholen Seite 5
www.ftd.de/ beilagen
Wagnis wie gewohnt
Thomas Mailaender
Den Weg zu neuen Märkten finanzieren Unternehmen noch
immer gern auf altbewährte Art – über Bankkredite
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Annika Janßen
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Bert Bleicher ist Optimist. Der
Geschäftsführende Gesellschafter der
Hoffmann Holding, ein Vertriebsunternehmen für Qualitätswerkzeuge
mit Sitz in München, lässt sich von
Unkenrufen aus der Branche nicht
beeinflussen. „Es gibt zurzeit extrem
viele Pessimisten. Ich aber sage: Es
geht immer irgendwie weiter.“ So hat
das Unternehmen denn auch für 2012
eine klare Wachstumsstrategie: „Fünf
Prozent Wachstum im Inland, 18 Prozent Wachstum im Ausland. Das ist
das Ziel, und das ist auch realistisch“,
sagt Bleicher. Westeuropa, China und
Russland hat der Werkzeuganbieter
schon flächendeckend erschlossen.
Für dieses Jahr steht Singapur auf dem
Programm, in nicht allzu ferner
Zukunft will Bleicher den Gang nach
Mexiko wagen. „Werkzeuge werden
immer gebraucht“, stellt der Unternehmer fest.
Der Werkzeughändler hat gute
Gründe für seinen Optimismus. Der
November des vergangenen Jahres
war einer der exportstärksten Monate, zeigen Zahlen des Statistischen
Bundesamts. Deutsche Unternehmen
exportierten allein in diesem Monat
Waren
im
Wert
von
rund
95 Mrd. Euro. Mehr als die Hälfte der
exportorientierten Unternehmen wollen im laufenden Jahr den Anteil des
Exports an ihrem Umsatz weiter
ausbauen, zeigt eine aktuelle Studie
von Creditreform. Der Expansionsdrang des deutschen Mittelstands ist
also ungebrochen. „Der Außenhandel
wird für die Unternehmen immer
wichtiger werden“, sagt Jens Nagel,
Geschäftsführer und Bereichsleiter
Außenwirtschaft beim Bundesverband Großhandel, Außenhandel,
Dienstleistungen BGA.
Um das Wachstum zu finanzieren,
brauchen Unternehmen Kapital. Bei
aller Innovationsfreude hält man sich
dabei gern an Altvertrautes: „Die
größte Bedeutung für Mittelständler
hat nach wie vor der klassische Bankkredit“, sagt Bernd Papenstein, Finanzierungsexperte bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft
PricewaterhouseCoopers (PwC). Auch
bei der Commerzbank bemerkt man
eine wachsende Nachfrage nach
Krediten für die Expansionsfinanzierung. „Wenn die Lage zu Hause nicht
so rosig ist, expandieren Unternehmer oft gerade deshalb ins Ausland“,
sagt Bernd Laber, verantwortlich für
das internationale Geschäft im Mittelstandsbereich der Commerzbank.
„Wir wachsen lieber
etwas langsamer,
bleiben dafür
aber unabhängig“
BERT BLEICHER, Geschäfts-
führender Gesellschafter Hoffmann
Wachsen im Ausland
Wohin Firmen expandieren, Nennungen in %
Westeuropa
56
China
40
Asien (ohne China)
33
Osteuropa
25
Südamerika
23
Nordamerika
16
Naher Osten
11
GUS-Staaten
10
sonstige
6
* befragte deutsche Unternehmen,
Mehrfachnennungen (max. drei)
möglich
FTD/jst; Quelle: Roland Berger
Bankkredite sind auch deshalb so
gefragt, weil viele Unternehmen sich
mit den Alternativen immer noch
nicht recht anfreunden können. Beteiligungsgesellschaften etwa sind im
Mittelstand nach wie vor unbeliebt.
Sie schießen schließlich nicht nur
stillschweigend Kapital zu, sondern
haben in der Folge im Unternehmen
auch etwas zu sagen. „Kapitalbeteiligungsgesellschaften werden Gesellschafter der Unternehmen mit entsprechenden Rechten und Pflichten“,
betont Ulrike Hinrichs, die Geschäftsführerin des Bundesverbands Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Und genau damit haben viele Mittelständler nach Probleme.
Bei einer Umfrage des Finanzmagazins „Finance“ im Jahr 2010 unter rund 60 Mittelständlern lehnte
fast die Hälfte der Befragten die
Zusammenarbeit mit Finanzinvestoren kategorisch ab. „Gerade in Familien- und Traditionsunternehmen gibt
es ein ganz anderes Denken in diesen
Dingen. Wo häufig jahrelang ein
Firmenpatriarch allein geführt hat,
überträgt man nur ungern einen Teil
der Verantwortung an Außenstehende“, bestätigt Dirk Roesing, Partner
bei B-to-v, einem Privatinvestorennetzwerk. Die Investoren bei B-to-v
sind oder waren selbst Unternehmer,
die, meist im Zusammenschluss, Kapital und Know-how in Unternehmen
investieren.
Selbst stille Beteiligungen, bei
denen sich der Investor weitgehend
aus der Unternehmensstrategie
heraushält, nutzen Mittelständler
immer noch vergleichsweise wenig
zur Expansionsfinanzierung. Dabei
gehört gerade diese Form der Wachstumsfinanzierung etwa zur Aufgabe
von mittelständischen Beteiligungsgesellschaften, die Unternehmen zum
Beispiel Mezzanine-Kapital in Form
sogenannter atypischer stiller Beteiligungen gewähren. „Unternehmen
betrachten das Angebot immer noch
mit Skepsis“, bestätigt Manfred
Thivessen, Geschäftsführer der Bürgschaftsbank
Nordrhein-Westfalen.
Dabei stehe bei der Mittelvergabe der
Fördergedanke im Vordergrund, also
nicht das Hineinreden ins Geschäft.
Öffentliche Fördermittel sind bei
Mittelständlern denn auch grundsätzlich beliebt, gerade dann, wenn Unternehmer ihr Engagement im Ausland
vorantreiben wollen: Axel Reißmann
etwa, Inhaber des Oberhausener
Textilherstellers Eros Heimtextilien,
finanziert seine Wachstumsstrategie
mit einer Kombination aus Sparkassenkrediten und Fördermitteln der
staatlichen KfW-Bank. Er hat die
Firma vor rund sieben Jahren übernommen und seitdem nicht nur die
Produktpalette vergrößert, sondern
auch das Auslandsgeschäft stark
vorangetrieben. „So etwas zahlt man
nicht mal eben aus der Portokasse“,
sagt Reißmann.
Vorsicht bei Anleihen
Der Bankkredit bleibt auch bei Eros
die unangefochtene Nummer eins
unter den Finanzierungsinstrumenten. Während von einer Kreditklemme
bislang nichts zu spüren ist, geraten
andere Finanzierungsarten zurzeit ins
Wanken. Der Markt für Mittelstandsanleihen, über den sich Unternehmen
ebenfalls mit Fremdkapital versorgen
könnten, bereitet Experten zunehmend Sorgen. „Im vergangenen
Jahr haben die Anleihemärkte regen
Zulauf von mittelständischen Unternehmen verzeichnet“, sagt PwC-Berater Papenstein.
Mittlerweile habe sich die Lage
aber eingetrübt. „Die Märkte sind
nicht mehr aufnahmefähig.“ Das ist
schlecht für Unternehmen, die ihre
Expansion größtenteils über Mittelstandsanleihen finanzieren wollen –
und das sind gar nicht einmal so wenige. So hat beispielsweise der Spirituosenhersteller Underberg im April vergangenen Jahres noch erfolgreich
eine Anleihe auf den Markt gebracht,
mit der er 50 Mio. Euro von Investoren einsammeln konnte. Das Unternehmen hat das Geld bislang hauptsächlich zur Expansionsfinanzierung
genutzt.
Man macht keine Schulden
„Die Anleihe ist das beste Finanzierungsinstrument für den Mittelstand“, sagt Underberg-Generalbevollmächtigter Wilfried Mocken
voller Überzeugung. Auch andere
Mittelständler wie der Fruchtsafthersteller Valensina oder der Lebensmittelproduzent Schneekoppe haben bislang auf Anleihen gesetzt, um Kapital
zu beschaffen. Mit welchem Instru-
ment sich die Expansion am besten
finanzieren lässt, hängt allerdings
nicht nur von der Wirtschafts- und
Marktlage ab, sondern auch von den
Unternehmen selbst. Manch ein
Mittelständler ist so sehr auf seine
Unabhängigkeit bedacht, dass er
überhaupt kein Kapital von außen
aufnehmen mag – selbst dann nicht,
wenn er die Entwicklung seines
Geschäfts mit größtmöglichem Optimismus betrachtet.
So wie Bert Bleicher vom Werkzeuganbieter Hoffmann: Dort hat man
sich bisher stets gegen jede Form der
Außenfinanzierung entschieden. „Die
Finanzierungsinstrumente
haben
sicher ihre Daseinsberechtigung. Sie
sind bestimmt in vielen Unternehmen
notwendig“, sagt Bleicher. Trotzdem
will er sich lieber mithilfe eines
„optimalen, aber nicht maximalen“
Gewinns weiterhin über den reinen
Cashflow finanzieren. „Wir wachsen
lieber etwas langsamer, bleiben dafür
aber unabhängig.“
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INHALT
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Für viele Mittelständler ist es immer
wieder ein Balanceakt, an frisches Geld
zu kommen. Daher brauchen ihre Finanzchefs sich vor den Motorradakrobaten der französischen Präsidentenleibgarde nicht zu verstecken,
wenn es um Kreativität, gut kalkuliertes
Risiko und Zähigkeit geht. Der Fotograf
Thomas Mailänder hat ihre Kunst in seiner Arbeit „Acrobatic Squad“ festgehalten. Sie passt bestens in diese Beilage.
Lebensmittel Betriebe leiden unter
hohen Kosten und Preisdruck. Seite 2
Sweet Equity Locken Investoren mit
Vorzügen, ist Vorsicht geboten. Seite 2
Kredite Noch ist unklar, was Basel III
für Betriebe mit sich bringt. Seite 3
Coupons Markenhersteller setzen auf
elektronische Gutscheine. Seite 4
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A2
Mittelstand
FREITAG, 3. FEBRUAR 2012
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
Ausdauernder Kraftakt
Drückende Rohstoffkosten, Preisdiktate und harte Konkurrenz: Die mittelständischen Lebensmittelhersteller kämpfen ums Überleben
„Die Lebensmittelpreise in Deutschland werden
steigen“, sagt BVE-Geschäftsführerin Sabine Eichner, „aber wir werden die gestiegenen Rohstoff- und
Energiepreise nicht eins zu eins weitergeben
können.“ Damit nimmt der Druck auf die ohnehin
kleinen Margen zu. Branchenkenner wie Werner
Warthorst, Mitglied der Geschäftsleitung der HSH
Corporate Finance, prognostizieren daher: „Jeder
vierte Lebensmittelproduzent wird nicht überleben.“
Nach Ansicht von Warthorst gibt es auf die drängenden Herausforderungen nur drei Antworten: „Nahrungsmittelhersteller können wachsen, fusionieren
oder eine auskömmliche Nische besetzen.“
Am besten fahren die Firmen, die Lösungswege
kombinieren. Zum Beispiel Mestemacher: Der westfälische Betrieb liefert Pumpernickel und Vollkornbrot in mehr als 80 Länder und ist nach eigener Aussage „Weltmarktführer von verpackten Brotspezialitäten“. Wachstum winkt vor allem im Ausland, „viele
Mittelständler haben ihre Chancen im Export in den
letzten Jahren gut genutzt“, sagt Eichner, „deutsche
Lebensmittel haben gerade in Osteuropa einen sehr
guten Ruf.“ Die Branche erwirtschaftet inzwischen
fast 30 Prozent ihrer Umsätze im Ausland.
Im deutschen Markt können die Unternehmen
dagegen eigentlich nur durch Verdrängung, Fusionen oder Zukäufe wachsen. Wie der Speiseeishersteller Rosen Eiskrem: Das inhabergeführte Unternehmen hat schon 2006 zwei Eiswerke von
Nestlé Schöller gekauft. Wie viele deutsche Mittelständler, die selbst keine starken Marken besitzen,
lebt Rosen von der Produktion von Handelsmarken.
Ein riskantes Geschäft, weil die Hersteller vom Handel leicht ausgetauscht werden können. „Hier bietet
nur eine gewisse Größe Schutz“, sagt Warthorst.
Friederike Meier-Burkert
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Pünktlich zur Grünen Woche präsentierte die Branche Rekordzahlen: Die deutschen Lebensmittelhersteller haben 2011 mehr als 162,2 Mrd. Euro umgesetzt, teilte die Bundesvereinigung der Deutschen
Ernährungsindustrie, BVE, auf der Berliner Nahrungsmittelmesse im Januar mit, satte 8,5 Prozent
mehr als 2010. Jubelstimmung kam dennoch nicht
auf. Denn die kontinuierlich steigenden
Rohstoffpreise ließen nicht viel übrig von dem starken Wachstum. Unterm Strich bleiben der Branche
gerade einmal 1,3 Prozent.
So beklagt der BVE weiterhin die angespannte
Ertragslage seiner Mitgliedsfirmen. Annähernd
6000 Unternehmen stellen Lebensmittel in
Deutschland her. Die Branche ist mittelständisch
geprägt – mit einem durchschnittlichen Umsatz von
nur rund 25 Mio. Euro pro Betrieb. Die zehn größten
Unternehmen erwirtschaften nur 13 Prozent vom
Gesamtumsatz. Und genau hier liegt das Problem.
Denn den vielen kleinen und mittelgroßen Herstellern steht die geballte Einkaufsmacht des Lebensmittelhandels gegenüber. Fünf große Spieler, die mit
harten Bandagen um extrem preissensible Verbraucher kämpfen, machen inzwischen über 60 Prozent
des Umsatzes aus und drücken die Preise.
Von den Niedrigpreisen der Discounter
verwöhnt, ist kaum noch jemand bereit, für Lebensmittel etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Nur rund
elf Prozent ihres Einkommens geben die Deutschen
für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke aus.
Zum Vergleich: Franzosen investieren rund 15 Prozent, Italiener sogar 19 Prozent.
All das ist kein neues Phänomen. Seit 1980 sind
die Lebensmittelpreise in Deutschland nur um
50 Prozent gestiegen – während sich die übrigen Lebenshaltungskosten mehr als verdoppelten. Nun haben sich aber die Bedingungen auf der Beschaffungsseite verschärft. Laut BVE verteuerten sich die
13 wichtigsten Agrarrohstoffe allein 2011 um
19 Prozent, die Preise für Getreide und Ölsaaten stiegen sogar um 41 Prozent. Und auch die Transportund Energiekosten sind um rund ein Viertel gestiegen. Doch nur einen kleinen Teil der Preisexplosion
bezahlen die Konsumenten: 2011 verteuerten sich
Lebensmittel gerade mal um 2,8 Prozent.
Laut einer Umfrage der Commerzbank leiden
derzeit zwei Drittel aller deutschen Unternehmen
unter steigenden Rohstoffpreisen – in der Ernährungs- und Genussmittelindustrie sind es sogar
mehr als 90 Prozent. Es gebe einen überdurchschnittlich hohen Anteil von existenziell betroffenen Unternehmen, schreiben die Autoren der Studie.
Bei 13 Prozent geht die Rohstoffproblematik so
stark an die Substanz, dass sich die Unternehmen zur
Drosselung der Produktion gezwungen sehen.
Die Gründe für die Preissteigerungen sind vielfältig: Die Weltbevölkerung wächst, die Konsumgewohnheiten in den Schwellenländern ändern sich.
Nach Prognosen der Welternährungsorganisation
der Vereinten Nationen, FAO, wird der weltweite
Fleischkonsum bis 2020 um rund ein Fünftel auf
330 Millionen Tonnen jährlich zulegen. Gleichzeitig
werden laut FAO die Fleischpreise um 30 Prozent
steigen. Immer mehr Anleger setzen auf Agrarrohstoffe und treiben die Preise an den internationalen
Rohstoffbörsen in die Höhe.
Und die Preisexplosion bei Getreide und Ölsaaten liegt nicht zuletzt auch an der Verwendung
von Agrarrohstoffen zur Energieerzeugung. Zum
Beispiel Roggen: Das dunkle Korn wird immer häufiger zu Sprit statt Mehl verarbeitet. Darunter leiden
deutsche Bäcker, wie der Pumpernickelspezialist
Mestemacher. „Die kaufen alles auf, was sie kriegen
können“, klagt Geschäftsführer Albert Detmers. Er
musste im vergangenen Jahr 20 Prozent mehr für
seinen Roggen bezahlen als noch im Jahr 2010.
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„Wir werden die gestiegenen Rohstoff- und Energiepreise nicht
eins zu eins weitergeben können“
SABINE EICHNER, Geschäftsführerin BVE
Thomas Mailaender
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Daran mangelt es besonders in der Wurst- und
Fleischwarenbranche. Der geballten Handelsmacht
stehen mehr als 1000 deutsche Wurst- und Fleischwarenhersteller gegenüber. Rund die Hälfte davon
sind Familienunternehmen mit Jahresumsätzen
von unter 5 Mio. Euro und häufig nur regionaler
Bedeutung. Gleichzeitig nimmt die Konzentration
unter den Fleischlieferanten massiv zu: Die drei
größten Schlachtunternehmen – Tönnies, Vion und
Westfleisch schlachten mittlerweile gut die Hälfte
aller Schweine in Deutschland und steigen zum Teil
selbst in die Wurstverarbeitung ein. So übernimmt
Tönnies sukzessive die auf Wurstwaren spezialisierte Zur Mühlen Gruppe aus Böklund. Umgekehrt
bauen Handelsunternehmen wie Lidl, Edeka oder
Rewe eigene Fleischwerke auf. Und zusätzlich
kaufen sich ausländische Wettbewerber in Deutschland ein: So übernahm der Schweizer Fleischkonzern Bell den Wursthersteller Zimbo und den
Schinkenspezialisten Abraham.
Bei Fleisch und Wurst droht jetzt ein Konzentrationsprozess, wie ihn die deutsche Mühlenbranche schon vollzogen hat. Gab es in den 50er-Jahren
in Deutschland 20 000 Mühlen, sind es heute nur
noch rund 580. 43 davon teilen sich 80 Prozent der
Produktion. Auch der Zuckermarkt ist extrem konsolidiert: Es existieren nur noch vier Unternehmen
mit insgesamt 20 Fabriken. Im Umbruch befindet
sich auch die Molkereibranche. Die beiden größten
deutschen Molkereiunternehmen Nordmilch und
Humana haben sich im vergangenen Jahr zum Deutschen Milchkontor (DMK) zusammengeschlossen.
Doch gegenüber Branchenriesen wie Nestlé oder
Danone bleiben sie winzig: Im weltweiten Ranking
liegt DMK gerade mal auf Platz 13.
Süße Versuchung, bitterer Nachgeschmack
Wenn Investoren ihre Führungskräfte mit Vorzugskonditionen ködern, ist Vorsicht geboten. Solch ein Sweet Equity kann am Ende teuer werden
Benjamin Matuzak und Julia Groth
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Familienunternehmen sind für Private-Equity-Gesellschaften oft schwer
zu knacken. Längst nicht immer entspricht das, was der Investor will,
dem, was das Management vorhat.
Dessen sind sich Private-EquityGesellschaften durchaus bewusst. Mit
besonderen Anreizen versuchen sie
daher, die Führungskräfte dazu zu
bewegen, in ihrem Sinne zu handeln.
„Das ist überaus gebräuchlich“, sagt
Florian Haase, Spezialist für Steuerrecht bei DLA Piper.
Sweet Equity heißt der Anreiz, der
Führungskräften die Arbeit unter der
Ägide eines Investors versüßen soll.
Der Begriff ist sehr weit definiert und
kann nahezu alles bezeichnen, was
Investoren an Vergünstigungen zu
bieten haben. In der Praxis sieht
Sweet Equity indes oft so aus, dass das
Management der übernommenen
Firma vom Investor Unternehmensanteile zum Vorzugspreis erwerben
kann. Dabei ist aber Vorsicht geboten.
Das hat vor allem steuerliche
Gründe. Hat ein Mittelständler sein
Unternehmen an einen Investor
verkauft, ist er nicht mehr geschäftsführender Gesellschafter, sondern
lediglich angestellter Geschäftsführer
einer Firma, die dem Investor gehört.
Er muss deshalb, wie alle Angestellten, Lohnsteuer zahlen und jeden
geldwerten Vorteil versteuern. Kauft
er nun Unternehmensanteile zu günstigen Konditionen, muss er die Differenz zwischen Erwerbspreis und Verkehrswert der Anteile versteuern. Das
kann ordentlich ins Geld gehen.
Nehmen wir einen Geschäftsführer, der im Jahr 500 000 Euro, und dafür rund 220 000 Euro Lohnsteuer
zahlt. Lässt er sich vom Investor, dem
das Unternehmen gehört, mit Aktien
im Marktwert von 1 Mio. Euro zum
Vorzugspreis von 200 000 Euro kö-
dern, verlangt das Finanzamt unweigerlich einen Nachschlag zur Lohnsteuer. Er errechnet sich aus der Differenz zwischen Kaufpreis und Marktwert: In unserem Beispiel sind das
800 000 Euro, davon werden in der
Spitze 45 Prozent fällig – also
360 000 Euro.
„Vorzugskonditionen können dramatische Konsequenzen haben“, sagt
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Haase von DLA Piper. „Übernimmt
man Aktien zu einem Wert, der nicht
dem Marktwert entspricht, kommt
man um die Lohnsteuer nicht herum.“
Mittelständler sollten Sweet-Equity-Angebote also sorgfältig prüfen
und keinesfalls blind zugreifen, wenn
sie Anteile mit Rabatt angeboten bekommen. Dabei gibt es durchaus Wege, die Lohnsteuer zu umgehen: „Man
kann Aktien nach ausländischem
Recht mit bestimmten Wertsteigerungskriterien versehen“, erklärt Haase. Konzipiert eine Private-EquityGesellschaft eine Aktienklasse speziell zur Ausgabe an das Management,
wird zwar Lohnsteuer fällig – geht die
Sonderklasse aber mit höheren Gewinnbezugsrechten einher, kann das
die Steuerzahlungen über kurz oder
lang ausgleichen.
Es empfiehlt sich also immer ein
Blick aufs Gesamtpaket. Sweet Equity
umfasst weit mehr als nur Preisnachlässe beim Anteilskauf. Unternehmer
sollten etwa darauf achten, welche
Stimmrechte mit den angebotenen
Aktien einhergehen, wie hoch ihre Gewinnbeteiligung ausfällt, wenn das
Unternehmen verkauft wird, und was
ihnen bleibt, wenn sie kündigen.
Private-Equity-Gesellschaften unterscheiden üblicherweise, ob ein
Geschäftsführer bis zu ihrem Ausstieg
dabeibleibt, oder ob er die Firma
vorzeitig verlässt. Vertragsklauseln regeln dann, dass ein Manager, der früher geht, seine Unternehmensanteile
zu einem niedrigeren Preis zurückgeben muss als jemand, der bis zum
Ausstieg des Investors an Bord bleibt.
„Damit der Nachgeschmack nicht
umso bitterer wird, ist die konkrete
Beratung im Einzelfall entscheidend“,
mahnt Rechtsanwalt und Steuerberater Dirk Koch von der Kanzlei GSK
Stockmann und Kollegen. Ob ein
Angebot nach eingehender Prüfung
der Vor- und Nachteile attraktiv ist,
bleibt dabei eine Geschmackssache.
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IMPRESSUM
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Financial Times Deutschland
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FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
FREITAG, 3. FEBRUAR 2012
Mittelstand
Diskussion um
die Spielregeln
Banken bereits heute deutlich mehr
Kernkapital vorweisen können als
gefordert. Studien gehen aber davon
aus, dass den Banken europaweit bis zu
1000 Mrd. Euro Eigenkapital fehlen,
wollen sie ihre Geschäfte so weiterbetreiben wie bisher. Allein die deutschen Banken müssen nach Schätzungen der Bundesbank 50 Mrd. Euro zusätzliches Eigenkapital aufbauen, um
Basel III zu erfüllen. Oder sie schränken ihr Geschäft entsprechend ein.
Basel III macht Kredite knapper und teurer.
Darunter werden Mittelständler leiden. Sie
hoffen, dass die EU die Vorschriften nachbessert
Für Firmen auf Kreditsuche begann
das Jahr mit einer trüben Nachricht:
Die Europäische Notenbank EZB
verkündete einen Rückgang der
Unternehmensdarlehen um fast
37 Mrd. Euro von November auf
Dezember. Innerhalb nur eines
Monats schrumpfte das Kreditangebot damit um 0,8 Prozent. Bliebe die
Lage nun ein ganzes Jahr lang derart
mau, dann schrumpften die Kreditbücher der europäischen Banken bis
zum Jahresende um fast zehn Prozent.
Auch wenn es ganz so schlimm
kaum kommen wird: Der Dezember
war in Sachen Kreditvergabe der
schwächste Monat der vergangenen
viereinhalb Jahre. Und der Grund
dafür ist relativ eindeutig: Angst. Vor
allem in Ländern wie Griechenland,
Spanien oder Portugal leihen die
Banken ihr Geld lieber Staaten als
privaten Schuldnern.
Überall ist nun davon die Rede,
dass es doch zu einer Kreditklemme
kommen könne. Für Ökonomen ist
dieser Befund indes irritierend. Denn
was immer da wirkt, sind unterm
Strich doch Marktkräfte. Schon die
simple Frage, ob die Kreditvergabe
nun schrumpft, weil Banken das
Angebot einschränken oder Unternehmen weniger Geld nachfragen,
kann die Statistik nicht beantworten.
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„Banken werden
für risikoärmere
Geschäfte bestraft“
HARTMUT KÄMPFER,
Referent DSGV
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Nur wenn der Preismechanismus
nicht vernünftig wirken kann, der
solche Angebots- und Nachfrageschwankungen normalerweise ausgleicht, ist eine strukturelle Kreditklemme – also mehr Nachfrage als
Angebot – überhaupt denkbar. Selbst
wenn EZB-Präsident Mario Draghi
sich angesichts der Datenlage beeilte
zu verkünden, die EZB habe „eine
schwere Kreditklemme verhindert“ –
was man da sehe, sei höchstens eine
leichte Klemme. Volkswirtschaftlich
hat der Begriff so oder so wenig Sinn.
Es sei denn, der Staat greift ein und
reguliert den Markt so stark, dass die
Preisbildung nicht richtig funktioniert. Genau davor warnen Banker,
Mittelstandslobbyisten und Wissenschaftler neuerdings. Basel III heißt
der Grund für die Besorgnis. Hinter
dem Schlagwort steht ein neues
Regelwerk, das der Basler Ausschuss
für Bankenaufsicht nach Ausbruch der
Krise vorgeschlagen hat, und das nun
in den kommenden Jahren schrittweise weltweit in Kraft treten wird.
Selbst wenn die präzisen Regeln für
die Basel-III-Umsetzung in Europa
noch nicht verabschiedet sind, ist
bereits klar: Ab dem kommenden Jahr
müssen Banken sich auf schärfere
Gesetze einstellen. Und die werden
das Kreditangebot der Institute tatsächlich merklich beeinträchtigen,
wie Tobias Berg von der HumboldtUniversität zu Berlin und Martin Uzik
von der Universität Wuppertal in einer
Studie für den Bundesverband mittel-
Strenger und teurer
Was Mittelständler von Basel III erwarten, in %*
genauere Prüfung von Finanzierungen
77
steigende Rating-Anforderungen
76
teurere Kredite
58
* Mehrfachnennung möglich
FTD/jst; Quelle: Repräsentative Befragung der Deutschen Bank unter
200 KMU (mit weniger als 25 Mio. Euro Umsatz), 2011
Dicker gepolstert
Die Sorge ist durchaus begründet, wie
ein Blick in den Katalog des Basel-IIIRegelwerks zeigt: Danach müssen die
Banken ihr Geschäft mit Mittelstandskrediten gleich in dreifacher
Weise an neue Vorschriften anpassen.
Erstens müssen sie für Kredite bald
mehr und höherwertige Eigenmittel
vorhalten. Zweitens können sie langfristige Darlehen nicht durch günstigere, kurzfristige Gegengeschäfte
ausgleichen. Drittens haben sie eine
neue, absolute Schranke für die
Kreditvergabe zu beachten, die sogenannte Leverage-Ratio: Die Bilanzsumme der Banken, die zu größten
Teilen aus Krediten besteht, darf demnächst höchstens noch auf das 33-fache des Kernkapitals anwachsen.
Der erste Punkt, die verschärften
Eigenkapitalvorschriften, hat den
größten Einfluss auf die Kreditvergabe
– und ist zugleich das Kriterium, an
dem kaum mehr zu rütteln ist. Im
Grundsatz sieht Basel III vor, dass für
Durchschnittskredite demnächst nicht
mehr acht Prozent Eigenmittel zu hinterlegen sind, sondern 10,5 Prozent.
Die Regeln werden bis 2019 schrittweise verschärft. Noch entscheidender ist, dass in sieben Jahren 7,5 Prozent des Geldes als hartes Kernkapital
vorzuweisen sind – bislang sind es
zwei Prozent. Und die nationalen Aufseher können sogar noch weitere
2,5 Prozent als Kapitalpuffer für
schlechte Zeiten fordern, wenn sie es
für erforderlich halten. Somit könnten
Banken mit dem vorhandenen Kapital
ab 2019 bis zu 38,5 Prozent weniger
Kredite vergeben als heute.
Ganz so drastisch wird die Verknappung wohl nicht ausfallen, da die
Thomas Mailaender
Olaf Wittrock
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ständische Wirtschaft (BVMW) vorgerechnet haben: „Wir gehen davon aus“,
schreiben die Autoren, „dass sich die
Zinsen für einen durchschnittlichen
Mittelstandskredit um circa 54 Basispunkte erhöhen werden und das Kreditvolumen um circa 2,5 Prozent zurückgeht.“ Heißt: Das Geld wird knapper. Und die Raten steigen um mehr
als einen halben Prozentpunkt. Folgerichtig stellt sich laut einer aktuellen
Umfrage der Deutschen Bank auch
schon mehr als jeder zweite Mittelständler auf höhere Kreditkosten ein.
Auch Berg und Uzik sagen: Selbst
wenn die Regelungen von Basel III
keine irreparablen Probleme verursachten, seien sie in der Lage, das
Wirtschaftswachstum zu dämpfen
und „die Kapitalversorgung einiger
realwirtschaftlicher Sektoren negativ
zu beeinflussen“. Nach den neuen
Schranken für die Banken wird die
Kreditversorgung in manchen Branchen durchaus klemmen.
Kein Wunder, dass die ersten Branchenverbände gegen das Regelwerk
protestieren. So bekamen die finanzpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen Anfang des Jahres Post von
einer ungewöhnlichen Verbändeallianz, zu der sich neben dem BVMW
noch andere Spitzenorganisationen
aus der Wirtschaft gesellten. Ihre Botschaft: Die Bankenregulierung gehe in
die falsche Richtung, weil sie gerade
die soliden Mittelstandsgeschäfte erschwere, statt jene spekulativen Handelsgeschäfte zu unterbinden, die die
Krise verursacht hätten.
„Basel III wird den Mittelstand
überproportional belasten“, schimpfte
Oliver Grün, Chef der Grün Software
und Präsident des IT-Mittelstandsverbands BITMi zum Auftakt der
ungewöhnlichen Verbandskampagne.
Die
Basel-III-Regeln
müssten
zugunsten des Mittelstandsgeschäfts
überarbeitet werden. Dazu sollten die
Politiker dringend die gerade laufenden Anhörungen rund um die EURichtlinien nutzen, bevor dann Mitte
des Jahres die Gesetze endgültig
durchs EU-Parlament gehen werden.
Langfristig teurer
Die zweite relevante Veränderung
betrifft die Refinanzierung des Kreditgeschäfts: Zum Geschäftsprinzip der
Banken gehört schließlich, dass sie
sich selbst preiswert Geld borgen, um
es dann möglichst gewinnbringend
weiterzuverleihen. Ein Teil dieses
Geschäfts basiert auf dem Umstand,
dass der Preis für kurzfristige Schulden kleiner ist als der Zins, den man
für längerfristige Kredite einnehmen
kann. Fristentransformation heißt
diese Spekulation im Fachjargon, und
deren exzessive Auswüchse gelten als
eine Ursache für die Bankenkrise.
Daher besteht Basel III auf eine
weitgehend kongruente Refinanzierung. Wer Geld für zehn Jahre verleiht, kann dazu nicht kurzfristige
Kundeneinlagen oder Anleihen nutzen, sondern muss selbst langfristige
Finanzierungsmittel dafür aufnehmen. Das, so fürchten die Banker
selbst, könnte das Angebot an längerfristigen Darlehen, wie sie gerade in
Deutschlands Mittelstand gewünscht
und üblich sind, massiv einschränken.
„Langfristige Kredite könnten
durch die Pflicht zur Fristenkongruenz teurer werden“, sagt Hartmut
Kämpfer, Referent für internationale
Bankaufsichtsfragen beim Deutschen
A3
Sparkassenund
Giroverband
(DSGV): „Vor allem aber stellt sich die
Frage, wie viele langfristige Darlehensgeschäfte überhaupt noch
möglich sind. Schließlich will jeder
Unternehmer möglichst lange Zinsfestschreibungen, aber kaum ein Sparer sein Geld langfristig anlegen.“
Die Strategieberatung McKinsey
schätzt, dass die Banken in Europa
allein durch die eingeschränkte Fristentransformation 2300 Mrd. Euro
langfristige Refinanzierungsmittel
benötigen. So viel Kapital ist an den
Anleihemärkten gar nicht verfügbar,
warnen Kritiker. Die EU-Kommission,
die Basel III letztlich in Europa umsetzen muss, will die Entwicklung
denn auch erst einmal beobachten,
bevor sie diesen Teil scharf schaltet.
Harter Hebel
Die dritte Neuheit sorgt unter Beobachtern für noch größere Irritationen,
muss Mittelständlern allerdings
weniger Sorgen bereiten: Es geht um
die sogenannte Leverage-Ratio. In
diesem Verhältnis, das letztlich nichts
anderes ist als eine Verschuldungsquote, steckt ein wesentlicher Ertragshebel für die Banken. Und zugleich ein
weiteres Systemrisiko, das die
Bankenaufseher begrenzen wollen.
Während sich Experten mit dem
Grundgedanken, die Bilanzen der
Banken zu begrenzen, durchaus
anfreunden können, stößt ein derart
harter
Verschuldungsriegel
auf
grundsätzliche Kritik: „Banken werden für risikoärmere Geschäfte gewissermaßen bestraft, weil diese stark auf
die Verschuldungsquote wirken“, sagt
Kämpfer vom DSGV. Auch hier zeigt
sich die EU-Kommission einsichtig.
Sie will die Leverage-Ratio erstmal
beobachten, bevor sie eingreift.
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A4
Mittelstand
FREITAG, 3. FEBRUAR 2012
FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
Schnäppchenjagd im Netz
Markenhersteller versuchen neuerdings mit elektronischen Gutscheinen, Kunden zu gewinnen und zu binden
Simon Mikuteit
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Rabatte, Coupons, Schnäppchen – der
deutsche Einzelhandel hat sich in den
vergangenen zwei Jahren zu einer
Spielwiese für Sonderangebote ent-
wickelt. Im Kampf um die Kunden versuchen Geschäfte, sich mit günstigen
Offerten gegenseitig auszustechen.
Selbst Markenartikelfirmen, traditionell eher Preishüter, starten immer
öfter Rabattaktionen. Dafür nutzen sie
aber nicht mehr Omas Rabattmarken,
die ausgeschnitten und gesammelt
werden müssen, sondern elektronische Gutscheine, die man im Netz
kaufen und in den jeweiligen Geschäften einlösen kann.
Groupon, Dailydeal, Qypedeals
oder Loxideals heißen die Anbieter
solcher Coupon-Aktionen. Sie beraten
ihre meist mittelständischen Partner
aus Handel und Industrie und bescheren ihnen mit ihren Webwerbeinstrumenten zusätzliche Umsätze. „Ich
möchte den Markenartikelherstellern
und dem stationären Einzelhandel
helfen“, sagt Georg von Waldenfels,
Chef von der Hamburger Firma Loxi.
Klingt altruistisch, ist es aber natürlich nicht: Loxi fördert für Marken wie
Granini und Schwarzkopf, Weight
Watchers und Persil den Verkauf –
gegen gutes Geld.
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„Der Erfolg ist bei Lifestyle- und Alltagsprodukten am größten“
THOMAS BERNIK,
Geschäftsführer Qypedeals
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Denn die Verbraucher, die sich auf
der Plattform www.loxideals.de registrieren, müssen auch angeben, für
welche Warengruppen sie sich interessieren – etwa für Pflegemittel und
Spirituosen – und bekommen nur
diese Produkte und Coupons angezeigt. „Durch die Registrierung auf
unserer Seite haben wir den direkten
Zugang zu diesen Verbrauchern“, sagt
von Waldenfels. Rund 50 000 Mailadressen und Konsumprofile habe er
momentan.
Für mittelständische Hersteller interessant: Der Dienstleister kennt
nicht nur die Käufer eines bestimmten
Produkts, sondern die gesamte Zielgruppe des Markenartiklers, also auch
die Verbraucher, die das Konkurrenzprodukt kaufen. Loxideals hilft dem
Auftraggeber auch im Bereich Social
Media. So kann dieser seine bestehende Community mit Gutscheinen
belohnen, damit sie helfen, die „Fangemeinde“ zu vergrößern.
Die Hamburger Dienstleister, die
sich mit Onlineportalen wie Mein
Prospekt oder Sparwelt vergleichen
lassen müssen, obwohl diese sich vor
allem an den Handel wenden, organisieren regelmäßig für 30 bis 40 Marken Rabattaktionen oder Gewinnspiele. Sie beauftragen die Clearinghäuser Acardo Technologies oder
Valassis, im Handel zu eruieren,
welche Geschäfte bereit sind, die Gutscheine bei sich einzulösen. Wenn ja,
werden die Kassensysteme darauf eingestellt. Außerdem berichtet Loxi täglich, welche Nutzer „angebissen“
haben und wie viele Produkte durch
die Aktion verkauft wurden.
Satte Rabatte
Für Umsatzsteigerungen in einigen
Bereichen des Mittelstands haben
schon 2010 und 2011 sogenannte
Couponing-Unternehmen gesorgt. Auf
ihren Seiten im Netz bieten sie Tag für
Tag neue Deals in Großstädten an: In
Berlin lockt ein Restaurant mit einem
Drei-Gänge-Menü, das statt 25 Euro
nur 12 Euro kostet, ein Frankfurter
Reiseveranstalter bietet einen siebentägigen Ägyptenurlaub für 590 statt
1200 Euro an und eine Kölner Fensterputzfirma vier Stunden Arbeit, die eigentlich 140 Euro kosten, für 29 Euro.
Nachlässe von 60 Prozent und
mehr sind die Ausnahme, 30- oder
40-prozentige Rabatte aber die Regel.
Auf diese Weise werden Kunden aus
der Online- in die Offlinewelt geholt.
Ein Beispiel: Die Bremer Firma HansaRefill hat zwei Filialen, in denen Kunden ihre leeren Druckerpatronen und
Tonerkartuschen wieder auffüllen lassen können. Als auf der Website der
Couponing-Firma Qypedeals 15-EuroGutscheine für Hansa-Refill zum
halben Preis angeboten wurden, griffen fast 50 Sparfüchse zu. „15 von denen haben schon in der ersten Woche
ihren Gutschein bei mir eingelöst“,
sagt Inhaber Anton Goncharov.
Wichtig für den Mittelständler:
Der Couponing-Dienstleister kassiert
30 oder 40 Prozent des Gutscheinpreises als Provision. Manchmal auch
mehr. So ist eine Aktion für den Händler oft ein Nullsummenspiel. Das
ändert sich aber, wenn der Kunde auch
noch andere Produkte als nur die
Rabattierten kauft, beispielsweise
zum Parfüm noch einen Lippenstift
oder zum Menü noch eine Flasche
Wein. Und der Händler profitiert vom
Werbeeffekt.
Schließlich wird er durch die
Aktionen auch von Menschen in
seiner Umgebung wahrgenommen,
die vorher nicht zum Kundenkreis
gehörten. Laut Thomas Bernik,
Geschäftsführer von Qypedeals, ist
der Couponing-Erfolg am größten bei
„Lifestyle- und Alltagsprodukten“.
Besonders interessant ist die Kombination von Couponing mit Geolocation: Geschäfte können ihre
Rabattaktionen Verbrauchern, die sich
gerade in ihrer Nähe befinden, gezielt
aufs Handy schicken – und wenn
gewünscht – den Coupon gleich
hinterher.
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FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND
FREITAG, 3. FEBRUAR 2012
Mittelstand
A5
Risiken abfedern
Vorstände und Manager sichern heikle unternehmerische Entscheidungen immer öfter durch ein
Votum von außen ab. Das ist teuer, hilft aber Haftungsansprüche abzuwehren
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Johanna Lutteroth
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Das Angebot kam wenig überraschend. Schon länger führte die
Beteiligungsgesellschaft Aurelius mit
dem Segelschiffbauer Hanse Yachts
Gespräche. Am 9. September vergangenen Jahres erfolgte schließlich das
öffentliche Übernahmeangebot, das
sich an alle Aktionäre richtete. Manch
einer wird sich gefragt haben, ob das
Angebot auch wirklich fair ist. Denn
wer 2007, als Hanse Yachts an die
Börse ging, gekauft hatte, zahlte rund
33 Euro pro Aktie. Aurelius bot nun,
vier Jahre später, 5,01 Euro.
Zeitgleich veröffentlichte Hanse
Yachts eine „Gemeinsame Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats“ – eine sogenannte Fairness-Opinion, die offenlegt, ob das
Angebot nach objektiven Kriterien angemessen ist oder nicht. In der Regel
wird solch eine Fairness-Opinion von
einem unabhängigen Dritten erarbeitet. In diesem Fall war es die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG.
Das Ergebnis: Die Offerte lag rund
sechs Prozent über dem gesetzlichen
Mindestpreis, der sich aus dem
„gewichteten durchschnittlichen inländischen Börsenkurs“ der vergangenen drei Monate zusammensetzte.
Das überzeugte die Aktionäre offensichtlich. Denn seit November vergangenen Jahres ist Aurelius nun Mehrheitsgesellschafter von Hanse Yachts.
„Fairness-Opinions
werden inzwischen
vermehrt von nicht
börsennotierten Unternehmen angefragt“
MARCUS JÜNGLING, Geschäfts-
leitungsmitglied bei PKF Fasselt Schlage
Hanse Yachts ist ein typischer Fall für
eine Fairness-Opinion. Zum einen
ging es darum, die Aktionäre von der
Angemessenheit des Preises zu überzeugen, zum anderen aber auch, die
Organe der Gesellschaft gegen mögliche Haftungsrisiken abzusichern.
Sie sollte zeigen, dass alles transparent und mit rechten Dingen zugegangen ist, die Gesellschaftsanteile
weder über- noch unterbezahlt waren
und die Entscheidungsträger auf
Basis solider Daten gehandelt haben.
„Einige Übernahmen, wie etwa der
Erwerb der Depfa Bank durch die
Hypo Real Estate, haben sich im
Nachhinein als zu teuer herausgestellt. Dadurch sehen sich Vorstände und Aufsichtsräte immer öfter
kritischen Aktionärsfragen oder sogar
Klagen ausgesetzt“, sagt Bernhard
Schwetzler, Inhaber des Lehrstuhls
für Finanzmanagement und Banken
an der Handelshochschule Leipzig
(HHL). „Fairness-Opinions, die die
finanzielle Angemessenheit von
Thomas Mailaender
Gefragte Gutachter
Geburtsstunde der Fairness-Opinion
Am liebsten zur Bank
Anbieter von Fairness-Opinions in %
6
Privatbank
62
Großbanken
13
Berater
19
Wirtschaftsprüfer
FTD/jst; Quelle:
Corporate Finance
Vorreiter in Sachen Fairness-Opinion
sind wie so oft die USA. Kein Entscheidungsträger lässt sich dort auf
eine Transaktion ein, ohne eine Fairness-Opinion einzuholen. Ursache dafür
ist ein Gerichtsprozess aus dem Jahr
1985, der als Smith versus van Gorkom
in die Geschichte einging, und als
Geburtsstunde der Fairness-Opinion
gilt. In diesem Prozess ging es um eine
Transaktion, die Jerome van Gorkom,
Vorstandsvorsitzender der Transunion –
ein Unternehmen, das Informationen
über die Kreditwürdigkeit von Privatpersonen bereitstellt – eingefädelt hatte.
Der Mischkonzern Marmon sollte die
Transunion übernehmen. Festgelegt
wurde ein Preis von 55 Dollar pro Aktie.
Das Problem daran: Der Vorstand sollte
innerhalb von drei Tagen über das
Angebot entscheiden. Es gab weder ein
Bewertungsgutachten noch eine Stellungnahme, ob der gebotene Preis
angemessen sei. Letztlich vertraute der
Vorstand seinem Vorsitzenden und
winkte den Deal in einer zweistündigen
Sitzung durch. Auch der Großteil der
Aktionäre stimmte zu. Einer fühlte sich
dennoch über den Tisch gezogen und
klagte: Alden Smith. Der Delaware Supreme Court gab ihm Recht und stellte
fest, dass der Vorstandschef grob fahrlässig gehandelt habe. Seine Entscheidung sei nicht transparent genug gewesen und damit für die Aktionäre nicht
nachvollziehbar. JOHANNA LUTTEROTH
Transaktionen beurteilen, gewinnen
daher zunehmend an Bedeutung.“
Ein weiterer Grund dafür ist die
Gesetzeslage. Seitdem 2005 die sogenannte Business-Judgement-Rule in
§93 Absatz 1 des Aktiengesetzes verankert wurde, müssen Vorstände und
Aufsichtsräte auf einer angemessenen
Informationsgrundlage ihre unternehmerische Entscheidung fällen.
Können sie das im Ernstfall nicht
nachweisen, werden sie in die Pflicht
genommen – und haften womöglich
persönlich für ihre Entscheidung.
„Seit rund sechs Jahren beobachten wir daher eine erhöhte Neigung,
Fairness-Opinions einzuholen“, sagt
Michael Salcher, Partner bei KPMG.
Da die Fairness-Opinion die Anforderungen der Business-Judgement-Rule
im Wesentlichen erfüllt, sichert sie die
Entscheidungsträger gegen mögliche
Haftungsrisiken ab – und verschafft
ihnen damit, wie es im Fachjargon
heißt, größeren Haftungsfreiraum.
Mit Spannung beobachten die
Berater derzeit den Fall der Bayerischen Landesbank, die sich mit der
Übernahme der Kärntner Bank Hypo
Alpe Adria kräftig verhoben hatte.
Einige Vorstände müssen sich vor
Gericht für ihre unternehmerische Entscheidung aus dem Jahr 2007 verantworten. Werden sie verurteilt, wird das
dem Absicherungsinstrument Fairness-Opinion noch mehr Bedeutung
verleihen, sind die Experten einig.
Auch wenn derzeit hauptsächlich
Aktiengesellschaften von der Fairness-Opinion Gebrauch machen – vor
allem bei Unternehmensan- und -verkäufen – gewinnt das Instrument auch
bei Personengesellschaften und damit
im Mittelstand an Bedeutung. „Es gibt
Ausstrahlungswirkungen auf andere
Unternehmensformen in Fällen, bei
denen Eigentum und Geschäftsführung getrennt sind“, sagt Salcher.
„Seitdem Haftungsfälle öfter diskutiert werden, gibt es auch dort eine
Neigung zu Fairness-Opinions.“ Ähnliche Beobachtungen hat auch Marcus
Jüngling gemacht, Geschäftsleitungsmitglied bei PKF Fasselt Schlage in
Frankfurt: „Fairness-Opinions werden
inzwischen vermehrt von nicht börsennotierten
Unternehmen
angefragt.“ Schließlich können auch die
Geschäftsführer von kleineren Unternehmen für ihre Entscheidung haften.
Nicht immer geht es um Unternehmensan- und -verkäufe. „Sie kommen immer dann zum Einsatz, wenn
das Management eine wesentliche
Entscheidung fällen muss, die den
Finanzstatus eines Unternehmens
wesentlich beeinflusst“, erklärt Jüngling. Dazu zählen neben der Bewertung von Unternehmensanteilen
auch Restrukturierungsmaßnahmen
und Investitionsentscheidungen.
Das Prinzip bleibt immer gleich:
Die Entscheider möchten eine unabhängige Einschätzung haben, die
bestätigt, dass ihre Transaktion angemessen ist. Das hat nichts mit Altruismus zu tun, sondern mit Selbstschutz. Primäres Ziel ist auch hier, das
eigene Haftungsrisiko zu minimieren.
Unabhängigkeit wahren
Allerdings ist eine Fairness-Opinion
richtig teuer. Zwischen 100 000 und
150 000 Euro müssen die Auftraggeber dafür auf den Tisch legen. „Es
muss sich also um eine einschneidende unternehmerische Entscheidung handeln, damit es sich lohnt“,
sagt Sebastian Lobe, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für
Finanzdienstleistungen an der Universität Regensburg. Ob sich das Instrument langfristig auch im Mittelstand durchsetzt, bezweifelt er angesichts der enormen Kosten. „Ich
halte das für eher unrealistisch.“
Eine andere Frage ist: Wie unabhängig kann eine Fairness-Opinion
sein? „Die Auftraggeber wollen natürlich immer ein bestimmtes Ergebnis
sehen. Interessenkonflikte gibt es
daher immer“, sagt HHL-Professor
Schwetzler. Noch schwieriger wird es,
wenn die Investmentbank, die ein
Geschäft begleitet, gleich auch eine
Fairness-Opinion erstellt. Es ist kaum
denkbar, dass sie sich darin gegen das
eigene Projekt aussprechen würde.
Die Frage des Interessenkonflikts
macht das Instrument angreifbar.
Deswegen haben zwei Institutionen
Standards erstellt, die die Qualität der
Stellungnahmen sichern sollen: Die
Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management
(DVFA) verabschiedete im November
2008 die Grundsätze für Fairness-Opinions, das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) im Januar 2011 den IDWStandard 8.
Zusätzlich sollte man zwei Regeln
beachten, empfiehlt Christian Aders,
Geschäftsführer der Corporate-Finance-Beratungsfirma Duff & Phelps, die
jüngst für die Restrukturierung der
Firma Pfleiderer eine FairnessOpinion erstellte. Erstens: Begleite
eine Transaktion nie gleichzeitig als
M&A-Berater. Zweitens: Wer Gefälligkeitsgutachten macht, schneidet
sich ins eigene Fleisch. Aders: „Ich
würde dafür nie meinen Ruf riskieren.“