Januar 2007 · Nummer 23 Junge Autoren im Rampenlicht

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Januar 2007 · Nummer 23 Junge Autoren im Rampenlicht
Januar 2007 · Nummer 23
Leipziger
Bücherbrief
Liebe Leserinnen und Leser,
Geburtstage, runde zumal, sind oft Anlass, dem eigentümlichen Unterschied zwischen gefühlter und »Echtzeit«
nachzusinnen. Auch wir konnten es zunächst kaum glauben, dann brachte der Kalender Klarheit: Die Leipziger Buchmesse
feiert 2007 ein kleines Jubiläum – seit zehn Jahren findet sie auf
dem neuen Messegelände statt. Der Umzug vor die Tore der Stadt
1998 war nicht unumstritten. Waren, so die Bedenkenträger, am
Markt nicht Messetreiben und Alltagsleben, Buch und Stadt immer
in eins gefallen? Was würde nun kommen? Wir haben, buchstäblich, Neuland betreten und in Leipzig das Konzept für eine lebendige,
leserorientierte Buchmesse entwickelt. Eine Erfolgsgeschichte, die
wir gemeinsam mit Ihnen weiter schreiben wollen.
Im zehnten Jahr unter der Glashallenkuppel zeigt sich Leipzig als
rundherum junge Messe. Gerade für kleine unabhängige Verlage
und neue, noch zu entdeckende Autoren-Stimmen erweist sie sich
zunehmend als attraktives Podium. Das gilt, wie die bevorstehenden
Schwerpunktauftritte von Ländern des ehemaligen Jugoslawien zeigen, keineswegs nur für den deutschsprachigen Dichter-Nachwuchs,
sondern ebenso für die Literaturen Mittel- und Osteuropas.
Eine junge, eine Entdecker-Messe: Das will Leipzig nicht nur auf
literarischen Terrain sein. In den kommenden Jahren werden wir
das große Thema Bildung in Familie, Kindergarten und Schule zum
zweiten Standbein der Buchmesse ausbauen – und neben Lehrern
verstärkt auf Erzieher und Eltern zugehen. Unserer Wissens- und
Informationsgesellschaft setzt auf kluge Köpfe, ihre Lernbereitschaft
und Kompetenz. Diese Potenziale wollen wir wecken – mit Phantasie und jeder Menge frischer Ideen.
Darüber haben wir die Wünsche all derer, die professionell in Buchgeschäft und Literaturvermittlung tätig sind, nicht aus dem Blick
verloren. Im Gegenteil: Mit verbesserter Logistik und neuen, ausschließlich Ausstellern und Fachbesuchern vorbehaltenen Orten für
effektives Arbeiten und zwanglose Begegnung wollen wir Ihnen den
Aufenthalt von der ersten Stunde an so angenehm wie möglich
machen. Leipzig wird sich im März wieder ein Stück gewandelt und
weiterentwickelt haben. Lassen Sie sich überraschen! Ein spannendes Bücherjahr wünscht Ihnen
Ihr Oliver Zille
Direktor der Leipziger Buchmesse
Junge Autoren im Rampenlicht
L 3 – Die Lange Leipziger Lesenacht
Dass junge Literatur formal aufregend und höchst lebendig sein kann,
lässt sich zur Leipziger Buchmesse immer wieder neu erfahren –
»Leipzig liest« bietet seit Jahren nicht nur ein Füllhorn an Stars,
sondern ist Forum für die wichtigsten Nachwuchstalente im
deutschsprachigen Raum. Am Messedonnerstag kann man sie gleich
dutzendfach erleben: L3 – die »Lange Leipziger Lesenacht« – macht
die Moritzbastei bereits zum dritten Mal zur großen Bühne für junge
Literatur. Eine Nacht der Entdeckungen – und ein großes Fest.
Erwartet werden rund 40 deutschsprachige Autorinnen und Autoren. Bekannte Namen wie Clemens Meyer oder Franziska Gerstenberg treffen auf neue, viel versprechende Stimmen, die zum Teil
druckfrische Bücher im Gepäck haben: Mark Pätzold etwa, Preisträger des Brigitte-Roman-Wettbewerbs 2006, der junge Schweizer
Philipp Tingler, die Lyrikerinen Ulrike Almut Sandig und Kerstin
Preiwuß, Annette Mingels, Heike Geißler, Harriet Köhler, Johanna
Straub, Robert Ide, Lena Gorelik, René Hamann oder Kolja Mensing.
Egal, ob sie aus großen Häusern wie Suhrkamp, S. Fischer, Hanser,
Eichborn oder Aufbau kommen oder bei kleinen Independents wie
Liebeskind, Tisch 7, Voland & Quist oder der Connewitzer Verlagsbuchhandlung unter Vertrag sind – auf den vier Bühnen der Moritzbastei kommen alle zum Zug. Natürlich auch jene, die noch auf ihr
erstes Buch warten: Neben den Studierenden der Schreibschulen in
Leipzig und Hildesheim präsentieren sich in Leipzig auch die jüngsten Talente – die Sieger des bundesweiten Wettbewerbs »Schülerinnen und Schüler schreiben«, der alljährlich von den Berliner Festspielen ausgerichtet wird.
Nach Lyrik und Prosa nonstop wird gefeiert: Wenn ab Mitternacht
der Autor und Popmusiker Jens Friebe hinter die Plattenteller steigt
und nebenan slowenische DJs Hochgeschwindigkeits-Tanzmusik vom
Balkan auflegen, dürfte es in der Moritzbastei – same procedure as
last year – heiß werden. Und sehr, sehr spät.
www.leipziger-buchmesse.de
L 3 – Lange Leipziger Lesenacht
22. März, ab 18 Uhr, Moritzbastei
I www.langeleipzigerlesenacht.de
*
Eine kleine Revolution
Professor Wassilios Fthenakis, Präsident des Didacta
Verbandes, über den Stellenwert frühkindlicher
Bildung, Institutionen übergreifende Bildungspläne
und Eltern als aktive Mitgestalter des Lernens
Nicht erst seit PISA wird über den Stellenwert frühkindlicher Bildung
debattiert. Spielen Kindergarten und vorschulisches Lernen hierzulande eine Nebenrolle?
Wassilios Fthenakis: Zum einen muss mehr in den vorschulischen
Bereich investiert werden, damit wir der OECD-Norm entsprechen.
Die besagt, dass mindestens ein Prozent des Brutto-Inlandsprodukts
in diesen Bereich fließen sollte. In Deutschland sind es derzeit aber
nur 0,42 Prozent. Andere Länder, etwa Schweden, tun da weitaus
mehr. Die Unterschiede zwischen einzelnen Bundesländern sind
heute oft größer als jene zwischen Deutschland und anderen Staaten. Das müssen wir überwinden.
Oft wird die Bildungsdebatte vor dem Hintergrund volkswirtschaftlichen Effizienzdenkens geführt. Manchen Eltern macht die
»Bildungsoffensive im Kindergarten« auch Angst …
Fthenakis: Das ökonomiegeleitete Denken der Politik ist oft sehr einseitig. Die Bildung dient primär dem Kind, und nicht anderen Akteuren oder Interessengruppen. Aber ich denke, man kann Eltern, die
fürchten, dass ihre Kinder überfordert werden, gar ihre Kindheit verlieren, beruhigen: Häufig unterfordern die heute gemachten Angebote die Kinder! Ich würde sogar so weit gehen, von einer chronischen
Unterforderung zu sprechen. Kinder sind neugierig, sie wollen etwas
über die sie umgebende Welt erfahren. Vieles, was Kindern angeboten wird, entspricht jedoch nicht ihrer Lern-Neugier! Moderne Bildung
drängt den Kindern nichts auf – sondern reagiert auf ihre Neugier.
Welche Rolle spielen dabei die Familien?
Fthenakis: Wir haben mit dem hessischen Bildungsplan, der ab
kommendem Jahr eingeführt wird, eine kleine Revolution angestoßen: Er ist nicht nur der erste Bildungsplan, der von der Geburt bis
zum Ende der Grundschule reicht. Auch das Monopol der Bildungsinstitutionen ist dort erstmals in Frage gestellt worden. Es gibt andere Lernorte, die zur Stärkung kindlicher Kompetenzen möglicherweise sogar mehr beitragen. Aus diesem, auch von der Forschung
bestätigten, Ansatz resultiert die Forderung, dass wir das alte Verständnis einer nur institutionell verankerten Form von Bildung überwinden – zugunsten der Einbeziehung aller Lernorte: Das können
Familien, Spielgruppen und Tagesmütter ebenso sein wie Vereine
mit entsprechenden Angeboten. Ich selbst war neulich zu Gast
beim Präsidium der Bayerischen Theaterakademie – und habe dort
den Standpunkt vertreten, dass Theater ein Lernort ist! Das heißt,
dass wir die Lernorte neu definieren und in einen übergreifenden
Bildungsplan einbeziehen müssen.
Wie kann man Eltern in diesem Prozess von Zaungästen zu
Mitgestaltern machen …
Fthenakis: Gerade in den ersten drei Jahren ist der Beitrag der Eltern
ungemein wichtig. Deshalb vertrete ich auch die Auffassung, dass
gerade für diesen Zeitraum die Bildungspläne aus der Perspektive
der Familie entworfen werden sollten – um dann, von dort ausgehend, die Anforderungen an die anderen Lernorte zu richten. Aus
zahlreichen Studien wissen wir, dass die Familie der beste Ort ist,
um kindliche Entwicklung zu optimieren. Zur Zeit entwickle ich
für die Südtiroler Regierung ein Konzept, wie man Eltern bereits in
den ersten Lebensjahren ihrer Kinder aktiv unterstützen kann. Auch
technologisch beschreiten wir dabei Neuland, denken Sie etwa an
die Möglichkeiten des Mediums Internet, Eltern zu begleiten und
Erzieher zu professionalisieren. Ein Anfang wurde bereits vor rund
fünf Jahren gemacht: Damals habe ich in Zusammenarbeit mit dem
Bundesfamilienministerium die Plattform I familienhandbuch.de
initiiert. Dafür haben mehr als 500 Experten Informationen für
Eltern mit Kindern von 0 bis 18 Jahren bereitgestellt. Eine Million
User pro Monat machen von diesem Angebot gebrauch, zunehmend
auch aus dem Ausland.
Für die Leipziger Buchmesse waren frühkindliche und schulische
Bildung seit jeher ein wichtiges Anliegen – was erwarten Sie von
der Partnerschaft des Didacta Verbandes mit der Messe?
Fthenakis: Wir erwarten drei Dinge: Zunächst wollen wir gemeinsam die Botschaft vermitteln, dass der Bildungsverlauf konsistent
gestaltet werden sollte: Es gilt, die größten Unterschiede zwischen
Kindergarten und Grundschule zugunsten einer gemeinsamen Bildungsphilosophie zu überwinden. Zum zweiten wollen wir einen
großen Schritt auf die Lehrer und Erzieher im Osten zugehen. Als
Didacta-Präsident sehe ich in unserem Messe-Engagement einen
deutlichen Beitrag zur Professionalisierung und zur Begleitung der
Entwicklungsprozesse auch in den neuen Bundesländern. Und
schließlich ein dritter Aspekt: Alle Welt spricht von Synergien –
wenn Messen wie die Didacta und die Leipziger Buchmesse ihre
Stärken zusammenbringen, können sie gemeinsam mehr erreichen!
Ich hoffe, dass hier ein Prozess eingeleitet wird, den wir gemeinsam
weiter verfolgen und stärken.
Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios E. Fthenakis*, geboren
1937 in Kilkis (Griechenland), gilt als einer der führenden Familienforscher
der Bundesrepublik. Der Pädagoge, Entwicklungspsychologe und Biologe
war bis Ende 2005 Leiter des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München
und seit 2002 ist er Professor für Entwicklungspsychologie an der Freien
Universität Bozen (Italien). Für die Regierungen von Berlin bis Peking hat
Fthenakis neue bildungs- und familienpolitische Konzepte erarbeitet und
ist federführend an der Entwicklung von Bildungsplänen für mehrere Bundesländer beteiligt. Seit 2006 ist Wassilios Fthenakis Präsident des Didacta
Verbandes – Verband der Bildungswirtschaft.
p Wassilios Fthenakis, Martin Textor (Hrsg): Knaurs Handbuch Familie.
Alles, was Eltern wissen müssen, 544 Seiten, Knaur 2004
I www.familienhandbuch.de I www.didacta.de
Lernen macht Schule
Wieso? Weshalb? Darum!
Die neue Themenwelt Kinder – Jugend – Bildung
Auf der Leipziger Buchmesse haben Familien Vorfahrt
Mit ihrem 1998 gestarteten Programmbereich Kinder – Jugend – Bildung hat die Leipziger Buchmesse aktive Leseförderung für Kinder
und Jugendliche mit den vielfältigen Möglichkeiten praktischer Bildungsarbeit verknüpft. Neben dem seit Jahren ungebrochenen Ansturm der jungen und jüngsten Besucher wird die Buchmesse von
vielen Lehrern für Projekttage mit ihren Schülern oder zur Teilnahme an den zahlreichen Fortbildungsangeboten der Verlage genutzt.
Wer sich am Buchmessen-Wochenende durch die Hallen schiebt,
kann sie nicht übersehen: Väter mit geschulterten Sprösslingen, kinderwagenschiebende Mütter. Und jede Menge Kids, aufgeregt nach
ihren Comic- und Jugendbuch-Helden Ausschau haltend. Auch in
diesem Jahr ist ein Familien-Messetag fast zu kurz, um die bunte
Welt der Bücher annähernd vollständig zu erkunden. Im Lese-Treff
und den Lesebuden herrscht Hochbetrieb, selbst Leipzigs OBM wird
zum Mikro greifen. Der »Planet Buch« von Random House lässt Kinder und Erwachsene hinter die Kulissen der Verlage blicken. Die
Jüngsten können im »Kindergarten Phantasiewerkstatt« nach Herzenslust spielen und basteln. In der Kinderbuchhandlung und im
Comic-Shop wachsen die Schlangen: Spendable Eltern und Leseratten, die ihr Taschengeld für Lektüre hinblättern. Schwinden die
Kräfte, relaxt man in der Junior-Hörbuch-Ecke unter Kopfhörern.
Ab 2007 wird die Messe ihre erfolgreichen Ausstellungsbereiche
»Schulbuch/Bildungsmedien« sowie »Kinder- und Jugendbuch«
weiter ausbauen und zu einer speziell auf die Bedürfnisse von Lehrern, Erziehern und Eltern zugeschnittenen »Themenwelt« weiterentwickeln. Besondere Bedeutung wird hierbei der frühkindlichen
und Vorschulbildung zukommen – genau jener Bereich, der in der
gesellschaftlichen Diskussion des Themas »Bildung« derzeit eine
radikale Neubewertung erfährt. Der Kindergarten von morgen wird
eine Bildungseinrichtung in einer sich rasant verändernden und
global vernetzten Welt sein; er wird sich gegenüber seiner Umwelt –
engagierten Eltern, den Schulen – öffnen müssen. Kindliche Kompentenzen werden künftig nicht nur in traditionellen Bildungsinstitutionen, sondern an vielen Lernorten gestärkt.
Lehrer, Erzieher und Eltern bei diesem Prozess zu begleiten, neue
Netzwerke zu schmieden und frische Ideen in den Lernalltag zu tragen, ist das Anliegen der Leipziger Buchmesse. Eine neue Partnerschaft setzt dabei Akzente: Der Didacta Verband, zu dessen Mitgliedern Unternehmen, Organisationen und Verbände aller Bildungsbereiche und Branchen gehören, lädt Erzieherinnen und Erzieher
an Kindereinrichtungen zu einem Symposium ein und plant eine
eigene Veranstaltungsreihe im Forum Kinder – Jugend – Bildung.
Kita-Symposium 23. März, 10– 17 Uhr, CCL, Saal 1
Veranstaltungen des Didacta Verbands
im Forum Bildung, Halle 2, Stand C 301
22. März, 11 Uhr: Jungenwelten und Mädchenwelten
22. März, 14 Uhr: Erziehungspartnerschaft mit Eltern
23. März, 12.30 Uhr: Beobachtung und Dokumentation
23. März, 14.30 Uhr: Eltern und Medien
Zentrum Bildung Halle 2,
mit Fachtreff, Gemeinschaftsstand und Forum Kinder–Jugend–Bildung
D K.Libuschewski g 0341.678 82 44 i [email protected]
I www.didacta.de I www.vds-bildungsmedien.de
Hofpause!
Zum zweiten Mal laden Leipziger Buchmesse, der Verband der Bildungsmedien (VdS) und der Didacta Verband Lehrer, Erzieher und
Fachbesucher aus dem Bildungsbereich zu einem gemeinsamen
Mittagsimbiss ein – eine gute Gelegenheit, bewährte Kontakte zu
pflegen und über neue Projekte ins Gespräch zu kommen.
Hofpause! 22. März, 12 Uhr, Fachtreff Bildung, Halle 2, Stand C 304
Die ausgelassene Szenerie lässt fast vergessen, dass Erziehung und
Bildung für viele Eltern alles andere als ein Kinderspiel sind. Der
Bildungsanspruch in unserer Gesellschaft wächst – ebenso wie die
Fülle von Lernhilfen, Lernspielen und Software, die von Schulbuch-,
immer häufiger aber auch Kinder- und Jugendbuchverlagen für den
»Nachmittagsmarkt« produziert werden. Am Gemeinschaftsstand
der Spieleverlage wie am Gemeinschaftsstand Bildung können sich
Eltern über das Angebot nahezu aller führenden Anbieter informieren. Das hier ebenfalls vertretene Internet-Portal Lernklick.de, das
seit Herbst 2005 Lernmedien bewertet, möchte gestressten Müttern
und Vätern die Qual der Wahl erleichtern. Beratung und Information
sind groß geschrieben. Sprunghaft wachsen wird in diesem Jahr die
Zahl der Veranstaltungen, in denen sich Wissenschaftler, Psychologen, Künstler und Autoren gezielt an Eltern wenden. Das Spektrum
reicht von Workshops zum Geschichten-Erfinden bis hin zu brisanten Themen wie Computer und Gewalt. Der Bleilaus Verlag und der
Freundeskreis Buchkinder, zwei Projekte für die Büchermacher von
morgen, präsentieren ihre Bestseller im Podium jünster Autoren. In
der Reihe »Soundcheck« können Kinder gemeinsam mit Musikern
des Leipziger Gewandhausorchesters ein neues Stück erfinden –
und ihr Buch-Konzert dann live aufführen. Wenn am Samstag im
Gewandhaus Klassik auf die Créme dé la Créme der deutschen
House-Szene trifft, begegnen sich große Kinder und jung gebliebene
Eltern. Generationskonflikt? Fehlanzeige!
Lesebude 1 Halle 2, Stand G 307/H 308
Lesebude 2 Halle 2, Stand G 302
Lese-Treff Halle 2, Stand C 210
Podium jüngster Autoren Halle 2, Stand K 207/L 208
Kindergarten Phantasiewerkstatt Glashalle
Junior-Hörbuch-Ecke Halle 3, Stand C 500
Gemeinschaftsstand Spieleverlage Halle 2, Stand F 213
Gemeinschaftsstand Bildung Halle 2, Stand B 300
Clubkultur & Dancefloor im Gewandhaus
24. März, ab 22 Uhr, Gewandhaus, Augustusplatz
Zukunft des Lesens
Junge Autoren und Verlage, die eben noch als Geheimtipp galten, werden in wenigen Jahren den Literaturbetrieb mitprägen. In Leipzig kann man ihnen schon
heute hautnah begegnen
Auf der Leipziger Buchmesse 2006 las Emma Braslavsky, WerkstattStipendiatin am Literarischen Colloquium Berlin (LCB), aus ihrem im
Entstehen begriffenen ersten Roman. Im Publikum saß auch eine
Lektorin des Claass Verlags, war begeistert – und nahm die junge
Autorin unter Vertrag. In diesem Frühjahr nun kommt ihr Roman
»Aus dem Sinn« in die Buchhandlungen. Eine Geschichte, die sich
in der 10jährigen Geschichte der »Autorenwerkstatt Prosa« des LCB
dutzendfach wiederholt hat. Grund genug für Lektoren und TalentScouts, sich den Messefreitag auch heuer dick im Terminkalender
anzustreichen: Die Veranstaltung »Prosa-Prognosen« präsentiert
zehn junge Autorinnen und Autoren, die an vier Wochenenden des
letzten Herbstes im LCB an ihren Texten feilten – sachkundig begleitet von den Seminarleitern Judith Kuckart und Joachim Helfer. Die
Absolventen-Liste der Talentschmiede am Wannsee ist lang und
weist klangvolle Namen auf. Ob es im Jubiläumsjahr der Autorenwerkstatt eine neue Judith Hermann, einen neuen Thomas Brussig
zu entdecken gibt? Die Prognosen stehen nicht schlecht.
Phantasiewerte
Junge literarische Verlage, mit knappen Mitteln gegründet, aber reich
an »Phantasiewerten«, gelten als eines der auffälligsten Buchmarktphänomene der letzten Jahre: Ein Sammelbecken für die kreativen
Ideen nachwachsender Autoren, Grafik-Designer und verlegerischer
Naturtalente. Die Atmosphäre des Aufbruchs ist auf der Leipziger
Buchmesse rund um die Leseinsel »Junge Verlage« mit Händen zu
greifen. Erneut werden sich hier ein gutes Dutzend junger Independent-Verlage mit einem opulenten Programm vorstellen und – neben
Lesungen und Diskussionen – auch zu geführten Rundgängen über
ihre Stände einladen. Das verspricht spannend zu werden, sind
doch in Leipzig neben bereits etablierten jungen Verlagen wie Kookbooks & Co. auch neue, exotisch schillernde Namen zu entdecken:
mairisch etwa, drei Hessen, die in Hamburg den ersten Verlag für
frei produzierte Hörspiele gegründet haben, Oktara aus Wuppertal
oder Primero aus München, der jungen Drehbuchschreibern eine
Veröffentlichungsplattform für innovative Prosa bieten möchte.
Leipzig am Meer
Die Gründungsmythen der jungen Verlage handeln von überraschend
stabilen Netzwerken, selbst erkämpfter Freiheit und glücklichen
Zufällen; ungewöhnliche Veranstaltungsformate und Partys sind
ebenso Teil ihrer Kommunikation wie die Bücher selbst. In Leipzig
sind die Grenzen zwischen Literatur und Leben besonders durchlässig; nicht zuletzt dank eines stets begeisterungsfähigen Publikums.
Nicht nur, wenn die Studenten des Deutschen Literaturinstituts Leipzig (DLL) in der alten Villa an der Wächterstraße ihre druckfrische
Anthologie »Tippgemeinschaft« feiern – und sich dabei vom Münchner DJ Benjamin Fröhlich, einem der derzeit angesagtesten Dancefloor-Helden Deutschlands, unter die Arme greifen lassen – werden
Leipziger Nächte sehr, sehr lang. Die Literaturzeitschrift »Edit« macht,
wenige Schritte von Altem Rathaus und Thomaskirche entfernt,
das Szenelokal »Telegraph« zum Anlaufpunkt für junge Literatur:
Georg Klein, Antje Rávic Strubel oder Henning Ahrens werden dort
aus ihren mit Spannung erwarteten neuen Büchern lesen. Dass die
Wahl-Hanseaten vom mairisch Verlag mit ihrer Party in einem Plattenladen namens »Seemannsglück« vor Anker gehen, muss nun
keinen mehr wundern. Haben wir es nicht schon immer gewusst?
Leipzig liegt am Meer.
Prosa Prognosen Glashallenforum, 23. März, ab 14 Uhr
I www.lcb.de
Leseinsel Junge Verlage Halle 5, 22.–25. März, Stand D 200
Release Party Tippgemeinschaft
DLL, Wächterstraße, 24. März, ab 21 Uhr
I www.uni-leipzig.de/dll
EDIT café telegraph Dittrichring 18–20
21.–24. März, geöffnet täglich ab 9 Uhr,
Abendveranstaltungen ab 20 Uhr
I www.editonline.de
I www.leipzig-liest.de
Lauschangriff
Trendradar
Eine Jurte, in der man neuen, aufregenden Produktionen junger Hörspielmacher lauschen kann? Was so ungewöhnlich klingt, wird es
im März 2007 bereits zum vierten Mal geben: Erneut richtet die
Leipziger Buchmesse, gemeinsam mit dem Hörspielsommer e.V.,
einen internationalen Hörspielnachwuchswettbewerb aus – diesmal
zum Thema »Zwischenrufe«. Die drei besten Arbeiten werden im
Rahmen einer öffentlichen Preisverleihung im ARD-Hörbuchforum
gekürt. Ein riesiger Spaß für alle, die dabei sind – und für so manchen unabhängigen Tonkünstler das Sprungbrett ins Radio.
Buchdesign kann das Lebensgefühl einer ganzen Generation transportieren. Viele junge Verlage inszenieren ihren grafischen Auftritt
ganz bewusst jenseits des Mainstreams. Frische Ideen und vielversprechende neue Talente strömen ihnen dabei aus den Ateliers der
Kunsthochschulen zu. Mehr als ein Dutzend Hochschulen und freie
Studienprojekte präsentieren sich auch in diesem Jahr im Rahmen
der buch + art, dem Buchkunstsegment der Leipziger Messe. Charmant, verspielt, selbstironisch, formbewusst – in Zeiten oft austauschbarer Programm-Identitäten lohnt der Blick auf die Leistungsschau des Kreativ-Nachwuchses.
4. Internationaler Hörspielwettbwerb
22.–25. März, Hörspielsommerjurte auf dem Messegelände
I www.hoerspielsommer.de
buch + art Halle 3
D Anja Walpert g 0341.678 82 47 i [email protected]
Information und Ethik
Entspannt arbeiten
Fachkongress mit Messeanschluss
Das neue Logistik-Konzept der Buchmesse
Information ist eines der Schlüsselwörter der 21. Jahrhunderts: Sie
hilft den Menschen, die Welt zu verstehen. Aus Information entsteht
Wissen, aus Wissen Bildung, aus Bildung Kultur. Doch Information
ist auch Ware: Sie wird produziert und profitabel verkauft – nicht
jeder kann sie sich leisten. Mit Informationen – raffiniert ausgewählt,
manipuliert, zurückgehalten – werden Machtstrukturen aufgebaut
und erhalten. Information kann als Mittel der Unterdrückung missbraucht werden.
Man könnte es eine Abstimmung mit den Füßen nennen: Seit ihrem
Umzug vor zehn Jahren hat sich die Zahl der Besucher der Leipziger
Buchmesse mehr als verdoppelt. Vor zwei Jahren haben wir uns
daher entschieden, den Messebetrieb von zwei großen auf vier kleinere Hallen zu entflechten. Doch das Mehr an Fläche und Komfort
bedeutete für nicht wenige von Ihnen längere Wege. Und wer am
turbulenten Messesamstag in der Glasröhre zwischen den Hallen 4
und 5 vorwärts zu kommen versuchte, hatte oft mehr Tuchfühlung
mit dem Lesepublikum, als ihm lieb war.
Hjertelig velkommen!
Der 3. Leipziger Kongress für Bibliothek und Information widmet
sich der ganzen Bandbreite ethischer Aspekte eines janusköpfigen
Phänomens. Zur zentralen Fortbildungsveranstaltung der deutschen
Bibliotheks- und Informationsverbände, die in diesem Jahr zum dritten Mal in zeitlicher Kombination mit der Leipziger Buchmesse
stattfindet, werden annähernd 3000 Informationsspezialisten und
Bibliothekare aus ganz Deutschland erwartet. Bereichert wird der
viertägige Kongress durch eine umfangreiche Firmenausstellung, auf
der sich rund 130 Dienstleister verschiedenster Branchen präsentieren. Erstmals wird die Veranstaltung ihren Fokus auch auf ein Gastland richten: Als eines der europäischen »Best-Practice-Länder«
stellt sich Dänemark mit seinen Bibliotheken vor. Unter Experten gilt
das dänische Bibliothekswesen als beispielhaft besonders in Fragen
national übergreifender Strategien und bei Förderkonzepten für
Innovationen. Dänische Kollegen werden mit Vorträgen und einer
Ausstellung in Leipzig präsent sein und zudem an einer Reihe von
Podiumsdiskussionen teilnehmen.
Schulterschluss der »Book Economy«
Ausgerichtet wird der Leipziger Kongress von der Bibliothek & Information Deutschland (BID). Sie ist der Dachverband der Institutionenund Personalverbände des Bibliothekswesens, der Verbände des
Informationswesens und zentraler Einrichtungen der Kulturförderung
in Deutschland. Die BID vertritt deren Gesamtinteressen auf nationaler und europäischer Ebene sowie in internationalen Gremien. Ihr
Ziel ist die Förderung und Weiterentwicklung von Dienstleistungen
und Innovationen der Informationsversorgung durch Bibliotheken
und Informationseinrichtungen als Garantie demokratischer Informations- und Wissensbildung. »Mit ihrem Auftrag zur Informationsvermittlung sind Bibliotheken auch Teil der Book Economy«, meint
BID-Sprecherin Barbara Lison. »Deswegen begrüße ich die Verbindung zur Leipziger Buchmesse ganz besonders – ganz abgesehen
von der wunderbaren Atmosphäre, die durch das gemeinsame Flanieren von Buchhändlern, Verlegern und Bibliothekaren auf dem
Messegelände und in der Stadt entsteht.«
Information und Ethik CCL, 19.–22. März
3. Leipziger Kongress für Information und Bibliothek
Firmenausstellung: 19.–21. März, CCL
I www.bid-kongress2007.de I www.bideutschland.de
Um Ihnen die nötige Ruhe für Fachgespräche zu garantieren und
den Weg zu Ihrem nächsten Termin nicht zum Hindernislauf geraten
zu lassen, gehen wir im März 2007 mit einem erweiterten logistischen Konzept an den Start. Dazu gehören neue Aussteller- und
Publikumseingänge, mehr Garderoben und Toiletten und eine optimierte Wegeführung, die die Laufzeiten zwischen den Hallen spürbar verkürzt. Noch schneller sind Messe-Profis mit dem Bus-Shuttle.
Vor allem durch neu geschaffene Fachzentren, die ebenfalls Ausstellern und Fachbesuchern vorbehalten bleiben, werden sich die
Arbeitsbedingungen auf der Messe noch einmal deutlich verbessern.
Das neue Logistik-Konzept gibt der Messe Freiraum, sich weiterzuentwickeln – ohne den speziellen Leipzig-Charme zu verlieren. Testen Sie uns! Das einzige, was wir nicht weiter optimieren können,
ist Ihr Terminkalender.
Buchhändlerlounge Halle 5, Stand B 600
In angenehmer Atmosphäre ausruhen, Gespräche führen und günstig essen.
Fachzentrum CCL, Mehrzweckflächen 1 und 2: Arbeitsbereich mit PC,
Internetzugang, Kopierer und Fax. Gastronomisches Angebot.
Fachtreff Café Montparnasse
Halle 4, Stand A 501: Treffpunkt für Aussteller und Fachbesucher.
Fachtreff Bildung Halle 2, Stand C 304: Café und Treffpunkt für
Aussteller und Fachbesucher aus dem Bildungsbereich.
I www.leipziger-buchmesse.de
Gemeinsam reisen!
Gemeinsam mit dem Arbeitskreis kleiner Sortimenter (AkS) unterstützt die Buchmesse in diesem Jahr Buchhändler bei der Organisation von Kundenreisen nach Leipzig. Das Angebot reicht von Ticketbuchungen über Hilfe bei der Hotelreservierung bis hin zur Programmgestaltung. Bei Buchungen ab 10 Personen kostet die TagesEintrittskarte zur Messe 7,50 € pro Person statt 11 €. »Wir möchten
den Buchhändlern die Möglichkeit bieten, das Erlebnis Buchmesse
mit ihren Kunden zu teilen«, erklärt Oliver Zille, Direktor der Leipziger Buchmesse. »Verstärkt wollen wir Buchhändler aus den alten
Ländern ermutigen, diesen Service zu nutzen.«
Informationen über Gruppenreisen für Buchhandelskunden:
I www.leipziger-buchmesse.de/buchhaendler
Hier wird Schneider
verschwinden
Wie ich nach Leipzig kam
Von Thomas Pletzinger
Schneider kennt diese Stadt, sagt Schneider, als ich ihm das erste
Mal begegne. Ich stehe zwischen zwei Koffern und einer Nachttischlampe vor dem Bahnhof und kenne Leipzig nicht, ich wollte ihn
gerade fragen. Schneider sitzt auf der Motorhaube eines taxifarbenen Volvo in der Herbstsonne. Schneider wurde hier geboren, sagt
er und wirft mein Gepäck dahin, wo einmal eine Rückbank gewesen
sein muss, hier will er begraben werden. Schneider öffnet die Tür
und fegt den Beifahrersitz leer, Zeitungen, Plastikflaschen, Tabakdosen, Münzen, Blumen, Laub. Ich setze mich auf das falsche Bärenfell, Schneider lässt den Motor an:
Wohin führt uns dein Weg?
Ich komme gerade erst an.
Wirst du bleiben?
Ein paar Jahre vielleicht.
Für einen Zehner, sagt Schneider, bringt Schneider dich dahin, wo
diese Stadt am schönsten ist.
Schneider fährt durch die Stadt, Schneider kaut Tabak, Schneider
spuckt an jeder Ampel aus dem Fenster. Das Schauspielhaus, sagt
er und winkt aus dem Fenster, das Neue Rathaus hier links, dort
vorn das Gericht im goldenen Herbst! Schneider fährt langsamer
als erlaubt, die Hupen hupen lauter als erwartet. Schneider summt
ein Lied, Schneider singt Am Brunnen vor dem Tore. Ich halte die
Nachttischlampe zwischen den Knien. Wir fahren an einem bunt
leuchtenden Park vorbei, ich sage:
Im Grünen wäre gut.
Im Clara-Zetkin-Park?
Warum nicht.
Schneider ist immer quer über die Gleise gefahren, sagt Schneider
und fährt quer über die Gleise. Eine Tram Richtung Thekla kommt
kreischend zum Stehen. Schneider biegt in den Park und lenkt den
Wagen über Wege und Wiesen, die Fahrräder klingeln, die Enten
schreien, die Fußgänger brüllen. Wir fahren über Brücken und durch
einen Wald. Ein Pferd wiehert auf der Rennbahn Scheibenholz, die
Raben johlen in den Bäumen. Schneider klemmt sich eine trockene
Blume hinters Ohr, willkommen in Leipzig, sagt er, willkommen.
In dieser Stadt, sagt Schneider, kann man die Zeit beim Vergehen
erwischen. Schneider rollt um die Schlaglöcher der Südvorstadt und
spuckt aus dem Fenster. Auf einer Seite der Braustraße stehen
Wohnhäuser, auf der anderen Ruinen. Schneider hält an und steigt
aus. Das hier, sagt Schneider und zeigt auf ein vernageltes Tor,
einen Torbogen und vier Stockwerke lackierte Ziegel, die Fenster
ausgestochene Augen, das war eine Bonbonfabrik und die Straße
riecht nach Lakritz und Karamell. Honig? Kannst du es riechen? Pfefferminz? In der Dachrinne wächst eine Birke. Schneider fährt mit
den Fingern über die alten Ziegel, er erklärt mir den Bonbonverkauf,
das Leuchten der Birkenblätter, er erklärt mir das Moos auf den
Ruinen. An einem Wohnhaus gegenüber hängt ein Schild: Zu vermieten! Schneider stellt meine Koffer unter das Schild. Diese Stadt,
lobt Schneider, ist ein herzzerreißender Drecksack. Diese Stadt ist
wie unser Leben. Aber schön, sage ich und will Schneider bezahlen,
doch Schneider macht kehrt. Aber ehrlich, sagt er und steigt in den
Volvo, aber wahr.
Als ich Schneider das zweite Mal begegne, liegt nasser Schnee an
der Stelle, wo mein Fahrrad vor dem Bahnhof stand. Er lehnt in
einem grünen Militärmantel an seinem Volvo, auf dem Kopf eine
Mütze aus falschem Bärenfell. Fahrrad weg?, fragt Schneider und
schmilzt mit dem Finger Blumen in das Eis auf der Scheibe, ja?
Alles verliert sich, steig ein, Schneider fährt dich umsonst! Schneider kennt den Weg, sagt Schneider und fährt mich nach Hause.
Schneider rollt die Straße entlang, dann stottert der Motor und geht
aus. Wo die Bonbonfabrik stand, steht jetzt ein Aldi. Es riecht nach
Teer und Schnee. Nichts bleibt, alles vergeht, sagt Schneider und
wirft die Tür ins Schloss. Er stellt meine Tasche vor meine Haustür.
Schneider geht ab jetzt zu Fuß, sagt Schneider zum Volvo und küsst
ihn auf die Motorhaube, er küsst den alten Volvo auf die Stirn.
Und geht. Und geht die Straße hinunter. Und biegt um die Ecke.
Beim dritten Mal liegt die Dämmerung über der Karl-LiebknechtStraße. Schneider steht am China-Imbiss Shin Shin neben dem
Volkshaus und trinkt Bier aus der Dose. Für zwei Euro, sagt Schneider, gibt es hier den besten Bratreis der Stadt. Ich lade Schneider
ein, ich bin Schneider einiges schuldig. Heute, mein Junge, sagt
Schneider, ist die blaueste Stunde des Jahres. Wohlsein! Ich bin jetzt
drei Jahre hier, sage ich. Wir essen Bratreis, in den Märzhecken ächzen die Raben. Der Volvo ist Schrott, sagt Schneider, aber siehst du
die Sterne leuchten? Schneider wirft die weiße Dose in hohem
Bogen auf den Parkplatz hinter dem Imbiss, eine Dose eine Sternschnuppe! Siehst du die Sterne?, fragt Schneider, seit Jahren tot, aber
das Leuchten lebt noch immer. Wir essen den besten Bratreis der
Stadt, in der Schneider geboren wurde. Wir erwischen die Zeit beim
Vergehen. Der Frühling wird Schneider auf den Wiesen finden, am
Ufer seiner dreckigen Weißen Elster, die Laternen auf den rostigen
Brücken seine Nachttischlampen, das Gras wird um ihn wachsen,
der Bärlauch im Auwald, das Wiesenschaumkraut, das Lindenlaub,
die Birkenblätter, die Enten und Raben werden ihn besingen, Honig
und Pfefferminz, Schneider wird langsam verschwinden, im Sommer, im Herbst, im Winter. Dort, wo diese Stadt am schönsten ist.
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Thomas Pletzinger* wurde 1975 in Münster geboren, wuchs im
Ruhrgebiet auf und absolvierte ein Studium der Amerikanistik in Hamburg.
Dort und in New York arbeitete er für Buchverlage und Literaturagenturen.
Er lebt in Leipzig, studiert am Deutschen Literaturinstitut und schreibt an
einer Dissertation zu amerikanischer Gegenwartslyrik. 2006 erhielt er diverse
Stipendien, gewann den MDR-Literaturwettbewerb und war Teilnehmer am
International Writing Program der University of Iowa. Sein Romandebüt wird
im Frühjahr 2008 im Verlag Kiepenheuer & Witsch erscheinen.
Lange Leipziger Lesenacht 22. März, Moritzbastei
EDIT-Lesung 24. März, 19 Uhr, Café Telegraph
Release-Lesung und Geburtstagsparty der Tippgemeinschaft
24. März, 21 Uhr, Deutschen Literaturinstitut Leipzig
I www.leipzig.de I www.langeleipzigerlesenacht.de
Herausgeber
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