34 BauGB - Nomos Shop

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II. Bauplanungsrecht
5. Bauvorhaben im nichtbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB)
a)
Abgrenzung Innenbereich – Außenbereich
109 Der Bereich des Gemeindegebiets, für den kein Bebauungsplan vorhanden ist, wird von § 34
BauGB (Innenbereich) oder § 35 BauGB (Außenbereich) erfasst. Dabei ist der Außenbereich
nicht – anknüpfend an »außen« – mit Natur, freier Landschaft oder Stadtferne identisch; vielmehr umfasst der Außenbereich alles, was außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans und außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegt, in denen die vorhandene
Bebauung den Ordnungsfaktor für die Bebauung bisher nicht bebauter Grundstücke bildet
(BVerwGE 41, 227).
Bsp. (BVerwGE 41, 227): Die Bebauung eines ca. 7 ha großen, unbebauten Geländes in Köln, das auf
allen Seiten von bebauten Gebieten bzw. Verkehrsanlagen umgeben ist, richtet sich nach § 35 BauGB,
weil die umgebende Bebauung wegen der räumlichen Entfernung nicht in der Lage ist, prägend auf ein
Bauvorhaben in der Mitte der freien Fläche zu wirken – sog. Außenbereich im Innenbereich (s. dazu auch
BVerwG NJW 1977, 1978– 6,5 ha große Freifläche inmitten des bebauten Gebiets; NJW 1984, 1576).
§ 34 BauGB kann demnach nur dort Anwendung finden, wo die vorhandene Bebauung einen
städtebaulichen Ordnungsfaktor für zukünftige Bauvorhaben darstellt, sodass die städtebaulichen Belange des § 1 Abs. 5 – 7 BauGB gewahrt bleiben. Eine Bebauung nach § 34 BauGB
scheidet dagegen aus, wenn die städtebauliche Ordnung wegen der Größe der freien Fläche
nur durch Aufstellung eines Bebauungsplans gewahrt werden kann. § 34 BauGB ist kein
Ersatzplan anstelle eines Bebauungsplans, sondern lediglich ein Planersatz, solange ein
Bebauungsplan noch nicht aufgestellt worden ist (BVerwGE 62, 151 = NJW 1981, 2720; NVwZ
1999, 527; 2000, 1169).
Was Innen- und was Außenbereich ist, lässt sich nicht unter Anwendung fester Maßstäbe
bestimmen; vielmehr bedarf es einer Wertung und Bewertung des jeweiligen Sachverhalts,
mithin einer umfassenden, die gesamten örtlichen Gegebenheiten erschöpfend würdigenden
Betrachtungsweise – unter Berücksichtigung der dazu ergangenen Rechtsprechung: Ein im
Zusammenhang bebauter Ortsteil i. S. d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt danach einen
Bebauungszusammenhang mit Ortsteilsqualität voraus.
110 Ein Bebauungszusammenhang (s. dazu BVerwGE 31, 20; 41, 227; 75, 34 = NVwZ 1987, 406;
NuR 1997, 548; NVwZ 2001, 70) besteht dann, wenn (tatsächlich) eine aufeinanderfolgende
und zusammenhängende Bebauung vorhanden ist, die (trotz Baulücken) den Eindruck der
Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt, die zur Bebauung vorgesehene Fläche
an diesem Eindruck teilnimmt, also Bestandteil des Bebauungszusammenhangs ist, und sich
ihre Bebauung als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt.
Der Bebauungszusammenhang wird durch sog. Baulücken, d. h. einzelne unbebaute oder der
Bebauung entzogene Grundstücke (Sportplatz, Parkanlage, Felsen) nicht unterbrochen, soweit
der Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit erhalten bleibt (BVerwGE 31, 20;
35, 256; NVwZ 1997, 899). Etwas anderes gilt dann, wenn die Baulücke so groß ist, dass die
vorhandene Bebauung keinen prägenden Einfluss auf die Bebauung der Baulücke ausüben
kann (BVerwGE 41, 227; VGH Mannheim NVwZ-RR 2000, 481); als maximale Größe einer
Baulücke, die den Bebauungszusammenhang noch nicht unterbricht, gelten bei aufgelockerter
Bebauung ca. 150 m (BVerwG Buchholz 406.11 § 34 Nr. 29; a. A. OVG Bremen BRS 44 Nr. 50);
bei einer Distanz von 160 m wurde eine Baulücke bereits verneint (VGH Mannheim VBlBW
1987, 23; VGH München BauR 1989, 309 – 130 m), bei 90 m demgegenüber bejaht (VGH
Mannheim BauR 1987, 59; BauR 1992, 45).
111 Ein Ortsteil setzt voraus, dass die vorhandene Bebauung Ausdruck einer organischen
Siedlungsstruktur ist; die Ansiedlung muss nach der Zahl der vorhandenen Gebäude ein
gewisses Gewicht haben. Zu Letzterem lassen sich allerdings keine festen Zahlenangaben
B. Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben
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machen, es kommt vielmehr auf die jeweilige Siedlungsstruktur an (BVerwG ZfBR 1984, 151;
NVwZ-RR 2001, 83). Das städtebauliche Gewicht eines Ortsteils muss jedenfalls über das einer
Splittersiedlung (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB) hinausgehen (BVerwG NVwZ-RR 2001, 83).
Das BVerwG hat z. B. bei vier Gebäuden einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil verneint
(BauR 1977, 396; 1994, 495), ebenso bei sechs Gebäuden in einem dünn besiedelten Gebiet
(NVwZ-RR 1994, 371). Der VGH Mannheim hat bei sieben teils für Wohnzwecke, teils für
landwirtschaftliche Zwecke genutzten Gebäuden eine Anwendung des § 34 BauGB abgelehnt
(VGH Mannheim NuR 1993, 322); bei fünf Wohn- und fünf landwirtschaftlichen Gebäuden
sowie einem Gasthaus dagegen bejaht (VGH Mannheim BauR 1984, 496), ebenso bei zwölf
Wohngebäuden (VGH Mannheim BauR 1987, 59), andererseits aber bei elf Wohngebäuden
einen Ortsteil verneint (VGH Mannheim VBlBW 1997, 342). Diese Beispiele zeigen, dass die
»quantitative Schwelle« für einen Ortsteil bei etwa zehn bis zwölf Gebäuden liegt, wobei dieser
Wert lediglich einen groben Anhaltspunkt darstellen kann. In jedem Fall ist aber Voraussetzung
für § 34 BauGB, dass die Bebauung nicht völlig regel- und systemlos erfolgt sein darf, sondern
eine funktionsbedingte organische Siedlungsstruktur vorhanden ist; das BVerwG hat z. B. 30
wahllos in die Landschaft gestreute Gebäude nicht als im Zusammenhang bebauten Ortsteil
angesehen (BVerwG BauR 1976, 185); das gleiche gilt für 19 Gebäude entlang einer Straße
(BVerwG ZfBR 1984, 151; s. auch OVG Münster BauR 1996, 688).
Unter den Begriff Bebauung fällt nicht jede bauliche Anlage. Gemeint sind vielmehr Bauwerke, 112
die für die angemessene Fortentwicklung der vorhandenen Bebauung maßstabsbildend sind.
Dies trifft ausschließlich für Anlagen zu, die optisch wahrnehmbar und nach Art und Gewicht
geeignet sind, ein Gebiet als einen Ortsteil mit einem bestimmten städtebaulichen Charakter zu
prägen. Unberücksichtigt bleiben daher im Regelfall Baulichkeiten, die nicht für einen ständigen
Aufenthalt bestimmt sind, unabhängig davon, ob sie landwirtschaftlich Zwecken (Scheune,
Stall), Freizeitzwecken (Gartenhaus, kleines Wochenendhaus) oder sonstigen Zwecken dienen
(BVerwG BauR 2000, 1310; NVwZ 2001, 70; BRS 64 Nr. 86; BauR 2002, 1825); ein Gebäude,
das nur zu bestimmten Jahreszeiten dem Aufenthalt von Menschen dient, kann aber für die
Umgebung prägend sein (BVerwG BauR 2002, 1827 – Sanitärgebäude eines Campingplatzes).
Unberücksichtigt bleiben ferner bauliche Anlagen, die optisch kaum in Erscheinung treten,
auch wenn sie bauliche Anlagen i. S. d. § 29 Abs. 1 BauGB sind (BVerwG NVwZ 1993, 985 –
Stellplatz; BauR 1993, 303 – befestigter Reitplatz; BauR 2000, 1171 – Tennisplatz; VGH
Mannheim VBlBW 1996, 381 – kleiner Schuppen; NVwZ-RR 2000, 481 – Bocciabahn). Ein
Sportplatz stellt auch dann keinen Bebauungszusammenhang her, wenn auf ihm einzelne
untergeordnete bauliche Nebenanlagen wie Kassenhäuschen oder Flutlichtmasten vorhanden
sind (BVerwG NVwZ 2001, 70).
Maßgeblich sind die tatsächlich vorhandenen Gebäude, auch wenn diese materiell-rechtswidrig
bzw. ungenehmigt sind, sofern sie die Bauaufsichtsbehörde mit ihrem Vorhandensein dauerhaft
abgefunden hat (BVerwG BRS 54 Nr. 65; 60 Nr. 82 = NVwZ-RR 1999, 364; OVG Münster
NVwZ-RR 1993, 400). Eine widerruflich oder befristet genehmigte Bebauung, bei der die
Bauaufsichtsbehörde stets zu erkennen gegeben hat, dass sie sie nicht auf Dauer genehmigen
oder auch nur dulden werde, ist nicht als vorhandene Bebauung zu berücksichtigen (BVerwG
NVwZ-RR 1999, 364). Ebenfalls nicht zu berücksichtigen sind zwar genehmigte, aber noch
nicht errichtete Gebäude (BVerwGE 35, 256; BauR 1993, 445; 2000, 1171) oder ein
Bebauungsplangebiet, das noch nicht bebaut ist; vorhandene Bebauung kann dagegen auch
die eines Bebauungsplangebiets sein (BVerwG NVwZ 2001, 70). Auch ein Gebäude, das
wegen Aufgabe seiner militärischen Nutzung seinen Bestandsschutz verloren hat, kann für
den Bebauungszusammenhang berücksichtigt werden (BVerwG NVwZ 2003, 211).
Der Innenbereich endet – unabhängig vom Verlauf der Grundstücksgrenzen (BVerwGE 35, 113
256; BauR 1989, 60) und unabhängig von den Darstellungen des Flächennutzungsplans
(BVerwG ZfBR 2000, 426) – unmittelbar hinter der letzten Bebauung des im Zusammenhang
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II. Bauplanungsrecht
bebauten Ortsteils (BVerwG BRS 28 Nr. 28; 63 Nr. 99; VGH Mannheim VBlBW 1993, 430;
1995, 432); er erstreckt sich noch auf die hinter dem Haus gelegene Hof- und Gartenfläche,
wo allerdings nur noch Nebenanlagen zulässig sind (BVerwG BauR 1989, 60; OVG Saarlouis
BauR 1989, 56; OVG Bautzen NVwZ-RR 2001, 426). Eine Fläche, die unmittelbar an das letzte
vorhandene Gebäude des Innenbereichs anschließt, zählt daher bereits zum Außenbereich
(BVerwG NVwZ-RR 1998, 156).
Eine Ausnahme gilt allerdings für den Fall, dass sich hinter dem letzten Gebäude eine
unbebaute Fläche anschließt, die ihrerseits deutlich durch natürliche Hindernisse, etwa eine
Böschung (VGH Mannheim BauR 1990, 576), einen Fluss (BVerwG BauR 2000, 1310) oder
eine Straße von der freien Landschaft abgegrenzt ist, sodass die freie Fläche im Anschluss an
den Bebauungszusammenhang noch als Teil des Innenbereichs erscheint; Voraussetzung ist
jedoch, dass es sich bei der Freifläche nur um einige wenige Grundstücke von der Größe
einer Baulücke handelt (BVerwGE 55, 369 = BauR 1978, 276; VGH Mannheim BRS 50
Nr. 71). Eine weitere Ausnahme stellt der Fall dar, dass die Fläche bebaut war und das neue
Bauvorhaben als Ersatz für das frühere Gebäude anzusehen ist; dabei muss allerdings ein
gewisser zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Untergang des alten Bauwerks und dem
Neubau bestehen (BVerwG BauR 1987, 52; 1988, 574; 2000, 1171; NVwZ 1999, 524). Ein
solcher zeitlicher Zusammenhang kann sogar nach zwölf Jahren noch gegeben sein, wenn die
Wiederbebauung sich wegen Verhandlungen mit der Gemeinde über die zukünftige bauliche
Nutzung des Grundstücks verzögert (BVerwGE 75, 34 = NVwZ 1987, 406).
Der Bebauungszusammenhang endet aber stets an der Gemeindegrenze, da – entsprechend
der Planungshoheit der Gemeinde – nur auf die Bebauung im jeweiligen Gemeindegebiet
abzustellen ist; die Bebauung der Nachbargemeinde bleibt unberücksichtigt (BVerwGE 27,
137; 28, 268; NVwZ 1999, 527; NVwZ-RR 2001, 83).
114 Um Zweifel an der Abgrenzung Innen- / Außenbereich zu beseitigen, kann die Gemeinde
gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB die Grenze für die im Zusammenhang bebauten
Ortsteile durch Satzung festlegen (s. dazu Hansen DVBl 1986, 1044; Dyong ZfBR 1982, 109).
Eine solche Abgrenzungs- bzw. Klarstellungssatzung hat nur deklaratorische Bedeutung
(BVerwG BauR 1990, 451; VGH Mannheim VBlBW 1993, 379; OVG Bautzen SächsVBl
2001, 15 und 79; Battis / Krautzberger / Löhr § 34 Rdnr. 64; Berliner Kommentar § 34 Rdnr.
61; a. A. VGH München BayVBl. 1993, 573; Jean d’Heur NVwZ 1995, 1174; Schink DVBl
1999, 367; s. dazu auch BVerwG NVwZ-RR 1995, 429 – offen gelassen), begründet also
nicht die Innen- bzw. Außenbereichsqualität eines Grundstücks. Dies folgt daraus, dass für
diese Satzung – anders als für die Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauGB –
keine (verfahrens)rechtlichen Anforderungen gelten und keine Festsetzungen getroffen werden
können (s. dazu § 34 Abs. 5 und 6 BauGB). Bei dem Erlass einer Satzung gemäß § 34 Abs. 4
Satz 1 Nr. 1 BauGB handelt es sich mithin um schlichte Rechtsanwendung der Gemeinde.
b)
Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung (§ 34 Abs. 1 BauGB)
Die Zulässigkeit eines innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils gelegenen
Bauvorhabens bestimmt sich – soweit keine sog. Innenbereichssatzung gemäß § 34 Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 und 3 BauGB vorhanden ist – nach § 34 Abs. 1– 3 a BauGB. Dabei ist hinsichtlich
der Art der baulichen Nutzung § 34 Abs. 2 BauGB zuerst zu prüfen, sofern sich die nähere
Umgebung des Bauvorhabens einem der Baugebiete der §§ 2 ff. BauNVO entspricht (BVerwG
NVwZ 1995, 897; 2000, 1050; s. dazu Rdnr. 119).
Zu berücksichtigen ist, dass die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung (s. dazu Rdnr. 25 ff.)
im Innenbereich nicht anzuwenden (§ 21 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG), aber das Benehmen
mit den für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden herzustellen ist (§ 21
Abs. 3 Satz 1 und 2 BNatSchG). Ebenso wie der Biotopschutz (§ 30 BNatSchG) können FFH-
B. Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben
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und Vogelschutzrichtlinie eine Rolle spielen (s. dazu BVerwGE 112, 321 = NVwZ-RR 2001,
1040); ggf. ist eine entsprechende Verträglichkeitsprüfung durchzuführen (§ 37 Abs. 1 Satz 2
BNatSchG).
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der 115
baulichen Nutzung, Bauweise und überbaubarer Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren
Umgebung einfügt, die Erschließung gesichert ist, die Anforderungen an gesunde Wohn- und
Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird.
Wie weit der Bereich der für eine Beurteilung maßgeblichen näheren Umgebung zu ziehen ist,
richtet sich insbesondere nach dem Einwirkungsbereich des Vorhabens. So ist die Umgebung
insoweit zu berücksichtigen, als sie den Charakter des Baugrundstücks prägt, und insoweit, als
sich das Vorhaben auf sie auswirken kann (BVerwGE 55, 369 = BauR 1978, 276; E 62, 151
= NJW 1981, 2770; E 84, 322 = NVwZ 1990, 755); demnach ist der maßgebliche Bereich bei
einem immissionsträchtigen Gewerbebetrieb wesentlich größer als bei einem Wohngebäude
(Ernst / Zinkahn / Bielenberg § 34 Rdnr. 46).
§ 34 BauGB lässt ein Bauvorhaben nur zu, wenn es sich in die vorhandene Bebauung einfügt. 116
Einfügen bedeutet (BVerwGE 55, 369 = NJW 1978, 2564; E 67, 23 = NJW 1983, 2713; NVwZ
1995, 698; 1999, 524), dass das Bauvorhaben in jeder Hinsicht innerhalb des sich aus seiner
Umgebung hervorgehenden Rahmens hält und diesen Rahmen nicht überschreitet.
Bsp. (BVerwGE 55, 369): Ist in der Umgebung eine zwei- bis viergeschossige Bebauung vorhanden, dann
kann das zu errichtende Gebäude zwei, drei oder vier Geschosse aufweisen, ein eingeschossiges oder
fünfgeschossiges Gebäude ist demgegenüber unzulässig.
Ein Überschreiten des Rahmens ist ausnahmsweise unschädlich, wenn dadurch die »städtebauliche Harmonie« nicht beeinträchtigt wird, d. h. keine städtebaulichen Spannungen
begründet oder vorhandene Spannungen verstärkt werden (BVerwG NVwZ 1999, 524). So
kann sich z. B. ein fünfgeschossiges Gebäude noch in eine zwei- bis viergeschossig bebaute
Umgebung einfügen, wenn es in einer Bodensenke errichtet werden soll; eine in der näheren
Umgebung nicht noch einmal vorhandene bauliche Anlage kann sich gleichwohl einfügen,
wenn sie keine städtebaulichen Spannungen hervorruft (BVerwGE 67, 23 = NJW 1983, 2713 –
Windkraftanlage; BauR 1994, 81; NVwZ 1995, 698; BauR 1999, 373 – Kurhaus). Umgekehrt
kann trotz des Einhaltens des Rahmens die städtebauliche Harmonie gestört werden – das
BVerwG spricht von »Unruhe stiften« bzw. »die vorgegebene Situation belasten, stören oder
verschlechtern, negativ in Bewegung bringen« –, wenn etwa bei zwei- bis viergeschossiger
Bauweise ein viergeschossiges Gebäude errichtet wird, das statt der üblichen 2,7 m pro
Geschoss eine Geschosshöhe von 3,5 m aufweist. Das Gleiche gilt, wenn das Vorhaben sich –
noch – einfügt, aber eine sog. negative Vorbildwirkung entfaltet, indem es andere gleichartige
Vorhaben nach sich zieht und so die Situation »zum Umkippen« bringt (BVerwGE 44, 302; NJW
1980, 605; 1981, 473).
Bsp. a) (BVerwG NJW 1981, 139): Die Errichtung einer Schweinemastanlage kann in einem Dorfgebiet
unzulässig sein, wenn zu erwarten ist, dass weitere Landwirte diesem Beispiel folgen werden.
b) (BVerwG NVwZ 1995, 698): Eine Spielhalle fügt sich in einen bisher mit Wohn- und Geschäftshäusern
bebauten Bereich nicht ein, wenn mit der Ansiedlung weiterer Spielhallen und damit dem sog. trading-downEffekt zu rechnen ist.
c) (VGH Mannheim UPR 1998, 273): Ein Ziegenstall fügt sich wegen der von diesen Tieren ausgehenden
Gerüchen nicht in ein Wohngebiet ein.
Zur Auslegung des Begriffs des Einfügens kann auch auf die BauNVO als sachverständige
Konkretisierung städtebaulicher Planungsgrundsätze abgestellt werden (BVerwGE 32, 31;
NVwZ 1987, 884; 1995, 698). Dies bezieht sich vor allem auf die §§ 2 ff. BauNVO, während die
Höchstwerte des § 17 BauNVO nicht maßgeblich sind (VGH Kassel BauR 1989, 66). Es kommt
nämlich für das Einfügen nicht auf die Grundstücksgrenzen an; maßgeblich ist der tatsächliche
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II. Bauplanungsrecht
Gesamteindruck (BVerwG BauR 1989, 60; NVwZ 1987, 1080). Dem abstrakten Maß der
baulichen Nutzung (Geschossflächenzahl, Grundflächenzahl) kommt daher keine Bedeutung
zu; letztlich entscheidend sind die optisch wahrnehmbaren Umstände, insbesondere die Größe
des Gebäudes im Verhältnis zur umgebenden Bebauung (BVerwG NVwZ 1994, 1006; BauR
1996, 823; NVwZ-RR 1997, 519).
Bei der Ermittlung der Eigenart der näheren Umgebung bleiben sog. Fremdkörper außer
Betracht. Hierunter versteht man ein Gebäude, das völlig aus dem Rahmen der sonst
vorhandenen Bebauung fällt (BVerwGE 84, 322 = NVwZ 1990, 755; NVwZ 1994, 294). Diese
Einschränkung ist aber nur bei Extremfällen anwendbar. Ein Fremdkörper ist auch bei einem
nur vereinzelt vorkommenden Vorhaben nicht anzunehmen, wenn dieses infolge seiner Größe
die Eigenart des Baugebiets mitprägt.
117 Im Rahmen des Einfügens kommt dem Gebot der Rücksichtnahme (s. dazu Rdnr. 265 ff.)
eine besondere Bedeutung zu. Ein Bauvorhaben, das auf die vorhandene Umgebung nicht
die gebotene Rücksicht nimmt, fügt sich nicht i. S. d. § 34 Abs. 1 BauGB ein, auch wenn im
Übrigen alle oben angegebenen Merkmale des Einfügens gegeben sind (BVerwG NVwZ-RR
1997, 516; NVwZ 1999, 524); ist das der Fall, ist das allerdings ein Indiz dafür, das das Gebot
der Rücksichtnahme nicht verletzt ist (s. dazu BVerwG NVwZ 1999, 879).
Bsp. a) (BVerwG DÖV 1981, 673): Zwölfgeschossiges Gebäude verletzt das Gebot der Rücksichtnahme
gegenüber benachbarten Gebäuden mit nur zwei bis drei Geschossen.
b) (BVerwG BauR 1986, 61): Kegelbahn verletzt das Gebot der Rücksichtnahme in einem reinen
Wohngebiet.
c) (BVerwG DVBl 1986, 1172): Eine zwölf Meter hohe Siloanlage unmittelbar an der Grenze verstößt gegen
das Gebot der Rücksichtnahme.
d) (VGH Kassel NVwZ-RR 1996, 306): Das Überschreiten der faktischen hinteren Baulinie einer Reihenhausanlage durch Errichtung eines Anbaus ist wegen des »Scheuklappeneffekts« rücksichtslos gegenüber
den Bewohnern des benachbarten Reihenhauses.
Das Gebot der Rücksichtnahme schützt aber nicht nur eine Wohnnutzung vor Immissionen und
sonstigen Beeinträchtigungen, sondern umgekehrt auch den Inhaber eines Gewerbebetriebs
davor, dass er infolge heranrückender Wohnbebauung immissionsschutzrechtlichen Einschränkungen ausgesetzt sein könnte (BVerwG NVwZ 1993, 1184; BauR 2002, 432; OVG Münster
BauR 1996, 222; NVwZ-RR 1998, 357).
Bsp. (BVerwG ZfBR 1986, 45): Die Errichtung von Wohnhäusern in der Nachbarschaft einer SchwermetallGießerei ist rücksichtslos.
Dabei ist auf eine Erweiterungsabsicht des Gewerbebetriebs nur dann Rücksicht zu nehmen,
wenn diese bereits im vorhandenen Baubestand angelegt ist; auf lediglich genehmigte, aber
noch nicht ausgeführte Vorhaben braucht nicht Rücksicht genommen zu werden (BVerwG DVBl
1993, 445).
118 Dem Gebot der Rücksichtnahme kommt vor allem in sog. Gemengelagen Bedeutung zu (s.
zur Gemengelage Dolde DVBl 1983, 732; Ziegert BauR 1984, 15 und 138). Gemengelagen
sind gekennzeichnet durch das Nebeneinander bzw. sogar Durcheinander von Nutzungsarten,
die nicht miteinander harmonisieren, insbesondere Wohnbebauung einerseits, gewerbliche
Nutzung andererseits. Die Pflicht zur Rücksichtnahme bedeutet hier, dass der Inhaber eines
Wohnhauses einerseits höhere Immissionen und sonstige Beeinträchtigungen hinnehmen
muss als in Wohngebieten, andererseits der Gewerbetreibende sich weiter gehende Einschränkungen gefallen lassen muss als in einem Gewerbe- oder sogar Industriegebiet (BVerwG
NVwZ 1984, 511 und 646). Das BVerwG hält wegen des Gebots der Rücksichtnahme bei
der Festsetzung der zulässigen Immissionswerte eine Mittelwertbildung für geboten, d. h.
Grenzwerte, die zwischen denen für Wohn- bzw. Gewerbegebiete liegen (BVerwGE 50, 49;
NVwZ 1983, 609; NVwZ-RR 1994, 139 = BRS 55 Nr. 165; VGH München NVwZ-RR 1990,