Los Angeles

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Los Angeles
Wolf Jahnke
Los Angeles
Mit Hollywood durch L.A.
Inhalt
Einleitung: Welcome to L.A.!
Stadt im Film: Lichter der Großstadt
Filmweltreise
Image des Großstadt-Dschungels und der Land-Idylle
Film-DNS – Großstadtfilme als Zeitdokument
Megalopolis Los Angeles: Stadtgeschichte
SimuLAtion – Die Stadt aus dem Film
City of Quartz: Sunshine und Noir – Die Stadt als Mythos
«Booster»: Schöpfer des Paradieses
«Entlarver»: Die Großstadt als Riesendorf (20er bis 30er Jahre)
«Noirs»: Schatten in der Sonnenstadt (30er bis 40er Jahre)
«Exilanten»: Himmel und Hölle (30er bis 40er Jahre)
«Hexer»: Aufbruch ins Weltraumzeitalter (30er bis 60er Jahre)
«Kommunarden»: Ende des ‹Endless Summers› (60er bis 70er Jahre)
«Söldner»: Kultur-Hype und Gangsta-Rap (80er Jahre)
Ende des Weg nach Westen – Das Aus des Amerikanischen Traums
Pearl Harbor 2: «Nipponisierung»
Autocalypse Now!: Verkehrskollaps
Stadt nach Plan: das funktionale Stadtbild
Krieg in Los Angeles
L.A./Vietnam
Gang-Banging: Crips & Blood
Festung L.A.: Architektur gegen Armut und Kriminalität
Riots 1992 – Aufstand in der Ethnocity
Der Fall Rodney King vs. LAPD
L.A. in Flammen
Rodney King als Ventil
Die Riots im Film
Ende der Vision von Multikulturalität?
Erdbeben 1994 als Neubeginn
TV-Live-Crime
Zukunftsperspektiven
Ökologie der Angst
Die Zukunft der «World City»
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Inhalt
Welcome to Los Angeles
L.A. als Stadteinheit
Typisch L.A. – Images und Klischees
Stadt der Lichter
Autopolis
Film Noir
Engel in Los Angeles
Die sonnige Stadt
Los Angeles vs. New York – Die Rivalen der Küsten
Lost Angels – Rebels without a cause
No speed limit! Die mobile Stadt
Der große Schlaf – Schlaflos durch L.A.
Bienvenido a Mexico
Hollywood – Der erloschene Glanz der Sterne
Filmindustrie – Hollywoods Traumzustand
Sein und Schein – Die Stadt aus Hollywood
Die Pop-Stadt – Stadt als Pop
Geld – Die kapitale Stadt
Schriftsteller in der Schreibhölle
WASPwood – Untergang der weißen Angelenos
Diners – Schlupfwinkel der Nighthawks
Allmacht der Bilder
The New Frontier – Der Weg nach Westen im Stau
Serienkiller in der Hauptstadt der Serien
Vietnamkrieg
Michael Manns Los Angeles
Quentin Tarantinos Los Angeles
David Lynchs Los Angeles
«Sie sind da!» – Unergründlicher Horror
TV-Terror-Vision
Biblische Wege der Apokalypse
Gottloses HelL.A.
Horror der Synthethik
Science Fiction-Zukunftsvisionen
L.A. November 2019: BLADE RUNNER – Anflug auf L.A.
L.A. in der Zukunft
Stadt als Monster: Gewaltvisionen
Mit den Haien schwimmen
Männer ohne Gnade – Gewalt goes West!
Die letzten Boyscouts – Der Polizeifilm als Großstadtwestern
Überleben und sterben in L.A. – Die todessehnsüchtige Stadt
Blutige Farben – Krieg gegen das Ghetto
Boys from the Hood: Filme aus den Ghettos
Das Ende des amerikanischen Jahrhunderts
Superstar Los Angeles
GRAND CANYON (1991)
SHORT CUTS (1993)
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Inhalt
STRANGE DAYS (1995)
AM ENDE DER GEWALT (1997)
LEBEN UND LIEBEN IN L.A. (1998)
MAGNOLIA (1999)
TIMECODE (2000)
L.A. CRASH (2004)
CROSSING OVER (2008)
Exkurs: Asiatische Feindbilder
VALENTINSTAG (2009)
Am Ende der Gewalt– Neue L.A.–Images
Das neue Feindbild: Las Vegas
We love L.A.!
Es war einmal…: von CHINATOWN bis DICK UND JANE
DER FREMDE SOHN (2008)
CHINATOWN (1974)
L.A. CONFIDENTIAL (1997)
BLACK DAHLIA (2006)
DIE HOLLYWOOD-VERSCHWÖRUNG (2006)
BOOGIE NIGHTS (1997) / WONDERLAND (2003)
DOGTOWN BOYS (2005)
THE INFORMERS (2008)
DICK UND JANE (2005)
BOBBY – ZERRSCHOSSENE TRÄUME (2006)
Zurück in die Zukunft
DER JA-SAGER (2008): Yes We Can!
Selbstbewusstes Kino L.A.
Abseitige Helden
Abspann
Realität und Kino
Die Zukunft – nächster Drehort
Reiseführer zu den Drehschauplätzen: Die L.A.-Filmlandkarte
Mulholland Drive
Hollywood-Sign
Downtown
City Hall
Broadway
Library Tower
Westin Bonaventure Hotel
Convention Center
Disney Concert Hall
Skid Row
L.A. River & East L.A.
North L.A.
China Town
Elysian Park
Echo Park
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Inhalt
Griffith Observatorium
Los Feliz
Hollywood
Hollywood Boulevard
West Hollywood
Hollywood Hills
Wilshire Boulevard
Midtown & «Miracle Mile»
Beverly Hills
Century City, Westwood & Brentwood
Century City
Westwood & Brentwood
Univesity of California (UCLA)
Santa Monica
Pacific Coast Highway, Malibu & Santa Barbara
Strandparadies L.A.
Venice
Marina Del Rey
Los Angeles International Airport (LAX)
Beach Cities
Hafen San Pedro
South Central
San Fernando Valley
Anhang
Bibliografie
Filmregister
Abbildungsnachweise
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Welcome to Los Angeles!
Eine Einleitung
os Angeles ist die vielfältigste Stadt der Welt. Unzählige Filme wurden hier gedreht. Filme, die jeder Kinofan kennt und
liebt. Anhand dieser Werke porträtiert dieses Buch die kalifornische Metropole.
«L.A. bringt alles zusammen», lautet der Slogan der multikulturellen Megacity. Gegensätze ziehen sich hier besonders an: Die
geographische Lage bietet sowohl schneebedeckte Berge als auch
Palmen gesäumte Strände. L.A. bedeutet Großstadt und Landleben,
Industrie- und Entwicklungsland zugleich. Aufgrund seiner Nähe
zu Mexiko stranden hier täglich Heere illegaler Einwanderer aus Lateinamerika – und dank Hollywood auch unzählige Filmschaffende
und solche, die es werden wollen.
Tote schlafen fest-Autor Raymond Chandler schrieb 1947: «Los
Angeles hat Hollywood – und hasst es. Dabei sollte sich die Stadt
verdammt glücklich schätzen. Ohne Hollywood wäre sie eine Stadt
der Versandhausbestellungen.» Hollywood galt Anfang des letzten
Jahrhunderts noch als öde und abgelegene Gegend. Der im Jahre
1923 errichtete Hollywood-Schriftzug – ursprünglich «Hollywoodland» – sollte lediglich für den Kauf von Grundstücken werben.
Nun thront er als das bekannteste Wahrzeichen L.A.s und als Symbol für die amerikanische Filmindustrie in den Hollywood Hills.
Filme haben diese Stadt mit ausgedacht, während sie in der realen
Stadt wurzeln.
Das Bild von Los Angeles wurde so sehr von Hollywood und dessen Filmen geprägt, dass vor allem Filminteressierte weltweit ein
besonderes Image mit dieser Stadt verbinden. So lässt sie sich als
Kulisse der ‹hard boiled›-Detektive aus Tote schlafen fest (1946)
und L.A. Confidential (1997) begreifen, von Stadtporträts wie
Short Cuts (1993) und L.A. Crash (2004), von den wegweisenden
Gangsterballaden Pulp Fiction (1994) und Collateral (2002)
oder Komödien wie Kopfüber in die Nacht (1985) und Big Lebowski (1998). Gerecht wird der komplexen Metropole L.A. jedoch
allenfalls eine Betrachtung, die all diesen unterschiedlichen Filmen
und Genres Beachtung schenkt. Aufgrund ihrer enormen emotionalen Kraft sind gerade Spielfilme in der Lage, den Zuschauer in
eine urbane Welt voller pointierter Wahrheiten zu führen. Filme
führen zu den schönsten Orten und in die gefährlichsten Winkel
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1 BLADE RUNNER
2 RESIDENT EVIL – AFTERLIFE
einer Stadt. Und manchmal schauen sie in die Zukunft, wie etwa
Blade Runner (1982), der das labyrinthartige, düstere Los Angeles
von 2019 zum Hauptdarsteller des Filmes machte.
Neben Blade Runner stehen hier vor allem Filme der letzten 30
Jahre im Fokus. Diese führen zu den bekanntesten Drehorten und
verdeutlichen die Entstehung und die Veränderung des Images von
Los Angeles. Vor allem soll gezeigt werden, wie Filme helfen, diese
ungewöhnliche Stadt zu verstehen, und wie viel Wirklichkeit in ihren «Illusionen» steckt. Denn nicht nur im Film, auch in der Realität ist L.A. die Stadt der Spektakel: Erdbeben, Waldbrände, Autoverfolgungsjagden, Drive-By-Shootings, Serienkiller, Sekten und
Rassenunruhen verleihen den Lokalnachrichten regelmäßig einen
Thrill, den scheinbar nur Los Angeles zu bieten hat.
Ungeachtet dieser apokalyptischen Impressionen verführt L.A.
aber auch durch traumhafte Sonnenaufgänge am Strand, verschwenderische Villenviertel in Beverly Hills und die gigantische
nächtliche Totale eines scheinbar endlosen Lichtermeers. Nachts
vereint sich hier die vielfältige Stadtgalaxie, die der marxistisch geprägte Urbanologe Mike Davis als «Puzzle ohne Sinn» bezeichnete.
Diese einzigartige Ambivalenz von L.A. veranlasst Künstler wie
Journalisten immer wieder zur Kreation neuer Extreme: Seit Bertolt Brecht von «Himmel und Hölle» schrieb, heißt es «Utopie und
Dystopie», «Traum und Albtraum», «Realität und Fiktion». Sie ist
die «Stadt der Teufel und der Engel». Los Angeles ist Baywatch und
Blade Runner – kein Vergleich, keine Metapher ist zu absurd. Zitate
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Welcome to Los Angeles!
3 THE DAY AFTER TOMORROW
4 SOUTHLAND TALES
wie diese verdeutlichen das Image der «Nowhere City», in der nichts
unmöglich sein soll und die wie ein Brandeisen die hier entstehenden Filme prägt. So sind alle auf den Straßen und in den Hügeln gedrehten Produktionen auch Geschichten über diese Metropole. Und
sie zeigen häufig fast dokumentarisch, dass Los Angeles nicht nur
Filmindustrie ist, sondern selbst ein äußerst lebendiger, glamouröser
und sehr gewalttätiger Star, der pures Entertainment bietet.
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Typisch L.A. – Images und Klischees
Michael Manns Los Angeles
«Im Winter ist es in einer klaren Nacht so, als wäre man
auf Drogen. Alles ist schwarz und funkelt, und man
kann ewig weit sehen, besonders die etwa zwanzig
Flugzeuge, die da gleichzeitig in LAX landen.»
– Michael Mann
Michael Mann (geb. 1943 in Illinois) studierte Film in London. In
L.A. schrieb er für Krimi-Serien wie Starsky & Hutch (1975) und
inszenierte die Spielfilme Ein Mann kämpft allein (1978) und
Der Einzelgänger (1981).
Die TV-Serie Miami Vice (1984–87) bestach mit der innovativen Mischung aus Gewalt und Eleganz, schnellen Schnitten und
Popmusik. Sie machte ihn berühmt, obwohl dieser Stil schon
seine Spielfilme prägte. Mann selbst wehrte sich stets gegen den
«Schöpfer»-Credit von Miami Vice, für die er «nur» seine Produktionsdesigner einbrachte, die «seinen» Look fortsetzten. Sein
Stil galt lange als oberflächlich, aber mit Der letzte Mohikaner
(1992) erhielt Mann Anerkennung von Publikum und Kritik. Mit
seinen Gangsterballaden Heat und Collateral hat Mann L.A. als
moderne, zerfaserte Stadt neu erfunden und feiert diese speziell in
Nachtaufnahmen als die Stadt der Lichter.
Die Filme bestechen durch stark ästhetisierte wie realistische
Bilder, grauhaarige Gangster bestimmen das Geschehen, das sich
regelmäßig in explosiven Schießereien entlädt.
«Dieser Regisseur will die Welt fast dokumentarisch genau erforschen
– und findet doch traumwandlerisch sicher ihre magischen Momente.» (Tobias Kniebe, The European)
DER EINZELGÄNGER (1981)
«Haben Sie es jemals mit ehrlicher Arbeit versucht?», fragt Gangster
Frank (James Caan) eine Gruppe Polizisten, die einen Teil seiner
hart erarbeiteten Beute haben will, selbst ein Richter will seinen Anteil der kriminellen Deals.
Ex-Knackie Frank verdient sein Geld in Chicago als Autoverkäufer und als Tresorknacker – sein absolutes Spezialgebiet. Sein
Wunsch ist ein bürgerliches Leben mit Haus, Frau und Kind. Dafür
lässt er sich mit Syndikat-Boss Leo (Robert Prosky) auf einen letzten
millionenschweren Coup in L.A. ein. Doch nach dem Gelingen der
spektakulären Tat, verweigert ihm Leo die versprochenen Anteile
und bringt Franks besten Freund um. Frank vertreibt seine Frau
Jessie (Tuesday Weld), um sie vor Leo zu schützen. Dann jagt er sein
Vorstadthaus in die Luft, zündet seinen Autofuhrpark an und richtet in einer Wohngegend unter den Mitgliedern von Leos Bande ein
Blutbad an. Franks Traum vom normalen Leben ist gescheitert.
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Welcome to Los Angeles
125–127 DER EINZELGÄNGER
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Mann schuf einen stark gestylten Edel-Sozial-Thriller.
Obwohl großteils in Chicago
angesiedelt, wirkt der Film
wie eine Vorstudie seiner L.A.Filme: Einleitend sieht man
nächtlich-regnerische Großstadtbilder und einen ProfiGangster bei der Arbeit, eingetaucht in den kühlen Elektrosound von Tangerine Dream.
Die Szenerie erinnert an die
von Vangelis’ Soundtrack verzauberte Stadtlandschaft von
Blade Runner.
Mann findet großartige morbide Großstadtschauplätze, wie
den Diner über einem befahrenen Highway, in dem Frank
der Kellnerin Jessie einen unwiderstehlichen Macho-Heiratsantrag macht. Dieser Ort
erinnert, wie die gesichtslosen
Clubs, Diners, Autobahnkreuze und Vorstadthäuser mehr an
vertraute L.A.-Örtlichkeiten,
als an Chicago, das man fast
nur aufgrund der überirdischen
U-Bahn als Chicago erkennt.
Auch die neonblauen Credits
wirken wie aus einem modernen L.A.-Film – man mag mutmaßen, dass der Film trotz seiner unbestrittenen Qualitäten
nicht die breite Anerkennung
fand, da Manns moderner
Stil nicht zu der archaischen
Hochhaus-Architekturstadt Chicago passte. Bemerkenswert ist auch
der Credit von Jerry Bruckheimer, der die L.A.-Edel-Unterweltthriller
Ein Mann für gewisse Stunden und auch Beverly Hills Cop I+II
produzierte. Giorgio Moroder bzw. Harold Faltermeyer sorgten hier
für den Elektrosound, Popsongs unterlegen bzw. bestimmen den Stil
der gestylten Filme, die stilistisch Manns «Elektro-Noir»-Stil ähneln.
Für L.A. fand Mann bei Der Einzelgänger gleich einen fantastischen Blick. Für den letzten Coup müssen Frank und seine Gang
in ein Bankhochhaus eindringen. Sie stehen auf dem Dach und brechen ein Loch in die schwere Decke, während hinter ihnen das Lichtermeer funkelt. Es würde passen, dass Frank nach dem Scheitern
Typisch L.A. – Images und Klischees
in Chicago hierhin zurückkehrt, um wie seine Kumpanen aus Heat
und Collateral als einsamer Wolf seine Arbeit zu erledigen.
SHOWDOWN IN L.A. / HEAT (1989/1995)
Neil McCauley (Robert De Niro) begeht mit seiner Gang spektakuläre Überfälle in Millionenhöhe. Lt. Vincent Hanna (Al Pacino)
heftet sich an seine Fersen, während sie den letzten großen Coup
planen. Während der Observierungsarbeit treffen sich McLaren/
McCauley und Hanna in einem Diner. Sie stellen fest, dass sie viel
miteinander gemeinsam haben und trennen sich wissend, dass einer beim nächsten Treffen sterben wird. In Heat sagt McCauley:
«Ich mache, was ich am besten kann: Ich drehe meine Dinger. Du
tust, was Du am besten kannst: Du versuchst Leute wie mich zu
stoppen. Aber wenn Du mich wirklich kriegen willst, dann sei vorsichtig. Vielleicht krieg ich Dich ja.» Beide drohen sich und brauchen einander als Todfreunde.
«Schließe dich nie jemandem zu eng an, und sei jederzeit imstande, mit allem in höchstens 30 Sekunden Schluss zu machen», ist
McCaulys goldene Regel, aber als er die Chance hat zu fliehen, will
er entgegen des Grundsatzes noch eine persönliche Rechnung mit
einem brutalen Verräter begleichen. Die Polizei hält ihn in einem
Hotel als Zeugen fest, ohne zu wissen, dass er auch ein von Hanna
gesuchter Serienkiller ist. McCauley spürt Waingro auf und tötet
ihn. Damit erledigt er Hannas Job und begegnet Hanna ein zweites
Mal: Gangster und Cop jagen über den nächtlichen LAX, während
die Flugzeuge landen und starten. Nachdem Hanna McCauley tödlich getroffen hat, hält er die Hand des Sterbenden.
«Die beiden sind allein auf dieser Welt (…). Der eine ist tot, der andere
nicht. Mit diesem Eindruck wollte ich enden. In dieser Landschaft, die
nicht für menschliche Wesen gemacht ist.» (Michael Mann)
Mann verzichtet auf Kategorien wie Gut und Böse, es geht ihm um
die unausweichlichen Folgen ihres konsequenten Handelns. Er liefert ein erschütterndes Schlussbild zweier Menschen in einer entmenschlichten Welt.
Heat ist ein Remake von Showdown in L.A., der als Pilot einer
TV-Serie gedacht war. Mann hatte bereits 1979 ein 180-seitiges Drehbuch geschrieben. Der 90-minütige Film überzeugt durch eine komplexe Handlung, die nahezu mit der von Heat identisch ist. Doch
in Heat erweiterte Mann die Geschichte um persönliche Episoden
mit vielen Gesten, so dass eine epische Krimiballade entstand. In
der Mitte der Geschichte steht der Banküberfall in Downtown, der
eine wilde Straßenschießerei bietet, die bis heute noch ihres gleichen
sucht. In diesem Gefecht entladen sich auch die ganzen persönlichen
Emotionen der Protagonisten, die im Job Perfektion liefern können,
die ihr aus dem Ruder gelaufenes Privatleben nicht bietet.
Hanna und McCauley zeigen beim ersten Zusammentreffen, bei
dem Robert De Niro und Al Pacino auch das erste Mal gemeinsam
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Welcome to Los Angeles
vor der Kamera standen, als besessene Profis,
die ihre Arbeit weit mehr als ihr gestörtes Privatleben lieben. Hanna fragt nach McCauleys
Freundin: «Würdest du sie verlassen? McCauley: «Das gehört zum Spiel.» Hanna: «Ich kann
nichts anderes.» «Ich auch nicht.» «Ich glaube
nicht, dass ich etwas anderes will.» «Ich auch
nicht.»
Mann gibt seinen ganzen Figuren komplexe
Geschichten. Am Ende sucht sich Stieftochter
Lauren die Badewanne von Hannas Hotelzimmer für ihren Selbstmordversuch aus und
schweißt somit ihre Patchwork-Familie mit
ihm als väterlichen Retter zusammen. Selbst
der Fluchtfahrer des Banküberfalls bekommt
seine Geschichte, die zeigt, wie er als Küchenhilfe ausgenutzt wird, weil er auf Bewährung
ist. Spontan lässt er sich von McCauley, mit
dem er im Knast saß, anheuern und stirbt kurze Zeit später im Bleigewitter. Eine aufwändig
eingeleitete Geschichte bricht plötzlich ab –
das Leben in L.A. ist oft nur kurz.
Filmkritiker Sathyan Ramesh (Steady Cam)
jubilierte:
«Dies ist der riskanteste Coup eines raffinierten
Gesetzlosen: ein epischer Thriller, drei Stunden
lang. Besetzt mit manischen Großfürsten der
Schauspielkunst. Die Vermählung von psychologischem Kammerspiel und extremem Gewaltfilm.
Zu hart für’s Kunstkino, zu intelligent für Multiplexe, zu anstrengend als Entertainment und zu unterhaltend für Bildungsbürger. HEAT ist der Film,
auf den niemand gewartet hat, weil er eigentlich
unvorstellbar ist.»
128–130 SHOWDOWN IN L.A.
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Heat beginnt im dunklen Morgengrauen,
eine Metro fährt ein, wie in einer Raumstation, ein Mann überquert eine Kreuzung und
stiehlt einen Krankenwagen – erst durch die Krankenwagenschrift
erkennt man, dass wir in L.A. sind, während einen die Stadtatmosphäre schon längst gefangen hält. Die rund 100 Schauplätze mit
dem Lichtermeer, den Freeways, Clubs, Bars, Diners, Restaurants,
Bücherläden, Hochhäusern, Häusern am Hang und am Strand, Baracken, Hotels, Motels, dem LAX, dem Hafen, Raffinerien und Autokino zeigen eine vielfältige Stadt, die aus den Fugen geraten ist. Sie
spiegeln auch viele Geschichten unterschiedlicher ethnischer und
sozialer Herkunft wider und machen Heat zu einem der wenigen
L.A.-Epen.
Typisch L.A. – Images und Klischees
Manns Universum der Stilmittel ist trotz seiner Zwielichtigkeit sehr
genau definiert, so wie auch sein Figurenarsenal, welches er immer
weiter entwickelt hat und zueinander in Bezug stellt. So wie Heat
an der Metro-Station beginnt, an der Collateral endet, endet
Heat am nächtlichen LAX, auf dem Collateral beginnt.
131–136 HEAT
COLLATERAL (2004)
Bilder der Taxizentrale am LAX: Computerbildschirme, zig Geräusche lärmen, nachdem Taxifahrer Max (Jamie Foxx) sein Taxi gesäubert hat, steigt er in sein Gefährt und schließt die Tür. Es wird still, das
Taxi ist eine eigene Welt.
Max ist ein penibler Mensch, er ist offensichtlich intelligent, aber
unterfordert. Doch er kann sich auch nicht überwinden, seinen
Taxi-«Übergangsjob» zu kündigen und mit seinem Traum eines eigenen Limousinen-Services «sein Ding zu machen»: Am Flughafen
steigt für die letzte Fahrt des Tages die junge Staatsanwältin Annie
(Jada Pinkett Smith) ein. Über eine Wette über die beste Strecke
entwickelt sich ein Flirt, der mit der Idee eines zweiten Wiedersehens endet,
«und während sie so reden, trotz der sozialen Unterschiede auf einer
Wellenlänge, spielt im Radio Musik, und als sie sagt, er könne ruhig
lauter machen, schneidet Michael Mann in die Vogelperspektive, und
man sieht das Taxi zum Groove durch die Nacht rollen, die Türme von
Downtown L.A. funkeln, und man denkt sich, dass man noch stundenlang mit den beiden weiterfahren könnte.» (Michael Althen, FAZ.net)
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Welcome to Los Angeles
137–138 COLLATERAL
Es ist Nacht und bleibt den
Film über Nacht. Nachdem
Annie in Downtown ausgestiegen ist, nimmt Max eine allerletzte Fahrt an. Vincent (Tom
Cruise) gibt sich als Immobilienmakler aus, der schnell eine
paar Termine erledigen will.
Mit grauem Haar, hellgrauem
Anzug, Aktenkoffer und Notebook gleicht er einem New
Economy-Geschä f tsma nn.
Er erweist sich jedoch als geschwätziger
Auftragskiller,
der für ein kolumbianisches
Drogenkartell vier Kronzeugen und Annie als vertretende
Staatsanwältin eines bevorstehenden Prozesses umbringen
soll. Er nutzt Taxifahrer, um schnell von Ort zu Ort zu kommen
und diese am Ende als Täter darstehen zu lassen.
Im Taxi entwickelt sich ein Psychoduell, bei dem Max immer
mehr aus der Reserve gelockt wird. Als er Vincents Art übernimmt
und zum Aggressor wird, kann er Annie retten und tötet Vincent
im Duell in der Metro. Der Morgen bricht an.
Die Taxifahrt ist Yin und Yang, ein Rassenkampf zwischen
Schwarz und Weiß, Reich und Arm. Beide sind Profis auf ihrem Gebiet, Max’ Schwäche ist die mangelnde Durchsetzungskraft, Vincents die der Überheblichkeit und Einsamkeit. Nach der ersten unsauberen Auftragserfüllung, könnte er sich ein neues Bauernopfer
suchen, doch er empfindet Spaß an der Improvisation und braucht
einen Zuhörer und Zeugen seiner Taten – Vincent über L.A.:
«Ehrlich gesagt, kann ich es jedes Mal kaum erwarten, wieder wegzukommen. Zu riesig, zu anonym. (...) 17 Millionen Menschen. Wäre es ein
Land, hätte es die fünftgrößte Wirtschaft der Welt, und keiner kennt
den anderen. Ich hab von dem Mann gelesen, der in der U-Bahn starb.
Er fuhr sechs Stunden in der U-Bahn, bis jemand merkte, dass seine
Leiche quer durch L.A. fuhr und daneben Leute ein- und ausstiegen.»
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Am Ende wiederholt Vincent in der U-Bahn sterbend: «Ein Typ
steigt in die U-Bahn und stirbt. Glaubst du, es wird jemand merken?» Vincent will wissen, ob jemand weiß, dass es ihn gegeben hat.
Doch niemand kennt ihn wirklich, für seinen Job hat er sich unsichtbar gemacht.
«Das ist mein Job, davon lebe ich!», ist Vincents pragmatische Begründung für seine Morde. Er ist wie McCauly in Heat ein Profi,
der eiskalt tötet, doch er ist auch ein Soziopath. Max gibt ihm nicht
die Gnade, die Hanna McCauly gab, und Vincent stirbt im wahrge-
Typisch L.A. – Images und Klischees
wordenen Albtraum einsam in
der U-Bahn. Vincent liebt zu
improvisieren, überschätzt sich
aber tödlich in seiner Großspurigkeit, Neil stirbt, da er sich
nicht an seine goldene Regel
hält, um Gerechtigkeit walten
zu lassen.
«Tom Cruise gelingt ein präziser, sehr körperlicher Auftritt
als innerlich totes Individuum,
eine Bret-Easton-Ellis-Figur, die
im Wesentlichen durch äußere
Form und Arbeit zusammengehalten wird.» (Rüdiger Suchsland, film-dienst)
Mit der graumelierten Erscheinung hat er etwas Robotorhaftes. Vincent kämpft darum, ein Mensch zu sein, er gibt Ratschläge,
philosophiert über das Leben und gibt sich als Jazz-Kenner – Max’
Vorwurf, ein Soziopath zu sein, bringt ihn aus der Fassung und er
verliert das Selbstbewusstsein, das Max langsam gewinnt.
Als Taxifahrer und Killer durch die Nacht fahren und plötzlich
auf zwei Kojoten mitten in der Stadt stoßen, wissen sie, wie ähnlich sie sich sind. Als Max zur geheimen Datenbeschaffung Vincents
Identität übernehmen muss, gewinnt er nun vollends Vincents
Selbstbewusstsein und dessen Stärke, sich durchzusetzen. Er überlebt und besiegt Vincent – Max ist die Katharsis widerfahren, ein
neues Leben beginnt.
Das Originaldrehbuch sah New York als Schauplatz vor. Mann:
139–140 COLLATERAL
«Wir verlagerten die Handlung nach Los Angeles, weil diese Stadt
meiner Meinung nach einfach traumhaft und magisch ist. Es ist cinematographisch die spannendste Stadt überhaupt. (…) Obwohl ich
in Chicago aufgewachsen bin, hänge ich an L.A., weil sich dort Stimmungen nicht nur bestens abbilden, sondern auch erleben lassen.»
(spiegel-online)
Und so zog Mann aus und fand ein L.A. zwischen Koreatown, Raffinerien in Wilmington, illegalen Clubs, hochmodernen architektonischen Strukturen. Die Fahrten durch die Nacht entwerfen die
Stadt als Netzwerk, in dem zwischen den Knotenpunkten immer
wieder unergründetes Niemandsland durchscheint: In dem surrealen Kernmoment muss das Taxi bremsen, Stille kehrt ein. Man
sieht nur Palmen, die vom blauen Licht der urbanen Nacht umfasst
werden. Dann kreuzen die Kojoten die Straße; ihre Augen glühen
im Scheinwerferlicht; im nächsten Augenblick sind sie wieder verschwunden. L.A., die weite Seelenlandschaft.
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Welcome to Los Angeles
Mann zeigt eine Großstadtnacht im 21. Jahrhundert, wie sie im
Kino noch nicht zu sehen war. Autoscheinwerfer und Straßenlaternen erzeugen ein Neonuniversum. Mann drehte großteils auf HighDefinition-Video und schuf damit eine dreidimensionale Nacht, die
noch kleinste Details zeigt. Seine Bilder sind teils tiefschwarz, aber
trotzdem noch konturiert. Der Showdown im dunklen Hochhaus
wurde ausschließlich mit dem Licht der umliegenden Hochhäuser
und Laternen Downtowns, die noch in weiter Ferne tiefenscharf zu
erkennen sind, gedreht. Los Angeles wird hier zum Hauptdarsteller
gemacht, vor dem die Figuren im Dunkeln als Silhouetten umherhuschen.
Quentin Tarantinos Los Angeles
Quentin Tarantino (geb. 1963 in Tennessee) wuchs in L.A. auf. Er
wurde vom Film-Geek und Videotheken-Clerk zum Hot-Shot mit
seinem Debüt Reservoir Dogs, das er mit dem Kassenhit Pulp
Fiction krönte.
Quentin, benannt nach einer Westernfigur, die Burt Reynolds
spielte, schuf ein Filmuniversum aus Gangstern, Filmzitaten jeglicher Art, langen Mono- und Dialogen, sowie verschachteltem Erzählen. Oft sieht man erst das Ergebnis und dann den Weg dorthin,
gemäß der Maxime: erst die Antwort, dann die Frage.
R ESERVOIR DOGS – WILDE HUNDE (1992)
Eine Gruppe Männer mit schwarzen Anzügen, die auf die Codenamen Mr. White (Harvey Keitel), Mr. Orange (Tim Roth), Mr. Pink
(Steve Buscemi) hören, sitzen in einem Diner und reden über Madonna und Trinkgeld – dann gehen sie zur Arbeit.
Mr. White bringt den blutüberströmten Mr. Orange in ein Lagerhaus, der Überfall auf einen Juwelier ist fehlgeschlagen, da jemand
aus der Gang ein Polizeispitzel ist. Nach und nach treffen die anderen Gangster ein und verdächtigen einander. Am Ende richten sie
die Waffen gegeneinander, da Mr. White nicht glauben will, dass
Mr. Orange, dessen Bauchschuss er zu verantworten hat, die «Ratte»
ist. Sie schießen sich gegenseitig nieder, der sterbende Mr. White
erfährt vom fast toten Mr. Orange, dass er der Verräter ist. Einzig
der wieselige Mr. Pink entkommt aus der Lagerhalle und wird vermutlich von der anrückenden Polizei erschossen.
Tarantinos Regiedebüt irritierte in seiner radikalen und verstörenden Weise Publikum und Kritik, so dass es zunächst die Vorwürfe gab, der Regisseur sei ein billiger Scorsese-Imitator. Auch die
offensichtliche Übernahme ganzer Handlungsstränge aus Filmen
wie City on Fire / Cover Hard 2 (1987) brachten die Vorwürfe,
«nur» geklaut zu haben.
Tarantinos Gangster erinnert an Martin Scorseses Balladen, die
Gewalt entlädt sich oft krass und plötzlich, wie bei der brutalen Folterung, Verstümmlung und Tötung eines Streifen-Cops, wobei auf
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