Kaufleute mit Visionen und Mut zum Risiko

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Kaufleute mit Visionen und Mut zum Risiko
Ein Haus, zwei Ansichten. Das Familienunternehmen Engelhorn hat in der Mannheimer Innenstadt immer wieder investiert und seine Häuser modernisiert. Rechts das Modehaus in O5, wie es heute aussieht. Foto: Alfred Gerold
Kaufleute mit Visionen und Mut zum Risiko
125 Jahre Engelhorn: Im Jahr 1890 gründeten Georg Engelhorn und Adam Sturm in Mannheim ein Bekleidungsgeschäft
Von Gaby Booth
Beständigkeit und Flexibilität, Traditionsbewusstsein und Visionen, Treue zum
Standort und vor allem ein Kaufmannsverständnis der alten Schule – für die Familie Engelhorn sind das die Kennmarken, mit denen das Familienunternehmen seit 125 Jahren und heute in vierter
Generation Erfolgsgeschichte schreibt.
Und weil das 1890 von Kaufmann Georg
Engelhorn und Schneidermeister Adam
Sturm gegründete Unternehmen sich an
den Mannheimer Planken und in mehreren Shops in den Quadraten auch im
Zeitalter der Online-Shops zu Hause
fühlt, wird dieses Jubiläum in diesen Wochen und Monaten ganz groß gefeiert. Mit
den Kunden, den 1500 Mitarbeitern und
selbstverständlich werbestrategisch inszeniert.
„Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit
der Zeit.“ Beim Blick in die Annalen des
Unternehmens zieht sich dieser Leitspruch wie ein roter Faden durch die Familiensaga. Die Geschichte ist vom ständigen Wandel und vom Mut zum Risiko
geprägt. Das bewiesen die Gründer - der
Kaufmann Georg Engelhorn und der
Schneidermeister Axel Sturm - schon
1890. Als sie im Quadrat O5, 5 das erste
Konfektionshaus für Herren und Knaben eröffneten, war Konfektionskleidung von der Stange keineswegs angesagt. Im Kaiserreich trug Man(n) Maßanzüge. Doch die beiden waren ihrer Zeit
voraus, beauftragten ausgewählte Hersteller mit der Produktion von Hemden,
Hosen und Anzügen und setzten mit einem umfassenden Beratungskonzept
neue Maßstäbe.
Der Erfolg gab ihnen Recht, es kamen
immer mehr Kunden zu „Engelhorn und
Sturm“. Der Name Sturm im Firmenlogo
blieb bis in die 90er Jahre erhalten, auch
wenn der Schneidermeister schon 1904
starb.
Der 76-jährige Seniorchef Richard
Engelhorn vertritt heute die dritte Generation und erinnert sich an einige Situationen in der langen Unternehmensgeschichte, in denen existenzielle Entscheidungen getroffen werden mussten:
So weitermachen und damit das Risiko
eingehen, irgendwann nicht mehr gefragt zu sein, oder sich auf Veränderun-
So wurde Mode in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts verkauft. Bei Engelhorn hat man
schon immer großen Wert auf Ambiente und Beratung gelegt.
Gegenstrategien. Zur vierten Generation
gehören der 40-jährige Fabian Engelhorn, Sohn von Richard Engelhorn, sowie der 53-jährige Andreas Hilgenstock
und der 31-jährige Simon Engelhorn,
beide Neffen von Richard Engelhorn und
Geschäftsführer.
Einige Monate vor dem Auftakt zum
Jubiläum hat sich die Führungsspitze
umsortiert, um den Herausforderungen
im Einzelhandel schlagkräftig begegnen
zu können, so die Position des Hauses. Fabian Engelhorn, der zuvor für den Bereich Freizeit und Sport zuständig war,
hat jetzt die Verantwortung für das gesamte operative Geschäft. Andreas Hilgenstock übernahm das neu geschaffene
Ressort Strategie und Öffentlichkeitsarbeit. „Wir können uns aufeinander verlassen“, verrät Richard Engelhorn, das
Geheimnis des 125-jährigen unternehmerischen Erfolgs.
Neben dem Willen zum Wandel gibt
es eine zweite Engelhorn-typische Eigenschaft: die Bodenständigkeit: „Wir
sind in der Mannheimer Innenstadt zu
Hause, wir lieben diese Stadt“, sagt der
Seniorchef und verweist auf die Adresse
O 5 an den Planken, wo alles angefangen
hat.
Trotz Expansion in der City gehörte
es immer zur Philosophie des Hauses, lieber zu spezialisieren als zu filialisieren.
So entstanden in den Quadraten neun
Fachgeschäfte. Als das Sporthaus einen
eigenen Standort im Quadrat N 5 gleich
neben dem Haupthaus bekam, geschah
das vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung des Bereiches Sport und
Freizeit. Von Tennis bis Golf, von Wandern bis Radfahren – fast alle Sportarten
sind unter einem Dach vertreten.
Strumpfgeschäft, Dessous, ein Trendhaus für junge Mode und einige Markenshops sind fußläufig um das Haupthaus gruppiert. Nur mit zwei Läden hat
Engelhorn die Stadtgrenze überschritten: Mit einer Niederlassung im RheinNeckar-Zentrum und einem Laden im
Flughafen Frankfurt.
„Zalando kein Vorbild“
Mit rund 1500 Mitarbeitern, darunter
163 Auszubildende, sieht die Geschäftsleitung das Unternehmen „gut aufgestellt“. Im letzten Geschäftsjahr wurden
rund 212 Millionen Euro leicht überschritten. Die Stadt Mannheim weiß, was
sie an dem Traditionsunternehmen hat.
Das Verhältnis zur Stadtverwaltung sei
„sehr gut, geprägt durch unbürokratische kurze Wege“, heißt es. Dennoch erlauben sich die Kaufleute Kritik, sehen
die gute Erreichbarkeit der Einzelhandelsgeschäfte in Gefahr, werben für eine
zügigere Verkehrspolitik, mehr Parkmöglichkeiten.Denn 80 Prozent der Kunden kommen aus dem Odenwald und der
Pfalz. „Die kommen nicht per Rad“.
Das Online-Geschäft macht heute
schon zwanzig Prozent des Umsatzes aus.
Künftig sollen Online und stationärer
Handel noch mehr verzahnt werden. „Wir
ruhen uns nicht auf unserem wachsenden Online-Shop aus, sondern wir tun
auch etwas für die stationären Häuser“,
das ist die Maxime. Fabian Engelhorn:
„Zalando ist für uns kein Vorbild.“ Die
Mitarbeiter werden das gerne hören.
„Wir haben uns immer wieder neu erfunden“
HINTERGRUND
> 1890: Georg Engelhorn und Adam
Sturm gründen „Engelhorn & Sturm“,
ein Geschäft für Herren- und Knabenkleidung
> 1904: Tod von Adam Sturm
> 1918: Sohn Rudolf Engelhorn tritt
ins Unternehmen ein
> 1922: Sport- und Wäscheabteilung
kommen hinzu
> 1923: Sohn Georg tritt ins Unternehmen ein
> 1939: Eröffnung einer Damenabteilung
> März 1945: Das Bekleidungshaus an
den Planken wird völlig zerstört, mit
Unterstützung der Mitarbeiter wird
einige Monate später im Keller eine
Kleidertauschbörse eingerichtet
> 1968: Mit Hans, Richard und Peter
Engelhorn steigt die dritte Generation ein
> 1981: Eröffnung eines Sporthauses
> 1984: Das Strumpfhaus „Tausendfüßler“ wird eröffnet
> 1988: Das Dessous Haus wird eröffnet
> 1998: Das Sporthaus in N 6 wird auf
sieben Etagen aufgestockt
> 2002: Das Logistikzentrum Neckarau entsteht
> 2002: Dependance im Rhein-Neckar-Zentrum
> 2003: Andreas Hilgenstock und Fabian Engelhorn steigen in das Unternehmen ein
> 2006: Start des eigenen E-Shops
> 2012: Eröffnung eines EngelhornGeschäfts am Frankfurter Flughafen,
Einstieg von Simon Engelhorn
> 2014: Erweiterung der Designabteilung im Modehaus Planken
gen einlassen und sich neu zu erfinden
„Für mich ist die Bereitschaft zum Wandel eines der wichtigsten Merkmale von
Engelhorn“, ist der Vorsitzende der Geschäftsführung immer noch überzeugt.
Wandel bedeutet für das Familienunternehmen Expansion, wie sich an den
neun Shops in der Mannheimer Innenstadt erkennen lässt. Es bedeutet auch,
dass die aktuelle ganz große Herausforderung des zunehmenden Online-Handels aktiv angenommen wird. Die vierte
Engelhorn-Generation hat das Wegbrechen bisheriger Handelswege als Herausforderung erkannt und entwickelt
Interview mit den Engelhorn-Geschäftsführern Fabian Engelhorn und Andreas Hilgenstock
Von Gaby Booth
Die Engelhorn-Geschäftsführer Fabian
Engelhorn und Andreas Hilgenstock äußern sich im Gespräch mit der Rhein-Neckar-Zeitung über Vergangenheit und
Zukunft des Unternehmens, über die Herausforderungen des Online-Handels für
den stationären Handel – und über die
Chancen.
> Engelhorn ist ein Traditionsunternehmen in Mannheim, stolz auf die Beratungskompetenz der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter, dennoch wächst der
Anteil der Online-Kunden stetig. Wie
begegnen Sie dieser Entwicklung ?
Fabian Engelhorn: Online und stationärer Handel ergänzen sich bei uns. Wir sind
längst in beiden Kanälen zuhause und
wollen auch in beiden so gut wie irgend
möglich sein. Aber natürlich arbeiten wir
durch immer neue Services daran, beide
Kanäle miteinander zu verknüpfen. Da
nenne ich Stichworte wie Click&Collect
oder Click&Reserve: online auswählen,
im Haus abholen. Bei letzterem kann man
die Beratungskompetenz unserer Mitarbeiter nutzen, denn dann werden den ausgewählten Looks ergänzende Teile zusätzlich bereitgelegt.
> Für das Geschäftsjahr 2014/2015 hatten Sie ein Umsatzziel von 212 Millionen Euro genannt. Konnte das erreicht
werden? Welchen Anteil hat daran der
Online-Handel?
Andreas Hilgenstock: Wir haben das Ziel
erreicht, sogar leicht überschritten. Et-
wa 20 Prozent unseres Umsatzes erwirtschaften wir online.
> Die letzten Jahre waren geprägt von
Erweiterungen und Spezialisierungen.
Das Sporthaus wurde erweitert, das
Accessoire-Haus eröffnet, das Trendhouse modernisiert, sie zeigen Flagge
am Frankfurter Flughafen. Ist nun erst
mal Schluss oder haben Sie weitere
Ideen in der Schublade?
Andreas Hilgenstock: Engelhorn stand in
125 Jahren niemals still, wir haben uns
immer wieder verändert und uns neu erfunden, sodass ich versichern kann: Wir
haben neue Ideen, die sind aber noch nicht
spruchreif. Wer hätte beispielsweise vor
zehn Jahren gedacht, dass zu Engelhorn
2015 vier eigene Restaurants, darunter
sogar ein mit einem Michelin-Stern dekoriertes, gehören?
> Die Verantwortlichen in der Engelhorn-Geschäftsführung haben sich
bisher stets zum Standort Mannheim
bekannt und kein Interesse an einer
Expansion „nach draußen“ gezeigt.
Gilt das auch für die vierte Generation?
Fabian Engelhorn: Man soll nie nie sagen, aber es ist unwahrscheinlich. In der
Metropolregion Rhein-Neckar sind wir
zuhause, hier kennen wir uns aus. Wir
standen immer für Detailarbeit vor Ort
und das wird auch so bleiben. Aber
selbstverständlich beschäftigen wir uns
mit neuen Angeboten für die Kunden.
längst nicht jeder Shop ausgerichtet, unserer schon. Aber trotz aller Technologie
wird es – und daran glauben wir fest –
auch in zehn Jahren die Sehnsucht geben, in der Stadt einzukaufen, Menschen
persönlich zu begegnen. Deshalb müssen
wir alles, was Technologie nicht kann, in
den Städten kultivieren: erleben, riechen, schmecken. Außerdem sorgen wir
mit unseren vielen Aktivitäten für Lebendigkeit in der Innenstadt.
> Was meinen Sie, worauf die Kunden in
zwanzig Jahren Wert legen, wie sich das
Einkaufsverhalten entwickeln wird?
Andreas Hilgenstock: Das Online-Shopping wird stärker werden, vor allem von
mobilen Geräten aus. Darauf ist noch
Fabian Engelhorn: Spontan zwei Empfindungen: Dankbarkeit und Freude.
Dankbarkeit gegenüber unseren Vorfahren, die das Unternehmen gegründet,
ausgebaut und durch sicher nicht immer
einfache Zeiten umsichtig aber dennoch
mutig gelenkt haben, gegenüber unseren
Kunden und natürlich unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Und Freude, dass wir eine so lange Tradition haben, aber es immer wieder gelingt, uns
immer im positiven Sinne zu verändern.
Simon Engelhorn, Andreas Hilgenstock, Richard Engelhorn und Fabian Engelhorn (von links)
leiten das Familien-Unternehmen in dritter und vierter Generation. Foto: Alfred Gerold
> Was empfinden Sie ganz persönlich,
wenn Sie auf 125 Jahre Firmengeschichte blicken?
Andreas Hilgenstock: Es ist für uns alle eine Herausforderung, Teil eines so dynamischen Unternehmens zu sein und dies
gestalten zu dürfen. Wir sehen es als unsere Aufgabe – die wir als vierte Generation schon seit mehr als zehn Jahren mit
großer Freude annehmen – an, Engelhorn so weiterzuentwickeln, dass unser
Familienunternehmen
zukunftsfähig
aufgestellt ist und wir die Arbeitsplätze
sichern können.