Der Rigi-Tourismus: eine infrastrukturelle Meisterleistung

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Der Rigi-Tourismus: eine infrastrukturelle Meisterleistung
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Tourismusgeschichte Vertiefungstext
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Der Rigi-Tourismus: eine infrastrukturelle Meisterleistung
Mit der Eröffnung des ersten Berggasthauses der Schweiz auf Rigi-Kulm begann 1816 eine
neue Ära des Vergnügungs- und Aussichtstourismus. Seinem Beispiel folgend baute man 1823
ein Gasthaus auf dem Faulhorn, gefolgt von der Kleinen Scheidegg, dem Brienzer Rothorn
1840 und ersten Walliser Bergunterkünften. Trotz der geringen Höhe bot die Rigi mit ihrem
Panorama und dem abwechslungsreichen Aufstieg den Touristen ein echtes Berg-Feeling. Zu
Fuss oder auf Reittieren und Tragsesseln gelangten sie, begleitet von Führern und Trägern,
über gut ausgebaute, ungefährliche Wege von Weggis und Arth zur Rigi. Von hier aus konnten
sie bequem und aus sicherer Distanz die schneebedeckten Hochalpen bewundern, denen noch
immer eine unnahbare und gefährliche Aura anhaftete. Eine Übernachtung auf der Rigi mit
Sonnenaufgang und Alphornklängen wurde zum touristischen Urerlebnis und machte die Rigi
zum Symbol der damaligen Schweiz und zur Schrittmacherin eines kommerziellen
Aussichtstourismus.
Bereits vor Eröffnung des Berggasthauses auf Rigi Kulm hatte sich in Rigi-Kaltbad, RigiScheidegg und Rigi-Klösterli ein bescheidender Kurtourismus etabliert. Im Laufe des 19.
Jahrhunderts entwickelten sich die dortigen Gasthäuser zu grossen Hotelbetrieben mit
städtischem Standard und kurtouristischem Angebot. Dazu gehörten nebst der Milch- und
Badekur unter ärztlicher Aufsicht auch Spaziergänge an der frischen Bergluft, für welche man
Parkanlagen und Verbindungswege zwischen den verschiedenen Hotelstandorten ausbaute.
Die bekannteste Promenade baute Hotelier Anton Bon 1911 mit dem Felsenweg auf Rigi First,
der sich den Felsenweg auf dem Bürgenstock zum Vorbild nahm.
Ein Kuraufenthalt dauerte mehrere Wochen bis Monate und war dank der internationalen und
gehobenen Gästeschar stets auch ein gesellschaftliches Erlebnis. «Der Rigiberg ist heut zu
Tage ein so allgemein europäischer Wallfahrtsort geworden», schrieb Joseph Maria Businger
1833, «dass von den meisten die Schweiz besuchenden Fremden dessen Besteigung zum
angelegensten Zielpunkt ihrer Wanderung und zum besonderen Gegenstand ihrer Huldigung
gemacht wird.»1 Tatsächlich stieg die Zahl der Rigi-Besucher in kurzer Zeit sprunghaft an.
Anstelle der 300 Bergbegeisterten von 1815 pilgerten in den 1850er-Jahren bereits jährlich um
die 40‘000 Menschen zum Gipfelerlebnis. Ein zweitägiger Rigi-Besuch gehörte nun zum Kanon
jeder Vergnügungsreise durch die Schweiz. Möglich war dies nur dank einem Ausbau der
Verkehrsinfrastrukturen mit besseren Bergwegen, Dampfschiffkursen ab Luzern seit 1837, aber
auch mit dem Ausbau der Hotelinfrastruktur auf der Rigi. Nach dem Bau neuer Kurhotels in
Kaltbad 1835 und in Scheidegg 1840 ersetzte man 1847 auch auf Rigi-Kulm das kleine
Gasthaus durch einen Steinbau mit 130 Gästebetten. Mit überdachten Aussichtstürmen und
dem fixen Einbezug ins Hotelangebot erhielt das Erlebnis des Rigi-Sonnenaufgangs eine streng
ritualisierte Form.
Bereits 1836 berichtete Heinrich Zschokke von einem wahren Rigi-Unterhaltungszirkus: «An
schönen Tagen werden von Karavanen der Auf- und Niedersteigenden die Hauptwege des
Berges belebt. Die sonst einsamen Alpen gleichen dann einem weiten Lustgarten in der Nähe
irgend einer großen Hauptstadt.»2 Die Hotelbetriebe hatten rasch ein breites Angebot mit
städtischen Standards entfaltet, was angesichts der fehlenden Zufahrtsstrassen viele Reisende
verblüffte, aber auch Kritik weckte. Trotz der kritischen Stimmen zum Rigi-Rummel stieg die
Zahl der Besucherinnen und Besucher dank neuen Pauschalreise-Angeboten und der
bahntechnischen Erschliessung der Rigi weiter an. Als der englische Reisepionier Thomas
1
2
Joseph Maria Businger: Luzern und seine Umgebungen: Rigi, St-Gotthard, und Pilatus. Luzern 1833. S. 105.
Heinrich Zschokke: Die klassischen Stellen der Schweiz und deren Hauptorte. Bd. I, Karlsruhe 1836, S. 83.
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Eisenbahnen und Bergbahnen in der Zentralschweiz
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Cook 1863 seine erste pauschale Gruppenreise in die Schweiz plante, gehörten einzig der
Besuch der Rigi und des Mont-Blanc-Massivs zu den fix gesetzten Reisezielen, um die er die
ganze weitere Reise gruppierte. Die rasch steigende Beliebtheit der Cook’schen
Pauschalreisen führte immer mehr Reisende in die Schweiz und zur Rigi.
Die Eröffnung der Vitznau-Rigi-Zahnradbahn bis Rigi-Staffel 1871 und ihre Verlängerung 1873
nach Rigi-Kulm wie auch die 1875 eröffnete Bahn von Arth-Goldau nach Rigi-Staffel bescherten
der Rigi nochmals einen gewaltigen Besucheransturm. 1874 transportierte die Vitznau-RigiBahn über 100'000 Fahrgäste zur Rigi. Bis zum Ersten Weltkrieg konnten beide Bahnen
zusammen die Transportfrequenzen auf 200‘000 Personen pro Jahr verdoppeln.
1871 waren nur die zwei Kurbetriebe in Rigi-Kaltbad und Rigi-Scheidegg auf den neuerlichen
Besucheranstieg einigermassen vorbereitet. Beide Häuser boten ihren Gästen den modernsten
Standard städtischer Hotels mit Gasbeleuchtung, Gesellschaftsräumen, Musikzimmer,
Billardsaal, Kurarzt, ausländischen Zeitungen, Telegrafiebüros und eigenen Postverbindungen
ins Tal. Auf Rigi-Kulm zog man 1875 nebst dem sanierten Hotel Regina Montium und mit dem
nach neuesten technischen Standards erbauten Hotel Schreiber nach. Nachdem das konkursite
Regina Montium 1879 in den Besitz der Gebrüder Schreiber überging, schwangen sich diese
mit einem Angebot von 1000 Gästebetten in Kulm, Klösterli und Staffel zu eigentlichen Königen
der Rigi auf. Allein auf Rigi Kulm übernachteten 1875 um die 15‘000 Gäste. Der Boom war
derart immens, dass die Rigi Ende des 19. Jahrhunderts die höchste Beherbergungsdichte im
gesamten Alpenraum aufwies.
Die Erschliessung der Rigi mit einer städtisch anmutenden Infrastruktur hatte den Berg zwar zu
einem Vorbild der europäischen Hotellerie gemacht, damit aber auch die Bergidylle nachhaltig
zerstört. Der Hotelkomplex auf Rigi Kulm wurde denn auch früh zum Gegenstand
landschaftsschützerischer Kritik. Seit seiner Gründung 1905 hatte der Schweizer Heimatschutz
die riesigen Hotelbauten der Belle Epoque als «Landschaftsverschandelung» gegeisselt. Die
Krise der Schweizer Hotellerie im Ersten Weltkrieg leistete dieser Kritik Vorschub. Auch nach
Kriegsende erreichten die Gästezahlen nie mehr das Niveau der Belle Epoque. 1934 waren die
Gästebetten auf Rigi Kulm noch zu knapp 20 Prozent ausgelastet. Die Einwände des
Heimatschutzes gingen im Zweiten Weltkrieg in eine fundamentale Kritik an den halbleer
stehenden Hotelkästen über. Mit dem Abbruch des Rigi-Kulm-Hotelkomplexes in den 1950erJahren und seinem Ersatz durch einen kargen hospizähnlichen Hotelbau statuierte der
Heimatschutz ein Exempel gegen die Verschandelung der Schweizer Natur und Bergwelt durch
mondäne Hotelbauten. Hinter dieser Säuberungsaktion, der nebst den Rigi-Hotels zahlreiche
weitere Hotels am Vierwaldstättersee zum Opfer fielen, verbarg sich eine der geistigen
Landesverteidigung geschuldete Rückbesinnung auf traditionelle Schweizer Werte. Mit dem
Bau von Ferienwohnungen und Ferienhäusern setzte auf der Rigi ab den 1950er-Jahren eine
Entwicklung ein, wie sie in allen Schweizer Tourismusorten zu beobachten ist. Während sich
das Angebot der sogenannten Parahotellerie von 12 Gästebetten um 1937 innert vierzig Jahren
auf rund 1500 Betten vergrösserte, erlebte das Hotelangebot im selben Zeitraum eine
Halbierung auf knapp 700 Gästebetten. Eine Rehabilitation der mondänen Belle-Epoque-Hotels
setzte in den 1960er-Jahren nur langsam ein, und erst in den 1990er-Jahren kam es zur
Wiederentdeckung ihres touristischen Werts.
Literatur:

Adi Kälin: Rigi – mehr als ein Berg. Baden 2012.

Erwin Horat: Der Tourismus. In: Geschichte des Kantons Schwyz, Bd. 5, Zürich 2012, 160173.

Heinz Horat: Glanzzeit des Tourismus auf Bergen und Seen. In: Stadelmann, Pius (Hg):
Vierwaldstättersee. Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Menschen. Kriens 2007, 280-295.
www.waldstätterweg.ch
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Felix Weber: 175 Jahre Rigi-Kulm-Hotel. 1991.

Urs Bänziger: Die Rigi – ein touristisches Zentrum. Zürich 1978
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Autorin: Erika Flückiger Strebel, 2015
© Albert Koechlin Stiftung, Luzern
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