Theorie der Klassik

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Alle Rechte vorbehalten
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Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2009
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ISBN 978-3-15-018625-1
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Antike Grundlegung
Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die
Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst . . . . . . . . . . . . . . 25
Johann Joachim Winckelmann: Apollo im Belvedere. Beschreibung desselben . . . . . . . . . . . . 51
Johann Gottfried Herder: Briefe zur Beförderung
der Humanität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Wilhelm von Humboldt: Über das Studium des Alterthums, und des Griechischen insbesondere . . . 65
Wilhelm von Humboldt: Latium und Hellas oder
Betrachtungen über das classische Alterthum . . . 72
Anton Raphael Mengs: Gedanken über die Schönheit und über den Geschmak in der Malerey . . . 91
Christoph Martin Wieland: Gedanken über die
Ideale der Alten (Veranlaßt durch das Vierte Fragment im 3ten Bande der Lavaterischen Physiognom. Fragm.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97
Johann Jacob Wilhelm Heinse: Über einige Gemählde der Düsseldorfer Gallerie . . . . . . . . . . . . 103
Friedrich Schlegel: Kritische Fragmente . . . . . . . 112
Friedrich Schlegel: Athenäums-Fragmente . . . . . . 113
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II. Theorie der schönen Künste
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Karl Philipp Moritz: Versuch einer Vereinigung aller
schönen Künste und Wissenschaften unter dem
Begriff des i n s i c h s e l b s t Vo l l e n d e t e n . . . .
Karl Philipp Moritz: Über die bildende Nachahmung des Schönen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Karl Philipp Moritz: Grundlinien zu einer vollständigen Theorie der schönen Künste . . . . . . . . .
Johann Wolfgang Goethe: Einfache Nachahmung
der Natur, Manier, Stil . . . . . . . . . . . . . . . .
Johann Wolfgang Goethe: Literarischer Sansculottismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Programmatische Klassik
Johann Wolfgang Goethe: Einleitung in die Propyläen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Friedrich Schiller: Ankündigung. Die Horen, eine
Monatsschrift, von einer Gesellschaft verfaßt und
herausgegeben von Schiller . . . . . . . . . . . . . .
Friedrich Schiller: Über die ästhetische Erziehung
des Menschen in einer Reihe von Briefen . . . . .
Friedrich Schiller: Über naive und sentimentalische
Dichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Gattungstheorie und Gattungspoetik
Johann Wolfgang Goethe / Friedrich Schiller: Über
epische und dramatische Dichtung . . . . . . . . . 272
Friedrich Schiller: Über Bürgers Gedichte . . . . . . 275
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Friedrich Schiller: Über den Gebrauch des Chors in
der Tragödie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
Johann Wolfgang Goethe: Nachlese zu Aristoteles’
Poetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296
V. Klassiker-Gestalten
Johann Wolfgang Goethe: Winckelmann und sein
Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wilhelm von Humboldt: Über Schiller und den
Gang seiner Geistesentwicklung . . . . . . . . . .
Joseph von Eichendorff: Der deutsche Roman des
achtzehnten Jahrhunderts in seinem Verhältniß
zum Christenthum . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Joseph von Eichendorff: Zur Geschichte des Dramas
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VI. Antik und Modern / Klassisch und
Romantisch
Johann Wolfgang Goethe: Antik und Modern . . . .
Johann Wolfgang Goethe: Über das »antike Tragische und das Romantische«. Aus den Gesprächen
mit Riemer (Tagebuch vom 28. August 1808) . . .
Johann Wolfgang Goethe: Klassisch und Romantisch
Carl Gustav Jochmann: Die Rückschritte der Poesie
Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Entwicklung des
Ideals zu den besonderen Formen des Kunstschönen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Johann Wolfgang Goethe: Gespräche mit Eckermann (17. Oktober 1828) . . . . . . . . . . . . . .
Friedrich Schlegel: Über das Studium der griechischen Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VII. Was bleibt (Reflexion und Fortleben)
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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Die klassische Kunstform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369
Jean Paul: Vorschule der Ästhetik. MiserikordiasVorlesung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373
Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen.
David Strauss, der Bekenner und der Schriftsteller 378
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381
Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
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Klassik und Theorie
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»Der classischen Litteratur geht
es, wie der Antike; sie ist uns
eigentlich nicht gegeben – sie
ist nicht vorhanden – sondern
sie soll von uns erst hervorgebracht werden.«
(Novalis, »Über Goethe«)1
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Von einer Theorie der Klassik sprechen, heißt, ihre begriffliche Doppeldeutigkeit und ihre ästhetischen Grundbegriffe zu charakterisieren. ›Klassik‹ ist sowohl ein ästhetischer Normbegriff in der Literatur, Musik und Kunst als
auch ein geschichtlicher Epochenbegriff. Klassik als Norm
in der Literatur ist das Ergebnis vornehmlich philologischer Selektionen aus einem Vorrat von Gattungen, Werken und Autoren. Am Ende eines solchen literaturgeschichtlichen Auswahlprozesses kristallisiert sich ein
Kanon heraus, der fortan normative, d. h. überzeitliche
Gültigkeit beansprucht. Klassik als Epoche verweist einerseits stets auf allgemeine literaturgeschichtliche Bestimmungen von Epochenbildungen und andererseits auf einzelne historische Ausprägungen »klassischer« Perioden
und ihrer Voraussetzungen und Wirkungen.2 In Deutsch-
1 Novalis, »[Über Goethe]«, in: N., Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs, Bd. 2: Das philosophische Werk, hrsg. von Richard Samuel in Zs.Arb. mit Joachim Mähl und Gerhard Schulz, Stuttgart [u. a.] 1981, S. 642.
2 Der Literaturhistoriker August Friedrich Christian Vilmar geht in seiner Geschichte der deutschen National-Litteratur (25. Aufl., Berlin 1901) von »zwei
klassischen Perioden«, dem 13. Jahrhundert und dem Ende des 18. Jahrhun30
derts, aus. Diskutiert wird gegenwärtig auch das Konzept einer »Berliner
Klassik« um 1800 als Kontrapunkt zur »Weimarer Klassik«. Vgl. dazu
Tableau de Berlin. Beiträge zur »Berliner Klassik« (1786–1815), hrsg. von
Iwan-Michelangelo D’Aprile [u. a.], Hannover-Laatzen 2005, sowie ders.,
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Einleitung
land gilt die »Weimarer Klassik« (im Kernbereich von
1786 bis 1805) als zentrale klassische Epoche innerhalb
der europäischen Literatur und als Gipfelepoche der deutschen Literaturgeschichte. Deshalb konzentriert sich die
folgende Auswahl auf Texte dieses Klassikparadigmas.3
›Klassik‹, ›Klassizismus‹ und das ›Klassische‹ werden in
Europa stets mit dem Vorbild der griechisch-römischen
Antike verknüpft. Allerdings erhält der Begriff ›Klassik‹
erst seine herausgehobene Bedeutung in der Zeit um 1800,
jener »Sattelzeit« (Reinhart Koselleck), die mit dem Entstehen eines spezifischen historischen Sinns (Historismus)
nicht nur die Einheit des antiken Klassik-Paradigmas postuliert, sondern zugleich die Differenz zwischen dem
Normativen und dem Epochenhistorischen von Klassik
kenntlich macht. Von daher leitet sich auch die Gegenüberstellung von Antike und Moderne her, eine Dichotomie, die bis ins 20. Jahrhundert an der Dichotomie
zwischen dem Normativ-Klassischen und dem Epochenspezifisch-Historischen des Klassikparadigmas festhält.
Andere Oppositionsbegriffe (Klassik vs. Manierismus oder
Klassik vs. Barock; Klassik/klassisch vs. Romantik/romantisch) bestimmen ebenfalls die konzeptuellen Diskussionen des Klassik-Begriffs. Es scheint einen kontinuierlichen ›Klassikbedarf‹ zu geben, der die grundlegende und
stets widersprüchliche Einheit von Idealitätsanspruch und
Geschichtlichkeit im Klassikbegriff zur Voraussetzung
hat. Deshalb bestimmt die Einheit in der Differenz von
Normativität und Historizität durchgehend das KlassikProblem. Von daher lässt sich ›Klassik‹ auch immer zugleich als utopisch und historisch bezeichnen. Anders forDie schöne Republik. Ästhetische Moderne in Berlin im ausgehenden 18.
Jahrhundert, Tübingen 2006.
3 Vgl. dazu im Einzelnen: Wilhelm Voßkamp, »Klassik als Epoche. Zur Typologie und Funktion der Weimarer Klassik«, in: Epochenschwelle und
Epochenbewußtsein, hrsg. von Reinhart Herzog und Reinhart Koselleck,
München 1987, S. 493–514; ders., »Klassik/Klassisch/Klassizismus«, in: Lexikon der ästhetischen Grundbegriffe, Bd. 3, Stuttgart 2001, S. 289–305.
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muliert: Das Klassische ist durchgehend mit Fragen der in
der Geschichte stattfindenden Kanonisierungsvorgänge im
Sinne des Vorbildlichen und Mustergültigen verbunden.
Ein idealistischer (in der Regel an der Antike orientierter)
Normbegriff ist darüber hinaus stets mit einem durch Kanonisierung verfestigten Stilbegriff des Überzeitlich-Gültigen verknüpft.
Wortgeschichtlich leitet sich ›klassisch‹ vom lateinischen
Adjektiv classicus ab. Civis classicus bezeichnete den Angehörigen der höchsten Steuerklasse (classis prima). Die
Übertragung eines staatswissenschaftlichen, aus dem Bereich der Lebenspraxis stammenden Begriffs auf den literarisch-kulturellen Bereich ist folgenreich. Ein scriptor classicus gehört zu jenen Schriftstellern, deren Werke sich durch
richtigen Sprachgebrauch auszeichnen, als mustergültig
und damit für den Schulgebrauch besonders geeignet angesehen werden und von daher kanonisierungsfähig sind. In
Deutschland findet sich der Begriff ›Klassik‹ zuerst 1770 in
Friedrich Schlegels Fragmenten. »Classik« wird im Zusammenhang mit »classisch« stiltypologisch verwandt und orientiert sich vornehmlich an Johann Joachim Winckelmanns
Vorstellungen, denen Friedrich Schlegel den Oppositionsbegriff des »Romantischen« gegenüberstellt.
Antike Grundlegung
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Die Dominanz der griechisch-römischen Antike bei der
Entstehung und Bewertung der europäischen Klassik-Modelle kann nicht überbewertet werden. Die Antike bildet
das Kommunikations- und Funktionsmodell für alle anderen europäischen Klassiken. Dabei spielt der Zusammenhang von Kanon und Klassik sowohl unter Formaspekten als auch unter Gesichtspunkten eines anthropologischen Bedarfs an Ordnung und Mustergültigkeit eine
zentrale Rolle. Bereits die griechische Antike des 5. Jahr-
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hunderts wird im 4. Jahrhundert selektiv rezipiert, so dass
das Bewusstsein einer ›heroischen‹ Epoche im Sinne eines
Abstands und einer gehörigen Distanz entsteht. Zudem
bildet sich ein auch künftig wiederkehrendes zeitliches
Dreierschema heraus. Dieses Schema geht von einer guten
Vergangenheit aus; es bestimmt die Jetztzeit als ›schlechte‹
Zwischenzeit, von der aus die Anstrengung zur Rückkehr
in eine erfüllte Vorvergangenheit als Zukunft gefordert
wird. Dieses Triasmodell existiert in der Antike als Denkbild, während es in den neueren europäischen Klassiken
im Horizont von »Verzeitlichung« (Reinhart Koselleck)
als geschichtsphilosophisches Modell interpretiert werden
kann. Das Herausgehobensein einer begrenzten Zahl von
Autoren im Sinne von Gründerfiguren ist der erste Schritt
zur Kanonbildung, die Anerkennung solcher Musterautoren (wie Sophokles oder Vergil) lässt sich als Herausforderung für das Ausschöpfen des antiken Innovationspotentials in den verschiedenen neuzeitlich-europäischen
Klassiken beobachten. Klassik kann dabei als Gegenmittel
gegenüber historischen Krisenzeiten verstanden werden.
Dass es sich bei solchen funktional eingesetzten Kontrast- und Gegenmitteln in erster Linie um normative
Formbegriffe handelt, wird besonders daran sichtbar, dass
die antike Idealform und das Maßvolle an der Skulptur
des Doryphoros von Polyklet (entstanden etwa in der
Zeit von 450–410 v. Chr.) abgelesen wurden. Polyklet hat
in seiner für spätere Proportionslehren grundlegenden
Schrift mit dem Titel Kanon (von der allerdings nur wenig
überliefert und in einzelnen Zeugnissen späterer Autoren
tradiert ist) grundlegende Prinzipien von Symmetrie, Harmonie und Bezogensein auf eine Mitte formuliert, die (in
der platonischen Tradition) als Inbegriff mustergültiger
Idealform gelten konnte. Darauf beruhen etwa Winckelmanns Vorstellungen von den klassischen Maßen ebenso
wie die Symmetrievorstellungen der Klaviersonaten Mozarts. Ein hohes Maß an Objektivität und Ausgewogen-
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heit im Sinn eines Zusammenhangs des Einzelnen mit dem
Ganzen bewirkt zudem jene formale Geschlossenheit, die
eine übersteigerte Subjektivität zurückweist und das
»Mittlere zweier extremer Möglichkeiten«4 zum Maßstab
erhebt. Die Lehre vom Angemessenen soll sich darüber
hinaus auch in festen Gattungsregeln konkretisieren.
Beobachtbar ist das Klassische unter anthropologischen
Gesichtspunkten insofern, als ein stets vorhandenes Bedürfnis nach Orientierung durch regulative Ideen der
vollkommenen und vollendeten Form gestillt werden
kann. Diese in der antiken Tradition beobachtbare anthropologische Figur bleibt ein auffallendes Merkmal aller europäischen Klassiken, wobei sich deren formale
Ordnungsvorstellungen auch als moral-didaktische Disziplinierungsmittel erweisen. Die Frage des Klassikbedarfs und der Orientierungsfunktion ist daher abhängig
von bestimmten historischen Machtkonstellationen. Klassik als kulturelle Praxis kann selbst zu einem Ordnungsund Machtfaktor werden. Dies zeigt sich insbesondere in
der deutschen Diskussion, wenn Klassik, vornehmlich im
19. Jahrhundert, als Mittel der nationalen Identitätsstiftung dient.
Das Programm einer deutschen Klassik
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Im Unterschied zu vergleichbaren europäischen Nationalliteraturen (etwa zu Frankreich) ist die deutsche (Weimarer) Klassik ein historisch ›spätes‹ Phänomen. Sie steht zudem »nicht im Einklang von Geist und (politischer)
Macht« (wie in der lateinischen oder französischen Klassik), sondern vielmehr in der Spannung und »Verbindung
4 Karl Reinhardt, »Die klassische Philologie und das Klassische« (1942), in:
K. R., Vermächtnis der Antike. Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung, hrsg. von Carl Becker, Göttingen 1960, S. 336.
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von geistiger Größe und staatlicher Bedeutungslosigkeit«.5
Eine Zuordnung zu Herrschern wie Augustus oder Ludwig XIV. ist ausgeschlossen. Der Zusammenhang von
nicht vorhandener nationaler politischer Macht mit deutscher Klassik spiegelt sich auf der Ebene des Hofes von
Weimar. Die »Weimarer Klassik« im engeren Sinne umfasst den Zeitraum vom Beginn der italienischen Reise
Goethes 1786 bis zu Schillers Tod 1805. Sie fällt mit jener
Phase revolutionärer Ereignisse in Frankreich und deren
Folgen in Mitteleuropa zusammen, die die Krisenerfahrungen der frühen Moderne deutlich macht und zuspitzt.
Die vorteilhafte politische Situation Weimars – der Frieden von Basel 1799 – sicherte dem Herzogtum SachsenWeimar weitgehende Unabhängigkeit von den Großmächten. Das bedeutete eine Phase relativer Ruhe vor den Revolutionskriegen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass
die in der Weimarer Klassik entwickelten literatur- und
kunsttheoretischen Konzepte durchaus auf die revolutionäre politische Situation reagieren, indem intendierte
Ordnungsfindung oder Wiederherstellung von Ordnung
eine wichtige Rolle spielen. Von daher liegt es zudem
nahe, dass die in dieser Zeit entstandenen, durchaus nicht
kohärenten Konzepte noch keine Einheit als »Klassik«
bilden, sondern diese erst das Ergebnis einer kulturpolitisch bedingten Synthetisierung der deutschen Literaturgeschichtsschreibung im 19. Jahrhundert darstellt. Die
Einheit der Epoche wird erst in der Rezeption dieser Epoche erzeugt.
Im Unterschied zur französischen Klassik, die sich am
römischen Modell orientiert, bekennt sich die deutsche
(Weimarer) Klassik zum griechischen Paradigma. »Mit
den Alten«, heißt es bei Johann Gottfried Herder, »haben
wir empfangen, was allein den Geschmack sichert, Ver5 Vgl. Walter Muschg, »Die deutsche Klassik, tragisch gesehen«, in: Begriffsbestimmung der Klassik und des Klassischen, hrsg. von Heinz Otto Burger,
Darmstadt 1972, S. 157–176, hier S. 161.
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hältnis, Regel, Richtmaas, Form der Gestalten im weiten
Reich der Natur und Kunst, ja der gesamten Menschheit«.6 Erst in der Verbindung mit dem durch Winckelmann vermittelten Griechenideal und einer von Rousseau
entwickelten geschichtsphilosophischen Perspektive der
Wiederherstellung von Ganzheit als einer universell gedachten Utopie von Humanität lässt sich die Wirkung des
deutschen Klassikparadigmas verstehen. Nach Wilhelm
von Humboldts Überzeugung kann erst »Griechischer
Geist auf deutschen geimpft« das ergeben, »worin die
Menschheit, ohne Stillstand vorschreiten kann«.7
Bei allen beobachtbaren inhärenten Widersprüchen lassen sich indes bestimmte theoretische Modelle und ästhetische Konzepte hervorheben, die die historische und
literaturpolitische Konstellation in Weimar um 1800 charakterisieren. Dazu gehören insbesondere das der ästhetischen Autonomie und ein auf Humanität verpflichtetes
und verpflichtendes Bildungsideal.
Autonomieästhetik
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Autonomieästhetik lässt sich als folgerichtiges Ergebnis
einer Emanzipation des modernen Subjekts – exemplarisch verkörpert im Künstler – verstehen. Kein anderes
Konzept dürfte den Kern der klassischen Kunsttheorie im
18. und 19. Jahrhundert besser charakterisieren als jene
Vorstellung von Kunst, die alle zweckgerichteten, utilitaristischen Bestimmungen verneint und das »In sich selbst
Vollendete« (Karl Philipp Moritz) zur höchsten Priorität
6 Johann Gottfried Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität
(1793–1797), in: J. G. H., Sämtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan,
Bd. 18, Berlin 1883, S. 73 f.
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7 Wilhelm von Humboldt an J. G. Schweighäuser (4. November 1807), in:
W. v. H., Briefe an Johann Gottfried Schweighäuser, zum ersten Mal nach
dem Original hrsg. und erl. von Albert Leitzmann, Jena 1934, S. 42.
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des Kunstwerks erhebt. Wenn Moses Mendelssohn in der
strikten Abwendung vom aristotelischen Mimesis-Prinzip
den homo aestheticus im freien Spiel der Einbildungskraft
zur Grundlage seines ästhetischen Autonomie-Konzepts
macht, so spitzt Karl Philipp Moritz das Autonomie-Postulat noch zu. Er geht von einer objektiven Autonomie
des schönen Gegenstands aus; der Zweck wird in den
schönen Gegenstand hineingenommen, so dass das Kunstwerk den objektiven Status eines für sich bestehenden
vollendeten Ganzen erhält. Angesichts einer im letzten
Drittel des 18. Jahrhunderts zunehmenden Aufspaltung
der literarischen Produktion in einen Bereich einerseits
marktgerechter, leicht konsumierbarer und andererseits
formbewusster, literarisch-avancierter Texte postuliert
Friedrich Schiller – unter Rückgriff auf Immanuel Kants
Autonomie-Bestimmung der Kunst – »ihre strengste Separation« von der »wirklichen Welt«, weil eine »Koalition« beider dem Dichter »gefährlich« wäre und »die Wirklichkeit [ihn] nur beschmutzen würde«.8
Kunst erfreut sich deshalb einer absoluten »Immunität
von der Willkühr der Menschen«9, und damit ist der
Selbstzweck der Kunst – bis hin zur Negationsästhetik
Theodor W. Adornos – in der Folgezeit charakterisiert.
Dies bedeutet ein neues Selbstverständnis des Künstlers
und Schriftstellers im Horizont der vorausgegangenen
Genie-Diskussion ebenso wie veränderte Modi von Rezeptionseinstellungen und Rezeptionsweisen in der Moderne. Dem Selbstzweck der Kunst entsprechen die
Selbstgesetzgebung des Künstlers und die Selbstbestimmung des wahrnehmenden Subjekts. Insofern kann künst8 Vgl. Schillers Brief an Herder vom 4. November 1795, in: F. Sch., Briefe,
mit Einl. und Komm. hrsg. von Erwin Streitfeld und Viktor Žmegač, Königstein i. Ts. 1983, S. 296.
9 Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer
Reihe von Briefen, mit den Augustenburger Briefen hrsg. von Klaus L.
Berghahn, Stuttgart 2000, 9. Brief, S. 34 (das Wort »Immunität« ist in den
ersten Buchausgaben gesperrt gedruckt).
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lerische Autonomie auch als Antizipation der menschlichen verstanden werden. Der utopische Anspruch richtet
sich – und hier im Unterschied zur Aufklärung – auf eine
mittelbare Veränderung von Wirklichkeit über den Weg
ästhetischer Erziehung. Der ästhetische Mehrwert verbürgt potentiell eine unendliche Auslegung und Wirkung.
In der Autonomie-Vorstellung wird damit am Ende des
18. Jahrhunderts ein ästhetisches Prinzip entworfen, das
soziale Funktionen über einen ›Umweg‹ zu definieren versucht. Der politischen Revolution in Frankreich sollte ein
ästhetisches Konzept in Deutschland entgegengestellt
werden, das aufgrund seiner prinzipiellen ›Funktionslosigkeit‹ politisch unangreifbar ist. Das Unbeflecktsein der
Kunst durch Wirklichkeit sichert ihr ein Widerstandspotential gegen Geschichte und Politik. Im ästhetischen Autonomiepostulat der Klassik konnte eine je aktualisierbare
Antwort auf zeitgenössische Entfremdung und Zweckrationalität erblickt werden. Das gilt auch für Goethes Stilbestimmung in der scharfen Abgrenzung von tradierten
Mimesis-Vorstellungen und einer nur auf das subjektive
Moment zielenden »Manier«. Es geht um das »Wesen der
Dinge« und damit um eine Anknüpfung an antike Vorbildlichkeit im Zeichen programmatischer Ganzheit.
Das Ideal der Humanität
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Dass dies auch die Basis für das vor allem von Herder,
Schiller und Wilhelm von Humboldt entwickelte Humanitätsideal darstellt, wird deutlich, wenn Herder etwa die
»Bildung zur Humanität« als die gattungsgeschichtlich
notwendige und wichtigste Aufgabe der Menschen bezeichnet. »Humanität ist der Schatz und die Ausbeute aller menschlichen Bemühungen, gleichsam die Kunst u n s e r e s G e s c h l e c h t e s. Die Bildung zu ihr ist ein Werk,
das unabläßig fortgesetzt werden muß, oder wir sinken,
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höhere und niedere Stände, zur rohen Thierheit, zur B r u t a l i t ä t zurück.«10 Schiller stellt in der Ankündigung zu
seiner Zeitschrift Die Horen (1795–97) den Zusammenhang mit den zeitgenössischen politischen Ereignissen unmittelbar her, wenn er in seinem Kulturprogramm der
»wahren Humanität« ein Gegenmittel gegenüber dem »allverfolgenden Dämon der Staatskritik« erblickt. Es geht um
ein allgemeines, höheres Interesse an dem, »was rein
menschlich und über allen Einfluss der Zeiten erhaben ist
[…]«.11 Dem beschränkten Interesse der Gegenwart sollen
»Ideale veredelter Menschheit« entgegengesetzt werden.
Dabei ist nicht unwichtig, dass Begriffe wie »Wohlanständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede« betont
werden. Wenn im Horizont von Revolution und Revolutionskriegen ›Chaos‹ als Hauptmerkmal der Epoche erfahren wird, müssen Ordnungsstiftung und Frieden zu literaturpolitisch zentralen Momenten von Kultur werden. Es
geht dabei nicht um einen momentanen, politischen Erfolg,
sondern um ein geschichtsphilosophisch orientiertes Programm von Bildung zur Humanität durch Kunst, das sein
zeitloses Vorbild in der griechischen Antike sieht.
Die auf das antike Vorbild verweisende und dezidiert
postulierte Ganzheit und erhoffte Überzeitlichkeit der
Kunst führen zu einer Substantialisierung des Klassikparadigmas, das in der Literaturgeschichte des 19. Jahrhunderts zu Homogenisierungen von durchaus spannungsreichen Konzepten der Weimarer Klassik führt, die nicht immer kohärent sind. Der Geltungsanspruch der klassischen
Epoche gegenüber allen anderen Epochen findet seine Begründung in einer Synthetisierung von Konzepten und erklärt damit Wirkungsmöglichkeiten bis in die Moderne.
Dass dabei Hegels überhöhende Auslegung eine wichtige
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10 Johann Gottfried Herder, Briefe zur Beförderung der Humanität
(1793–1797), in: J. G. H., Sämtliche Werke, hrsg. von Bernhard Suphan,
Bd. 18, Berlin 1883, S. 138.
11 Ankündigung zu den Horen, im vorliegenden Band S. 191.
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Rolle gespielt hat, liegt auf der Hand. Wenn für Hegel
klassische Kunst allgemein ihre Bedeutung in sich selbst
und aus sich selbst erhält, vermag das Klassische als »autonome Selbstverwirklichung des Geistigen« jenseits alles
Zeitlichen einen herausgehobenen Sonderstatus zu erlangen. Das lässt sich etwa noch bei der für die aktuelle Rezeptionsgeschichte wichtigen Bestimmung Hans-Georg
Gadamers beobachten, der zwar das Klassische auch als
»geschichtliche Kategorie« betont, aber gleichzeitig mit
Hegel von einer Art »zeitloser Gegenwart« ausgeht, »die
für jede Gegenwart Gleichzeitigkeit bedeutet […] Klassisch ist, was der historischen Kritik gegenüber standhält,
weil seine geschichtliche Herrschaft, die verpflichtende
Macht seiner sich überliefernden und bewahrenden Geltung, aller historischen Reflexion schon vorausliegt und
sich in ihr durchhält«.12 Damit wird die Funktion des
Klassikparadigmas im Zeichen anti-revolutionärer Ordnungssuche und Sinnvergewisserung im 18. Jahrhundert
noch immer als universales Heil- und Gegenmittel gegen
die Geschichtlichkeit der Moderne (Entfremdung und
Zweckrationalität) verstanden.
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Die schrittweise Verwirklichung von Humanität wird im
Horizont individueller und menschheitsgeschichtlicher
Prozessualität erhofft. Deshalb gehört »Bildung« zu den
Hauptkennzeichen (und Wiedererkennungsmerkmalen) der
Weimarer Klassik, deren pädagogischer Charakter evident
ist. Schillers Konzeption der »ästhetischen Erziehung« ist
ein Programm der Selbstvervollkommnung und Erziehung zur Humanität. Kunst und Literatur bieten Mög12 Vgl. Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, 2. Aufl., Tübingen
1965, S. 271.
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lichkeiten der »Veredlung des Charakters«, und »alle Verbesserung im politischen soll von Veredlung des Charakters ausgehen«.13 Individuelle Selbstverwirklichung (Wiederherstellung der subjektiven »Totalität«) und politische
Reform (»ästhetischer Staat«) lassen sich nur über eine
»höhere Kunst« erreichen. In der Verbindung von Stoffund Formtrieb, die ihren höchsten Ausdruck im Spiel
findet, versucht Schiller beide Seiten seines Programms
zu entfalten: Erziehung durch die Kunst und Erziehung
zur Kunst. Schönheit und ästhetische Erziehung stehen
im Zusammenhang eines geschichtsphilosophischen Programms mit kulturpolitischer Absicht. Die in einzelnen
»auserlesenen Zirkeln« bereits in der zeitgenössischen Gegenwart verwirklichte Humanität lässt sich deshalb als
eine utopische Vorwegnahme dessen, was erst noch im gesellschaftlich-politischen Ganzen erreicht werden muss,
charakterisieren.
Das gilt nicht minder für das Konzept der Bildung.
Wilhelm von Humboldts Bildungstheorie der Selbstvervollkommnung distanziert sich von einer utilitaristischen
Staatspädagogik des aufgeklärten Absolutismus. Unter
Rückgriff auf Muster der menschlichen Bildung in der
Antike geht es um das Erreichen individueller Totalität im
Sinne allseitiger und ganzheitlicher Vervollkommnung des
Subjekts. »Der wahre Zwek des Menschen […] ist die
höchste und proportionirlichste Bildung seiner Kräfte zu
einem Ganzen«.14 Individuelle Bildung, die den ganzen
Menschen in allen seinen Möglichkeiten umfasst, ist zugleich die Voraussetzung und einzige Möglichkeit »für die
Fortschritte des Menschengeschlechts«. Humboldt geht es
13 Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen (s. Anm.
9), S. 33. Vgl. in diesem Band, S. 198 f.
14 W. v. H., Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats
zu bestimmen, in: W. v. H., Werke, hrsg. von Albert Leitzmann, Bd. 1:
1785–1795, Berlin 1903 (Gesammelte Schriften, Abt. 1: Werke, Bd. 1.), S.
95–254, hier S. 106.
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um die Verbindung von je einzelner und gattungsgeschichtlicher Vervollkommnung, um den »Begriff der
Menschheit in unsrer Person«.15
Dass gerade dieses Modell der Synchronie von ›Subjekt‹
und ›Geschichte‹ nicht vom historisch-aktuellen Kontext
zu trennen ist, machen die verschiedenen Stellungnahmen
gerade Wilhelm von Humboldts deutlich. Am Ende seiner
Abhandlung Über Goethes Hermann und Dorothea
(1798) hebt er diesen Sachverhalt unmissverständlich hervor, wenn er betont, dass »[…] es nie nöthiger war, die innern Formen des Charakters zu bilden und zu befestigen,
als jetzt, wo die äussern der Umstände und der Gewohnheit mit so furchtbarer Gewalt einen allgemeinen Umsturz
drohen«.16 Kann Revolution durch Bildung gebannt werden?
Wie wird die grundsätzliche Spannung im Prinzip »Bildung« zwischen intentionaler Unbedingtheit und notwendiger Begrenzung (auf)gelöst? Ist das Ideal zweckfreier
(durch Literatur und Kunst geprägter) Bildung in der historisch-politischen Wirklichkeit und im Horizont von
»Ausbildung« überhaupt realisierbar? Verständlich wird
das neuhumanistische Bildungskonzept der Weimarer
Klassik nur, wenn sein utopischer Überschuss bedacht
wird.
Wenn man ästhetische Autonomie, Humanität und Bildung als die zentralen, Klassik in Deutschland konstituierenden Konzepte hervorhebt, so mag schließlich auch auf
die Rolle der (Natur)Wissenschaft als Ordnung verbürgendes (und in der Rezeption wirkungsmächtiges) Mo-
15 W. v. H., Theorie der Bildung des Menschen. Bruchstück, in: W. v. H., Werke, hrsg. von Albert Leitzmann, Bd. 1: 1785–1795, Berlin 1903 (Gesammelte Schriften, Abt. 1: Werke, Bd. 1), S. 282–287, hier S. 283.
16 W. v. H., Ästhetische Versuche. Erster Theil. Über Goethes Hermann und
Dorothea, in: W. v. H., Werke, hrsg. von Albert Leitzmann, Bd. 2:
1796–1799, Berlin 1904 (Gesammelte Schriften, Abt. 1: Werke, Bd. 2.),
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S. 113–319, hier S. 319.
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ment hingewiesen werden. Zu Recht ist betont worden,
wie entscheidend vor allem bei Goethe der Zusammenhang von naturwissenschaftlichen und ästhetischen Ordnungsprinzipien ist und welche Rolle »wissenschaftliches
Vorgehen« spielt, das noch »alle angebotenen politischen
Theorien […] als ein Ordnungssystem übertraf«.17 Erst das
Ensemble der skizzierten Basiskonzepte lässt die Funktion der deutschen Klassik als normierendes Orientierungswissen im Zusammenhang von Literaturgeschichte
und (politischer) Nationalgeschichte in Deutschland verstehen.
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Möglichkeiten und Grenzen des Klassikparadigmas
Wenn die Weimarer Klassik als einheitliche literaturgeschichtliche Epoche rezipiert wurde, so hat das einerseits
mit den hier dargestellten, als universell gültig angesehenen Konzepten zu tun und andererseits mit jener angedeuteten kulturpolitischen Funktion in Deutschland, die
die Kluft zwischen Literaturgeschichte und politischer
Geschichte überbrücken wollte. Die an der Antike orientierten universalistischen Grundsatzprogramme wurden
deshalb mit der nationalen Identitätsproblematik verknüpft. Die Weimarer Klassik übernahm die historischparadigmatische Rolle einer Gipfelepoche, weil das klassische Programm der ›Ganzheit‹ mit dem politischen
Ziel der nationalen Einheit konstitutiv verknüpft werden
konnte. Und dies, obwohl die Weimarer Klassik im Spektrum ihrer Werke keine Einheit bildet (Goethes Wilhelm
Meister- und Faust-Projekte erstrecken sich vom letzten
Drittel des 18. bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts).
Wielands Geschichte des Agathon liegt in drei unterschied17 Victor Lange, »Überlegungen zur ›Deutschen Klassik‹«, in: Das achtzehnte Jahrhundert als Epoche, hrsg. von Bernhard Fabian und Wilhelm
Schmidt-Biggemann, Nendeln 1978, S. 100–102.
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lichen Fassungen (1767/87/94) vor; Schillers Dramen am
Ende des 18. und im beginnenden 19. Jahrhundert lassen
sich vor allem unter dem Einfluss Shakespeares nicht
mehr nach den klassischen Regeln bestimmen, und die
Jungfrau von Orleans (1801) wird ausdrücklich bereits als
»romantische Tragödie« bezeichnet. Erst der kulturpolitische, nationale ›Bedarf‹ an Klassik ermöglicht im Zeichen
normativer Großkonzepte eine Homogenisierung, die die
einzelnen Konzepte selbst nicht erlauben. Wenn Wieland
im Blick auf das klassische Harmonie-Modell von einem
»Imperativ« spricht und betont, dass es sich um ein Ideal
und nicht um eine naturgegebene Harmonie handeln könne, oder wenn Goethe eine deutsche Klassik unter den gegebenen besonderen historischen Voraussetzungen nicht
einmal für wünschenswert hält, so wird bereits von einigen Autoren der Weimarer Klassik selbst auf die Grenzen
und Widersprüche des Gesamtkonzepts aufmerksam gemacht. Das gilt insbesondere für Winckelmanns unmittelbar durch antike Ganzheitsmodelle begründetes Konzept
der »edlen Einfalt und stillen Größe«, wenn deutlich wird,
dass auch das Gewaltsame in ein klassisches Kunstprogramm integriert werden musste (vgl. in der Diskussion
des Laokoon). Maß und Symmetrie werden durchaus auch
in der klassischen Ästhetik durch andere Faktoren herausgefordert und müssen ästhetisch sublimiert werden.18
Dass die Autorität des Klassischen, gerade wenn es um
Kanonfragen geht, durchaus im Feld der Macht entschieden wird und auch Missbrauch nicht ausschließt, bleibt
sichtbar – gerade wenn man die Rolle klassischer Paradigmen in den Unterrichtsinstitutionen von Schule und Universität berücksichtigt und die Funktion der Klassik in totalitären kunstpolitischen Programmen bedenkt.19 Von da18 Vgl. dazu Martin Dönike, Pathos, Ausdruck und Bewegung. Zur Ästhetik
des Weimarer Klassizismus 1796–1806. Berlin 2005.
19 Vgl. Bernhard Zeller (Hrsg.), Klassiker in finsteren Zeiten 1933–1945,
2 Bde., Marbach 1983.
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her geht es stets um sowohl normative, invariante Faktoren als auch um funktionale Selektionsverfahren zum
Zweck kollektiver Traditionsbildung, die bei dem KlassikParadigma zu bedenken sind. Schon in der Kritik der Romantiker wird erkennbar, dass bei aller gemeinsamen
Grundlegung durch die griechische Antike unterschiedliche Vorstellungen über deren Funktionen in der Moderne
sichtbar werden. Normativität und Historizität kennzeichnen deshalb eher eine »Kultur der Suche« (Friedrich
Nietzsche) als eine Festschreibung bestimmter autoritärer
Klassik-Konzepte. Wenn Novalis betont, dass uns die
klassische Literatur »eigentlich nicht gegeben [ist]; sie soll
von uns erst hervorgebracht werden« (vgl. das Motto zu
diesem Band), so wird deutlich, dass in der ästhetischen
Kanon-Diskussion und in der Frage der jeweiligen kulturpolitischen Funktion Kritik stets mitbedacht werden muss
im Sinne eines unabschließbaren Klassik-Projekts.
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I. Antike Grundlegung
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Werke in der Malerey und Bildhauerkunst
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Der gute Geschmack, welcher sich mehr und mehr durch
die Welt ausbreitet, hat sich angefangen zuerst unter dem
griechischen Himmel zu bilden. Alle Erfindungen fremder Völker kamen gleichsam nur als der erste Saame nach
Griechenland, und nahmen eine andere Natur und Gestalt an in dem Lande, welches Minerva,* sagt man, vor
allen Ländern, wegen der gemässigten Jahreszeiten, die
sie hier angetroffen, den Griechen zur Wohnung angewiesen, als ein Land welches kluge Köpfe hervorbringen
würde.
Der Geschmack, den diese Nation ihren Werken gegeben hat, ist ihr eigen geblieben; er hat sich selten weit von
Griechenland entfernet, ohne etwas zu verliehren, und unter entlegenen Himmelstrichen ist er spät bekannt geworden. Er war ohne Zweifel ganz und gar fremde unter einem nordischen Himmel, zu der Zeit, da die beyden
Künste, deren große Lehrer die Griechen sind, wenig Verehrer fanden; zu der Zeit, da die verehrungswürdigsten
Stücke des Correggio im königlichen Stalle zu Stockholm
vor die Fenster, zu Bedeckung derselben, gehänget waren.
Und man muß gestehen, daß die Regierung des großen
Augusts der eigentliche glückliche Zeitpunct ist, in welchem die Künste, als eine fremde Colonie, in Sachsen eingeführet worden. Unter seinem Nachfolger, dem deut* Plato in Timæo, edit. Francof. p. 1044.
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I. Antike Grundlegung
schen Titus, sind dieselben diesem Lande eigen worden,
und durch sie wird der gute Geschmack allgemein.
Es ist ein ewiges Denkmahl der Größe dieses Monarchen, daß zu Bildung des guten Geschmacks die größten
Schätze aus Italien, und was sonst vollkommenes in der
Malerey in andern Ländern hervorgebracht worden vor
den Augen aller Welt aufgestellet sind. Sein Eifer, die
Künste zu verewigen, hat endlich nicht geruhet, bis wahrhafte untrügliche Werke griechischer Meister, und zwar
vom ersten Range, den Künstlern zur Nachahmung sind
gegeben worden.
Die reinsten Quellen der Kunst sind geöffnet: glücklich
ist, wer sie findet und schmecket. Diese Quellen suchen,
heißt nach Athen reisen; und Dreßden wird nunmehro
Athen für Künstler.
Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist,
unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten,
und was jemand vom Homer gesagt, daß derjenige ihn bewundern lernet, der ihn wohl verstehen gelernet, gilt auch
von den Kunstwerken der Alten, sonderlich der Griechen.
Man muß mit ihnen, wie mit seinem Freunde, bekannt geworden seyn, um den Laocoon eben so unnachahmlich als
den Homer zu finden. In solcher genauen Bekanntschaft
wird man wie Nicomachus von der Helena des Zeuxis
urtheilen: »Nimm meine Augen«, sagte er zu einen Unwissenden, der das Bild tadeln wollte, »so wird sie dir eine
Göttin scheinen.«
Mit diesem Auge haben Michael Angelo, Raphael und
Poußin die Werke der Alten angesehen. Sie haben den guten Geschmack aus seiner Quelle geschöpfet, und Raphael
in dem Lande selbst, wo er sich gebildet. Man weis, daß er
junge Leute nach Griechenland geschicket, die Überbleibsel des Alterthums für ihn zu zeichnen.
Eine Bildsäule von einer alten römischen Hand wird
sich gegen ein griechisches Urbild allemal verhalten, wie
Virgils Dido in ihrem Gefolge mit der Diana unter ihren
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Oreaden verglichen, sich gegen Homers Nausicaa verhält,
welche jener nachzuahmen gesuchet hat.
Laocoon war den Künstlern im alten Rom eben das,
was er uns ist; des Polyclets Regel; eine vollkommene Regel der Kunst.
Ich habe nicht nöthig anzuführen, daß sich in den berühmtesten Werken der griechischen Künstler gewisse
Nachläßigkeiten finden: der Delphin, welcher der Mediceischen Venus zugegeben ist, nebst den spielenden Kindern; die Arbeit des Dioscorides ausser der Hauptfigur in
seinem geschnittenen Diomedes mit dem Palladio, sind
Beyspiele davon. Man weis, daß die Arbeit der Rückseite
auf den schönsten Münzen der egyptischen und syrischen
Könige den Köpfen dieser Könige selten beykommt.
Grosse Künstler sind auch in ihren Nachläßigkeiten weise, sie können nicht fehlen, ohne zugleich zu unterrichten.
Man betrachte ihre Werke, wie Lucian den Jupiter des
Phidias will betrachtet haben; den Jupiter selbst, nicht den
Schemmel seiner Füsse.
Die Kenner und Nachahmer der griechischen Werke
finden in ihren Meisterstücken nicht allein die schönste
Natur, sondern noch mehr als Natur, das ist, gewisse idealische Schönheiten derselben, die, wie uns ein alter Ausleger des Plato* lehret, von Bildern bloß im Verstande entworfen, gemacht sind.
Der schönste Körper unter uns wäre vielleicht dem
schönsten griechischen Körper nicht ähnlicher, als Iphicles
dem Hercules, seinem Bruder, war. Der Einfluß eines
sanften und reinen Himmels würkte bey der ersten Bildung der Griechen, die frühzeitigen Leibesübungen aber
gaben dieser Bildung die edle Form. Man nehme einen
jungen Spartaner, den ein Held mit einer Heldin gezeuget,
der in der Kindheit niemals in Windeln eingeschrenkt gewesen, der von den siebenden Jahre an auf der Erde ge* Proclus in Timæum Platonis.
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schlafen, und im Ringen und Schwimmen von Kindesbeinen an war geübet worden. Man stelle ihn neben einen
jungen Sybariten unserer Zeit, und alsdenn urtheile man,
welche von beyden der Künstler zu einem Urbilde eines
jungen Theseus, eines Achilles, ja selbst eines Bacchus,
nehmen würde. Nach diesen gebildet, würde es ein Theseus bey Rosen, und nach jenem gebildet, ein Theseus bey
Fleisch erzogen, werden, wie ein griechischer Maler von
zwo verschiedenen Vorstellungen dieses Helden urtheilete.
Zu den Leibesübungen waren die großen Spiele allen
jungen Griechen ein kräftiger Sporn, und die Gesetze verlangeten eine zehen monathliche Vorbereitung zu den
olympischen Spielen, und dieses in Elis, an dem Orte
selbst, wo sie gehalten wurden. Die größten Preise erhielten nicht allezeit Männer, sondern mehrentheils junge
Leute, wie Pindars Oden zeigen. Dem göttlichen Diagoras* gleich zu werden, war der höchste Wunsch der Jugend.
Sehet den schnellen Indianer an, der einem Hirsche zu
Fusse nachsetzet: wie flüchtig werden seine Säfte, wie
biegsam und schnell werden seine Nerven und Muskeln,
und wie leicht wird der ganze Bau des Körpers gemacht.
So bildet uns Homer seine Helden, und seinen Achilles
bezeichnet er vorzüglich durch die Geschwindigkeit seiner Füsse.
Die Körper erhielten durch diese Übungen den großen
und männlichen Contour, welchen die griechischen Meister ihren Bildsäulen gegeben, ohne Dunst und überflüßigen Ansatz. Die jungen Spartaner musten sich alle zehen
Tage vor den Ephoren nackend zeigen, die denjenigen,
welche anfiengen fett zu werden, eine strengere Diät auflegten. Ja es war eins unter den Gesetzen des Pythagoras,
sich vor allen überflüßigen Ansatz des Körpers zu hüten.
Es geschahe vielleicht aus eben dem Grunde, daß jungen
* v. Pindar. Olymp. Od. VII. Arg. & Schol.
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Leuten unter den Griechen der ältesten Zeiten, die sich zu
einem Wettkampf im Ringen angaben, während der Zeit
der Vorübungen nur Milchspeise zugelassen war.
Aller Übelstand des Körpers wurde behutsam vermieden, und da Alcibiades in seiner Jugend die Flöte nicht
wolte blasen lernen, weil sie das Gesicht verstellete, so folgeten die jungen Athenienser seinem Beyspiele.
Nachdem war der ganze Anzug der Griechen so beschaffen, daß er der bildenden Natur nicht den geringsten
Zwang anthat. Der Wachsthum der schönen Form litte
nichts durch die verschiedenen Arten und Theile unserer
heutigen pressenden und klemmenden Kleidung, sonderlich am Halse, an Hüften und Schenkeln. Das schöne Geschlecht selbst unter den Griechen wuste von keinem
ängstlichen Zwange in ihrem Putze: Die jungen Spartanerinnen waren so leicht und kurz bekleidet, daß man sie
daher Hüftzeigerinnen nannte.
Es ist auch bekannt, wie sorgfältig die Griechen waren,
schöne Kinder zu zeugen. Quillst in seiner Callipädie zeiget nicht so viel Wege dazu, als unter ihnen üblich waren.
Sie giengen so gar so weit, daß sie aus blauen Augen
schwarze zu machen suchten. Auch zu Beförderung dieser
Absicht errichtete man Wettspiele der Schönheit. Sie wurden in Elis gehalten: der Preiß bestand in Waffen, die in
den Tempel der Minerva aufgehänget wurden. An gründlichen und gelehrten Richtern konte es in diesen Spielen
nicht fehlen, da die Griechen, wie Aristoteles berichtet,
ihre Kinder im Zeichnen unterrichten liessen, vornemlich
weil sie glaubten, daß es geschickter mache, die Schönheit
in den Körpern zu betrachten und zu beurtheilen.
Das schöne Geblüt der Einwohner der mehresten griechischen Inseln, welches gleichwohl mit so verschiedenen
fremden Geblüthe vermischet ist, und die vorzüglichen
Reizungen des schönen Geschlechts daselbst, sonderlich
auf der Insel Scios, geben zugleich eine gegründete Muthmaßung von den Schönheiten beyderley Geschlechts un-
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ter ihren Vorfahren, die sich rühmeten, ursprünglich, ja älter als der Mond zu seyn.
Es sind ja noch itzo ganze Völker, bey welchen die
Schönheit so gar kein Vorzug ist, weil alles schön ist. Die
Reisebeschreiber sagen dieses einhellig von den Georgianern, und eben dieses berichtet man von den Kabardinski,
einer Nation in der crimischen Taterey.
Die Krankheiten, welche so viel Schönheiten zerstören,
und die edelsten Bildungen verderben, waren den Griechen noch unbekannt. Es findet sich in den Schriften der
griechischen Ärzte keine Spur von Blattern, und in keines
Griechen angezeigter Bildung, welche man beym Homer
oft nach den geringsten Zügen entworfen siehet, ist ein so
unterschiedenes Kennzeichen, dergleichen Blattergruben
sind, angebracht worden.
Die venerischen Übel, und die Tochter derselben, die
englische Krankheit, wüteten auch noch nicht wider die
schöne Natur der Griechen.
Überhaupt war alles, was von der Geburt bis zur Fülle
des Wachsthums zur Bildung der Körper, zur Bewahrung,
zur Ausarbeitung und zur Zierde dieser Bildung durch
Natur und Kunst eingeflößet und gelehret worden, zum
Vortheil der schönen Natur der alten Griechen gewürkt
und angewendet, und kann die vorzügliche Schönheit ihrer Körper vor den unsrigen mit der größten Wahrscheinlichkeit zu behaupten Anlaß geben.
Die vollkommensten Geschöpfe der Natur aber würden
in einem Lande, wo die Natur in vielen ihrer Wirkungen
durch strenge Gesetze gehemmet war, wie in Egypten,
dem vorgegebenen Vaterlande der Künste und Wissenschaften, den Künstlern nur zum Theil und unvollkommen
bekannt geworden seyn. In Griechenland aber, wo man
sich der Lust und Freude von Jugend auf weihete, wo ein
gewisser heutiger bürgerlicher Wohlstand der Freyheit der
Sitten niemahls Eintrag gethan, da zeigte sich die schöne
Natur unverhüllet zum großen Unterrichte der Künstler.
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Die Schule der Künstler war in den Gymnasien, wo die
jungen Leute, welche die öffentliche Schamhaftigkeit bedeckte, ganz nackend ihre Leibesübungen trieben. Der
Weise, der Künstler giengen dahin: Socrates den Charmides, den Autolycus, den Lysis zu lehren; ein Phidias, aus
diesen schönen Geschöpfen seine Kunst zu bereichern.
Man lernete daselbst Bewegungen der Muskeln, Wendungen des Körpers: man studirte die Umrisse der Körper,
oder den Contour an dem Abdrucke, den die jungen Ringer im Sande gemacht hatten.
Das schönste Nackende der Körper zeigte sich hier in
so mannigfaltigen, wahrhaften und edlen Ständen und
Stellungen, in die ein gedungenes Modell, welches in unseren Academien aufgestellet wird, nicht zu setzen ist.
Die innere Empfindung bildet den Character der Wahrheit, und der Zeichner, welcher seinen Academien denselben geben will, wird nicht einen Schatten des wahren
erhalten, ohne eigene Ersetzung desjenigen, was eine ungerührte und gleichgültige Seele des Modells nicht empfindet, noch durch eine Action, die einer gewissen Empfindung der Leidenschaft eigen ist, ausdrücken kan.
Der Eingang zu vielen Gesprächen des Plato, die er in
den Gymnasien zu Athen ihren Anfang nehmen lassen,
machet uns ein Bild von den edlen Seelen der Jugend, und
lässet uns auch hieraus auf gleichförmige Handlungen und
Stellungen an diesen Orten und in ihren Leibesübungen
schliessen.
Die schönsten jungen Leute tanzten unbekleidet auf
dem Theater, und Sophocles, der große Sophocles, war der
erste, der in seiner Jugend dieses Schauspiel seinen Bürgern machte. Phryne badete sich in den Eleusinischen
Spielen vor den Augen aller Griechen, und wurde beym
Heraussteigen aus dem Wasser den Künstlern das Urbild
einer Venus Anadyomene; und man weis, daß die jungen
Mädgen in Sparta an einem gewissen Feste ganz nackend
vor den Augen der jungen Leute tanzten. Was hier fremde
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scheinen könte, wird erträglicher werden, wenn man bedenket, daß auch die Christen der ersten Kirche ohne die
geringste Verhüllung, so wohl Männer als Weiber, zu gleicher Zeit und in einem und eben demselben Taufsteine getauft, oder unter getaucht worden sind.
Also war auch ein jedes Fest bey den Griechen eine Gelegenheit für Künstler, sich mit der schönen Natur aufs
genaueste bekannt zu machen.
Die Menschlichkeit der Griechen hatte in ihrer blühenden Freyheit keine blutigen Schauspiele einführen wollen,
oder wenn dergleichen in dem Ionischen Asien, wie einige
glauben, üblich gewesen, so waren sie seit geraumer Zeit
wiederum eingestellet. Antiochus Epiphanes, König in Syrien, verschrieb Fechter von Rom, und ließ den Griechen
Schauspiele dieser unglücklichen Menschen sehen, die ihnen anfänglich ein Abscheu waren: mit der Zeit verlohr
sich das menschliche Gefühl, und auch diese Schauspiele
wurden Schulen der Künstler. Ein Ctesilas studirte hier
seinen sterbenden Fechter,* an welchem man sehet konte,
wie viel von »seiner Seele noch in ihm übrig war.«
Diese häufigen Gelegenheiten zur Beobachtung der Natur veranlasseten die griechischen Künstler noch weiter zu
gehen: sie fiengen an, sich gewisse allgemeine Begriffe von
Schönheiten so wohl einzelner Theile als ganze Verhältnisse der Körper zu bilden, die sich über die Natur selbst
erheben solten; ihr Urbild war eine blos im Verstande entworfene geistige Natur.
So bildete Raphael seine Galathea. Man sehe seinen Brief
an den Grafen Balthasar Castiglione.** »Da die Schönheiten«, schreibt er, »unter dem Frauenzimmer so selten sind,
* Einige muthmassen, daß dieser Fechter, von welchem Plinius redet, der
berühmte Ludovisische Fechter sey, der itzo in dem großen Saale des Capitolii einen Platz bekommen hat.
** v. Bellori Descriz. delle Imagini depinte da Rafaelle d’Vrbino & c. Roma,
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so bediene ich mich einer gewissen Idee in meiner Einbildung.«
Nach solchen über die gewöhnliche Form der Materie
erhabenen Begriffen bildeten die Griechen Götter und
Menschen. An Göttern und Göttinnen machte Stirn und
Nase beynahe eine gerade Linie. Die Köpfe berühmter
Frauen auf griechischen Münzen haben dergleichen Profil,
wo es gleichwohl nicht willkührlich war, nach idealischen
Begriffen zu arbeiten. Oder man könnte muthmassen, daß
diese Bildung den alten Griechen eben so eigen gewesen,
als es bey den Calmucken die flachen Nasen, bey den Sinesen die kleinen Augen sind. Die großen Augen der griechischen Köpfe auf Steinen und Münzen könnten diese
Muthmassung unterstützen.
Die römischen Kaiserinnen wurden von den Griechen
auf ihren Münzen nach eben diesen Ideen gebildet: der
Kopf einer Livia und einer Agrippina hat eben dasselbe
Profil, welches der Kopf einer Artemisia und einer Cleopatra hat.
Bey allen diesen bemerket man, daß das von den Thebanern ihren Künstlern vorgeschriebene Gesetz; »die Natur
bey Strafe aufs beste nachzuahmen« auch von andern
Künstlern in Griechenland als ein Gesetz beobachtet worden. Wo das sanfte griechische Profil ohne Nachtheil der
Ähnlichkeit nicht anzubringen war, folgeten sie der Wahrheit der Natur, wie an den schönen Kopf der Julia, Kaisers
Titus Tochter, von der Hand des Evodus zu sehen ist.*
Das Gesetz aber, »die Personen ähnlich und zu gleicher
Zeit schöner zu machen«, war allezeit das höchste Gesetz,
welches die griechischen Künstler über sich erkannten,
und setzet nothwendig eine Absicht des Meisters auf eine
schönere und vollkommenere Natur voraus. Polygnotus
hat dasselbe beständig beobachtet.
* v. Stosch Pierres grav. pl. XXXIII.
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Wenn also von einigen Künstlern berichtet wird, daß
sie wie Praxiteles verfahren, welcher seine Cnidische Venus nach seiner Beyschläferin Cratina gebildet, oder wie
andere Maler, welche die Lais zum Model der Gratien genommen, so glaube ich, sey es geschehen, ohne Abweichung von gemeldeten allgemeinen grossen Gesetzen der
Kunst. Die sinnliche Schönheit gab dem Künstler die
schöne Natur; die idealische Schönheit die erhabenen
Züge: von jener nahm er das Menschliche, von dieser das
Göttliche.
Hat jemand Erleuchtung genug, in das innerste der
Kunst hinein zu schauen, so wird er durch Vergleichung
des ganzen übrigen Baues der griechischen Figuren mit
den mehresten neuen, sonderlich in welchen man mehr
der Natur, als dem alten Geschmacke gefolget ist, vielmals
noch wenig entdeckte Schönheiten finden.
In den meisten Figuren neuerer Meister siehet man an
den Theilen des Körpers, welche gedruckt sind, kleine gar
zu sehr bezeichnete Falten der Haut; dahingegen, wo sich
eben dieselben Falten in gleichgedruckten Theilen griechischer Figuren legen, ein sanfter Schwung eine aus der
andern wellenförmig erhebt, dergestalt, daß diese Falten
nur ein Ganzes, und zusammen nur einen edlen Druck zu
machen scheinen. Diese Meisterstücke zeigen uns eine
Haut, die nicht angespannet, sondern sanft gezogen ist
über ein gesundes Fleisch, welches dieselbe ohne schwülstige Ausdehnung füllet, und bey allen Beugungen der
fleischigten Theile der Richtung derselben vereinigt folget.
Die Haut wirft niemals, wie an unsern Körpern, besondere und von dem Fleisch getrennete kleine Falten.
Eben so unterscheiden sich die neuern Werke von den
griechischen durch eine Menge kleiner Eindrücke; und
durch gar zu viele und gar zu sinnlich gemachte Grübchen, welche, wo sie sich in den Werken der Alten befinden, mit einer sparsamen Weißheit, nach der Maaße derselben in der vollkommenern und völligern Natur unter
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den Griechen, sanft angedeutet, und öfters nur durch ein
gelehrtes Gefühl bemerket werden.
Es bietet sich hier allezeit die Wahrscheinlichkeit von
selbst dar, daß in der Bildung der schönen griechischen
Körper, wie in den Werken ihrer Meister, mehr Einheit
des ganzen Baues, eine edlere Verbindung der Theile, ein
reicheres Maas der Fülle gewesen, ohne magere Spannungen und ohne viel eingefallene Höhlungen unserer Körper.
Man kan weiter nicht, als bis zur Wahrscheinlichkeit gehen. Es verdienet aber diese Wahrscheinlichkeit die Aufmerksamkeit unserer Künstler und Kenner der Kunst;
und dieses um so viel mehr, da es nothwendig ist, die Verehrung der Denkmale der Griechen von dem ihr von vielen beygemessenen Vorurtheile zu befreyen, um nicht zu
scheinen, der Nachahmung derselben blos durch den Moder der Zeit ein Verdienst beyzulegen.
Dieser Punct, über welchen die Stimmen der Künstler
getheilet sind, erfoderte eine ausführlichere Abhandlung,
als in gegenwärtiger Absicht geschehen können.
Man weis, daß der große Bernini einer von denen gewesen, die den Griechen den Vorzug einer theils schönern
Natur, theils idealischen Schönheit ihrer Figuren hat streitig machen wollen. Er war ausser dem der Meynung, daß
die Natur allen ihren Theilen das erforderliche Schöne zu
geben wisse: die Kunst bestehe darinn; es zu finden. Er
hat sich gerühmet, ein Vorurtheil abgeleget zu haben,
worinn er in Ansehung des Reizes der Mediceischen Venus anfänglich gewesen, den er jedoch nach einem mühsamen Studio bey verschiedenen Gelegenheiten in der Natur
wahrgenommen.*
Also ist es die Venus gewesen, welche ihn Schönheiten
in der Natur entdecken gelehret, die er vorher allein in jener zu finden geglaubet hat, und die er ohne der Venus
nicht würde in der Natur gesuchet haben. Folget nicht
* v. Baldinucci Vita del Cav. Bernino.
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daraus, daß die Schönheit der griechischen Statuen eher zu
entdecken ist, als die Schönheit in der Natur, und daß also
jene rührender, nicht so sehr zerstreuet, sondern mehr in
eins vereiniget, als es diese ist? Das Studium der Natur
muß also wenigstens ein längerer und mühsamerer Weg
zur Kenntniß des vollkommenen Schönen seyn, als es das
Studium der Antiquen ist: und Bernini hätte jungen
Künstlern, die er allezeit auf das Schönste in der Natur
vorzüglich wies, nicht den kürzesten Weg dazu gezeiget.
Die Nachahmung des Schönen der Natur ist entweder
auf einen einzelnen Vorwurf gerichtet, oder sie sammlet
die Bemerkungen aus verschiedenen einzelnen, und bringet sie in eins. Jenes heißt eine ähnliche Copie, ein Portrait
machen; es ist der Weg zu holländischen Formen und Figuren. Dieses aber ist der Weg zum allgemeinen Schönen
und zu idealischen Bildern desselben; und derselbe ist es,
den die Griechen genommen haben. Der Unterschied aber
zwischen ihnen und uns ist dieser: Die Griechen erlangeten diese Bilder, wären auch dieselben nicht von schönern
Körpern genommen gewesen, durch eine tägliche Gelegenheit zur Beobachtung des Schönen der Natur, die sich
uns hingegen nicht alle Tage zeiget, und selten so, wie sie
der Künstler wünschet.
Unsere Natur wird nicht leicht einen so vollkommenen
Körper zeugen, dergleichen der Antinous Admirandus
hat, und die Idee wird sich über die mehr als menschlichen Verhältnisse einer schönen Gottheit in dem Vaticanischen Apollo, nichts bilden können: was Natur, Geist und
Kunst hervor zu bringen vermögend gewesen, lieget hier
vor Augen.
Ich glaube, ihre Nachahmung könne lehren, geschwinder klug zu werden, weil sie hier in dem einen den Inbegrif desjenigen findet, was in der ganzen Natur ausgetheilet ist, und in dem andern, wie weit die schönste Natur,
sich über sich selbst kühn, aber weislich erheben kann. Sie
wird lehren, mit Sicherheit zu denken und zu entwerfen,
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indem sie hier die höchsten Grenzen des menschlich und
zugleich des göttlich Schönen bestimmt siehet.
Wenn der Künstler auf diesen Grund bauet, und sich
die griechische Regel der Schönheit Hand und Sinne führen lässet, so ist er auf dem Wege, der ihn sicher zur
Nachahmung der Natur führen wird. Die Begriffe des
Ganzen, des Vollkommenen in der Natur des Alterthums
werden die Begriffe des Getheilten in unserer Natur bey
ihm läutern und sinnlicher machen: er wird bey Entdekkung der Schönheiten derselben diese mit dem vollkommenen Schönen zu verbinden wissen, und durch Hülfe
der ihm beständig gegenwärtigen erhabenen Formen wird
er sich selbst eine Regel werden.
Alsdenn und nicht eher kan er, sonderlich der Maler,
sich der Nachahmung der Natur überlassen in solchen
Fällen, wo ihm die Kunst verstattet von dem Marmor abzugehen, wie in Gewändern, und sich mehr Freyheit zu
geben, wie Poussin gethan; denn »derjenige, welcher beständig andern nachgehet, wird niemals voraus kommen,
und welcher aus sich selbst nichts gutes zu machen weis,
wird sich auch der Sachen von anderen nicht gut bedienen«, wie Michael Angelo sagt.
Seelen, denen die Natur hold gewesen,
Quibus arte benigna
Et meliore luto finxit præcordia Titan,
haben hier den Weg vor sich offen, Originale zu werden.
In diesem Verstande ist es zu nehmen, wenn der Piles
berichten will, daß Raphael zu der Zeit, da ihn der Tod
übereilet, sich bestrebet habe, den Marmor zu verlassen,
und der Natur gänzlich nachzugehen. Der wahre Geschmack des Alterthums würde ihn auch durch die gemeine Natur hindurch beständig begleitet haben, und alle Bemerkungen in derselben würden bey ihm durch eine Art
einer chymischen Verwandlung dasjenige geworden seyn,
was sein Wesen, seine Seele ausmachte.
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I. Antike Grundlegung
Er würde vielleicht mehr Mannigfaltigkeit, grössere Gewänder, mehr Colorit, mehr Licht und Schatten seinen
Gemälden gegeben haben: aber seine Figuren würden
dennoch allezeit weniger schätzbar hierdurch, als durch
den edlen Contour, und durch die erhabene Seele, die er
aus den Griechen hatte bilden lernen, gewesen seyn.
Nichts würde den Vorzug der Nachahmung der Alten
vor der Nachahmung der Natur deutlicher zeigen können,
als wenn man zwey junge Leute nähme von gleich schönem Talente, und den einen das Alterthum, den andern die
bloße Natur studiren liesse. Dieser würde die Natur bilden, wie er sie findet: als ein Italiener würde er Figuren
malen vielleicht wie Caravaggio; als ein Niederländer,
wenn er glücklich ist, wie Jacob Jordans: als ein Franzos,
wie Stella: jener aber würde die Natur bilden, wie sie es
verlanget, und Figuren malen, wie Raphael.
Könte auch die Nachahmung der Natur dem Künstler
alles geben, so würde gewiß die Richtigkeit im Contour
durch sie nicht zu erhalten seyn; diese muß von den Griechen allein erlernet werden.
Der edelste Contour vereiniget oder umschreibet alle
Theile der schönsten Natur und der idealischen Schönheiten in den Figuren der Griechen; oder er ist vielmehr der
höchste Begrif in beyden. Euphranor, der nach des Zeuxis
Zeiten sich hervor that, wird vor den ersten gehalten, der
demselben die erhabenere Manier gegeben.
Viele unter den neueren Künstlern haben den griechischen Contour nachzuahmen gesuchet, und fast niemanden ist es gelungen. Der große Rubens ist weit entfernt von dem griechischen Umriße der Körper, und in
denenjenigen unter seinen Werken, die er vor seiner Reise
nach Italien, und vor dem Studio der Antiquen gemachet
hat, am weitesten.
Die Linie, welche das Völlige der Natur von dem Überflüßigen derselben scheidet, ist sehr klein, und die größten
neueren Meister sind über diese nicht allezeit greifliche
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Grenze auf beyden Seiten zu sehr abgewichen. Derjenige,
welcher einen ausgehungerten Contour vermeiden wollen,
ist in die Schwulst verfallen; der diese vermeiden wollen,
in das Magere.
Michael Angelo ist vielleicht der einzige, von dem man
sagen könnte, daß er das Alterthum erreichet; aber nur in
starken musculösen Figuren, in Körpern aus der Heldenzeit; nicht in zärtlich jugendlichen, nicht in weiblichen Figuren, welche unter seiner Hand zu Amazonen geworden
sind.
Der griechische Künstler hingegen hat seinen Contour
in allen Figuren wie auf die Spitze eines Haars gesetzt,
auch in den feinsten und mühsamsten Arbeiten, dergleichen auf geschnittenen Steinen ist. Man betrachte den
Diomedes und den Perseus des Dioscorides,* den Hercules mit der Iole von der Hand des Teucers,** und bewundere die hier unnachahmlichen Griechen.
Parrhasius wird insgemein vor den stärksten im Contour gehalten.
Auch unter den Gewändern der griechischen Figuren
herrschet der meisterhafte Contour, als die Hauptabsicht
des Künstlers, der auch durch den Marmor hindurch den
schönen Bau seines Körpers wie durch ein Coisches Kleid
zeiget.
Die im hohen Stile gearbeitete Agrippina, und die drey
Vestalen unter den Königlichen Antiquen in Dreßden,
verdienen hier als große Muster angeführet zu werden.
Agrippina ist vermuthlich nicht die Mutter des Nero, sondern die ältere Agrippina, eine Gemahlin des Germanicus.
Sie hat sehr viel Ähnlichkeit mit einer vorgegebenen stehenden Statue eben dieser Agrippina in dem Vorsaale der
Bibliothec zu St. Marco in Venedig***. Unsere ist eine sitzende Figur, grösser als die Natur, mit gestütztem Haupte
* v. Stosch Pierres grav. pl. XXIX. XXX.
** v. Mus. Flor. T. II. t. V.
*** v. Zanetti Statue nell Antisala della Libreria di S. Marco, Venez. 1740. fol.
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auf die rechte Hand. Ihr schönes Gesicht zeiget eine Seele,
die in tiefen Betrachtungen versenkt, und vor Sorgen und
Kummer gegen alle äussere Empfindungen fühllos scheinet. Man könnte muthmassen, der Künstler habe die Heldin in dem betrübten Augenblick vorstellen wollen, da ihr
die Verweisung nach der Insel Pandataria war angekündiget worden.
Die drey Vestalen sind unter einem doppelten Titel verehrungswürdig. Sie sind die ersten grossen Entdeckungen
von Herculanum: allein was sie noch schätzbarer macht,
ist die grosse Manier in ihren Gewändern. In diesem
Theile der Kunst sind sie alle drey, sonderlich aber diejenige, welche grösser ist als die Natur, der farnesischen
Flora und anderen griechischen Werken vom ersten Range beyzusetzen. Die zwo andern, groß wie die Natur, sind
einander so ähnlich, daß sie von einer und eben derselben
Hand zu seyn scheinen; sie unterscheiden sich allein
durch die Köpfe, welche nicht von gleicher Güte sind. An
dem besten Kopfe liegen die gekräuselten Haare nach Art
der Furchen getheilt, von der Stirne an bis da wo sie hinten zusammengebunden sind. An dem andern Kopfe gehen die Haare glatt über den Scheitel, und die vordere
gekräuselten Haare sind durch ein Band gesammlet und
gebunden. Es ist glaublich, daß dieser Kopf durch eine neuere wiewohl gute Hand gearbeitet und angesetzt
worden.
Das Haupt dieser beyden Figuren ist mit keinem
Schleyer bedecket, welches ihnen aber den Titel der Vestalen nicht streitig machet; da erweißlich ist, daß sich auch
anderwerts Priesterinnen der Vesta ohne Schleyer finden.
Oder es scheinet vielmehr aus den starken Falten des Gewandes hinten am Halse, daß der Schleyer, welcher kein
abgesondertes Theil vom Gewande ist, wie an der größten
Vestale zu sehen, hinten übergeschlagen liege.
Es verdienet der Welt bekannt gemacht zu werden, daß
diese drey göttlichen Stücke die ersten Spuren gezeiget
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zur nachfolgenden Entdeckung der unterirrdischen Schätze von der Stadt Herculanum.
Sie kamen an das Tagelicht, da annoch das Andenken
derselben gleichsam unter der Vergessenheit, so wie die
Stadt selbst, unter ihren eigenen Ruinen vergraben und
verschüttet lag: zu der Zeit, da das traurige Schicksal, welches diesen Ort betroffen, nur fast noch allein durch des
jüngern Plinius Nachricht von dem Ende seines Vetters,
welches ihn in der Verwüstung von Herculanum zugleich
mit übereilete, bekannt war.
Diese grossen Meisterstücke der griechischen Kunst
wurden schon unter den deutschen Himmel versetzet,
und daselbst verehret, da Neapel noch nicht das Glück
hatte, ein einziges herculanisches Denkmal, so viel man
erfahren können, aufzuweisen.
Sie wurden im Jahr 1706, in Portici bey Neapel in einem verschütteten Gewölbe gefunden, da man den Grund
grub zu einem Landhause des Prinzen von Elbeuf, und sie
kamen unmittelbar hernach, nebst andern daselbst entdeckten Statuen in Marmor und Erzt, in den Besitz des
Prinzen Eugens nach Wien.
Dieser grosse Kenner der Künste, um einen vorzüglichen Ort zu haben, wo dieselben könnten aufgestellet
werden, hat vornehmlich für diese drey Figuren eine Sala
terrena bauen lassen, wo sie nebst einigen andern Statuen
ihren Platz bekommen haben. Die ganze Academie und
alle Künstler in Wien waren gleichsam in Empörung, da
man nur noch ganz dunkel von derselben Verkauf sprach,
und ein jeder sahe denselben mit betrübten Augen nach,
als sie von Wien nach Dreßden fortgeführet wurden.
Der berühmte Matielli,
dem Policlet das Maas, und Phidias das Eisen gab
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hat, ehe noch dieses geschahe, alle drey Vestalen mit dem
mühsamsten Fleise in Thon copiret, um sich den Verlust
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derselben dadurch zu ersetzen. Er folgete ihnen einige
Jahre hernach, und erfüllete Dreßden mit ewigen Werken
seiner Kunst: aber seine Priesterinnen blieben auch hier
sein Studium in der Drapperie, worinn seine Stärke bestand, bis in sein Alter; welches zugleich ein nicht ungegründetes Vorurtheil ihrer Treflichkeit ist.
Unter dem Wort Drapperie begreift man alles, was die
Kunst von Bekleidung des Nackenden der Figuren und
von gebrochenen Gewändern lehret. Diese Wissenschaft
ist nach der schönen Natur, und nach dem edlen Contour,
der dritte Vorzug der Werke des Alterthums.
Die Drapperie der Vestalen ist in der höchsten Manier:
die kleinen Brüche entstehen durch einen sanften
Schwung aus den grösseren Partien, und verlieren sich
wieder in diesen mit einer edlen Freyheit und sanften
Harmonie des Ganzen, ohne den schönen Contour des
Nackenden zu verstecken. Wie wenig neuere Meister sind
in diesem Theile der Kunst ohne Tadel!
Diese Gerechtigkeit aber muß man einigen grossen
Künstlern, sonderlich Malern neuerer Zeiten, wiederfahren lassen, daß sie in gewissen Fällen von dem Wege, den
die griechischen Meister in Bekleidung ihrer Figuren am
gewöhnlichsten gehalten haben, ohne Nachtheil der Natur
und Wahrheit abgegangen sind. Die griechische Drapperie
ist mehrentheils nach dünnen und nassen Gewändern gearbeitet, die sich folglich, wie Künstler wissen, dicht an
die Haut und an den Körper schliessen, und das Nackende desselben sehen lassen. Das ganze oberste Gewand des
griechischen Frauenzimmers war ein sehr dünner Zeug; er
hieß daher P e p l o n , ein Schleyer.
Daß die Alten nicht allezeit fein gebrochene Gewänder
gemacht haben, zeigen die erhabenen Arbeiten derselben.
Die alten Malereyen, und sonderlich die alten Brustbilder.
Der schöne Caracalla unter den Königlichen Antiquen in
Dreßden kan dieses bestätigen.
In den neuern Zeiten hat man ein Gewand über das an-
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dere, und zuweilen schwere Gewänder, zu legen gehabt,
die nicht in so sanfte und fliessende Brüche, wie der Alten
ihre sind, fallen können. Dieses gab folglich Anlaß zu der
neuen Manier der grossen Partien in Gewändern, in welcher der Meister seine Wissenschaft nicht weniger, als in
der gewöhnlichen Manier der Alten zeigen kan.
Carl Maratta und Franz Solimena können in dieser Art
vor die größten gehalten werden. Die neue venetianische
Schule, welche noch weiter zu gehen gesuchet, hat diese
Manier übertrieben, und indem sie nichts als grosse Partien gesuchet, sind ihre Gewänder dadurch steif und blechern geworden.
Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine
stille Grösse, so wohl in der Stellung als im Ausdrucke. So
wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in
den Figuren der Griechen bey allen Leidenschaften eine
grosse und gesetzte Seele.
Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laocoons,
und nicht in dem Gesichte allein, bey dem heftigsten Leiden.
Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des
Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Theile zu betrachten, an dem schmerzlich
eingezogenen Unterleibe beynahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmerz, sage ich, äussert sich dennoch mit keiner Wuth in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrey, wie Virgil von seinem
Laocoon singet: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht;
es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen wie
es Sadolet beschreibet. Der Schmerz des Körpers und die
Grösse der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit
gleicher Stärke ausgetheilet, und gleichsam abgewogen. Laocoon leidet, aber er leidet wie des Sophocles Philoctetes: sein
Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie
dieser grosse Mann, das Elend ertragen zu können.
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I. Antike Grundlegung
Der Ausdruck einer so grossen Seele gehet weit über
die Bildung der schönen Natur: Der Künstler mußte die
Stärke des Geistes in sich selbst fühlen, welche er seinem
Marmor einprägete. Griechenland hatte Künstler und
Weltweisen in einer Person, und mehr als einen Metrodor.
Die Weisheit reichte der Kunst die Hand, und bließ den
Figuren derselben mehr als gemeine Seelen ein.
Unter einem Gewande, welches der Künstler dem Laocoon als einem Priester hätte geben sollen, würde uns sein
Schmerz nur halb so sinnlich gewesen seyn. Bernini hat so
gar den Anfang der Würkung des Gifts der Schlange in
dem einen Schenkel des Laocoons an der Erstarrung desselben entdecken wollen.
Alle Handlungen und Stellungen der griechischen Figuren, die mit diesem Character der Weisheit nicht bezeichnet, sondern gar zu feurig und zu wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten Künstler P a r e n t h y r s i s
nannten.
Je ruhiger der Stand des Körpers ist, desto geschickter
ist er, den wahren Character der Seele zu schildern: in allen Stellungen, die von dem Stande der Ruhe zu sehr abweichen, befindet sich die Seele nicht in dem Zustande,
der ihr der eigentlichste ist, sondern in einem gewaltsamen
und erzwungenen Zustande. Kentlicher und bezeichnender wird die Seele in heftigen Leidenschaften; groß aber
und edel ist sie in dem Stande der Einheit, in dem Stande
der Ruhe. Im Laocoon würde der Schmerz, allein gebildet,
Parenthyrsis gewesen seyn; der Künstler gab ihm daher,
um das Bezeichnende und das Edle der Seele in eins zu
vereinigen, eine Action, die dem Stande der Ruhe in solchem Schmerze der nächste war. Aber in dieser Ruhe muß
die Seele durch Züge, die ihr und keiner andern Seele eigen sind, bezeichnet werden, um sie ruhig, aber zugleich
wirksam, stille, aber nicht gleichgültig oder schläfrig zu
bilden.
Das wahre Gegentheil, und das diesem entgegen stehen-
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de äuserste Ende ist der gemeinste Geschmack der heutigen, sonderlich angehenden Künstler. Ihren Beyfall verdienet nichts, als worinn ungewöhnliche Stellungen und
Handlungen, die ein freches Feuer begleitet, herrschen,
welches sie mit Geist, mit Franchezza, wie sie reden, ausgeführet heissen. Der Liebling ihrer Begriffe ist der Contrapost, der bey ihnen der Inbegriff aller selbst gebildeten
Eigenschafften eines vollkommenen Werks der Kunst ist.
Sie verlangen eine Seele in ihren Figuren, die wie ein Comet aus ihrem Creyse weichet; sie wünschten in jeder Figur einen Ajax und einen Capaneus zu sehen.
Die schönen Künste haben ihre Jugend so wohl, wie die
Menschen, und der Anfang dieser Künste scheinet wie der
Anfang bey Künstlern gewesen zu seyn, wo nur das
Hochtrabende, das Erstaunende gefällt. Solche Gestalt
hatte die tragische Muse des Äschylus, und sein Agamemnon ist zum Theil durch Hyperbolen viel dunkler geworden, als alles, was Heraklit geschrieben. Vielleicht haben
die ersten griechischen Maler nicht anders gezeichnet, als
ihr erster guter Tragicus gedichtet hat.
Das Heftige, das Flüchtige gehet in allen menschlichen
Handlungen voran; das Gesetze, das Gründliche folget
zuletzt. Dieses letztere aber gebrauchet Zeit, es zu bewundern; es ist nur grossen Meistern eigen: heftige Leidenschaften sind ein Vortheil auch für ihre Schüler.
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Die Weisen in der Kunst wissen, wie schwer dieses
scheinbare nachahmliche ist
ut sibi quivis
Speret idem, sudet multum frustraque laboret
Ausus idem.
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La Fage, der grosse Zeichner hat den Geschmack der Alten nicht erreichen können. Alles ist in Bewegung in seinen Werken, und man wird in der Betrachtung derselben
getheilet und zerstreuet, wie in einer Gesellschaft, wo alle
Personen zugleich reden wollen.
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I. Antike Grundlegung
Die edle Einfalt und stille Grösse der griechischen Statuen ist zugleich das wahre Kennzeichen der griechischen
Schriften aus den besten Zeiten, der Schriften aus Socrates
Schule; und diese Eigenschaften sind es, welche die vorzügliche Grösse eines Raphaels machen, zu welcher er
durch die Nachahmung der Alten gelanget ist. […]
Zur Erweiterung der Kunst ist noch ein grosser Schritt
übrig zu thun. Der Künstler, welcher von der gemeinen
Bahn abzuweichen anfängt, oder wirklich abgewichen ist,
suchet diesen Schritt zu wagen; aber sein Fuß bleibet an
dem jähesten Orte der Kunst stehen, und hier siehet er
sich hülflos.
Die Geschichte der Heiligen, die Fabeln und Verwandlungen sind der ewige und fast einzige Vorwurf der neuern Maler seit einigen Jahrhunderten: Man hat sie auf tausenderley Art gewandt und ausgekünstelt, daß endlich
Überdruß und Eckel den Weisen in der Kunst und den
Kenner überfallen muß.
Ein Künstler, der eine Seele hat, die denken gelernet,
läßt dieselbe müßig und ohne Beschäftigung bey einer
Daphne und bey einem Apollo; bey einer Entführung der
Proserpina, einer Europa und bey dergleichen. Er suchet
sich als einen Dichter zu zeigen, und Figuren durch Bilder, das ist, allegorisch zu malen.
Die Malerey erstreckt sich auch auf Dinge, die nicht
sinnlich sind; diese sind ihr höchstes Ziel, und die Griechen haben sich bemühet, dasselbe zu erreichen, wie die
Schriften der Alten bezeugen. Parrhasius, ein Maler, der
wie Aristides die Seele schilderte, hat so gar, wie man sagt,
den Character eines ganzen Volks ausdrücken können. Er
malete die Athenienser, wie sie gütig und zugleich grausam, leichtsinnig und zugleich hartnäckig, brav und zugleich feige waren. Scheinet die Vorstellung möglich, so ist
sie es nur allein durch den Weg der Allegorie, durch Bilder, die allgemeine Begriffe bedeuten.
Der Künstler befindet sich hier wie in einer Einöde. Die
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Sprachen der wilden Indianer, die einen grossen Mangel
an der gleichen Begriffen haben, und die kein Wort enthalten, welches Erkentlichkeit, Raum, Dauer u. s. w. bezeichnen könnte, sind nicht leerer von solchen Zeichen,
als es die Malerey zu unseren Zeiten ist. Derjenige Maler,
der weiter denket als seine Palette reichet, wünschet einen
gelehrten Vorrath zu haben, wohin er gehen, und bedeutende und sinnlich gemachte Zeichen von Dingen, die
nicht sinnlich sind, nehmen könnte. Ein vollständig Werk
in dieser Art ist noch nicht vorhanden: die bisherigen Versuche sind nicht beträchtlich genug, und reichen nicht bis
an diese grosse Absichten. Der Künstler wird wissen, wie
weit ihm des Ripa Iconologie, die Denkbilder der alten
Völker von van Hooghe Gnüge thun werden.
Dieses ist die Ursach, daß die größten Maler nur bekannte Vorwürfe gewählet. Annibal Caraccio, an statt, daß
er die berühmtesten Thaten und Begebenheiten des Hauses Farnese in der farnesischen Gallerie, als ein allegorischer Dichter durch allgemeine Symbola und durch sinnliche Bilder hätte vorstellen können, hat hier seine ganze
Stärke blos in bekannten Fabeln gezeiget.
Die Königliche Gallerie der Schildereyen in Dreßden
enthält ohne Zweifel einen Schatz von Werken der größten Meister, der vielleicht alle Gallerien in der Welt übertrift, und Se. Majestät haben, als der weiseste Kenner der
schönen Künste, nach einer strengen Wahl nur das Vollkommenste in seiner Art gesuchet; aber wie wenig historische Werke findet man in diesem Königlichen Schatze!
von allegorischen, von dichterischen Gemälden noch weniger.
Der grosse Rubens ist der vorzüglichste unter grossen
Malern, der sich auf den unbetretenen Weg dieser Malerey
in grossen Werken als ein erhabener Dichter, gewaget. Die
luxenburgische Gallerie, als sein größtes Werk, ist durch
die Hand der geschicktesten Kupferstecher der ganzen
Welt bekannt worden.
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Nach ihm ist in neueren Zeiten nicht leicht ein erhabeners Werk in dieser Art unternommen und ausgeführet worden, dergleichen die Cuppola der kaiserlichen Bibliothec in Wien ist, von Daniel Gran gemalet, und von
Sedelmayern in Kupfer gestochen. Die Vergötterung des
Hercules in Versailles, als eine Allusion auf den Cardinal
Hercules von Fleuri, von Le Moine gemalet, womit Frankreich als mit der größten Composition in der Welt pranget, ist gegen die gelehrte und sinnreiche Malerey des
deutschen Künstlers eine sehr gemeine und kurzsichtige
Allegorie: sie ist wie ein Lobgedicht, worinn die stärksten
Gedanken sich auf den Nahmen im Calender beziehen.
Hier war der Ort, etwas Grosses zu machen, und man
muß sich wundern, daß es nicht geschehen ist. Man siehet
aber auch zugleich ein, hätte auch die Vergötterung eines
Ministers den vornehmsten Plafond des königlichen
Schlosses zieren sollen, woran es dem Maler gefehlet.
Der Künstler hat ein Werk vonnöthen, welches aus der
ganzen Mythologie, aus den besten Dichtern alter und
neuerer Zeiten, aus der geheimen Weltweisheit vieler Völker, aus den Denkmalen des Alterthums auf Steinen,
Münzen und Geräthen diejenige sinnliche Figuren und
Bilder enthält, wodurch allgemeine Begriffe dichterisch
gebildet worden. Dieser reiche Stoff würde in gewisse bequeme Classen zu bringen, und durch eine besondere Anwendung und Deutung auf mögliche einzelne Fälle, zum
Unterricht der Künstler, einzurichten seyn.
Hierdurch würde zu gleicher Zeit ein grosses Feld geöffnet, zur Nachahmung der Alten, und unsern Werken
einen erhabenen Geschmack des Alterthums zu geben.
Der gute Geschmack in unsern heutigen Verzierungen,
welcher seit der Zeit, da Vitruv bittere Klagen über das
Verderbniß desselben führete, sich in neueren Zeiten noch
mehr verderbet hat, theils durch die von Morto, einem
Maler von Feltro gebürtig, in Schwang gebrachte Grottesken, theils durch nichts bedeutende Malereyen unserer
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Zimmer, könnte zugleich durch ein gründlicheres Studium
der Allegorie gereiniget werden, und Wahrheit und Verstand erhalten.
Unsere Schnirkel und das allerliebste Muschelwerk,
ohne welches itzo keine Zierrath förmlich werden kan, hat
manchmahl nicht mehr Natur als Vitruvs Leuchter, welche
kleine Schlösser und Palläste trugen. Die Allegorie könnte
eine Gelehrsamkeit an die Hand geben, auch die kleinsten
Verzierungen dem Orte, wo sie stehen, gemäß zu machen.
Reddere personæ scit conuenientia cuique.
H O R.
Die Gemälde an Decken und über den Thüren stehen
mehrentheils nur da, um ihren Ort zu füllen, und um die
ledigen Plätze zu decken, welche nicht mit lauter Vergoldungen können angefüllet werden. Sie haben nicht allein
kein Verhältniß mit dem Stande und mit den Umständen
des Besitzers, sondern sie sind demselben so gar oftmals
nachtheilig.
Der Abscheu vor den leeren Raum füllet also die Wände; und Gemälde von Gedanken leer, sollen das Leere ersetzen.
Dieses ist die Ursach, daß der Künstler, dem man seiner
Willkühr überläßt, aus Mangel allegorischer Bilder oft
Vorwürfe wählet, die mehr zur Satire, als zur Ehre desjenigen, dem er seine Kunst weihet, gereichen müssen: und
vielleicht, um sich hiervor in Sicherheit zu stellen, verlanget man aus seiner Vorsicht von dem Maler, Bilder zu machen, die nichts bedeuten sollen.
Es macht oft Mühe, auch dergleichen zu finden,
und endlich
velut ægri somnia, vanæ
Fingentur species.
H O R.
Man benimmt also der Malerey dasjenige, worinn ihr
gröstes Glück bestehet, nehmlich die Vorstellung unsichtbarer, vergangener und zukünftiger Dinge.
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I. Antike Grundlegung
Diejenigen Malereyen aber, welche an diesem oder jenem Orte bedeutend werden könnten, verliehren das, was
sie thun würden, durch einen gleichgültigen oder unbequemen Platz, den man ihnen anweiset.
Der Bauherr eines neuen Gebäudes
Dives agris, dives positis in fœnere nummis. H O R.
wird vielleicht über die hohen Thüren seiner Zimmer und
Säle kleine Bilder setzen lassen, die wider den Augenpunct
und wider die Gründe der Perspectiv anstoßen. Die Rede
ist hier von solchen Stücken, die ein Theil der festen und
unbeweglichen Zierrathen sind; nicht von solchen, die in
einer Sammlung nach der Symmetrie geordnet werden.
Die Wahl in Verzierungen der Baukunst ist zuweilen
nicht gründlicher: Armaturen und Tropheen werden allemahl auf ein Jagdhaus eben so unbequem stehen, als Ganymedes und der Adler, Jupiter und Leda unter der erhobenen Arbeit der Thüren von Erzt, am Eingang der St. Peterskirche in Rom.
Alle Künste haben einen gedoppelten Endzweck: sie sollen
vergnügen und zugleich unterrichten, und viele von den
größten Landschaftmalern haben daher geglaubet, sie würden ihrer Kunst nur zur Hälfte ein Genüge gethan haben,
wenn sie ihre Landschaften ohne alle Figuren gelassen hätten.
Der Pinsel, den der Künstler führet, soll im Verstand
getunkt seyn, wie jemand von dem Schreibegriffel des
Aristoteles gesaget hat: Er soll mehr zu denken hinterlassen, als was er dem Auge gezeiget, und dieses wird der
Künstler erhalten, wenn er seine Gedanken in Allegorien
nicht zu verstecken, sondern einzukleiden gelernet hat.
Hat er einen Vorwurf, den er selbst gewählet, oder der
ihm gegeben worden, welcher dichterisch gemacht, oder
zu machen ist, so wird ihn seine Kunst begeistern, und
wird das Feuer, welches Prometheus den Göttern raubete,
in ihm erwecken. Der Kenner wird zu denken haben, und
der bloße Liebhaber wird es lernen.
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Hinweise zur Textauswahl und Textgestaltung
In den Anmerkungen werden Erstdruck (E) und Druckvorlage
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Originaldrucke zugrunde gelegt. Die Buchstaben u, v und j wurden entsprechend des Lautwerts normalisiert. Darüber hinaus
wurde auch die typographisch bedingte historische Schreibung der
großgeschriebenen Umlaute Ae, Oe und Ue normalisiert. Überschriften, die mit einem Sternchen versehen sind, stammen vom
Herausgeber. Die Anmerkungen beziehen vorliegende Kommentare und Erläuterungen vorhandener Werkausgaben mit ein. Auf
Auslassungspunkte oder den Hinweis »Auszug« wurde verzichtet.
Ob es sich um einen Auszug handelt, erschließt sich aus den Seitenangaben zur jeweiligen Druckvorlage.
Almuth Voßkamp und Christiane Weidenfeld danke ich herzlich
für ihre unermüdliche Mitarbeit und für die Hilfe bei den Korrekturen.
I. Antike Grundlegung
25 Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst
E: [Anonym:] Gedanken über die Nachahmung griechischer Wercke in der Malerey und Bildhauer-Kunst. [Dresden/Leipzig: Walther] 1755. – D: J. J. W.: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bildhauerkunst. 2., verm.
Aufl. Dresden/Leipzig: Walther, 1756. S. 1–24, 39–44.
25,10 Minerva: griech. Göttin der Wissenschaft und Kunst. Die
Anmerkung Winckelmanns bezieht sich auf Platons Thimaios.
25,20 f. die beyden Künste: Malerei und Bildhauerkunst.
25,23 Correggio: im 18. Jahrhundert besonders geschätzter ital.
Maler (vor 1494–1534).
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25,25 f. des großen Augusts: Kurfürst von Sachsen, als König von
Polen August II., der »Starke« (1670–1733).
25,28–26,1 deutschen Titus: Gemeint ist August III., der mit dem
röm. Kaiser Titus Flavius Vespasian verglichen wurde.
26,17 Nachahmung der Alten: das seit Aristoteles und bis in die
zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts dominierende Prinzip der
Mimesis, wonach die Dichtung darstellt, wie es gewesen sein
könnte, während die Geschichtsschreibung darstellt, wie es gewesen ist.
26,22 Laokoon: trojanischer Priester, der die Trojaner vor dem
›Trojanischen Pferd‹ warnt, mit dem die Griechen in die Stadt
eindringen und sie besiegen können. Die griech. Götter schicken
Laokoon und seinen beiden Söhnen eine diese tötende Schlange.
26,24 Nicomachos: griech. Maler des 4. Jahrhunderts v. Chr. –
Zeuxis: Zeuxis von Herakleia, griech. Maler (431–404 v. Chr.),
von dem das »Bild der Helena« stammt.
26,28 f. Michael Angelo, Raphael und Poußin: Michelangelo
(1475–1564), Raphael Santi (1483–1520), Nicolas Poussin (1593–
1665); vgl. S. 37,18.
26,36 Virgils Dido: Vergils Epos Aeneis (I,496–506).
26,36–27,1 Diana unter ihren Oreaden: röm. Mondgöttin (mit
der griech. Jagdgöttin Artemis identifiziert); Oreaden = Bergnymphen.
27,1 Homers Nausicaa: Hinweis auf die Odyssee VI,101–109.
27,4 Polyclets Regel: Polycleitos galt als der bedeutendste griech.
Bildhauer der klassischen Zeit (5. Jh. v. Chr.). Von ihm stammen
die als allgemeingültig angesehenen Proportionsregeln für die
ideale Gestalt menschlicher Körper, die Polyclet in einer Schrift
Kanon dargelegt haben soll und die an seinem »Lanzenträger«
veranschaulicht werden.
27,8 f. Mediceische Venus: röm. Kopie eines Originals des griech.
Bildhauers Praxiteles.
27,10 Dioscorides: Steinschneider (für Gemmen) aus der Zeit des
Augustus.
27,17 f. Lucian den Jupiter des Phidias: Phidias, der die Statue des
Zeus in Olympia geschaffen hat, gilt als der größte Bildhauer
Athens im 5. Jahrhundert v. Chr.
27,23 f. ein alter Ausleger des Plato: Proklos, neuplatonischer
Philosoph (411–485 n. Chr.).
27,27 Iphicles: Sohn der Alcmene und des Amphitryon, Zwil-
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lingsbruder des Herakles; oder Sohn von Thestius und Leucippe.
28,3 Sybariten unserer Zeit: Sybariten sind die Einwohner der
griech. Stadt Sybaris in Unteritalien, die für ihre Schwelgerei bekannt waren.
28,5 Theseus: griech. Nationalheld, der neben vielen anderen
Heldentaten mit Ariadnes Hilfe das Ungeheuer Minotauros erlegt. – Achilles: griech. Held im Kampf um Troja in Homers
Ilias. – Bacchus: röm. Gott des Festes und des Weins.
28,8 griechischer Maler: Gemeint ist Euphranor (4. Jh. v. Chr.).
28,16 f. Diagoras: häufiger Sieger im Wettspiel.
28,19 Indianer: In einer ambivalenten Haltung zu den Indianern
zieht Winckelmann eine Parallele zu den Griechen.
28,30 Ephoren: höchste Staatsbeamte in Sparta.
28,32 Gesetzen des Pythagoras: mathematisch-ontologische Prinzipien des griech. Philosophen Pythagoras (540–500 v. Chr.),
dessen harmonische Welterklärung auf Zahlenverhältnisse zurückgeführt wird.
29,5 Alcibiades: Lieblingsschüler Sokrates’.
29,19 Quillst in seiner Callipädie: Claude Quillet (1602–1661);
neulat. Dichter, der ein Buch über die Zeugung schöner Kinder
veröffentlicht hat.
30,6 Kabardinski: Karbardiner, ein Volksstamm im nördlichen Kaukasus und am Schwarzen Meer, dessen Menschen als schön galten.
30,16 venerischen Übel: Geschlechtskrankheit.
30,17 englische Krankheit: Rachitis.
31,4 f. Socrates den Charmides: Platons Dialog »Über die Besonnenheit«.
31,5 Autolycus: in Platons Politeia der »Meister der Diebeskunst«. – Lysis: »Über Liebe und Freundschaft«. – Phidias: vgl.
Anm. zu 27,17 f.
31,31 Phryne: berühmte athen. Hetäre, häufig dargestelltes Motiv; stammt von Athenaios.
31,34 Venus Anadyomene: die »Meerschaum Entstiegene«.
32,18 Ein Ctesilas: Statue, die nach damaliger Ansicht mit dem
sog. »sterbenden Fechter« gleichgesetzt wurde.
32,28 Raphael seine Galathea: das Fresko »Triumph der Galathea« in der Villa Farnesina in Rom (um 1512).
32,29 Balthasar Castiglione: Baldassar Castiglione (1478–1525)
verfasste Über den Hofmann.
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32,34 v. Bellori: Giovanni Pietro Bellori (1615–1696), einer der
einflussreichsten Kunsttheoretiker des 17. Jahrhunderts, bewunderte vor allem Nicolas Poussin.
33,26 Kopf der Julia: ein Porträt der Tochter des röm. Kaisers
Titus.
33,32 Polygnotus: griech. Maler (Mitte des 5. Jhs. v. Chr.).
33,34 v. Stosch: Philipp von Stosch (1691–1757), zu dessen Gemmensammlung Winckelmann einen Katalog erstellte (Description des pierres gravées du feu Baron de Stosch …, Florenz
1760).
34,2 f. Praxiteles … Cnidische Venus: Der griech. Bildhauer Praxiteles (Mitte des 14. Jhs. v. Chr.) wird insbesondere für die
›Entdeckung‹ der Anmut des weiblichen Körpers gerühmt, vor
allem verwirklicht in der »Knidischen Aphrodite«.
34,4 Lais: Es handelt sich auch um eine als paradigmatisch und
besonders schön hervorgehobene Frauengestalt.
35,20 Bernini: Lorenzo Bernini; ital. Baumeister und Bildhauer
(1598–1680). Winckelmann hält ihn für den eigentlichen Gegner
seiner Kunstauffassung und nennt ihn einen »Kunstverderber«.
35,35 v. Baldinucci: Filippo Baldinucci, der eine Vita Berninis
verfasste.
36,25 Antinous Admirandus: röm. Kopie einer Hermes-Statue
des Praxiteles, die von Winckelmann bewundert wurde und
über die er eine Beschreibung verfasste.
36,27 f. Vaticanischen Apollo: berühmte Statue des griech. Sonnengottes, 1495 ausgegraben; das Original in Erz befand sich in
Delphi.
37,18 Poussin: Nicolas Poussin (1593–1665); galt in der franz.
Kunstliteratur des Klassizismus als der – nach Raphael – vollkommenste Maler.
37,24 f. Quibus arte …: »[Seelen], denen der Titan [Prometheus]
mit reicherer Kunst und aus besserem Stoff die Herzen bildete«.
37,27 Piles: Roger de Piles (1635–1709); Kunstkritiker, dessen
Dialogue sur le coloris (1673) den Streit zwischen den »Poussinisten« und »Rubinisten« auslöste.
38,13 Caravaggio: der Maler Michelangelo Merisi, gen. Caravaggio (1573–1610).
38,14 Jacob Jordans: holl. Maler (1593–1678).
38,15 Stella: der franz. Maler Jacques Stella (1596–1657) oder
sein Vater François (1563–1605).
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38,21 Contour: die Kontur.
38,24 Euphranor: griech. Maler und Bildhauer des 4. Jahrhunderts v. Chr., dessen Werke nur literarisch überliefert sind.
39,15 Perseus des Dioscorides: vgl. die Anm. zu 27,10.
39,15 f. Hercules mit der Iole … des Teucers: Gemme des Steinschneiders Teucros, die sich im archäologischen Museum in Florenz befindet.
39,18 Parrhasius: griech. Maler (431–404 v. Chr.).
39,23 Coisches Kleid: Seidenkleid, das auf der Insel Kos hergestellt wurde.
39,25 f. Agrippina, und die drey Vestalen: Agrippina, eine sitzende Muse; die drei Statuen der Keuschheitsgöttinnen (Vestalen)
wurden im 18. Jahrhundert in Herculaneum ausgegraben.
40,6 Verweisung nach der Insel Pandataria: Agrippina, die beschuldigt wurde, ihren Ehemann Germanicus getötet zu haben,
wurde von Tiberius auf die Insel Pandataria bei Ischia verbannt,
wo sie verhungert sein soll.
40,11 grosse Manier: das Individuelle und Subjektive in der Kunst
(maniera); vgl. dazu auch Goethes Aufsatz über Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil (in diesem Band, S. 159–165).
40,13 f. farnesischen Flora: eine röm. Kolossalstatue aus dem 3.
Jahrhundert n. Chr.
41,8 jüngern Plinius: (62–114 n. Chr.), der den Tod seines Onkels
beim Vesuvausbruch 79 n. Chr. beschrieben hat.
41,21 Prinzen Eugens: Franz Eugen Prinz von Savoyen (1663–
1736).
41,31 Matielli: Lorenzo Mattielli (1682–1748); Bildhauer, war in
Dresden tätig.
41,33 Algarotti: Francesco Algarotti (1712–1764); kunstliterarischer Aufklärer, der auch als Diplomat in Berlin und Dresden
tätig war und zeitweilig zum engeren Kreis Friedrichs des Großen gehörte.
42,24 griechische Drapperie: Die Draperie spielte in der Kunstkritik eine wichtige Rolle. Winckelmann lobt die durchscheinenden Gewänder griech. Figuren.
42,34 Caracalla: Porträtbüste des röm. Kaisers Caracalla
(211–217 n. Chr.).
43,7 Carl Maratta und Franz Solimena: Carlo Marati (1625–
1713), röm. Maler; Francesco Solimena (1657–1747), neapolitanischer Maler.
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43,8 f. neue venetianische Schule: z. B. Bilder von Sebastiano Ricci und Giovanni B. Piazzetta.
43,14 f. edle Einfalt, und eine stille Grösse: Die Umschrift der
Winckelmannschen Formulierung ist ein Topos der europäischen Kunstliteratur und lange vor Winckelmann von Félibien,
Roger de Piles, Du Bos und anderen entwickelt worden. In Winckelmanns handschriftlichen Exzerpten aus der neueren Kunstliteratur begegnet man häufig den Begriffen sérénité, tranquillité,
grandeur, naivité, simplicité oder simplicity in direkter Verbindung zur griechischen Antike. Die Verbindung mit diesem Topos findet sich auch in Shaftesburys Characteristics, aus denen
Winckelmann umfangreiche Notizen ausschrieb. In seinem Exzerptenmagazin findet sich sogar der Ausdruck noble simplicité
(›edle Einfalt‹), den er in der französischen Übersetzung von Jonathan Richardsons Traité de la peinture et de la sculpture (Amsterdam 1728) fand. (Hinweis von Elisabeth Décultot.)
43,31 Sadolet: Jacopo Sadoleto (1477–1547), rühmte die Laokoonstatue in einem Gedicht.
43,34 Sophocles Philoctetes: Tragödienfigur des Sophokles, der
verletzt auf dem Weg zum Krieg in Troja von seinen Kameraden auf der Insel Lemnos zurückgelassen wird.
44,5 Metrodor: Philosoph und Maler.
44,17 Parenthyrsis: »höchstes Pathos an der unrechten Stelle«
(Longin).
45,5 Franchezza: Freimütigkeit.
45,6 f. Contrapost: Gegensatz zwischen Standbein und Spielbein.
45,11 Ajax und einen Capaneus: Ajax, einer der Helden des Trojanischen Krieges, erschlägt im Wahnsinn Viehherden und tötet
sich dann selbst. Capaneus ist einer der »Sieben gegen Theben«.
45,20 erster guter Tragicus: Die Überzeugung, dass sich die
griech. Kunst aus der Tragödie entwickelt habe (Aischylos, Sophokles und Euripides), stammt ursprünglich von dem engl. Literaturtheoretiker Shaftesbury.
45,28–30 HOR.: Horaz, Ars poetica 240–242: »Ein jeder mag
glauben, er könne dasselbe; doch wagte er es gleichfalls, scheiterte schon der Versuch.«
45,31 La Fage: Raimond Lafage (1656–1690), Radierer und
Zeichner.
46,13 f. Verwandlungen: Anspielung auf die vielfach dargestellten
Metamorphosen von Ovid.
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46,21 Daphne und … Apollo: Apollo verfolgt aus Liebe die
Nymphe Daphne, die auf ihr Gebet hin in einen Lorbeerbaum
verwandelt wird, der seitdem Apollo heilig ist.
46,22 Proserpina: Persephone, Göttin der Unterwelt.
46,29 Aristides: Aristides von Theben (2. Hälfte des 4. Jhs. v.
Chr.), berühmter griech. Maler.
47,13 Ripa Iconologie: Cesare Ripa, dessen Iconologia (1693) eine
modellbildende Rolle spielte.
47,14 van Hooghe: Romein de Hooge (1645–1708), Verfasser einer Hieroglyphica (1735).
47,18 farnesischen Gallerie: die Fresken Caraccis im Palazzo Farnese in Rom.
47,34 luxenburgische Gallerie: In der Luxemburgischen Galerie
befanden sich Skizzen von Rubens (vgl. Goethes Dichtung und
Wahrheit).
48,4 Daniel Gran: malte in der ersten Hälfte des 18. Jhs. ein
Fresko in einer Kuppel der Wiener Hofbibliothek.
48,7 Le Moine: François Le Moyne (1688–1737) malte für Versailles eine »Apotheose des Herkules«.
48,32 Vitruv: röm. Architekt (Ende des 1. Jhs. v. Chr.), dessen
Architekturtheorie für den Klassizismus konstitutiv ist.
48,34 Morto: Morto da Feltre (etwa 1467–1512), röm. Groteskenmaler.
49,4 Schnirkel und das allerliebste Muschelwerk: von Winckelmann kritisierte Muschelornamentik der Rokokodekoration.
49,10 HOR.: Horaz, Ars poetica 316: »Er versteht es, jeder Person ihren eigenen Charakter zu geben«.
49,30 f. HOR.: Ars poetica 7: »Werden zusammenhanglose Bilder
erdichtet, haltlos wie Träume im Fieber«.
50,6 HOR.: Ars poetica 421: »Reich an Grundbesitz, reich an
zinsbringendem Geld.«
50,15 Jagdhaus: Gemeint ist das Jagdschloss Hubertusburg, das
vor allem von August dem Starken genutzt wurde.
50,33 Prometheus: Sohn eines Titanen, der wegen seines Widerstands gegen Zeus an einen Felsen geschmiedet wird.