Beethovens Testamente und andere bedeutende Lebenszeugnisse
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Beethovens Testamente und andere bedeutende Lebenszeugnisse
Beethovens Testamente und andere bedeutende Lebenszeugnisse Begleitpublikation zur Sonderausstellung im Beethoven-Haus Bonn 17. Dezember 2014 – 10. Mai 2015 Michael Ladenburger · Nicole Kämpken · Dietrich Kleppi ISBN: 978-3-88188-139-5 9-7838 1-8 1395 Verl ag Beethoven-Haus Bonn Die Testamente Gefördert durch: Beethovens komplexe Persönlichkeit, aber auch der hohe Grad seiner Selbstreflexion treten nicht zuletzt in vier vom ihm verfassten Testamenten zutage. Das erste, eigent lich eine Art Abschiedsbrief, schrieb er in höchst bedrängten Zeiten in der Mitte seines Lebens, die anderen in seinen letzten vier Lebensjahren. aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Vitrine 1: Das sogenannte Heiligenstädter Testament, ein an seine beiden Brüder Kaspar Karl und Nikolaus Johann gerichteter, aber nicht abgeschickter Brief, ist eines der unge wöhnlichsten Künstlerdokumente aller Zeiten. (Ausgestellt ist ein vom BeethovenHaus veröffentlichtes Faksimile, das im Museumsshop erworben werden kann. Ori ginal: Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky) Gefördert vom: Gefördert von der Stadt Bonn: Impressum Begleitpublikationen zu Ausstellungen des Beethoven-Hauses, Bd. 22 Herausgegeben von Michael Ladenburger und Nicole Kämpken Titelbild: Beethovens Testament vom 6. März 1823 (Ausschnitt) Gestaltung und EBV: Conny Koeppl, vice versa. büro für gestaltung, Köln Druck: flyeralarm GmbH, Würzburg ISBN: 978-3-88188-139-5 2 Dieses erste und bekannteste „Testament“ verfasste der Komponist im Oktober 1802. Es ist Ausdruck jener schwerwiegenden Lebenskrise, die Beethoven aufgrund der Erkenntnis seiner wohl unaufhaltsam zunehmenden Schwerhörigkeit ergriff. Auch seine Unterleibsprobleme erschienen ihm wohl zeitweilig als lebensbedrohlich. Über sich selbst reflektierend griff er zur Feder: er blickt auf Depressionen und Selbst mordgedanken zurück, letztlich erscheint ihm die Überwindung seiner Krise aber als Triumph. Es entstand ein Schriftstück, das wie kein anderes während der Nieder schrift seinen Charakter wechselt. Begonnen als Mitteilung an seine beiden Brüder – von denen er den Vornamen des jüngsten Bruders zweimal bewusst auslässt – wird es überhöht („O ihr Menschen“) und wendet sich mehr und mehr an die Nachwelt, bzw. spricht Gott, den Tod, wie auch die Hoffnung und die Vorsehung an. Es scheint, als sei nur eine solche Überhöhung dem Komponisten angemessen erschienen, die vorausgegangene Not und die erfolgreiche Suche nach einer neuen Lebensperspek tive zu dokumentieren. Abschließend bittet er seine Brüder, dieses Dokument in Verbindung mit seiner Krankengeschichte der Nachwelt bekannt zu machen. Tat sächlich wurde das Schriftstück, kein Testament im rechtsgeschäftlichen Sinne, in seinem Nachlass aufgefunden und als solches gerichtlich auch nicht eröffnet. Es war jedoch – wenn auch nur im Nachhinein – Freibrief dafür, dass Beethovens Leichnam 24 Stunden nach seinem Tod obduziert worden war. (Beethoven hatte seine Brüder ja explizit zu einer Leichenöffnung zum Zweck der medizinischen Untersuchung s eines Gehörleidens aufgefordert.) Die Niederschrift diente Beethoven vor allem dazu, damit den ganzen, sich über mehrere Jahre hinziehenden Prozess abschließend zu klären 3 und zu bilanzieren – möglicherweise eine direkte Parallele zum 10 Jahre später verfass ten Brief an die „Unsterbliche Geliebte“, der ja ebenfalls wohl nicht abgeschickt wurde. Beethoven, der seinem Bonner Jugendfreund, dem Arzt Franz Gerhard Wegeler, am 29. Juni 1801 erstmals vertraulich über seine innere Not berichtet hatte und ihm ein halbes Jahr später mitteilte, sein Zustand habe sich gebessert, sah sich in einem Erklä rungsnotstand: Einerseits dachte er durchaus auch an seinen (nach eigener Einschät zung ansonsten möglicherweise zu negativ ausfallenden) Nachruf, andererseits wollte er seinen Brüdern grundlegende Botschaften zukommen lassen. Auch dürfte ihm ein gewisses Misstrauen in seine psychische Stabilität verblieben sein. Das Schriftstück dient nur in sehr eingeschränktem Umfang der Verfügung über sein materielles Ver mögen. Als einziger Vermögenswert werden die Streichquartettinstrumente genannt, die der Komponist ca. zwei Jahre zuvor von seinem Mäzen Fürst Karl Lichnowsky geschenkt bekommen hatte. Hier kam es ihm mehr auf die Verpflichtung an, die er gegenüber seinem Gönner empfand, als etwa auf die Versorgung seiner Brüder. für meine Brüder Carl und Beethowen O ihr Menschen die ihr mich für Feindseelig stör[r]isch oder Misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime ursache von dem, was euch so scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket daß seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hofnung gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem überblick eines daurenden Übels (dessen Heilung vielleicht Jahr dauren oder gar unmöglich ist) gezwungen […] muste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen […] obschon vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ, aber welche Demüthigung wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten Singen hörte, und ich auch nichts hörte, solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben […] schon in meinem 28[.] Jahre gezwungen Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwere[r] als für irgend jemand – Gottheit du siehst herab auf mein inneres, du kennst es, du 4 weist, daß menschenliebe und Neigung zum Wohltun drin Hausen [...] und der unglückliche, er tröste sich, einen seines gleichen zu finden, der troz allen Hindernissen der Natur, doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden […] mit freuden eil ich dem Tode entgegen – kömmt er früher als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunst-Fähigkeiten zu entfalten, so wird er mir troz meinem Harten Schicksaal doch noch zu frühe kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen – doch auch dann bin ich zufrieden, befreyt er mich nicht von einem endlosen Leidenden Zustande? – Komm, wann du willst, ich gehe dir muthig entgegen [...] o Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen […] Neben dem ersten „Testament“ ist das erste gemalte Beethoven-Portrait (Christian Horneman) zu sehen, das im selben Jahr entstand, für Beethoven übrigens ein Jahr höchster Produktivität. Ein Jahr zuvor erschien das erste gedruckte Portrait des Wiener Kupferstechers Johann Joseph Neidl (an der Wand). Seine Zeitgenossen beschrieben den damals dreißigjährigen Beethoven als klein und unscheinbar, mit einem hässlichen Gesicht voller Pockennarben (die Narben sind auf der Büste von Franz Klein in Raum 8 im 2. Stock gut zu erkennen). Beethovens damaliger Schüler Carl Czerny fühlte sich beim Anblick seines Lehrers sogar an Robinson Crusoe erinnert, denn „das pech schwarze Haar sträubte sich zottig um seinen Kopf “. Daneben hängt das im selben Jahr entstandene Portrait seines im „Testament“ erwähnten Arztes Johann Adam Schmidt. Vitrine 2: Das Testament von 1823 (Dauerleihgabe aus Privatbesitz) Möglicherweise im Zusammenhang mit finanziellen Sorgen, die Beethoven 1821 dazu zwangen, eine der ihm eigentlich als eiserne Reserve für seinen Neffen Karl geltenden acht Bankaktien zu verkaufen und am 10. Februar 1823 eine weitere Ak tie zu beleihen, hatte er wenige Wochen später das Bedürfnis, neuerlich seine Erben zu bestimmen und seinen letzten Willen nun auch juristisch abzusichern. Anstatt vor einem Gericht zu testieren, entschied er sich für ein privatschriftliches, d. h. ein eigenhändiges Testament, eine Testamentsform, die im österreichischen Recht schon damals anerkannt war, vgl. § 587 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie (ABGB) von 5 Ferdinand Georg Waldmüller, Ludwig van Beethoven, 1823 (Kopie von Louis G rünler) 1811. Er kontaktierte den Hof- und Gerichtsadvokaten Johann Baptist Bach, der seit 1819 sein Anwalt war und ihm bei den gerichtlichen Auseinandersetzungen um die Vormundschaft über seinen Neffen, den er nun auch zum Erben bestimmen wollte, gute Dienste geleistet hatte. Seinen letzten Willen bringt er unmissverständlich zum Ausdruck, indem er seinen Neffen Karl van Beethoven zum Universalerben, d. h. zu seinem einzigen Erben und Rechtsnachfolger bestimmt. Vermächtnisse (Legate) wur den nicht ausgesprochen, so dass Karl wegen einzelner Sachen oder Rechte keinerlei Ansprüchen ausgesetzt war. Trotzdem erhält bereits dieses Testament eine wesent liche Einschränkung zu Lasten des Erben: dieser wird unter Kuratel des Advokaten Bach gestellt, ohne dass Beethoven allerdings eine Aussage darüber trifft, wie lange dies gelten solle. Bei der gleichzeitig angeordneten Vormundschaft (durch eine wei tere Person) musste hierzu hingegen nichts gesagt werden, weil die Vormundschaft von a lleine mit Erlangung der Großjährigkeit (Volljährigkeit) endete. Diese trat in den Erblanden grundsätzlich mit dem zurückgelegten 24. Lebensjahr ein (§§ 21, 172 ABGB) – im Fall des Neffen im Jahr 1830. Vien am 6ten März 1823 werther Verehrter Freund! Der Tod könnte kommen, ohne anzufragen, in dem Augenblicke ist keine Zeit ein gerichtl. Testament zu machen, ich zeige Ihnen daher durch dieses eigen händig an, daß ich meinen geliebten Neffen Karl van Beethoven zu meinem Universal=Erben erkläre, u. daß ihm alles ohne ausnahme was nur den Nahmen hat irgend eines Besizes von mir nach meinem Tode Eigenthümlich zugehören soll. – Zu seinem Curator ernenne ich sie, u. Sollte kein anderes Testament folgen als dieses, so sind sie zugleich befugt u. gebeten, meinem geliebten Neffen K. v. Beethoven einen Vormund auszusuchen mit Ausschluß meines Bruders Johann van Beethoven u. ihn nach den Hergebrachte[n] Gesezen demselben zuzugeben. dies schreiben erkläre ich so gültig für allzeit, als wäre es mein lezter wille vor meinem Tode – ich umarme Sie von Herzen Dieses Testament verfasste Beethoven wenige Wochen, nachdem er seine ihm beson ders am Herzen liegende Missa solemnis abgeschlossen hatte, deren Komposition ihm auch Anlass zur neuerlichen Selbstreflexion war. Das Testament war erst einmal, im Jahr 1927, öffentlich zu sehen. Es war damals im Besitz eines Wiener Rechts anwalts. Danach war es lange in unzugänglichem Privatbesitz. ihr wahrer Verehrer u. Freund ludwig van Beethoven Nb. an Capitalien finden sich 7 Bankactien, was übrigens sich an Baarrschaft noch findet, wird alles ebenfalls wie die B.A. das Seine An der Wand zwischen den Fenstern ist Ferdinand Georg Waldmüllers BeethovenPortrait (Kopie von Louis Grünler, 2. Viertel 19. Jahrhundert) zu sehen. Das chrono logisch letzte authentische Portrait des Komponisten (sieht man von den Darstellungen auf dem Sterbe- bzw. Totenbett ab) entstand 1823, also im Jahr der Abfassung des ersten regulären Testaments. 6 7 Die nahezu zeitgleiche authentische Kreidezeichnung von August von Kloeber (1822) nach einer sehr lebensnahen Bleistiftskizze aus dem Jahre 1818 (siehe Raum 9 im 2. Stock) wurde durch Lithographien, die unter der Aufsicht des Malers angefertigt wurden, zu einem besonders weit verbreiteten Bildnis des Komponisten mit wieder eigener reicher Rezeptionsgeschichte. Vitrine 3: Knapp anderthalb Jahre nach dem zweiten Testament, am 1. August 1824, wandte sich der Komponist wieder an seinen Rechtsberater Bach (Faksimile, Original derzeit verschollen): an mein Testament Karl betreffend muß ich sie erinnern, ich glaube wohl einmal vom Schlage getroffen zu werden, wie mein biederer Großvater mit dem ich Ähnlichkeit habe, Karl ist u. bleibt einmal Universal-Erbe von allem was mein ist, u. nach meinem Tode vorhanden gefunden wird, da man aber verwandten, wenn sie einem auch gar nicht verwandt sind, auch etwas vermachen muß so erhält mein Hr. Bruderé mein Französisches Klawie[r] von Paris. Sonnabends könnte Karl dies Testam. mitbringen, wenn es eben nicht ihnen im Mindesten beschwerlich fällt –. Hier ist als Erbstück erstmals jener Hammerflügel angesprochen, den Beethoven 1803 von den Pariser Klavierbauern Érard Frères erworben hatte. Tatsächlich über ließ er ihn bald nach Abfassung des Schreibens seinem einzigen noch lebenden Bru der Johann. Er hatte das Instrument schon länger nicht mehr in Verwendung. Als Beethoven realisierte, dass die Bauchwassersucht (Aszites) und seine sich zuneh mend verschlechternde Gesamtverfassung ihn unaufhaltsam dem Tod näherbrachte, entschloss er sich in den ersten Tagen des Jahres 1827, ein weiteres, von den voran gegangenen Anläufen allerdings inhaltlich nicht abweichendes Testament (Faksimile, Original: Stadt- und Landesarchiv Wien) niederzulegen, das nun aber juristisch Bestand haben sollte. Er ging dabei davon aus, dass sein lebenslanger Freund S tephan von Breuning (1774–1827) dem Neffen weiterhin als Vormund zur Seite stehen werde. Breuning war bereits im September 1826 an Beethovens Stelle getreten. Dieses Testament wurde am 27. März, einen Tag nach dem Tod des Komponisten, eröffnet. Vien Mittwochs 3ten Jenner 1827 An Hr. Dr. Bach Verehrter Freund! Ich erkläre vor meinem Tode Karl van Beethoven meinen geliebten Neffen als meinen einzigen Universalerben von allem meinem Hab u. Gut worunter Hauptsächlich 7 Bankactien und was sich an baarem vorfinden wird – S ollten die Geseze hier Modifikationen vorschreiben, so suchen sie selbe so sehr als mög- 8 lich zu seinem vortheile zu verwenden – Sie ernenne ich zu seinem K urator, u. bitte sie mit Hofrath Breuning seinem Vormund vaterstelle bey ihm zu vertreten – Gott erhalte Sie – Tausend Dank für ihre mir bewiesene Liebe u. Freundschaft. – Ludwig van Beethoven. m[anu].p[ropria]. Die eigentlich überflüssige Nennung der Bankaktien entsprang sicherlich Beethovens ausgeprägtem Misstrauen. Mit „Modifikationen“ könnte der juristisch wenig kundige Komponist Bestimmungen des Noterbrechts, etwa Pflichtteilsberechtigte gemeint haben. Das Pflichtteilsrecht galt auch in Österreich. Sein noch lebender Bruder war allerdings nicht pflichtteilsberechtigt, lediglich seine (nicht vorhandenen) Kinder und seine längst verstorbenen Eltern wären dies gewesen (§ 762 ABGB). Das in den Testamenten dem Advokaten Bach zuerkannte Amt des Kurators entspricht nicht dem eines Testamentsvollstreckers, der in § 816 ABGB als „Vollzieher“ oder „Exe cutor“ des letzten Willens bezeichnet wird. Der Kurator (Sachwalter, Pfleger) hat wie der Vormund die Stellung eines gesetzlichen Vertreters des Erben. Deshalb bittet Beethoven in seinem Testament vom 3. Januar 1827 Bach als Kurator auch, in Bezug auf Karl die „Vaterstelle bey ihm zu vertreten“. Es gab damals nur die väterliche, nicht die mütterliche Gewalt (Personen- und Vermögenssorge). Deshalb hieß es in § 187 ABGB auch, dass Personen, denen die Sorge eines Vaters nicht zustatten kommt und die noch minderjährig oder aus einem anderen Grunde ihre Angelegenheit selbst zu besorgen unfähig sind, durch einen Vormund oder durch einen Kurator besonderer Schutz gewährt wird. Vitrine 4: Breuning hatte Beethoven kurz nach Abfassung des Testaments brieflich geraten: „Daß du Carln für den hoffentlich noch weit entfernten Fall, wo wir alle das Zeitliche verlaßen müßen, zum Erben ernennest, ist dem, was du schon für ihn gethan hast, u. deiner Gesinnung angemeßen. Allein da Carl sehr leichtsinnig bis jezt sich gezeigt hat, u. man nicht weiß, wie sich sein Charakter in seinem jetzigen Leben gestalten wird; so wäre ich der Meynung, daß du zu seinem eigenen Beßten es zur Sicherheit seiner Zukunft, ihm die Befugniß, über das Kapital zu disponiren, entweder auf seine ganze Lebenszeit, oder wenigstens noch mehrere Jahre nach erlangter Grosjährigkeit von 24 Jahren beschränktest. Mit dem jährlichen Einkommen würde er vor der Hand jedenfalls genug haben, u. die Beschränkung würde ihn gegen die Folgen leichtsin niger Handlungen, ehe er zum soliden Manne reift, schützen. […] denn ich fürchte, 9 Beethovens letztes Testament vom 23. März 1827 daß eine bloß zeitliche Beschränkung kein Mittel ist, Carl vom Schuldenmachen ab zuhalten, die er nachher mit dem ganzen Erbe bezahlen muß.“ Am 1. Februar wurde in einem Dreiergespräch mit Johann Baptist Bach und Breuning über diesen Vorschlag beraten. Aber erst drei Tage vor seinem Tod formulierte Beet hoven seinen letzten Willen neu – bereits stark geschwächt, aber wohl noch in testier fähigem Zustand (§ 565 ABGB verlangt „volle Besonnenheit“) und von Breuning gelei tet – mit letzter Kraft und in mehreren zunächst vergeblichen Anläufen (mit noch mehr Schreibfehlern). Dieses Schriftstück wird oft zu Unrecht als Nachtrag verstanden und als Kodizill bezeichnet. Es handelt sich aber um ein vollgültiges Testament, da neuer lich ein Erbe eingesetzt wird und nicht lediglich andere Verfügungen getroffen werden (§ 553 des ABGB) (Faksimile, Original: Stadt- und Landesarchiv Wien). Inhaltlich bringt dieser letzte Wille, dem ein Entwurf Breunings zugrunde lag, inso fern eine wesentliche Einschränkung, als Karl in Bezug auf den Nachlass, der vor wiegend durch das Kapital (Aktien) bestimmt wurde, nur noch die Stellung eines Vorerben zukam und seine dereinstigen Erben zu Nacherben bestimmt wurden. In der Terminologie des ABGB von 1811 nannte man dies eine „fidei-kommissari sche Substitution“ (§ 606 ABGB) mit der Folge, dass dem eingesetzten (Vor-)Erben das eingeschränkte Eigentumsrecht mit den Rechten und Verbindlichkeiten eines Fruchtnießers (Nießbrauch, ususfructus) zukommt (§ 613 ABGB). Karl erhielt also lebenslänglich die Dividenden ausgeschüttet, die Aktien selbst musste er jedoch für seine Erben aufbewahren. Erben wurden schließlich Karls Witwe und seine fünf Kin der. Wie von Breuning empfohlen verzichtete Beethoven bewusst auf eine zeitliche Befristung. In wirtschaftlicher Hinsicht bedeutete dies ungeachtet der Bestätigung der Universalerbenschaft also eine Teilenterbung für den Neffen. Einen Tag später verlor der Todkranke das Bewusstsein. Mein Neffffe Karle Soll alleini[ger] Erbe seyn, das Kapital meines Nachlalaßes soll jedoch Seinen natü[r]lichen oder testamentarischschen Erben zufallen. Vien am 23= März 1827 luwig van Beethoven Dieses Testament wurde zwei Tage später als das vorherige, am 29. März, dem Tag des Begräbnisses, eröffnet. 10 12 Stunden nach B eethovens Ab leben, am Morgen des 27. März, hatte Joseph Dan hauser eine ausdrucksstarke Ölskizze angefertigt. Der Leich nam war in der Sterbewohnung aufgebahrt worden. Auf einem Ölgemälde von Danhauser aus dem Jahre 1839 basiert der handkolo rierte Stahlstich von Franz Xaver Stöber „Die Testamentseröffnung“ (Wien 1843, Leihgabe Notar a.D. Dietrich Kleppi) rechts an der Wand. Sie zeigt auf humorvolle Weise unter schiedliche Reaktionen von hoffnungsvollen Erbanwärtern in dem Moment, als der Notar ein Testament verliest. Von Stöber stammt auch die einzige Darstellung von Beethovens Leichenbegängnis (siehe Raum 9 im 2. Stock). Vitrine 5: Wie im Testament vom 3. Januar vorgesehen, stellte der Magistrat der Stadt Wien am Begräbnistag die Ernennungsurkunde für Johann Baptist Bach zum Kurator von Beethovens minderjährigem Neffen Karl aus. Bach gab am 13. April eine Erklärung ab, worin er sich „im Namen meines Curanden cum beneficio inventarii“ zum Erben erklärt. Die Annahme der Erbschaft erklärte der professionelle Kurator bewusst nur bedingt, indem er ausdrücklich die „rechtliche Wohltat des Inventars“ in Anspruch nahm und dadurch eine Beschränkung der Haftung des Erben auf den Nachlass erreichte (§§ 800ff. ABGB). Dies war eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn Beet hovens Nachlass war per saldo weit davon entfernt, überschuldet zu sein. Der Nachlass reichte, um ihn mit der in Österreich damals (schon seit Kaiserin Maria Theresia) üblichen zehnprozentigen Erbschaftssteuer, d. h. mit mehr als 800 Gulden, zu belegen. 11 Der Vater des Neffen, Beethovens Bruder Kaspar Karl, war am 15. November 1815 verstorben. Er hatte (nur einen Tag vor seinem Tod) einen Nachtrag zu seinem Testament gemacht, der dem Komponisten in der Folge größten Verdruss einbrachte. Nachtrag zu meinem Testamente Da ich bemerkt habe, daß mein Bruder Herr Ludwig von [!] Beethoven meinen Sohn Karl nach meinem allfälligen Hinscheiden ganz zu sich nehmen, und denselben der Aufsicht und Erziehung seiner Mutter gänzlich entziehen will. Da ferner zwischen meinen Bruder und meiner Gattin nicht die beste Einigkeit besteht, so habe ich für nöthig gefunden nachträglich zu meinen Testamente zu verfügen, daß ich durchaus nicht will, daß mein Sohn Karl von seiner Mutter entfernt werde, sondern daß derselbe immerhin und in solange es seine künftige Bestimmung zuläßt, bei seiner Mutter zu verbleiben habe; dahero denn dieselbe so gut, wie mein Bruder die Vormundschaft über meinen Sohn Karl zu führen hat. Nur durch Einigkeit kann der Zweck den ich bey Aufstellung meines Bruders zum Vormund über meinen Sohn gehabt habe erreicht werden, dahero empfehle ich zum Wohl meines Kindes, meiner Gattin Nachgiebigkeit, meinem Bruder aber mehr Mäßigung. Gott lasse sie beide zum Wohl meines Kindes einig seyn. Das ist die letzte Bitte des sterbenden Gatten und Bruders. Wien den 14 9br 815 Karl van Beethoven mp Beethoven selbst legte ein Nachlassverzeichnis seines Bruders Kaspar Karl an (ausge stellt ist ein autographes Fragment von 1816/1817 aus der Sammlung H.C. Bodmer im Beethoven-Haus). Am 10. Mai 1817 verglich er sich schließlich mit seiner Schwägerin Johanna bezüglich der Verlassenschaft seines Bruders. Nachlassverzeichnisse waren damals in den unteren und mittleren Gesellschaftsschichten recht übersichtlich. Bei Beethovens Bruder überwog der Hausbesitz das übrige Vermögen bei weitem. Seine Bücher wurden auf 70 Gulden C.M. geschätzt. An Preziosen und Bargeld fanden sich u. a. vor: „Ein Schönes Englichses [!] Künstliches Messer“, „eine schöne vergoldete Kappe“, „Eine Silberne SackUhr, eine schöne große alabasterne u. eine kleine“, „Ein Silbernes besteck“, „70 fl: Baares Geld u. 5 bis 6# [Dukaten] wenigstens in Gold wenn nicht mehr“ sowie „eine Pistole u. einen Säbel“. liothek, zu 6% aus Hausrat und zu 8% aus Barvermögen. Sein Hausrat wurde zeitüblich sechs Wochen nach seinem Tod, die Musikalien noch ein halbes Jahres später versteigert. Der Konflikt um und mit dem Neffen Karl Kaspar Karl hatte im Jahr 1806, 3½ Monate vor der Geburt des gemeinsamen Kindes, Johanna Reiss geheiratet. Beethoven verachtete seine Schwägerin. Sie erschien ihm cha rakterlich nicht geeignet, ihr Kind aufzuziehen. 1811 war sie wegen Unterschlagung sogar zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ihm wird es auch nicht gefallen haben, dass er nach der Eheschließung nicht mehr auf seinen Bruder als sehr erfolgreichen und zudem kostenlosen Sekretär zurückgreifen konnte. Hatte Kaspar Karl in seinem Testament vom 12. April 1813 seinen Bruder auf dessen ausdrücklichen Wunsch hin noch als alleinigen Vormund vorgesehen, so machte er wohl auf Druck seiner Frau kurz vor seinem Tod einen Rückzieher und fügte seinem Testament den Nachtrag hinzu, das Kind solle nicht von seiner Mutter entfernt und ihr gemeinsam mit ihrem Schwager die Vormundschaft übertragen werden. Zu rigoros, ja unerbittlich waren diesbezüglich Beethovens Wünsche gewesen. Für den Komponisten begann damit ein unsäglicher nervenaufreibender Kampf gegen seine Schwägerin, bei dem alle Beteiligten verloren. Zwar erhielt Beethoven im April 1820 vom Appellationsgericht nach zähen Bemühungen endgültig die Vormundschaft zugesprochen, wegen seiner Taubheit aber auch einen Mitvormund zur Seite gestellt. Er fand nie zu einem souveränen Umgang mit dieser Situation, die ihn den Rest seines Le bens massiv belastete. Auch für die Mutter, die sich Treffen mit ihrem Sohn vorher ge nehmigen lassen musste, war die Lage unerträglich. Am meisten litt allerdings das Kind. Ein Jahrzehnt später bestand der Nachlass des Komponisten hingegen wertmäßig zu ca. 75% aus Bankaktien, zu 10% aus seinem Musikalienbestand, zu 0,5% aus seiner Bib Beethoven hatte bereits zwei Wochen nach dem Tod seines Bruders gegenüber dem niederösterreichischen Landrecht förmlich bekräftigt, dem in dessen Testament nie dergelegten Wunsch nachzukommen, die Vormundschaft über den neunjährigen Karl anzunehmen: „Ich erkläre hiemit auch diese Vormundschaft ohne weiterem zu übernehmen, da ich meinen Bruder innig liebte, mir seine letzte Anordnung heilig ist, und er mir mehrmalen mündlich das Wohl seines Sohnes empfahl, ich mich also in mehrfältiger Hinsicht verpflichtet finde, diese Vormundschaft auf das gewissen hafteste zu besorgen.“ Zwei Monate später wurde er als Vormund bestätigt. Schon 1804 hatte er an Josephine Deym geschrieben, der Vorwurf, sein Bruder ginge nicht aufrichtig mit ihm um, sei nicht wahr, Kaspar Karl habe vielmehr „mit wahrer Recht schaffenheit jederzeit für mich gesorgt“. 12 13 In seiner Eingabe an das niederösterreichische Landrecht (hier das Fragment eines Konzeptes) gab Beethoven im Dezember 1815 hinsichtlich seiner von ihm als faul und charakterlos verteufelten Schwägerin zu bedenken: bey seiner [des Bruders Kaspar Karl] jezigen Krankheit suchte sie mir auf alle weise seinen schlechten Zustand zu verhelen, ich wußte nichts, daß ein Testament gemacht wurde, jedoch kam ich dazu, wenn wirklich das original so ist, wie ich es gesehen, so müßen sich stellen ausgestrichen finden, hiezu veranlaßte ich meinem Bruder, indem ich durchaus an ein solches schlechtes Weib bey einer so wichtigen Sache wie die Erziehung des Kindes nicht gebunden seyn wollte, eben so wenig als im Verein des dr. S. da ich wußte, daß sie beständig zu ihm gieng, und er mir zu warm Parthey für Sie zu nehmen schien. – alles, was die Vormundschaft betraf, wurde in das Testament gesezt, wie ich es Meinen. Die Angelegenheit war ein ständiges Ärgernis für Beethoven. Im September 1819 wurde – angesichts seiner Schwerhörigkeit, die ihn laut Gesetz an der Ausübung der Vormundschaft hinderte – seine Schwägerin vom Magistrat der Stadt Wien als Vor mund, außerdem ein Magistratsbeamter als Mitvormund eingesetzt – für Beethoven inakzeptabel! Deshalb schrieb er am 27. Oktober an J. B. Bach: Sie werden schon die Schrift der F.[rau] J.[ohanna] Beethow. erhalten h aben, die Person ist zu sehr unter aller moralischen Würde als daß ich die Anfechtungen gegen mich widerlegen sollte, Sr. kais. Hoheit Eminenz u. Cardinal [sein Schüler Erzherzog Rudolph], die mich als Freund u. nicht als Diener behandeln, würden ungesaümt ein Zeugniß ausstellen sowohl über meine Moralität als über das Gewäsche von ollmütz, wo kein wort von wahr ist, so viel man weiß u. S. H. selbst, werden sellbe alle Jahre höchstens 6 wochen dort zu bringen, jedoch Es wäre zu viel Ehre einer solchen beynahe Gesezlosen Person, welche nach dem § 191, da Sie beym criminal war, gar keiner vormund.[schaft] fähig ist; noch Beweise von der Nichtigkeit ihrer Verleumdungen beyzubringen. – […] damit aber die Menschlichkeit hiebey nicht aus den Augen gesezt werde, so kann selbe ihren Sohn zuweilen bey mir in Gegenwart des Erziehers u. anderer ausgezeichneten Menschen [sehen] –. meine bekannte Humanität u. Bildung wie meine mir gewöhnliche Menschlichkeit verbürgt, daß mein Betragen gegen Sie [Johanna] nicht minder edel als gegen ihren sohn seyn werde, übrigens glaube ich solle man alles in Kürze u. wo möglich das appellationsGericht zur VormundschaftsBehörde zu erhalten suchen, da ich meinen Neffen Unter eine höhere Kategorie gebracht, so gehört weder er noch ich nicht an den M.[agistrat] indem unter eine solche vorm. nur wirthe schuster u. Schneider gehören. – […] Urtheilen sie nun ob ich nicht allein verdiene Vormund zu seyn, sondern in vollem Sinne des wortes mir der vaternahmen zukomme, um so mehr, da ich seinem unglücklichen vater durch Seine abscheuliche Ehegattin mehrere Jahre durch meine reichliche Unterstüzungen das Leben rettete u. Verlängerte. – Die von Beethoven empfundene enorme Dringlichkeit kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass der Komponist einem Brief, der ohnehin schon ein Postskriptum auf wies, noch am selben Tag einen weiteren Nachtrag hinzufügte, in dem er der Schwä gerin Sabotage vorhält und seinem Rechtsbeistand vorrechnet, wie hoch sein finan zieller Einsatz zugunsten des Neffen ausfalle: ich glaube daher, daß es nöthig unß vorzusehen, u. daß sie alle Gerichtliche Mittel, welche unß diese mir von rechtswegen zugehörige hälfte der Pension zusichern, sogleich ohne verzug anwenden, ich glaube sogleich Beschlag auf ihre Pension welche sie jezt u. für die Zukunft zu erhalten hat, zu legen, sey das sicherste, – allein eilig u. schleunig, denn wir haben, wie sie sehn mit schlechten Menschen zuthun verzeihen sie u. handeln sie kraftvoll u. schnell, was möglich ist, mit solchen Menschen kann ein Ehrenman nicht anders als durch Gewalt handeln. – in Eil Hochachtungsvoll ihr ergebenster Beethoven . Es wird ebenfalls vieleicht nöthig seyn, höhere Befehle zu haben, daß sie ihn dort nicht mit gewalt wegnehmen Nb: Die Wohnung der Fr. B werde ich ihnen noch heute schicken, kein Hauß hat sie mehr, also können wir unß nur an der Pension erhohlen. Hier muß es heißen veni, vidi, vinci. Der Neffe war damals in einem Internat untergebracht. Beethoven war mit der Ange legenheit emotional hilflos überfordert. Dies belegen Äußerungen wie: War der Hauptbrief noch in Schönschrift gelungen, so zeigen die Tintenklekse nun die gesteigerte Erregung Beethovens an. Nebenbei bemerkt: Beethoven hatte keine Lateinkenntnisse. 14 15 Sie werden wissen, wie ich vater geworden bin, u. wahre vatersorgen habe. In diesem fast zwanghaften Rollenverständnis lag die Überforderung von „Vater“ und „Sohn“, von Vormund und Mündel, begründet. Beethoven war es trotz allen guten Willens nicht gegeben, flexibel auf das Kind und seine Entwicklungsstufen und -probleme zu reagieren. Wie selbstverständlich bezeichnete er sich auch gegenüber seinem Mündel als Vater, wie das beiliegende Schreiben von ca. 1825/1826 zeigt: denke nicht, als daß ein anderer Gedanke in mir als nur dein Wohl h errsche, u. hieraus beurtheile mein Handeln – mache ja keinen Schritt, der dich unglücklich machen u. mir das Leben früher raubte – erst gegen 3 uhr kam ich zum schlafe, denn die ganze Nacht hustete ich. Beethovens Denkschrift an das Appellationsgericht in Wien, 18. Februar 1820, hier: „Mittheilungen über das was ich für meinen Neffen gethan –“ Vitrine 6: Ein Testament der anderen Art Die Schlaflosigkeit und der nervöse Husten waren sicherlich psychosomatische Folge erscheinungen des enormen Drucks, dem er sich ausgesetzt fühlte. Diesen gab er an Karl weiter, indem er schrieb: mach mir nur keinen Kummer u. keine Angst mehr leb indessen wohl dein wahrer u. treuer vater. […] – laß mein armes Herz nicht mehr Bluten. Die Denkschrift an das Appellationsgericht in Wien vom 18. Februar 1820 (Autograph, Sammlung H.C. Bodmer) ist das umfangreichste Schriftstück von Beethovens Hand. Zahlreiche Streichungen, Änderungen und Ergänzungen, die für ein Textdokument selbst bei Beethoven ungewöhnlich sind, zeigen, wie er mit letztem Nachdruck ver suchte, den Vormundschaftsstreit mit seiner Schwägerin zu seinen Gunsten (also nach seiner Auffassung zugunsten seines Neffen) zu einem Abschluss zu bringen. Dies gelang. Allerdings wurde ihm ein gesetzlicher Mitvormund zur Seite gestellt. In der Dringlichkeit und Unnachgiebigkeit, mit der er die Schwächen seiner Schwägerin und seine eigenen Verdienste um den Neffen schildert, kommt diesem Dokument im übertragenen Sinn der Charakter eines Testaments zu. Vitrine 7: An seine vertraute Freundin Antonie Brentano in Frankfurt a.M. schrieb Beethoven am 29. September 1816: 16 Die Katastrophe nahm ihren Lauf und kulminierte in einem Selbstmordversuch des Neffen am 6. August 1826, neun Monate vor dem Tod des Komponisten. Beethovens Angst war also nicht unbegründet gewesen, allerdings zugleich ein Movens für den Neffen, der dem emotionalen Druck nicht mehr standhielt. Verehrstester [!] H.[err] v. Smettana. Ein großes Unglück ist geschehen, welches Karl zufällig selbst an Sich verursacht hat, rettung hoffe ist noch möglich, besonders von ihnen, wenn sie nur bald erscheinen, Karl hat eine Kugel im Kopfe, wie, werden sie schon erfahren – nur schnell um gottes willen schnell, ihr Sie verehrender Beethoven die Geschwindigkeit zu helfen, forderte ihn zu seiner Mutter, wo er jezt ist, die Adresse folgt hiebey. 17 Karl von Smetana war Arzt. Wie der Verschreiber bei der Anrede und die Formu lierung „welches Karl zufällig selbst an Sich verursacht hat“ zeigt, war Beethoven emotional mit der Situation neuerlich vollkommen überfordert. Der Neffe fasste im anschließenden Polizeiverhör das Problem eines unausgewogenen Ver hältnisses von Liebesbekundungen und Fürsorge auf der einen Seite sowie Miss trauen und unbarmherziger Strenge auf der anderen Seite in die Worte: „Ich bin schlechter geworden, weil mich mein Onkel besser haben wollte.“ Bereits sieben Wochen später kehrte der panisch reagierende Beethoven zu seiner alten Vorgehensweise zurück, wenn er Ende September an den Magistratsrat Ignaz Czapka schrieb: „eine Ermahnung von ihnen würde gute wirkung hervor bringen, auch dörfte es nicht schaden, ihn Beethovens Brief an Karl von Smetana, vermut merken zu laßen, daß er ungesehen be lich 6. August 1826 wacht werde, während er bey mir ist. –“ Was heute durchaus bedenklich erscheint und es auch damals schon war, bekommt angesichts von Beethovens eigenen Erfah rungen im Metternichschen Überwachungsstaat eine doppelt pikante Note. Der Neffe sollte nie seinen eigenen Weg finden. Nach einer von Stephan von Breu ning auf Bitten des Onkels vermittelten Laufbahn beim Militär privatisierte er ab 1832, heiratete und wurde Vater von fünf Kindern. Dass Beethoven all die Jahre die Bankaktien als eiserne Reserve für seinen Neffen betrachtet hatte, rächte sich bitter. Der Neffe fühlte sich versorgt, mit allen Nachteilen die daraus folgen. Am 26. Mai 1848, also kurz nach der März-Revolution, legte er schließlich selbst sein Testament (gezeigt wird eine Abschrift) nieder, das dann am 20. April 1858 vom Notar Josef Proksch kundgemacht wurde. Karl van Beethoven setzte seine Gattin Karoline als Universalerbin ein. Seinen Kindern sprach er den Pflichtteil zu in der festen Über zeugung, dass seine Frau das Vermögen treu verwalten und ihrerseits bei ihrem Tode an die Kinder weitervererben werde. 18 Andere bedeutende Lebenszeugnisse Beethoven gibt Einblick in seine Lebensphilosophie Es gibt nur wenige Dokumente, in denen Beethoven sich gegenüber Dritten öffnete und sich bezüglich seiner Lebensphilosophie, einige mehr, in denen er sich bezüglich seines Berufsethos’ äußerte. Vitrine 8: An Nikolaus Zmeskall von Donamovetz, Mitarbeiter im Hofkriegsrat und selbst auf gutem Niveau dilettierender Cellist und Komponist, schrieb er nach zwei Jahr zehnten freundschaftlicher Verbundenheit am Ende des Jahres 1816 über das Wesen von Freundschaft und die Überwindung von Trennendem in persönlichen Bezie hungen: schon von Kindheit an habe ich mich alles guten andrer Menschen gern erinnert, u. es immer im sinn behalten, darauf kam auch die Zeit, wo besonders in einem Verweichlichten Jahrhundert dem Jüngling auch selbst etwas untoleranz zu seyn zu verzeihen war, nun aber stehn wir als Nazion wieder kraftvoller da, u. wie auch ohne dieß ich mir später eigen zu suchen gemacht habe, nicht den ganzen Menschen wegen einzelner Schwächen zu verdammen, sondern gerecht zu seyn, das gute vom Menschen im Sinne zu behalten, u. hat sich dieses nun sogar in geäußerten Handlungen gegen mich bezogen, so habe ich mich nicht allein als Freund des ganzen Menschengeschlechts sondern noch auch besonders einzelne darunter immer als meine Freunde angesehn und auch genannt, So in diesem Sinne nenne ich Sie denn auch meinen Freund, wenn auch in manchen Dingen wir beide verschieden handeln und denken, so sind wir doch auch in manchem übereingekommen; – So – nun zähle ich nicht weiter mehr – mögten sie nur recht oft meine Freundschaftliche Anhänglichkeit auf die Probe stellen! wie immer Ihr Freund Beethowen. Es war die Zeit der Auseinandersetzungen um die Vormundschaft, mancher bitterer menschlicher Erfahrung und der Erkenntnis, wie sehr er auf freundschaftlichen Rat und Hilfe angewiesen war. 19 Ein halbes Jahr zuvor, am 13. Mai 1816, fasste er seine Lebensphilosophie gegenüber seiner vertrauten Freundin Marie Gräfin Erdödy in besonders prägnanter Form zu sammen. Hintergrund war die gemeinsame Erfahrung des Todes eines nahen Ange hörigen – bei ihm des Bruders, bei ihr eines Kindes: Mein werthe liebe Freundin! Sie dörften vieleicht u. mit Recht glauben, daß ihr Andenken völlig in mir erloschen sey, unterdessen ist es nur der schein, meines Bruders Tod verursachte mir großen Schmerz alsdenn aber große Anstrengungen um meinen mir lieben Neffen vor seiner verdorbenen Mutter zu retten, dieses Gelang, allein bis hieher konnte ich noch nichts besseres für ihn thun, als in ein Institut zu geben, also entfernt von mir, u. was ist ein Institut gegen die unmittelbare Theilnahme Sorge eines Vaters für sein Kind, denn so betrachte ich mich nun, und sinne hin u. her, wie ich dieses mir theure Kleinod näher haben kann, um geschwinder u. vorteilhafter auf ihn wirken zu können – allein wie schwer ist das? für mich! – Nun ist meine Gesundheit auch Seit 6 Wochen auf schwankenden Füßen, so daß ich öfter an meinen Tod jedoch nicht mit Furcht denke, nur meinem armen Karl stürbe ich zu früh. – wie ich aus ihren lezten Zeilen an mich sehe, leiden sie wohl noch sehr meine liebe Freundin, Es ist nicht anders mit dem Menschen, auch hier soll sich seine Kraft bewähren d.H. auszuhalten ohne zu murren u. seine Nichtigkeit zu fühlen u. wieder seine Vollkommenheit zu erreichen, deren unß der höchste dadurch würdigen will. – Beethoven führte in den Jahren 1812 bis 1818 ein Tagebuch, das über das Erwartbare hinaus zahlreiche sehr persönlich gefärbte Eintragungen enthält. Die Exzerpte aus dem dramatischen Gedicht „Die Söhne des Tals“ aus „Die Templer auf Zypern“ des damals hochgeschätzten Dichters und Theologen Zacharias Werner (1768–1823) wurden für ihn zu Maximen, nach denen er sein eigenes, immer stärker auf sich selbst zurückgewor fenes Leben ausrichten wollte. Sie kreisen um die Grundeinstellungen zu Glück, Moral und Brüderschaft, um die Ambivalenz von Kampf für Recht und Freiheit, Gehorsam, Er gebenheit und Entsagung. Das Blatt (Dauerleihgabe der Julius-Wegelerschen-Familien stiftung) ist eines von lediglich zweien, die vom Tagebuch im Original erhalten sind. der Pflicht – / Mir seinen Himmel ja zurückgelaßen / Und sey’s auch wirklich Weißheit – o so schwebet / Vor meinem innern doch ein ander Ziel. Als im Sommer 1801 Beethovens große Lebenskrise – die bezeichnenderweise k eine Schaffenskrise war, ganz im Gegenteil – ausbrach, offenbarte er sich zwei engen, örtlich aber weit entfernten Freunden: Franz Gerhard Wegeler, einem Arzt, und Carl Ferdinand Amenda, einem Pastor. Er bat um strikte Diskretion. Nachdem Beethoven in seinen sehr ausführlichen und offenen Schreiben an Wegeler vom 29. Juni 1801 und zwei Tage später an Amenda seine seelische Not und erstmals auch sein Gehörleiden offenbart hatte, zeigte er sich im nächsten Brief an Wegeler vom 16. November 1801 (Dauerleihgabe der Julius-Wegelerschen-Familien-Stiftung) von einer ganz anderen Seite, der es allerdings an Stetigkeit mangelte: ich will dem schicksaal in den rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich gewiß nicht – o es ist so schön das Leben tausendmal leben – für ein stilles – Leben, nein ich fühl’s, ich bin nicht mehr dafür gemacht. Grund für die Zurückdrängung der Depression und das Wiederaufflammen der Lebensfreude war „ein liebes zauberisches“ Mädchen, wohl Julie Guicciardi (siehe ihre Büste in Raum 8), „die mich liebt, und die ich liebe“. Da die Verbindung schon aus Standesgründen nicht zustande kommen konnte, war die Euphorie lediglich eine kurze Episode. Elf Monate später verfasste er dann sein „Heiligenstädter Testament“. Künstlerethos In schwierigen Lebenslagen vergewisserte sich Beethoven immer wieder seiner Ver pflichtung als Künstler. Er hob so ganz bewusst seine individuellen Probleme auf eine höhere Ebene und sorgte auf diese Weise für ein seelisches Korsett. Als er etwa 1809 massiv unter der französischen Invasion Wiens litt, schrieb er an seinen Verleger Breitkopf & Härtel in Leipzig: Nicht Fragen, Thaten sollst du spenden; / Dich selber opfern, ohne Ruhm und Lohn! / Erst übe Wunder, willst du sie enthüllen; / Nur so kannst du dein Daseyn erfüllen – / Er hat mich ja entsagen und entbehren / Gelehrt, im h eiligen Gefühl Ich schreibe ihnen endlich einmal – nach der wilden Zerstörung einige Ruhe, nach allem unerdenklichen ausgestandenen Ungemach – Arbeitete ich e[i]nige wochen hintereinander, daß es schien mehr für den Tod als für die Unsterb- 20 21 lichkeit – […] noch eins: Es gibt keine Abhandlung die sobald zu gelehrt für mich wäre, ohne auch im mindesten Anspruch auf eigentliche Gelehrsamkeit zu machen, habe ich mich doch bestrebt von Kindheit an, den Sinn der bessern und weisen jedes Zeitalters zu fassen, schande für einen Künstler, der es nicht für schuldigkeit hält, es hierin wenigstens so weit zu bringen – was sagen sie zu diesem Todten Frieden? – ich erwarte nichts stetes mehr in d iesem Zeitalter, nur in dem Blinden Zufall hat man Gewißheit. Beethovens Brief vom 9. September 1824 (Sammlung H.C. Bodmer) an den Zürcher Komponistenkollegen und Verleger Hans Georg Nägeli, einem Mann von weitem geistigem Horizont, ist aus zwei Gründen sprechend. Zum einen: Ganz selbstver ständlich und selbstbewusst schrieb er: „in der überschrift an mich schreiben sie nur ‚in Vien‘ wie gewöhnlich“, d. h. die Adressangabe „Beethoven in Wien“ reiche voll kommen aus. Zum anderen: denken sie übrigens ja kein Intereße von mir irgendwo, was ich suchte, frey bin ich von aller kleinlich.[en] Eitelkeit, nur Sie die Göttliche Kunst nur in ihr sind die Hebel, die mir Kraft geben, den Himmlischen Musen den besten Theil meines Lebens zu opfern, von Kindheit war mein größtes glück u. vergnügen für andere wirken zu können, sie können daher denken, wie groß mein v ergnügen ist, ihnen in etwas behülflich zu seyn, u. ihnen anzuzeigen, wie ich ihre Verdienste schäze ich umarme Sie als einen weisen des Apolls von Herzen der Ihrige Beethoven. Themen wie Nächstenliebe, Strebsamkeit und gewissenhaft gelebte Verantwortung hinsichtlich seiner Talente, die seinen Kampf mit seinem Schicksal bestimmten, begleiteten den Komponisten ein Leben lang, wie u. a. das erste und letzte Exponat der Ausstellung beweisen. 22