Beethovens Testamente und andere bedeutende Lebenszeugnisse

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Beethovens Testamente und andere bedeutende Lebenszeugnisse
Beethovens Testamente
und andere bedeutende Lebenszeugnisse
Begleitpublikation zur Sonderausstellung
im Beethoven-Haus Bonn
17. Dezember 2014 – 10. Mai 2015
Michael Ladenburger · Nicole Kämpken · Dietrich Kleppi
ISBN: 978-3-88188-139-5
9-7838 1-8 1395
Verl ag Beethoven-Haus Bonn
Die Testamente
Gefördert durch:
Beethovens komplexe Persönlichkeit, aber auch der hohe Grad seiner Selbstreflexion
treten nicht zuletzt in vier vom ihm verfassten Testamenten zutage. Das erste, eigent­
lich eine Art Abschiedsbrief, schrieb er in höchst bedrängten Zeiten in der Mitte
seines Lebens, die anderen in seinen letzten vier Lebensjahren.
aufgrund eines Beschlusses
des Deutschen Bundestages
Vitrine 1:
Das sogenannte Heiligenstädter Testament, ein an seine beiden Brüder Kaspar Karl
und Nikolaus Johann gerichteter, aber nicht abgeschickter Brief, ist eines der unge­
wöhnlichsten Künstlerdokumente aller Zeiten. (Ausgestellt ist ein vom BeethovenHaus veröffentlichtes Faksimile, das im Museumsshop erworben werden kann. Ori­
ginal: Hamburg, Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky)
Gefördert vom:
Gefördert von der Stadt Bonn:
Impressum
Begleitpublikationen zu Ausstellungen des Beethoven-Hauses, Bd. 22
Herausgegeben von Michael Ladenburger und Nicole Kämpken
Titelbild:
Beethovens Testament vom 6. März 1823 (Ausschnitt)
Gestaltung und EBV: Conny Koeppl, vice versa. büro für gestaltung, Köln
Druck: flyeralarm GmbH, Würzburg
ISBN: 978-3-88188-139-5
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Dieses erste und bekannteste „Testament“ verfasste der Komponist im Oktober 1802.
Es ist Ausdruck jener schwerwiegenden Lebenskrise, die Beethoven aufgrund der
Erkenntnis seiner wohl unaufhaltsam zunehmenden Schwerhörigkeit ergriff. Auch
seine Unterleibsprobleme erschienen ihm wohl zeitweilig als lebensbedrohlich. Über
sich selbst reflektierend griff er zur Feder: er blickt auf Depressionen und Selbst­
mordgedanken zurück, letztlich erscheint ihm die Überwindung seiner Krise aber
als Triumph. Es entstand ein Schriftstück, das wie kein anderes während der Nieder­
schrift seinen Charakter wechselt. Begonnen als Mitteilung an seine beiden Brüder
– von denen er den Vornamen des jüngsten Bruders zweimal bewusst auslässt – wird
es überhöht („O ihr Menschen“) und wendet sich mehr und mehr an die Nachwelt,
bzw. spricht Gott, den Tod, wie auch die Hoffnung und die Vorsehung an. Es scheint,
als sei nur eine solche Überhöhung dem Komponisten angemessen erschienen, die
vorausgegangene Not und die erfolgreiche Suche nach einer neuen Lebensperspek­
tive zu dokumentieren. Abschließend bittet er seine Brüder, dieses Dokument in
Verbin­dung mit seiner Krankengeschichte der Nachwelt bekannt zu machen. Tat­
sächlich wurde das Schriftstück, kein Testament im rechtsgeschäftlichen Sinne, in
seinem Nach­lass aufgefunden und als solches gerichtlich auch nicht eröffnet. Es war
jedoch – wenn auch nur im Nachhinein – Freibrief dafür, dass Beethovens Leichnam
24 Stunden nach seinem Tod obduziert worden war. (Beethoven hatte seine Brüder ja
explizit zu einer Leichenöffnung zum Zweck der medizinischen Untersuchung s­ eines
Gehörleidens aufgefordert.) Die Niederschrift diente Beethoven vor allem dazu, ­damit
den ganzen, sich über mehrere Jahre hinziehenden Prozess abschließend zu klären
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und zu bilanzieren – möglicherweise eine direkte Parallele zum 10 Jahre später verfass­
ten Brief an die „Unsterbliche Geliebte“, der ja ebenfalls wohl nicht abgeschickt wurde.
Beethoven, der seinem Bonner Jugendfreund, dem Arzt Franz Gerhard Wegeler, am
29. Juni 1801 erstmals vertraulich über seine innere Not berichtet hatte und ihm ein
halbes Jahr später mitteilte, sein Zustand habe sich gebessert, sah sich in einem Erklä­
rungsnotstand: Einerseits dachte er durchaus auch an seinen (nach eigener Einschät­
zung ansonsten möglicherweise zu negativ ausfallenden) Nachruf, andererseits wollte
er seinen Brüdern grundlegende Botschaften zukommen lassen. Auch dürfte ihm ein
gewisses Misstrauen in seine psychische Stabilität verblieben sein. Das Schriftstück
dient nur in sehr eingeschränktem Umfang der Verfügung über sein materielles Ver­
mögen. Als einziger Vermögenswert werden die Streichquartettinstrumente genannt,
die der Komponist ca. zwei Jahre zuvor von seinem Mäzen Fürst Karl Lichnowsky
geschenkt bekommen hatte. Hier kam es ihm mehr auf die Verpflichtung an, die er
gegenüber seinem Gönner empfand, als etwa auf die Versorgung seiner Brüder.
für meine Brüder Carl und
Beethowen
O ihr Menschen die ihr mich für Feindseelig stör[r]isch oder Misantropisch
haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime ursache
von dem, was euch so scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit
an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket daß seit 6 Jahren ein heilloser
Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu
Jahr in der Hofnung gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem überblick
eines daurenden Übels (dessen Heilung vielleicht Jahr dauren oder gar unmöglich ist) gezwungen […] muste ich früh mich absondern, einsam mein Leben
zubringen […] obschon vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich
mich dazu verleiten ließ, aber welche Demüthigung wenn jemand neben mir
stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den
Hirten Singen hörte, und ich auch nichts hörte, solche Ereignisse brachten mich
nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur
sie die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher
zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte,
und so fristete ich dieses elende Leben […] schon in meinem 28[.] Jahre gezwungen Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwere[r] als
für irgend jemand – Gottheit du siehst herab auf mein inneres, du kennst es, du
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weist, daß menschenliebe und Neigung zum Wohltun drin Hausen [...] und der
unglückliche, er tröste sich, einen seines gleichen zu finden, der troz allen Hindernissen der Natur, doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um
in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden […]
mit freuden eil ich dem Tode entgegen – kömmt er früher als ich Gelegenheit
gehabt habe, noch alle meine Kunst-Fähigkeiten zu entfalten, so wird er mir
troz meinem Harten Schicksaal doch noch zu frühe kommen, und ich würde
ihn wohl später wünschen – doch auch dann bin ich zufrieden, befreyt er mich
nicht von einem endlosen Leidenden Zustande? – Komm, wann du willst,
ich gehe dir muthig entgegen [...] o Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag
der Freude mir erscheinen […]
Neben dem ersten „Testament“ ist das erste gemalte Beethoven-Portrait (Christian
Horneman) zu sehen, das im selben Jahr entstand, für Beethoven übrigens ein Jahr
höchster Produktivität. Ein Jahr zuvor erschien das erste gedruckte Portrait des Wiener
Kupferstechers Johann Joseph Neidl (an der Wand). Seine Zeitgenossen beschrieben
den damals dreißigjährigen Beethoven als klein und unscheinbar, mit einem häss­lichen
Gesicht voller Pockennarben (die Narben sind auf der Büste von Franz Klein in Raum 8
im 2. Stock gut zu erkennen). Beethovens damaliger Schüler Carl Czerny fühlte sich
beim Anblick seines Lehrers sogar an Robinson Crusoe erinnert, denn „das pech­
schwarze Haar sträubte sich zottig um seinen Kopf “. Daneben hängt das im selben
Jahr entstandene Portrait seines im „Testament“ erwähnten Arztes Johann Adam
Schmidt.
Vitrine 2:
Das Testament von 1823 (Dauerleihgabe aus Privatbesitz)
Möglicherweise im Zusammenhang mit finanziellen Sorgen, die Beethoven 1821
dazu zwangen, eine der ihm eigentlich als eiserne Reserve für seinen Neffen Karl
geltenden acht Bankaktien zu verkaufen und am 10. Februar 1823 eine weitere Ak­
tie zu beleihen, hatte er wenige Wochen später das Bedürfnis, neuerlich seine Erben
zu bestimmen und seinen letzten Willen nun auch juristisch abzusichern. Anstatt
vor einem Gericht zu testieren, entschied er sich für ein privatschriftliches, d. h. ein
eigen­händiges Testament, eine Testamentsform, die im österreichischen Recht schon
damals anerkannt war, vgl. § 587 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches für
die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie (ABGB) von
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Ferdinand Georg ­Waldmüller,
Ludwig van Beethoven, 1823
(Kopie von Louis G
­ rünler)
1811. Er kontaktierte den Hof- und Gerichtsadvokaten Johann Baptist Bach, der seit
1819 sein Anwalt war und ihm bei den gerichtlichen Auseinandersetzungen um die
Vormundschaft über seinen Neffen, den er nun auch zum Erben bestimmen wollte,
gute Dienste geleistet hatte. Seinen letzten Willen bringt er unmissverständlich zum
Ausdruck, indem er seinen Neffen Karl van Beethoven zum Universalerben, d. h. zu
seinem einzigen Erben und Rechtsnachfolger bestimmt. Vermächtnisse (­Legate) wur­
den nicht ausgesprochen, so dass Karl wegen einzelner Sachen oder Rechte keiner­lei
Ansprüchen ausgesetzt war. Trotzdem erhält bereits dieses Testament eine wesent­
liche Einschränkung zu Lasten des Erben: dieser wird unter Kuratel des Advo­katen
Bach gestellt, ohne dass Beethoven allerdings eine Aussage darüber trifft, wie lange
dies gelten solle. Bei der gleichzeitig angeordneten Vormundschaft (durch eine wei­
tere Person) musste hierzu hingegen nichts gesagt werden, weil die Vormundschaft
von a­ lleine mit Erlangung der Großjährigkeit (Volljährigkeit) endete. Diese trat in
den Erb­landen grundsätzlich mit dem zurückgelegten 24. Lebensjahr ein (§§ 21, 172
ABGB) – im Fall des Neffen im Jahr 1830.
Vien am 6ten März 1823
werther Verehrter Freund!
Der Tod könnte kommen, ohne anzufragen, in dem Augenblicke ist keine Zeit
ein gerichtl. Testament zu machen, ich zeige Ihnen daher durch dieses eigen­
händig an, daß ich meinen geliebten Neffen Karl van Beethoven zu meinem
Universal=Erben erkläre, u. daß ihm alles ohne ausnahme was nur den
Nahmen hat irgend eines Besizes von mir nach meinem Tode Eigenthümlich
zugehören soll. – Zu seinem Curator ernenne ich sie, u. Sollte kein anderes Testament folgen als dieses, so sind sie zugleich befugt u. gebeten, meinem geliebten
Neffen K. v. Beethoven einen Vormund auszusuchen mit Ausschluß meines
Bruders Johann van Beethoven u. ihn nach den Hergebrachte[n] Gesezen demselben zuzugeben. dies schreiben erkläre ich so gültig für allzeit, als wäre es mein
lezter wille vor meinem Tode – ich umarme Sie von Herzen
Dieses Testament verfasste Beethoven wenige Wochen, nachdem er seine ihm beson­
ders am Herzen liegende Missa solemnis abgeschlossen hatte, deren Komposition
ihm auch Anlass zur neuerlichen Selbstreflexion war. Das Testament war erst einmal,
im Jahr 1927, öffentlich zu sehen. Es war damals im Besitz eines Wiener Rechts­
anwalts. Danach war es lange in unzugänglichem Privatbesitz.
ihr wahrer Verehrer u. Freund
ludwig van Beethoven
Nb. an Capitalien finden sich 7 Bankactien, was übrigens sich an Baarrschaft
noch findet, wird alles ebenfalls wie die B.A. das Seine
An der Wand zwischen den Fenstern ist Ferdinand Georg Waldmüllers BeethovenPortrait (Kopie von Louis Grünler, 2. Viertel 19. Jahrhundert) zu sehen. Das chrono­
logisch letzte authentische Portrait des Komponisten (sieht man von den Darstellungen
auf dem Sterbe- bzw. Totenbett ab) entstand 1823, also im Jahr der Abfassung des
ersten regulären Testaments.
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Die nahezu zeitgleiche authentische Kreidezeichnung von August von Kloeber (1822)
nach einer sehr lebensnahen Bleistiftskizze aus dem Jahre 1818 (siehe Raum 9 im
2. Stock) wurde durch Lithographien, die unter der Aufsicht des Malers angefertigt
wurden, zu einem besonders weit verbreiteten Bildnis des Komponisten mit wieder
eigener reicher Rezeptionsgeschichte.
Vitrine 3:
Knapp anderthalb Jahre nach dem zweiten Testament, am 1. August 1824, wandte
sich der Komponist wieder an seinen Rechtsberater Bach (Faksimile, Original derzeit
verschollen):
an mein Testament Karl betreffend muß ich sie erinnern, ich glaube wohl einmal vom Schlage getroffen zu werden, wie mein biederer Großvater mit dem ich
Ähnlichkeit habe, Karl ist u. bleibt einmal Universal-Erbe von allem was mein
ist, u. nach meinem Tode vorhanden gefunden wird, da man aber verwandten,
wenn sie einem auch gar nicht verwandt sind, auch etwas vermachen muß so
erhält mein Hr. Bruderé mein Französisches Klawie[r] von Paris. Sonnabends
könnte Karl dies Testam. mitbringen, wenn es eben nicht ihnen im Mindesten
beschwerlich fällt –.
Hier ist als Erbstück erstmals jener Hammerflügel angesprochen, den Beethoven
1803 von den Pariser Klavierbauern Érard Frères erworben hatte. Tatsächlich über­
ließ er ihn bald nach Abfassung des Schreibens seinem einzigen noch lebenden Bru­
der Johann. Er hatte das Instrument schon länger nicht mehr in Verwendung.
Als Beethoven realisierte, dass die Bauchwassersucht (Aszites) und seine sich zuneh­
mend verschlechternde Gesamtverfassung ihn unaufhaltsam dem Tod näherbrachte,
entschloss er sich in den ersten Tagen des Jahres 1827, ein weiteres, von den voran­
gegangenen Anläufen allerdings inhaltlich nicht abweichendes Testament (­Faksimile,
Original: Stadt- und Landesarchiv Wien) niederzulegen, das nun aber juristisch
­Bestand haben sollte. Er ging dabei davon aus, dass sein lebenslanger Freund S­ tephan
von Breuning (1774–1827) dem Neffen weiterhin als Vormund zur Seite stehen
­werde. Breuning war bereits im September 1826 an Beethovens Stelle getreten. Dieses
Testament wurde am 27. März, einen Tag nach dem Tod des Komponisten, eröffnet.
Vien Mittwochs 3ten Jenner 1827
An Hr. Dr. Bach
Verehrter Freund!
Ich erkläre vor meinem Tode Karl van Beethoven meinen geliebten Neffen
als meinen einzigen Universalerben von allem meinem Hab u. Gut worunter
Hauptsächlich 7 Bankactien und was sich an baarem vorfinden wird – S­ ollten
die Geseze hier Modifikationen vorschreiben, so suchen sie selbe so sehr als mög-
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lich zu seinem vortheile zu verwenden – Sie ernenne ich zu seinem K
­ urator, u.
bitte sie mit Hofrath Breuning seinem Vormund vaterstelle bey ihm zu vertreten
– Gott erhalte Sie – Tausend Dank für ihre mir bewiesene Liebe u. Freundschaft. –
Ludwig van Beethoven. m[anu].p[ropria].
Die eigentlich überflüssige Nennung der Bankaktien entsprang sicherlich Beet­hovens
ausgeprägtem Misstrauen. Mit „Modifikationen“ könnte der juristisch wenig ­kundige
Komponist Bestimmungen des Noterbrechts, etwa Pflichtteilsberechtigte gemeint
haben. Das Pflichtteilsrecht galt auch in Österreich. Sein noch lebender Bruder war
allerdings nicht pflichtteilsberechtigt, lediglich seine (nicht vorhandenen) ­Kinder
und seine längst verstorbenen Eltern wären dies gewesen (§ 762 ABGB). Das in den
Testamenten dem Advokaten Bach zuerkannte Amt des Kurators entspricht nicht
dem eines Testamentsvollstreckers, der in § 816 ABGB als „Vollzieher“ oder „Exe­
cutor“ des letzten Willens bezeichnet wird. Der Kurator (Sachwalter, Pfleger) hat wie
der Vormund die Stellung eines gesetzlichen Vertreters des Erben. Deshalb bittet
Beethoven in seinem Testament vom 3. Januar 1827 Bach als Kurator auch, in Bezug
auf Karl die „Vaterstelle bey ihm zu vertreten“. Es gab damals nur die väterliche, nicht
die mütterliche Gewalt (Personen- und Vermögenssorge). Deshalb hieß es in § 187
ABGB auch, dass Personen, denen die Sorge eines Vaters nicht zustatten kommt und
die noch minderjährig oder aus einem anderen Grunde ihre Angelegenheit selbst zu
besorgen unfähig sind, durch einen Vormund oder durch einen Kurator besonderer
Schutz gewährt wird.
Vitrine 4:
Breuning hatte Beethoven kurz nach Abfassung des Testaments brieflich geraten:
„Daß du Carln für den hoffentlich noch weit entfernten Fall, wo wir alle das Zeitliche
verlaßen müßen, zum Erben ernennest, ist dem, was du schon für ihn gethan hast,
u. deiner Gesinnung angemeßen. Allein da Carl sehr leichtsinnig bis jezt sich gezeigt
hat, u. man nicht weiß, wie sich sein Charakter in seinem jetzigen Leben gestalten
wird; so wäre ich der Meynung, daß du zu seinem eigenen Beßten es zur Sicherheit
seiner Zukunft, ihm die Befugniß, über das Kapital zu disponiren, entweder auf seine
ganze Lebenszeit, oder wenigstens noch mehrere Jahre nach erlangter Grosjährigkeit
von 24 Jahren beschränktest. Mit dem jährlichen Einkommen würde er vor der Hand
jedenfalls genug haben, u. die Beschränkung würde ihn gegen die Folgen leichtsin­
niger Handlungen, ehe er zum soliden Manne reift, schützen. […] denn ich fürchte,
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Beethovens letztes Testament
vom 23. März 1827
daß eine bloß zeitliche Beschränkung kein Mittel ist, Carl vom Schuldenmachen ab­
zuhalten, die er nachher mit dem ganzen Erbe bezahlen muß.“
Am 1. Februar wurde in einem Dreiergespräch mit Johann Baptist Bach und Breuning
über diesen Vorschlag beraten. Aber erst drei Tage vor seinem Tod formulierte Beet­
hoven seinen letzten Willen neu – bereits stark geschwächt, aber wohl noch in testier­
fähigem Zustand (§ 565 ABGB verlangt „volle Besonnenheit“) und von Breuning gelei­
tet – mit letzter Kraft und in mehreren zunächst vergeblichen Anläufen (mit noch mehr
Schreibfehlern). Dieses Schriftstück wird oft zu Unrecht als Nachtrag verstanden und
als Kodizill bezeichnet. Es handelt sich aber um ein vollgültiges Testament, da neuer­
lich ein Erbe eingesetzt wird und nicht lediglich andere Verfügungen getroffen werden
(§ 553 des ABGB) (Faksimile, Original: Stadt- und Landesarchiv Wien).
Inhaltlich bringt dieser letzte Wille, dem ein Entwurf Breunings zugrunde lag, inso­
fern eine wesent­liche Einschränkung, als Karl in Bezug auf den Nachlass, der vor­
wiegend durch das Kapital (Aktien) bestimmt wurde, nur noch die Stellung eines
Vorerben zukam und seine dereinstigen Erben zu Nacherben bestimmt wurden.
In der Terminologie des ABGB von 1811 nannte man dies eine „fidei-kommissari­
sche Substitution“ (§ 606 ABGB) mit der Folge, dass dem eingesetzten (Vor-)Erben
das eingeschränkte Eigentumsrecht mit den Rechten und Verbindlichkeiten eines
Fruchtnießers (Nießbrauch, ususfructus) zukommt (§ 613 ABGB). Karl erhielt also
lebenslänglich die Dividenden ausgeschüttet, die Aktien selbst musste er jedoch für
seine Erben aufbewahren. Erben wurden schließlich Karls Witwe und seine fünf Kin­
der. Wie von Breuning empfohlen verzichtete Beethoven bewusst auf eine zeitliche
Befristung. In wirtschaftlicher Hinsicht bedeutete dies ungeachtet der Bestätigung
der Universalerbenschaft also eine Teil­enterbung für den Neffen. Einen Tag später
verlor der Todkranke das Bewusstsein.
Mein Neffffe Karle Soll alleini[ger] Erbe seyn, das Kapital meines Nachlalaßes
soll jedoch Seinen natü[r]lichen oder testamentarischschen Erben zufallen.
Vien am 23= März 1827
luwig van Beethoven
Dieses Testament wurde zwei Tage später als das vorherige, am 29. März, dem Tag des
Begräbnisses, eröffnet.
10
12 Stunden nach B
­ eethovens
Ab­
leben, am Morgen des
27. März, hatte Joseph Dan­
hauser eine ausdrucksstarke
Ölskizze ange­fer­tigt. Der Leich­
nam war in der Sterbewohnung
aufgebahrt wor­den.
Auf einem Ölgemälde von
Danhauser aus dem Jahre 1839
basiert der handkolo­
rierte
Stahlstich von Franz Xaver
­Stöber „Die Testamentseröffnung“ (Wien 1843, Leihgabe
Notar a.D. Dietrich Kleppi)
rechts an der Wand. Sie zeigt
auf humorvolle Weise unter­
schiedliche Reaktionen von hoffnungsvollen Erbanwärtern in dem Moment, als der
Notar ein Testament verliest. Von Stöber stammt auch die einzige Darstellung von
Beethovens Leichenbegängnis (siehe Raum 9 im 2. Stock).
Vitrine 5:
Wie im Testament vom 3. Januar vorgesehen, stellte der Magistrat der Stadt Wien
am Begräbnistag die Ernennungsurkunde für Johann Baptist Bach zum Kurator von
Beethovens minderjährigem Neffen Karl aus. Bach gab am 13. April eine Erklä­rung
ab, worin er sich „im Namen meines Curanden cum beneficio inventarii“ zum ­Erben
erklärt. Die Annahme der Erbschaft erklärte der professionelle Kurator bewusst nur
bedingt, indem er ausdrücklich die „rechtliche Wohltat des Inventars“ in Anspruch
nahm und dadurch eine Beschränkung der Haftung des Erben auf den Nachlass
­erreichte (§§ 800ff. ABGB). Dies war eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn Beet­
hovens Nachlass war per saldo weit davon entfernt, überschuldet zu sein. Der Nachlass
­reichte, um ihn mit der in Österreich damals (schon seit Kaiserin Maria Theresia)
­üblichen zehnprozentigen Erbschaftssteuer, d. h. mit mehr als 800 Gulden, zu belegen. 11
Der Vater des Neffen, Beethovens Bruder Kaspar Karl, war am 15. November 1815
verstorben. Er hatte (nur einen Tag vor seinem Tod) einen Nachtrag zu seinem
­Testament gemacht, der dem Komponisten in der Folge größten Verdruss einbrachte.
Nachtrag zu meinem Testamente
Da ich bemerkt habe, daß mein Bruder Herr Ludwig von [!] Beethoven meinen
Sohn Karl nach meinem allfälligen Hinscheiden ganz zu sich nehmen, und
denselben der Aufsicht und Erziehung seiner Mutter gänzlich entziehen will.
Da ferner zwischen meinen Bruder und meiner Gattin nicht die beste Einigkeit
besteht, so habe ich für nöthig gefunden nachträglich zu meinen Testamente zu
verfügen, daß ich durchaus nicht will, daß mein Sohn Karl von seiner Mutter
entfernt werde, sondern daß derselbe immerhin und in solange es seine künftige
Bestimmung zuläßt, bei seiner Mutter zu verbleiben habe; dahero denn dieselbe
so gut, wie mein Bruder die Vormundschaft über meinen Sohn Karl zu führen
hat. Nur durch Einigkeit kann der Zweck den ich bey Aufstellung meines Bruders zum Vormund über meinen Sohn gehabt habe erreicht werden, dahero
empfehle ich zum Wohl meines Kindes, meiner Gattin Nachgiebigkeit, meinem
Bruder aber mehr Mäßigung. Gott lasse sie beide zum Wohl meines Kindes einig
seyn. Das ist die letzte Bitte des sterbenden Gatten und Bruders.
Wien den 14 9br 815
Karl van Beethoven mp
Beethoven selbst legte ein Nachlassverzeichnis seines Bruders Kaspar Karl an (ausge­
stellt ist ein autographes Fragment von 1816/1817 aus der Sammlung H.C. Bodmer im
Beethoven-Haus). Am 10. Mai 1817 verglich er sich schließlich mit seiner Schwägerin
Johanna bezüglich der Verlassenschaft seines Bruders. Nachlassverzeichnisse waren
damals in den unteren und mittleren Gesellschaftsschichten recht übersichtlich. Bei
Beethovens Bruder überwog der Hausbesitz das übrige Vermögen bei weitem. Seine
Bücher wurden auf 70 Gulden C.M. geschätzt. An Preziosen und Bargeld fanden sich
u. a. vor: „Ein Schönes Englichses [!] Künstliches Messer“, „eine schöne vergoldete
Kappe“, „Eine Silberne SackUhr, eine schöne große alabasterne u. eine kleine“, „Ein
Silbernes besteck“, „70 fl: Baares Geld u. 5 bis 6# [Dukaten] wenigstens in Gold wenn
nicht mehr“ sowie „eine Pistole u. einen Säbel“.
liothek, zu 6% aus Hausrat und zu 8% aus Barvermögen. Sein Hausrat wurde zeitüblich
sechs Wochen nach seinem Tod, die Musikalien noch ein halbes Jahres später versteigert.
Der Konflikt um und mit dem Neffen Karl
Kaspar Karl hatte im Jahr 1806, 3½ Monate vor der Geburt des gemeinsamen ­Kindes,
Johanna Reiss geheiratet. Beethoven verachtete seine Schwägerin. Sie erschien ihm cha­
rakterlich nicht geeignet, ihr Kind aufzuziehen. 1811 war sie wegen Unterschlagung sogar
zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ihm wird es auch nicht gefallen haben, dass er
nach der Eheschließung nicht mehr auf seinen Bruder als sehr erfolgreichen und zudem
kostenlosen Sekretär zurückgreifen konnte. Hatte Kaspar Karl in seinem Testament vom
12. April 1813 seinen Bruder auf dessen ausdrück­lichen Wunsch hin noch als alleinigen
Vor­mund vorgesehen, so machte er wohl auf Druck seiner Frau kurz vor seinem Tod
einen Rückzieher und fügte seinem Testament den Nachtrag hinzu, das Kind solle nicht
von seiner Mutter entfernt und ihr gemeinsam mit ihrem Schwager die Vormundschaft
übertragen werden. Zu rigoros, ja unerbittlich waren diesbezüglich Beethovens Wünsche
gewesen. Für den Komponisten begann damit ein unsäglicher nervenaufreibender Kampf
gegen seine Schwägerin, bei dem alle Beteiligten verloren. Zwar erhielt Beethoven im April
1820 vom Appellationsgericht nach zähen Bemühungen endgültig die Vormundschaft
zugesprochen, wegen seiner Taubheit aber auch einen Mitvormund zur Seite gestellt. Er
fand nie zu einem souveränen Umgang mit dieser Situation, die ihn den Rest seines Le­
bens massiv belastete. Auch für die Mutter, die sich Treffen mit ihrem Sohn vorher ge­
nehmigen lassen musste, war die Lage unerträglich. Am meisten litt allerdings das Kind.
Ein Jahrzehnt später bestand der Nachlass des Komponisten hingegen wertmäßig zu
ca. 75% aus Bankaktien, zu 10% aus seinem Musikalienbestand, zu 0,5% aus seiner Bib­
Beethoven hatte bereits zwei Wochen nach dem Tod seines Bruders gegenüber dem
niederösterreichischen Landrecht förmlich bekräftigt, dem in dessen Testament nie­
dergelegten Wunsch nachzukommen, die Vormundschaft über den neunjährigen
Karl anzunehmen: „Ich erkläre hiemit auch diese Vormundschaft ohne weiterem zu
übernehmen, da ich meinen Bruder innig liebte, mir seine letzte Anordnung heilig
ist, und er mir mehrmalen mündlich das Wohl seines Sohnes empfahl, ich mich also
in mehrfältiger Hinsicht verpflichtet finde, diese Vormundschaft auf das gewissen­
hafteste zu besorgen.“ Zwei Monate später wurde er als Vormund bestätigt. Schon
1804 hatte er an Josephine Deym geschrieben, der Vorwurf, sein Bruder ginge nicht
aufrichtig mit ihm um, sei nicht wahr, Kaspar Karl habe vielmehr „mit wahrer Recht­
schaffenheit jederzeit für mich gesorgt“.
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In seiner Eingabe an das niederösterreichische Landrecht (hier das Fragment eines
Konzeptes) gab Beethoven im Dezember 1815 hinsichtlich seiner von ihm als faul
und charakterlos verteufelten Schwägerin zu bedenken:
bey seiner [des Bruders Kaspar Karl] jezigen Krankheit suchte sie mir auf alle
weise seinen schlechten Zustand zu verhelen, ich wußte nichts, daß ein Testament gemacht wurde, jedoch kam ich dazu, wenn wirklich das original so ist,
wie ich es gesehen, so müßen sich stellen ausgestrichen finden, hiezu veranlaßte
ich meinem Bruder, indem ich durchaus an ein solches schlechtes Weib bey einer so
wichtigen Sache wie die Erziehung des Kindes nicht gebunden seyn wollte, eben so
wenig als im Verein des dr. S. da ich wußte, daß sie beständig zu ihm gieng, und
er mir zu warm Parthey für Sie zu nehmen schien. – alles, was die Vormundschaft
betraf, wurde in das Testament gesezt, wie ich es Meinen.
Die Angelegenheit war ein ständiges Ärgernis für Beethoven. Im September 1819
wurde – angesichts seiner Schwerhörigkeit, die ihn laut Gesetz an der Ausübung der
Vormundschaft hinderte – seine Schwägerin vom Magistrat der Stadt Wien als Vor­
mund, außerdem ein Magistratsbeamter als Mitvormund eingesetzt – für Beethoven
inakzeptabel! Deshalb schrieb er am 27. Oktober an J. B. Bach:
Sie werden schon die Schrift der F.[rau] J.[ohanna] Beethow. erhalten h
­ aben, die
Person ist zu sehr unter aller moralischen Würde als daß ich die Anfechtungen
gegen mich widerlegen sollte, Sr. kais. Hoheit Eminenz u. Cardinal [sein Schüler
Erzherzog Rudolph], die mich als Freund u. nicht als Diener behandeln, würden
ungesaümt ein Zeugniß ausstellen sowohl über meine Moralität als über das
Gewäsche von ollmütz, wo kein wort von wahr ist, so viel man weiß u. S. H.
selbst, werden sellbe alle Jahre höchstens 6 wochen dort zu bringen, jedoch Es
wäre zu viel Ehre einer solchen beynahe Gesezlosen Person, welche nach dem
§ 191, da Sie beym criminal war, gar keiner vormund.[schaft] fähig ist; noch
B­eweise von der Nichtigkeit ihrer Verleumdungen beyzubringen. – […] damit
aber die Menschlichkeit hiebey nicht aus den Augen gesezt werde, so kann selbe
ihren Sohn zuweilen bey mir in Gegenwart des Erziehers u. anderer ausgezeichneten Menschen [sehen] –.
meine bekannte Humanität u. Bildung wie meine mir gewöhnliche Menschlichkeit verbürgt, daß mein Betragen gegen Sie [Johanna] nicht minder edel als
gegen ihren sohn seyn werde, übrigens glaube ich solle man alles in Kürze u.
wo möglich das appellationsGericht zur VormundschaftsBehörde zu er­halten
suchen, da ich meinen Neffen Unter eine höhere Kategorie gebracht, so gehört
weder er noch ich nicht an den M.[agistrat] indem unter eine solche vorm. nur
wirthe schuster u. Schneider gehören. – […] Urtheilen sie nun ob ich nicht allein verdiene Vormund zu seyn, sondern in vollem Sinne des wortes mir der vaternahmen zukomme, um so mehr, da ich seinem unglücklichen vater durch Seine
abscheuliche Ehegattin mehrere Jahre durch meine reich­liche Unterstüzungen
das Leben rettete u. Verlängerte. –
Die von Beethoven empfundene enorme Dringlichkeit kommt auch dadurch zum
Ausdruck, dass der Komponist einem Brief, der ohnehin schon ein Postskriptum auf­
wies, noch am selben Tag einen weiteren Nachtrag hinzufügte, in dem er der Schwä­
gerin Sabotage vorhält und seinem Rechtsbeistand vorrechnet, wie hoch sein finan­
zieller Einsatz zugunsten des Neffen ausfalle:
ich glaube daher, daß es nöthig unß vorzusehen, u. daß sie alle Gerichtliche
Mittel, welche unß diese mir von rechtswegen zugehörige hälfte der Pension
zusichern, sogleich ohne verzug anwenden, ich glaube sogleich Beschlag auf
ihre Pension welche sie jezt u. für die Zukunft zu erhalten hat, zu legen, sey das
sicherste, – allein eilig u. schleunig, denn wir haben, wie sie sehn mit schlechten
Menschen zuthun
verzeihen sie u. handeln sie kraftvoll u. schnell, was möglich ist, mit solchen
Menschen kann ein Ehrenman nicht anders als durch Gewalt handeln. –
in Eil Hochachtungsvoll ihr ergebenster Beethoven .
Es wird ebenfalls vieleicht nöthig seyn, höhere Befehle zu haben, daß sie ihn
dort nicht mit gewalt wegnehmen
Nb: Die Wohnung der Fr. B werde ich ihnen noch heute schicken, kein Hauß hat
sie mehr, also können wir unß nur an der Pension erhohlen.
Hier muß es heißen veni, vidi, vinci.
Der Neffe war damals in einem Internat untergebracht. Beethoven war mit der Ange­
legenheit emotional hilflos überfordert. Dies belegen Äußerungen wie:
War der Hauptbrief noch in Schönschrift gelungen, so zeigen die Tintenklekse nun
die gesteigerte Erregung Beethovens an. Nebenbei bemerkt: Beethoven hatte keine
Lateinkenntnisse.
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Sie werden wissen, wie ich vater geworden bin, u. wahre vatersorgen habe.
In diesem fast zwanghaften Rollenverständnis lag die Überforderung von „Vater“
und „Sohn“, von Vormund und Mündel, begründet. Beethoven war es trotz allen
­guten Willens nicht gegeben, flexibel auf das Kind und seine Entwicklungsstufen und
-probleme zu reagieren.
Wie selbstverständlich bezeichnete er sich auch gegenüber seinem Mündel als Vater,
wie das beiliegende Schreiben von ca. 1825/1826 zeigt:
denke nicht, als daß ein anderer Gedanke in mir als nur dein Wohl h
­ errsche,
u. hieraus beurtheile mein Handeln – mache ja keinen Schritt, der dich
­unglücklich machen u. mir das Leben früher raubte – erst gegen 3 uhr kam ich
zum schlafe, denn die ganze Nacht hustete ich.
Beethovens Denkschrift an das Appellationsgericht in Wien, 18. Februar 1820, hier: „Mittheilungen über
das was ich für meinen Neffen gethan –“
Vitrine 6:
Ein Testament der anderen Art
Die Schlaflosigkeit und der nervöse Husten waren sicherlich psychosomatische Folge­
erscheinungen des enormen Drucks, dem er sich ausgesetzt fühlte. Diesen gab er an
Karl weiter, indem er schrieb:
mach mir nur keinen Kummer u. keine Angst mehr leb indessen wohl dein
­wahrer u. treuer vater. […] – laß mein armes Herz nicht mehr Bluten.
Die Denkschrift an das Appellationsgericht in Wien vom 18. Februar 1820 (Autograph,
Sammlung H.C. Bodmer) ist das umfangreichste Schriftstück von Beethovens Hand.
Zahlreiche Streichungen, Änderungen und Ergänzungen, die für ein Textdokument
selbst bei Beethoven ungewöhnlich sind, zeigen, wie er mit letztem Nachdruck ver­
suchte, den Vormundschaftsstreit mit seiner Schwägerin zu seinen Gunsten (also
nach seiner Auffassung zugunsten seines Neffen) zu einem Abschluss zu bringen.
Dies gelang. Allerdings wurde ihm ein gesetzlicher Mitvormund zur Seite gestellt. In
der Dringlichkeit und Unnachgiebigkeit, mit der er die Schwächen seiner Schwägerin
und seine eigenen Verdienste um den Neffen schildert, kommt diesem Dokument im
übertragenen Sinn der Charakter eines Testaments zu.
Vitrine 7:
An seine vertraute Freundin Antonie Brentano in Frankfurt a.M. schrieb Beethoven
am 29. September 1816:
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Die Katastrophe nahm ihren Lauf und kulminierte in einem Selbstmordversuch des
Neffen am 6. August 1826, neun Monate vor dem Tod des Komponisten. Beethovens
Angst war also nicht unbegründet gewesen, allerdings zugleich ein Movens für den
Neffen, der dem emotionalen Druck nicht mehr standhielt.
Verehrstester [!] H.[err] v. Smettana.
Ein großes Unglück ist geschehen, welches Karl zufällig selbst an Sich verursacht
hat, rettung hoffe ist noch möglich, besonders von ihnen, wenn sie nur bald
erscheinen, Karl hat eine Kugel im Kopfe, wie, werden sie schon erfahren – nur
schnell um gottes willen schnell,
ihr Sie verehrender Beethoven
die Geschwindigkeit zu helfen, forderte ihn zu seiner Mutter, wo er jezt ist, die
Adresse folgt hiebey.
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Karl von Smetana war Arzt. Wie der Verschreiber bei der Anrede und die Formu­
lierung „welches Karl zufällig selbst an Sich verursacht hat“ zeigt, war Beethoven
emotional mit der Situation neuerlich vollkommen überfordert. Der Neffe fasste
im anschließenden Polizeiverhör das
Problem eines unausgewogenen Ver­
­
hältnisses von Liebesbekundungen und
Fürsorge auf der einen Seite sowie Miss­
trauen und unbarmherziger Strenge auf
der ­anderen Seite in die Worte: „Ich bin
schlechter ­
geworden, weil mich mein
­Onkel besser haben wollte.“
Bereits sieben Wochen später kehrte der
panisch reagierende Beethoven zu ­seiner
alten Vorgehensweise zurück, wenn er
Ende September an den Magistratsrat
­Ignaz Czapka schrieb: „eine Ermahnung
von ihnen würde gute wirkung hervor­
bringen, auch dörfte es nicht schaden, ihn
Beethovens Brief an Karl von Smetana, vermut­
merken zu laßen, daß er ungesehen be­
lich 6. August 1826
wacht ­werde, während er bey mir ist. –“
Was heute durchaus bedenklich erscheint
und es auch damals schon war, bekommt angesichts von Beethovens eigenen Erfah­
rungen im Metter­nichschen Überwachungsstaat eine doppelt pikante Note.
Der Neffe sollte nie seinen eigenen Weg finden. Nach einer von Stephan von Breu­
ning auf Bitten des Onkels vermittelten Laufbahn beim Militär privatisierte er ab
1832, heiratete und wurde Vater von fünf Kindern. Dass Beethoven all die Jahre die
Bankaktien als eiserne Reserve für seinen Neffen betrachtet hatte, rächte sich bitter.
Der Neffe fühlte sich versorgt, mit allen Nachteilen die daraus folgen. Am 26. Mai
1848, also kurz nach der März-Revolution, legte er schließlich selbst sein Testament
(gezeigt wird eine Abschrift) nieder, das dann am 20. April 1858 vom Notar Josef
Proksch kundgemacht wurde. Karl van Beethoven setzte seine Gattin Karoline als
Universalerbin ein. Seinen Kindern sprach er den Pflichtteil zu in der festen Über­
zeugung, dass seine Frau das Vermögen treu verwalten und ihrerseits bei ihrem Tode
an die Kinder weitervererben werde.
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Andere bedeutende Lebenszeugnisse
Beethoven gibt Einblick in seine Lebensphilosophie
Es gibt nur wenige Dokumente, in denen Beethoven sich gegenüber Dritten öffnete
und sich bezüglich seiner Lebensphilosophie, einige mehr, in denen er sich bezüglich
seines Berufsethos’ äußerte.
Vitrine 8:
An Nikolaus Zmeskall von Donamovetz, Mitarbeiter im Hofkriegsrat und selbst
auf gutem Niveau dilettierender Cellist und Komponist, schrieb er nach zwei Jahr­
zehnten freundschaftlicher Verbundenheit am Ende des Jahres 1816 über das Wesen
von Freundschaft und die Überwindung von Trennendem in persönlichen Bezie­
hungen:
schon von Kindheit an habe ich mich alles guten andrer Menschen gern erinnert, u. es immer im sinn behalten, darauf kam auch die Zeit, wo besonders in
einem Verweichlichten Jahrhundert dem Jüngling auch selbst etwas untoleranz
zu seyn zu verzeihen war, nun aber stehn wir als Nazion wieder kraftvoller da,
u. wie auch ohne dieß ich mir später eigen zu suchen gemacht habe, nicht den
ganzen Menschen wegen einzelner Schwächen zu verdammen, sondern gerecht
zu seyn, das gute vom Menschen im Sinne zu behalten, u. hat sich dieses nun
sogar in geäußerten Handlungen gegen mich bezogen, so habe ich mich nicht
allein als Freund des ganzen Menschengeschlechts sondern noch auch besonders
einzelne darunter immer als meine Freunde angesehn und auch genannt, So in
diesem Sinne nenne ich Sie denn auch meinen Freund, wenn auch in manchen
Dingen wir beide verschieden handeln und denken, so sind wir doch auch in
manchem übereingekommen; – So – nun zähle ich nicht weiter mehr – mögten
sie nur recht oft meine ­Freundschaftliche Anhänglichkeit auf die Probe stellen!
wie immer Ihr Freund Beethowen.
Es war die Zeit der Auseinandersetzungen um die Vormundschaft, mancher bitterer
menschlicher Erfahrung und der Erkenntnis, wie sehr er auf freundschaftlichen Rat
und Hilfe angewiesen war.
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Ein halbes Jahr zuvor, am 13. Mai 1816, fasste er seine Lebensphilosophie gegenüber
seiner vertrauten Freundin Marie Gräfin Erdödy in besonders prägnanter Form zu­
sammen. Hintergrund war die gemeinsame Erfahrung des Todes eines nahen Ange­
hörigen – bei ihm des Bruders, bei ihr eines Kindes:
Mein werthe liebe Freundin!
Sie dörften vieleicht u. mit Recht glauben, daß ihr Andenken völlig in mir erloschen sey, unterdessen ist es nur der schein, meines Bruders Tod verursachte
mir großen Schmerz alsdenn aber große Anstrengungen um meinen mir lieben
Neffen vor seiner verdorbenen Mutter zu retten, dieses Gelang, allein bis hieher
konnte ich noch nichts besseres für ihn thun, als in ein Institut zu geben, also
entfernt von mir, u. was ist ein Institut gegen die unmittelbare Theilnahme
Sorge eines Vaters für sein Kind, denn so betrachte ich mich nun, und sinne hin
u. her, wie ich dieses mir theure Kleinod näher haben kann, um geschwinder
u. vorteilhafter auf ihn wirken zu können – allein wie schwer ist das? für mich!
– Nun ist meine Gesundheit auch Seit 6 Wochen auf schwankenden Füßen, so
daß ich öfter an meinen Tod jedoch nicht mit Furcht denke, nur meinem armen
Karl stürbe ich zu früh. – wie ich aus ihren lezten Zeilen an mich sehe, leiden
sie wohl noch sehr meine liebe Freundin, Es ist nicht anders mit dem Menschen,
auch hier soll sich seine Kraft bewähren d.H. auszuhalten ohne zu murren u.
seine Nichtigkeit zu fühlen u. wieder seine Vollkommenheit zu erreichen, deren
unß der höchste dadurch würdigen will. –
Beethoven führte in den Jahren 1812 bis 1818 ein Tagebuch, das über das Erwartbare
hinaus zahlreiche sehr persönlich gefärbte Eintragungen enthält. Die Exzerpte aus dem
dramatischen Gedicht „Die Söhne des Tals“ aus „Die Templer auf Zypern“ des damals
hochgeschätzten Dichters und Theologen Zacharias Werner (1768–1823) wurden für
ihn zu Maximen, nach denen er sein eigenes, immer stärker auf sich selbst zurückgewor­
fenes Leben ausrichten wollte. Sie kreisen um die Grundeinstellungen zu Glück, Moral
und Brüderschaft, um die Ambivalenz von Kampf für Recht und Freiheit, Gehorsam, Er­
gebenheit und Entsagung. Das Blatt (Dauerleihgabe der Julius-Wegelerschen-Familien­
stiftung) ist eines von lediglich zweien, die vom Tagebuch im Original erhalten sind.
der Pflicht – / Mir seinen Himmel ja zurückgelaßen / Und sey’s auch wirklich
Weißheit – o so schwebet / Vor meinem innern doch ein ander Ziel.
Als im Sommer 1801 Beethovens große Lebenskrise – die bezeichnenderweise k­ eine
Schaffenskrise war, ganz im Gegenteil – ausbrach, offenbarte er sich zwei engen,
­örtlich aber weit entfernten Freunden: Franz Gerhard Wegeler, einem Arzt, und Carl
Ferdinand Amenda, einem Pastor. Er bat um strikte Diskretion.
Nachdem Beethoven in seinen sehr ausführlichen und offenen Schreiben an Wegeler
vom 29. Juni 1801 und zwei Tage später an Amenda seine seelische Not und erstmals
auch sein Gehörleiden offenbart hatte, zeigte er sich im nächsten Brief an Wegeler
vom 16. November 1801 (Dauerleihgabe der Julius-Wegelerschen-Familien-Stiftung)
von einer ganz anderen Seite, der es allerdings an Stetigkeit mangelte:
ich will dem schicksaal in den rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich
­gewiß nicht – o es ist so schön das Leben tausendmal leben – für ein stilles –
­Leben, nein ich fühl’s, ich bin nicht mehr dafür gemacht.
Grund für die Zurückdrängung der Depression und das Wiederaufflammen der
­Lebensfreude war „ein liebes zauberisches“ Mädchen, wohl Julie Guicciardi (siehe
ihre Büste in Raum 8), „die mich liebt, und die ich liebe“. Da die Verbindung schon
aus Standesgründen nicht zustande kommen konnte, war die Euphorie lediglich eine
kurze Episode. Elf Monate später verfasste er dann sein „Heiligenstädter Testament“.
Künstlerethos
In schwierigen Lebenslagen vergewisserte sich Beethoven immer wieder seiner Ver­
pflichtung als Künstler. Er hob so ganz bewusst seine individuellen Probleme auf eine
höhere Ebene und sorgte auf diese Weise für ein seelisches Korsett. Als er etwa 1809
massiv unter der französischen Invasion Wiens litt, schrieb er an seinen Verleger
Breitkopf & Härtel in Leipzig:
Nicht Fragen, Thaten sollst du spenden; / Dich selber opfern, ohne Ruhm und
Lohn! / Erst übe Wunder, willst du sie enthüllen; / Nur so kannst du dein ­Daseyn
erfüllen – / Er hat mich ja entsagen und entbehren / Gelehrt, im h
­ eiligen Gefühl
Ich schreibe ihnen endlich einmal – nach der wilden Zerstörung einige Ruhe,
nach allem unerdenklichen ausgestandenen Ungemach – Arbeitete ich e[i]nige
wochen hintereinander, daß es schien mehr für den Tod als für die Unsterb-
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lichkeit – […] noch eins: Es gibt keine Abhandlung die sobald zu gelehrt für
mich wäre, ohne auch im mindesten Anspruch auf eigentliche Gelehrsamkeit
zu ­machen, habe ich mich doch bestrebt von Kindheit an, den Sinn der bessern
und weisen jedes Zeitalters zu fassen, schande für einen Künstler, der es nicht
für schuldigkeit hält, es hierin wenigstens so weit zu bringen – was sagen sie zu
diesem Todten Frieden? – ich erwarte nichts stetes mehr in d­ iesem Zeitalter, nur
in dem Blinden Zufall hat man Gewißheit.
Beethovens Brief vom 9. September 1824 (Sammlung H.C. Bodmer) an den Zürcher
Komponistenkollegen und Verleger Hans Georg Nägeli, einem Mann von weitem
geistigem Horizont, ist aus zwei Gründen sprechend. Zum einen: Ganz selbstver­
ständlich und selbstbewusst schrieb er: „in der überschrift an mich schreiben sie nur
‚in Vien‘ wie gewöhnlich“, d. h. die Adressangabe „Beethoven in Wien“ reiche voll­
kommen aus. Zum anderen:
denken sie übrigens ja kein Intereße von mir irgendwo, was ich suchte, frey
bin ich von aller kleinlich.[en] Eitelkeit, nur Sie die Göttliche Kunst nur in ihr
sind die Hebel, die mir Kraft geben, den Himmlischen Musen den besten Theil
meines Lebens zu opfern, von Kindheit war mein größtes glück u. vergnügen für
andere wirken zu können, sie können daher denken, wie groß mein v­ ergnügen
ist, ihnen in etwas behülflich zu seyn, u. ihnen anzuzeigen, wie ich ihre Verdienste schäze
ich umarme Sie als einen weisen des Apolls von Herzen der Ihrige Beethoven.
Themen wie Nächstenliebe, Strebsamkeit und gewissenhaft gelebte Verantwortung
hinsichtlich seiner Talente, die seinen Kampf mit seinem Schicksal bestimmten,
­begleiteten den Komponisten ein Leben lang, wie u. a. das erste und letzte Exponat
der Ausstellung beweisen.
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