Referatsammlung zum Thema Bindungen
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Referatsammlung zum Thema Bindungen
Fachhochschule Köln Sozialpädagogik Referatsammlung zum Thema Bindungen zusammengestellt von: Nebahat Özdemir Dagmar Wilbert Spiel- und Interaktionspädagogik & Psychologie, SS 2005 Dozenten: Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Inhaltsverzeichnis: 1 MUTTER – KIND – BINDUNG 1 1.1 Bonding 1.1.1 Wurzeln der Bindungstheorie 1.1.2 Definition Bindung 1 2 2 1.2 Der „Fremde – Situations – Test“ 1.2.1 Die Fremde Situation 1.2.2 Untersuchungsepisoden 1.2.3 Untersuchungsbeobachtungen 1.2.4 Statistische Auswertung 1.2.5 Entwicklung von Bindung nach Ainswroth 2 2 2 3 3 4 1.3 Untersuchungsauswertung 1.3.1 Bindungsqualitäten 1.3.2 Bindungsstil A 1.3.3 Bindungsstil B 1.3.4 Bindungsstil C 1.3.5 D- Komponente 4 4 4 5 5 5 1.4 6 Ursache für sichere bzw. unsichere Bindung 1.5 Folgen einer nicht bestehenden Mutter – Kind – Bindung 1.5.1 Psychose 1.5.2 Neurose 1.5.3 Depression 1.5.4 Hospitalismus 1.5.5 Urmisstrauen 6 7 7 7 7 7 1.6 Literaturquellen 8 1.7 Referenten 8 2 BINDUNGEN IN GRUPPEN 9 2.1 Definition von Gruppe 9 2.2 Warum bilden sich Gruppen 9 2.3 Merkmale der Gruppenaktivität (nach Shaw) 2.3.1 Attraktivität der Gruppenmitglieder 2.3.2 Attraktivität der Gruppenaktivitäten 2.3.3 Attraktivität der Gruppenziele 2.3.4 Attraktivität der Gruppenmitgliedschaft 10 10 10 10 10 2.4 10 Wie verläuft Gruppenbildung 2.5 5 Stufen der Gruppenentwicklung (nach Caple) 2.5.1 Orientierungsstadium 2.5.2 Konfliktstadium 2.5.3 Integrationsstadium 2.5.4 Leistungsstadium 2.5.5 Stabilisierungsstadium 12 12 12 12 12 13 2.6 Gruppendynamik 13 2.7 Literaturangaben 14 -I- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 3 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz BINDUNGEN IN PARTNERBEZIEHUNGEN 3.1 Die 3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 Entwicklung von Bindungen in Partnerbeziehungen Die Entstehung von Bindungen Bindungsstile in Partnerschaften Phasen und Aufgaben der Paarentwicklung Literatur/Internet 15 15 16 18 19 20 3.2 Bindungsangst 3.2.1 Was bedeutet Bindungsangst? 3.2.2 Wie äußert sich Bindungsangst? 3.2.3 Wie wird Verlustangst erlebt? 3.2.4 Wie drückt sich dies in der Sexualität aus? 3.2.5 Eine Anekdote zur Nähe-Distanz-Balance 20 20 20 21 21 21 3.3 Wie die Erziehung spätere Partnerschaften beeinflusst 3.3.1 Psychologische Tipps - Negative Vorbilder - Reaktionsmuster im späteren Leben 22 3.3.1.1 Harmoniesucht 3.3.1.2 Wiederholungszwang 3.3.1.3 Bindungsangst 3.3.1.4 Abgrenzung 3.3.2 Allerdings: Kindheit ist kein unveränderliches Schicksal 3.3.3 Literatur 3.3.4 Internet 21 3.4 23 Bindungsfähigkeiten / -Kompetenzen 22 22 22 22 22 22 23 3.5 Der Einfluss der Herkunftsfamilien auf die Partnerschaft 3.5.1 Erbgut und neuronale“ Programmierung“ 3.5.2 Einflüsse auf Persönlichkeit und Selbstbild 3.5.3 Einfluss des Familientyps 3.5.4 Familiale Funktionsfähigkeit 3.5.5 Weitergabe familialen Erbes 3.5.6 Literatur 24 24 25 25 26 26 26 3.6 Bindungstypen / Studien 3.6.1 Sichere Bindung: 3.6.2 unsicher (ängstlich) - ambivalente Bindung: 3.6.3 unsicher (ängstlich) - vermeidende Bindung: 3.6.4 desorganisierte Bindung: 3.6.5 Literaturangaben: 26 27 27 28 28 29 3.7 Die 3.7.1 3.7.2 3.7.3 3.7.4 3.7.5 3.7.6 30 31 32 33 35 36 36 4 Entstehung einer partnerschaftlichen Bindung Die erste Phase des Kontaktes: Die Aufmerksamkeitsphase Zweite Phase des Kontaktes: Die Erkennungsphase Die dritte Phase des Kontaktes: Die Gesprächsphase Die vierte Phase des Kontaktes: sexuelle Erregungsphase Literatur Referenten BEENDIGUNGEN VON PARTNERSCHAFTEN 37 4.1 Einführung 37 4.2 Auswertung des Interviews 38 4.3 Gründe für die Beendigung von Beziehungen 38 4.4 „Ich verlasse dich“ 41 4.5 Die Interviews 42 - II - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 5 5.1 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz BINDUNG AN DAS LEBEN 45 Suizid – warum Suizid? 45 5.2 Sterbehilfe 5.2.1 Aktuelle Diskussion 5.2.2 Rechtslage in Deutschland 5.2.3 Aktive Sterbehilfe 5.2.4 Passive Sterbehilfe 5.2.5 Diskussionsforum 46 46 47 47 47 47 5.3 Krisen als Chance zu einem kreativen Prozess (Suizidversuche) 48 5.4 Die schöne Seite des Lebens 49 5.5 Referenten 49 6 BINDUNGEN AN NORMEN UND WERTE 50 7 BINDUNG DER SOZIALPÄDAGOGEN AN DAS KLIENTEL 51 7.1 Helfersyndrom 7.1.1 Begriffsentstehung 7.1.2 Begriffe „helfen“ und „Syndrom“ 7.1.3 Die Konfliktbereiche des Helfersyndromhelfers 7.1.4 Krankheitswert des Helfersyndroms 7.1.5 Zeichen und Merkmale des Helfersyndroms 51 51 51 51 51 51 7.2 52 Rollenspiel – problematische Arbeitshaltung eines Sozialpädagogen 7.3 Burnout – Syndrom 7.3.1 Definition 7.3.2 Symptome 7.3.3 Burnout förderliche Persönlichkeitsstile 52 52 52 52 7.4 Prävention von Burnout 53 7.5 Quellen 53 8 BINDUNG DER SOZIALPÄDAGOGEN AN RECHT UND GESETZ 54 8.1 Soziale Arbeit als bürokratisches Handeln 54 8.2 Sozialarbeit als Hilfe und Kontrolle – „Das doppelte Mandat“ 55 8.3 Wann ist das „nichts tun“ strafbar? 57 8.4 „Das Heinz – Dilemma“ nach Lawrence Kohlberg 57 8.5 Prinzipien in der moralischen Entwicklung des Menschen 8.5.1 Das Vormoralische Niveau 8.5.2 Das Konventionelle Niveau (= herkömliche) 8.5.3 Das Postkonventionelle Niveau 58 58 59 59 8.6 BAGHR: Bundesarbeitsgemeinschaft der Hochschullehrer des Rechts an Fachhochschulen des Sozialwesens in Deutschland 60 8.7 61 Recht weist vier Verknüpfungspunkte zur sozialen Arbeit auf - III - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 9 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz BINDUNGEN ZUR MUSIK- UND KUNSTSZENE 62 9.1 Einführung 9.1.1 Entwicklungspsychologische Aspekte 9.1.2 Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Präferenzen für bestimmte Musikbranchen 9.1.3 Musik und die Subkultur als Mittel der Identitätsfindung bei Jugendlichen 9.1.4 Starkult und die Rolle der Medien 62 62 9.2 Der Mensch von Natur aus musikalisch? 64 9.3 Quellen: 65 63 63 64 9.4 Vorstellung von drei Musikstilen 9.4.1 Punk 9.4.1.1 Entstehung des Punk 9.4.1.2 New York Nihilismus 9.4.1.3 No Future – Lebenseinstellung 9.4.1.4 Hardcore Punk 9.4.1.5 Straight Edge – Lebenseinstellung 9.4.1.6 Die „Körperkunst“ der Hardcore-Szene 9.4.1.7 Die Kleidung in der Hardcore-Szene 9.4.1.8 Die Kommunikation in der Hardcore-Szene 9.4.1.9 MINOR THREAT LYRICS 9.4.1.10 Quellen 9.4.2 Hip Hop 9.4.2.1 Entstehung des Hip Hop 9.4.2.2 Gangster Rap 9.4.2.3 Graffiti Szene 9.4.2.4 Hip Hop in Deutschland 9.4.2.5 Konsum und Medien 9.4.3 Gothik / Metal 9.4.3.1 Gothik 9.4.3.2 Metal 9.4.4 Hörbeispiele zu den einzelnen Musikstilen 65 65 65 67 67 67 68 69 69 70 70 71 71 71 72 72 73 73 74 74 75 75 9.5 Fragen und offene Diskussionsrunde 75 9.6 Referenten 76 10 BINDUNG AN GEWOHNHEITEN 77 10.1 Struktur Stundengestaltung 77 10.2 Theaterrollen 78 10.3 Definition / Erklärung 10.3.1 Gewohnheiten 10.3.2 Sucht 10.3.3 Rituale 10.3.4 Bindungen an Gewohnheiten 10.3.5 Zwänge 79 79 80 81 81 82 10.4 82 Referenten - IV - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11 BINDUNG AN HAUSTIERE 83 11.1 Einführung mit Begriffsdefinition 11.1.1 Ursprung des Haustieres 11.1.2 Kindchenschema 83 83 84 11.2 Mensch – Tier – Beziehung 11.2.1 Du – Evidenz 11.2.2 Diagramme 85 85 86 11.3 Wohlbefinden und Gesundheit 11.3.1 Psychologischer Effekt 11.3.2 Psychischer Effekt 11.3.3 Sozialer Effekt 88 88 88 88 11.4 Beendigung von Bindungen durch den Tod 11.4.1 Diagramme 11.4.2 Trauerprozess in vier Phasen 11.4.3 Trauerverhalten von Hunden 89 89 90 92 11.5 Tiere als Therapeutikum 11.5.1 Reittherapie 11.5.1.1 therapeutische Reiten 11.5.1.2 Heilpädagogisches Reiten 11.5.1.3 Reitsport für Behinderte 11.5.2 Delphintherapie 11.5.3 Dog – Water – Therapie 11.5.4 Blindenführhunde 11.5.5 Blindenführpferde 11.5.6 Signalhunde 11.5.7 Behindertenbegleithunde 11.5.8 Therapietiere 11.5.9 Schluss 93 93 93 94 94 95 96 96 97 97 98 99 102 11.6 Skurriles 11.6.1 Tattoos 11.6.2 Hund im Bett 11.6.3 Haustiere klonen 11.6.4 Prominente und ihre Haustiere 11.6.5 Haustiere in Kostümen 11.6.6 Haustiere nach dem Tod 11.6.6.1 Tiere beim Präparator 11.6.6.2 Tiere und Gräber 11.6.7 Hunde, Besitzer und ihre optische Ähnlichkeit 103 103 103 104 105 105 106 106 106 106 11.7 Literatur 11.7.1 Zu Bindung an Haustiere Allgemein 11.7.2 Zu Tiere als Therapeutikum 107 107 107 11.8 107 Referenten 12 BINDUNG ZWISCHEN STUDIERENDEN / FACHHOCHSCHULE (FH) 108 12.1 Bindungsbeschreibungen: welche Beziehungen entstehen zwischen Studierenden, FH und Mitkommilitonen 108 12.2 Beziehungen zwischen Studierenden und Studierenden 108 12.3 Beziehungen zwischen Studierenden und der Mensa 109 -V- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 12.4 Beziehungen zwischen Studierenden und der Bibliothek 111 12.5 Beziehungen zwischen Studierenden und dem Medienbüro 111 12.6 Beziehungen zwischen Studierenden und Professoren 112 12.7 Beziehungen zwischen Studierenden und der Fachschaft 113 12.8 Befragung von Studenten 114 12.9 Referenten 115 13 PROFESSIONELLE HILFE BEI PARTNERBEZIEHUNGEN 13.1 116 Was sind typische Probleme und woher kommen sie? 116 13.2 Welche Formen therapeutischer Hilfe gibt es? 13.2.1 Eheberatung; Ehetherapie 13.2.1.1 Ausgang 13.2.1.2 Voraussetzung 13.2.1.3 Ablauf 13.2.1.4 Ziel 13.2.1.5 Dauer 13.2.1.6 Abstände 13.2.1.7 Kosten 13.2.1.8 Unterschiede: Eheberatung, Ehetherapie 13.2.1.9 Methoden 13.2.2 Systemische Familientherapie 13.2.2.1 Allgemeines Vorgehen 13.2.2.2 Ziele 13.2.2.3 Dauer und Kosten 13.2.2.4 Methoden 13.2.2.5 Systemische Familientherapie hilft, wenn … 13.2.3 Mediation 13.2.3.1 Was ist Mediation? 13.2.3.2 Merkmale der Mediation 13.2.3.3 Welche Anwendungsbereiche gibt es? 13.2.3.4 Rolle des Mediators 13.2.3.5 Grundlegende Methoden 13.2.3.6 Aktives Zuhören 13.2.3.7 Ich – Botschaften 13.2.3.8 Einzelgespräche 13.2.3.9 Brainstorming 13.2.3.10 Die wichtigsten Schritte des Mediationsverfahrens 13.2.3.10.1 Vorphase 13.2.3.10.2 Das Mediationsgespräch 13.2.3.10.2.1 Einleitung 13.2.3.10.2.2 Sichtweise der einzelnen Konfliktparteien 13.2.3.10.2.3 Konflikterhellung 13.2.3.10.2.4 Problemlösung 13.2.3.10.2.5 Übereinkunft 13.2.3.10.2.6 Umsetzungsphase 13.2.3.11 Wann ist Mediation sinnvoll? 116 116 116 116 116 117 117 117 117 117 118 118 118 119 120 120 121 121 121 122 122 122 123 123 124 124 124 124 124 124 124 125 125 125 125 126 126 13.3 Aufgaben des Sozialpädagogen 126 13.4 Referenten 127 - VI - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 1 Mutter – Kind – Bindung 1.1 Bonding Die Mutter-Kind-Bindung hat ihren Anfang im sogenannten „Bonding“. Unter Bonding versteht man die emotionale Bindung zwischen Mutter und Neugeborenem, die sich bereits in der ersten Zeit direkt nach der Geburt entwickelt. Bonding beinhaltet ein bestimmtes Verhaltensmuster der Mutter, mit dessen Hilfe sie lernt, das Kind, das sie im Arm hält, als ihr eigenes anzunehmen. Dieses Verhaltensmuster ist bei jeder Frau nach der Geburt fast identisch. Die Mutter streichelt zunächst nur vorsichtig mit den Fingerspitzen über das Gesicht des Kindes, dann mit der flachen Hand und wenig später wird sie es ganz in die Arme nehmen. Dann beginnt sie mit dem Kind zu sprechen und es genauer anzusehen, bis sie sich daran gewöhnt hat, ihr eigenes Kind in den Armen zu halten, und sie es zum ersten Mal stillt. So trägt die Natur Sorge dafür, dass die Pflegepersonen in der Nähe bleiben und wenn nötig, Schutz und Hilfe bieten und fürsorgliches elterliches Pflegeverhalten entwickeln. Es wird insbesondere in Alarmsituationen aktiviert, wenn das Kind Angst hat oder sich unsicher oder unwohl fühlt, und es sichert das Überleben der Spezies Mensch. Bei der Ausbildung der Bindung kommt es darauf an, dass das Kind auch Reaktionen auf die mütterlichen Kontaktversuche zeigt, z. B. durch Augen- oder Körperbewegungen. Die gegenseitige Interaktion ist ausschlaggebend für das Gelingen des Bonding. Interessanterweise haben Neugeborene genau in der ersten Stunde nach ihrer Geburt eine ungewöhnlich lange Wachphase von fast einer Stunde, die diese Interaktion erst ermöglicht. Sowohl die Mutter als auch das Baby sind nach der Entbindung für eine bestimmte Zeit von Opiaten geradezu überschwemmt. In diesem emotionalen Zustand hat das Außen keinen Platz. Renate Fegter (Hebamme) meint dazu: „Wenn wir uns angewöhnen könnten, den Abschluss einer Geburt erst nach erfolgtem „Bonding“ zu sehen, gäben wir jedem Kind die Chance, zu lieben, eine gesunde Entwicklung zu erleben und die eigene Persönlichkeit entfalten zu können.“ Eine fehlende Bonding-Erfahrung kann eine Mutter-Kind-Beziehung belasten, weil das Vertrauensverhältnis einen Bruch erlitten hat. Viele Frauen trauen sich dann nicht zu, die Bedürfnisse ihres Kindes stillen zu können. Doch nicht nur Mutter und Kind können sich emotional binden, sondern auch der Vater und alle Personen die bei der Geburt anwesend sind, können sich auf die gleiche Art und Weise emotional an das Kind binden. Eine Blutsverwandtschaft stellt keine Vorbedingung für eine emotionale Bindung dar! Obwohl das Bonding der ersten Lebensstunde eines Kindes von besonderer Bedeutung für die Beziehung zwischen den Bezugspersonen und dem Kind ist, kann es auch später noch nach- bzw. aufgeholt werden. Diese ,, Liebesarbeit`` muss beispielsweise auch von Adoptiveltern geleistet werden. Die Erkenntnisse aus der Bindungsforschung haben großen Einfluss auf die Geburtspraxis gehabt. Sie haben die Entwicklung hin zum sogenannten „rooming-1- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz in“, zu Hausgeburten, zur Anwesenheit von Vätern bei der Geburt, und zur Pflege eines Brutkastenkindes durch die Eltern angestoßen. Im englischen Sprachraum wird die Mutter-Kind-Bindung in „Bonding“ und „Attachement“ unterteilt. Unter Bonding wird das Fürsorgeverhalten des Erwachsenen verstanden und unter Attachement das Bindungsverhalten des Kindes (also anklammern, weinen, suchen, lächeln oder anschmiegen, um das Fürsorgeverhalten des Erwachsenen auszulösen). 1.1.1 Wurzeln der Bindungstheorie John Bowlby, ab den 40er Jahren Kinderpsychiater und Psychoanalytiker in London befasste sich mit Trennungsreaktionen von Kleinkindern und mit Hilfe der WHO (World Health Organisation) mit den Folgen früher Deprivation. Mary Ainsworth befasste sich bereits 1939 mit dem Konzept der Sicherheit und entwickelte die "Fremde Situation". 1.1.2 Definition Bindung Bindung ist ein hypothetisches Konstrukt (nicht direkt beobachtbar), das sich auf innere Organisation eines Menschen bezieht. Bindungsverhalten: Klasse von Variablen und austauschbaren Verhaltensweisen oder Signalen, z.B. Anklammern, Nachfolgen, Weinen, Rufen. Inhaltlich zentriert sich die Bindung um Sicherheitsregulation, wobei die Bindungsperson (das Kleinkind) die Sicherheit sucht und die Bindungsfigur dies bietet. 1.2 Der „Fremde – Situations – Test“ 1.2.1 Die Fremde Situation Der Fremde Situations-Test nach Mary Ainsworth, der Unterschiede in der Bindungsqualität aufgreift, wurde mit 12 bis 24 Monate alten Kindern in Form eines standardisierten Untersuchungsverfahrens durchgeführt. Bei dieser Untersuchung wurde das Bindungsverhalten der Kinder in acht aufeinanderfolgenden Drei-Minuten-Episoden getestet, in denen das Kind in zunehmender Intensität Unvertrautheit, Neuheit, Fremdheit und kurze Trennung von der Mutter erfährt. Zunächst wird dabei das Erkundungssystem angeregt und dann das Bindungssystem. 1.2.2 Untersuchungsepisoden 1) Mutter und Kind werden vom Beobachter in einen Raum geführt. Die Mutter setzt das Kind auf den Boden. 2) Mutter und Kind sind allein. Die Mutter liest eine Zeitschrift. Das Kind kann die Umgebung und das Spielzeug erkunden. 3) Eine freundliche Fremde tritt ein, setzt sich, unterhält sich mit der Mutter eine Minute lang und beschäftigt sich dann auch mit dem Kind. -2- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 4) Die Mutter verlässt unauffällig den Raum, hinterlässt aber ihre Tasche. Die Fremde bleibt mit dem Kind allein. Sie beschäftigt sich mit ihm und tröstet es wenn nötig. 5) Die Mutter kommt zurück, während die Fremde geht. Mutter und Kind sind allein. Die Mutter beschäftigt sich mit dem Kind und versucht es wieder für das Spielzeug zu begeistern. 6) Die Mutter verlässt mit deutlichem Abschiedsgruß den Raum und lässt das Kind allein. 7) Die Fremde tritt ein. Sie versucht, wenn nötig das Kind zu trösten. 8) Die Mutter kommt wieder, die Fremde verlässt gleichzeitig den Raum. Anmerkung: Das Experiment hat unter Laborbedingungen stattgefunden und kann mit einer Wartezimmersituation verglichen werden. Die Mütter haben die ganze Zeit das Geschehen durch die Einwegscheibe beobachtet und konnten über die Dauer der einzelnen Episoden entscheiden. Neben dem Experiment wurden auch Längsschnittuntersuchungen durchgeführt, bei denen Mütter interviewt wurden und durch Vor- Ort Beobachtungen im Alltag auf ihr Verhalten mit den Kindern getestet wurden. 1.2.3 Untersuchungsbeobachtungen Informationen über die Qualität des Bindungsverhaltens wurden aus der Art ermittelt, wie die Kinder die Mütter nach kurzer Trennung empfingen. Dabei wurden vier Strategien der Nähe- Distanz und Emotionsregulation beobachtet: • • • • Nähesuchen Kontakthalten Widerstand gegen Körperkontakt Vermeidungsverfahren 1.2.4 Statistische Auswertung • • • In der Baltimore-Studie waren relativ viele Kinder als sicher (B) klassifiziert worden In der Bielefelderstudie war hingegen die Gruppe der Vermeider (A) am größten. Kinder mit einem ambivalenten Bindungsmuster stellen in der Regel die Minderheit dar. -3- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 1.2.5 Entwicklung von Bindung nach Ainswroth 1) Vorbereitende Abhängigkeit ( inital preattachment phase) Dauer: Ab Geburt bis 8-12 Wochen 2) Entstehende Bindung (attachment-in-the-making) Dauer: Ende Phase 1 bis ungefähr 7-12 Monate 3) Ausgeprägte Bindung (clear cut attachment) Dauer: Ende Phase 2 bis ins zweite oder dritte Lebensjahr. 4) Zielkorrigierte Partnerschaft (goal-corrected partnership) Dauer: vom Ende der dritten Phase an. 1.3 Untersuchungsauswertung 1.3.1 Bindungsqualitäten Die Qualität der Bindungsbeziehung ließ sich aus der Art ermitteln, wie das Kind die Mutter nach den Trennungen empfing (Szene 5 und 8). Dabei zeigten sich vier Strategien der Nähe-Distanz- und der Emotionsregelung: Nähesuchen, Kontakthalten, Widerstand gegen Körperkontakt und Vermeidungsverhalten. Aufgrund dieser Werte in den vier Strategien und dem Gesamteindruck des Kindes im „Fremde-Situations-Test“ (FST) unterschied Ainsworth drei Bindungsstile, die sie mit A, B und C bezeichnete. So entstand aus den Untersuchungserfahrungen Ainsworths Konzept der sicheren bzw. unsicheren Qualität der Mutter-Kind-Bindung (1978). 1.3.2 Bindungsstil A Diese Kinder zeigten im FST bei der Rückkehr der Mutter wenig Emotionen. Sie suchten nicht die Nähe, vermieden oder ignorierten die Mutter und behandelten sie und die Fremde gleich. Sie zeigten ferner keinen Kummer sowie keinen Widerstand gegen die Interaktion im Test. Sie beschäftigten sich statt dessen weiter mit ihrem Spielzeug. Anfänglich war für Ainsworth dies ein Ausdruck von emotionaler Reife und großer Unabhängigkeit, doch bei ihrer Längsschnittuntersuchung erkannte sie, dass diese Kinder wenig feinfühlige Fürsorge erfahren haben. Die entsprechenden Mütter mochten keine Gefühlsausbrüche, wie z.B. heftiges Weinen, sodass die Kinder gelernt hatten ihre Emotionsausdrücke zu minimieren und ihre Bedürfnisse von der Mutter abzuwenden. Dies äußerte sich im Versuch, dass die jeweiligen Kinder nach der Rückkehr der Mutter ihr den Rücken beim Spielen zuwandten. So wurden diese unsicher vermeidenden Kinder meistens schon im Babyalter zur Regulation ihrer Gefühle gedrängt. Sie entwickelten die Erwartungshaltung, dass ihre Wünsche grundsätzlich auf Ablehnung stoßen würden und ihnen kein Anspruch auf Liebe und Unterstützung zustände. Ihnen fehlte die Zuversicht über die Verfügbarkeit ihrer Bindungsperson ganz. Bei drohender Gefahr vermeiden unsicher gebundene Kinder eher ihre Bindungsperson, da sie aus Erfahrung wissen, dass von der Bindungsperson kein Schutz zu erwarten ist. -4- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 1.3.3 Bindungsstil B Diese Kinder zeigten mehr oder weniger intensiv und direkt bei Nichtanwesenheit ihrer Mutter Kummerregungen, bei denen sie sich auch nicht von der Fremden vollständig trösten ließen. Doch kaum trat die Mutter ein, wirkten sie wie erlöst, begrüßten sie freudig und suchten manchmal nur nach kurzem Kuschelkontakt, um dann fröhlich mit der Mutter weiter zu spielen. Entweder waren diese Kinder von Geburt an emotional stabil und nicht schnell zu verunsichern oder sie hatten sehr einfühlsame Mütter und hatten sie vor allem in den ersten Lebensjahren als verlässlich und offen erlebt. Sie konnten jederzeit ihre Gefühle offen zum Ausdruck bringen und sich darauf verlassen, dass ihre Mutter ihnen sowohl bei der Beseitigung ihres Kummeranlasses als auch bei der Regulierung der Gefühle half. Sie sind zuversichtlich in Bezug auf die Verfügbarkeit ihrer Bezugsperson und wissen aus Erfahrung, dass diese sie im Bedarfsfall nicht im Stich lassen würde. In dieser harmonischen Mutter-Kind-Beziehung erfüllt die Mutter die Rolle eines „sicheren Hafens“ der immer Schutz bietet, wenn man dessen bedarf. 1.3.4 Bindungsstil C Diese Kinder zeigten schon beim Eintreten der Fremden Empfindlichkeit und äußerten ihren Kummer besonders emotional in Form von lautem Weinen. Bei der Rückkehr der Mutter jedoch verhielten sie sich allerdings sehr ambivalent. Auf der einen Seite suchten sie den Kontakt zur Mutter und klammerten, aber auf der anderen Seite widersetzten sie sich ihren Kontakt- und Interaktionsversuchen (besonders nach der zweiten Wiederkehr) z.B. durch Treten. Die Kinder fanden nicht wieder zum Spiel zurück und waren emotional unausgeglichen. Nach Ainsworth zu urteilen, erlebten sie das Verhalten ihrer Mutter widersprüchlich: phasenweise überschwänglich herzlich und zugeneigt und dann aber auch als nicht einschätzbar und unerreichbar. Sie sahen ihre Mutter als gelegentlich fürsorglich an und waren ständig ängstlich bemüht ihre Liebe zu erringen. So entwickelten sie eine Strategie ihren Kummer eher zu übertreiben um so ihre Notlage zu unterstreichen. Wenn die Bindungsbedürfnisse allerdings nicht befriedigt oder missachtet bzw. unverlässlich beachtet wurden, mischten sich als Folge in die Gefühle der Kinder Ärger, Wut, Angst und Enttäuschung über die mangelnde Reaktion der Bindungsperson. Der Erziehungsstil der Mütter solch gebundener Kinder wurde zwar als zugewandt aber als unberechenbar gekennzeichnet. Die Mütter wussten nicht die emotionalen Bedürfnisse und Nöte ihrer Kinder zu befriedigen oder zu lindern. So verspürten ambivalent gebundene Kinder Unsicherheit hinsichtlich der Frage ob die Bindungsperson bei Bedarf zur Verfügung sein wird. 1.3.5 D- Komponente Als eine weitere Dimension zu den anderen drei Bindungsstilen beschreiben Main und Solomon später (1990) Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern, die sich nicht eindeutig in die A, B oder C Bindungsmuster einordnen lassen. So zeigten diese Kinder in Anwesenheit ihrer Mutter ein seltsames und bizarres Verhalten wie Grimassieren, Erstarren oder andere stereotype Verhaltensweisen. Sie scheinen sich in einem Konflikt zwischen Annäherung und Angst zu befinden, zu dem sie keine verfügbare Strategie für ein bestimmtes Verhaltensprogramm -5- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz haben oder sie schwankten zwischen mehreren Reaktionsstilen. Deshalb wurden sie von Main und Cassidy (1998) als desorientiert und desorganisiert beschrieben. Dieses Verhalten wurde besonders ausgeprägt bei Kindern mit Missbrauchserfahrung beobachtet. Dies konnte aber auch noch andere Ursprünge haben: So beobachteten z.B. Ahnert und Lamb (2001) einen Anstieg an DMerkmalen bei Berliner Kindern aus dem Ostteil der Stadt, die in den Jahren der Wende geboren wurden. D-Verhaltensweisen können auf überdauernde Schwierigkeiten der Verhaltensregulation, auf vorübergehende Beunruhigung und auf anhaltende ängstigende Erfahrungen hinweisen. 1.4 Ursache für sichere bzw. unsichere Bindung Wie die Qualität der Mutter-Kind-Bindung ausfällt ist nach Ainsworth von der Feinfühligkeit der Bindungsperson abhängig. Mit Feinfühligkeit ist die Fähigkeit der Bindungsperson gemeint, die Signale des Säuglings (z.B. Lächeln oder Weinen) richtig wahrzunehmen und zu interpretieren. Die Interpretation sollte nicht durch eigene Bedürfnisse und Zustände „verzerrt“ werden. Wenn dieses Verständnis vorhanden ist, muss auf die Signale angemessen und prompt reagiert werden. Dazu muss die Mutter bzw. die Bindungsperson häufig vorhanden sein. Die Beantwortung der Signale muss altersentsprechend ablaufen. Zum Beispiel sollte das Kind, dass drei Jahre alt ist und laufen kann aber trotzdem immer noch getragen werden will, nicht ohne Grund getragen werden. Die sogenannte Frustrationsspannung sollte von der Bindungsperson ausgeübt werden. Das bedeutet, je älter das Kind wird umso länger können auch die Zeiten bis zur Bedürfnisbefriedigung sein. Bei kleinen Kindern muss hinreichend rasch auf die Bedürfnisse reagiert werden, weil die Gedächtnisspanne des Kindes noch zu kurz ist, als dass es sich nach einigen Sekunden noch den Zusammenhang zwischen seiner Aktivität und der Reaktion der Mutter merken könnte (Grossmann & Grossmann, 1994). 1.5 Folgen einer nicht bestehenden Mutter – Kind – Bindung Psychoanalytiker Rene A. Spitz – und viele andere Forscher – haben beobachtet, dass Säuglinge und Kleinkinder körperlich und seelisch leiden und zu verkümmern beginnen, wenn sie trotz einwandfreier Versorgung, Ernährung und Pflege emotionale Zuwendung, geduldige Umsorgung, liebevolle Zärtlichkeit, Körperkontakt und Ansprache durch die Eltern oder andere Bezugspersonen entbehren müssen. Eine unpersönliche und beziehungslose Einstellung zum Kind kann erhebliche und lebenslang andauernde Folgen für das Kind haben. Einige Folgen können sein: • • • • • Psychose Neurose Depressionen Hospitalismus Ängste: Verlassenheitsängste, Vernichtungsängste, Panikgefühle -6- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider • • • • • • • • • • • Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Kontaktschwierigkeiten Alpträume Selbstzerstörerische Tendenzen Selbstmordgefährdung Unfähigkeit zu vertrauen Schwierigkeiten die eigene Identität zu finden Anlehnungsbedürfnis, übermäßiges Klammern Isolationsgefühle Unsicherheit Entscheidungsschwierigkeiten Wahrnehmungsstörungen 1.5.1 Psychose Bei einer Psychose sind wichtige psychische Funktionen erheblich gestört. Bei einer Psychose treten meist Halluzinationen sowie schwere Gedächtnis- oder Affektstörungen auf. Häufig erleben die Betroffenen nicht sich selbst, sondern ihre Umgebung als verändert und haben im akuten Stadium meist keine Einsicht in die Krankhaftigkeit ihres Zustandes. 1.5.2 Neurose Allgemein versteht man unter Neurose eine Erlebnisbedingte Störung der Reizverarbeitung im Gehirn. Neurosen sind störende, länger andauernde psychische Einstellungen oder Verhaltensgewohnheiten, wie z.B. Angst, Unsicherheit. Dies entsteht im Verlauf der Entwicklung des Menschen durch bestimmte Erfahrungen z.B. ungelöste Konflikte und einschneidende Erlebnisse. Den Betroffenen bleiben sie unverständlich und können von ihnen nicht ausreichend kontrolliert werden. Im Gegensatz zu Psychosen haben die Betroffenen immer noch ein Bewusstsein von der Störung unter der sie leiden. 1.5.3 Depression Depression ist ein Zustand von Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit und Erregung oder Passivität, der Tage oder Wochen andauern kann. Die Ausprägung dieses Zustandes reicht von depressiver Verstimmtheit bis zum depressiven Suport (einer dumpfen Regungslosigkeit). Die möglichen Ursachen sind vielfältig. Häufig ist Depression eine verständliche Reaktion auf schwere Verluste (Todesfälle, Trennungen), Misserfolge oder Konflikte, deren Bedeutung nicht erkannt wird. 1.5.4 Hospitalismus Mit Hospitalismus bezeichnet man leib-seelische Störungsund Verkümmerungserscheinungen im Säuglings- und Kleinkindalter, die auf mangelnde emotionale Zuwendung und Reizvermittlung zurückzuführen sind. Bei ihrer weiteren Entwicklung zeigen hospitalisierte Kinder in der Regel große Störungen im körperlichen, motorischen und geistigen Bereich, insbesondere im Gefühlsleben und im Sozialverhalten. Zudem wurde bei ihnen eine stark erhöhte Sterblichkeitsquote festgestellt. 1.5.5 Urmisstrauen Mit Urmisstrauen meint man , in den ersten Lebensjahren zurückgehende, -7- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz negative Einstellung zu sich selbst, zu anderen Personen und zur Umwelt. 1.6 • • • • • • • • • • • 1.7 Literaturquellen Oerter/ Montada (Hrsg.): „Entwicklungspsychologie“, Beltz 2002, 5. Auflage Dirk Wendt „Entwicklungspsychologie“ eine Einführung Heidi Keller (Hrsg.) „Entwicklungspsychologie“, Lehrbuch Wikipedia, der freien Enzyklopädie „Bindungen“ Misek -Schneider, Karla: Skript zur Vorlesung „Entwicklungspsychologie 1“ an der FH Köln, WS 2002 Lexikon: Brockhaus http://www.rund-ums-baby.de http://www.haus-samaria.de http://www.kindqualimedic.de http://www.kindergartenpaedagogik.de http://www.stillen.org/docs/kongressbericht2002-bonding.pdf Referenten • • • • • • Sonja Stumm Magdalena Bieker Isabel Mirgel Elsa Pollmann Katrin Pesch Julia Müller -8- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 2 Bindungen in Gruppen 2.1 Definition von Gruppe Für Homans (1972) ist eine Gruppe im Grunde bereits dann gegeben, wenn eine überschaubare Personenmehrheit über eine längere Zeit in Interaktion steht. Seine Definition der Gruppe "als eine Reihe von Personen, die in einer bestimmten Zeitspanne häufig miteinander Umgang haben und deren Anzahl so gering ist, dass jede Person mit der anderen in Verbindung treten kann und zwar nicht nur mittelbar, sondern von Angesicht zu Angesicht" (Homans 1972) betont die Dauerhaftigkeit (Persistenz) von Interaktionen im Sinne von face-to-face Beziehungen als primäres Bestimmungsmerkmal. Der Ausformung bestimmter Strukturen und Verhaltensrichtlinien kommt dabei nur abgeleitete Bedeutung zu. 2.2 Warum bilden sich Gruppen Es gibt hierfür recht unterschiedliche Gründe und Bedingungen. Abgesehen von der Familie als Primärgruppe, in der unter normalen Umständen jeder Mensch hineingeboren wird, kann man sich einer bestehenden Gruppe anschließen, weil ... ...man deren Mitglieder sympathisch findet, sich ihnen ähnlich und verbunden fühlt (z. B. Freundesgruppe) ... man mit ihnen zusammen ein bestimmtes Ziel erreichen will, (z. B. Leistungssportgruppe) ... sie einen bei der eigenen Zielerreichung unterstützen kann, (z. B. Gruppe zur Prüfungsvorbereitung). Man kann ... rein zufällig in solche Gruppen geraten, sie gezielt aufsuchen oder selbst aufbauen, und man kann schließlich unfreiwillig in bestehende Gruppen gezwungen werden (z. B. berufliche Arbeitsgruppen, Klassengruppen). Gruppen können ... einen hohen oder niedrigen Grad an formaler Struktur aufweisen (z. B. Freundesgruppen im Vergleich zu militärischen Kampfgruppen), mehr oder weniger offen und flexibel sein für Veränderungen, mehr oder weniger stark von anderen Gruppen und sozialen Strukturen abhängig und beeinflusst sein und schließlich kürzere oder längere Zeit fortbestehen. Diese Merkmale beeinflussen den Gruppenbildungsprozess und die Art und Intensität sozialer Einflussprozesse in der Gruppe. Versucht ein Individuum Mitglied einer freiwilligen, autonomen Kleingruppe zu werden, ist die volle Gruppenmitgliedschaft das Resultat eines gegenseitigen Bewertungsprozesses. Die Gruppe und das Individuum beurteilen: Werden die beiderseitigen Nutzenerwartungen erfüllt? Wie wären die Resultate aus alternativen Gruppenbeziehungen? -9- Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Gefühle der Gruppenbindung und der gegenseitigen Verpflichtung stellen sich ein, wenn die bereits eingegangene Beziehung lohnender war, bzw. wenn sie als für die Zukunft lohnender eingeschätzt wird als die Mitgliedschaft in anderen Gruppen. Aus der Sicht der Gruppe betrachtet, muss die Aufnahme des Individuums in die Gruppe lohnender erscheinen als die Gewinnung anderer Personen. 2.3 Merkmale der Gruppenaktivität (nach Shaw) Shaw (1981) nennt vier zentrale Merkmale der Gruppenattraktivität : 2.3.1 Attraktivität der Gruppenmitglieder Situationsbezogene Merkmale: physische Nähe zu den Mitgliedern häufiges Zusammenkommen und Genießen dieser Situation Gelegenheit zur gegenseitige Beeinflussung Gelegenheit für gemeinsames Tun Interpersonale Merkmale: physische Attraktivität erlebte Ähnlichkeit beobachtete Fähigkeiten 2.3.2 Attraktivität der Gruppenaktivitäten Interessante und beliebte Betätigungen ermöglichen die Befriedigung elementarer Bedürfnisse (z. B. Sport- oder Spielgruppe, Diskussionskreis, Chor). 2.3.3 Attraktivität der Gruppenziele Interessante und beliebte Betätigungen ermöglichen die Befriedigung elementarer Bedürfnisse (z. B. Sport- oder Spielgruppe, Diskussionskreis, Chor). 2.3.4 Attraktivität der Gruppenmitgliedschaft Aufforderungswert besteht durch: die Möglichkeit zum Vergleich seiner Fähigkeiten und Meinungen mit den anderen Mitgliedern Unterstützung bei der Erreichung individueller Ziele besondere Leistungsfähigkeit oder Ansehen der Gruppe im Vergleich zu anderen. 2.4 Wie verläuft Gruppenbildung Moreland & Levine (1982) haben ein Modell der individuellen Gruppensozialisation entwickelt, das in einem fünfphasigen Verlaufsprozess die Vorgänge zwischen dem Eintritt in die Gruppe und dem Ausschluss aus der Gruppe beschreibt. - 10 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Das Modell von Moreland & Levine (1982) unterscheidet zwischen der Suchphase, Sozialisationsphase, Erhaltungsphase, Resozialisationsphase und Erinnerungsphase. Getrennt davon wird zwischen vier Rollenübergängen unterschieden, in denen Veränderungen im gegenseitigen Beziehungsverhältnis zwischen Gruppe und dem einzelnen Mitglied stattfinden: Aufnahme, Akzeptanz, Divergenz und Ausschluss. Besonders interessant für sozialpsychologische Forschungen ist die Phase der Gruppensozialisation, in der für die Gruppe und den Neuling das jeweilige Akzeptanzkriterium erreicht wird. Akzeptanz kann für beide Parteien nach Moreland & Levine (1989) über drei selbstbezogene und drei fremdbezogene Strategien erreicht werden. Die drei selbstbezogenen Strategien sind: (1) Verringerung des eigenen Akzeptanzniveaus, (2) Veränderung der eigenen Erwartungen und (3) Veränderung des eigenen Verhaltens so, dass die andere Partei ihre Erwartungen eher erfüllt sieht. Die fremdbezogenen Strategien bestehen aus: (1) Verringerung des Akzeptanzniveaus des Partners, indem man den Partner verunsichert bezüglich der Angemessenheit seines Akzeptanzniveaus oder indem man über Machtmittel verfügt (z. B. Informationen, Geld, Status), mit denen das Akzeptanzniveau verringert werden kann, - 11 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz (2) Veränderung der Partnererwartungen, so dass der Partner nicht mehr erwartet als man selbst zu leisten in der Lage und bereit ist und (3) Veränderungen des Partnerverhaltens, indem man z. B. Macht auf den Partner ausübt. Diese Strategien zur Erreichung einer akzeptablen Gruppenmitgliedschaft können sowohl vom Individuum gegenüber der Gruppe wie auch von der Gruppe gegenüber dem Individuum angewandt werden. Die während der Sozialisationsphase von beiden Seiten gemachten Erfahrungen haben Auswirkungen auf den Einsatz geeigneter Strategien zur Erreichung des gewünschten Akzeptanzniveaus und die Art, wie die Partner zukünftig miteinander umgehen. Gruppen sind dynamische soziale Gebilde. Sie durchlaufen bestimmte Phasen, so dass eine Person, die einer Gruppe beitritt, diese in einer bestimmten Entwicklungsphase antrifft. Auch wenn davon auszugehen ist, dass verschieden Gruppen (z. B. problemlösungsorientierte Gruppen, Sensivity-Trainingsgruppen oder formale Arbeitsgruppen) recht unterschiedliche Entwicklungsphasen durchmachen, so kann doch meistens ein allgemeines Entwicklungsschema ausgemacht werden. 2.5 5 Stufen der Gruppenentwicklung (nach Caple) 2.5.1 Orientierungsstadium es gibt viele mehrdeutige Handlungen der Mitglieder Verhalten ist unkoordiniert Bemühungen zur Etablierung traditioneller Strukturen werden unternommen man hört noch nicht so recht aufeinander 2.5.2 Konfliktstadium viele Meinungsverschiedenheiten Gruppenmitglieder sind sehr unzufrieden miteinander, stimmen mit Vorschlägen nicht überein, unterbrechen oft die Diskussion, greifen einander persönlich an 2.5.3 Integrationsstadium Phase des Ausgleichs Mitglieder beachten sich gegenseitig, suchen Übereinstimmung Polarisierung nimmt ab 2.5.4 Leistungsstadium Gruppe ist funktionsfähige Einheit Interpersonale Beziehungen sind gefestigt Gruppennormen und -rollen sind etabliert Probleme werden rational bewältigt Gruppe arbeitet reibungslos - 12 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 2.5.5 Stabilisierungsstadium Mitglieder sind mit der Gruppe zufrieden Kein Interesse an Neubewertung ihrer Normen, neuen Informationen und Veränderungen Interesse ist auf Fortbestehen der Gruppe gerichtet Gruppenentwicklung ist ein komplexer Prozess. Die meisten Gruppen benötigen einige Zeit zur Orientierung. Zielorientierte Gruppen benötigen Zeit zum Erreichen eines produktiven Entwicklungsstadiums, in dem die Energien der Mitglieder zur Zielereichung optimal eingesetzt werden können. 2.6 Gruppendynamik Die Gruppendynamik beschäftigt sich mit den Vorgängen und Abläufen in einer Gruppe von Menschen. Es wird davon ausgegangen, dass die Eigenschaften und Fähigkeiten einer Gruppe verschieden sind von der Summe der Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Personen der Gruppe. Es existieren verschiedene Gruppenmodelle. Sie versuchen, Gesetzmäßigkeiten in Gruppen zu beschreiben. Häufig werden hierbei zwischen drei bis fünf aufeinander folgende Phasen beschrieben. Das bedeutet nicht, dass jede Gruppe diese Stufen oder alle durchläuft. Oft bleiben Gruppen bei einer Stufe stehen, fallen in eine vorhergehende kurz zurück oder wiederholen sie, insbesondere, wenn die Gruppe durch Neuaufnahmen bzw. Abgänge "gestört wird". Fremdheitsphase Jeder versucht sich von seiner besten Seite zu zeigen, versucht sich anderen gegenüber so zu verhalten, wie er gern gesehen werden möchte und tastet vorsichtig die anderen ab. Orientierungsphase Die einzelnen Individuen begreifen sich als Gruppe, es beginnt ein Prozess des Rollenfindens; z.T. entstehen starke Machtkämpfe. Vertrautheitsphase Die Rollen innerhalb der Gruppe sind vergeben, jeder hat seinen Platz bzw. seine Aufgabe. In dieser Phase ist die Gruppe am produktivsten, sie wird deshalb auch in einigen Modellen als Arbeitsphase beschrieben Differenzierungsphase Die Gruppenmitglieder orientieren sich nach Außen, sehen aber die Gruppe noch als Rückzugsgebiet an. Diese Phase wird nicht in allen Modellen beschrieben. Abschlussphase Die Gruppe löst sich auf, bzw. wird aufgelöst (zum Beispiel Schulklasse). Diese Phase hat nur dann eine Bedeutung, wenn die Auflösung einer Gruppe absehbar ist bzw. geplant. - 13 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Den erwachsenen Mensch mit gutem Bindungsverhalten kennzeichnet: • eine offene Art • er hat eine hohe Fähigkeit zur Reflexion • er kann gute und schlechte Erfahrung in sein eigenes Leben integrieren • er kann zu den guten und schlechten Erfahrungen die dazu gehörigen Gefühle entwickeln • er hat eine eher positive Sicht von sich selbst und von anderen • und er hat eine hohe Achtung von Bindung • er tut sehr viel um diese Bindung zu pflegen und zu halten Ein Erwachsener, der im Bindungsverhalten eher unsicher ist, • ist ein distanzierter Mensch • seine Angaben sind kurz und unvollständig • meistens wird die Kindheit idealisiert • er zeigt eine Affektarmut. Das ist die Überregulation der Affekte, man regelt als vom Kopf her und lässt Gefühle - vor allem nicht zu. Menschen, die sich nicht geborgen fühlen, können über ihre Gefühle kaum reden und ihre Gefühle vor allem redend nicht gestalten • Er hat ein überzogenes Interesse am Aufbau von Unabhängigkeit. "Ich will unabhängig sein, ich will frei sein. Bindungen und Beziehungen sind eh nicht wichtig." Das Leben ermutigt uns zum Mitmachen, es ermutigt uns, dass wir es in der Tiefe ergründen. und wenn ich frage: Wie viel Bindung braucht der Mensch? Dann heißt das wie viel Bindung braucht der Mensch woran? Für Erwachsene gilt im Wesentlichen die Bindung an das Leben, das sich so intensiv an uns gebunden hat, dass es uns nicht auskommen lässt. Das merkt man jeden Morgen. "Kein Mensch betritt diese Welt ohne die bange Frage, ob und wie weit er in der Liebe eines anderen Menschen geborgen sein kann. Und so lange sich diese Frage nicht beruhigt, wird er es nicht wagen, in die Welt zu treten." So hat das Eugen Drewermann formuliert, und ich glaube, damit ist im Grunde alles gesagt. 2.7 Literaturangaben www.wikipedia.de http://www.socioweb.de/seminar/gruppe/phasen.htm Sehnsucht nach Geborgenheit oder Wie viel Bindung braucht der Mensch? Gedanken aus einem Vortrag von Günter Funke - 14 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 3 Bindungen in Partnerbeziehungen 3.1 Die Entwicklung von Bindungen in Partnerbeziehungen Die Entwicklungen von Bindungen in Partnerschaften konfrontieren die Beteiligten mit unterschiedlichen Aufgaben und Herausforderungen. Von der jungen Liebe bis zur gesetzten Beziehung hat jede Entwicklungsphase ihr eigenes Thema. Wie kommt jedoch zunächst einmal die Bereitschaft des Menschen eine Bindung einzugehen, zustande? Laut Hans - Werner Bierhoff und Elke Rohmann ist der Mensch durch die Evolution darauf angelegt in Familien, Partnerschaften und sozialen Institutionen zu existieren. Durch die Verfolgung eines gewissen Gesellungsstreben sucht er die Nähe zu anderen Menschen. Oftmals sind dies wichtige Bezugspersonen zu welchen eine intensive emotionale Beziehung besteht, die auch das Denken und Verhalten beeinflusst. Wichtige Bezugspersonen sind zum Beispiel die eigenen Eltern, die eigenen Kinder, Beziehungs- oder Ehepartner und Freunde. Die Partnerschaft ist also ein wichtiger Bereich im Leben jedes Menschen. Charakteristisch bei diesem Zusammenleben ist, dass zwei Menschen - im allgemeinen - verschiedenen Geschlechts, erwachsen oder noch jugendlich, freiwillig eine Beziehung eingehen. Kennzeichnende psychologische Merkmale diesbezüglich, sind zum Beispiel: Bindungen, Intimität, Dauer und Abgrenzung. Die Beziehungsbeteiligten verfolgen meist im Alltag die gleichen Ziele, da sie häufig zusammenleben und ihren Alltag gemeinsam gestalten. Dem privaten zuzurechnende Lebensbereiche wie zum Beispiel Familie, Alltag, Urlaub, Haushalt und Freizeit verkörpern innerhalb einer Beziehung wichtige Faktoren und verfestigen im günstigsten Fall die Beziehung. Drei Formen der Partnerschaft können unterschieden werden: die Ehe ein festes Verhältnis eine Lebensgemeinschaft Die Partnerschaft nimmt auch in der Gesellschaft einen hohen Stellenwert ein, da sie wichtige gesellschaftliche Bereiche der Sozial und Wohnungspolitik, der Ökonomie und der Juristik, der Soziologie und der Demographie, der Moral und der Medizin miteinander verbindet. - 15 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Demzufolge kann man von einer großen Bedeutung der Partnerschaft im persönlichen sowie auch gesellschaftlichen Bereich der Mikro- und Makroebene sprechen. 3.1.1 Die Entstehung von Bindungen Wie aus der Einleitung hervorgeht, verfolgt der Mensch ein gewisses Gesellungsstreben. Aus diesem Gesellungsstreben entsteht ein Verhalten, dass geprägt von einem Bindungsmotiv, die menschliche Bindungsorganisation bestimmt. “Ein Bindungsmotiv stellt das biologische Bedürfnis dar, in den ersten Lebensmonaten und bis in die Jugendjahre, Schutz, Sicherheit und Unterstützung einzufordern. Durch diese Einforderung, werden die Möglichkeiten, sich ausreichend entwickeln zu dürfen, und im Angesicht von Gefahren, die von der Umwelt ausgehen, zu überleben“, (aus Bierhoff/Rohmann; Bindungen in Partnerschaften, online Familienhandbuch). Der Tiefenpsychologe John Bowlby sieht diese Bindungsorganisation (auch “innere Arbeitsmodelle”) als biologisches System, das dem Kleinkind dazu dient, in den frühkindlichen Phasen auf Grundlage von körperlicher Nähe und emotionaler Entlastung, seine Eltern zu erreichen. In der Entwicklung älterer Kinder und Jugendlichen, verändert sich die Bindungsorganisation. Die Bedeutung für die Bewertung der Bindung liegt hier vielmehr in der sprachlichen Repräsentation und Kommunikation. Aus den Erfahrungen darüber, wie die Beziehungen zu anderen Menschen bewertet werden, entwickeln sich Einschätzungen, die in neuen Beziehungserfahrungen zum Beispiel zu Emotionsregulationen in Belastungssituationen beitragen. Allgemein kann man zwei unterschiedliche Grundtypen von Bindungspräsentationen nachweisen: 1. Der sichere Bindungstyp und 2. Der unsichere Bindungstyp. - 16 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Bereits im Kleinkindalter lassen sich diese zwei Grundtypen nachweisen: Sichere Kleinkinder Unsichere Kleinkinder Weinen weniger Suchen Nähe der Mutter ziehen sich aber immer wieder zurück oder klammern übertrieben Mutter wird nach Abwesenheit positiv begrüßt Zeigen beim auf den Arm nehmen häufiger positive Reaktionen, wie negative Welcher Bindungstyp sich entwickelt, hängt von der Feinfühligkeit der Bezugsperson ab. “Dieses Konzept der Bindungstypen in Eltern - Kind Beziehungen beeinflusst die Entwicklung einer Partnerschaft, “da sie ähnlich wie die Eltern-Kind Beziehung organisiert sind” (aus Bierhoff/Rohmann; Bindungen in Partnerschaften, online Familienhandbuch). Jedoch erkannte Bowlby, dass der Mensch, nicht nur durch seine frühkindliche Prägung bestimmte Lebensrichtungen einschlägt, sondern dass der Mensch eine lebenslange Entwicklung durchläuft, die zwar in den frühen Lebensjahren die Grundlagen für eine bestimmte Richtung bildet, aber jedoch auch die Möglichkeit aufweist, eine neue Richtung einzuschlagen. Also, entsteht nicht zwangsläufig aus einem Kind mit unsicherem Bindungsstil ein Erwachsener mit unsicherem Bindungsstil. Längsschnittuntersuchungen, in denen die Stabilität der frühkindlichen Bindung untersucht wurden, zeigen deutlich dass Bindungsstile keine Schicksale sind. “Zwar finden sich in einigen Studien Belege für eine Bindungskontinuität, aber die Hinweise auf Diskontinuität überwiegen. Das Bindungsmuster der Kleinkinder weicht vielfach von der Bindungspräsentation der 18-Jährigen ab. Das hängt damit zusammen, dass neben der ursprünglichen Bindungsorganisation des Kleinkindes die aktuellen Lebensbedingungen eine bedeutsame Rolle spielen, also z. B. die Frage, ob die Bezugspersonen unterstützend und verlässlich oder antagonistisch und chaotisch sind und mit den Bedürfnissen des Kindes nichts anfangen können. Auch aufgrund der fortschreitenden intellektuellen Entwicklung des Kindes entsteht die Fähigkeit, die eigenen Beziehungserfahrungen zu überdenken und zu bewerten, sodass Schlüsse gezogen werden, welche Art von Beziehung man sich wünscht. - 17 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Diese Schlussfolgerungen können das zukünftige Beziehungsverhalten beeinflussen” (aus Bierhoff/Rohmann; Bindungen in Partnerschaften, online - Familienhandbuch). 3.1.2 Bindungsstile in Partnerschaften Wie die Bindung zwischen Bezugsperson und Kind, präsentiert auch jede Partnerschaft verschiedene Bindungsstile. Diese Bindungspräsentation in Partnerschaften kann von vier Bindungsstilen in Partnerschaften ausgehen: Sicheren Bindungsstil Ängstlich-ambivalente Ängstlich-vermeidende Gleichgültig- Bs BS vermeidende Bs Positive Sichtweise des Negative Sichtweise des Negative Sichtweise des Positive Sichtweise des Selbst & des Partners Selbst & positive Selbst Selbst & negative Sichtweise des Partners Kann Nähe zulassen Ängstlich & daraufhin Sichtweise des Partners Angst vor Intimität Vermeidet Intimität verunsichert auf die Beständigkeit der Beziehung Empfindet Partnerschaft Fühlt sich zum Partner Vermeidet tiefergehende Betont eigene als emotional emotional hingezogen soziale Beziehungen Autonomie, empfindet unterstützend keine starke emotionale Abhängigkeit vom Partner Genau wie Bezugsperson - Kind - Bindungen eine sichere oder unsichere Bindung entwickeln, entsteht die Entwicklung von Bindungen in Partnerschaften. “Die Qualität der Bindung lässt sich entsprechend der Ausprägung von Bindungsangst und Bindungsvermeidung beschreiben: Jemand der hoch ängstlich und wenig vermeidend ist, weist einen ängstlich - ambivalenten Bindungsstil auf. Jemand, der sowohl hoch ängstlich als auch hoch vermeidend ist, ist ängstlich - vermeidend und jemand, der niedrig ängstlich und hoch vermeidend ist, wird als gleichgültig vermeidend gekennzeichnet. Untersuchungen zeigen, dass es für den Erfolg einer Partnerschaft (Zufriedenheit, Stabilität etc.) günstig ist, sich an den Partner sicher gebunden zu fühlen, und es zudem vorteilhaft ist, wenn der Partner einen sicheren Bindungsstil aufweist“ (aus Bierhoff/Rohmann; Bindungen in Partnerschaften, online - Familienhandbuch). - 18 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 3.1.3 Phasen und Aufgaben der Paarentwicklung Entsteht nun eine Bindung in einer Partnerschaft, “durch auf Gegenseitigkeit beruhenden Kontakt, der in einem mehr oder weniger großen Ausmaß an körperlicher Attraktivität, Einstellungsähnlichkeit, Bedürfniskomplementarität und Selbstenthüllung zum Ausdruck kommt“, müssen die Beteiligten immer wieder verschiedene Aufgaben und Phasen der Entwicklung bestehen (aus Oerter, Montada, S. 112, 2002, Beltz). Die Paarentwicklung zeigt fünf unterschiedliche normative Entwicklungsphasen mit jeweils spezifischen Entwicklungsaufgaben: Phasen der Paarentwicklung Entwicklungsaufgaben Paare in der Frühphase ihrer Beziehung - Lernen zusammenzuleben - Klärung der Aufgabenverteilung zwischen den Partnern - Abgrenzung gegenüber konkurrierenden Beziehungen - Sicherstellung des Lebensunterhaltes als Paar - Einigung zur Frage der Familienplanung Paare mit kleinen Kindern - Anpassung des Paarsystems an die Pflege und Betreuung eigener Kinder - Differenzierung zwischen Partner- und Elternrolle -Ausübung einer funktionsfähigen Elternallianz Paare mit älteren Kindern und Jugendlichen - Aufrechterhaltung einer stabilen und befriedigenden Paarbeziehung - Anpassung an den Beziehungswandel im Umgang mit älter werdenden Kindern - Entlassen der Kinder in die Eigenständigkeit Paare in der nachelterlichen Phase - Aushandeln eines neuen Verständnisses der Paarbeziehung -Neuorientierung des Lebensstils als Paar und Person -Integration neuer Aufgaben und Rollen im Kontakt mit den erwachsenen Kindern Paare in der späteren Lebensphase - Anpassung an veränderte zeitliche Rahmenbedingungen von Gemeinsamkeit nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben -Auseinandersetzung mit Gebrechlichkeit bzw. Tod des Partners -Klärung testamentarischer Verfügung gegenüber den Nachkommen (aus Oerter, Montada, 2002, S. 113,Beltz) Diese dargestellten Phasen der Paarbeziehung verlaufen hier natürlich optimal. Aufgrund der Entwicklungsverläufe und Wandlungsprozesse in den letzten Jahren, - 19 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz kommen verschiedene Varianten von Entwicklungsverläufen auf. Diese äußern sich als nicht - normative Entwicklungsverläufe von Paarbeziehungen, zum Beispiel durch nicht eheliche Paarbeziehungen oder Wiederverheiratungen. Die jeweilige Bewältigung der Entwicklungsaufgaben in den verschiedenen Phasen ist von großer Bedeutung für den Fortbestand des Paarsystems, egal welche Entwicklungsverläufe bestehen (aus Oerter, Montada, 2002, Beltz, S.112). 3.1.4 Literatur/Internet Bierhoff, Hans - Werner und Rohmann, Elke: Bindung in Partnerschaften. www.familienhandbuch.de Oerter, Rolf und Montana, Leo (Hrsg.): Entwicklungspsychologie, Beltz, 2002 3.2 Bindungsangst Bindungsangst und Verlustangst gehören unmittelbar zusammen: Um ein Gefühl der Verlustangst zu entwickeln, muss man zunächst das Gefühl der Bindung kennen. Angesichts der enormen gesellschaftlichen Bewegungen heutzutage (Flexibilität und Mobilität als Werte unserer Leistungsgesellschaft) bedeutet eine Bindung an einen anderen Menschen immer auch das Risiko, den Verlust desselben zu erfahren. Bei manchen Menschen führen Verlusterfahrungen in der Kindheit zu einer solchen inneren Leere, dass sie nicht mehr bereit sind, durch das Eingehen von Bindungen weitere Verluste zu riskieren. 3.2.1 Was bedeutet Bindungsangst? Wenn ein Mensch eine Bindung eingeht, so lässt sich diese bestimmen als der Lernprozess, gegenüber einem anderen Menschen Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen ist die Grundlage, um eine dauerhafte Beziehung mit wechselseitiger Verantwortung auf freiwilliger Basis aufrechtzuerhalten. Die erste Bindung zwischen Mutter und Kind dient als Modell für die spätere Entwicklung. Gelingt diese Beziehung nicht oder kommt es zu einer für das Kind schmerzhaften Trennung, bleibt immer eine Angst vor Abhängigkeit und damit Nähe und Bindung bestehen. Ursprünglich werden Menschen von einem Bedürfnis nach Nähe bestimmt. Lässt sich dieses Bedürfnis nicht erfüllen, wird der Schmerz darüber verdrängt. In extremen Fällen wird das Nähebedürfnis vom eigenen Ich abgekoppelt, um die verletzte Psyche zu schützen. Damit scheint der Wunsch nach Nähe kontrollierbar zu sein, und auch mögliche Abhängigkeitsängste werden so unter Kontrolle gebracht. 3.2.2 Wie äußert sich Bindungsangst? Bindungsangst äußert sich häufig in einer Neigung zu Eigenbrötelei und im unzureichend ausgeprägten Verantwortungsgefühl gegenüber Sozialpartnern - 20 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz (Familie, Freunden). Oft besteht auch eine Neigung zum häufigen und schnellen Wechsel von Bezugspersonen, zu denen meistens auch nur flüchtige und kurzzeitige Kontakte bestehen. 3.2.3 Wie wird Verlustangst erlebt? Üblicherweise setzt Verlustangst eine Bindungsfähigkeit voraus, kann also auftreten, wenn eine bestehende Bindung gefährdet erscheint, z.B. durch einen Dritten. Oft drückt sich dann Verlustangst durch Eifersucht aus, hat also mit einem labilen Selbstwertgefühl zu tun. 3.2.4 Wie drückt sich dies in der Sexualität aus? Da die Sexualität zwar die am stärksten bindende Kraft in einer Partnerschaft ist, gleichzeitig aber oft als abgespalten von Liebe und sonstigen stabilisierenden Faktoren der Partnerschaft gelebt wird, kann die Bindungsfunktion oft nicht aufrecht erhalten werden. Gerade hier wird die Zwiespältigkeit der Nähe-Distanz-Balance am deutlichsten, sodass Störungen der partnerschaftlichen Bindung sich meistens zuerst in der Sexualität zeigen, z.B. durch Angst vor oder Vermeidung von Nähe. 3.2.5 Eine Anekdote zur Nähe-Distanz-Balance "Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertag nahe zusammen, um durch die gegenseitige Wärme sich vor dem Erfrieren zu schützen. Bald jedoch empfanden sie die gegenseitigen Stacheln und entfernten sich wieder voneinander. Wenn dann das Bedürfnis nach Erwärmung sie wieder näher zusammenbrachte, wiederholte sich das zweite Übel, so dass sie zwischen beiden Leiden hin- und hergeworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten." (Arthur Schopenhauer) Redaktion Dr. med. Britta Bürger, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe 3.3 Wie die Erziehung spätere Partnerschaften beeinflusst Was Kinder für ihr späteres Leben vom Vater und was sie von der Mutter lernen, entscheidet weitgehend die Erziehung. Es richtet sich aber auch nach den individuellen Stärken der Eltern. Wer z.B. geduldig etwas vormacht, von dem wird eher etwas übernommen, als von dem ungeduldigen fordernden Elternteil. Fest steht: die Kinder lernen immer genau das, was die Eltern ihnen vormachen oder vorleben. Dabei ahmen Söhne eher ihre Väter nach und Töchter die Mutter. Das es nicht umgekehrt ist, liegt daran, dass Kinder sein wollen wie ihr Vorbild - und da ist eben der Vater Vorbild für die Identifikation des Sohnes und die Mutter für die Rollenfindung der Tochter. Es ist also gar nicht so verkehrt, sich die zukünftige Schwiegermutter oder den zukünftigen Schwiegervater anzusehen - denn einiges von deren Eigenarten hat der/die zukünftige Partner/in bestimmt. Auch die Art der Partnerschaft der Eltern hat großen Einfluss - nicht nur auf die kindliche Entwicklung, sondern auch ganz besonders auf die eigene Partnerschaft im späteren Leben. - 21 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 3.3.1 Psychologische Tipps - Negative Vorbilder - Reaktionsmuster im späteren Leben Kinder, die in einer unglücklichen Partnerschaft groß werden, deren Eltern z.B. viel streiten, erzeugen bei ihren Kindern hauptsächlich vier verschiedene Partnerschaftsmuster: 3.3.1.1 Harmoniesucht jeder Streit wird vermieden, es wird alles unter den Teppich gekehrt oder immer nachgegeben. Dahinter steckt die Angst, dass Streit nur etwas Negatives ist und jede Beziehung zerstört. Diese Menschen haben nicht gelernt, dass Streit etwas mit Auseinandersetzung auch im positiven Sinne zu tun hat, dass Harmonie "Erstritten" werden muss. In der Regel zerbrechen diese Partnerschaften aber gerade daran, dass es an Offenheit mangelt und jeder im geheimen unzufrieden ist. 3.3.1.2 Wiederholungszwang unbewusst sucht sich der erwachsene Mensch einen Partner/in mit der er/sie die gleiche Misere erlebt, wie die Eltern. Er handelt nach dem Motto "Lieber das bekannte Unglück als das unvertraute Glück". Er hält schlechte unbefriedigende Partnerschaften aus, weil er es von zuhause nicht anders gewöhnt war und gar nicht daran glauben mag, dass eine Partnerschaft auch befriedigend und glücklich sein kann. 3.3.1.3 Bindungsangst die Ehe der Eltern wurde als so beängstigend und verunsichernd erlebt, dass ein solches Kind - häufig noch während der Kindheit - mehr oder minder unbewusst beschließt: "Ich binde mich später nicht, dann kann mir auch niemand wehtun". Es fehlt das Urvertrauen in die eigene positive Bindungsfähigkeit - es überwiegt die Angst vor dem Verlassen, oder Verlassenwerden. 3.3.1.4 Abgrenzung die Kinder suchen sich im späteren Leben einen Partner/in, der/die das genaue Gegenteil des eigenen Vaters/Mutter ist und auch im eigenen Leben achten sie kritisch darauf, nicht so zu sein, wie die Eltern. Das setzt allerdings ein gesundes Selbstbewusstsein voraus und eine frühzeitige Distanzierung von den eigenen Eltern. 3.3.2 Allerdings: Kindheit ist kein unveränderliches Schicksal Um den eigenen elterlichen Vorbildern zu entkommen, bzw. die eigenen Bindungsängste aufzuarbeiten, muss ein erwachsener Mensch sich kritisch mit der eigenen Kindheit auseinandersetzen - eventuell mit Hilfe einer Therapie - und den Mut haben, eine Partnerschaft zu riskieren, in ihr eigene Fehler zu machen und daraus zu lernen. 3.3.3 Literatur Entwicklungspsychologie, Rolf Oerter, Leo Montada; 5 Auflage, Berlin 2002 - 22 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 3.3.4 Internet www.netdoktor.de , Dr. med. Britta Bürger, Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe www.familienhandbuch.de 3.4 Bindungsfähigkeiten / -Kompetenzen Eine glückliche Partnerschaft zu führen ist anspruchsvoll. Nicht nur körperliche Attraktivität, Persönlichkeitsmerkmale (Intelligenz, Alter,etc.), Schichtzugehörigkeit, Einkommen, Bildung, Religionszugehörigkeit oder die Liebe zum Zeitpunkt des Eingehens der Beziehung gewährleisten eine glückliche Partnerschaft. Um eine Partnerschaft zu führen sind individuelle Fähigkeiten und Kompetenzen notwendig, um Alltagsschwierigkeiten überwinden zu können und die Anforderungen der Partnerschaft zu meistern. Paare müssen imstande sein mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben umzugehen, Schwierigkeiten zu überwinden und an diesen Aufgaben wachsen zu können. Die wichtigsten Bindungsfähigkeiten / -kompetenzen sind: - angemessen miteinander kommunizieren zu können (Kommunikationsfähigkeit / -kompetenz) - Alltagsprobleme effizient zu lösen (Problemlösefähigkeit / -kompetenz) - Alltagsstress wirksam bewältigen zu können (Stressbewältigungsfähigkeit / -kompetenz) Der Umgang mit Stress spielt bei allen Punkten eine zentrale Rolle. Es gibt viele Paare, die angemessen miteinander kommunizieren und auch Probleme gut lösen können. Doch häufig fallen diese Kompetenzen unter Stress zusammen. Stress bewältigen zu lernen ist daher auch für die Aufrechterhaltung der beiden anderen Kompetenzen zentral Als erstes sollten Paare all den Stress reduzieren, welcher nicht unbedingt notwendig ist. Durch eine gute Organisation und Planung, Kooperation und umsichtige Festlegung der beruflichen, familiären und persönlichen Ziele kann eine Menge an Stress im Alltag reduziert werden. Zweitens sollten beide Partner allein und als Paar stressfreie Inseln aufbauen, d. h. Zeit definieren, an denen sie Zeit für sich und aneinander haben. Und drittens sollten sie lernen, wie sie wirksam mit Alltagsbelastungen umgehen können, indem sie diese Anforderungen realistisch wahrnehmen und interpretieren, sie positiv lösen und die Wirksamkeit des eigenen Handelns erkennen. Ein weiterer Punkt, der zur Erreichung des Beziehungsglücks von Bedeutung ist, betrifft die eigenen Erwartungen an die Partnerschaft und den Partner. Häufig sind - 23 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz diese Erwartungen sehr hoch, manchmal auch unrealistisch und für den anderen schwer zu erreichen. Ferner gilt es zu bedenken, dass sich beide Partner im Verlauf der Partnerschaft entwickeln. Diese Entwicklung kann mit den eigenen Erwartungen kollidieren oder diese Erwartungen an die Partnerschaft verändern und damit deren Erreichung erschweren oder verunmöglichen. Es gilt nicht nur, die Erwartungen an die Partnerschaft realistisch zu halten, sondern auch zu erkennen, dass eine Partnerschaft einer kontinuierlichen Entwicklung unterworfen ist und beide Partner miteinander Schritt halten müssen. Dazu gehört zum einen das Interesse für den anderen und seine Entwicklung, zum anderen jedoch auch die Fähigkeit, sich selber zu entwickeln und diesen Entwicklungsprozess beiden gleichermaßen zuzugestehen. Die Partner sollten nicht versuchen, den anderen nach den eigenen Vorstellungen formen oder verändern zu wollen. Verhaltensweisen oder Eigenschaften des Partners, die sehr störend sind und mit denen nur schwer gelebt werden kann, sollen angesprochen und der Wunsch nach Veränderung geäußert werden. Was allerdings nicht verändert werden kann, muss bis zu einem gewissen Grad akzeptiert werden. Durch diese Haltung wird Veränderung häufig einfacher möglich, weil kein Druck besteht, dem man nicht gewachsen ist oder gegen den man sich auflehnt. Eine glückliche Partnerschaft zu führen ist damit immer auch ein Balanceakt zwischen dem Stellen von Forderungen und dem Schließen von Kompromissen. Beides sollte möglich sein. 3.5 Der Einfluss der Herkunftsfamilien auf die Partnerschaft Die Herkunftsfamilien sind für die Partnerwahl und die Partnerschaft Erwachsener von großer Bedeutung, weil sie 1. partnerschaftliches Erbgut weitergeben 2. in der Kindheit und der Jugend durch Vorbild und Beispiel, durch Belohnung und Bestrafung wesentlichen Einfluss nehmen auf die Art und Weise wie Partner miteinander kommunizieren und Beziehung leben 3. meist lebenslang in engem Kontakt mit dem Paar stehen und als Quellen und Empfänger sozialer Unterstützung wie auch Reglementierung einen wesentlichen Bezugsrahmen darstellen. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern in auf- und absteigender Liste sind lebenslang meist enger als die zum Partner, was viel Konfliktstoff bietet. 4. auch über den Tod hinaus durch Vermächtnisse, Verfügungen und ihren Nachlass nicht selten erheblicher Vermögenswerte, aber auch durch psychologische Bindungen, für ihre Nachkommen Bedeutung haben können. 3.5.1 Erbgut und neuronale“ Programmierung“ Mittels neuronaler Bahnungen und Verschaltungen werden schon vor der Geburt Erfahrungen im Gehirn programmiert. So kann es sein, dass die Schwangere besonderen familiären oder anderen seelischen Belastungen ausgesetzt ist und damit die Belastungen (Stress) an das Ungeborene weitergibt, so dass sich die Risiken für eine Fehlentwicklung des Gehirns und der neuronalen Schaltungen im Gehirn des Ungeborenen erhöhen. So entwickeln Kinder mit einer erhöhten Stressbelastung während der - 24 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Schwangerschaft eine höhere Erregungsbereitschaft, indem die Stressgene in den Nervenzellen angeschaltet werden und ein neuronales Alarmsystem arrangiert wird. Solche Menschen neigen schon bei den geringsten Anlässen zu überschießenden Reaktionen und entwickeln im Laufe des Lebens umfassende Schutz- und Abwehrmechanismen. Dieses Verhalten steht einer positiven Lebensführung im Wege und ist bei der Partnerwahl hinderlich. 3.5.2 Einflüsse auf Persönlichkeit und Selbstbild Eltern, die stabile Persönlichkeitsmerkmale aufweisen, wie Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität und Ressourcenreichtum (die so genannten „ Big Five“) haben eine befriedigendere Paarbeziehung und verhalten sich ihren Kindern gegenüber konstruktiver. Damit fördern sie einen sicheren Bindungsstil und eine gesunde Entwicklung ihrer Kinder. 1 Eltern, die emotional irritiert sind neigen zu starker Behütung ihrer Kinder und geben ihren Kindern wenig positive Anregungen 2 Eltern die wenig verträglich sind neigen zu mehr negativen Emotionen und Disziplinierungsmaßnahem und provozieren bei ihren Kindern Trotz, Wut und einen unsicheren Bindungsstil 3 Eltern die ihre Kinder ablehnen, weil sie unerwünscht waren, oder unerwünschte Merkmale (Geschlecht, Aussehen etc.) haben, betreuen ihre Kinder weniger verlässlich und lassen sie öfter allein. Geschieht dies in den ersten drei Lebensjahren so fördern die Eltern beim Kind einen unsicheren Bindungsstil. Die Kinder sind anfälliger für Selbstwertprobleme, emotionale Irritierbarkeit, Depressivität, körperliche Beschwerden, Aggressivität und Kontaktschwierigkeiten, sowie für unbewusste Aufträge und Wiedergutmachungswünsche an den Partner. 4 Frühgeborene unterliegen in besonderem Maße solchen Risiken 5 Ebenso Kinder mit kritischen Lebenssituationen( Todesfälle in der Familie……) 3.5.3 Einfluss des Familientyps Unterschiedliche Familientypen sind: Scheidungs-, Stief-, Pflege-, oder Adoptivfamilien. Kommen Partner aus unterschiedlichen Familientypen, so steigert dies den Verständigungsaufwand und die Konfliktanfälligkeit, weil die einzelnen Partner unterschiedliche Perspektiven und Gewohnheiten mitbringen. Personen aus Scheidungsfamilien haben ein negativeres Frauen oder Männerbild. Die Trennungsrate bei Scheidungskindern liegt im Westdeutschen Bereich bei 118%. Dafür gibt es folgende Erklärungen: 1 Je jünger die Kinder je jünger wahrscheinlich die Eltern bei der Scheidung. Jüngere Mütter meistern die Scheidungsfolgen weniger gut als erfahrenere Mütter 2 Je jünger das Kind umso kürzer war die Dauer der Ehe. Das Kind hatte wenig Zeit eine gelungene Paarbeziehung zu erleben. 3 Kinder die früh eine Trennung miterlebten, halten Trennung für eine mögliche Form der Konfliktbewältigung - 25 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 3.5.4 Familiale Funktionsfähigkeit Familien und Paare brauchen bestimmte Vorraussetzungen, um gut funktionieren zu können: 1. eine Werteordnung mit zuträglichen Werten, Normen und Regeln, die untereinander kompatibel und von allen Angehörigen als gerecht empfunden werden. 2. Wissen der Mitglieder über einander und relevante Lebensbereiche 3. eine sinnvolle und klare Rollen-, Ressort- und Aufgabenverteilung 4. klare Grenzen nach außen und zwischen den Subsystemen 5. konstruktive Kommunikations-, entscheidungs- und Steuerungsstrukturen 6. konstruktive Beziehungen und verlässliche Bindungen, eine intakte Paarbeziehung der Eltern fördert vor allem in den frühen Phasen Selbstwertgefühl und Bindungsfähigkeit des Kindes 7. funktionsfähige Subsysteme mit kompetenten Angehörigen 8. zuträgliche Modellvorstellungen über familiale Kultur 3.5.5 Weitergabe familialen Erbes Die Weitergabe familialen Erbes geschieht im Rahmen alltäglicher Praxis mit den Kindern. Lernprozesse finden über Modelle, Belohnung und Bestrafung statt, aber auch über Stimmungen, die weitergegeben werden. In der Familie findet eine Weitergabe von Tradition, Ritualen, Tabus und Symbolen statt. Familiendynamische Probleme und andere Familienthemen finden auf diesem Wege Eingang in individuelles Denken. Dadurch entsteht eine Familienkultur. In Bezug zur Schwiegerfamilie ist es wichtig beide Kulturen aneinander anzupassen. 3.5.6 Literatur www.familienhandbuch, Peter Kaiser, Der Einfluss der Herkunftsfamilien auf die Partnerschaft 3.6 Bindungstypen / Studien Wie nun zahlreiche Studien belegt haben, prägt uns das frühe Bindungsverhalten unserer Bezugspersonen (Mutter ist meist Primäre Bezugsperson) Die hieraus resultierenden Bindungsverhaltensweisen zeigen Kinder in belastenden Situationen; wissenschaftlich im „Fremde-Situations-Test“ von Mary Ainsworth erfasst. Ein Bindungsmuster entwickelt sich in Reaktion auf das Verhalten, das die Bindungsperson dem Kind gegenüber zeigt. Der englische Psychiater und Psychoanalytiker John Bowlby wies als einer der Ersten auf die enorme Bedeutung der frühen Bindungsqualität für eine gesunde psychische Entwicklung hin. Anfang der 60er wurden Veröffentlichungen von der Fachwelt noch reserviert bis ablehnend aufgenommen. In den vergangenen 20 Jahren hingegen wurde eine Fülle an Studien durchgeführt welche Bowlbys Konzepte bestätigen: Die frühen Bindungserfahrungen beeinflussen in fundamentaler Art und Weise die späte Gesundheit, Stressresistenz sowie die Beziehungsfähigkeit von Menschen. - 26 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Auch das Forscherehepaar Karin und Klaus Grossmann, welches drei Jahrzehnte lang in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern Menschen von der Geburt bis ins Erwachsenenalter begleitet hat, gibt an: „Bindungen zu anderen entscheiden darüber, wie ein Mensch sich fühlt, wie er handelt, was er denkt und wie gesund er ist. Welche Qualität diese Bindungen haben, ob sie Sicherheit vermitteln oder eher Unsicherheit bewirken, das bahnt sich schon sehr früh an und beeinflusst das gesamte weitere Leben. Der enge Kontakt zwischen dem Säugling und seiner wichtigsten Bezugsperson legt den Grundstein für psychische Sicherheit oder Unsicherheit.“ Auch Erwachsene zeigen in schwierigen Lebenssituationen Bindungsverhaltensweisen wenn auch in „symbolischer und kulturell akzeptierter Form“, wie Karin und Klaus Grossmann schreiben. „Sie weinen nicht lauthals aber sie jammern und klagen. Sie schreien nicht nach einem Menschen, aber hängen sich vielleicht ans Telefon um Nähe herzustellen.“ Im Bildungsinterview für Erwachsene (Adult-Attachment-Interview, AAI- Mary Main, zus. mit Kaplan und George, 1985) beschrieben Erwachsene welche Beziehungen sie zu den Eltern als Sechs bis Zwölfjährige hatten (sowie ihr aktuelles Bindungsverhalten.) Bei der Auswertung wurde vor allem auf die Kohärenz des Geschilderten geachtet. Den vier kindlichen Bindungsmustern stehen sicher, unsicher (ängstlich)-ambivalent, unsicher(ängstlich)-distanziert und desorganisiert (Bindungsrepräsentation mit unverarbeitetem Trauma) im Erwachsenenalter gegenüber: 3.6.1 Sichere Bindung: Sicher gebundene Kinder sind zuversichtlich in Bezug auf die Verfügbarkeit der Bindungsperson. Die primäre Bezugsperson gilt als „feinfühlig“, sie stellt sich aufmerksam und differenziert auf die Bedürfnisse des Kindes ein. (Sie gibt dem Kind in der Regel das, was es braucht. Wenn es weint weil es hungrig ist, bekommt es zu essen. Wenn es jammert weil es Zuneigung braucht, bekommt es sie.) Die Bindungsperson wird als „sicherer Hafen“ wahrgenommen: den man verlassen kann und bei Gefahr jederzeit wieder aufsuchen kann, um Schutz und Geborgenheit zu erfahren. Erwachsene mit sicherem Bindungsstil haben eine positive Sicht von sich und ihren Mitmenschen. Sie betrachten andere Menschen als vertrauenswürdig und sehen Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft als gegeben an. In Beziehungen können sie Nähe gut zulassen. Sie wertschätzen ihren Partner. Sicher gebunden Personen haben die dauerhaftesten Liebesbeziehungen. Aussage Erwachsener dieses Typus: „Ich finde es ziemlich einfach, zu anderen Personen einen engen Kontakt herzustellen und ich fühle mich wohl, wenn ich von ihnen abhängig bin. Ich habe keine Sorge, verlassen zu werden oder dass mir jemand zu nahe kommen könnte“. 3.6.2 unsicher (ängstlich) - ambivalente Bindung: Kinder mit unsicher-ambivalenter Bindung wachsen mit Bezugspersonen auf, von denen sie nie wissen, woran sie sind. Mal überschütten diese das Kind mit Zuneigung und Liebe, mal ignorieren sie es völlig. Folglich haben dies Kinder sehr - 27 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz häufig Angst „vergessen“ zu werden. Sie können Trennungen von der bemutternden Person kaum verkraften: Sie schreien, klammern sich an und sind nur schwer zu beruhigen. Kümmert sich die Bezugsperson wieder um sie, reagieren sie oft aggressiv und wehren die Zuwendung ab. Kinder mit vielen unsicher-ambivalenten Bindungserfahrungen wachsen (nach der Beobachtung von Alberti ) zu Erwachsenen heran, die durchaus intensive Nähe zu anderen schaffen können, doch im nächsten Moment vor ihr flüchten. Sie pendeln zwischen Hingezogensein und Rückzug und versuchen innere Leere durch Ablenkungen, Arbeit und Suchtverhalten zu füllen. Aussage Erwachsener dieses Typus: „ Ich finde, dass es anderen widerstrebt, mir so nahe zu sein, wie ich es gerne hätte. Ich mache mir oft Gedanken darüber, dass mein Partner/ meine Partnerin mich nicht wirklich liebt oder nicht mit mir zusammen bleiben will. Ich möchte meinen Partner/innen sehr nahe sein und genau das verscheucht sie manchmal.“ 3.6.3 unsicher (ängstlich) - vermeidende Bindung: Ängstlich- vermeidenden Kindern fehlt die Zuversicht bezüglich der Verfügbarkeit der Bezugsperson. Sie haben häufig Zurückweisung erfahren und entwickeln die Haltung, dass ihre Wünsche grundsätzlich auf Ablehnung stoßen. Unsicher - vermeidend gebundene Kinder zeigten nicht, wenn sie in Trennungssituationen Angst oder Trennungsschmerz empfanden. In physiologischen Untersuchungen zeigte sich aber deutlich, dass diese Kinder unter enormen Stress standen. Erwachsene, welche von ängstlich – vermeidenden Bindungserfahrungen geprägt sind, haben in ihrem Leben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im späteren Leben Probleme mit Nähe. Enge Bindungen machen Angst, Kontakte werden lieber gemieden. Bindungsvermeidende wirken kühl und desinteressiert auf andere. In Wirklichkeit aber lassen sie andere Menschen lieber nicht so nah an sich heran weil sie fürchten, enttäuscht zu werden. Aussage Erwachsener dieses Typus: „ Wenn ich anderen nahe bin, fühle ich mich dabei etwas unwohl. Ich finde es schwierig, ihnen vollkommen zu vertrauen. Ich kann mir selbst nur schwer zugestehen, dass ich von ihnen abhängig bin. Wenn jemand mir zu nahe kommt, werde ich nervös. Manchmal möchten die Partner/innen in meinen Liebesbeziehungen von mir mehr Intimität, als mir angenehm ist.“ 3.6.4 desorganisierte Bindung: Die Forschung spricht von desorganisiertem Bindungsverhalten, wenn ein Kind in Konfliktsituationen stereotype motorische Verhaltensweisen zeigt, seine Bewegungen unterbricht und einige Sekunden lang erstarrt. Belastungen überwältigen das Kind derart, dass es gar nicht mehr weiß, wo es noch Sicherheit gibt. Erwachsene, welche diesem Bindungstypen zugeordnet werden, leiden unter ihrem unverarbeiteten Trauma (oder mehreren Traumata). Vermutlich sind sie erst nach erfolgreich absolvierter Therapie in der Lage Partnerschaftsbeziehungen einzugehen. - 28 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Insgesamt kann festgehalten werden, dass eine positive, sichere Bindung an die Eltern eine gute Grundlage für eine sichere partnerschaftliche Beziehung zu sein scheint. Das Ehepaar Grossmann gelangte nach langjährigen Studien zu dem Schluss: Kinder, die feinfühlige Eltern hatten, „entwickeln sich zu Erwachsenen, die selbst feinfühlig gegenüber den Bindungsbedürfnissen ihrer Partner sind und die Bindungsbeziehungen wertschätzen“. Karl- Heinz Brisch berichtet von einem weiteren Ergebnis der Bindungsforschung: Danach haben Mütter, die Bindungen für wertvoll halten, „mit 75% Übereinstimmung auch bindungssichere Einjährige. Umgekehrt zeigen die meisten Kleinkinder von bindungsabwertenden Müttern im Alter von einem Jahr ebenfalls psychische Unsicherheit. Die Weitergabe von Bindungssicherheit lässt sich auch für die VaterKind-Beziehung feststellen, „wenn auch nicht mit gleicher Intensität“, berichtet Brisch. Kann die früh entwickelte Bindungsqualität verändert werden oder ist Bindung Schicksal? Das Forscherpaar Grossmann gibt hierzu an, dass frühe Einflüsse den Weg zu psychischer Sicherheit oder Unsicherheit bahnen - „aber sie legen noch nichts fest“ - denn Bindung ist veränderlich! Ein bindungssicheres Kind kann im Laufe seines Lebens unsicher im Hinblick auf die Verlässlichkeit von Bindungen werden, wenn es im Leben mehrere enttäuschende Erfahrungen durchmacht.- Umgekehrt kann aus einem bindungsunsicheren Kind aufgrund mehreren positiven Erfahrungen ein psychisch sicherer Erwachsener werden, so Inge Seiffge-Krenke, Professorin für Psychologie an der Universität Mainz. (Studie Psychotherapie, Bindungsstile). Auch ein als positiv und unterstützend erlebter Liebespartner kann psychisch unsicheren Menschen zu neuen Beziehungserfahrungen verhelfen. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Ergebnis einer Studie über die Partnerwahl von psychisch sicheren Menschen: Nur 50% von ihnen wählen einen ebenfalls bindungssicheren Partner, die Hälfte verliebt sich in einen bindungsunsicheren Menschen. Und verhilft diesem somit vermutlich zu mehr psychischer Stabilität und Lebensglück. „Menschen jeden Alters wirken am Glücklichsten und nutzen ihre Begabungen auf die vorteilhafteste Weise, wenn sie die Gewissheit haben, dass mindestens eine Person hinter ihnen steht, die Vertrauen besitzt und ihnen zu Hilfe kommt, falls sich Schwierigkeiten ergeben“. ( John Bowlby) 3.6.5 Literaturangaben: Alberti, Bettina: DieSeele fühlt von Anfang an. Kösel. München 2004 Brisch ,Karl- Heinz: Bindungsstörungen. Von der Bindungstheorie zur Therapie. Klett-Cotta. Stuttgart 2003 (5.Auflage) Gloger-Tippelt, Gabriele: Das Adult-Attachment-Interview. Durchführung und Auswertung. In: Gabriele Gloger-Tippelt (Hrsg): Bindung im Erwachsenenalter. Hans Huber. Bern 2001 Grossmann Karin, Grossmann Klaus: Bindungen- Das Gefüge psychischer Sicherheit. Klett-Cotta. Stuttgart 2004 - 29 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Grossmann Karin, Grossmann Klaus (Hrsg): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie und – forschung. Klett-Kotta. Stuttgart 2003 Psychologie Heute. Titelthema: Bindungen. Januar 2005 3.7 Die Entstehung einer partnerschaftlichen Bindung Man schließt im Verlauf seines Lebens zahlreiche Bekanntschaften, sei es in der Schule, im Beruf oder im privaten Umfeld. Hierbei wirken äußere Rahmenbedingungen mit, da man z.B. im Kindergarten und in der Schule auf Gleichaltrige trifft, die oftmals aus dem gleichen räumlichen und somit auch sozialen Umfeld stammen. Befindet man sich in der Ausbildung, oder im Beruf, so trifft man auf Personen, bzw. Kollegen, mit denen man gleiche berufliche Interessen teilt. Murstein (1970) nennt in dem Zusammenhang zum einen die sogenannte „closedfield“ Situation, in denen äußere Umstände einen festen Rahmen vorgeben. „Closed- field“ Situationen finden beispielsweise am Arbeitsplatz, auf einer Party oder in einem Verein statt. Zwischenmenschliche Begegnungen, die solchen „closed- field“ Situationen zu geordnet werden können, folgen anderen Regeln als jene, die Murstein „open- field“ Situationen nennt. Im Unterschied zu den „closed- field“ Situationen vermisst man bei den „open- field“ Kontakten den zwingenden Rahmen des Kennen Lernens. Die Begegnungen, von z.B. Mann und Frau beruhen vielmehr auf Faktoren, die im Folgenden dargestellt werden. Das Statistische Bundesamt in Deutschland zählt 13.485.000 sogenannte SingleHaushalte. Manche Menschen sind auf der Suche nach einem Beziehungspartner erfolgreich, viele jedoch erleben bei der sogenannten Kontaktanbahnung herbe Enttäuschungen. Woran liegt es? Christiane Tramitz stellt die Entstehung einer Beziehung von Mann und Frau am Bild eines Filters dar: „ Beim ersten Kontakt filtern die Beteiligten Informationen übereinander. In mehreren Schichten werden dann die jeweiligen wichtigen Erwartungen hinsichtlich des Aussehens, des Charakters, der Weltanschauung und vieles mehr in einem - 30 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz gegenseitigen „Checking“ überprüft“ (Zitat aus Peter Kaiser, Partnerschaft und Paartherapie, S 34). Nach Givens (1978) sind es vier schleichende ineinander übergehende Phasen, die den Kontakt von Mann und Frau kennzeichnen. 3.7.1 Die erste Phase des Kontaktes: Die Aufmerksamkeitsphase In dieser Phase nehmen Äußerlichkeiten die zentrale Rolle ein, da der Betrachter zu Anfang über keine anderen Informationen verfügt. Weibliche, auf den Mann anziehend attraktive Merkmale sind z.B. große Augen, eine kleine Nasenregion, ein kleines Kinn und weit auseinandergesetzte Augen. Diese äußeren Merkmale fasst Konrad Lorenz unter dem Begriff des Kindchenschemas von Frauengesichtern zusammen. Frauen Gesichter, die diese kindlichen Merkmale aufweisen, sprechen beim männlichen Geschlecht dessen Beschützerinstinkt an. Andere als attraktiv geltende Merkmale, die dem Kindlichen gegenüberstehen und Reife verkörpern sind beispielsweise hervortretende Backenknochen und eingefallene Wangenpartien. Frauen zensieren Männer Gesichter als dann anziehend und attraktiv, wenn das männliche Gesicht in kraftvoll dominanter Weise Männlichkeit signalisiert (vgl. Cunningham, 1986), derb ist und ausgeprägte Wangenknochen hat (vgl. Guthric). Verfügt das Äußere eines Mannes jedoch über kindliche Merkmale, so wirkt dieses auf Frauen unmännlich. Folgende Kriterien charakterisieren den ersten Abschnitt des Kontaktes, die Stimulations- bzw. Aufmerksamkeitsphase: Die Prozesse, die bei der Wahrnehmung von Personen zur Geltung kommen, folgen in ihrem Fortgang den grundlegenden Wahrnehmungsprozessen. Die Person, die man wahrnimmt wird im Rahmen von gehirnlichen Ordnungsleistungen in Kategorien zugeordnet und stereotypisiert. Diese Ordnungsleistungen sind für die Verarbeitung und Übersicht bzgl. der Vielfalt von Reizen förderlich. Dieser Prozess dient u.a. auch der Gedächtnis Organisation bei Gesichtern (vgl. Langlois und Roggmann, 1990). Im Rahmen dieser Kategorisierungsprozesse findet ein sogenanntes „secret ranking“ statt. Bei diesem wird die Person, die man registriert, mit dem Prototyp des Idealpartners parallelisiert ( vgl. Zetterberg, 1966). Perper (1985) beschreibt diesen Prototyp als „inner ideal template“: „ Die scheinbare Gegenwärtigkeit dieses templates und das Verlangen, die echte Person nach diesem - 31 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Vorbild umzumodeln deuten an, dass dieses Template auch neurophysiologisch existent ist. Irgendwie- und welch ein Triumph wäre es zu erklären, wie. Enthält das menschliche Hirn in einer neurophysiologischen Form ein bestimmtes Protobild (etwa) einer Frau. Wird diese Frau gesehen, wird ein Template ein ungeheures Netzwerk von Gedanken und Emotionen auslösen“ (Zitat aus Peter Kaiser, Partnerschaft und Paartherapie.). Dieses Template ist eine Art Muster, das sich im Laufe des Lebens z. b. durch den Einfluss der Eltern, oder durch Assoziationen jeglicher Art mit vorangegangenen zwischenmenschlichen Erlebnissen und Erfahrungen gebildet hat. Natürlich spielt hierbei auch der Medieneinfluss eine elementare Rolle. Medien suggerieren und formen das Idealbild eines anziehenden, schönen und attraktiven Menschen. Treffen nun Mann und Frau aufeinander und die Frau passt z. b. in ein solches ideales Muster, so wird der Mann danach intendieren diese Frau kennen zu lernen. Während dieser Aufmerksamkeitsphase wirken demzufolge eine Vielzahl von Signalen wie z.B. gesichtliche, körperliche oder z.B. auch den Geruchssinn betreffende Komponente, aufmerksamkeitserregend. Eine Vielzahl von Untersuchungen indizieren, dass die Einschätzungsprozesse bei der Wahrnehmung von Personen in einer massiven Geschwindigkeit ablaufen. Ambady und Rosenthal (1992) belegen in ihrer Meta- Analyse, dass Mann und Frau nur wenige Sekundenbenötigen, um den anderen zu beurteilen. Damit Mann und Frau sich in die folgen Phase begeben können, muss folgende wichtige Basis vorhanden sein: Er muss erkennen, dass Sie Interesse signalisiert, und natürlich auch umgekehrt. Erst dann wird der Schritt in die zweite Phase eingeleitet. 3.7.2 Zweite Phase des Kontaktes: Die Erkennungsphase Es sind nach Mc Cormic und Jesser (1993) vordergründig die Männer, die den Kontakt aktiv in Form eines Gespräches einleiten. Frauen zeigen jedoch vor der eigentlichen Gesprächseröffnung eine außerordentliche Aktivität. Das weibliche Geschlecht verstärkt mit Hilfe von Signalen einerseits die männliche Aktivität, oder sie blockt diese mit Hilfe von Signalen ab. Moore (1985) führte die wohl detaillierteste Untersuchung dieser Signale durch. Er kam zu folgenden Ergebnissen: Hauptmerkmale dieser Signale sind Submission und Sexualität. Zu den weiblichen Aufforderungssignalen zählt primär das Blickverhalten. Dieses Verhalten lässt sich in drei Blickarten unterteilen und unterscheiden: - 32 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 1. Der gänzlich ungerichtete Blick, der in kürzester Zeit sämtliche Eindrücke sammelt, ohne dabei länger auf einer bestimmten Stelle zu verweilen. 2. Die „darting“- Blicke, kurze Blicke, die immer wieder zu derselben Person wandern, sind als Vorboten eines Werbeverhaltens zu verstehen. 3. Blicke, die länger als drei Sekunden dauern. Solche Blicke erhalten eindeutigen Aufforderungscharakter. Bei der Kontaktanbahnung spielen auch die Augenbrauen eine wichtige Rolle. Grammer et al. (1988) messen dem schnellen Heben der Brauen die Funktion eines Ausrufungszeichens zu, nach dem Motto: „ Pass auf, was ich jetzt mache, ist wichtig“. Weitere weibliche Signale sind u.a.: 1 Ein ausgesprochen wirkungsvolles Lächeln, wobei Ekmann et al. (1988) in diesem Zusammenhang 17 verschiedene Formen des Lächelns unterscheiden. Es gibt dem zu folge das spöttische, schadenfreudige, das ängstliche, das beschwichtigende, das freundlich gesonnene.... Lächeln. 2 Das ruckartige Zurückwerfen des Kopfes („head- toss“ genannt). Hierbei wird das Kinn nach vorne geschoben und die Brauen leicht angehoben. 3 Selbstberührungen jeglicher Art, wenn z. B. Kleider geglättet werden 4 Das sogenannte „Lip pout“, hier werden die Lippen leicht zusammen gepresst nach vorne geschoben, um voller zu wirken. 3.7.3 Die dritte Phase des Kontaktes: Die Gesprächsphase Die dritten Phase kann ein besonders kritischer Abschnitt der Kontaktanbahnung darstellen, denn die Person, die das Gespräch beginnt ( Bebachtungen in z.B. Bars und Diskotheken haben ergeben, dass in der Regel der Mann das Gespräch beginnt ( vgl. Perper, 1985)) zeigt einerseits ihr offensichtliches Interesse an ihrem Gegenüber, andererseits gibt sie mit der Gesprächseröffnung auch sehr viele Informationen preis, wie z.B. die Qualität ihres Gesprächsinhaltes, die Stimme ( laut, leise, schrill..) ein eventueller Dialekt. Diese Informationen können folglich den - 33 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Einschätzungsprozess des Gegenübers positiv oder auch negativ beeinflussen. Weitz (1974) sieht in der Gesprächseröffnung des Mannes ein Intendieren nach Dominanz und Superiorität. Dieses männliche Streben nach Dominanz und Überlegenheit wird in der Art und Weise der Gesprächseröffnung gefestigt. Cunningham, (1989) und Kleinke et al. (1986) beschreiben vier unterschiedliche Strategien der Annäherung: 1. „Es ist mir unangenehm, es Dir so direkt zu sagen, aber ich will Dich kennen lernen“. Diese Taktik ist die direkteste, meistens ist sie verbunden mit einer gewissen Emotionalität und Selbstenthüllung. 2. „Hallo, schönes Wetter heute“. Einerseits klingt diese Form der Anrede belanglos und banal, jedoch ist die einzige und zudem sehr bedeutungsvolle Information hierbei die Preisgabe von Stimme, Tonfall und Interesse am anderen. 3. „Morgen Abend wirst Du wieder an diesem Ort sein, und ich werde Dir die Attraktion der Stadt zeigen“. Diese Strategie wird von Männern sehr selten eingesetzt, denn Frauen erkennen oft hinter dieser Äußerung ein männliches Streben nach Dominanz. 4. „Hallo, ich heiße Tom, und wie heißt Du?“. Diese Taktik wirkt zwar scheinbar auf den ersten Blick langweilig, sie ist jedoch die am erfolgsversprechendste. Der weitere Gesprächsverlauf ist durch einen ritualähnlichen Schlagabtausch von Frage und Antwort gekennzeichnet, bei welchem Mann und Frau das Interesse füreinander bekunden. Charakteristisch für diesen Wortwechsel ist zudem, dass die ersten Wörter weniger dem konkreten Informationsaustausch als vielmehr der Intensivierung des Kontaktes dienen. Es findet demzufolge zwischen Mann und Frau eine indirekte Form der Konversation statt, die Malinowsky als „phatische Kommunikation“ bezeichnet. Die Frau nimmt bei diesem ersten Wortwechsel eine dominante Rolle ein, da sie anfangs den aktiven Part dieser Konversation übernimmt. Sie motiviert den Mann zum Sprechen durch non verbales Verhalten, wie z.B. durch ihr Nicken, vor allem jedoch durch ihre Blicke. - 34 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 3.7.4 Die vierte Phase des Kontaktes: sexuelle Erregungsphase Um die vierte Phase des Kontaktes erreichen zu können, ist es essentiell notwendig, dass die ersten drei Phasen im gegenseitigen Einverständnis durchschritten wurden, und sich dem Näherkommen keine wesentlichen Hindernisse entgegenstellten. In dieser Phase spielt die Sexualität eine elementare Rolle. Jedoch sind es Berührungen, die diese Phase zu einem außerordentlich diffizilen Abschnitt im Werbeverhalten machen, da Frauen und Männer äußerst divergent auf Berührungen reagieren. „Männer suchen den Kontakt, Frauen hingegen versuchen ihn zunächst zu vermeiden, zumindest wenn sie persönlich mit der Berührung konfrontiert werden“ (Zitat, aus Peter Kaiser Partnerschaft und Paartherapie, S. 49, Anderson et al., 1987). Ein wichtiger Aspekt bei dieser Phase des Kontaktes ist die unterschiedliche Zielsetzung von Mann und Frau. Der z.B. männliche Werbepartner verfolgt möglicherweise das Ziel einer kurzen Partnerschaft, eines sexuellen Abenteuers, der weibliche Werbepartner sucht jedoch nach einer langfristigen Partnerschaft.... Eine Vielzahl von Interviews lassen kommen, dass Männer Buss und Schmitt (1993) zu dem Ergebnis annähernd Partnerschaften bevorzugen. kurzfristige und Frauen langfristige Verfolgen Männer das Ziel einer nur kurzfristig orientierten Partnersuche, so wählen sie folgende Strategien: 1 Zahlreiche sexuelle Bekanntschaften eingehen, was einen möglichst geringen Werbeaufwand impliziert 2 Die Aufmerksamkeit jenen Frauen zuwenden, die sich sexuell freizügig geben, Spröde und zurückhaltende Frauen sind uninteressant. Ein entsprechend aufforderndes Verhalten, zu dem auch Berührungen zählen, wird von diesen Männern bevorzugt. ( vgl. S. 50 Peter Kaiser, Partnerschaft und Paartherapie). Sind Männer jedoch auf der Suche nach einer langfristigen Partnerschaft, so verfolgen sie weniger schnell das Ziel einer sexuellen Vereinigung. Frauen, die in ihrem Verhalten dem Mann gegenüber zu deutlich und zu schnell ihr sexuelles - 35 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Interesse offen baren, werden von diesem eher abgelehnt, dabei ihnen die Angst vor einem weiblichen Seitensprung zu groß ist. Doch nicht jede Frau, die einen offenherzigen Kleidungsstil bevorzugt und deren Umgang mit Männern extravertiert und von Temperament geprägt ist, ist zwangsläufig auf der dringenden Suche nach einer langfristigen Partnerschaft, oder nach einem kurzen sexuellen „ Abenteuer“, Missverständnisse zwischen den Geschlechtern vorprogrammiert. 3.7.5 Literatur Peter Kaiser, Partnerschaft und Paartherapie 3.7.6 Referenten • Ezeliora, Willia • Hein, Nadine • Engels, Irene • Hartung, Melani • Hellmich, Jessica • Esser, Sylvia - 36 - sind daher zwangsläufig Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 4 Beendigungen von Partnerschaften 4.1 Einführung Jeder von uns hat schon mal eine Partnerschaft beendet. Für manche war das einfacher nach dem Motto: „ Ich bin frei für ein neues“, aber für viele ist die Trennung sehr schmerzhaft verlaufen. Frauen haben oftmals bessere Beziehungen zu Eltern und Freunden und erfahren daher in Krisenzeiten mehr Unterstützung. Männer dagegen sind oftmals sehr abhängig von der Beziehung zu einem einzigen Partner. Das endet dann schnell fatal. Aber zweifellos kann auch bei Frauen die Liebe den Lebenswillen ausschalten. Sexualforscher Schmidt sagt das auch nach vielen Trennungen, empfinden sich die wenigsten als Versagen in Liebeselingen, eher als Streßende. Der Reihe nach stellen sie versuche an, um desto besser die, endgültige Wahl treffen zu können – auch wenn es dann oft beim Herumprobieren bleibt. In der Hamburger Studie wünschen sich 83 Prozent der 30-Jährigen ausdrücklich, mit ihrem Partner „ein Lebenslang zusammenzubleiben“. Die US – Anthropologin Helen Fischer hat Menschen untersucht, die kurz zuvor verlassen worden waren und dabei hat sie beobachtet zwei Gefühle: Wut und Verzweiflung. Tatsächlich durchläuft, wer verlassen wird, zwei sehr unterschiedliche Phasen. Zunächst kommt eine Phase des Protestes, man versucht, den Partner zurückzubekommen. Das Ende der Beziehung treibt das Dopamin – System im Hirn zu Höchstleistungen an, weil die Belohnung ausbleibt. Ungeahnte Energien werden frei. Der Ex – Partner wird nochmals zum Mittelpunkt allen Handelns, die Liebe intensiviert sich noch. Um mit Plato zu sprechen: „Der Gott der Liebe ist dem Mangel allzeit zugesellt“. Frau Fischer nennt das Frustrationsattraktion. Im Extremfall kann sie sogar im Hass umschlagen. Aber Hass und Wut können dem Verlassenen auch dabei helfen, sich aus der Bindung zu lösen und nach anderem Partner Ausschau zu halten. Zuvor allerdings findet häufig noch eine Phase tiefer Verzweiflung statt. Die ganze Welt ist grau, niemand ruft an. Viele Liebende fallen in Depressionen, wenn sie verlassen werden. Aber auch Depression einen evolutionären Sinn haben kann. Eine Depression jedoch ist ein glaubhaftes Zeichen an die Außenwelt, dass etwas richtig im Argen liegt. Außerdem erleichtern manche Depressionen die Selbsterkenntnis. Leicht depressive Menschen können sich selbst und andere realistischer einschätzen. In Rahmen dieser Thema haben wir einer reihe von Interviews durchgeführt, und unterschiedliche Meinungen über die Trennung gehört aber für aller gab es einer Tricks um den oder die Verlassene schneller zu vergessen am besten alles verbannen was an die Ex – Liebe erinnert, aus ihrem Leben. Keine Briefe, keine Karten, auf keinen Fall anrufen! Spiegel – Gespräch „Der Stärkste Trieb der Welt“ Der Spiegel 9/2005 - 37 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 4.2 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Auswertung des Interviews Interviews mit Menschen im Alter zwischen 17 und 61 Jahren 4 Männer und 11 Frauen Beendigung per Brief: 1 Mal nach 2 jähriger Beziehung und 1 Mal nach 20 Jahren Ehe abgehauen und Brief hinterlassen Im Gespräch: 8 Mal (Beziehung über: 1 Monat; 6 Monate; 1,5 Jahre; 2 Jahre; 3 Jahre; 2 Mal 4 Jahre; 8 Jahre) Per SMS: 1 Mal (nach 5 Monaten Beziehung) Per Telefon: 4 Mal ( 1 Mal aufgrund einer Fernbeziehung über 2 Jahre, 2,5 Jahre, 1 Monat, 4 Monate ) Offen für neue Beziehung: 6 Mal (unabhängig davon wer Schluss gemacht hat) Niedergeschlagen und unfähig für Neues: 9 Mal Diejenigen die Schluss gemacht haben fühlten sich zwar erst einsam und vermissten ihren Partner, jedoch war es nur die fehlende Gewohnheit und bereuten ihre Entscheidung nicht, da sie etwas anderes von einer Beziehung erwarteten. Bei den restlichen beruhte es 2 Mal auf beiderseitigem Einverständnis. 1 Mal wurde ein Psychiater beansprucht um über den Trennungsschmerz hinweg zu kommen und nach 2 Jahren konnte er sich erst wieder auf eine neue Beziehung einlassen. 1 Mal fanden die Partner nach 6 Monaten wieder zueinander. 4.3 Gründe für die Beendigung von Beziehungen aus dem Buch „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ von Allan und Barbara Pease Im oben genannten Buch geht es um die kleinen, aber bedeutsamen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Gleichzeitig werden Gründe geliefert warum Beziehungen scheitern. Beispiele hierfür: − Frauen und Männer sind unterschiedlich. Sie leben in unterschiedlichen Welten, haben andere Wertvorstellungen und gehorchen anderen Gesetzmäßigkeiten. Dies ist der Grund für so manche Auseinandersetzung. Etwa die Hälfte aller Ehen enden vor dem Scheidungsrichter und ein Großteil aller ernst gemeinten Beziehungen scheitert, bevor sie so richtig in Gang gekommen sind. - 38 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz − In Bezug auf Stärken, Talente und spezielle Fähigkeiten haben sich das weibliche und das männliche Gehirn sehr unterschiedlich entwickelt. Männer waren früher für das Jagen und das Erlegen von Beute verantwortlich, folglich entwickelten sie auch keine großen Gehirnbereiche für den Umgang mit ihren Mitmenschen. Frauen hingegen hatten die Aufgabe der Nesthüterin. Sie waren auf effektive kommunikative Fähigkeiten angewiesen. Daher kommt es, dass Frauen gerne über ihre Probleme reden, Männer dagegen schweigsam sind, wenn es um Gefühle geht. − Frauen sind wandelnde Radarstationen. Sie nehmen sofort wahr, wenn etwas in ihrer Umgebung oder mit ihrem Umfeld nicht stimmt. Untreue Ehemänner, die von ihren Frauen ertappt wurden, macht diese Fähigkeit seit Jahren ratlos. − Wenn Männer unter Druck stehen, schütten sie sich mit Alkohol voll und ziehen gegen andere Länder in den Krieg; Frauen naschen lieber Schokolade und gehen zum Einkaufsbummel. − Männer gehen gerne mal abends nach der Arbeit zusammen fort, um „in Ruhe ein Bierchen“ zu trinken, und genau das herrscht dann auch: Ruhe. Wenn ein Mann mit einer Frau zusammen ist, denkt diese, dass er sich absondert, schmollt oder einfach keine Lust hat, an ihrem Gespräch teilzunehmen. − Das weibliche Gehirn ist auf das Verwenden von Sprache als wichtigstes Ausdrucksmittel programmiert, und darin liegt eine seiner Stärken. Wenn ein Mann 5 oder 6 Sachen zu erledigen hat, wird er sagen: „Ich habe noch ein paar Dinge zu tun. Wir sehen uns später“. Eine Frau dagegen wird jede Sache einzeln und in willkürlicher Reihenfolge aufzählen und dabei alle Möglichkeiten und Eventualitäten erwähnen, und das in voller Lautstärke. Das ist einer der Gründe, warum Männer Frauen vorwerfen, dass sie zuviel reden. − Männer sagen direkt was sie denken. Frauen hingegen sprechen eher indirekt. Aus diesem Grund behaupten Männer, Frauen würden nur um den „heißen Brei“ herumreden und verstehen daher nicht, dass diese indirekte Ausdrucksweise einem ganz bestimmten Zweck dient. Sie hilft, Beziehungen zu festigen, indem Aggressionen, Konfrontation und Unstimmigkeiten vermieden werden. Zwischen Frauen schafft die indirekte Ausdrucksweise Harmonie. Meistens funktioniert sie jedoch nicht bei Männern, denn die verstehen die Spielregeln nicht. − Die Sprache der Frauen ist emotional, die der Männer wörtlich. − Männer haben ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen, Frauen hingegen ein beschränktes. Einer Frau sollte man nie Richtungsangaben wie „Fahren Sie Richtung Süden“ oder „Halten Sie sich 5 km lang westlich“ geben, weil bei ihr der eingebaute Kompass fehlt. Statt dessen sollte man sich lieber auf bekannte Orientierungspunkte beziehen: „Fahren Sie am Mc Donalds vorbei, und halten sich dann Richtung Kreissparkasse“. Daher sollte man z. B. einer Frau nie eine Straßenkarte in die Hand geben und erwarten, dass sie diese lesen kann. Grade diese Situation führt bekannter Weise zu häufigen Streitigkeiten. - 39 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz − Frauen können Fehler eingestehen, Männer versuchen sich rauszureden. Beispielsweise fährt ein Mann, wenn er sich verfahren hat lieber stundenlang durch die Gegend, eine Frau würde einfach nach dem Weg fragen. − Männer wollen Ergebnisse, sie wollen Ziele erreichen, Status und Macht, die Konkurrenz schlagen und, ohne lange zu fackeln, zum Wesentlichen vordringen. Das Bewusstsein der Frauen konzentriert sich mehr auf Kommunikation, Zusammenarbeit, Harmonie, Liebe, das Miteinander und die Beziehungen der Menschen zueinander. Dieser Gegensatz ist so groß, dass es an ein wahres Wunder grenzt, dass sich Frauen und Männer überhaupt daran wagen, ein gemeinsames Leben zu versuchen. − Männer definieren sich seit jeher über ihre Arbeit und ihre Leistungen, während Frauen ihr Selbstwertgefühl aus der Qualität ihrer zwischenmenschlichen Beziehung ableiten. Wenn eine Frau Probleme mit ihren zwischenmenschlichen Beziehungen hat, kann sie sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren. Wenn ein Mann an seinem Arbeitsplatz unzufrieden ist, kann er sich nicht auf seine zwischenmenschlichen Beziehungen konzentrieren. − Frauen verlassen einen Mann nicht, weil sie unglücklich sind, was er ihr zu bieten hat, sondern weil sie emotional nicht ausgefüllt sind. − Für eine Frau ist das Ausgehen in ein Restaurant eine Art, Beziehungen zu festigen, Probleme zu diskutieren oder einer Freundin Mut zuzusprechen. Für Männer ist es eine praktische Art und Weise, mit Essen umzugehen - kein Kochen, kein Einkaufen oder Abspülen. − Für Frauen ist Einkaufen wie Reden, es muss keinen speziellen Anlass oder Grund geben, sie müssen auch kein Ziel im Auge haben, und es kann sich durchaus über mehrere Stunden hinziehen. Diese Art des Einkaufens führt beim Mann nach spätestens 20 Minuten zu einem Kurzschluss im Gehirn. Für einen Mann muss das ganze einen Sinn haben, ein Ziel und einen Zeitrahmen. − Der Geschlechtstrieb einer Frau wird ganz entscheidend von den Ereignissen in ihrem Umfeld bestimmt. Wenn sie Angst hat, gefeuert zu werden, die Kinder krank sind oder ihr Hund der weggelaufen ist, wird Sex das allerletzte sein, wofür sie sich interessiert. Sie sehnt sich danach, ins Bett zu gehen und zu schlafen. Passiert das gleiche einem Mann, ist Sex für ihn wie eine Beruhigungstablette: eine Methode, die tagsüber aufgestauten Spannungen abzubauen. Am Ende eines Tages passiert dann folgendes: Er macht sie an, und sie schimpft ihn einen gefühllosen Schwachkopf; er bezeichnet sie als frigide, und prompt bekommt er einen Schlafplatz auf der Wohnzimmercouch zugewiesen. − Männer wollen Sex, Frauen wollen Liebe. Damit eine Frau das Verlangen nach Sex verspürt, muss sie sich geliebt, bewundert und wichtig fühlen. Genau hier liegt das Problem. Ein Mann braucht Sex, bevor er sich auf Gefühle einlassen kann. Unglücklicherweise ist es für eine Frau nötig, dass er sich zuerst gefühlsmäßig öffnet, bevor sie auch nur den leisesten Wunsch - 40 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz nach Sex verspürt. „Der Sex ist der Preis, den Frauen für die Ehe zahlen. Die Ehe ist der Preis, den Männer für den Sex zahlen“. Wenn einem erstmal die Unterschiede zwischen Mann und Frau deutlich werden, ist es verständlich warum so viele Beziehungen zwischen Mann und Frau scheitern. Auch wenn man glaubt, dass sich Frauen und Männer in ihrer Art immer ähnlicher werden, bleibt doch der kleine, aber bedeutsame Unterschied bestehen. 4.4 „Ich verlasse dich“ „Ich verlasse dich“ -es gibt wenige Worte, die weniger fassbar für uns sind als diese drei. Wenn sie von unserem Partner geäußert werden, gleichgültig, ob behutsam, aus einer Wut heraus oder in Form einer SMS oder eines Zettels, den er lieblos hinterlassen hat, dann stützen wir in eine Trennungskrise. Dann beginnt für uns ein langer Weg bis zur Bewältigung dieser Krise. Nur wer schon während der bestehenden Partnerschaft Trauerarbeit geleistet und sich innerlich von seinem Partner verabschiedet hat, gerät nach der Trennung nicht in emotionale Schwierigkeit. Man soll sich bewusst mit den Schmerzen und Konsequenzen der Trennung auseinandersetzen. Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Doch Schritt für Schritt klappt das gut. Wenn Sie weinen oder schreien möchten, dann machen Sie das, lassen Sie Ihren Gefühlen freien Lauf( am besten ohne Zeugen )und nach diesem Motto:“ Eine Stunde trauern, den Rest powern“. Frauen haben in der Trennung einen Riesenvorteil im Gegensatz zu den Männern und zwar sie können nämlich stundenlang mit ihren Freundinnen über ihre Probleme quatschen. Und während sie das tun, lackieren sie ihre Fußnägel, essen u. s. w. Ist dies eine Therapie für Herz und Bauch, sollte sich ihr Kopf sinnvollerweise die Gründe der Trennung vor Augen halten. Schreiben Sie doch einmal auf, was gut und was schlecht an Ihrer Beziehung war, was Sie vermissen werden und was Sie noch nie an ihm/ ihr leiden konnten. Das hilft auch, in künftigen Beziehungen die gleichen Fehler zu vermeiden. Vor allen, wenn Sie- ehrlich wie Sie sind- feststellen müssen, dass Sie nicht ganz unschuldig an der ganzen Sache sind. Nur mit ehrlicher Selbstkritik und- analyse wird beim nächsten Mann/ Frau garantiert alles anders. Sich nicht als Trennungsopfer zu fühlen und aktiv die Trennung zu verarbeiten bedeutet letztlich auch, sie zu akzeptieren. Erst wenn Sie das geschafft haben, ihn/ sie also für immer und ewig aus der „Abteilung Liebe“ ihres Herzens in die Abteilung „Schöne, wenn auch schmerzhafte Erinnerung“ verbannt haben, sind Sie wirklich über ihn/ sie hinweg. Der Weg dahin dauert- je nach Intensität der Liebesbeziehung bis zu einem Jahr, manchmal auch nur vier- fünf Wochen. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da haben Sie die Nase voll von Liebeskummer und Selbstmitleid. Dann können Sie an ihn/ sie und ihre Beziehung denken, ohne dass es weh tut. Sie können ein Päckchen mit ihm/ ihr und den Erinnerungen packen, hinter sich werfen und sagen: „Bye bye, ab heute ohne dich! Und sich wieder neu verlieben. Nur die wirklich hoffnungslose Fälle- brauchen dazu eine Eheberatung, eine Trennungshilfe oder eine Psychologencouch, aber dazu zählen Sie ja sicher nicht. - 41 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 4.5 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Die Interviews 1. weiblich 24 Jahre , Ich habe mich nach 1 1/2 Monaten von meinem Freund getrennt. Anfangs, vor unserer Beziehung waren wir nur gute Freunde, doch ich dachte ich hätte ihn mehr als lieb und so versuchten wir es miteinander. Leider stellte sich für mich heraus, dass es doch mehr Freundschaft war als Liebe u trennte mich. Im ersten Moment bereute ich es,da ich ihn sehr verletzt hatte,doch letztendlich fühlte ich mich auch befreiter da ich mir nichts mehr vormachen musste.Mittlerrweile ist ein Jahr vergangen und wir haben wieder eine super Freundschaft." 2. männlich 25 Jahre , Ich wurde nach 2 1/2 Jahren Beziehung von meiner Freundin verlassen, wegen einem Anderen. Am telefon! Es war für mich die Hölle, da ich dachte die Frau fürs Leben gefunden zu haben. Ich habe sie angerufen, mehrmals, um noch mal über alles zu reden, doch sie ließ sich verleugnen. Ich ging auf ihre Arbeit, doch sie blockte ab und schmiss mich raus. Es folgte eine Zeit von Depressionen und schlaflosen Nächten, wie sogar Gespräche beim Psychologen und Behandlung mit Antidepressiva und Schlafmitteln. ! 1/2 Jahre war ich am Boden. Heute bin ich in einer neuen, glücklichen Beziehung. Habe meine Ex vor gut einem Jahr in einer Kneipe wiedergetroffen und wir haben uns gut verstanden. Jedoch seither nie wieder was voneinander gehört. Damals war ich 22 Jahre. 3. Weiblich 23 Jahre , Ich habe nach 1 1/2 J. meinen Freund verlassen. Damals war ich 16 und er 21. Aufgrund von Eifersucht und nicht angemessenen Umgangs seinerseits wollte ich nicht mehr.Zuerst war ich traurig ,weil es meine erste große Liebe war,doch dann bereute ich nichts und merkte das ich viel mehr Spaß und weniger Sorgen ohne ihn hatte. Seither haben wir so gut wie keinen Kontakt mehr. Beim letzen Treffen auf einen Kaffee dachte ich nur, dass es ein ziemlicher Blödmann sei." 4. Weiblich 22 Jahre ,, Ich hatte eine Bez über 4monate, doch wurde sie auf beiderseitigen Einverständnis beendet. Wir sind einfach zu schnell auf einer Party zusammen gekommen und haben uns genauso schnell gemerkt, dass die Gefühle nicht ausreichen. Ich bin glücklich, jedoch mag ich das ,,Single sein" nicht und möchte schnell wieder eine neue Bez." 5. männlich 21 Jahre Ich habe meinen Freund nach 9 Mon. verlassen. Wir haben über alles gesprochen und er hat mir zu verstehen gegeben dass er noch nicht bereit für eine feste Bindung sei. Als erstes war ich traurig, aber ich wusste dass es das richtige war. Trotz allem habe ich tagelang geweint, aber habe gemerkt, dass sogar Ablenkung nichts nützt. - 42 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Danach habe ich mich ausgetobt, jedoch im Hinterkopf immer nach einer neuen Bez gesucht.Jetzt habe ich keinen Kontakt mehr und das ist auch gut so." 6. weiblich 19 Jahre ,,Ich habe nach 2 Jahren mit meinem Freund Schluss gemacht, und zwar per Brief. Es hat einfach was gefehlt in der Bez. Nach der Trennung war ich glücklich wieder frei zu sein, jedoch nicht offen für eine neue Bez., sondern Affären oder ONS. Heute denke ich trotzdem gern an die Zeit zurück, und danke meinen Freunden die mir in der Zeit beigestanden haben." 7. weiblich 23 Jahre ,,Ich habe nach 4 J. Bez mit meinem Freund Schluss gemacht. Ich habe es ihm im Gespräch gesagt. Hinterher war ich trotz allen nicht fähig eine neue Bez einzugehen." 8. Weiblich 20 Jahre ,,Ich hab nach 4 1/2 Jahren Fernbez, mit meinem Freund Schluss gemacht. Angesicht zu Angesicht. Jedoch verlief die Trennung über 2 1/2 Monate. In der letzen Trennungswoche waren wir noch zus im Urlaub und haben dort endgültig beschlossen das Schluss ist. Zwar hatten wir vorher schon Pausen, jedoch immer wieder neue Versuche gestartet. Der Grund für die Trennung waren viele Kleinigkeiten, Gewohnheiten und das Alter. Zu jung. Es war einfach für mich loszulassen, da ich mich vorher schon damit abgefunden habe .Heute schreiben wir noch E-Mails und 4 Mon. danach hab ich mich ausgetobt.Will jedoch noch keine neue Bez." 9. männlich 24 Jahre ,,sie hat mich nach 2 1/2 Jahren per Telefon verlassen.Der Grund dafür war, dass sie sich durch ihr Auslandspraktikum von mir entfernt hatte. Meine Freunde waren danach für mich da und zu ihr habe ich immer noch Kontakt." 10. weiblich 61 Jahre ,,Wir haben uns nach 18 Jahren geschieden. Im Gespräch sind wir beide dazu gekommen, dass es nicht mehr geht. Freunde standen mir in der Zeit zur Seite und die Bindung ist geblieben. Jedoch freundschaftlich." 11. weiblich 32 Jahre ,,Ich habe mich nach 1 1/2 J von meinem Freund getrennt.Danach standen mir Freunde und Familie zur Seite. Der Kontakt wird teils gehalten. Bin jedoch noch nicht offen für alles, für was neues!" 12. weiblich 41 Jahre ,, Ich habe mich nach 20 J. von meinem Mann scheiden lassen, Es ging schon länger nicht mehr aber wir hatten Angst vorm Alleinsein. Ich bin daher in einer Nacht - 43 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz und Nebel Aktion abgehauen und habe nur einen Briefe hinterlassen. Seitdem bin ich mit meinen Kindern alleine und lebe mein Leben. Ich möchte keinen neuen Mann trotz 6 Monaten schon allein. Ich fühle mich noch nicht bereit, bzw. scheue mich vor 1 neuen Bez. Nach der Trennung habe ich mich schlecht gefühlt und einsam, jedoch bereue ich nichts." 13. weiblich 19 j. ,, Ich wurde von meinem Freund nach 4 Mon. per Telefon verlassen. Nachdem ich 3 Tage nichts von ihm gehört hatte. Anfangs dachte ich er ist krank doch dann rief er an und sagte zu mir, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will. Ich finde es schwach von ihm per Telefon Schluss zu machen, dort fehlen Emotionen und Gefühle. Trotz allem haben wir noch Kontakt." 14. männlich 22 Jahre ,,Ich habe mit ihr per SMS Schluss gemacht und hatte keinen Trennungsschmerz. Ich wollte einfach was neues, das ,,Alte" war mir zu langweilig. Nun bin ich offen für was Neues, habe keine Bindungsängste! Die Sache ist erledigt und wird aus dem Kopf gestrichen! Sie war nur Zeitverschwendung." 15. weiblich 21 Jahre ,, Er hat im Gespräch mit mir Schluss gemacht und ich konnte es nicht wahrhaben. Der Trennungsschmerz war groß. Ich habe 6 Mon. um eine neue Chance gekämpft! In der Zeit war ich total niedergeschlagen, psychisch am Boden. Ich wollte in Therapie wegen meiner Beziehungsangst. Habe trotz Trauer versucht neue Beziehungen einzugehen, bzw neue Leute kennenzulernen, doch es war nicht möglich. Mein Herz war und ist immer bei ihm geblieben. Jetzt hat sich das Kämpfen gelohnt, denn ich bin wieder mit ihm zusammen." - 44 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 5 Bindung an das Leben 5.1 Suizid – warum Suizid? Immer enger wird mein Denken, immer blinder wird mein Blick, mehr und mehr erfüllt sich täglich mein entsetzliches Geschick. Kraftlos schlepp ich mich durchs Leben, jeder Lebenslust beraubt. Habe keinen der die Größe meines Elends kennt und glaubt. Doch mein Tod wird euch beweisen, dass ich jahre-, jahrelang, an des Grabes Rand gewandelt, bis es jählings mich verschlang. (Pellmann, 1828) Folgende Faktoren spielen eine besondere Rolle: Alter: Pubertät, hohes Lebensalter (im Jahr 2000 war jeder 2. Selbstmord ein Mensch über 60 Jahre); • Krankheit: Depressionen, Drogenabhängigkeit, Alkoholismus, Epilepsie, andere Anfallkrankheiten, Schizophrenie (90% der Suizide werden heute im Kontext einer psychischen Erkrankung gesehen); • Lebensumstände: Vereinsamung, Entwurzelung, Verlust, gestörte Familienbeziehungen, Arbeitslosigkeit; • Geschlecht – doppelt so viele Männer wie Frauen nehmen sich das Leben (zu allen Zeiten). • Die Methode: Männer wählen sicherer Methode oder in Kriegszeiten ist es z.B. einfach an eine Waffe zu kommen • Ein Suizid geschieht in der Regel nicht aus einem Ereignis heraus, sondern ist meist ein Ergebnis einer ganzen Reihe von belastenden Lebensbedingungen, die meist schon in der Kindheit beginnen aber erst viel später durch ein erneutes Ereignis zum Suizid führen. Kurzschlusshandlungen kommen vor allem bei Kindern, Jugendlichen und Süchtigen vor, bei denen die folgenden drei Stadien im Zeitraffer stattfinden. Jedem Selbstmord gehen in der Regel drei Stadien voraus: 1. Die Erwägung des Selbstmordes zur Lösung von Problemen. In dieser Phase können stimulierende Faktoren hinzutreten: z. B. Erleben eines Selbstmordes in der nächsten Selbstmorddarstellungen in den Massenmedien. - 45 - das Umgebung, Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 2. Der innere Kampf um das Für und Wider (Ambivalenzphase). Hierzu gehören Selbstmordankündigungen, ungewohnte Kontaktsuche durch Gespräche mit Angehörigen oder mit anonymen Beratern (Telefonseelsorge u. a.) 3. Der Entschluss zum Selbstmord. Jetzt werden Vorbereitungen für die Tat getroffen (z. B. Abschiedsbriefe geschrieben, Nachlass geregelt), die Methode der Tatdurchführung wird gewählt. Es ist die >> Ruhe vor dem Sturm<<, von angehörigen oder Außenstehenden häufig miss gedeutet als >> Wendung zum Guten<< (Heuer 1979, S.24) 5.2 Sterbehilfe Belgien: Seit dem 21.04.05 können belgische Ärzte Medikamenten Sets zur aktiven Sterbehilfe in Apotheken erwerben. Euthanasie ist in Belgien seit September 2002 in bestimmten Fällen erlaubt. Frankreich: Seit dem 19.04.05 hat das französische Parlament in 2. Lesung ein neues Gesetz verabschiedet, das passive Sterbehilfe erlaubt. Aktive Sterbehilfe hingegen bleibt in Frankreich als „Tötung“ verboten. USA: Diskussion um den Tod von Terri Schiavos: Stellungnahmen: Vatikan: Missbrauch der Natur des Lebens Politik: gibt Wunsch auf aktive Sterbehilfe nach Nicht-Ärzte: nur 9 % der Befragten sind gegen aktive Sterbehilfe Ärzte: fast ein Drittel gegen aktive Sterbehilfe Spanien: Aktueller Film „mar adentro“, „das Meer in mir“ bekam einen Oscar Querschnittsgelähmter Mensch kämpft um würdevollen Tod Quelle: www.aerztezeitung.de/magazin/sterbehilfe 5.2.1 Aktuelle Diskussion Belgien: Seit dem 21.04.05 können belgische Ärzte Medikamenten Sets zur aktiven Sterbehilfe in Apotheken erwerben. Euthanasie ist in Belgien seit September 2002 in bestimmten Fällen erlaubt. Frankreich: Seit dem 19.04.05 hat das französische Parlament in 2. Lesung ein neues Gesetz verabschiedet, das passive Sterbehilfe erlaubt. Aktive Sterbehilfe hingegen bleibt in Frankreich als „Tötung“ verboten. USA: Diskussion um den Tod von Terri Schiavos: Stellungnahmen: - 46 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Vatikan: Missbrauch der Natur des Lebens Politik: gibt Wunsch auf aktive Sterbehilfe nach Nicht-Ärzte: nur 9 % der Befragten sind gegen aktive Sterbehilfe Ärzte: fast ein Drittel gegen aktive Sterbehilfe Spanien: Aktueller Film „mar adentro“, „das Meer in mir“ bekam einen Oscar Querschnittsgelähmter Mensch kämpft um würdevollen Tod Quelle: www.aerztezeitung.de/magazin/sterbehilfe 5.2.2 Rechtslage in Deutschland - aktive Sterbehilfe ist trafbar indirekte und passive Sterbehilfe: Straffrei bei Willenserklärung des Patienten 5.2.3 Aktive Sterbehilfe Arzt schaltet die Geräte ab, der Betroffene wird nur mit Hilfe des Arztes sterben. 5.2.4 Passive Sterbehilfe Der Patient schaltet selbst die Geräte ab, verhilft sich selbst zum sterben. 5.2.5 Diskussionsforum „ Die tiefste Geborgenheit die ein Mensch erfahren kann, und die hat ganz intensiv mit Bindung zu tun, ist die Geborgenheit im Leben selbst. Denn das Leben, das ich Lebe, das Leben das mir geschenkt ist, hat sich so intensiv an mich gebunden, dass ich es bis zum Tod nicht mehr los werde. Aus: Sehnsucht und Geborgenheit Wieviel Bindung braucht der Mensch Von : Günther Funke Quelle: www.existenzanalyse.ca.at/geborgenheit.html Fragen: Welche Aufgabe hat die Sozialpädagogin bspw. im Heim mit betroffenen Kindern, Geschwisterkindern, Angehörigen? Wo beginnt die Arbeit, wo hört sie auf? - eigene Erfahrungen ( christl.) Menschenbild der Tod, Chance zum Leben? - 47 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 5.3 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Krisen als Chance zu einem kreativen Prozess (Suizidversuche) Impulshandlung: Auslöser entspricht den Lebensgeschichtlichen, traumatischen Erfahrungen Mehrere unverarbeitete Krisen überdecken sich Ein Auslöser reicht zu einem spontanen Entschluß Gefühl alles wird zuviel Bilanzselbsttötung: Meist ältere Menschen, die eine Bilanz über ihr Leben ziehen Was habe ich erreicht? Sehr rationaler Entschluß Eine Krise kann zu einem kreativen Prozeß werden, wenn: Bekannte Lösungsmöglichkeiten nicht greifen und am Ende des Prozesses eine Persönlichkeitsentwicklung stattfindet. Und der starke Wunsch nach einer Lösung vorhanden ist. Phasen kreativer Prozesse Vorbereitungsphase: Problem ist erkannt Sammeln von Material zum Thema: Ideen, Lösungsmöglichkeiten Emotion: Spannung Inkubationsphase: Problem spitzt sich zu Lösungen werden wieder verworfen Warten auf Inspiration Emotion: Selbstzweifel, Unruhe, Frustration, Angst Einsichtsphase: Sinnvolle Erkenntnis Aufatmen Neuschöpfung der eigenen Person Emotion: Freude, Erleichterung Phase der Verifikation: Vertiefung der Erfahrung Was hat sich verändert? Verinnerlichung, Aufarbeitung der neuen Lebensmöglichkeiten Emotion: Konzentration - 48 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 5.4 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Die schöne Seite des Lebens Wie aus dem Nebel ein Leben wird, oder aus dem Vernebelten ein klarer, sonniger Moment. 1. Nicht über Kleinigkeiten aufregen! Nicht zulassen, dass unwichtige Dinge das Glück zerstören. 2. Akzeptiere das Unvermeidliche! 3. Sich den Wert einer Sorge bewusst werden und somit Grenzen setzen. 4. Die Kleinigkeiten, die kleinen Wunder des Lebens erkennen und sich an ihnen erfreuen. 5. Lebe für den Tag und versuch nicht alle Probleme auf einmal zu lösen! 6. LÄCHELN ! 5.5 Referenten • • • • Anne Schmitt Rhea Bärwolf Katrin Schmitz Hruzik Jacek - 49 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 6 Bindungen an Normen und Werte - - 50 - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 7 Bindung der Sozialpädagogen an das Klientel 7.1 Helfersyndrom 7.1.1 Begriffsentstehung • Von Wolfgang Schmidtbauer 1978 eingeführt • Bezeichnet die Tendenz vieler professioneller Helfer, die eigene Hilfsbedürftigkeit dadurch abzuwehren, dass im beruflichen Umfeld Kontakt zu besonders hilfsbedürftigen Personen gesucht wird. 7.1.2 Begriffe „helfen“ und „Syndrom“ • • • • Spontanes Helfen Traditionelles Helfen „Helfersyndrom-Helfen“ Def. Syndrom: Bezeichnet ein Krankheitsbild, dass durch bestimmte Symptome gekennzeichnet ist, und dessen Ursache nicht oder nur teilweise bekannt ist. 7.1.3 Die Konfliktbereiche des Helfersyndromhelfers • • • • • Die in früher Kindheit erlittene Ablehnung seitens der Eltern Die Identifizierung mit dem elterlichen Über-Ich Die verborgene narzißtische Bedürftigkeit Die Vermeidung von Beziehungen zu Nicht-Hilfsbedürftigen Indirekte Aggressionsäußerungen gegen Nicht-Hilfsbedürftige 7.1.4 Krankheitswert des Helfersyndroms • Das Helfersyndrom ist völlig harmlos, wenn es durch andere Elemente der Berufsmotivation ausgeglichen wird. • Ansonsten drohen Folgen wie: - Depressionen Drogenmissbrauch Psychosomatische Leiden Erholungsunfähigkeit Suizid 7.1.5 Zeichen und Merkmale des Helfersyndroms ° ° ° ° ° Helfersyndromhelfer sind ängstlich, kontaktscheu, und hilfsbedürftig, was sie jedoch verleugnen scheinbare Hilfe erhalten sie von hilfsbedürftigen Personen, die sich an sie wenden in ihrer Persönlichkeitsentwicklung liegen Störungen vor Sie helfen manchmal gegen den Willen einer Person Frauen mit Helfersyndrom wirken oft unweiblich, Männer oft unmännlich - 51 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 7.2 Rollenspiel – problematische Arbeitshaltung eines Sozialpädagogen 7.3 Burnout – Syndrom 7.3.1 Definition In den Siebziger Jahren wurde das Phänomen Burnout in den USA erstmals untersucht und beschrieben, damals im Zusammenhang mit Angehörigen sozialer und helfender Berufe. Heute weiß man, dass Burnout in etliche Berufsgruppen auftreten kann. Aronson, Pines und Kafry beschreiben „Ausbrennen“ als einen Zustand körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung, „der häufig bei Menschen eintritt, die mit anderen Menschen arbeiten [...] und die in ihren Beziehungen zu ihren Klienten oder Patienten, zu ihren Vorgesetzten oder Kollegen die Gebenden sind“ (1993, S. 13). Oft betrifft es gerade diejenigen, die sich einmal mit besonders viel Idealismus und Enthusiasmus in ihre Arbeit gestürzt haben. „Ausbrennen“ bedeutet dann, das Gefühl zu haben, nicht mehr helfen, nichts mehr geben können, sich total verausgabt zu haben. So etwas geschieht normalerweise nicht von einem Tag auf den anderen, man ist nicht heute „Feuer und Flamme“ und morgen ausgebrannt. Meist ist es das Resultat langandauernder Überlastung, oft im Zusammenhang mit intensivem Einsatz für andere Menschen. 7.3.2 Symptome Merkmale körperlicher Erschöpfung (psychosomatische Beschwerden), wie z.B.: Energiemangel, chronische Müdigkeit, Veränderung der Essgewohnheiten, erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten, häufige Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Rückenschmerzen, Hörsturz, Tinitus Merkmale emotionaler Erschöpfung, wie z.B.: Niedergeschlagenheit - Hilf-und Hoffnungslosigkeit - das Gefühl, nichts mehr geben zu können - Alltagsbewältigung, Familie und Freundeskreis werden unter Umständen als weitere Anforderungen empfunden Merkmale geistiger Erschöpfung, wie z.B.: Entwicklung negativer Einstellungen zum Selbst, zur Arbeit und zum Leben im Allgemeinen - das Gefühl von Unzulänglichkeit und Minderwertigkeit 7.3.3 Burnout förderliche Persönlichkeitsstile • Perfektionistische Einstellungen („ich muss alles richtig und 100-prozentig machen, darf mir keine Fehler erlauben, bin für alles verantwortlich, muss allem gerecht werden...“) • Geringe Kompetenzerwartung („ich schaffe es ja doch nicht, ich habe gar keine Chance...“) • Ein sehr ausgeprägtes Harmoniebedürfnis („alle müssen zufrieden sein, ich darf niemanden kränken...“) - 52 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz • Eine externale Kontrollüberzeugung („ich bin nur ein ganz kleines Rad im Getriebe, Andere (mein/e Vorgesetzte/r) bestimmen über mich, ich bin nur eine Marionette...“) Zusätzlich wirkt sich die Doppelbelastung durch Beruf und Familie, besonders für Frauen, negativ auf die psychische Widerstandsfähigkeit aus. 7.4 Prävention von Burnout • Grenzen ziehen und Arbeit abgeben, auch wenn andere die Arbeit nur „halb so gut • • • • • • machen“; Regelmäßige Pausen einlegen - (auch Urlaub planen; Entspannungstechniken); Freizeitbeschäftigungen suchen (z.B. Sport); Sich Prioritäten setzen - nicht nur in der Arbeit auch in der Freizeit; Auf den Körper hören - Warnsignale erkennen; Lernen „Nein“ zu sagen - ohne Schuldgefühle; Lernen - sich nicht an der Anerkennung anderer zu messen. 7.5 Quellen Pines, Aronson, Kafry, Ausgebrannt. Vom Überdruß zur Selbstentfaltung. Stuttgart, 1983; Schmidtbauer, Wolfgang, Burnout und Helfersyndrom, München, 2002; www.sprechstunde.de (Burnout); www.burnout.inseb.de - 53 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 8 Bindung der Sozialpädagogen an Recht und Gesetz 8.1 Soziale Arbeit als bürokratisches Handeln Rechtsvorschriften, Finanzierungsregelungen, Trägerschaften, kommunal- und landespolitische Strukturen wirken bis in konkrete praktische Handlungssituationen hinein und entsprechen keineswegs immer den unter fachlichen Gesichtspunkten erkannten Bedürfnis- und Bedarfslagen. Für den Sozialpädagogen als Teil der staatlichen SOZIALBÜROKRATIE folgt daraus, dass er zwei „Herren“ gleichzeitig dienen soll, die nicht nur unterschiedliche, sondern auch einander widersprechende und sich ausschließende Ziele verfolgen. Während die Klienten individuelle, auf ihre persönlichen und konkreten Bedürfnisse zugeschnittene Unterstützung suchen, fordert die Sozialbürokratie die Umsetzung standardisierter, allgemein gültiger Regelungen und Vorschriften. Bürokratisches Handeln folgt anderen Wirkungs- und Gestaltungsprinzipien als pädagogisches Handeln. Die Standardisierung und Typisierung, Kontrollierbarkeit und Planbarkeit von Verwaltungshandeln lässt sich nicht konfliktfrei mit pädagogischen Handlungsprämissen vereinbaren. Auf der anderen Seite kann eine unvollständige AKTENFÜHRUNG dazu führen, dass Fristen übersehen und berechtigte Ansprüche der Klientin aufgrund der mangelnden Rechtskenntnisse des Sozialpädagogen erst gar nicht geltend gemacht werden. Rechts- und Verwaltungsvorschriften bieten Verfahrenssicherheit und Verfahrensgerechtigkeit. Sie sichern, wenn auch in Grenzen, eine Hilfegewährung ohne Ansehen der Person und beinhalten darüber hinaus für Klienten einklagbare Rechte. Die Standardisierung und Typisierung von Verfahrensabläufen ist auch ein wesentliches Element für die Fremd- und Selbstkontrolle fachlichen Handelns. Sozialpädagogen können Verwaltungshandeln als eine im Grunde berufsfremde und lästige Pflicht wahrnehmen oder aber als ein wichtiges, wenn auch manchmal mühseliges Aufgabengebiet. Unabhängig davon beinhaltet sozialpädagogische Arbeit jedoch immer Elemente bürokratischer Tätigkeit und ist als berufliches Handeln ohne diese nicht möglich. So dienen beispielsweise die verschiedenen Arten der klientenbezogenen Aktenführung allen Beteiligten: ° den Sozialpädagogen: als Gedächtnisstütze, zur Selbstkontrolle, zur rechtlichen Absicherung, zur Terminplanung, als Grundlage individueller Hilfeplanungen und als Tätigkeitsnachweis ° Der Einrichtung: als Beleg für erbrachte Leistungen, als Basis für statistische Erhebungen zur Nutzerstruktur, zur Stellenplanung und als Grundlage einer Leistungsevaluation - 54 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz ° institutionsübergreifenden Aufgaben- und Kooperationsverpflichtungen: als Grundlage für Rechenschaftsberichte gegenüber Kostenträgern, als Datenpool für die Sozialberichterstattung und zur Abstimmung verschiedener Leistungsbereiche ° den Klienten: als Beweismittel bei Beschwerden und Widerspruchsverfahren, als ein Element zur Dokumentation und Kontrolle gemeinsam vereinbarter Ziele, Rechte, Pflichten und Arbeitsabsprachen und gegebenenfalls als ein Instrument der Kontrolle und Beschwerdeführung gegenüber der Sozialpädagogin Die Qualität der Leistungen bestimmt sich eben auch darüber, ob es der Sozialpädagogin gelingt, administrative Aufgabenstellungen und Anforderungen sachgerecht zu bewerkstelligen und nicht als grundsätzlichen Widerspruch zum pädagogischen Handeln zu begreifen. Sozialpädagogen müssen pädagogische Sachverhalte in verwaltungspraktisches Handeln übersetzen können – und umgekehrt. Dies verlangt von ihnen: ° umfassende Kenntnisse der politischen, rechtlichen und administrativen Rahmenbedingungen ihres Arbeitsfeldes; ° differenziertes Wissen über äußeren und inneren Strukturen der jeweiligen Institution oder Organisation, in der sie tätig sind; ° eine differenzierte Reflexion der Wirkungen und Folgen bürokratischen Handelns; ° eine realistische Einschätzung der Grenzen und Spielräume sowohl des pädagogischen als auch des administrativen Handelns und der eigenen Berufsrolle. 8.2 Sozialarbeit als Hilfe und Kontrolle – „Das doppelte Mandat“ Sozialpädagogen bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen Klientenorientierung und gesellschaftlich aufgetragenen und institutionell abgesicherten Kontrollaufgaben. Das darin enthaltene Konfliktpotenzial, welches seit den 70er Jahren unter dem Begriff des „ doppelten Mandates“ thematisiert wird, mag zwar institutions-, gegenstands-, situations- und personenbezogenen unterschiedlich variiert und akzentuiert werden, ist aber als struktureller Konflikt in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit enthalten. Soziale Arbeit ist Hilfe und Kontrolle. STAATLICHE HILFEN werden unter der Bedingung bereitgestellt, dass durch sie Normalität gesichert oder – zumindest in Teilen – wiederhergestellt wird. Zur Sicherung diese Anliegens wird den Sozialpädagogen die Berechtigung, aber auch die Verpflichtung zur Kontrolle ihrer Klienten aufgetragen. Klienten müssen sich im Umkehrschluss den gesetzten Normalitätsstandards anpassen oder diese zumindest offiziell anstreben. Sie müssen sich aber auch den mit der Hilfegewährung verbundenen Kontrollen unterwerfen. Beispiel: Gewährung der Sozialhilfe – umfassende Auskunftspflicht über ihr Einkommen - 55 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Drogenabhängige die am Methadonprogramm teilnehmen wollen – Einlassung auf psychosoziale Betreuung usw. Aus der Perspektive der Sozialpädagogen mag sich ein Teil dieser Regelungen durchaus als pädagogisch sinnvoll erweisen, aus der Sicht der Klienten können sie jedoch als unzumutbare Eingriffe in ihre AUTONOMIE verstanden werden. Sozialpädagogen sind nicht nur Helfer. Sie greifen im gesellschaftlichen Auftrag – gegebenenfalls auch gegen den ausdrücklichen Willen des Klienten – in als abweichend definierte Lebenslagen reglementierend ein. Klienten erleben unter Umständen, dass ihnen Hilfe angeboten werden, die sie entweder nicht verlangt haben oder die sich als für ihren Alltag untauglich erweisen. Sozialpädagogen können dem Paradoxen des „doppelten Mandates“ nicht entkommen . Soziale Arbeit zielt einerseits auf die Verbesserung individueller gestalteter und gelebter Alltagspraxis und andererseits auf soziale Verteilungsgerechtigkeit. Die hierfür notwendigen Mittel werden den Sozialpädagogen jedoch nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt. Insbesondere werden ihnen diejenigen Mittel vorenthalten, die geeignet sind, auf sozialstaatliche Verteilungsprozesse Einfluss zu nehmen. Im Bewusstsein der Sozialpädagogen kann sich dies als Ohnmachterleben nach oben und ethisch verwerflicher Machtausübung unten abbilden. Individuelle personenbezogene Hilfe steht in einem grundsätzlichen Widerspruch zu gesellschaftlich aufgetragenen Kontrollfunktionen. Dieses Dilemma kann von den Sozialpädagogen nicht zugunsten einer Seite aufgelöst werden. PROFESSIONALITÄT drückt sich in diesem Zusammenhang durch eine differenzierte Auseinandersetzung mit Prozessen der Machtausübung und Ohnmachtsausübung aus. Sozialpädagogen gelingt dies, wenn sie ° das „doppelte Mandat“ als Strukturbedingung ihres beruflichen Handelns anerkennen; ° klären, welche Kontrollfunktionen von ihnen in ihrem Wirkungsbereich tatsächlich ausgeübt werden müssen; ° die vorhandenen Kontrollbefugnisse ihren Klienten gegenüber transparent machen; ° Reflexions- und Evaluationsmethoden zur Kontrolle verdeckter Machtprozesse und willkürlicher Machtausübung heranziehen; ° die Kontrolle ihres Handelns durch den Klienten nicht nur zulassen, sondern systematisch in den Arbeitsprozess einbeziehen. - 56 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 8.3 Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Wann ist das „nichts tun“ strafbar? Garantenstellung Dieses ist dann strafbar, wenn das „nicht eingreifen“ in einen Geschehensablauf; das nicht helfen trotz individueller Möglichkeit genauso schwer wiegt, als hätte die „nicht handelnde“ Person die Tat durch aktives Tun begangen. Vorraussetzung für eine solche Strafbarkeit ist, dass man dem Opfer gegenüber durch persönliche Nähe, aus der Situation heraus oder dadurch, dass man es in diese hilflose Lage gebracht hat zum Beistand und Schutz verpflichtet ist. Dies führt dazu, dass grundsätzlich alle Taten in Bezug auf die Missbrauchs- und Körperverletzungsdelikte auch durch ein Unterlassen der Hilfeleistungen begangen werden können, was grundsätzlich zunächst in der gleichen Weise bestraft wird, wie aktives Handeln. Als Beispiel: Missbraucht ein Vater sein Kind, indem er es schlägt, vergewaltigt und/ oder es nötigt sexuelle Handlungen zu dulden oder an ihm vorzunehmen, so macht er sich strafbar. Weiß die Mutter des Kindes von den Handlungen und unterlässt sie es dem Kind beizustehen und es vor diesen Übergriffen zu bewahren, so begeht sie grundsätzlich zunächst einmal genau die selben Straftaten durch Unterlassen, wie der Vater durch aktives Tun. Beide sind Täter, da macht das Gesetz grundsätzlich erst mal keinen Unterschied. Das „Nichts-tun“ ist also dann strafbar, wenn man eine Pflicht zum Handeln hat und es wird dann genauso bestraft, wie aktives Tun. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass sich Personen im Umfeld von Kindern strafbar machen, wenn sie Kindesmissbrauch wissentlich nicht anzeigen, dem Jugendämtern melden oder sich nicht in anderer Weise „ernsthaft bemühen“ dem Kind zu Helfen aus dieser Situation heraus zu kommen. 8.4 „Das Heinz – Dilemma“ nach Lawrence Kohlberg Eine todkranke Frau litt an einer besonderen Krebsart. Es gab ein Medikament, das nach Ansicht der Ärzte ihr Leben hätte retten können. Ein Apotheker der Stadt hatte es kurz zuvor entdeckt. Das Medikament war teuer in der Herstellung, der Apotheker verlangte jedoch ein Vielfaches seiner eigenen Kosten. Heinz, der Ehemann der kranken Frau, borgte sich von allen Bekannten Geld, brachte aber nur die Hälfte des Preises zusammen. Nach ergebnislosen Verhandlungen mit dem Apotheker brach Heinz in die Apotheke ein und stahl das Medikament für seine Frau. Quelle: Entwicklungspsychologie(4. Aufl.); S. 874 – 877; Oerter/Montana; Beltz-Verlag An eine solche Vorgabe schließen sich Fragen an: Sollte Heinz das Medikament stehlen oder nicht? Warum? Was ist schlimmer: jemand sterben zu lassen oder zu stehlen? Warum? Hätte ein Ehemann einen triftigen Grund zu stehlen, auch wenn er seine Frau nicht liebt? Wäre es genauso gerechtfertigt, für einen Fremden wie für die eigene Frau zu stehlen? Warum? Wird Heinz gefaßt; soll ihn der Richter verurteilen? Warum? Was - 57 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz können die Gründe sein? Lawrence Kohlberg 1927 in einem Vorort von New York als Jude geboren ; studierte Psychologie u.a. bei Carl Rogers und Robert Havinghurst; dissertierte 1958 mit seiner Arbeit über „Die moralische Entwicklung des Menschen“ und unterrichtete als Professor (1968 – 1987) in der Harvard Universität; nach schwerer Krankheit starb er 1987 durch den Freitod. 8.5 Prinzipien in der moralischen Entwicklung des Menschen Kohlberg interessierte weniger die letzte getroffene Entscheidung, sondern vielmehr die, für die Entscheidung zugrunde liegenden Prinzipien. Er fand 3 Niveaus mit jeweils 2 Stufen heraus. 8.5.1 Das Vormoralische Niveau Kennzeichnend: Drohende Strafen, mächtige Autoritäten oder auch eigene Interessen; Die Interessen anderer sind nur berücksichtigt, wenn sie sich auf die eigenen Interessen beziehen. STUFE I: Charakteristische Orientierung an Bestrafung und Gehorsam Ob GUT oder BÖSE, hängt von den psychischen Konsequenzen ab Vermeidung von Strafe und Unterordnung unter die Autorität, da sie als WERTE an sich gelten Beispiel: Proband, 10 Jahre „Heinz sollte stehlen, er sollte das Medikament kaufen. Wenn er das Medikament stiehlt, könnte er ins Gefängnis kommen und müßte das Medikament dann doch zurückgeben.“ STUFE II: • Orientiert sich an den eigenen Bedürfnissen • Probanden zeigen Ansätze von Gegenseitigkeit und Sinn für die gerechte Verteilung, aber eigene Interessen stehen im Vordergrund („Eine Hand wäscht die andere“) Beispiel: Proband, 13 Jahre „Heinz sollte das Medikament stehlen, um das Leben seiner Frau zu retten. Er mag dafür ins Gefängnis kommen, aber er hätte immer noch seine Frau.“ „Sollte er das Medikament auch stehlen, wenn es für einen sterbenden Freund wäre?“ „Das ginge - 58 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz zu weit. Er wäre im Gefängnis, während sein Freund gesund und frei sein würde. Ich glaube nicht, daß ein Freund dies für ihn tun würde.“ 8.5.2 Das Konventionelle Niveau (= herkömliche) Es herrscht eine Tendenz zur Einhaltung wichtiger Sozialbezeihungen vor STUFE III: • Lösungsversuche beschränken sich auf persönliche bekannte Personen (Familie oder andere Primärgruppen als Bezugsrahmen) • Ein Konflikt entsteht, wenn die Interessen der wichtigen Bezugspersonen nicht berücksichtigt werden können; • dieser Konflikt kann noch nicht prinzipiell gelöst werden Beispiel: Proband, 16 Jahre „Wäre ich Heinz, hätte ich das Medikament für meine Frau gestohlen. Liebe hat keinen Preis. Auch das Leben hat keinen Preis.“ STUFE IV: • hier erweitert sich die Orientierung von persönlich bekannten Personen auf übergreifende Systeme (Staat und Religionsgemeinschaften) • das System als solches wird wichtiger, nicht mehr nur konkrete persönliche Sozialbeziehungen • oberstes Gebot: die Erfüllung des gegebenen Ordnungs- und Rechtssystems, das die Rechte, Pflichten und Ansprüche aller regelt Beispiel: Proband, 21 Jahre „Wenn man heiratet, schwört man sich Liebe und Treue. Eine Ehe ist nicht nur Liebe, sie bedeutet auch eine Verpflichtung, genau wie ein gesetzlicher Vertrag.“ 8.5.3 Das Postkonventionelle Niveau Das System wird als wandelbar erkannt. Das System wird nicht mehr einfach als gegeben hingenommen, sondern durch eigenes Bemühen Änderungen angestrebt. Eigene Wert- und Prinzipiendefinitionen werden angestrebt, um eine Unabhängigkeit von Autoritäten (wie einzelne Gruppen oder Personen) zu erreichen. Der Egozentrismus wird überwunden. STUFE V: • Verständnis: System wird als Gesellschaftsvertrag angesehen (ist prinzipiell zwischen den Beteiligten verhandel- und veränderbar) - 59 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider • • Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Wichtige Vorüberlegung: Maximierung des Gewinns für möglichst viele = neue Dimension der Gerechtigkeit = Gerechtigkeit des Verfahrens (z.B. bei der Entscheidungsfindung in unserer Demokratie: durch Wahl) Menschenrechte werden als unantastbar angesehen (sie sind nicht verhandelbar!) STUFE VI: • Vorherrschend ist hier die Suche nach allgemeingültigen ethischen Prinzipien • Diese Prinzipien sind abstrakt und nicht konkret (z.B. in der Diskursethik vorkommend) • Beispiele für geforderte Prinzipien aus der Sterbehilfe: Mitspracherecht aller von der Entscheidung Betroffenen, Unparteilichkeit in der Aufnahme der Information, der Abwägung der Argumente und der Interessen, die Möglichkeit der Revision einer Entscheidung, wenn neue Argumente auftauchen • Grundsätzlich: die bestehende Ordnung kann jederzeit in Frage gestellt werden, wenn die Frage der Fairneß dagegen steht 8.6 BAGHR: Bundesarbeitsgemeinschaft der Hochschullehrer des Rechts an Fachhochschulen des Sozialwesens in Deutschland Bundesarbeitsgemeinschaft der Hochschullehrer des Rechts an Fachhochschulen des Sozialwesens in Deutschland; gegründet 1970; ca. 120 Professoren des Rechts. Zu ihren Zielen gehört, die erforderlichen Standards des Rechts im Studium der Sozialarbeit/Sozialpädagogik zu gewährleisten und die Rechts- und Verwaltungskompetenz zu sichern. - starke Tendenz zur Psychologisierung und Pädagogisierung d.h. verschlechterte Handlungskompetenz in rechtlichen Dingen Sozialarbeiter/Sozialpädagogen werden in immer stärkerem Maße als Berater und Vermittler von rechtlichen Hilfen für Menschen gefordert, deren materielle Lebensgrundlage ungesichert ist oder die sich in psychosozialen Notlagen befinden. Dies setzt umfassende Rechtskenntnisse, Anwendungskompetenz und die Fähigkeit zum sicheren Umgang mit Behörden voraus. Aufgrund einer multidisziplinären Ausbildung (methodisch, sozialwissenschaftlich und rechtlich) ist der Sozialarbeiter im interpersonalen Prozess befähigt mit dem Hilfesuchenden, die im Einzelfall angemessene rechtliche Hilfe festzustellen. Für viele Mensachen ist der Sozialarbeiter der einzige Vermittler psychosozialer und rechtlicher Hilfen, die eine positive Entwicklung und ein menschenwürdiges Leben sichern. Rechtsanwälte werden von sozial schwachen Menschen meist nicht aufgesucht, weil diese u. a. Angst vor den Kosten haben und nicht wissen, dass - 60 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz ihnen Beratungshilfe gewährt werden kann. Für Rechtsanwälte bedeutet dies viel Arbeit bei geringem Lohn. Die Realität, mit der sich Sozialarbeiter in der BRD gegenwärtig befassen, wird bestimmt durch die ständig wachsende Zahl der Menschen in sozialen Notlagen. Einige zum Beispiel: Arbeitslose, Süchtige, psychisch Kranke, Sozialhilfeempfänger etc. . 8.7 Recht weist vier Verknüpfungspunkte zur sozialen Arbeit auf 1. Bei einem Beratungsgespräch; Rechtsberatung. 2. Ressourcen des Rechts für Klienten ausschöpfen. 3. Schranke und Rahmen der berufl. Tätigkeit(Grund-Strafrecht). 4. Grundlage der eigenen berufl. Tätigkeit(Datenschutz, Arbeitsrecht) Der Sozialarbeiter braucht Rechtkenntnisse und die Fähigkeit, diese in die jeweilige Problemlösung einzusetzen. Die Handlungskompetenz setzt die gleichen Regeln wie für Juristen voraus. Außer dem Fachwissen aus den unterschiedlichsten Wissenschaftsbereichen müssen die für die Soziale Arbeit notwendigen Schlüsselqualifikationen erlangt werden. Sie umfassen nach Richter die Methodenkompetenz, die Sozialkompetenz und die Selbstkompetenz. - 61 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 9 Bindungen zur Musik- und Kunstszene 9.1 Einführung 9.1.1 Entwicklungspsychologische Aspekte Schon im Mutterleib sind Kinder ab ungefähr der 24. Schwangerschaftswoche in der Lage, menschliche Sprache und Stimmlage wahrzunehmen. Den Rhythmus des menschlichen Herzschlags hört das Kind während seiner intrauterinen Zeit etwa 26 Millionen Mal. Dieser Rhythmus bedeutet Vorhersagbarkeit, Sicherheit und Verlässlichkeit. Musik, die im Tempo des Herzschlags pulsiert, ist in Schlaf- und Wiegeleidern wieder zu finden, also in Musik, die wir als beruhigend und wohltuend empfinden. Im Mutterleib ist der Fötus vor lauten Außengeräuschen geschützt. Was er tatsächlich wahrnimmt, hängt davon ab, wie sehr die Geräusche innerhalb der verschiedenen Frequenzbereiche abgeschwächt werden. Abhängig von der Dämpfung durch die mütterliche Bauchwand kann der Fötus Sprache und Musik in den Frequenzbereichen unter 500 Hz hören, wenn diese den Geräuschpegel in der Luft um 60 dB überschreiten. Das Hörzentrum unseres Gehirns ist von vornherein so organisiert, dass es automatisch auf spezielle musikalische Muster reagiert. Diese genetische Voraussetzung wurde durch eine Studie der Mc Master University im kanadischen Hamilton belegt. (Laurel Trainor/ Neurologe) Die musikalische Entwicklung eines Menschen gilt wohl als Paradebeispiel für Sozialisation und Enkulturation. Die Ausprägung hängt trotz genetischer Voraussetzung nämlich vor allem vom kulturellen Rahmen und den Sozialisationsbedingungen ab. Eine weitere musikalische Entwicklung gibt es nicht, sie wird vollständig durch die jeweilige Kultur definiert. Man mag denken, dass Musik zur reinen Lebensbewältigung als vergleichbar überflüssig erscheint. Jedoch ist die Bindung des Menschen an Musik als Lebensbestandteil und kulturelles Gut sehr wichtig. Musik kann Trauer vertiefen und eine gute Stimmung verstärken. Häufig werden Musikliebhaber immer wieder von derselben Opernarie zu Tränen gerührt oder ihnen läuft ein Schauer über den Rücken. Auch physiologische Reaktionen des Körpers, die bewusst nicht zu beeinflussen sind, werden durch Musik ausgelöst. Blutdruck und Körpertemperatur verändern sich ebenso wie die Atmung. Wie schon früher durchgeführte Messungen der Hirnaktivität zeigen, reagiert insbesondere das Belohnungssystem des Gehirns, wenn Musik als angenehm empfunden wird. All diese Reaktionen, ob Zufallsprodukt oder durch die Evolution erworben, sind schon sehr alt. Darauf deutet der Fund einer mindestens 43.000 Jahre alten Flöte aus der Steinzeit hin. Einfachere Formen des Musizierens wie gemeinsames Singen dürften dagegen schon vor weitaus mehr als 200.0000 Jahren bestanden haben, vermuten Paläontologen. Ein weiteres Argument ist, dass in den USA in der Musikindustrie mehr Geld verdient wird als in der Pharmaindustrie, und einige Fachleute vermuten, dass die Menschen - 62 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz in der westlichen Welt für Musik mehr Zeit und Geld aufwenden als für sexuelle Bedürfnisse. Und das ist keine Entwicklung der Neuzeit. In einigen urtümlichen Jäger-Sammler-Kulturen verbringen erwachsene Männer täglich einige Stunden mit dem Vortragen ritueller Gesänge. Diese enge menschliche Bindung zur Musik hat vermutlich eine biologische Wurzel. So ist gezeigt worden, dass Musik bei Männern die Konzentration des Aggressionshormons Testosteron senkt. Das vermeidet soziale Konflikte. Bei beiden Geschlechtern setzt Musik die Konzentration des Stresshormons Cortison herab. Einige Untersuchungen geben sogar Hinweise darauf, dass Musik zur Ausschüttung von Oxitocin beiträgt. Das Hormon fördert die soziale Bindung zwischen Mann und Frau und zu größeren Gruppenverbänden. Es macht also biologisch Sinn, wenn unser Gehirn von natur aus musikalisch ist, wie die Versuche von Laurel Trainor gezeigt haben auch wenn eine weiter gehende Musikalität nicht jedermanns Sache ist. 9.1.2 Zusammenhang zwischen sozialer Schicht und Präferenzen für bestimmte Musikbranchen Schichten repräsentieren nicht nur unterschiedliche Berufe, Einkommensverhältnisse und Bildungsniveaus, sondern auch unterschiedliche Subkulturen bezüglich der Domäne Musik. Während zum Beispiel die klassische Musik seit jeher immer die Domäne der gebildeten Mittelschicht war, ist Volksmusik eher in den Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Bildungsniveau und manuellen Berufen angesiedelt. 9.1.3 Musik und die Subkultur als Mittel der Identitätsfindung bei Jugendlichen Für Jugendliche im Prozess des Heranwachsens stellt die Musik in ihrer Vielfältigkeit ein ideales Mittel zur Identitätsfindung dar, gerade in unserer gegenwärtigen Lebensform, der kofigurativen Kultur, d.h. in einer mobilen, durch rasche Wandel gekennzeichneten Kultur, in der die Lebensbewältigung in hohem Maß an Orientierungsleistungen gebunden ist. Neben der zwei Generationen umfassenden Kernfamilie sind Schule und Subkultur der Gleichaltrigen wesentliche Orientierungsinstanzen. Gerade bei den Gruppen der Gleichaltrigen („Peergroups“) finden sich meist Cliquen mit einer großen Vielfalt von Ausprägungsformen des jugendlichen Lebensstils. Bei manchen Jugendstilen ist die sprachliche Kommunikation und Argumentation zentral, ebenso das solidarische Handeln im Dienste der Gruppe (Politisch motivierte und gesellschaftskritische Gruppen). Andere bevorzugen die soziale Interaktion und das wechselseitige Verständnis der nonverbalen Kommunikation. Diese Gruppen tauschen sich oft über integrale Objekte aus, die den Mittelpunkt des Gruppenlebens bilden, wie z.B. bestimmte Musikgruppen. Homogene Objekte wie Kleidung, Haarpracht und Accessoires unterstützen Regeln und Thematik des Gruppenstils, sie dienen als Symbole der Zugehörigkeit und zur Abgrenzung von anderen Gruppen. Durch die Peergroup und durch sie getragene Subkultur werden die gesellschaftlichen Defizite und Konflikte zum Ausdruck gebracht, man könnte sie also als eine, von der Gesellschaft produzierte Einrichtung bezeichnen. - 63 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Wenn etwa neue Musikgattungen, neue Sprachelemente (Jugendsprache), neue Kleidung als insgesamt neuer Lebensstil kreiert werden, so ist dies zugleich als eine Reaktion auf die Einseitigkeit des Hauptstroms der Kultur zu verstehen, der man etwas Neues und anderes, das die unterdrückten Lebensbedürfnisse artikuliert, entgegensetzt. Man kann die Subkultur also als Teilkultur bezeichnen, die neben und mit der Gesamtkultur besteht. 9.1.4 Starkult und die Rolle der Medien Nach einer Statistik nutzen dreiviertel aller Jugendlichen von 14 bis 19 Jahre fast zwei Stunden täglich Medien wie Radio oder CD (Keller & Klingler, 1996). Die Nutzung von Medien durch Jugendliche resultiert aus Entwicklungsaufgaben, die sich im Lebensabschnitt des Jugendalters stellen. Sie geben Themen vor, mit denen sich die Jugendlichen auseinandersetzen müssen, sie bestimmen im hohen Maß das Alltagshandeln, auch wenn die konkret zu lösenden Probleme und Konflikte in ihrer Struktur und ihrem Ablauf dem heranwachsenden selbst häufig nur schlaglichtartig bewusst sind. Die Medieninhalte gewinnen also ihre Abstraktivität aus der psychologischen Funktion, die sie für den Nutzer haben, im Guten wie im Bösen. Besonders bei der Entwicklungsaufgabe „Umgang mit Sexualität lernen“, wird die Rolle dieser Medien sichtbar. Ein Vergleich mit den vorliegenden Statistiken über den Beginn sexueller Erfahrungen zeigt unmissverständlich, dass die Jugendmedien wie etwa „BRAVO“ von viel zu frühen faktischen Normen des ersten Geschlechtsverkehrs ausgehen (Fend, 2000, S. 263). Der dadurch ausgeübte Druck kann nachdrückliche Konsequenzen für die weitere Entwicklung haben. Hierbei sei auch die Thematik des Starkults von Jugendmagazinen erwähnt, die Stars der Jugendlichen bilden Identifikationsfiguren für Leistungen, die sehr weit von den eigenen entfernt scheinen. Durch Zusehen und Zuhören hat man an den Erfolgen der Stars teil und erfährt dadurch eine Selbsteignung. 9.2 Der Mensch von Natur aus musikalisch? Kanadische Neurologen haben nachgewiesen, dass unser Gehirn von Natur aus auf Musikalität programmiert ist. (Quelle: Rolf H. Latusseck/ www.welt.de vom 15.09.2002) Sowohl eine positive als auch eine negative Reaktion auf Musik stellen eine Gefühlsäußerung dar. Wo aber liegt die Verbindung zwischen dem physikalisch Gehörten und der emotionalen Reaktion? Kürzlich durchgeführte Experimente geben eine überraschende Antwort: Das Hörzentrum unseres Gehirns ist von vornherein so organisiert, dass es automatisch auf spezielle musikalische Muster reagiert. Laurel Trainor und Mitarbeiter von der McMaster University im kanadischen Hamilton führten mit musikalisch nicht Vorgebildeten Personen Versuche durch, in denen den Probanten kurz Musiksequenzen vorgespielt wurden. Dabei endeten einige Tonfolgen fast unmerklich verändert auf einer normalerweise nicht verwendeten Note. Diese unregelmäßig eingestreuten „Störungen“ - 64 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz beantwortete das Gehirn mit deutlich erhöhter Aufmerksamkeit; die Nervenzellen feuerten ein Signalmuster, das etwa eine Drittelsekunde lang andauerte. „Das zeigt uns, dass das Gehirn selbst bei musikalisch nicht trainierten Menschen in der Lage ist, automatisch eine musikspezifische Information zu verschlüsseln“, schreiben die Autoren im „Journal of Cognitive Science“ (Bd. 14, S. 430) Wenn das Gehirn also für musikalische Laien nicht erkennbare, subtile Musikmuster selbstständig in Nervensignale umcodiert, dann kann diese Eigenschaft nicht erlernt sein, sie muss bereits im Gehirn programmiert sein. Dabei bleibt allerdings die Frage offen, ob diese Hirnleistung während der menschlichen Evolution erworben wurde, weil sie einen Vorteil brachte, oder ob sie ein Nebenprodukt der hoch entwickelten Hirnarchitektur ist. 9.3 Quellen: − (Entwicklungspsychologie/ Oerter, Montada − www.welt.de − www.menschundmusik.de 9.4 Vorstellung von drei Musikstilen 9.4.1 Punk 9.4.1.1 Entstehung des Punk Punk wird meistens mit England, speziell London in Verbindung gebracht. Doch tatsächlich ist der Punk gar nicht in England entstanden, sondern hat dort lediglich seinen ersten Boom erlebt, als viele der Jugendlichen damals mit ihrer Lebenssituation unzufrieden waren, da sie keine Arbeit hatten. („No Future") Die wahren Ursprünge des Punks liegen in den USA. Hier wurde 1966 eine Band namens „Velvet Underground“ gegründet. Ihr Gründer war Lou Reed, heute sozusagen der „Großvater des Punk". Neben Lou Reed mit Velvet Underground entstand im damaligen New York noch eine neuartige, umstrittene Kunstbewegung, die sich hauptsächlich in New Yorker Untergrundszenen abspielte und die Ästhetik des Hässlichen betonte und zugleich in Frage stellte. Diese Kunstrichtung hieß Nihilismus – nicht zu verwechseln mit dem Nihilismus als Welthaltung! Im Laufe der nächsten Jahre entstanden in New York weitere Bands, die erste Punksongs schrieben. Darunter waren zum Beispiel auch „The New York Dolls“ (ursprünglich „The Dolls of New York“), die auffielen durch kurze, schroffe Songs, wie es sie so bis dahin noch nicht gab. Was aber beinahe noch mehr auffiel, war ihr damals eigenwilliger Kleidungsstil. Als die New York Dolls auch in London auf Tour kamen, folgten Ihnen andere Punkbands, die sich in der New Yorker Szene bereits gebildet hatten. Dank Bands - 65 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz wie „Suicide“, „The Modern Lovers“, „The Stilettos“ oder „Blondie“ entstand auch in London eine kleine Punkszene. Im Laufe der 70er Jahre wurde Punk immer bekannter und es gab die ersten Plattenproduktionen. 1974 gründeten sich die legendären „The Ramones“. Sie gaben sich als „Drei-Akkord spielende, idiotische Schwachköpfe" aus. Im Januar 1976 erschien zum ersten Mal die Musik- und Kulturzeitschrift „Punk“. Viele Leute sagen, dies sei der Moment gewesen, an dem die neu geborene Szene einen Namen bekam. (Punk, engl. = Abschaum, Dreck) Die Anhänger der Szene fanden diesen Namen, den Legs McNeil, der Gründer der Zeitschrift Punk für sie gefunden hatte, vorerst recht lächerlich. Sie alle sahen sich nicht als Punk. Im November 1975 hatten die „Sex Pistols“ ihren ersten Auftritt im „St. Martin's Art College" in London. Nach dem sie nur fünf Songs gespielt hatten, wurde das Konzert unterbrochen. Am nächsten Tag führten sie ihren 30-Minütigen Auftritt an der „Central School of Art and Design“ fort. Die ersten Auftritte der Sex Pistols lösten eine Initialzündung aus. Obwohl in ihren Konzerten kaum 100 Besucher erschienen, inspirierten ihre Auftritte eine große Anzahl der Zuschauer dazu eigene Bands zu gründen, oder bestehenden Bands dazu, ihre Musikrichtung zu ändern. Es folgten Bands wie „The Clash“ und „Damned“. Das besondere an der Punkszene war, dass jeder daran teilnehmen konnte. Jeder konnte sich auf die Bühne stellen und seine drei Akkorde auf der Gitarre schrammeln oder einfache Uffta-Rhytmen auf den Drums klopfen. Das war Punk. Und das ist der Grund, warum heute viele Leute sagen, Punk sei tot. Punk hat sich verändert, hat sich weiterentwickelt und unzählige Unterarten entwickelt. Man kann sich nicht mehr überall auf die Bühne stellen und seine drei Akkorde schrubben. Der Punk hat sehr an musikalischen Qualitäten gewonnen. Er ist massentauglich und somit auch kommerziell geworden. In Teile der Punkszene sind viele optimistische Grundeinstellungen geflossen, entgegen der früheren „No Future"-Einstellung. Punk hat sich vermischt mit vielen andern Musikrichtungen und Einflüssen. Punk, Punkrock, Emo Punk, Hardcore Punk, Punk'n'Roll, Poppunk, Skapunk, Politpunk, Funpunk, Melodic Punk, Skatepunk, Deutschpunk, ... - Jede der PunkMusikrichtungen hat auch seine eigene Szene. Es gibt jedoch gemeinsame Merkmale, die typisch sind für die Punk-Kultur: Punk bringt seine Kritik durch Punkmusik, den Kleiderstil, aber auch Fanzines (Fanzines sind Magazine, die von Fans für Fans gemacht werden. Sie werden oft fotokopiert oder im Offsetdruck vervielfältigt. Die Macher der Fanzines sind engagierte Mitglieder der entsprechenden Szene und betreiben das Schreiben und Vervielfältigen der Hefte auf eigene Kosten und nicht selten in ihrer Freizeit) zum Ausdruck. Punk betont das Hässliche und will provozieren. Er stellt sich gegen die Gewohnheiten, die herrschende Klasse, die Konsumgesellschaft, das Bürgertum und gegen Snobismus. Durch seine strikte Antihaltung und einer Lebensart von „Anarchie - 66 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz und Chaos”, wendet er sich gegen das ihm vorgelebte hierachische Gesellschaftssystem. Manche Punks sehen für sich keine Zukunftsperspektive (Schlagwort: „No Future” auf sich selbst angewendet), somit ist auch die oft körperschädigende Lebensart vieler Punks zu erklären. Es gibt aber auch komplett gegenteilige Tendenzen in der Punk-Szene, wie die Straight Edge-Bewegung. 9.4.1.2 New York Nihilismus Anknüpfend an die Pop Art der frühen 60er Jahre suchten Künstler der unterschiedlichsten Sparten hier eine „Punk-Art“ zu schaffen. Alles als wertlos und trivial angesehene sollte als Ausgangspunkt für Kunst dienen und durch eine möglichst schockierende Darstellung dieses Wertlosen sollte das herrschende Wertesytem in Frage gestellt, die Kehrseite dieses Systems ausgestellt werden. Die Szene setzte sich zusammen aus Kunststudenten, Musikern, Jungfilmern, Videokünstlern, Fotografen und Journalisten, als typische musikalische Vertreter dieser neuen Avantgarde sind Patti Smith, die New York Dolls, Iggy Pop, die Ramones u. a. zu nennen. 9.4.1.3 No Future – Lebenseinstellung In den 70er-Jahren ging es in England wirtschaftlich immer mehr den Bach runter. Viele der Jugendlichen fanden nach ihrer Ausbildung keine Arbeit. Es gab kein ausgereiftes Sozialsystem, so saßen viele der Jugendlichen auf der Straße. Dadurch entstand der Hass, gegen die Gesellschaft. Und dieser Hass wurde noch verstärkt, als die Jugendlichen merkten, dass die Gesellschaft total oberflächlich war. Weil sie sich schäbig kleideten und sich verrückte Frisuren machten, wurden sie vom kleinbürgerlichen Spießbürger in Schubladen gesteckt. Bewusst wollte man sich dagegen auflehnen. So erlebte Punk in England einen wahren Boom. Vor allem bei den Kindern der Arbeiterfamilien fand Punk seine Anhänger. 9.4.1.4 Hardcore Punk Hardcore ist „metallischer“ und „aggressiver“ als „gewöhnlicher“ Punk. Innerhalb des Hardcore gibt es stilistische Unterschiede: Old School bezeichnet, wie der Name schon sagt, die Stilrichtung, die sich noch sehr an den Wurzeln des Hardcore im Punk orientiert (in ihren Texten rufen Old School-Bands auch heute noch zur Revolution auf); New School bezeichnet eine von Heavy Metal und Jazz beeinflusste Stilrichtung (in ihren Texten betonen die Bands die Rolle des Einzelnen bei gesellschaftlichen und politischen Veränderungen); Emocore ist die jüngste Stilrichtung, im Vergleich viel melodischer und nähert sich an Alternative Rock und Power Pop an (die Lyrics berichten vom Leiden des Einzelnen unter den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen oder behandeln auch einfach Themen wie Freundschaft und Liebe) - die Szene ist sich nicht einig, ob Emocore überhaupt noch als Hardcore gelten kann. Die Hardcore-Szene positioniert sich gegen Sexismus, Rassismus und Kapitalismus. Auch der Verzicht auf Drogen und auf Tierprodukte sowie das Engagement für Menschen- und Tierrechte gehören oft zum Hardcore-Lebensstil (siehe StraightEdge-Lebenseinstellung). “Hardcore wird nicht gehört, sondern gelebt“. In ihren Texten verkünden die Bands - 67 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz nicht nur ihre Meinung von Staat und Gesellschaft, sie propagieren den bewussten und konsequenten Lebensstil. In ihren Texten verweisen sie auf die innere Stärke jedes Einzelnen und den Rückhalt aus der Szene-Gemeinschaft, sie fordern dazu auf, den gewählten Lebensstil konsequent beizubehalten, um so die Gesellschaft zu verändern. Trotz aller Diszipliniertheit und moralischen Vorstellungen wird auf HardcoreKonzerten ausgelassen gefeiert. Konzerte sind typisch für die Hardcore-Szene, sowohl als Event als auch als Treffpunkt. Live-Musik ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Szene. Die Konzerte finden in günstig zu mietenden Räumlichkeiten statt, in Jugendzentren, autonomem Zentren, Kneipen und Diskotheken, auch in ehemaligen Lager- oder Fabrikhallen. Aufwändige Lichtanlagen oder Bühnendekorationen sind nicht üblich; auf eine gute Soundanlage wird allerdings Wert gelegt. 9.4.1.5 Straight Edge – Lebenseinstellung Straight Edge bezeichnet einen Lebensstil und eine Jugendkultur. Der Begriff "Straight Edge" geht ursprünglich auf einen Song der Hardcore Punk-Band „Minor Threat“ zurück, die von Ian MacKaye (später bei Fugazi) und Jeff Nelson 1980 gegründet wurde. In ihren Texten beschreiben sie ihre Abneigung über den üblichen Umgang mit Drogen in der Punkszene. Ihrer Meinung nach hatte der Punk als Protestkultur durch die Drogen sein ursprüngliches Ziel verloren: den Protest. Durch Abstinenz wollte man wieder auf den geraden Weg zurückfinden. Die Basis dieses Lebensstils wird überwiegend definiert durch die beiden Songs von Minor Threat "Straight Edge" und "Out of Step (with the world)" von 1981. Vor allem der Refrain des letzteren wurde von vielen Nachfolgebands als Grunddefinition von Straight Edge verstanden: Don't smoke Don't drink Don't fuck At least I can fucking think Diese Liedtexte erwiesen sich als äußerst einflussreich und ließen in den kommenden Jahren diverse Straight Edge Hardcore Bands entstehen, wie SSD, Youth of Today oder Gorilla Biscuits. Von da an blieb Straight Edge ein wichtiger Teil der Hardcoremusik und vielfach definieren sich Hardcorebands auch darüber. Bestandteil dieser Lebensphilosophie ist Abstinenz von bestimmten Dingen. Als allgemein anerkannt gilt die Abstinenz von halluzinogenen Drogen, Zigaretten und Promiskuität (=Sex mit häufig wechselnden Partnern). Manche Anhänger der Bewegung erweitern den Begriff für sich persönlich, z.B. durch den Anspruch, keinen Sex vor der Ehe zu haben. Umstritten ist die Meidung der "Droge" Koffein. Selbst dem Sänger von Minor Threat wurde vorgeworfen, er sei nicht "straight", weil er Kaffee trinke. Seit dem Ursprung im Jahre 1981 hat sich die Auffassung des Begriffes Straight Edge in der Hardcoreszene gewandelt. Für viele ist Straight Edge mittlerweile mit dem Veganismus/Vegetarismus verbunden, welches ursprünglich nichts miteinander zu tun hatte. - 68 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz So kann man die Abstinenz von Tierprodukten als Erweiterung des ursprünglichen Straight Edge Gedankens ansehen. Als problematisch erweisen sich Vertreter, die Straight Edge als politisches Statement definieren. Die einzigen Quellen, die das belegen konnten, blieben die Liedtexte, welche aber sehr viel Interpretationsspielraum zulassen. Durch das Fehlen einer richtigen, festen Definition wurden in der Hardcorebewegung zahlreiche Diskussionen über die Motive, Mittel und Ziele von Straight Edge ausgelöst. Als Erkennungszeichen in der Szene wird häufig ein grosses "X" genutzt. Da in den frühen 80er Jahren Punk-Konzerte fast ausschließlich in Clubs statt fanden, in denen Alkohol ausgeschenkt wurde, durften Punks unter 21 Jahren diese nicht besuchen. Daraufhin entstand die Praxis, noch nicht volljährigen Punks den Handrücken mit einem "X" zu markieren - an diese wurde dann kein Alkohol ausgeschenkt und sie konnten den Club betreten. Die Abwandlung "XXX" kommt aus Washington D.C. und ist eine Anspielung auf die dortige Flagge, bei der drei Sterne nebeneinander stehen. Weiterhin ist aber auch die Abkürzung sXe geläufig. Viele Straight-Edger malen (oder im extremen Fall: tätowieren) sie sich auf beide Handoberflächen, um ihre Zugehörigkeit zu präsentieren. Hieraus wird deutlich, dass der Lebensstil des Straight Edge eine Entscheidung für das ganze Leben markieren soll. Nicht selten aber kehren Anhänger im Laufe der Zeit ihrem früheren Bekenntnis wieder den Rücken zu, da es auf Dauer einfacher ist, den gesellschaftlichen Zwängen und Versuchungen nachzugeben. Kritiker führen weiterhin an, dass Straight-Edger sich elitär sähen und anderen ihre Ideale offensiv aufdrücken möchten. 9.4.1.6 Die „Körperkunst“ der Hardcore-Szene Wie bereits angesprochen lassen sich viele Anhänger dieser Szene tätowieren. Aber nicht nur Straight-Edge-Motive sind üblich, sondern auch viele andere Motive, mit denen Lebenseinstellungen oder einfach die Liebe zur Musik ausgedrückt werden, indem man sich beispielsweise das Instrument tätowieren lässt, das man selbst spielt oder den Band-Namen einer Band, mit der man sich selbst identifiziert. Weitere „typische“ Motive, die jeweils ihre eigene Bedeutung haben, sind z.B.: Brennende Herzen, die für ewige Liebe stehen Schwalben, die als Liebesboten gelten Totenköpfe, die die Angst vor der Zukunft symbolisieren oder Engel, die ein Zeichen für Hoffnung sind Ebenfalls typisch für die Hardcore-Szene sind Piercings jeglicher Art, sowie andere „Body-Arts“ wie z.B. die Dehnung von Ohrlöchern. 9.4.1.7 Die Kleidung in der Hardcore-Szene Hardcore-Kleidung war nie so extrem auffällig, doch gibt es einige „Erkennungsmerkmale“, wie etwa Nietengürtel, lockere Jeans, Converse-Schuhe, schwarz gefärbte Haare, Band-T-Shirts und Buttons an der Kleidung. - 69 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Viele Jugendliche wollen jedoch durch ihre Kleidung auf sich aufmerksam machen und ihre Zugehörigkeit zur Szene damit unterstreichen. Somit entsteht in einigen Kreisen eine Art „Wettbewerb“, wer die „coolsten Klamotten“ hat. Besonders viel Wert wird beispielsweise darauf gelegt, dass die Bands auf dem T-Shirt möglichst unbekannt sind, um nicht als „kommerziell“ zu gelten. 9.4.1.8 Die Kommunikation in der Hardcore-Szene Das wichtigste Medium der HC-Szene ist heute, neben persönlichen Kontakten, das Internet. Vor allem den Foren wird eine große Bedeutung beigemessen. In diesen Foren kennt sich fast jeder. Das Forum ist in verschiedene Rubriken eingeteilt. Neben der Musik, politischen Themen und diversen Freizeitangeboten werden oft auch belanglose Dinge besprochen und es werden auch Verabredungen getroffen. Das Internet wird natürlich auch für überregionale Kontakte genützt. Freundschaften in verschiedenen Ländern entstehen. Und neben dem Meinungsaustausch über Musik und der Planung gemeinsamer Konzertreisen wird natürlich auch viel herum gealbert. Informationen über Konzerte und Platten werden größtenteils über das Internet und über Bekannte weiter gegeben, das Hauptmedium ist ganz sicher Mundpropaganda: „Ich geh dahin, kommst mit?" Die auf Papier gedruckten Fanzines werden seit der Verbreitung des Internets immer weniger. Besonders die Kleineren wurden vom Internet verdrängt. Auf Papier erscheinen nur mehr die großen, wie etwa das Ox, das sogar am Kiosk erhältlich ist. In der Regel sind solche Magazine aber nur in Plattenläden erhältlich oder müssen bei Mailorder-Services oder im Abo bestellt werden. 9.4.1.9 MINOR THREAT LYRICS "Straight Edge" I'm a person just like you But I've got better things to do Than sit around and fuck my head Hang out with the living dead Snort white shit up my nose Pass out at the shows I don't even think about speed That's something I just don't need I'VE GOT THE STRAIGHT EDGE I'm a person just like you But I've got better things to do Than sit around and smoke dope 'Cause I know I can cope Laugh at the thought of eating ludes Laugh at the thought of sniffing glue Always gonna keep in touch Never want to use a crutch I'VE GOT THE STRAIGHT EDGE - 70 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz "Out Of Step (With The World)" (I) Don't smoke Don't drink Don't fuck At least I can fucking think I can't keep up, Can't keep up Can't keep up Out of step with the world 9.4.1.10 Quellen www.r-otten-s.de www.laut.de www.poisonfree.com www.wildcat.de www.plyrics.com www.unbreakable.ch www.wikipedia.org www.jugendkultur.at 9.4.2 Hip Hop Hip Hop ist nicht nur ein Musikstil, sondern bildet mit Rap, DJing, Breakdance und Graffiti eine ganze Hip Hop Kultur. 9.4.2.1 Entstehung des Hip Hop Die Hip Hop Kultur hat ihren Ursprung aus den frühen 70iger Jahren. Sie entstand in den Ghettos der Bronx. In der Bronx wanderten im Verlauf der 60iger Jahre die schwarze Ober und Mittelschicht in andere Vororte New Yorks aus, und hinterließen dort so eine isolierte afroamerikanische Bevölkerung. Stadtbauliche Fehlplanungen im sozialen Wohnungsbau und beim Bau einer Umgehungsstraße, die die Bronx vom Rest der Stadt abschnitt, verstärkten den Effekt noch. So entstand ein schwarzes Ghetto indem Bandenkriminalität, Verarmung und Verwahrlosung die Folge waren. In dieser Weise von Mehrheitskultur isoliert, entwickelten sich eigene Formen der kulturellen Organisation. Daraufhin fanden illegale, meist spontan Organisierte Partys in alten Fabrikgebäuden, auf den Straßen, oder in Parks statt. Die sogenannten Block Partys. Sie gelten als Anfang des Hip Hop. Dort legten die ersten DJs Platten auf, und mischten diese zu neuen Beats und Rhythmen. Den MC, also den Sänger gab es ganz am Anfang noch nicht. Es gab legendlich eine Person zur Unterstützung des DJ, der die Menge anheizen sollte, indem er einzelne Worte oder kurze Sätze rief. Dies entwickelte sich weiter und - 71 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz einzelne Worte und Sätze wurden zu richtigen Texten. Das war die Geburt des Raps b.z.w. Sprechgesangs. Einige der bekanntesten Künstler der ersten Rap Zeit waren: RUN DMC, die SUGARHILL GANG, GRANDMASTER FLASH und AFRICA BAMBAATA. Da diese Art von Musik immer attraktiver und bekannter wurde, begrenzte sie sich nicht mehr nur auf die Bronx, sondern ereichte nach und nach auch die anderen Stadtteile New Yorks wie auch andere Städte. Entgegen allen Erwartungen, ereichte Hip Hop einen immer größeren Bekanntheitsgrad. Immer mehr Künstler wollten nun diese Musik machen. Daraus entstanden dann immer neue und unterschiedliche Arten der Musik. Mit Tupac Shakur und Notorius BIG hatte Hip Hop Mitte der 90iger seine bisher erfolgreichsten Interpreten, die leider erschossen wurden sind. In den 90iger Jahren begann dann auch die Kommerzialisierung des Hip hop. Weitere bekannte Künstler sind der WU TANG CLAN, Dr. DRE, SNOOP DOG und NAS. 9.4.2.2 Gangster Rap Eine neue Art des Rap war der Gangster Rap, der Ende der 80iger Jahre aufkam. Im Gegensatz zu den anderen Rap Formen wird hier ohne moralische bedenken über Kriminalität und Gewalt gerapt. In manchen Fällen auch dazu aufgerufen. Eine der berühmtesten Crew ist die „ Niggas With Attitude“ die N.W.A. aus Los Angeles. Ihnen wurde immer vorgeworfen Gewalt zu verherrlichen anstatt dagegen anzugehen. 9.4.2.3 Graffiti Szene Die Graffiti Szene gehört wie der Rap auch zur Hip Hop Kultur und ist für viele Leute große Kunst und für viele nur Schmiererei. • Graffitis entstand ende der 60iger in den New Yorker Stadtteilen Bronx, Brooklyn und Queens. Am Anfang war Graffiti nur auf das massenweise Schreiben von Tags (Decknamen) beschränkt. Sie waren nur mit Filzstiften gemalt. : 1968 beginnt Julio 204, in Manhattan im Verlauf von zwei Jahren eher unauffällig mit einem dünnen schwarzen Filzstift an immer neuen Orten seinen Namen anzubringen. (204 ist die Nummer der Straße, in der er wohnt.) Er findet einen Nachahmer in Taki 183, der nach seiner Schulzeit als Bote arbeitet und seine Tags auch außerhalb seines Stadtteils anbringt. Taki 183 wird bekannt durch ein Interview in der New York Times vom 21. Juli 1971. Dieser Artikel zieht eine Welle des Taggens (Bombens) nach sich. • Schon bald wird es in New York immer schwieriger, überhaupt noch aufzufallen. Deshalb werden die Signaturen immer kunstvoller und komplizierter gestaltet. 1972 wird bereits das erste Masterpiece durch den Writer Super Kool gesprüht. • • • 1973 beginnen die Style Wars, friedliche Wettkämpfe einzelner Writer und Crews um die besten Graffiti. Der Writer Pistol II verwendet als erster Bubble Letters; die Writer Priest 167 und Pistol I führen als erste 3 D - Effekte in die Pieces ein. 1973 oder 1975 wird der erste Whole Car, ein ganzer U-Bahn - Waggon, gesprüht. Das Anbringen von Graffiti auf Zügen führt zu scharfen Polizeiaktionen: Die Betriebshöfe der New Yorker U-Bahn werden mit doppeltem Stacheldraht und Schäferhunden gesichert. Polizeiaktionen, Säuberungen der Züge und das Anti - Graffiti - Gesetz haben zunächst wenig Erfolg. (Erst mit Beginn der 90er Jahre zerbricht nach ca. fünfzehn Jahren Kampf durch die Betreiberfirma der - 72 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz New Yorker Metro (MTA) in Zusammenarbeit mit der Polizei (Vandal Squad) die New Yorker Zug - Writer - Szene.) 9.4.2.4 Hip Hop in Deutschland Anfang der 80iger Jahre kam Hip Hop auch nach Deutschland. Die Musik verbreitete sich durch Platten, Filme und GIs. Es entstanden Jams verschiedene Veranstaltungen und es bildete sich ein Netzwerk. Hochburgen des Hip Hop sind Hamburg, Berlin und Stuttgart. Am Anfang wurde in Deutschland nur auf Englisch gerapt. Später begannen die Leute dann auch auf Deutsch zu rappen. Den Grundstein dafür legte der MC Torch. Mit den Jahren konnte sich Hip Hop in Deutschland etablieren, und immer mehr Künstler kamen hervor. Dadurch das der Hip Hop auch hier immer kommerzieller wurde schlugen viele neue Raper die Mainstream Schiene ein, um in die Charts zu gelangen. Wie z.B. Sabrina Setlur oder Xavier Naidoo. Im Gegenzug entwickelte sich aber auch die sogenannte Untergrund Szene und der Battelrap ( Kool Savas) weiter, die normalerweise versucht diese Mainstream Schiene zu vermeiden um „real“ zu bleiben. 9.4.2.5 Konsum und Medien Die Hip Hop Maschinerie, die derzeit durch die globale Jugendkultur fährt, erwirtschaftet jährlich mehr als 5 Milliarden Dollar. Hip Hop-Künstler und die Botschaften, die sie rausschicken, erreichen mittlerweile jede Facette unseres täglichen Medien orientierten Lebens – Filme, TV Shows, Radio, Internet, SMS, Mode, ja sogar die Politik kommt nicht mehr an ihr vorbei. Der Hip Hop-Stil ist ein wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft geworden, dessen Subkultur weltweit Anschluß findet. Selbst der amerikanische Nachrichtensender CNN kündigte letztens an, gewisse Elemente der Hip Hop Sprache („Lingo“) in seine tägliche Berichterstattung zu integrieren. Dies ist eigentlich gar nicht so abwegig, bedenkt man das große Interesse der Werbeindustrie an der Hip Hop Gemeinde und deren Konsumenten (ca. 60 Milliarden Dollar werden jährlich in TV Spots und Werbung investiert). Hip Hop hat die Art und Weise, wie Musik gemacht wird, völlig verändert und den Lebensstil einer ganzen Generation von Jugendlichen - beinahe weltweit - geprägt. Hip Hop hat nicht nur Wesentliches zum Boom des Musikgeschäfts beigetragen, sondern auch eine ganze Modeindustrie hervorgebracht - und mit Hip Hop haben die Afroamerikaner zum erstenmal einen eigenständigen kulturellen Ausdruck gefunden und diesen auch noch selber vermarktet. In der Hip Hop Szene die sich jenseits von MTV und VIVA- Video Clips abspielt, zählen weder Goldketten noch Autos oder teure Klamotten .Auch wenn es dank Marketing Produkten wie z.B. 50- cent, Eminem oder Eko Fresh schwer zu glauben ist, definieren sich die Jugendlichen in der Hip Hop Szene über ihr können in Musik, Breakdance oder Graffiti. Hip Hop ist halt weit mehr als nur Musik, es ist eine Lebenseinstellung. - 73 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 9.4.3 Gothik / Metal 9.4.3.1 Gothik Die Gothic-Bewegung, wie wir sie heute kennen, ist stark geprägt von einer Entwicklung in der Musikszene zu Beginn der 80-er Jahre. Damals entwickelte sich aus der Punk-Szene ein neuer Musikstil, mit dem man sich von der konventionellen Musik und der tanzfreudigen und bunten Discomusik der 70-er Jahre abgrenzen wollte. Der eher langsame und schleppende Klang der Musik wirkt wehmütig und düster und die Texte sind sehr melancholisch. Oft handeln sie von Tod, Schmerz, Liebe, Gewalt, Verlust und Lebenstragödien. Im Gegensatz zur protestierenden Punkbewegung setzte die Gothic-Szene eher auf Rückzug und Verweigerung. Es wäre jedoch falsch, das Gothic-Phänomen nur auf den Bereich der Musik zu reduzieren. Gothic ist eine Subkultur, ein Stil und eine Lebenseinstellung, eine Art und Weise des Denkens, die man unmöglich pauschal beschreiben kann. Der ‚rote Faden’ der Gothic-Kultur ist die friedliche und unpolitische Ablehnung vieler Merkmale unserer Gesellschaft, die Auseinandersetzung mit Tabus und die Anerkennung der Gegensätze des Lebens. Viele Goths haben einen starken Hang zu Geschichte, Literatur (besonders anspruchsvolle Literatur und Klassiker) und Musik, wobei letzteres eine zentrale Rolle in der Gothic-Kultur spielt. Viele Goths neigen dazu, vermutlich aufgrund ihrer eigenen Vorgeschichte, mit Schwächeren mitzufühlen, sich in sie hineinzuversetzen und sich für sie einzusetzen. In einer Gesellschaft, die Sterben und Vergänglichkeit verleugnet, deren Angst vor dem Tod und Ringen nach ewiger Jugend und Unsterblichkeit schon fanatisch ist, pflegen Goths die symbolische Artikulation von Trauer und Tod und setzen sich mit der eigenen Einsamkeit und Todesnähe kritisch auseinander. Der Anschein, dass Goths eine gesteigerte Todessehnsucht besitzen, begründet sich mit der Tatsache, dass sie den Tod und das Vergehen als selbstverständlichen Teil des Lebens und des natürlichen Kreislaufs erkennen und akzeptieren. Demzufolge sind Tod und Sterben häufige Themen in Gesprächen, Gedichten und der Musik Für Gothics oder Grufties sind die dunklen Seiten des Lebens faszinierend. Und das teilen sie ihrer Umwelt mit durch die Musik, die Kleidung und die Lebenseinstellung. Mit ihrer schwarzen Kleidung, den dunkel geschminkten Augenhöhlen und Lippen, den schwarzen Haaren und der leichenblassen Schminke tragen sie Schwermut und Weltschmerz zur Schau. Manche mögen Kerzen, Friedhöfe, Totenköpfe und Särge. Dabei sind echte Grufties nicht mit Satanisten zu verwechseln oder mit Leichen ausbuddelnden Grabschändern. Der Gruftie will sich von der normalen Welt, den traditionell feststehenden Werten und Normen abgrenzen. Er fühlt sich als Tabubrecher, der in einer Gesellschaft der ‚ewigen Jugend’ und des ‚Immer-gutdrauf-Seins’ die Schattenseiten des Lebens (z.B. den Tod) ins Spiel bringt. Diese dunklen Seiten, die dem Normalbürger eine Gänsehaut verursachen, werden von den Grufties regelrecht kultiviert. Dabei ist die Farbe ‚schwarz’ der symbolische Ausdruck für die Lebenshaltung und Zeichen der Abgrenzung zum ‚Normalen’. - 74 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 9.4.3.2 Metal Gegen Ende der 60-er Jahre begann sich aus der traditionell Rhythm & Blues orientierten Rockmusik eine härtere Spielweise zu entwickeln. STEPPENWOLF′s "Born to be wild" von 1967 oder LED ZEPPELIN′s Hit ,,Whole lotta love" von 1969 zählen zu den ersten Liedern des Hard Rock, der sich zu entwickeln begann. Auch JIMMY HENDRIX und DEEP PURPLE (,,Smoke on the water") zählen zu den Gründern der harten Töne, die dann in den Heavy Metal übergingen. Schon seit den frühen Anfängen dieser Musikrichtung versuchten Musiker, die Gesellschaft aus ihrem Tiefschlag zu reißen und ihnen die unangenehmen Wahrheiten der Welt mit wütenden Liedern ins Gesicht zu brüllen. Die Musik war und ist Ausdruck einer rebellierenden Jugend. Die Musik hat sich wie jede andere Richtung auch von ihrer ursprünglichen Form zu dem heute bekannten Metal sehr gewandelt. Mittlerweile wird Metal in viele verschiedene Unterarten afgeteilt. Jugendliche Heavy Metal Fans formen ihren Musikgeschmack mit einer derart außergewöhnlich starken Absolutheit zu einer Lebenseinstellung, einer den ganzen Alltag begleitenden Selbstdarstellungsweise, das man sich die Frage stellt, wie Metal sich zu religiösität verhält. Die Musik wird als göttlich beschrieben, persönliche Sorgen und Nöte werden durch die Botschaften der Bands gemildert, die Konzerte werden zu einem heiligen Ort, an dem die irdischen Qualen vergessen werden können. Oft werden Formulierungen wie: Das brauche ich zum Leben benutzt, die zeigen welch hohen Stellenwert die Musik hat. Meines Erachtens, gibt es drei wesentliche Gründe, warum Jugendliche sich für Heavy Metal begeistern: Die Musik, die Authentizität der Bands und die Gemeinschaft Gleichgesinnter. 9.4.4 Hörbeispiele zu den einzelnen Musikstilen 9.5 Fragen und offene Diskussionsrunde Fragen zum Thema Bindungen an die Musik- und Kunstszene 1) Wann/bzw. in welchen Situationen hört ihr Musik? 2) Welchen Stellenwert hat Musik/Kunst für Euch? 3) Würdet ihr Euch selbst einer Musikszene zuordnen? Wenn ja, welche und warum? 4) Was mögt ihr an der Musik/weshalb hört ihr diese Musik? (z.B. Texte, Aussehen der Band, Beat, Szene) 5) Besucht ihr Konzerte oder Ausstellungen, wenn ja wie regelmäßig? 6) Ist Musik eine Form von Kunst für Euch? - 75 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 9.6 Referenten • • • • Tim Wagner Andi van der Mal Laura Kümpel Sebastian Nagelschmidt - 76 - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 10 Bindung an Gewohnheiten 10.1 Struktur Stundengestaltung Zeit Inhalt Ziel auf die Methode 09:30 – 09:45 aus der geordneten je zwei Personen an Uhr Situation herausbringen Gewohnheit den Handgelenken aufmerksam aneinander binden machen 09:45 – 09: 55 Familienalltag mit Gewohnheiten Alltagszene Uhr Gewohnheiten anschaulich nachspielen darstellen Ab 09:55 Uhr Frage nach Versuch der Offenes Gespräch, Gewohnheiten (Judith, Differenzierung Diskussion, Tafel Simone) Stichwörter an die Tafel schreiben Frage nach der Versuch der Offenes Gespräch, Bedeutung der Antwort Diskussion Einleitung Schwierigkeit der Vorträge Gewohnheiten Abgrenzung klar (Nadine) machen, Sucht (Sarah) Versuch der Rituale (Simone) Erklärung Gewohnheiten (Sarah) Bindung an Gewohnheiten (Iwona) Zwänge (Judith) Am Schluss der Frage, wie sich die Auf die Stunde zusammengebundenen Gewohnheit Personen gefühlt haben aufmerksam und was es für sie machen bedeutet hat - 77 - Entfesseln Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 10.2 Theaterrollen Oma: Die Oma der Familie ist sehr gläubig. Sie besteht auf das morgendliche Gebet. Außerdem gehört es für sie jeden morgen dazu ihre Tabletten in der richtigen Reihenfolge und immer exakt zur selben Zeit einzunehmen. Sie führt die meiste Zeit Selbstgespräche und fühlt sich auch ständig durch alles Mögliche gestört. Ihre Enkel begrüßt sie mit einem Küsschen. Vater „Paul“: Vater Paul kommt erst später an den Frühstückstisch, nachdem er mehrmals gerufen wurde. Beim Eintreten in die Küche telefoniert er und bespricht neue Termine mit einem Kollegen. Kurz begrüßt er seine Kinder: „Morgen Kinder“. Die weiteren Familienmitglieder beachtet er nicht weiter und widmet sich direkt seinem Notebook. Ständig zieht er an seiner Zigarette und blättert in seinem Terminkalender. Nach dem gemeinsamen Beten fragt er kurz seine Familienmitglieder nach den Tagesplänen und deren Terminen, anschließend beschäftigt er sich wieder mit Rauchen, Arbeiten und Telefonieren. Als alle den Raum verlassen, kommt er noch einmal zurück in die Küche. Mit dem Kommentar: „Ich wusste es...“ bläst er die noch brennende Kerze auf dem Küchentisch aus und verlässt danach den Raum. Kurz darauf erscheint er noch einmal und vergewissert sich auf ein Neues, die Kerze auch sicher ausgemacht zu haben. Die dargestellte Rolle des Vaters Paul soll auf einige Gewohnheiten aufmerksam machen. Speziell stehen hier eine Arbeitssucht (Notebook am Tisch, Terminkalender, Telefonieren), Nikotinsucht (ständiges Rauchen beim Frühstück) und ein Kontrollzwang (schaut zwei Mal nach der Kerze) im Vordergrund. Mutter „Gertrud“: Mutter "Gertrud“ verkörpert eine nicht ganz einfache Rolle, denn sie steht einer dreifachen Belastung gegenüber. Sie ist gleichzeitig Ehefrau, Hausfrau und Mutter. Ihre Pflichten im Haushalt nimmt sie sehr ernst, sie versucht stets alles sauber zu halten, um ihren Lieben ein gemütliches Heim bieten zu können. Leider übertreibt sie es immer wieder, sie leidet förmlich unter einem "Putzzwang". Der Mutter liegt viel daran, ihre beiden Kinder "Jenny" und "Kevin" richtig zu erziehen. Ihr ist es wichtig, dass sie sittliche Verhaltensnormen beherrschen. So ist sie ständig damit beschäftigt, ihre Kinder auf Defizite und Fehlverhalten hinzuweisen. Das Verhältnis zu ihrem Ehemann Paul leidet sehr darunter, dass er so stark in sein Berufsleben eingebunden ist. So sehen sich die Eltern nicht unbedingt oft und das schlimme ist, dass Paul sogar beim Frühstück nur an seine Arbeit denken kann. Die morgendliche Frühstückszeit ist Gertrud jedoch heilig. Sie wünscht sich ein ruhiges Beisammensein mit der ganzen Familie, doch meistens geht es am Frühstückstisch eher hektisch zu. - 78 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Zusammenfassend kann man Gertrud als eine Frau bezeichnen, die es in ihrer Position nicht immer einfach hat, aber trotzdem versucht, ein harmonisches Familienleben zu leben. Tochter „Jennifer“: Tochter Jennifer kommt in die Küche und begrüßt Mutter und Oma. Dann setzt sie sich an den Tisch und beginnt sich ihre Haare zu kämmen. Dabei wippt sie mit dem Stuhl. Sie beginnt zu essen, ohne das allmorgendliche Gebet abzuwarten. Danach fragt sie, warum es denn keine Brötchen gibt und als ihr Vater nach den Tagesplänen fragt, schlägt sie vor, Eis essen zu gehen. Die Rolle der Tochter Jennifer soll auf die Gewohnheiten Haare kämmen, mit dem Stuhl wippen, die Rituale Gebet vor dem Essen, Brötchen-Frage und die Normen nicht am Tisch die Haare kämmen und nicht mit dem Stuhl wippen aufmerksam machen. Außerdem wird mit der Frage an den Vater, ob sie zusammen Eis essen gehen könnten auf dessen Arbeitssucht hingewiesen. Sohn „Kevin“: Kevin stellt einen etwa 11-jährigen Jungen dar, der relativ uninteressiert am Geschehen der Familie teilnimmt. Er beteiligt sich kaum an den Gesprächen seiner Familienmitglieder am Frühstückstisch und beschäftigt sich fast ausschließlich mit seinem Game Boy. Seine Mutter ermahnt ihn des Öfteren, das Spielzeug während des Frühstücks beiseite zu legen. Kevin befolgt ihre Bitte jedoch nur mit Widerwillen. Es lässt sich noch an weiteren Beispielen erkennen, dass Kevin keine guten Manieren hat. Die sehr gläubige Großmutter muss immer wieder mit ansehen, dass Kevin und seine Schwester mit dem Essen beginnen, ohne das Tischgebet abzuwarten. Des Weiteren zieht Kevin seine geliebte Kappe nicht ab und schmatzt während des Essens. Die genannten Verhaltensweisen Kevins stellen Gewohnheiten dar, die unsere Gruppe in Süchte, Normen und Rituale differenziert hat. Die Tatsache, dass Kevin während des Essens seine Kappe nicht absetzt sowie laut schmatzt, charakterisierten wir als Normen, die von der Familie gesetzt und nicht eingehalten wurden. Das ständige Verlangen mit dem Game Boy zu spielen verstanden wir als Spielsucht und das Tischgebet war für uns ein Ritual der Familie. 10.3 Definition / Erklärung 10.3.1 Gewohnheiten Eine Weile haben wir nun über Gewohnheiten und deren möglichen Bedeutungen diskutiert. Jeder von uns kennt den Spruch:„Die Macht der Gewohnheit“. Wie man sieht wird er auch in der Presse gerne als Überschrift verwendet. Doch was ist gemeint wenn man von Gewohnheiten spricht. Hier lautet der Untertitel: „Erstmals widmet sich eine Studie dem Suchtverhalten von Studierenden“. Hier geht es um Sucht. Ist das das Gleiche wie eine Gewohnheit? Oder wurde die Gewohnheit zur Sucht? Das ist ein Beispiel für Fragen, die wir uns in unserer Gruppe gestellt haben. Die Abgrenzung erscheint uns ziemlich schwierig und oft sehr subjektiv. - 79 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Im Internet unter www.wikipedia.de konnte ich eine Definition allgemein zu Gewohnheiten finden: Gewohnheit bezeichnet ein Verhaltensmuster, das durch häufige Wiederholungen automatisiert und zur Routine geworden ist. Im Duden war ähnliches zu lesen: „Gewohnheit ist, wenn etwas durch stete Wiederholung selbstverständlich geworden ist.“ Allgemein konnte ich im Internet zur Ausprägung von Gewohnheiten noch folgendes finden: „Wenn sich die Gewohnheit auf eine Mehrheit von Individuen erstreckt, dann wird sie zum Brauch. Dehnt sie sich auf eine Folge von Generationen aus, so wird sie zur Tradition.“ Wie wir in unserem kleinen Rollenspiel versucht haben darzustellen, haben wir für uns die Gewohnheiten nach Süchten, Zwängen, Ritualen und Normen abgegrenzt. Die Grenzen sind fließend und keinesfalls festgesetzt. (Quellen: www.wikipedia.org, www.duden.de, Encarta 2005) 10.3.2 Sucht Unter Sucht versteht man das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Gefühls- Erlebnis- oder Bewusstseinszustand. Das Ziel von süchtigem Verhalten ist entweder Lustgefühle herbeizuführen und/oder Unlustgefühle (z.b. Unruhe, Trauer, Wut etc.) zu vermeiden. Neben den stoffgebundenen Süchten (z.b. der körperlichen Alkohol-, Nikotin, Heroinsucht sowie der psychischen Cannabis- und Kokainsucht) gibt es die Süchte, die durch jede Form menschlichen Verhaltens entstehen können (z.b. Magersucht, Arbeitssucht, Spielsucht). Die Suchtursachen sind in den biologischen, psychischen, sozialen und gesellschaftlichen Faktoren zu finden (multifaktorieller Prozess). Ein biologischer Faktor ist zum Beispiel, dass das menschliche Verhalten durch ein Belohnungssystem gesteuert wird, dass auf den Botenstoff Dopamin beruht. Es entsteht ein Wiederholungseffekt, das Individuum verspürt die „Lust nach mehr“. Das Gehirn passt sich hierbei dem Konsumverhalten an. Individueller Hintergrund ist in der Regel eine Selbstwertschwäche. Suchtverhalten kennzeichnet den Prozess von der Erfahrung über den Wiederholungszwang, der Dosissteigerung, der psychischen bzw. physischen Abhängigkeit zu den Entzugserscheinungen (körperliche Symptome, wie z.b. Zittern, treten auf, wenn der Zugang zum Suchtmittel unterbrochen ist). Suchtverhalten entwickelt sich innerhalb einer Phase der Gewöhnung. Weitere wichtige Kriterien der Sucht sind der Wirkungsverlust (die Wirkung des Suchtmittels wird mit der Zeit durch Gewöhnungseffekte abgeschwächt) und der Kontrollverlust (die Unfähigkeit, willentlich die Menge des Suchtmittels zu begrenzen). Zum Begriff der Sucht: Sucht geht auf das Verb „siechen“ zurück, welches krank sein bedeutet. Aus diesem Grund wird Sucht als krankhaftes Verlangen verstanden. Des weiteren sollte angemerkt werden, dass der Begriff „Sucht“ in wissenschaftlichen Arbeiten nicht mehr verwendet wird, da er 1964 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch den Begriff der „Abhängigkeit“ ersetzt wurde. (Quellen: www.wikipedia.org,www.blaues-kreuz.de,www.landesstelle-berlin.de, www.jugend-hilft-jugend.de) - 80 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 10.3.3 Rituale Ein Ritual zu definieren ist ebenfalls nicht so leicht. Man kann es aber ungefähr so sagen: Rituale sind Ereignisse mit genau festgelegten Abläufen und Regeln. Rituale kommen sowohl in der Biologie (genetisch festgelegte Verhaltensmuster, speziell bei Nahrungsaufnahme und Fortpflanzung), als auch in der Religion (wiederkehrende Gebetsformeln, regelmäßige und berechenbare Handlungszeremonien) vor. Auch im Arbeitsalltag gibt es eine Menge von Ritualen, die immer wieder kehren (z.b. Frühstück, Arbeitsweg, verschiedene Arbeitsvorgänge, Pausen usw.). Sie festigen den Arbeitsrhythmus und ermöglichen gleichzeitig den Ausbruch aus dem Alltag. Unter Wikipedia wird Ritual so definiert: „Ein Ritual ist eine kulturell gebundene menschliche Handlung, die durch geplante strukturierte Mittel die Wandlung eines Lebensbereiches in über den Alltag hinaus reichende Zusammenhänge bewirkt.“ Rituale dienen außerdem der Rhythmisierung sozialer Abläufe. Deswegen teilt man sie in drei Kategorien auf: 1. Zyklische Rituale: folgen dem tageszeitlichen, wöchentlichen, monatlichen oder jährlichen Kalender 2. Lebenszyklische Rituale z.b. Initiationsrituale (bei Geburt, Mannbarkeit) 3. ereignisbezogene Rituale finden z.b. bei bestimmten Krisen wie Tod, Hungersnot Anwendung Rituale sind einem ständigen Wandel unterworfen, manche erneuern sich und treten in veränderter Gestalt wieder in der Gesellschaft. Bestimmte religiöse Rituale lassen sich z.b. im Sport, Starkult oder in der Werbung wiederentdecken. (Quellen: www.wikipedia.org, www.infoquelle.de) 10.3.4 Bindungen an Gewohnheiten Gewohnheiten sind angelernte, gebahnte, relativ automatisierte Reaktionsabläufe (z.B. Verrichtungsgewohnheiten, Verhaltensgewohnheiten, Anschauungsgewohnheiten, Denkgewohnheiten) Grundsätzlich sollte festgestellt werden, dass jeder Gewohnheiten hat und auch braucht. Gewohnheiten sind zuverlässig, sie geben Sicherheit sich bei Veränderungen schnell zurecht zu finden, sie geben Mut, Halt und Orientierung im Leben. Körperliche Gewohnheiten können uns oft Hinweise über die emotionalen Bereiche geben, in denen wir uns befinden. Gewohnheiten geben den Rahmen für das künftige Entscheiden. Man kann unterscheiden zwischen: • Heterogenen Gewohnheiten, die unreflektiert aus Kultur und Gesellschaft übernommen werden( Gesten , Bewegungen) aber auch Gewohnheiten der Wahrnehmung, des Denkens, Erkennens und Urteilens oder auch äußere Erscheinungsformen wie (Gesichtzüge, Kleidung, Sprache). • Autonomen Gewohnheiten, werden bewusst angeeignet und nicht unreflektiert übernommen, sie werden eingeübt und charakterisieren die Haltung des Individuums. Gewohnheiten stellen nur dann ein Problem dar, wenn es gilt sie zu überdenken, neu zu definieren oder sogar abzuschaffen. Genau dieses ist jedoch wichtig um Veränderungsprozesse voranzutreiben und sich jeden Tag die Chance neu geben zu können sich weiter zu entwickeln. - 81 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 10.3.5 Zwänge Unter einem Zwang ist allgemein all das zu verstehen, wogegen man relativ zu seinen Mitteln nichts unternehmen kann. Es muss etwas Bestimmtes ausgehalten werden, ungeachtet dessen, ob man will oder nicht. Aus psychologischer Sicht geht es bei einem Zwang um ein Handeln aus einem als unausweichlich empfundenen Druck heraus. Man kann zwischen äußeren und inneren Zwängen unterscheiden. Mit einem "Äußeren Zwang" ist die Veranlassung zu einem ungewollten Tun durch bestimmte Maßnahmen gemeint. Dabei kann es sich z.b. um Einsatz von Drohung mit Gewalt handeln. Innere Zwänge beeinflussen die Gedanken-und Gefühlswelt. Es geht dabei um einen unwiderstehlichen Drang, bestimmte Handlungen oder Gedanken immer wieder von neuem zu wiederholen. Da es eine große Vielfalt von Zwängen gibt, sollen hier nun einige kurz erläutert werden: "Objektiver/Absoluter Zwang": z.B. das Sterben eines Menschen, da kein Lebewesen dazu in der Lage ist, sich dem Tod zu entziehen. Eigentlich würden Grundbedürfnisse, wie die Nahrungsaufnahme mit zu dieser Kategorie zählen, aber da man z.b. durch einen Hungerstreik selbst entscheiden kann, ob man etwas isst, gehört dieser Zwang zu den "Bedingten Zwängen". Gegen "Juristische Zwänge", zu denen Strafen wie Haft im Gefängnis zählen, ist man unter normalen Umständen machtlos. Als letztes Beispiel soll nun näher auf die "Psychopathologischen Zwänge" eingegangen werden, zu denen z.b. Zwangsneurose, Zwangshandlungen und Zwangsgedanken zählen. Unter einer Zwangsneurose ist eine psychische Störung zu verstehen, bei der sich dem davon Betroffenen regelmäßig bestimmte Gedanken, Impulse oder Handlungen aufdrängen. Jemand, der unter Zwangsgedanken leidet könnte z.b. ständig grübeln, was wäre, wenn er etwas anders gemacht hätte. Oder auch die ständige Befürchtung, den Partner zu verlieren kann zum Zwangsgedanken werden. Beispiele für Zwangshandlungen wären unter anderem: Waschzwang, Weglaufzwang, Putzzwang, Sammel-oder Kontrollzwang. Besonders bei den Betroffenen ist, dass sie eine Einsicht in ihren Krankheitszustand haben. Sie kennen die Folgen genau, wissen, dass das was sie tun nicht gut ist, aber sie können es einfach nicht lassen. So sehen Menschen, die unter Waschzwang leiden zwar, dass ihre Hände vom ständigen Waschen geschädigt werden, aber sie müssen gegen das Gefühl, dreckig zu sein angehen. In vielen Fällen wird ein bestimmtes Tun als unsinnig erfahren, aber das Entscheidende ist, dass es trotzdem getan wird. (Quellen: www.wikipedia.org, www.zwaenge.de ) 10.4 Referenten • • • • • Nadine Kopf Judith Berg Sarah Brandt, Simone Schaffeld Iwona Malcharzcyk - 82 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11 Bindung an Haustiere 11.1 Einführung mit Begriffsdefinition Unter Heimtier versteht sich ein Tier, das mit dem Menschen dauerhaft in einem Haushalt zusammen lebt. Es wird unter Menschlicher Obhut gehalten und dient nicht der wirtschaftlichen Nutzung. Der Ausdruck „Haustier“ schließt auch Nutztiere, wie Hühner, Schafe und Rinder ein, die der wirtschaftlichen Nutzung dienen. 11.1.1 Ursprung des Haustieres Der Hund stammt, wie wir alle wissen, vom Wolf ab. Vor etwa 15 000 Jahren begann der Mensch den Wolf zu zähmen und an seine Nähe und Behausung zu gewöhnen. Wahrscheinlich waren die ersten gezähmten Wölfe verwaiste Welpen, deren Eltern von dem Menschen getötet wurden, von dem sie nun gezähmt werden sollten. Der Mensch züchtete später mit den Wölfen, die keinen großen Freiheitsdrang hatten. Dies waren für gewöhnlich Wölfe, die psychisch nicht besonders gefestigt waren und besonders unterwürfig gegenüber ihren Menschlichen Herren waren. Meist hatten sie eine Wolfs untypisch lange Welpenzeit. Von ihnen stammen unsere Hunde ab. Verhaltensforscher kamen zu dem Schluss, dass Hunde im Grunde nichts anderes sind, als nie erwachsen gewordene Wölfe. So bellen Wolfswelpen ebenso wie Hunde. Ausgewachsene Wölfe hingegen heulen. Domestizierte Tiere haben kleinere Gehirne im Vergleich zu ihren wildlebenden Vorfahren. Der Hund ist insofern nichts anderes als eine durch menschliche Züchtung entstandener, kindlicher und insoweit unselbständiger, sowie geistig zurückgebliebener Wolf. Heute gibt es weit über 100 Hunderassen weltweit. Während Aussehen und Größe früher von speziellen Funktionen als "Gebrauchshunde" für Jagd, Bewachung oder Hüten von Vieh abhingen, werden heute Hunde hauptsächlich als Streichel- und Heimtiere gezüchtet und dem Prestige und Modeempfinden der Hundehalter unterworfen. - 83 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.1.2 Kindchenschema Im Laufe der Jahre wurden Tiere so gezüchtet, dass sie im Menschen ganz bestimmte Emotionen auslösen. Nämlich solche Emotionen die beim Menschen den Beschützer- und Helferinstinkt hervorrufen. Den Tieren wurden äußerliche Merkmale angezüchtet, die beim Menschen ähnliche Emotionen wie bei Kleinkindern hervorrufen. Sie finden es süß, niedlich oder putzig. Merkmale: - im Verhältnis zum Rumpf großer Kopf - Hirnschädel überwiegt Gesichtsschädel - vorgewölbte Stirn - große Augen, liegen bis unter der Mitte des Gesichtsschädels - weich-elastische Oberflächenbeschaffenheit - Pausbacken - Tollpatschigkeit - 84 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.2 Mensch – Tier – Beziehung Die Beziehung zwischen Menschen und Haustieren ist immer emotionaler Natur. Dies erklärt sich aus den vielen gemeinsamen Erlebnissen und dem engen Zusammenleben. Die Bindung vom Mensch an sein Haustier ist immer individuell. Entscheidend für die Entstehung einer Beziehung zwischen Menschen und Tieren ist das Vorhandensein von Du- Evidenz. 11.2.1 Du – Evidenz „Noch bist du für mich nichts als ein kleiner Junge, der hunderttausend kleinen Jungen völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebenso wenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt ...“ (Saint-Exupéry 1997, 66f.) Mit Du- Evidenz bezeichnet man die Tatsache, dass Menschen und Tiere miteinander Beziehungen knüpfen können. Entscheidend ist die subjektive Gewissheit, dass es sich in einer solchen Beziehung um Partnerschaft handelt. Die Du- Evidenz funktioniert im Verhältnis zu Tieren (wenigstens zu für Menschen ausdrucksfähigen Tieren, im Gegensatz zu etwa Insekten) ebenso gut wie im zwischenmenschlichen Kontakt und bedarf keiner Sprache. Daher wählt der Mensch als Heimtiere solche Tierarten aus, in deren Körpersprache bzw. deren Ausdruck von Furcht, Wut, Neugierde oder Freude er sich wieder zu erkennen glaubt. Sozial lebende Tiere eignen sich besonders gut zum Aufbau einer Du- Beziehung. Menschen und Tiere wollen gleichermaßen eine derartige Beziehung eingehen, um daraus emotionale und soziale Grundbedürfnisse stillen zu können. Der Mensch sieht im Tier einen Kameraden mit menschlichen Qualitäten. Deshalb gibt der Mensch dem Tier auch einen Namen, dadurch wird das Tier etwas besonderes, es ragt aus der Masse heraus, wird ein Individuum und zu einem Familienmitglied. Ein Aspekt der die Mensch-Tier-Beziehung zu etwas besonderem macht ist das „Verstehen ohne Worte“. Das Tier kann zwar keine sprachliche Information verstehen, es nimmt aber dafür intuitiv die Stimmung wahr, indem es nonverbale Signale auffängt. Gesten, Blicke, Bewegungen und Berührungen, aber auch die Stimmmodulation und der Sprachrhythmus im jeweiligen Kontext sind dafür entscheidend. Einem Tier kann und muss man nichts vormachen. Es spürt beispielsweise „die Niedergeschlagenheit seines Herrn, den sein Chef zurechtwies, aber es kennt ihn nicht als Versager.“ Unsere Haustiere haben für jeden individuell eine positive Bedeutung für unser Wohlempfinden. Um einmal die Bindung zwischen Tieren und Menschen aus unserem Umfeld kennen zu lernen, haben wir einen Fragebogen erstellt. Er wurde von 18 Leuten ausgefüllt. Davon waren 4 Männer und 14 Frauen. Dabei wurden folgende Diagramme erstellt: - 85 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.2.2 Diagramme 14 13 12 12 12 10 9 8 8 8 Allgemein Haben/Hatten Darauf bezogen 6 4 4 3 3 2 2 2 0 Nagetier Hund Katze Pferd Fische Vogel Reptilien Andere Hier sieht man, dass 100 % der Probanden, die einen Hund haben, oder hatten, sich auf diesen konzentriert haben. Wohin gegen bei Nagetier- und Katzenbesitzern festzustellen ist, dass sich nur ein äußerst geringer Teil der Probanden auf diese Tiere bezieht. Bei Tieren, die dem Menschen gegenüber kaum ausdrucksfähige Zuneigung vermitteln, wie zum Beispiel Fische, hat sich der Proband auch nicht auf das Tier bezogen. Wie würden Sie die Bindung an Ihr Haustier beschreiben? es lebt so neben mir her 4% 11% es ist mein ständiger Begleiter 11% ich bin abhängig von Ihm 4% es ist immer da und freut sich auf mich es würde mir fehlen 44% 26% es würde mir nicht fehlen Hier wird deutlich, dass zu dem jeweiligen Heimtier meistens eine sehr enge emotionale Bindung besteht. - 86 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Wie alt waren Sie als Sie ein Haustier hatten? 6% 6% 55% seit ich denken kann 10+20 21+30 31+40 41+50 51+60 33% 61+70 71+ Über die Hälfte der Probanden halten ein Haustier seitdem sie denken können, ein drittel seit ihrer Jugend. Das zeigt, dass das Bedürfnis, ein Haustier als Gefährten zu haben meist schon in jungen Jahren entsteht. Wieso haben Sie sich ein Haustier angeschafft? weil ich es mir ohne gar nicht vorstellen kann ich war so alleine 9% 39% 4% 9% damit ich mal vor die Tür komme es sah so süß aus einfach so es passt zu mir 22% 17% es tat mir leid ich hätte mir keins angeschafft Nach Auswertung der Fragebogen ist anzunehmen, dass die Probanden, die ein Haustier seit ihrer Jugend halten, sich ein Leben ohne Dieses gar nicht mehr vorstellen können. - 87 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.3 Wohlbefinden und Gesundheit „Das Tier bleibt ein Gefühlsanker in einer Welt der Unberechenbarkeiten, der Trennungen, des permanenten Liebesverlusts, die auch jene betreffen, denen die Kindheit keine lebensgefährlichen Wunden schlug, darüber hinaus erinnert die Gegenwart des Tieres an die Gegenwart des Lebens, das jenseits der Spaltung von ‚Gut‘ und ‚Böse‘, jenseits der menschlichen Kriege und Verwundungen stattfindet. Wir nähren uns von diesem Strom der Dauerhaftigkeit, der gleichmäßigen Bewegung der Gezeiten, dem in der Muschel eingeschlossenen Rauschen des Meeres. Das Schnurren der Katze vermittelt das Gefühl von Geborgenheit, weil wir in ihm den Rhythmus eines anderen tieferen Atmens wieder erkennen.“ Aus dem Buch „Eine tierische Liebe“, von Psychologin und Publizistin Hanna Rheinz Wie bereits erwähnt, haben unsere Haustiere für jeden individuell einen positiven Effekt für unser Wohlempfinden. Dazu gehört das körperliche Wohl, welches zu einer psychischen Verbesserung führen kann und zu positiver Veränderung im sozialen Leben. 11.3.1 Psychologischer Effekt Physiologisch wirken sich Tiere vor allem günstig auf das Herz- Kreislauf- System aus. Tierhalter sind oft gesünder als Nicht- Tierhalter und gehen seltener zum Arzt. Tiere können das Immunsystem stärken. Haustierbesitzer nehmen weniger Schmerzmedikamente, da beim streicheln des Tieres Endorphine produziert werden, die ihrerseits Schmerzen hemmen. Nach einer Studie der „National Institutes of Health“ erwiesen sich Katzenallergene, die in geringen Mengen Allergien auslösen, in größeren Mengen als Möglichkeit vor Atemwegserkrankungen zu schützen. 11.3.2 Psychischer Effekt Tiere wirken sich auch auf die Psyche und Emotionen ihrer Besitzer aus. Oft sind sie eine Quelle der Begeisterung für ihren Besitzer und sorgen für Verbundenheit und Humor. Sie bringen den Menschen immer wieder zum lachen und bauen Stress ab. Die Stimmung hellt sich auf, Depressionen wird entgegen gewirkt. Außerdem steigern Tiere die Motivation und regen zum ständigen Dazulernen an. Eine Untersuchung aus den 80ern hat ergeben, dass Tierbesitzer glücklichere Beziehungen führen und in stabileren Ehen leben. Wer ein Tier hält übernimmt Verantwortung. Wer das mit Tieren kann, dem fällt das auch mit Menschen leichter. Eine Grundvorrausetzung ist die Beziehungsfähigkeit. Nach großer Aufregung helfen Tiere dem Menschen sich wieder zu beruhigen. Unsere tierischen Gefährten sind auch in der Lage Spannungen zu vermindern, oder gar aufzulösen. 11.3.3 Sozialer Effekt Tiere üben des Öfteren die Funktion eines „Eisbrechers“ aus. Sie erleichtern zum Beispiel den ersten Kontakt zwischen einander fremden Menschen. Ein anderes Beispiel wäre, dass sie es Menschen ermöglichen, sich zu öffnen, gleichsam aus sich heraus zu gehen. Auf diese Weise tragen Tiere dazu bei, das soziale Netzwerk ihrer Besitzer auszuweiten. - 88 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.4 Beendigung von Bindungen durch den Tod Wenn wir nun unseren lieb gewonnenen und treuen Gefährten verlieren, ist die Trauer und der Schmerz oft groß. Dieser Trauerprozess ist ganz natürlich und ähnelt dem den wir durchleben wenn wir einen Menschen verlieren der uns sehr nahe stand. Es gibt bei beiden Trauerprozessen keinen fest gelegten Zeitplan. Die Dauer hängt nach psychologischen Erkenntnissen von vielen Faktoren ab. Zum einen spielt die Beziehung zwischen dem Trauernden und dem verstorbenen Tier eine Rolle. Dann hängt es von dem Alter des Trauernden und dessen Persönlichkeit ab. Oft ist der Trauerprozess auch geschichtlich und kulturell bedingt. Wir haben auch in unseren Fragebogen nach dem jeweiligen Trauerprozess gefragt. Und dabei konnten wir folgendes feststellen: 11.4.1 Diagramme Wie lange haben Sie getrauert? 24% 35% gar nicht ein paar Tage ein paar Wochen 12% ein paar Monate ein paar Jahre 29% ich trauere seit Da die Probanden meist eine sehr enge emotionale Bindung zu ihrem Haustier hatten, haben sie verhältnismäßig viel Zeit für die Überwindung der Trauer benötigt. Bei dem Anteil, derjenigen Probanden die gar nicht getrauert haben, handelt es sich ausschließlich um die Besitzer der Haustiere die eine dem Menschen nicht ähnliche Ausdrucksweise haben, wie z.B. Insekten, Vögel usw. - 89 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Was haben Sie nach dem Verlust ihres Tieres gemacht? 3% 33% 32% ich war traurig ich habe es beerdigt nichts ich habe ein neues gekauft ich habe keins mehr gekauft 32% Große Antwortanteile, wie „ich war traurig“ oder „ ich habe es beerdigt“ unterstreichen nochmals die enge Bindung der Probanden an die jeweiligen Haustiere. Das viele der Probanden sich bald ein Neues gekauft haben, bestätigt nochmals, dass sie es sich gar nicht ohne ein Haustier vorstellen können. Außerdem versuchen sie so, nach Meinung des Diplom- Psychologen Oliver Walter ihre Trauer zu vermindern und sich selbst das Gefühl zu geben wieder geliebt und gebraucht zu werden. 11.4.2 Trauerprozess in vier Phasen In den Ländern unserer „westlichen“ Kultur gibt es viele Menschen die Trauer als eine störende und beeinträchtigende Reaktion sehen, die so schnell und effektiv wie möglich überwunden werden muss. Viele Menschen jedoch zeigen, im Gegensatz zu der Trauer um einen lieb gewonnenen Menschen, kein Verständnis und wenig Toleranz wenn um ein lieb gewonnenes Tier getrauert wird. Wenn von dem Trauernden von seinem Umfeld verlangt wird alle Bindungen an das verstorbene Tier zu zerreißen, nennt man diesen Umgang mit der Trauer, von der USamerikanischen Psychologin Margaret Stroebe bezeichnet, „Abbruch der Bindung“. Menschen die emotional an das Tier gebunden bleiben, gelten dem zu folge oft als fehl angepasst, oder krank. Ein „Abbruch der Bindung“ kann die Trauer stören und den Prozess verlängern. Es ist daher wichtig verschiedene Phasen der Trauer zu durchleben. Man könnte den Trauerprozess in die folgenden drei Phasen einteilen: 1. Schock: Die Person realisiert nicht, dass das Tier gestorben ist. Sie kann es noch gar nicht richtig fassen. 2. Verlust und Trennung: Gefühle von Verlust und Trennung können zu Fehlwahrnehmungen und Illusionen führen. Das verstorbene Tier wird zum Beispiel auf der Strasse gesehen, oder es wird geträumt, dass es noch lebt. - 90 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 3. Verzweiflung: Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Wenn der Tod realisiert wird kommt es zu Gefühlen der Verzweiflung, Einsamkeit, zu depressiven Stimmungen, Schuldgefühlen und Wut. Oft verschlechtert sich der Kontakt zu Freunden und Verwandten, das Interesse an gewohnten Aktivitäten geht verloren. In dieser Phase kann es auch zu Appetitverlust oder Fressanfällen kommen, zu vermehrtem Alkohol- oder Nikotingebrauch, zu Durchfall, Verstopfungen, Schlaflosigkeit oder Konzentrationsstörungen. Viele erleben den Verlust in dieser Phase am schmerzlichsten. 4. Ausklingen des Trauerprozesses: Der Trauernde kann an das verstorbene Tier denken, ohne Verzweiflung zu erleben, er kann sich wieder dem Leben stellen. Diese Trauerphasen verlaufen meistens nicht streng nacheinander. Sie können überlappen, parallel laufen, miteinander vermischen. Die Reihenfolge kann sich auch verändern und überwunden geglaubte Phasen erneut auftreten. Es wir Fort- und Rückschritte geben, sowie Schwankungen mit unterschiedlichen Gefühlen. Man kann keinen genauen Zeitraum nennen, in dem der Trauerprozess möglichst abgeschlossen sein sollte. Manchmal dauert es Jahre. Es müssen jedoch alle Phasen durchlebt werden, damit die Wunden heilen und der Trauernde wieder einen neuen Lebenssinn aufbauen kann. Hierzu muss jetzt gesagt werden, dass sich diese Phasen der Trauer auf die Trauer um verstorbene Menschen bezieht, sie kann jedoch auf die des verstorbenen Tieres übertragen werden. Auch wenn sich jetzt manch einer denkt, dass man so nicht um ein Tier trauert, sollte man trotzdem respektieren, wenn jemand intensiv um sein verstorbenes Haustier trauert. Diese Trauer ist eine normale Reaktion auf den Verlust eines lieb gewonnenen Lebewesens, mit dem man viel Zeit geteilt und viel erlebt hat. Unterlassen sollte man Ins- Lächerliche- Ziehen, unangemessene Ratschläge, nutzlose Appelle und leere Redensarten. Sie wirken sich oft negativ auf den Trauerprozess aus. Dahingegen ist es hilfreich mit der trauernden Person darüber zu sprechen. Das Darüber- reden, Annerkennen und Durchleben der Gefühle trägt zur Verarbeitung des Geschehens bei und unterstützt beim Durchschreiten der Trauerphasen. Geduld, Anwesenheit und stumme Zuwendung helfen oft mehr als Worte. Auch wenn kein Lebewesen durch ein anderes ersetzbar ist, und der Trauerprozess dadurch nicht beseitigt wird, ist es oft hilfreich einem anderen Tier wieder ein Zuhause zu schenken. Man wird somit wieder gebraucht und kann Liebe geben und empfangen. Am Ende des Trauerprozesses steht dann die notwendige Rückkehr der trauernden Person in ihren gewohnten Alltag. - 91 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.4.3 Trauerverhalten von Hunden Bekannt ist aus den Medien auch das verzweifelte Such- und Trauerverhalten von Hunden, wenn sie ihr „Herrchen“ oder „Frauchen“ verloren haben. Von Art und Ausmaß erinnert diese Reaktion an eine schwere reaktive Depression. Die Depression kann sich agitiert (unruhig, nervös, gespannt) äußern, wobei die Tiere niemandem mehr gehorchen, oder sogar wild werden. Es kann aber auch zur Apathie (Gefühllosigkeit, Teilnahmslosigkeit) kommen. In Einzelfällen kommt es zur tödlichen Verweigerung von Nahrung. Auch lassen sich die Tiere nicht von anderen Menschen trösten. Wenn der Hundebesitzer jetzt aber nicht stirbt, sondern länger Abwesend ist, weiß der Hund zunächst nicht wie er sich Verhalten soll. Oft scheint er dann sein „Herrchen“ oder „Frauchen“ nicht richtig wieder zu erkennen. Hier liegen auch Parallelen zu Kindern, deren Mutter nach längerer Abwesenheit zurückkehrt. Beim Hund handelt es sich um einen gefühlsmäßig an den Menschen besonders eng gebundenen tierischen „Partner“. - 92 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.5 Tiere als Therapeutikum Die besondere Bindung von Menschen zu Tieren lässt sich auch für die tiergestützte Therapie nützen. Besonders in den letzten Jahren ist auf diese Möglichkeit immer öfter zurückgegriffen worden. Die erstaunlichen Erfolge versprechen auch für die Zukunft ein immer breiter werdendes Feld des Therapeutikum Tier, darum möchten wir hier einige Therapien, ihre Ziele und Wirkungsweisen vorstellen. 11.5.1 Reittherapie 11.5.1.1 therapeutische Reiten ... ist die physiotherapeutische (krankengymnastische) Behandlung auf neurophysiologischer Basis mit und auf dem Pferd. Die Therapie (meist Einzeltherapie) wird von einem Arzt verordnet und von Physiotherapeuten mit Zusatzausbildung, unter Einsatz eines speziell ausgebildeten Pferdes, durchgeführt. Bei dieser Art der Behandlung (die überwiegend in der Gangart SCHRITT erfolgt) macht man sich folgende vom Pferd ausgehende Bewegungen zu nutze: - die dreidimensionalen Schwingungen, die der Pferderücken auf den Reiter überträgt - die Beschleunigungs- & Bremskräfte (Bsp. beim Anreiten & Anhalten des Pferdes) - sowie die Zentrifugalkräfte (Bsp. beim Reiten von Biegungen & Seitwärtsgängen) Zielgruppe sind Menschen mit unterschiedlichen neurologischen Bewegungsstörungen z.B. - Ataxie (Gleichgewichts- & Koordinationsstörungen) Spastik (zu hohe Muskelspannungen) Dyskinesien (Störung der Bewegungsfähigkeit/ Motorik) - 93 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Hier einige zutreffende Krankheitsbilder: - Multiple Sklerose Skoliose (seitliche Wirbelsäulenkrümmung) Bewegungsstörungen nach frühkindlicher Hirnschädigung Schlaganfälle Querschnittlähmung 11.5.1.2 Heilpädagogisches Reiten Durch den Einsatz des Pferdes wird der Mensch im seelischen, körperlichen und sozialen Bereich gleichermaßen angesprochen. Hierdurch entstehen Möglichkeiten für Kinder, Jugendliche & Erwachsene... - Entwicklungsverzögerungen aktiv zu verbessern - seelische Probleme aufzuarbeiten - Schulprobleme besser zu meistern - als Behinderter neue Möglichkeiten zu entdecken - Therapiemüdigkeit über das Pferd aufzuheben - Selbstvertrauen zu stärken & Ängste zu überwinden - Mit Einschränkungen durch Krankheit oder Unfall leben zu lernen - und vieles mehr.... Zielgruppe sind Kinder, Jugendliche & Erwachsene mit: - Verhaltensauffälligkeiten (Hyperaktivität, Ängsten, Aggressivität, Frustration...) - Psychischer Erkrankung - Lernbehinderung - geistiger Behinderung 11.5.1.3 Reitsport für Behinderte Hierbei steht der Sport im Vordergrund. Teilweise sind die Disziplinen in den Paralympischen Spielen anzutreffen. - 94 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.5.2 Delphintherapie Seit den 1980er Jahren ist die Delphintherapie bekannt. Dabei wurden die Fähigkeiten dieses Tieres fast bis ins Mythische überhöht. Im Abendland hat das Tradition bis in die Antike. Ablauf Delphintherapie in Florida: 1. Zeigen des Delphins 2. Indirekter Kontakt am Beckenrand 3. Direkter Kontakt am Beckenrand 4. Direkter Kontakt im Wasser An jede Delphintherapie ist auch eine Sozialpädagogische Betreuung gekoppelt. Ziel ist kranke und behinderte Menschen auf bestimmte Art zu stimulieren. Besonders bei hochgradig kommunikationsund kontaktgestörten Kindern soll die Delphintherapie hilfreich sein. Der Delphin soll als „Eisbrecher“ dienen und eine Änderung des Sozialkontaktes bewirken. Ziele sind u.a.: - Der Umwelt gegenüber aufgeschlossener werden - Knüpfung von sozialen Kontakten - Konzentration und Aufmerksamkeit stärken - ausgeglichener, kontaktfreudiger, selbstbewusster - Benutzung sprachlicher Strukturen - Erholsame Familienfreizeit für die Eltern - Kritischen Reflexion ihres eigenen Erziehungsverhaltens Die Kosten liegen für 3 Wochen bei ca. 20.000€ Bei all dem sollte man nicht vergessen dass es sich um domptierte Raubtiere handelt, denen ihr Verhalten antrainiert wurde. Die nicht artgerechte Haltung führt bei den Tieren oft zu aggressivem Verhalten, so werden Besucher von den Tieren gebissen oder hart gerammt. Die Tiere suchen freiwillig keinen Kontakt zum Menschen und wenn, dann ist dieser selten länger als fünf Sekunden. Ein heilsamer Effekt ist anzuzweifeln. - 95 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.5.3 Dog – Water – Therapie Die Dog- Water- Therapie (DWT)® ist eine Alternative zur Delphintherapie. Vorteile: - Vor Ort (Keine hohen Reisekosten, langen Flug anreisen, Temperatur- und Zeitunterschiede) - Langfristige Therapie - engere Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten, Pädagogen etc. und vor allem eine langfristig integrierte Teilnahme der Familie der Patienten - Von Wasser- kann im Bedarfsfall auf Landtherapie gewechselt werden (bei Erkältung o.ä. bzw. zum Kennen lernen) - Zielgruppen & Ziele: siehe Delphintherapie - Tiergerechtere Haltung ist möglich 11.5.4 Blindenführhunde Im Metropolitan Museum in New York gibt es eine chinesische Schriftrolle aus dem 13. Jahrhundert, die einen Blinden zeigt, der von seinem Hund geführt wird. Ein wichtiges Ziel ist sowohl die Unterstützung des blinden Menschen im Alltag, als auch eine Befreiung aus der sozialen Ausgrenzung. Im Alltag bestehen die Aufgaben vor allem in der sicheren Führung durch unwegsames oder fremdes Gelände, bzw. dem Straßenverkehr. Ein positiver Nebeneffekt ist eine wachsende Unabhängigkeit gegenüber anderen Personen, der Hund dient außerdem als Kontaktmedium. Die Kosten für einen Blindenführhund beginnen bei etwa 7.500€. Ein 4 wöchiges Training mit dem Hund und dem neuen Besitzer ist nötig, da es sich um eine sehr anspruchsvolle Ausbildung handelt. Die Ausbildung des Hundes dauert min 9 Monate mit 300 Trainingsstunden. - 96 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 11.5.5 Blindenführpferde Diese Idee stammt aus den USA (guide horses), wie die meisten tiergestützten Therapien. Das Pferd ist für die Aufgabe des Blindenführers (dadurch dass es die Augen sein wichtigstes Sinnesorgan sind) besser als ein Hund geeignet (der sich auf die Nase als wichtigsten Sinn verlässt). Ein großer Nachteil ist, dass keine so intensive Bindung, wie zu einem Hund entstehen kann, denn das Pferd kann nicht in der Wohnung des Blinden leben. So wird diese Alternative wohl auch in Zukunft eine Ausnahme bleiben. 11.5.6 Signalhunde Hunde für gehörlose Menschen Taubheit führt oft zu einem Leben voller Einsamkeit, Isolation und Abgeschiedenheit. Der Hund „übersetzt“ akkustiche Reize der Umwelt für seinen Besitzer (z.B. Babygeschrei, Wecker, Telefon, Rauchmelder, Martinshorn). Der Hund wird zum Kontaktmedium mit der hörenden Welt. Es entsteht eine Abhängigkeit zum Tier, die mit einer besonders starken Bindung einhergeht. Das folgende Beispiel des tauben Humphry Brierley soll dies verdeutlichen: - 97 - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider „Im Jahre 1994 gab ich die Arbeit auf, da die Kommunikation mit Menschen immer schwieriger und schwieriger geworden war, und verlor dadurch völlig den letzten Rest an Selbstvertrauen. Besonders ängstigte mich die Vorstellung, dass Menschen von hinten auf mich zukamen oder dass mich völlig unerwartet die Anwesenheit eines dritten überraschte. So kam ich zu der Schlussfolgerung, zu Hause zu bleiben sei die bessere Wahl. Ich zog mich immer mehr zurück, auf diese Weise brauchte ich niemandem zu sagen, dass ich taub bin. Den ganzen Tag saß ich in einem Sessel, las oder schlief abwechselnd. So konnte ich die Welt ausschließen!...“ Humphry erzählt einige der Geschichten, die er mit seinem Signalhund Ted seither erlebt hat. Auch diese: Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz “...Ted zeigt auch seine eigene Art von Humor. Wenn der Wecker läutet, weckt er mich auf, indem er auf mich springt. An Tagen, an denen ich die Uhr nicht einstelle- beispielsweise an Wochenenden und in den Ferien- wacht der gute alte Ted zur gleichen Zeit auf- fast auf die Minute. Dann trampelt Ted wild auf mir herum als wollte er sagen: Du dummer alter Narr, Du hast vergessen, den Wecker zu stellen! ...Es gibt viele Geschichten über mein Leben mit Ted- er ist ein so wunderbarer Hund! Er ist ein Lebensgefährte, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, in erster Linie, weil ich im Ruhestand bin, meine Frau aber noch viele Stunden als Krankenschwester arbeitet, weshalb ich sehr häufig alleine bin. Und in dieser Zeit brauche ich in meiner stillen Welt Ted ganz besonders. Er sagt mir alles, was ringsum vor sich geht. Er ist mein bester Freund!“ 11.5.7 Behindertenbegleithunde Der Service-Hund ist nicht nur Helfer, sondern auch Begleiter und Freund des Behinderten. Er leistet ihm Gesellschaft und steigert das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl. Durch die Hilfe des Hundes wird der Behinderte unabhängiger von Dritten. Und ganz nebenbei baut ein Service-Hund Barrieren zwischen Behinderten und Nichtbehinderten ab und verstärkt damit den sozialen Kontakt. Aufgaben: - Holen und Bringen von heruntergefallenen oder schwer erreichbaren Gegenständen (z.B. Kugelschreiber, Geld) - Holen und Bringen von Gebrauchsgegenständen (z.B. Brille, Handy, Geldbörse) - 98 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Licht an- und ausschalten Öffnen und Schließen von Türen Öffnen und Schließen von Schubladen Packtaschen tragen beim Ausziehen von Kleidung helfen beim Aufstehen oder Umsetzen stützen Hilfe holen und vieles mehr... Info: Ausserdem gibt es EpilepsieEmotionsund Diabeteshunde, die ihren Menschen vor Gefahren (Anfällen, erhöhtem Blutzucker etc) warnen. 11.5.8 Therapietiere Als Therapietiere werden nicht nur Hunde und Katzen, sondern eine Vielzahl an Tierarten eingesetzt. So z.B. Hühner, Ziegen, Kühe, Schweine, Kaninchen und viele andere. Gerade diese Art der tiergestützten Therapie musste gegen einen hohen Widerstand und Vorurteile ankämpfen. Bedenken hinsichtlich von Gesundheitsproblemen durch den Besuch von Hunden auf Krankenhausstationen oder die Genehmigung eines so engen Kontaktes zu Kindern durch Hunde. 11.5.8.1 Krankenhäusern Früher war die Angst vor mangelnder Hygiene einer der Gründe die dieses Projekt scheitern lies. Der Einsatz überall da, wo man mit normaler Straßenkleidung auch hin darf, ist mit keinen hygienischen Risiken verbunden. Besonders der Einsatz bei Komapatienten und deren eigenen Tieren ist sehr Erfolgreich. - 99 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 11.5.8.2 Sonderschulen Die Hunde verbessern den sozialen Zusammenhalt der Klasse, die sozialen Kontakte der Schüler nehmen zu. Studien belegen, dass sich die Aufmerksamkeit der Lehrerin (Herrin des Hundes) zu richtet. Lautes, auffälliges und aggressives Verhalten wird gedämpft. Unbeteiligte Schüler werden aus ihrer Isolation gelockt und nehmen vermehrt am Klassengeschehen teil. 11.5.8.3 Kindergärten Kommen Kinder früh mit Tieren in Kontakt zeigen sich unter anderem positive Veränderungen in der - sozio-emotionale Entwicklung - kognitive Entwicklung - positive Selbstbewertung - Entwicklung von Empathie - Ausgeglichenheit und vieles mehr.... 11.5.8.4 Behindertenheimen Hunde akzeptieren Menschen mit Handicaps völlig unvoreingenommen, sie geben vorbehaltlos Zuneigung und Zärtlichkeit, umgekehrt nehmen sie auch keine Rücksicht auf die Behinderung oder Launen. Es entwickelt sich eine normale Beziehung, die „durchaus menschliche Züge annimmt“ (Greiffenhagen 1991). - 100 - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 11.5.8.5 Psychiatrischen Kliniken Der Hund fordert den Menschen, gibt dem Alltag Struktur und schafft so psychische Stabilität. Diese Faktoren können die Ursachen von Depressionen vermildern. 11.5.8.6 Häusern für Aidskranke Tiere machen keinen Unterschied zwischen krank und gesund und nehmen den Menschen so, wie er ist. Das ist vor allem für schwer kranke Menschen eine positive Erfahrung. 11.5.8.7 Gefängnissen In vielen Gefängnissen findet ein Resozialisierungsprogramm statt, bei dem 3-4 Insassen Paten eines Hundes werden, ihn versorgen und erziehen müssen. Diese Hunde werden später oft zu Behindertenbegleithunden ausgebildet. - 101 - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.5.8.8 Altersheimen Ältere Menschen, die Heimtiere besitzen, haben: - ein Gefühl von „gebraucht werden“ - fühlen sich nicht so allein - weniger Depressionen - weniger eingebildete Krankheiten „Im Tier lacht uns noch die paradiesische Ahnungslosigkeit an. Einfach nur sein. Ohne Bewusstsein der eigenen Endlichkeit. Eine betagte Katze, die nicht mehr aus dem Stand aufs Schuppendach hochfedern kann, sieht keine Sanduhr vor dem inneren Auge rieseln. Sie ist zeitlos, weil sie die Zeit los ist. Die reine Leere beglückt. Denn wenn schon der Tod in der Welt ist, wie schön wäre es da, das nicht wissen zu müssen. (...) Die Sehnsucht, die uns beim Anblick von Tieren anweht, deuten Psychologen als ein unbewusstes Sich-Erinnern an unseren kreatürlichen Erbteil: an die Zeit, als wir selbst noch uneingeschränkt Natur waren.“ 11.5.9 Schluss Abschließend möchten wir bemerken, dass die tiergestützte Therapie sicherlich eine gute Alternative zu herkömmlichen Therapien darstellt, diese aber nicht ersetzt. Allerdings liegt es in der Verantwortung der Fachleute, dass die Tiere artgerecht gehalten und nicht überfordert werden, wie beispielsweise durch viele Therapiestunden bei Pferden oder Delphinen. Auch auf sinnvolle Fütterung, Pflege usw. ist zu achten. Keinesfalls dürfen Klienten und Tiere sich selbst überlassen werden. In diesem Fall würden wir tiergestützte Therapie ablehnen. Werden jedoch gewisse Regeln eingehalten kann das Tier als Therapeutikum sicherlich sinnvoll eingesetzt werden. - 102 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.6 Skurriles 11.6.1 Tattoos Hier sind ein paar Beispiele die zeigen, dass viele Menschen eine so enge Bindung zu ihren Haustieren haben, dass sie sich für immer an sie erinnern möchten und sie deshalb ein Tattoo von ihnen machen lassen. 11.6.2 Hund im Bett Andere lassen ihren Hund sogar in ihren Betten schlafen. - 103 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.6.3 Haustiere klonen Hier haben wir mal einen Text eingefügt den wir so im Internet gefunden haben. Sachen gibt’s, die gibt’s gar nicht… Möchten Sie eventuell ihr Haustier klonen? Ein Leben ohne Fiffi und Mieze ist für viele Menschen unvorstellbar. Doch was tun, wenn der geliebte Vierbeiner das Zeitliche segnet? Die US-Firma "Genetic, Savings and Clone" (GSC) hat die Lösung parat: Sie bietet das Klonen von Haustieren an. "Wir verschaffen Ihnen ein Wiedersehen mit Ihrem toten Liebling!" So wirbt GSC das sich als führendes Unternehmen für das Klonen von Haustieren bezeichnet. Funktionieren soll das Ganze, indem dem Vierbeiner direkt nach dessen Ableben Gewebeproben aus Maul und Magen entnommen werden. Aus ihnen werde gemäß GSC die DNS isoliert. Das Erbgut werde dann in eine entkernte Eizelle übertragen und einer Leihmutter eingepflanzt. Seit vor zwei Jahren in der Produktionsfirma die ersten geklonte Katze, genannt "Copy Cat", das Licht der Welt erblickte, reißen laut GSC die Anfragen nach geklonten Tieren nicht ab. Derzeit arbeiten die Wissenschaftler daran, auch Hunde zu klonen, was ihnen bislang allerdings noch nicht gelungen ist. Die "Produktion" von geklonten Katzen soll hingegen schon im nächsten Jahr starten. Doch Herrchen und Frauchen sollten sich genau überlegen, ob sie tatsächlich eine identische Kopie ihres geliebten Vierbeiners haben möchten. Denn wirklich billig ist das Klonen nicht: Ein Katzen-Klon kostet umgerechnet 41.000 Euro. - 104 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.6.4 Prominente und ihre Haustiere Oft sind es Hunde, die von ihren Besitzern gestylt werden. Dann werden die Haare gefärbt oder Strähnchen eingeflechtet. Sie werden geschoren, oder müssen Kleidchen tragen. Bei Prominenten sieht man das oft. Kelly Osborn hat ihrem Hund die Haare Pink gefärbt, Paris Hilton kleidet ihren Hund Tinkerbell und Moshammer und die Jakobsisters haben/hatten auch immer ihren Hund dabei. 11.6.5 Haustiere in Kostümen Manche Menschen haben es sich zur Aufgabe gemacht Kostüme für Tiere herzustellen und andere wollen ihre Haustiere, meisten Hunde, mit diesen Kostümen Individuell gestalten. - 105 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.6.6 Haustiere nach dem Tod 11.6.6.1 Tiere beim Präparator Manche Haustierbesitzer lassen sich ihre Tiere nach deren Tod ausstopfen, oder besser präparieren. Präparatoren raten jedoch davon ab Haustiere ausstopfen zu lassen, weil sich der individuelle Ausdruck des lebenden Tieres kaum mit einem Präparat nachbilden lässt. Trotzdem zählen Haustiere zu den häufigsten Aufträgen der freien Präparatoren - und zwar in dieser Reihenfolge: Vögel, Meerschweine, Hunde. Katzen kommen seltener zum Präparator. Hier sieht man zwei sehr lebendig wirkende Katzenpräparate. 11.6.6.2 Tiere und Gräber Manche Haustierbesitzer lassen sich ihre Tiere nach deren Tod ausstopfen, oder besser präparieren. Präparatoren raten jedoch davon ab Haustiere ausstopfen zu lassen, weil sich der individuelle Ausdruck des lebenden Tieres kaum mit einem Präparat nachbilden lässt. Trotzdem zählen Haustiere zu den häufigsten Aufträgen der freien Präparatoren - und zwar in dieser Reihenfolge: Vögel, Meerschweine, Hunde. Katzen kommen seltener zum Präparator. Hier sieht man zwei sehr lebendig wirkende Katzenpräparate. 11.6.7 Hunde, Besitzer und ihre optische Ähnlichkeit Hier sind einige extreme Beispiele, die zeigen, wie ähnlich mancher Hund seinem Besitzer sieht. Im Laufe unserer Recherchen mussten wir feststellen, dass dies häufiger vorkommt als man glaubt. „Haltet beim nächsten Parkspaziergang einfach mal die Augen auf!“ ;-) - 106 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 11.7 Literatur 11.7.1 Zu Bindung an Haustiere Allgemein http://www.uni-wuerzburg.de/sopaed1/breitenbach/delfin/bauer/text.htm#beziehung http://www.naturundheilen.de/downpdf/mensch.pdf http://www.regenbogenreich.de/trauerprozess.shtml http://www.br-online.de/umwelt-gesundheit/sprechstunde/200309/st20030929.shtml http://www.chrismon.de/ctexte/2004/9/tierliebe-dossier.html http://www.animalprotection.de/haustiere1.hunde.htm http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychiatrie/tiere.html 11.7.2 Zu Tiere als Therapeutikum „Hunde helfen Menschen“ Alison Hornsby, Kynos Verlag „Menschen brauchen Tiere“ Olbrich/ Otterstedt, Kosmos Verlag „DELPHINE Unsere Liebe zu ihnen ist ihr Verhängnis“ PM, Ausgabe Mai 2005 www.tiergestüzte-therapie.de http://forum.assistenzhundedeutschland.org 11.8 Referenten • • Aline Sternberg Inga Lehmann - 107 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 12 Bindung zwischen Studierenden / Fachhochschule (FH) 12.1 Bindungsbeschreibungen: welche Beziehungen entstehen zwischen Studierenden, FH und Mitkommilitonen Fachhochschule: Bibliothek Internetzugang Bücher zum ausleihen Zeitschriften Fachschaft Skripte Chillen Soziale Kontakte Mensa Essen Raum zum lernen oder Referate vorzubereiten Soziale Kontakte Medienbüro Medienutensilien Hilfe bei technischen Fragen oder Angelegenheiten Vorlesungsräume / Seminarräume Vorlesungen Seminare Prüfungsräume Professoren Informationsquelle Hilfe bei auftretenden Fragen Mitkommilitonen Lerngruppen Referatteam Soziale Kontakte Informationsquelle 12.2 Beziehungen zwischen Studierenden und Studierenden Studienkollegen spielen beim studieren eine große Rolle. Durch den sozialen Kontakt zu anderen Studienkollegen erleichtert man sich das Studium erheblich. Doch woran liegt das eigentlich? Ein Mensch braucht soziale Kontakte um ein glückliches Leben zu führen. Dies ändert sich auch dann nicht wenn ein Mensch studieren geht. Hier sollte sich der Student also auch um soziale Kontakte bzw. „Freunde“ kümmern um sich das Leben an der Uni zu erleichtern. Wer Freunde beim studieren hat, hat wesentliche Vorteile. Zum einen hat er Menschen mit denen er sich hier und da mal über seine Probleme, Erfahrungen und alltägliche Situationen austauschen kann, und zum anderen hat er jemanden mit dem er Lerngruppen, ein Referatteam oder ähnliches bilden kann. Lerngruppen steigern die Lernqualität um ein vielfaches mehr als wenn man alleine versuchen würde sich den Lernstoff in den Kopf zu hämmern. Außerdem ist es schöner wenn man ein Referat mit drei oder vier Personen machen kann als alleine, - 108 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz denn durch die Vielfalt der Gruppemitglieder erhöhen sich die Ideen und die daraus resultierende Leistung und man lern die Kommilitonen auch in anderen Situationen besser kennen. Ein weiterer Vorteil ist es, wenn man mal krank sein sollte und keine Möglichkeit sieht in die Uni zu kommen, kann man einen Mitkommilitonen bitten, Skripte, Protokolle, Schaubilder oder ähnliches, in sofern sie verteilt wurden, mitzubringen und sie dem kranken Kollegen zu bringen oder sie für ihn aufzubewahren. Auch kann man sich mit Mitkommilitonen in der Freizeit beschäftigen wenn man Langeweile hat und Sachen zu unternehmen wie z.B. ein gemeinsamer Kneipenrundgang oder ein gemeinsames Sportprogramm, und dabei die herrschende Beziehung pflegen. Freunde an der Uni fördern den Spaß am studieren und dem Unileben und läst dies nicht so dröge und leer erscheinen. Allerdings fordert dies auch ein paar Regeln. Man muss seinen Mitmenschen Vertrauen entgegenbringen und dies der Anderen nicht missbrauchen. Sobald ein Vertrauensbruch besteht, fällt es den betroffenen Parteien sehr schwer sich wieder aufeinander einzulassen und eine neue „Beziehung“ aufzubauen. Dies bringt eine weitere Regel mit sich. Um das Vertrauen fördern zu können muss ein ausgeglichenes „geben“ und „nehmen“ zwischen den Betroffenen bestehen. Das bedeutet dass jeder der Personen sich bemühen muss etwas für den anderen zu tun, und nicht nur einer von Beiden derjenige ist der dem Anderen ständig ein Gefallen tut. Denn irgendwann würde derjenige der immer etwas gibt „ausgepowert“ und sauer auf den anderen sein und das einseitige „Verhältnis“ nicht mehr tragen können. Auch müssen beide Parteien mal zurückstecken können, wenn sie merken dass ihr Verhalten falsch oder destruktiv ist, um dem Gegenüber zu zeigen das man ihm durchaus Vertrauen zu seiner Person, Handlungsweise oder Meinung entgegenbringt. Schlusssatz: Knüpft soziale Kontakte auch an der Uni und pflegt diese so, das sie beiden Parteien etwas bringen und daraus eine Freundschaft entstehen kann. 12.3 Beziehungen zwischen Studierenden und der Mensa Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass die Mensa nicht nur ein Ort ist, an dem man etwas zu Essen bekommt. Vielmehr ist die Mensa ein Ort, an dem man sich trifft, Kontakte knüpft, lernt oder einfach nur mal abschaltet, wenn man mal wieder genug hat von der Lernerei und den Vorlesungen. In meinen ersten zwei Monaten an unserer Fachhochschule habe ich die Mensa auch so kennen gelernt. Es gibt zahlreiche Internetseiten, die von den Mensen unterschiedlicher Universitäten und Fachhochschulen in ganz Deutschland und auch außerhalb Deutschlands berichten. Nicht nur über deren Speisepläne, sondern auch über zahlreiche Veranstaltungen, die in den Mensaräumlichkeiten angeboten werden. Die meisten Autoren, die über ihre Mensa auf den jeweiligen Seiten geschrieben haben, sehen diese als sehr wichtige Einrichtung an ihrer Fachhochschule oder Universität an. - 109 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Sie sehen ihre Mensa nicht nur als ein Restaurant an, sondern vielmehr als einen Ort, der ihnen neben dem guten und vor allem sehr günstigen Essen auch noch etwas mehr gibt. Nämlich die Möglichkeit sich in angenehmer Umgebung zu entspannen. Außerdem ist die Mensa ein guter Ort, um sich zu treffen. Schließlich läuft man sich auf den meist eher großen Geländen der Hochschulen eher selten bewusst über den Weg. „Ein leerer Bauch studiert nicht gern!“ Das Essen, das in den Mensen zubereitet wird ist im Preisleistungsverhältnis unschlagbar. Da kann keine Firmenkantine mithalten. Das ist natürlich der ausschlaggebende Punkt, warum die Mensen so stark besucht sind. Ein weiterer Punkt, der mir auffiel ist der, dass das Personal in den Mensen überwiegend als sehr freundlich und zuvorkommend bezeichnet wird. So schreib z.B. eine Studentin aus Bochum, dass sie angenehm überrascht war, als sie die Frau an der Kasse darauf aufmerksam machte, dass zu ihrem Gericht noch eine Kartoffelbeilage und ein Salat gehöre, die sie sich ruhig noch nehmen könnte. Bei meinem ersten Besuch in unserer Mensa ist mir genau das gleiche passiert. Ich stand an der Kasse und die nette Frau an der Selbigen gab mir den Tipp, dass zu meinem Essen doch noch Beilagen gehören. Besonders beeindruckt hat mich dabei, dass hinter mir eine endlos zu sein scheinende Schlange war und die Frau sich trotzdem die Zeit nahm, mir das System zu erklären. Es mag viele Leute geben, die dies als Selbstverständlichkeit ansehen. Ich für meinen Teil habe es in ähnlichen Situationen in anderen Einrichtungen aber auch schon anders erlebt. Wer von uns hat sich noch nicht über gestresstes Personal aufgeregt, das einem dann wegen der Hektik nur unzureichende oder gar keine Informationen gegeben hat. Es gibt bestimmt auch Einige die schlechte Erfahrungen mit dem Essen und vielleicht sogar mit dem Personal gemacht haben. Ich würde, wenn es denn so ist, behaupten, dass das nur Ausnahmen waren und am nächsten Tag das Essen besser war oder das Personal eben freundlicher. Das Angebot, welches die Mensen zu bieten haben, ist sehr vielfältig. Es gibt vegetarische Gerichte, eine große Auswahl an Salat, Desserts, verschiedene Beilagen zu warmen Speisen usw., für jeden ist also etwas dabei. Wenn man dann das passende Gericht gefunden hat, setzt man sich an einen der zahlreichen Tische. Diese sind so angelegt sind, dass man bestens mit den Leuten am Nachbartisch kommunizieren kann. Auf diese Art und Weise wurden in der Mensa mit Sicherheit schon viele neue Bekanntschaften geknüpft, die einigen Male bestimmt auch zu Freundschaften wurden. So sind also in der Mensa schon viele neue Bindungen entstanden. Somit ist die Mensa nicht nur ein Ort an dem für das leibliche Wohl gesorgt wird, sondern auch ein Ort an dem soziale Kontakte geschöpft und gepflegt werden können. - 110 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Da die Mensa diese Eigenschaften verbindet ist sie von großem Nutzen für den Studierenden. Zwischen dem Studierendem und seiner Mensa besteht also eine große Bindung. Darum möchte ich euch einen schönen Spruch, den ich zu diesem Thema gefunden habe, mit auf den Weg geben: „Eat and meet“ 12.4 Beziehungen zwischen Studierenden und der Bibliothek Um während seines Studiums auf Dauer auch nur irgendwas erreichen zu können, ist es für den Studierenden immens wichtig, das er lernt. Zu jeder für ihn anstehenden Situation, wie zum Beispiel Hausarbeiten, Referate oder ähnliches, sich der passenden Literatur oder der richtigen Medien zu bedienen. Schließlich ist es auch keine Schande wenn man Dinge nicht weiß, viel eher wenn man nicht weiß, wo man sie nachschlagen kann. Im laufe seiner Studenten Laufbahn begegnet dem Studenten eine Vielzahl von Hausarbeiten und anderen schriftlichen Arbeiten, die alle eine gewisse Recherche erfordern. Viele Quellen können heutzutage im oft gelobten Internet erschlossen werden, wodurch viele Studenten heutzutage oftmals nicht einmal mehr das Haus verlassen müssen um an das nötige Fachwissen zu kommen. Allerdings ist das auch oftmals nur theoretisch so unkompliziert per Maus klick zu erledigen, da es auch sehr viele Wissensquellen gibt die man so in der Form entweder gar nicht oder nur mühselig und über Umwege über das Internet bekommt. Hier kommt die Bibliothek aufs Spielfeld und kann mit ihren stärken glänzen. In einer gut sortierten Bibliothek gibt es in etwa nichts wozu man nicht irgendwas finden könnte, vorausgesetzt man weiß wie man danach suchen muss, oder wen man danach fragen kann. Die Bücher sind normalerweise gut und nach Fachgebiet und Themen sortiert. Wenn man aber dann doch mal den Überblick verliert, Stichwort, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht, kann man jederzeit das Bibliotheken Personal zu rate ziehen das einem dann in der Regel auch weiterhelfen kann und wird. Und für den Fall das man dann doch mal wieder Quellen braucht die einem die Bibliothek nicht in gebundener Form liefern kann, stehen in den meisten Bibliotheken heutzutage auch Internet Rechner zur Verfügung über die man seine nötige Recherche abwickeln kann, was besonders nützlich für jene Studenten ist, die zuhause keinen Computer oder keine Internet Verbindung haben. Allerdings besitzt die Bibliothek auch eine dunkle Schattenseite, die wie eine Spinne im Netz auf ihre Beute lauert: Die oft unterschätzten Rückgabe Termine. Denn es gibt wohl nichts was man als Student während des Studentenalltags so leicht aus den Augen verliert, oder auch verdrängt wie irgendwelche Termine oder Fristen. Und so kann es passieren das so manches Studenten Portmonee eine ganz eigene Bindung zur Bibliothek aufbaut. 12.5 Beziehungen zwischen Studierenden und dem Medienbüro Im Medienbüro kann der Student das notwendige technische Equipment ausleihen, das er während seines Studiums braucht. Sowohl Kameras, Mikrofone, Videorekorder als auch Fernsehgeräte können dort genutzt und auch geliehen werden, wenn man zum Beispiel für ein bestimmtes Projekt einen Film oder ein Hörspiel produzieren möchte. Das nötige Wissen zur Funktion der Geräte bekommt - 111 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz man vom Personal erklärt und man bekommt auch jederzeit zu allen aufkommenden Fragen geholfen. Einrichtungen wie das Medienbüro fördern allgemein das immer wichtiger werdende Medien bezogene arbeiten, das heutzutage in fast allen Bereichen der Gesellschaft in irgendeiner Form auftaucht, und hat somit eine sehr wichtige und nicht zu unterschätzende Funktion. 12.6 Beziehungen zwischen Studierenden und Professoren Die wohl offensichtlichste Bindung zwischen Studenten und Prof’s ist in den Vorlesungen zu sehen. Hierbei ist allerdings zu bemerken, dass in diesem Fall es meist ein Prof mit einem Haufen von Studenten zu tun hat. Die Bindung ist somit eher gering und beruht mehr auf der Seite des Studenten, da er dem Prof zuhört, während dieser meistens einen Vortrag hält und somit zu allen und nicht nur zu einem Studenten eine Bindung aufbaut. Dann gibt es natürlich noch die Situation, in der der Student nach der Vorlesung zum Prof geht und ihn etwas über das Thema fragt. Hier ist die Bindung schon etwas individueller, wenn auch sehr kurzzeitig, da einer von beiden, meist der Prof nicht viel Zeit hat. Der Student kann natürlich auch das Angebot der Sprechstunden nutzen, die von nicht allen, aber vielen Prof’s angeboten werden. Die Termine oder die Telefonnummern zwecks Terminabsprache gibt es in jedem Vorlesungsverzeichnis. Einige Prof’s kann man auch in der Mensa abfangen und mit ihnen ein Dinner einnehmen. Dabei kann man dann die Bindung stärken und seine evtl. Anliegen vortragen. Allgemein kann man sagen, dass eine gute Bindung zum Prof die Motivation seitens der Studierenden erhöht, da sie den Prof auch als Mensch kennen und so über evtl. trockene Vorträge hinwegsehen können. Auch kann man sagen, dass die Bindungen meistens unzureichend sind was aus der Umfrage ergeht, welche wir für diesen Vortrag inszeniert haben. Nun noch ein paar Witze die Studierende und Prof’s betreffen: 1: Ein Student, der im Examen durchgefallen war, telegrafierte an seinen Bruder: "Nicht bestanden. Bereite Vater vor." Der Bruder telegrafierte zurück: "Vater vorbereitet. Bereite Dich vor." 2: Prof kämpft mit dem Mikro und der Rückkopplung. Da sagt er: "Was ist den das für ein Pfeifen?" Student in der ersten Reihe gedankenverloren: "Das ist die Rückkopplung vom Herzschrittmacher..." 3: Am Anfang der Klausur sagt der Professor: "Sie haben genau 2 Stunden Zeit. Danach werde ich keine weiteren Arbeiten mehr annehmen." Nach 2 Stunden ruft der Professor: "Schluss, meine Damen und Herren!" Trotzdem kritzelt ein Student wie wild weiter... Eine halbe Stunde später, der Professor hat die eingesammelten - 112 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Arbeiten vor sich liegen, will auch der letzte sein Heft noch abgeben, aber der Professor lehnt ab. Bläst sich der Student auf: "Herr Professor... Wissen sie eigentlich wen sie vor sich haben?" "Nein..." meint der Prof. "Großartig" sagt der Student, und schiebt seine Arbeit mitten in den Stapel... 4: Q: Was ist der Unterschied zwischen einer Hausfrau und einem Studenten? A: Die Hausfrau spült nach dem Essen... 12.7 Beziehungen zwischen Studierenden und der Fachschaft Die Fachschaft ist die studentische Vertretung an der Fachhochschule d.h. sie fungiert als Bindeglied zwischen der Hochschule und den Studierenden. Das Tätigkeitsfeld der Fachschaft umfasst sehr viele Bereiche wie z.B. - Hilfestellung bei allen Fragen rund um das Studium Vermittlung und Beratung bei Problemen mit DozentInnen oder ProfessorInnen Hilfe bei der Studienplangestaltung Bereitstellung und Verkauf von Skripten, Hausarbeiten und Mitschriften Öffentlichkeitsarbeit Interessenvertretung in der Hochschulpolitik Mitarbeit in den verschiedenen Gremien der Hochschule Des weiteren organisiert die Fachschaft diverse Veranstaltungen wie z.B. die Studienfahrt der Erstsemester, öffentliche Partys, Diskussionen, Vorbereitung und Aufruf zu Demonstrationen etc. Zur Zeit ist eines der Hauptthemen die eventuelle Einführung von Studiengebühren. Hier recherchiert die Fachschaft und gibt alle Informationen an die Studierenden weiter. Wenn man aber einfach auch nur mit jemandem reden möchte oder Kaffee trinken möchte ist man in der Fachschaft jederzeit herzlich willkommen. Die Mitarbeiter der Fachschaft haben immer ein offenes Ohr für alle Probleme. Eine aktive Mitarbeit der Studierenden in der Fachschaft ist erwünscht, damit die Arbeit erfolgreich ist. Zu den öffentlichen Fachschaftssitzungen, die alle 2 Wochen stattfinden, sind alle Studierenden herzlich eingeladen. Durch die vielfältigen Aufgaben der Fachschaft ist die Bindung von Studierenden an die Fachschaft sehr groß. Bei allen Problemen kann man die Fachschaft aufsuchen und man wird die richtige Unterstützung finden. Vor allem für die Erstsemester ist die Fachschaft immer eine wichtige Anlaufstelle, denn hier bekommt man Unterstützung und man fühlt sich nicht mehr hilflos sondern bekommt den Rücken gestärkt. - 113 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 12.8 Befragung von Studenten Im Anhang ist noch eine Auswertung eines eigens erstellten Fragebogen, den wir an Studenten der Fachhochschule Köln ausgeteilt und ausfüllen lassen haben. Pro Studiengang wurden 40 Studenten befragt. Die Studenten konnten bei Frage 1. eine oder alle gegeben Möglichkeiten anzukreuzen und ab Frage 2. nur noch zwei Kreuze setzen. 1. Welche Bindungen sind im ersten Monat deines Studiums entstanden? BWL / VW Design Sp / Sa Gesamt Mitkommilitonen Höheres Semester Prof‘s außerhalb der Vorlesungen Interne Einrichtungen 40 40 40 120 15 18 19 52 14 8 6 28 6 20 28 54 Sp / Sa Gesamt 2. Wie war dein Gefühl nach der ersten Zeit? BWL / VW Design Heimisch 4 6 5 15 Dazugehörend Unsicher/Unwoh l Alleine Komme nur zum lernen 23 28 31 82 9 4 7 20 5 2 2 9 3 1 - 4 3. Wie sieht die Situation ab dem 3.Semester aus, bzw. wie erhoffst du es dir? BWL / VW Design Sp / Sa Gesamt Unverändert/ Wie am 10 7 9 26 Anfang Intensiver 18 18 24 60 Kontakt Routiniert 32 29 30 91 Erhoffe schnelles 8 5 7 20 Ende Alleine - - 114 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 4. Was wünscht du dir von den neuen Bindungen für die Zeit nach dem Studium? BWL / VW Design Sp / Sa Gesamt Gefestigte 7 16 20 43 Freundschaften Wie es kommt, 25 22 25 72 so kommt‘s Lege keinen Wert auf enge 8 5 13 Freundschaften 12.9 Referenten • • • • • Sarah Koulatedj Fabian Opalecky Patric Ott Martin Wertenbroch Dominic Schatz - 115 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 13 Professionelle Hilfe bei Partnerbeziehungen 13.1 Was sind typische Probleme und woher kommen sie? - Fremdgehen eines Partners Stress (Kinder, Beruf, Freizeit, Freunde, Familie) Gewalt seitens des Partners/der Partnerin Verlieben in einen neuen Partner Enttäuschte Erwartungen, z.B. Kinderwunsch Emotionale Distanzierung; Streit und Konflikte bestimmen den Alltag Mangel an Liebe, Respekt, Leidenschaft Alkohol- und Drogenprobleme des Partners Unbefriedigte Sexualität Veränderung der Lebensverhältnisse, z.B. Geburt eines Kindes 13.2 Welche Formen therapeutischer Hilfe gibt es? Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten der professionellen Hilfe bei Partnerproblemen. Wir haben uns auf drei verschiedenen Therapieformen konzentriert: Der Eheberatung/ Ehetherapie, der systemischen Familientherapie und der Mediation. 13.2.1 Eheberatung; Ehetherapie Man sollte nicht zu spät zu einer Eheberatung gehen, da immer wiederkehrende Probleme sich schon stark festgesetzt haben und es schwer ist diese zu lösen. 13.2.1.1 Ausgang Störung im Beziehungssystem, in dem Miteinander umgehen 13.2.1.2 Voraussetzung − Interesse an der Erhaltung der Beziehung beider Partner − Anwesenheit beider Partner ist von großer Wichtigkeit, da so die Beziehung besser zu beurteilen und zu behandeln − Keine Rolle spielt es, ob dabei nur ein Partner erkrankt ist („Symptomträger“ ist), da die Auffassung herrscht, dass beide Partner in einem gemeinsamen, ihnen meist nicht bewussten Zusammenspiel die Symptomatik unterhalten 13.2.1.3 Ablauf − Vorgespräch (ca. 80 Min) - Man lernt Berater und dessen Arbeitsweise kennen - Es wird am Ende entschieden, ob Beratung fortgesetzt wird o. nicht − weitere Beratungstermine (50 min; 80 min) - Paartherapeut moderiert das Gespräch zwischen beiden Partnern - Berater/in ist unparteiisch - Berater/in achtet darauf, dass Situation nicht eskaliert - 116 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz - Paartherapeut Motiviert das Paar über Bedürfnisse, Wünsche, Partnerschaftsprobleme und Enttäuschung, Hoffnung und Liebe zu Sprechen - wichtig ist es, dass sich das Paar frei äußern kann durch die Begleitung erhält das Paar neue Sicherheit miteinander - die Schuld an der Störung der Beziehung wird nicht einem Partner zugeschrieben, Sündenböcke gibt es nicht, da es immer um ein gemeinsames Problem geht 13.2.1.4 Ziel − Kommunikation zwischen den Partnern (Sorgen und Ängste von der Seele reden) − Wieder lernen sich gegenseitig zuzuhören − Verständnis für einander aufbringen − Neue Lösungsmöglichkeiten/ -vorschläge finden − Auf ein bestimmtes Verhalten des Partners nicht mit einer sofortigen − Sorgen und Ängste von der Seele reden − Eigene Energie wieder finden − Wieder Spaß miteinander haben − Ein Glückliches Paar werden 13.2.1.5 Dauer − ist unterschiedlich, kann man nicht eindeutig sagen − die Länge richtet sich nach der Schwere der Beziehungsprobleme und den Zielen − manchmal reicht auch eine kurze Paartherapie zur Orientierung − manchmal braucht der Prozess in der Paartherapie 1 Monat oder länger − Paar entscheidet letztlich selbst 13.2.1.6 Abstände − meist 14-tägiger Rhythmus − anfangs bei akuter Krise: 1x die Woche − Ende: meist größere Abstände (alle 3-4 Wochen) 13.2.1.7 Kosten − Vorgespräch: 65 Euro − weitere Bratungstermine: 50 Min.: 85 Euro 80 Min.: 130 Euro 13.2.1.8 Beratung: Therapie: Unterschiede: Eheberatung, Ehetherapie Behandlung aktueller Probleme (Fremdgehen, Eifersucht, Trennungsangst…) Behandlung schwerwiegender Problem (können auch in Beratung sichtbar geworden sein - 117 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 13.2.1.9 Methoden Leiten sich u.a. ab von: − systemischer Familientherapie − Tiefenpsychologie − Verhaltenstherapie − Gestalttherapie 13.2.2 Systemische Familientherapie Die Familie ist die Beziehung oder auch Bindung, in dem zwischenmenschliche Beziehungen von allen Beteiligten am intensivsten erlebt werden. Deswegen entstehen in der Familie auch am häufigsten Probleme und Schwierigkeiten. Sie wirken im familiären Milieu intensiver als in andern weniger verflochtenen sozialen Systemen. Die systemische Therapie ist ein relativ junges Therapieverfahren und wird zunehmend als Weiterentwicklung familientherapeutischer Ideen betrachtet. Schon Sigmund Freud erkannte, dass die Familie einen wesentlichen Unterstützungsfaktor darstellt. Die Therapie entwickelte sich aus der Arbeit mit schizophrenen Patienten. Man sah, dass es Zusammenhänge zwischen psychischen Erkrankungen und dem Kommunikationsstil der Familie gab. Demnach entstehen psychische Auffälligkeiten nicht für sich allein, sondern hängen mit dem persönlichen Umfeld desjenigen zusammen und weisen eine bestimmte Bedeutung auf. Schizophrenie wurde damals somit als Kommunikationsstörung gesehen. Die Familientherapie lässt die Probleme der einzelnen Person an sich fast unberücksichtigt. Sie ist demnach nicht am Individuum orientiert. Die Therapie beschäftigt sich mit der Familie und betrachtet diese als System, das aus Information und Kommunikation besteht. Typisch für jede Gruppenbildung sind Regeln, die auch in der systemischen Therapie im Hauptaugenmerk stehen. Diese Spielregeln beschreiben und begrenzen die einzelnen Verhaltensweisen der Gruppen- bzw. Systemmitglieder. Taucht in einer Familie ein schwerwiegendes Problem auf, wird dies so erklärt, dass ein System entstanden ist, welches dieses Problem als Symptom aufrecht erhält. Das bedeutet die Familie als System ist auf eine bestimmte Symptomatik zugeschnitten. Sie hat Spielregeln entwickelt, die dazu dienen, dass das System sich nicht verändert. Es wird also nicht das Problem eines Familienmitgliedes isoliert betrachtet, sondern das Verhalten aller Familienmitglieder wird miteinbezogen. Auch wird das Symptom nicht als Störung betrachtet, sondern als Bewältigungsversuche des Einzelnen für die Probleme, die ihn belasten. Beispiele: Wird ein Familienmitglied magersüchtig, wird es nicht als kranker Patient gesehen, sondern als Symptomträger beispielsweise für Kommunikationsschwierigkeiten im Netz der Spielregeln der ganzen Familie. Wird ein Kind aggressiv, kann das dafür stehen, dass in der Familie Konflikte nicht offen angesprochen werden. 13.2.2.1 Allgemeines Vorgehen Leitsatz: „ Handle stets so, dass du die Anzahl der Möglichkeiten vergrößerst.“ - 118 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 1) Kundenorientierung: Vorab finden erste Gespräche statt über die Anliegen, Ziele und Wünsche der einzelnen Familienmitglieder. Es bedarf einer sorgfältigen Aufklärung mit folgenden Grundfragen: Wer will was? Von wem? Wie viel? Ab wann? Bis wann? Wozu? Gegen wen? 2) Hypothesenbildung: es werden eine Vielzahl von Hypothesen gebildet um eine möglichst große Vielfalt von Perspektiven und Möglichkeiten zu erhalten. 3) Zirkularität: Zirkuläres Handeln steht ihm Gegensatz zu linearem Betrachten. So wird das Verhalten eingebunden in einen Kreislaufprozess gesehen. Wenn man Familie als ein System ansieht, muss man das System in Verbindung eines Kreisprozessen sehen, der seine eigenen Gesetzmäßigkeiten aufwirft. Ein bestimmtes Verhalten, erzeugt ein anderes Verhalten, was sich wiederum auf das vorherige Verhalten auswirkt. Beispiel hierfür: - das Kind will nicht ins Bett gehen und quengelt - die Eltern werden ärgerlich und schimpfen - das Kind wird trotzig und schreit - die Eltern antworten mit größerem Ärger und Zwangsmaßnahmen - das Kind steigert sich in heftigen Protest hinein usw. …… 4) Neutralität: Das bezeichnet die Fähigkeit des Therapeuten für alle Mitglieder des Systems gleichermaßen Partei ergreifen zu können. 5) Ressourcen-, Lösungsorientierung: Das System verfügt in der systemischen Therapie bereits über alle Ressourcen, die zur Lösung seiner Probleme benötigt werden. Dem System ist nur die Fähigkeit abhanden gekommen sie zu nutzen. Der Konstrukt von Lösungen liegt also im Vordergrund. In der Therapie wird den Familienmitgliedern nicht geholfen ihre Probleme zu verstehen oder gar zu interpretieren, sondern es geht darum diese speziellen Spielregeln zu erfassen, die das Symptom aufrecht erhalten. Wie bei einem Mobile bewirkt eine Veränderung des Ganzen auch eine Veränderung des Einzelnen und umgekehrt. 13.2.2.2 Ziele Ziel ist es dabei das gefestigte System bzw. die festgefahrenen Strukturen aufzubrechen, das System aus dem Gleichgewicht zu bringen und es somit zu verändern. Das bedeutet mit Hilfe des Therapeut/ der Therapeutin soll das Geflecht der Beziehungen Stück für Stück entwirrt werden. Dazu sollen die Regeln die bestehen, durch Regeln ausgetauscht werden, die das Zusammenleben für die Familie erträglicher machen. Das Schwergewicht liegt hierbei auf der Kommunikationsebene. Zielmöglichkeiten: - neue Sichtweisen entwickeln - Lösungen angstfrei ausprobieren - Lebensphasen bewältigen - lustvolle Zweisamkeit erleben - sich in der Familie/Arbeitswelt wieder wohl fühlen - wieder Lebendigkeit spüren - Kräfte und Fähigkeiten wieder voll ausschöpfen können - 119 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 13.2.2.3 Dauer und Kosten Die Dauer der Therapie beträgt in der Regel zwischen 5-12 Sitzungen, die sich aber über Monate oder sogar Jahre hinziehen können, wobei eine Sitzung 60- 90 Minuten dauert. Dabei soll in den Sitzungen selber lediglich ein Impuls oder eine Information an die Mitglieder des Systems gegeben werden, die zu Veränderungsprozessen führen können. Die Sitzungen können nicht angesehen werden, als sofortige Hilfsmaßnahme. Der eigentliche Veränderungsprozess geschieht zwischen den einzelnen Sitzungen, weswegen oftmals soviel Zeit zwischen einzelnen Therapiesitzungen liegt (3-4 Wochenabstände). Es muss dem System Zeit und Gelegenheit zur Veränderung gegeben werden, da sich die Spielregeln auch innerhalb eines langen Zeitraumes gefestigt haben und nur durch langsames Vorgehen aufgebrochen werden können. Die Kosten sind unterschiedlich. Es gibt Therapien von 30 Euro, 60 Euro, aber auch 100 Euro pro Sitzung, was auch mit der Anzahl der vorhanden Therapeuten einhergeht. Allerdings werden die Kosten bis jetzt nicht von inländischen Krankenkasse übernommen, sondern müssen privat abgerechnet werden. Grundsätzlich können an der Therapie alle teilnehmen, die in das System involviert sind und zur Veränderung beitragen können. So können die Teilnehmerzahlen durchaus variieren. Es können Sitzungen nur mit Eltern, nur mit den Kindern oder mit der ganzen Familie stattfinden. 13.2.2.4 Methoden 1) Die besonderen Fragetechniken sind ein Kennzeichen von Familientherapie, so zum Beispiel die zirkulären Fragen: „Was glauben sie denkt und fühlt ihre Tochter, wenn sie mit ihrem Mann streiten?“ „Was tut ihr Mann, wenn ihr Sohn das tut, was sie depressiv nennen und wie wird ihr Sohn dann darauf reagieren?“ Zirkuläre Fragen dienen nicht nur zur Information für den Therapeuten, sondern zeigen auch wie unterschiedlich bestimmte Lebens- und Erlebnissituationen in der Familie erfahren werden. So können gewohnte Sichtweisen und Verhaltensweisen aus dem Gleichgewicht gebracht werden. 2) Familienskulptur: Eine sehr erlebnisintensive Methode. Dabei wird durch die Mitglieder selber versucht, die Situation in einer Familie durch eine Art Denkmal oder Statur darzustellen. Bei dem Erstellen kann auf unterschiedliche Modalitäten geachtet werden. - Durch den räumlichen Abstand wird dargestellt, wie nah oder distanziert sich die Familienmitglieder fühlen. - Durch die Größe kann dargestellt werden, wer sich in der Familie oben oder unten fühlt, wer wie viel Macht hat und wer am wenigsten Einfluss besitzt. - Gestik und Mimik kann Emotionen und Gedanken gut darstellen und aufzeigen - 120 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 3) Mailänder Modell : Das Mailänder Modell besteht darin, dass zwei Therapeuten mit der Familie arbeiten, während zwei weitere den Prozess durch einen Einwegspiegel beobachten, sozusagen als reflektierendes Team. Zwischen den beiden Teilteams besteht während der Sitzung Kontakt, so dass man sich gegenseitig Ratschläge und Tipps geben kann. Gegen Ende der Sitzung bespricht sich das ganze Team in einem Nebenraum und gibt geschlossen eine Definition der Situation oder eine Aufgabe an die Familie weiter. Man hat dieses Modell später so abgewandelt, dass es der Familie durch Mikrofone ermöglicht ist, die Diskussionen des Teams mitzuhören um eine Erniedrigung der Familie zu umgehen. Außerdem ging man nun davon aus, dass die systemische Therapiesitzung sich selber als systemisch zu begreifen hat und der Therapeut in das System involviert ist. Er beeinflusst und verändert das System. Die Therapie wird nun weniger verstanden bewusst auf Menschen einzuwirken und sie zielgerichtet in eine Richtung zu verändern, sondern vielmehr wird ein Rahmen definiert, in dem Veränderungen möglich werden. 13.2.2.5 Systemische Familientherapie hilft, wenn … - in der Familie kaum noch gemeinsame Gespräche stattfinden oder Kommunikationsprobleme herrschen - Paare sich auseinander gelebt haben und kaum noch Gemeinsamkeiten gepflegt werden - geringste Meinungsverschiedenheiten zu massiven Konflikten führen - permanente Verletzungen und gegenseitige Abwertungen stattfinden - ein Familienmitglied Verhaltensauffälligkeiten oder psychische Störungen zeigt - es häufig Spannungen, Streit, Beschuldigungen und gegenseitige Vorwürfe gibt - äußere Veränderungen (Krankheit, körperliche Beschwerden, Arbeitsplatzprobleme, Arbeitslosigkeit, Umzug) die Familie belasten - Lösungen auf Dauer gesucht werden - Geburt, Pubertät, Ablösung oder Auszug eines Kindes sich als Problem herausstellt - ein Familienmitglied gestorben ist - Resignation in der Partnerschaft empfunden wird - Trennung oder Scheidung bevorsteht Das Ende einer Therapie ist dann geschehen, wenn die Teilnehmer mit dem Therapeuten der Meinung sind das beklagte Problem sei entweder hinreichend gelöst bzw. gebessert oder aber man habe die Hoffnung aufgegeben es mittels der Beratung zu lösen. 13.2.3 Mediation 13.2.3.1 Was ist Mediation? - ein Verfahren der Konfliktlösung - in den 60er und 70er in den USA entwickelt - wörtliche Übersetzung ist „Vermittlung“, gemeint ist die Vermittlung in Streitfällen durch einen unparteiische akzeptierte Dritte - Ziel ist es eine einvernehmliche Lösung der Konfliktparteien zu finden, eine Vereinbarung, die alle Konfliktparteien unterzeichnen und umsetzen - 121 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Dabei ist nicht der Mediator der „Schiedsrichter“, sondern es liegt an den Konfliktparteien selbst, eine optimale entsprechende Problemlösung zu erarbeiten selbst bei „Konflikt-Sackgassen kann eine Mediation erfolgreich sein 13.2.3.2 Merkmale der Mediation - Einbeziehen aller Konfliktparteien - Außergerichtliche Ebene - Die Freiwilligkeit der Teilnahme - Selbstbestimmung bezüglich der Konfliktlösung (die Entscheidungsbefugnis wird nicht an Dritte abgegeben) - Verhandlungsergebnis ist erst bindend, wenn alle Beteiligten zugestimmt haben 13.2.3.3 Welche Anwendungsbereiche gibt es? - Konflikte im persönlichen und politischen Bereich (hier besonders in Umweltkonflikten zwischen Bürgerinitiativen) oder in Gruppen - Regelung von Ehekonflikten und Scheidungen - Nachbarstreitigkeiten, Mietkonflikten - Schwierigen Verhältnissen bei Patch-work-Familien - Zwischen verschiedenen Generationen (z.B. Schwiegersohn und Schwiegermutter, Eltern und Kinder) - Zwischen Eltern und Adoptivkindern - Beim Erben und Vererben - Familien mit verschiedenen Kulturen - In Wohngemeinschaften - Schulen und Jugendeinrichtungen - Konflikten am Arbeitsplatz - Im juristischen Bereich gibt es Modellversuche (Hier werden Täter und Opfer zu Gesprächen zusammengeführt, um den Straftätern eine Einsicht in das von ihnen begangene Unrecht zu vermitteln und ihnen statt einer Gefängnisstrafe eine Entschädigungsleistung für das Opfer aufzuerlegen) 13.2.3.4 Rolle des Mediators - muss von allen Konfliktparteien akzeptiert werden - Mediator darf kein eigenes Interesse an einem bestimmten Konfliktausgang haben - Ist neutral und unparteiisch, darf kein Schiedsspruch oder Urteil sprechen - Mediator bewertet oder urteilet nicht, nehmen alle Standpunkte ernst - Mediator ist eine Hilfestellung für die Beteiligten, um ihre Gefühle und Interessen klar zu werden und verständlich zu auszudrücken - Mediator ist für den Gang des Gesprächs verantwortlich (die Kontrahenten/innen für den Inhalt) - Mediator ist eine Hilfestellung für eine einvernehmliche Problemlösung der Streitenden, eine Lösung wird nicht von dem Mediator vorgegeben, sondern von den Konfliktparteien erarbeitet (Mediator kann aber eigene Ideen als eine von vielen Möglichkeiten vorschlagen) - Mediator achtet darauf, dass keine sinnlosen oder unrealisierbaren Vereinbarungen getroffen werden - Mediator sorgt dafür, dass Machtungleichgewichte ausgeglichen werden bzw. in dem Verfahren keinen Ausdruck bekommen - 122 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Mediatoren können das Gespräch von sich aus abbrechen, wenn keine verantwortbare Lösung gefunden wird. Mediationen können auch durch mehrere Mediatoren durchgeführt werden. Dies ist sinnvoll, wenn es sich um einen komplexen Konflikt mit mehr als zwei Konfliktparteien handelt. Mediatoren sollen nicht als Zeuge oder Gutachter in einem eventuellen Rechtsstreit auftreten 13.2.3.5 Grundlegende Methoden - muss von allen Konfliktparteien akzeptiert werden - Mediator darf kein eigenes Interesse an einem bestimmten Konfliktausgang haben - Ist neutral und unparteiisch, darf kein Schiedsspruch oder Urteil sprechen - Mediator bewertet oder urteilet nicht, nehmen alle Standpunkte ernst - Mediator ist eine Hilfestellung für die Beteiligten, um ihre Gefühle und Interessen klar zu werden und verständlich zu auszudrücken - Mediator ist für den Gang des Gesprächs verantwortlich (die Kontrahenten/innen für den Inhalt) - Mediator ist eine Hilfestellung für eine einvernehmliche Problemlösung der Streitenden, eine Lösung wird nicht von dem Mediator vorgegeben, sondern von den Konfliktparteien erarbeitet (Mediator kann aber eigene Ideen als eine von vielen Möglichkeiten vorschlagen) - Mediator achtet darauf, dass keine sinnlosen oder unrealisierbaren Vereinbarungen getroffen werden - Mediator sorgt dafür, dass Machtungleichgewichte ausgeglichen werden bzw. in dem Verfahren keinen Ausdruck bekommen - Mediatoren können das Gespräch von sich aus abbrechen, wenn keine verantwortbare Lösung gefunden wird. - Mediationen können auch durch mehrere Mediatoren durchgeführt werden. Dies ist sinnvoll, wenn es sich um einen komplexen Konflikt mit mehr als zwei Konfliktparteien handelt. - Mediatoren sollen nicht als Zeuge oder Gutachter in einem eventuellen Rechtsstreit auftreten 13.2.3.6 Aktives Zuhören Bedeutet: - Zuhören mit dem Ziel, die Sicht der anderen Person zu verstehen. - Verstehen heißt nicht, die Sichtweise der anderen Person zu übernehmen. - Ziel dabei ist es, dass, wenn sich ein Mensch ganz aussprechen darf und verstanden fühlt, er auch eher bereit ist, anderen anzuhören und Verständnis für sie aufzubringen. - Um zu überprüfen, ob man den oder die andere richtig verstanden hat, gibt man von Zeit zu Zeit in eigenen Worten wieder; was man gehört hat und fragt nach, ob es richtig zusammengefasst wurde (Spiegeln/ Paraphrasieren). - Auf diese Weise kann man der erzählenden Person deutlich machen, dass ihr tatsächlich zugehört wird. - An entscheidenden Stellen werden auch die Kontrahent/innen aufgefordert, sich gegenseitig zu spiegeln. Sie werden dadurch veranlasst, genau zuzuhören und das Wesentliche des Gesagten zu erfassen. - 123 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 13.2.3.7 Ich – Botschaften Die Kontrahent/innen werden angeleitet, von ihren eigenen Erfahrungen und Gefühlen zu reden und sich nicht hinter Allgemeinplätzen zu verstecken oder in Beleidigungen und Beschuldigungen der Gegenseite auszuweichen. Dabei sollen sie klar benennen. um was es konkret geht (ging) und was für Gefühle das bei ihnen auslöst (ausgelöst hat). 13.2.3.8 Einzelgespräche In schwierigen Situationen können die Mediator/innen Einzelgespräche mit den Konfliktparteien einschieben. Dort können die aufgetauchten Probleme ohne den Druck, dass die "Gegenseite" mithört, geklärt werden. Auch können die Kontrahent/innen auf diesem Weg den Mediator/innen Vorschläge mitteilen, die sie vor der Gegenseite nicht offen aussprechen wollen. 13.2.3.9 Brainstorming Kreative Ideensammlung, bei der alle Vorschläge unzensiert aufgelistet werden und die brauchbarsten zur Weiterarbeit verwendet werden. 13.2.3.10 Die wichtigsten Schritte des Mediationsverfahrens 13.2.3.10.1 Vorphase - am besten ist es, wenn die Konfliktparteien gemeinsam den Wunsch nach einer Mediation äußern und entsprechende Schritte einleiten. - Meist ergreift eine der Konfliktparteien die Initiative. - Die Mediator/innen nehmen dann den Kontakt zu den übrigen Konfliktbeteiligten auf und versuchen, sie zu einer Teilnahme am Mediationsgespräch zu bewegen. - Es ist auch möglich, daß die Initiative von Dritten ausgeht oder von den MediatorInnen selbst. Diese sprechen dann alle beteiligten Konfliktparteien an und schlagen den Versuch eines Mediationsgespräches vor. - Voraussetzung für eine erfolgversprechende Mediation ist die Bereitschaft aller Beteiligten, aktiv an dem Gespräch teilzunehmen und nach einer einvernehmlichen Problemlösung zu suchen. 13.2.3.10.2 Das Mediationsgespräch 13.2.3.10.2.1 Einleitung - Gespräch wird in einer wohltuenden, offenen und vertrauensfördernden Atmosphäre durchgeführt, dabei sollte die Sitzordnung eine gleichwertige Kommunikation untereinander ermöglichen und die einleitenden Worte ein Klima des Angenommenseins und des Vertrauens schaffen. Die Gesprächsteilnehmer/innen werden (noch einmal) über den Ablauf und die Rolle der Mediator/innen und die Grundregeln informiert. Unverzichtbare Grundregeln sind: • • Ausreden lassen! Keine Beleidigungen oder Handgreiflichkeiten! - 124 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider • Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz Die Mediator/innen haben die Verantwortung für den Gang des Gesprächs und greifen ein, wenn es erforderlich ist. Weitere Regeln können gemeinsam vereinbart werden - offene Fragen werden geklärt alle Beteiligten werden nach ihrer Bereitschaft gefragt, sich auf die Regeln und das Verfahren einzulassen. 13.2.3.10.2.2 Sichtweise der einzelnen Konfliktparteien - Jede Seite hat die Gelegenheit, den Konflikt aus ihrer Sicht zu erzählen. Sie erhalten dafür soviel Zeit, wie sie nötig. - Mediator/innen hören aktiv zu, stellen gegebenenfalls Fragen und fassen, das Gehörte zusammen. - Die anderen Kontrahentinnen hören in diesem Stadium nur zu und müssen ihre Erwiderungen auf den Zeitpunkt verschieben an dem sie selbst mit dem Erzählen an der Reihe sind. Sie können sich jedoch Notizen machen, um ihre Einwände in Erinnerung zu behalten. 13.2.3.10.2.3 Konflikterhellung Verborgene Gefühle, Interessen, Hintergründe - Herausarbeitung (soweit das noch nicht in der vorangegangenen Phase geschehen ist) die mit dem Konflikt verbundenen Gefühle sowie die Interessen und Wünsche Alles was als Hintergrund zum offenen Streit von Bedeutung ist, soll zur Sprache kommen. Die Mediator/innen sind bei der Erhellung des Konfliktes behilflich, indem sie geeignete Fragen stellen und Hilfstechniken einsetzen. Die Kommunikationsrichtung wird zunehmend auf den Kontakt der Kontrahent/innen untereinander verlagert. Kernsätze zum Verständnis einer Konfliktpartei sollen in eigenen Worten von den Kontrahentinnen zusammengefasst werden (Spiegeln). BEISPIEL ??Die Mediator/innen leiten sie dazu an und geben Hilfestellungen. 13.2.3.10.2.4 Problemlösung Sammeln und Entwickeln von Lösungsmöglichkeiten - Wenn durch die vorangegangene Phase ein gegenseitiges Verstehen ermöglicht wurde, können die Streitenden nun gemeinsam überlegen, wie sie ihre Meinungsverschiedenheiten beilegen wollen. Aus dem "Konflikt" wurde ein "Problem", für dessen Lösung alle Kontrahent/innen Mit geeigneten Methoden (z.B. Brainstorming) werden kreative Ideen gesammelt und die interessantesten zu Lösungsvorschlägen ausgearbeitet. 13.2.3.10.2.5 Übereinkunft - Die Konfliktparteien einigen sich auf die Lösungsvorschläge, die ihnen am meisten zusagen. - Sie regeln alle Fragen, die mit der Überprüfung und eventuell erforderlichen Überarbeitung der Vereinbarung Zu tun haben. Gas Ganze wird schriftlich festgehalten und von den Beteiligten unterschrieben. - 125 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz 13.2.3.10.2.6 Umsetzungsphase - Nach einer gewissen Zeit nehmen die Mediator/innen und die Konfliktbeteiligten noch einmal Kontakt zueinander auf, um zu klären, ob die Übereinkunft tatsächlich die Probleme gelöst hat. - Falls nötig, müssen Korrekturen angebracht werden oder es muss ganz neu verhandelt werden. 13.2.3.11 Wann ist Mediation sinnvoll? Mediation ist sinnvoll, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: Der Konflikt kann nicht oder nur schlecht in direkten Gesprächen bzw. Verhandlungen gelöst werden. - Die Konfliktaustragung befindet sich in einer Sackgasse. - Die Streitenden haben ein Interesse an guten zukünftigen Beziehungen zueinander. - Eine einvernehmliche Konfliktlösung wird von allen Beteiligten angestrebt. - Die wichtigsten Konfliktparteien, wenn nicht alle, sind vertreten. - Es gibt keine gravierenden Machtunterschiede. Falls doch, müssen entweder die Schwächeren ihre eigene Machtposition verbessern (z.B. durch das Entwickeln von guten Alternativen zum Verhandeln, das Suchen von Verbündeten oder durch gewaltfreien Widerstand), oder die Stärkeren müssen bereit sein, im Rahmen der Mediation auf ihre Machtposition zu verzichten. - Es bleibt genügend Zeit, um eine einvernehmliche Konfliktlosung zu erarbeiten. Die Kontrahent/innen verfügen über ein Mindestmaß an Ausdrucksvermögen und Selbstbehauptungsfähigkeit. Sie haben keine ausgeprägte psychische Krankheit oder Behinderung, keine starke Sucht und werden nicht missbraucht oder gewaltsam unterdrückt. - 13.3 Aufgaben des Sozialpädagogen Sozialpädagogen/innen arbeiten in Beratungsstelle, meist gibt es Frauenberatungsstellen. Die Beratungsstellen bieten auf der einen Seite rechtliche Informationsangebote über die Trennung oder Scheidung eines Paares sowie deren Ablauf. Auf der anderen Seite sind die Beratungsstellen die erste Anlaufstelle für eine Konfliktbesprechung. Hier finden Kriseninterventionen statt (ca. 5 Sitzungen), um eine Situation zu klären. Zentrale Ziele sind hierbei die Klärung für den Klienten selbst, seine Fragestellung „Stimmt meine Wahrnehmung?“, Sicht in die Vogelperspektive entwickeln. Der „Spielraum“ des Klienten soll größer werden, die Möglichkeiten in der Krise sollen sich durch die neutrale geschulte Fachkraft erweitern. Dabei ist es wichtig, dass es sich um keine Langzeittherapie handelt und um keine Persönlichkeitsveränderung. Wenn die Probleme tiefgründiger sind, verweist der Sozialpädagoge/die Sozialpädagogin an weitere therapeutische Instanzen. - 126 - Ästhetik / Kommunikation SS 2005 Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Karla Misek-Schneider 13.4 Referenten • • • • • • Katrin Eschbach Anila Kadiri Claudia Klein Judith Kricke Anna Robbel Jessica von der Höh - 127 - Seminar: Bindungen Prof. Dr. phil. Jürgen Fritz