Erfahrungsbericht 2012

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Erfahrungsbericht 2012
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Erfahrungsbericht über das Auslandssemester an der
Universidad Mayor in Santiago de Chile
von Victoria Kulpanowska
im Semester 2 (Juli – August) 2012
Am Anfang…
6 Monate sind bereits vergangen, seit ich Deutschland verlassen habe, um mein
Auslandssemester in Santiago de Chile zu verbringen. Seither habe unendlich viel gesehen und
erlebt, sodass es sich anfühlt, als sei viel mehr Zeit vergangen, als dies tatsächlich der Fall ist. No
es un semestre en la vida, es una vida en un semestre. Aus diesem Grund ist es für mich
unmöglich, diesen Bericht auf drei bis vier Seiten zu beschränken und deshalb fällt es mir gerade
auch so schwer, mich hier in Chile sitzend, zu entsinnen, wie alles überhaupt begann...
Seit Anfang meines Studiums am ITMK habe ich dem Auslandssemester, welches es zu
absolvieren galt, voller Vorfreude entgegengeblickt. Allerdings schien es immer in weiter Ferne
und als dann das vierte Semester kam, ging plötzlich alles sehr schnell. Ich wusste, ich wollte in
ein spanischsprachiges Land und ich wusste, ich wollte weit weg. Lateinamerika sollte es sein.
Das Land war zuerst einmal zweitrangig. Also informierte ich mich über unsere
Partneruniversitäten
und
stellte
fest,
dass
alle
Fakultäten,
mit
denen
wir
ein
Austauschabkommen haben, für meinen Geschmack zu linguistisch orientiert und ziemlich
„sprachenlastig“ sind. Alle, bis auf eine. Die Universidad Mayor in Santiago de Chile bot mir an,
Kurse aus jedem erdenklichen Studiengang und jedem erdenklichen Fachsemester zu belegen.
So bewarb ich mich also um einen der zwei Plätze und bekam dann zu meiner großen Freude
bald auch eine Zusage.
Begleitet von Frau Schall und Frau Hennecke, als auch mit großer Unterstützung des
Departamento de Relaciones Internacionales der Universidad Mayor wühlte ich mich durch den
ganzen Papierkram, organisierte die nötigen Versicherungen, bemühte mich um mein Visum,
schrieb mich offiziell an meiner neuen Gastuni ein und klärte alles, was es noch zu klären gab.
In dieser Zeit bin ich in Post-its und Deadlines nur so versunken und habe teilweise gezweifelt,
dass es überhaupt möglich ist, alles zeitlich zu schaffen. Doch irgendwann war dann auch
wirklich alles organisiert und ich konnte mich entspannt zurücklehnen und die Tage bis zu
meinem Abflug zählen.
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In Santiago angekommen...
Ende Juli kam ich nach einem 30 Stunden Horrorflug dann endlich in Santiago an. Die UMayor
bat uns netterweise einen Abholservice vom Flughafen an, den ich dankend in Anspruch nahm.
So wurde ich, nachdem ich fälschlicher Weise zuerst einen Flughafenmitarbeiter umarmt hatte,
den ich für einen Mitarbeiter der UMayor hielt, durch die Stadt kutschiert und in meinem Hostal
(http://www.hostalforestal.cl/) abgesetzt. Bereits am ersten Tag traf ich junge Menschen aus aller
Welt, knüpfte erste Kontakte und tauschte mich mit ihnen über die Möglichkeiten der
Wohnungssuche in Santiago aus. Bisher waren alle ITMK Studenten, die über die letzten Jahre an
dem Austausch teilgenommen haben, in einem Studentenwohnheim für ausländische
Studenten (Casa Suecia) untergekommen.
Ich aber hatte mir in den Kopf gesetzt, mir eine nette chilenische WG zu suchen, oder zumindest
mit
anderen
Lateinamerikanern
zusammen
zu
ziehen.
Über
die
Webseite
http://www.compartodepto.cl/ fand ich innerhalb eines einzigen Tages die perfekte WG. Ich zog
am 1. August in eine vierer WG mit drei Chilenen, in den 21. Stock eines Altbaus mit einer
Traumaussicht über ganz Santiago, die mich selbst
heute noch, nach sechs Monaten, immer wieder
umhaut. Die Wohnung ist nur zehn Minuten zu
Fuß von meinem Campus entfernt, sehr zentral
und in Supermarktnähe. Meine Mitbewohner sind
schon lange mehr als das, sie sind Familie. Ich kann
also jedem nur empfehlen, seine Bleibe hier vor
Ort zu suchen. Es ist zudem auch die deutlich
günstigere Option.
Wo gerade von Preisen die Rede ist... Jeder der mit der Vorstellung nach Chile kommt,
Lateinamerika sei unterentwickelt und daher günstig, wird hier spätestens beim ersten
Supermarktbesuch richtig wachgerüttelt. Der günstigste Liter Milch kostet einen Euro, ein Liter
Orangensaft ganze zwei und leckeren, bezahlbaren Käse zu finden, ist sicher unmöglich.
Santiago ist teuer. Auch Metrofahren summiert sich bei einem Euro pro Fahrt, denn die
Studentenfahrkarte welche eine Fahrt auf 30 Cent reduziert, kriegt man, auch wenn man sie
direkt am Anfang beantragt, erst Mitte November. Taxis sind für deutsche Verhältnisse allerdings
günstig. Mein Tipp ist, dass man Lebensmittel, vor allem Fleisch und Gemüse/ Obst auf Märkten
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(La Vega z.B.) in größeren Mengen und daher günstiger einkauft. Kulinarisch bietet Santiago in
kleinen Restaurants, Cafés und Bars alle möglichen Weltgerichte, man muss nur wissen, wo man
suchen muss. Hier empfehle ich das Patio Bella Vista und eine Vielzahl süßer kleiner Restaurants
rund um Tobalaba, die um die Mittagszeit herum günstige Mittagsmenues anbieten.
Als Großstadt mit sieben Millionen Einwohnern,
verfügt
Santiago
natürlich
auch
über
ein
lebendiges Nachtleben. Vor allem in Bella Vista
reihen sich Bars und Discotheken aneinander.
Ansonsten gibt es exklusivere Clubs in Vitacura
und Las Condes. Die Studentenparty MiercolesPo
ist vor allem am Anfang ein guter Anlaufpunkt
gewesen, um neue Kontakte zu knüpfen. Auf lange
Sicht empfehle ich allerdings das After Office,. welches früh anfängt und um 2 Uhr nachts schon
zu Ende ist, so dass es sich gut mit dem Uni Leben vereinbaren lässt.
Santiago bietet auch kulturell sehr viel. Es wimmelt nur so von Postern und Plakaten, die
zahlreiche Ausstellungen, Konzerte, Messen, Festivals und openair Events ankündigen.
Beispielsweise waren während meiner Zeit hier verschiedenste Rockbands auf dem Maquinaria
Festival
zu
begeisterte
Gast,
mit
der
einem
Cirque
du
Soleil
atemberaubenden
Akrobatikprogramm, internationale Stars wie
Lady Gaga rockten die Bühne, Electrofestivals
zogen
riesige
Menschenmassen
an
und
Headliner wie David Guetta versetzten das
Publikum in Extase.
Aber auch politische Events wie der CELAC- EU
Gipfel, der 30 Staatschefs aus Lateinamerika,
der Karibik und Europa vereinte und an dem auch Angela Merkel teilnahm, fanden in Santiago
statt. Sonntags ist der Eintritt in allen Museen frei. Vor allem ein Besuch im Museo de la Memoria,
das Chiles Geschichte seit dem Staatsputsch 1973 auf eine sehr lebendige Weise visualisiert,
lohnt sich.
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Wer gerne einmal in die Natur und raus aus der versmogten Großstadt möchte, dem empfehle
ich ein Wochenende im Cajon de Maipo oder einfach mal einen Trekkingtag in den kleinen
Nationalparks direkt am Rande der Stadt, die auch mit der Metro gut zu erreichen sind. Bei
Facebook gibt es eine Gruppe die sich Trekking CL nennt und die jeden Samstag umsonst
Tagestrips in die umliegenden Berge organisiert. Ich bin des öfteren mitgelaufen und habe jedes
einzelne Trekking genossen. Es tut gut einfach mal rauszukommen, frische Luft zu schnappen
und die unglaubliche Aussicht von oben auf Santiago zu genießen. Wer sich lieber direkt in der
Stadt auspowert, sollte unbedingt in einer der Salsatecas ( z.B.: http://www.papagayosclub.cl/)
vorbeischauen. Für gerade mal drei, vier Euro kann man einen 1,5-stündigen Kurs belegen.
Der letzte Punkt, den ich bei meiner Abhandlung über Santiago ansprechen möchte sind die
Menschen. Chilenen sind herzlich, offen und
enorm hilfsbereit. Ich habe mich direkt von
Anfang an wohl gefühlt. Auch wenn man sich
noch
nicht
lange
kannte,
wurde
man
eingeladen, der Familie vorgestellt und auch als
solche behandelt. Zudem habe ich mich in
Santiago immer sicher gefühlt. Man kriegt in
Europa gerne vermittelt, man fahre in die
gefährlichste Region der Welt, das ferne fremde
Lateinamerika, man solle sich hüten und äußerste Vorsicht bewahren. Sicherlich ist es von Vorteil
in einer Großstadt nicht alleine nachts durch die Gegend zu irren, allerdings finde ich nicht, dass
mehr Vorsicht angebracht ist, als in Köln auch.
Das Leben an der UMayor...
Der eigentliche Grund aus dem ich hergekommen bin... Obwohl ich mit meinen 12
Wochenstunden, die ich an der Universidad Mayor belegt habe, viel weniger ausgelastet war, als
mit meinem Vorlesungsplan in Deutschland, habe ich trotzdem sehr viel gelernt. Das verdanke
ich, wie ich finde, der anderen Angehensweise, die das chilenische System bei der
Wissensvermittlung an den Tag legt.
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Ich habe an der Wirtschaftsfakultät die Kurse Gestión de Ventas, Gestión de Recursos Humanos und
ein Taller de Liderazgo, Innovación y Creatividad belegt. An unserer FH wurden ähnliche Kurse aus
dem Schwerpunkt Wirtschaft via Frontalunterricht und auf Theorien, Modellen und Konzepten
basierend gelehrt. Natürlich musste ich mir auch hier in Chile theoretisches Wissen als
Grundlage aneignen, allerdings geschah dies nicht in einer Powerlernphase in den Wochen vor
den Klausuren, sondern nach und nach während des Semesters.
Das System ist hier nämlich so, dass es über das ganze Semester verteilt Prüfungen,
Leseabfragungen, Hausaufgaben, Hausarbeiten und eine Vielzahl von Präsentationen gibt. Ich
saß jede einzelne Woche an irgendeinem Projekt, einem Aufsatz oder einer Recherche. Auch
wenn es teilweise wirklich mühselig war, vor allem am Anfang, komplette Hausarbeiten auf
Spanisch zu verfassen und ich einen solchen Zeitaufwand während des Semesters aus
Deutschland nicht gewohnt war, so habe ich doch das Gefühl, dass von dem Gelernten auch
wirklich etwas hängen geblieben ist. Der Anwendungsbezug wurde deutlich und es fiel mir
einfacher, mich mit den Aufgaben auseinander zu setzen, weil ich einsehen konnte, wie mich
dies später im Berufsleben weiterbringt.
Die Kurse waren klein und zumindest in meinem Studiengang sehr ausländerüberlaufen, sodass
ich leider in der Uni nicht viele Chilenen kennen gelernt habe. Man sollte sich also als
Austauschschüler auf ein sehr internationales Lernumfeld einstellen.
Es herrschte eine Anwesenheitspflicht von 75%, die für uns Austauschschüler netterweise auf
65% gesenkt wurde, sodass wir während des Semesters auch verreisen konnten. Bei
ausreichendem Engagement und guten Leistungen während des Semesters, konnten wir uns
zudem von den Abschlussprüfungen im Dezember befreit lassen. Dies wiederum ist eine
Regelung, von der auch chilenische Studierende Gebrauch machen können.
Um den zuvor angesprochenen
Anwendungsbezug
des
Unterrichts etwas deutlicher zu
machen, würde ich gerne ein
Beispiel aus meinem Kurs des
Managements im Personalwesen
anführen. Als proyecto final am
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Ende des Semesters bekamen wir die Aufgabe, die Leitung des Personalabteilung eines
mittelgroßen bis großen Unternehmens in Santiago zu interviewen, darüber einen 20seitigen
Bericht unter Anwendung zuvor erlernter Konzepte zu verfassen und in einem kreativen Teil, der
besonders hoch gewertet wurde, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.
All dies sollte in Gruppen von vier bis fünf Personen erledigt werde. Ich schloss mich mit einer
Tschechin, einer Deutschen und zwei Mexikanern zu einem Team zusammen. Wir entschlossen
uns, den Bericht über die Universidad Mayor zu verfassen, die als Privatuni und mit knapp 800
Angestellten, in den Bereich Großunternehmen fällt. Es war ein strategisches Projekt, unter
Zeitdruck, das einer ausgereiften Planung und genau definierter Arbeitsteilung bedurfte.
Teilweise wurden mir die erlernten Konzepte auch erst während meiner Arbeit an unserem
Bericht klar. Meine anfänglichen Zweifel darüber, je in der Lage zu sein, die Personalabteilung
ausreichend bewerten zu können, um konkrete Verbesserungsvorschläge zu äußern, lösten sich
bald in Luft auf.
Für einen symbolischen Betrag von umgerechnet drei Euro, konnte man an allen sportlichen
Aktivitäten der uniinternen Sportabteilung teilnehmen. Das Angebot war vielseitig und ich
meldete mich fürs Schwimmen und zum Tennis an. Ich habe die Trainer als kompetent und
motiviert wahrgenommen und kann jedem nur empfehlen, sich zumindest für ein sogenanntes
taller einzuschreiben. Denn wie ich gemerkt habe, für Leistungssport bleibt keine Zeit, wenn
man auch all die anderen Eindrücke, die Santiago einem bietet, wahrnehmen will.
Die Mitarbeiter der UMayor haben sich vom ersten Tag an mit ganzem Herzen dafür eingesetzt,
dass unsere Erfahrung an der Uni und unser Aufenthalt in Chile ein positives, unvergessliches
Erlebnis werden und ich kann sicher sagen, dass sie dies für die über 200 Austauschstudenten
aus aller Welt auch bewerkstelligt haben. Sie haben sich immerzu viel mehr engagiert, als es ihr
Posten von ihnen verlangt hat. Bereits der Abholservice am Flughafen war alles andere als
selbstverständlich. Bevor die Uni losging, fand dann auch direkt das Seminario de
Bienvenidastatt, an dem uns während zweier kompletter Tage, der Unialltag erklärt wurde, wir
traditionelle chilenische Tänze lernten, unser erstes Treffen mit unseren persönlichen Tutoren
hatten und die Möglichkeit bekamen, uns während zahlreicher ausgefallener Kennenlernspiele
untereinander kennen zu lernen. Dort war es auch, wo die Grundbausteine für Freundschaften
gelegt wurden, die ungeachtet tausender Kilometer an Distanzen ein Leben lang halten werden.
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Auch bei der Erledigung sämtlicher Formalitäten in der chilenischen Ausländerbehörde und im
Anwohnermeldeamt standen uns die Mitarbeiter der UMayor zur Seite. Des Weiteren bekamen
wir ihre Handynummern, und uns wurde gesagt, nicht davor zurück zu schrecken zu jeder
Tages- und Nachtzeit anzurufen. Nach all den Jahren, die sie dort arbeiten, und nach all den
Studenten die schon vor uns da waren, ist es für mich wirklich unglaublich zu beobachten, mit
wie viel Begeisterung sie immer wieder jeden neuen Studenten aufnehmen, wie sehr sie sich für
jeden einzelnen interessieren und wie sie ihn das auch spüren lassen.
Per Email konnten wir uns alle paar Wochen für verschiedenste Aktivitäten eintragen, die von
der Universidad Mayor umsonst für uns organisiert wurden. So nahm ich beispielsweise an einer
Stadtführung durch ganz Santiago teil, besichtigte das Haus von Pablo Neruda auf der Isla Negra
und lernte alles über den Weinanbau auf einem
der wohl schönsten und traditionsreichsten
Weingüter Chiles. Des Weiteren bot die Uni eine
Exkursion nach Valparaiso an, organisierte einen
chilenischen Kochkurs, begleitete uns in ein
Kinderheim, in dem wir einen ganzen Tag lang
mit den Kindern spielten und half uns bei der
Organisation einer Feria Internacional, bei der
wir uns nach Ländern gegliedert zu Gruppen
zusammen schlossen, um unseren chilenischen Kommilitonen unser Land, seine Traditionen,
seine Kultur und Küche als auch unsere Unis zu präsentieren.
Das
größte
Highlight war für
mich
allerdings
unser
aller
Abschiedsfeier, die
große Ceremonia de
Despedida.
Dort
wurden uns unter
anderem unsere Zeugnisse überreicht, viele Reden gehalten und die Sieger des
Fotowettbewerbs
gekürt.
DasDepartamento de Relaciones Internacionales nutzte
die
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Gelegenheit, um uns noch einmal zu sagen, dass sie auch nach dem Semester immer noch für
uns da sind.
Zwei Mitstudenten hielten Abschiedsreden, in denen sie Bezug auf all das Erlebte nahmen und
uns bis zu Tränen rührten. Im Anschluss zeigte uns die UMayor ein Abschiedsvideo, das sie
während aller Events gefilmt und liebevoll zusammen gestellt hatte. Ein Video, das uns zeigte,
wie wir am Flughafen ankamen, wie wir uns langsam kennen lernten und wie wir uns zu
richtigen Freunden entwickelten und als Familie zusammen wuchsen. Und wer bei der Rede
schon Tränen in den Augen hatte, der konnte diese spätestens dann nicht mehr zurück halten.
Das Leben vor, zwischen und nach den Vorlesungen....
Zeitmaximierung hieß die Devise. Lernen kann man auch im Bus und Schlaf wird generell
überbewertet. So kam es dann, dass ich jede freie Minute, die ich nicht in der Uni oder mit
Freunden in Santiago verbrachte, dem Reisen widmete. Busreisen in Chile sind günstig. Man
kann gut über Nacht losfahren, sich das Hostal sparen, morgens früh mehr oder minder
ausgeschlafen
ankommen
und
seine
Wochenenden und Feiertage an einzigartigen,
unglaublich beeindruckenden Orten verbringen.
Chile ist, wenn es ums Reisen geht, einfach der
Wahnsinn! Wenn auch nur 200 Kilometer breit,
erstreckt sich das Land von Norden nach Süden
immerhin 3000 Kilometer, was der Distanz
zwischen Ost- und Westküste in den USA entspricht. Dementsprechend bietet Chile von Wüste,
über Küste, Gebirge, Seenlandschaften und Wälder einfach alles!
Mit Freunden fuhr ich für Vier Tage 24 Stunden mit dem Bus die Küste entlang nach San Pedro,
wo mich die umwerfende Wüstenlandschaft Atacamas in ihren Bann zog. Auf dem Pferd, auf
dem Fahrrad, mit dem Jeep, zu Fuß und auf dem Sandboard erkundeten wir die zahlreichen
Wüstentäler, Felsformationen, Geysiere, heiße Quellen, Seen und Vulkane. Die Nächte
verbrachten wir unter Sternenhimmel mit Gitarre am Lagerfeuer und sangen Lieder aus aller
Welt.
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Ein anderes Wochenende verbrachte ich in La Serena, einer
Küstenstadt ebenfalls im Norden Chiles. Dort entdeckte ich die
beinahe karibischen Strände der Isla Damas für mich. Vom
Boot aus sah ich Delfine aus nächster Nähe, beobachtete
Robben, wie sie sich auf den Felsen sonnten, und entdeckte
sogar einige der kleinen chilenischen Pinguine am Strand.
Natürlich fuhr ich auch nach Viña del Mar und Valapraíso
(Valpo), zwei wunderschöne Küstenstädte nur wenige
Kilometer von Santiago entfernt. Und wo gerade die Rede von
Küstenstädten ist, wer in Chile ist, sollte nicht versäumen nach
Pichilemu zu fahren. Hierbei handelt es sich um die
Surfhauptstadt Chiles und auch Anfänger haben die Möglichkeit, für wenig Geld ihr Können zu
testen. Falls jemand nicht surfen möchte, so gibt es dort, laut Angaben der meisten Chilenen –
ich bestätige dies-, die besten Empanadas.
Eines meiner absoluten Reisehighlights während des
Semesters war mein neuntägiger Aufenthalt in Patagonien,
im Süden Chiles, am Ende der Welt. Ausgestattet mit einem
Trekkingrucksack, Trekkingschuhen, Essen und Kleidung
für 4 Tage meisterte unsere kleine deutsch-mexikanischfranzösische Gruppe den W Trekk im Torres del Paine
Nationalpark. Innerhalb von 3,5 Tagen legte ich 90
Kilometer in der Wildnis Patagoniens zurück, fiel jeden Tag
nach
einem
über
dem
Campingkocher
gekochten
provisorischen Essen, todmüde ins Bett, um morgens
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wieder in meine Trekkingschuhe zu schlüpfen und mich auf den Weg zu machen. Die Aussichten
waren atemberaubend und ich hatte das Bedürfnis alle zwei Meter Fotos zu machen. Nach dem
Trekking fuhren wir dann rüber auf die argentinische Seite Patagoniens und besichtigten den
Nationalpark Los Glaciares, wo uns vor allem der 60 Meter hohe Gletscher Perrito Moreno einfach
nur überwältigte.
Ein weiterer Neuntagestrip während des Semesters
verschlug mich nach Argentinien, wo ich im Bus die
Strecke Santiago- Mendoza- Buenos Aires- CórdobaMendoza- Santiago zurück legte. Es war das erste Mal,
dass ich ein anderes lateinamerikanisches Land
kennen lernen durfte und auch Argentinien schaffte
es, meine Erwartungen positiv zu übertreffen. Vor
allem Buenos Aires hat für Touristen viel zu bieten, von
Tangotänzern in San Telmo, über die bunten Häuser in La Boca, bis hin zum modernen Stadtteil
in Puerto Madero. Wir hatten dann auch noch das Glück, dass genau an jenem Wochenende die
Toten Hosen ihr 25jähriges Jubiläumskonzert in Buenos Aires spielten und wir für gerade einmal
15 Euro noch Eintrittskarten bekommen haben.
Irgendwann waren dann alle Feiertage
ausgeschöpft und so konzentrierte ich
mich vor allem im November auf meine
letzten
Prüfungen,
Präsentationen.
Hausarbeiten
Mit
und
sämtlichen
Abschlussnoten über 6 (von 7) wurde ich
von allen meinen Prüfungen befreit und
konnte mich im Dezember wieder dem
Reisen
widmen.
In
Lima
angefangen
besichtigte ich eine von Perus geschichtlich
und kulturell interessantesten Städten, fuhr dann weiter nach Cuzco, von wo aus ich es mir nicht
entgehen ließ ein paar Tage in Machu Picchu zu verbringen, und beendete dann meine Tour
durch Peru in Puno am Titikaka See, wo ich die Schilfinseln der Urus besichtigte.
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Im Bus ging es dann weiter nach Bolivien. Erster Stopp: Copacabana- ebenfalls am Titikakasee.
Dort machte ich eine Tour der Inseln Isla del Sol und Isla de la Luna, um dann später Richtung La
Paz weiter zu fahren. Kleiner Tipp: Wer in Lateinamerika Bücher auf Spanisch kaufen möchte,
sollte dies nicht in Chile tun. Jedes andere Land ist günstiger, vor allem Bolivien, wo ich für 15
Bücher umgerechnet 30 Euro bezahlt habe. In La Paz lieh ich mir ein Mountainbike aus und legte
damit 63 Kilometer der Death Road
zurück. Eine solche gewundene
Straße, am Hang eines Berges, durch
den Regenwald, ist etwas, womit
Europa nicht dienen kann und ich
empfehle
diese
Exkursion
dringlichst weiter. Von La Paz aus
ging es dann in den Norden nach
Rurrenabaque in die Pampa, wo ich
innerhalb von vier Tagen unzählige
Moskitostiche,
aber
auch
umso
mehr neue Eindrücke sammelte.
Wir schwammen mit Flussdelfinen, während uns
die Aligatoren vom Ufter aus zuguckten, fütterten
Affen, angelten Piranhas, machten uns auf die
Suche nach Anakondas und fanden auch welche.
Im Dschungel trennte ich mich dann von meinen
bisherigen Reisebegleitern und machte mich
alleine auf den Weg nach Uyuni, in den Süden. 3
Tage bereiste ich die Wüste in einem Jeep und
konnte nach all den sagenhaften Eindrücken der
vorherigen Tage trotzdem immer noch staunen.
Von Bolivien aus kaufte ich mir ein Busticket nach Rio de Janeiro und kam nach 52 Stunden
abenteuerlicher Busfahrt, unmöglichen Grenzkontrollen und einem Betrugsskandal endlich in
Rio an. Dort traf ich mich mit UMayor Komilitonen aus Frankreich und Mexiko. Wir verbrachten
Weihnachten zusammen am Strand, besichtigten viele Inseln und natürlich auch die Stadt,
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kamen nach unser aller Reisen endlich etwas zur Ruhe und genossen die Sonne Brasiliens. Nach
einigen Tagen ging es dann weiter nach Argentinien zu den bis zu 90 Meter hohen Iguazu
Wasserfällen. Es war purer Wahnsinn. Diese unbeschreiblich großen Wassermassen, wie sie mit
einer solchen Wucht in die Tiefe stürzen... So etwas hatte ich noch nie gesehen. Von Iguazu aus
fuhr ich noch rüber nach Paraguay, um mir auch von diesem Land ein Bild zu machen.
Silvestermorgen kam ich dann nach einem unbeschreiblichen Monat zurück nach Santiago und
war dann auch erst mal froh, einfach ZU
HAUSE angekommen zu sein.
Zeitmaximierung 2.0
Ursprünglich hatte ich meinen Rückflug für Anfang Februar gebucht. Mir wurde allerdings schon
sehr früh bewusst, dass ich mich nach sechs Monaten noch nicht von Chile trennen können
würde. Wenn es nach mir ginge, hätte ich auch mit einem One-Way-Ticket herkommen können.
Da mein letztes Studiensemester in Deutschland im März beginnen würde, buchte ich meinen
Flug auf den 1. März um. Die Frage war: Was mache ich den ganzen Januar und Februar? Meine
Mitbewohner arbeiten, die meisten Austauschstudenten sind bereits in ihre Länder zurück
gekehrt, meine finanziellen Reserven sind ausgeschöpft und ich bin nicht der Mensch, der gerne
unproduktiv zu Hause sitzt. So kam ich, vor meiner Abreise nach Lima Ende November, spontan
auf die Idee mir ein Praktikum für zwei Monate zu suche, sodass ich tagsüber sinnvoll beschäftigt
wäre und abends dann immer noch Zeit hätte, mich mit meinen Freunden zu treffen und das
Leben in Santiago zu genießen. Ich klapperte also sämtliche interessante Unternehmen und
Banken in Santiago ab, stellte mich persönlich vor und ließ meine Bewerbungsunterlagen da.
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Von der Bank Banco de Estado und von der Deutsch- Chilenischen Industrie- und
Handelskammer (Camchal) bekam ich positives Feedback. Nach einem weiteren Gespräch
unterschrieb ich zwei Tage vor Abreise den Vertrag mit der Camchal und erklärte mich bereit,
mein unentgeltliches Praktikum am 2. Januar anzutreten. Ich werde bis zum 28. Februar, dem
Tag vor meiner Abreise noch dort arbeiten.
Ein paar Worte zum Schluss...
Ich hoffe mit meinem Auslandssemesterbericht und den beigefügten Fotos vermittelt haben zu
können, wieso dieses Semester mein Leben so sehr geprägt hat und wieso ich mit 100%
Sicherheit sagen kann: Es war die beste Zeit meines Lebens! Ich hoffe des Weiteren, dass dieser
Bericht von ITMK Studenten gelesen wird, die auch
überlegen nach Chile zu gehen, und ich hoffe, dass ich in
meinem Text meine Begeisterung für Chile und die
Menschen teilen konnte. Ich kann jedem nur empfehlen, den
Schritt zu wagen, einmal über den Tellerrand zu blicken und
sich in ein Abenteuer zu stürzen, das man so schnell nicht
vergessen wird.
Viktoria Kulpanowska März 2013
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