1.2 Aktuelle Beispiele
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1.2 Aktuelle Beispiele
1. Gegenstand und methodische Ansätze der makroökonomischen Analyse Kromphardt, Teil A Blanchard / Illing, Kapitel 1 Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 1 Gliederung 1.1 Überblick 1.2 Aktuelle Beispiele 1.3 Kurze, mittlere und lange Sicht 1.4 Gesamtwirtschaftliche Ziele 1.5 Makroökonomische Daten 1.6 Makroökonomische Modelle Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 2 1.1 Überblick Makroökonomie beschäftigt sich mit zentralen gesamtwirtschaftlichen Größen: Wirtschaftswachstum und Konjunktur Arbeitslosigkeit Inflation Zinsen Außenwirtschaft: Wechselkurse/ Zahlungsbilanz Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 3 Beispiel: Länderanalyse Deutschland– worauf sollten wir achten? % 8% Wachstum des realen BIP im Vergleich zum Vorjahr 6 % 8 6 4 4 2 2 0 Leistungsbilanzüberschuss in % des BIP Deutschland OECD 0 -2 -2 -4 -4 -6 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 Arbeitslosenrate % 12 1998 2001 2004 2007 2010 2013 % 8 6 8 6 4 4 2 2 1992 1995 Inflationsrate: Veränderung der Konsumentenpreise im Vergleich zum Vorjahr 10 0 1992 0 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 1992 1995 1998 2001 2004 2007 2010 2013 Quelle: OECD (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 4 1.1 Überblick Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts in Deutschland 2005 - 2013 saisonbereinigt 6% 4% 2% 0% -2% Q1 Q3 Q1 Q3 Q1 Q3 Q1 Q3 Q1 Q3 Q1 Q3 Q1 Q3 Q1 Q3 Q1 Q3 2005 2005 2006 2006 2007 2007 2008 2008 2009 2009 2010 2010 2011 2011 2012 2012 2013 2013 1. Hj 2014 -4% -6% -8% Veränderung zum Vorquartal Veränderung zum Vorjahresquartal Quelle: Statistisches Bundesamt (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 5 1.1 Überblick Quelle: Statistisches Bundesamt (Januar 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 6 1.1 Überblick Arbeitslosenquote (%) bis 1990 BRD+Berlin(West) ab 1992 Deutschland 14% 12% 10% 8% 6% 4% 2% 0% 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Quelle: Statistisches Bundesamt (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 7 1.1 Überblick Inflationsrate, BIP (%) Inflationsrate, Lebenshaltung (%) 9% 8% 7% 6% 5% 4% 3% 2% 1% 0% 1970 ‐1% 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 ‐2% Quelle: Statistisches Bundesamt (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 8 1.1 Überblick Kann eine höhere Inflationsrate die Arbeitslosigkeit reduzieren? Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 9 1.1 Überblick In der Makroökonomie geht es darum - gesamtwirtschaftliche Entwicklungen zu beschreiben (Empirie) - gesamtwirtschaftliche Beziehungen zu erklären (Theorie) sowie - Vorschläge zur Problemlösung zu geben (Politikberatung) Dabei sehr hilfreich: internationale Vergleiche können Unterschiede und Gemeinsamkeiten aufzeigen → wir betrachten die aktuellen Entwicklungen in EU, Japan und USA Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 10 1.2 Aktuelle Beispiele: Entwicklung im Euroraum Konjunkturelle Entwicklung (2006-2013): 2006-07: steigende Wachstumsraten, Rückgang der Arbeitslosigkeit Entwicklungen der Immobilienpreise und des Finanzsektors: Starker Anstieg der Immobilienpreise in vielen europäischen Ländern Standortwettbewerb: Steuervorteile und Deregulierung führen zu relativem Anstieg der Wertschöpfung im Finanzsektor Anstieg des privaten Kreditvolumens 2008-09: Finanzkrise, Rezession, Staaten überschreiten selbst gesteckte Grenzwerte der öffentlichen Verschuldung. Konjunkturpakete zur Stimulierung der Nachfrage was ist das? wie wirken Staatsausgaben auf die Konjunktur und warum? 2010-14: leichte Erholung (regional unterschiedlich ausgeprägt) Euro-Krise, Teufelskreis zwischen Staatsschulden, Bankenkrise und Konjunktur Kredite der Euro-Länder an hilfsbedürftige Euro-Staaten (GR, P, IRL, CY) Seit 2012: Europäischer Stabilitätsmechanismus • Aufkauf von Staatsschulden durch EZB Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 11 1.2 Aktuelle Beispiele: Entwicklung im Euroraum 2014: Inflationsrate sinkt unter 0,5%. Deflation in Südeuropa was ist Deflation? was ist schlecht an Deflation ? „Liquiditätsfalle“: • Zinsen nahe null • hohe Liquidität aber geringe Kreditvergabe an Unternehmen (v.a. in Südeuropa) Standardinstrumente der Geldpolitik wirkungslos • Gefahr einer langfristigen Stagnation • Vgl. Japan seit 1995 EZB probiert neue Instrumente: • negativer Einlagenzinssatz • Ankauf von asset backed securities. • Ziel: Kreditvergabe stimulieren. Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 12 Inflation und Inflationserwartungen Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 13 1.2 Aktuelle Beispiele: Entwicklung im Euroraum Einführung des Euro 1999: EZB betreibt einheitliche Geldpolitik in Europa Wie soll die EZB auf die Konjunktur reagieren? Wie auf Finanzkrisen? Kann Geldpolitik die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen reduzieren? Wie betreibt man eine wirkungsvolle Geldpolitik in der Liquiditätsfalle? Kann eine einheitliche Geldpolitik auf unterschiedliche Bedürfnisse der EuroLänder eingehen? Brauchen wir eine einheitliche Wirtschaftspolitik? Brauchen wir eine einheitliche Fiskalpolitik (Schuldenobergrenzen)? Brauchen wir eine Bankenunion? Brauchen wir Eurobonds? Oder sollten wir den Euro wieder abschaffen? Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 14 1.2 Aktuelle Beispiele: Japan 1980-1990 Preisblase (bubble) auf Immobilien- und Aktienmarkt. Aufbau hoher privater Verschuldung Nach Platzen der Blase 1990 Finanzkrise und zehn Jahre lang Stagnation: Negatives Wirtschaftswachstum und Deflation, Unternehmenspleiten, Gefahr von Bankzusammenbrüchen Ist Japan die Wende gelungen? 2006-07: Anzeichen für eine Erholung trotz weiterer Deflation Aber: Enormer Anstieg der Staatsverschuldung Geldmarktzinsen lagen seit Februar 1999 bei Null. 2006-07 auf 0,5% angehoben, Ende 2008 wieder auf 0,1% gesenkt. 2008/09 starker Rückgang der Exportnachfrage wg. Finanzkrise. März 2011 Tsunami und Reaktorkatastrophe in Fukushima Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 15 1.2 Aktuelle Beispiele: Japan Seit 2013 wirtschaftspolitische Wende „Abenomics“ Erneute Konjunkturprogramme Zentralbank kauft Staatsanleihen („quantitative easing“) Gezielte Maßnahmen zur Abwertung des Yen um Exporte zu stimulieren (Abwertung um ca. 15% im 1. Halbjahr 2013, seither etwa konstant) Leichte Erfolge: Inflation von -1% auf 0% gestiegen, Wachstumsrate 2013 2,5% nach -0,4% 2012. Dauerhafter Erfolg fraglich. Fazit: Das Beispiel Japans zeigt, wie schwer es ist der Liquiditätsfalle zu entkommen. => Im Spannungsfeld zwischen Inflation und Deflation sollte man versuchen Deflation zu vermeiden, auch wenn dies die Inflationsgefahr erhöht. Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 16 1.2 Aktuelle Beispiele: Entwicklung in den USA Konjunkturelle Entwicklung (2000-2009): 2000-02: steigende Arbeitslosigkeit, geringe Wachstumsraten, Zusammenbruch der Dotcom-Blase 2000, Terroranschläge auf WTC 2001 • Federal Reserve senkt Zinsen 2003-06: konjunkturelle Erholung, hohe Kapitalimporte, Immobilienpreisblase • Fed hält Zinsen niedrig bis 2004 • Verbriefung von Hypothekenkrediten (risk shifting), Subprime-Kredite • Zinsanstieg 2004-6: Verringerung der BIP-Wachstumsraten, Nachfrage nach Immobilien und Immobilienpreise gehen zurück. Erste Hypothekenkredite fallen aus. 2007: Beginn der Finanzkrise. Zunächst Zusammenbruch einiger europ. Banken, die mit US-Derivaten spekuliert haben. • Fed senkt Zinsen von über 5% auf 2%, Konjunkturprogramme 2008-09: Höhepunkt der Finanzkrise: Teilverstaatlichung einiger Großbanken (Rettungspakete), Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15.9.08, Rezession. • Nullzinspolitik, qualitative easing, quantitative easing, Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 17 1.2 Aktuelle Beispiele: Entwicklung der Leitzinsen Stand: März 2014 % Japan England USA EU 8 6 4 2 0 Japan bis 2006: Overnight call target rate Prof. Dr. Frank Heinemann Lehman Brothers AVWL II Seite 18 1.2 Aktuelle Beispiele: Entwicklung in den USA Konjunkturelle Entwicklung 2010-2014: Wiederanstieg der Wirtschaftsleistung (BIP), langsamer Rückgang der Arbeitslosigkeit • Kreditvergabe durch Politik des billigen Geldes • Fehlende Güternachfrage, auch geringe Auslandsnachfrage • Inflation bleibt niedrig (um 1%), Deflationsgefahr • Fed hält Zinsen bei null und kündigt langsamen Ausstieg aus quantitative easing an • 2014: Anstieg der BIP-Wachstumsrate auf über 2%, Inflation auf 2% • => Deflation scheint (vorerst) keine Gefahr mehr zu sein. Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 19 Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 20 1.2 Aktuelle Beispiele: Finanzkrise 2007-09 2008: Institutionelle Anleger verkaufen in großem Umfang langfr. Wertpapiere um Liquidität zu erhalten. => Allgemeiner Rückgang von Aktien- und Immobilienpreisen Zahlreiche Banken- und Versicherungspleiten bzw. Übernahmen zur Verhinderung von Konkursen: Bear Stearns, IndyMac, Fannie Mae und Freddy Mac, Merril Lynch, Lehman Brothers, AIG, RBS, Hypo Real Estate, u.a.m. Gratwanderung des Fed: - Stützungsaktionen belohnen die Banken für eingegangene Risiken => „Moral Hazard“ - Konkurse führen zu weiterer Destabilisierung des Systems - weitere Zinssenkungen nicht mehr möglich - „Quantitative Easing“/“Qualitative Easing“ – ZB als Kreditgeber Welche Konsequenzen müssen gezogen werden um künftig Krisen zu vermeiden? - Bankenregulierung - Reaktion von Geldpolitik auf Finanzmärkte Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 21 1.2 Aktuelle Beispiele: Finanzkrise 2007-09 Bankbilanz Forderungen Verbindlichkeiten (z.B. Hypothekenkredite: (Einlagen) Bewertung zu Marktpreisen) Eigenkapital 1. Einleger fordern Geld zurück => Banken müssen Kredite verkaufen. Liquiditätskrise Überangebot senkt Marktpreise 2. Verbleibende Kredite verlieren an Wert => EK geht zurück Solvenzkrise Staatsgarantien und Konjunkturpakete Staatliche Garantien für Geschäftsbanken Staatliche Finanzspritzen → Eigenkapital der Banken Verstaatlichung von Banken Staatsausgaben zur Stützung der Konjunktur => Staatsverschuldung Good bank – bad bank Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 22 1.2 Finanzkrisen Seit der Liberalisierung der Finanzmärkte in den 1980er Jahren: Häufiges Auftreten von Finanzkrisen - Bankenkrisen - Währungskrisen - Börsencrashs Was sind die Ursachen? Es gibt klare Muster, die sich immer wieder bestätigen. Warum werden Krisen nicht vorausgesehen? • Wie sollte die Politik kurzfristig auf eine Krisensituation reagieren? • Welche langfristigen Strategien helfen Krisen zu vermeiden? Vorlesung Financial Crises (jeweils im Sommersemester) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 23 Immobilienpreise (1999 = 100) Spain Greece Portugal Ireland 300 300 250 250 200 200 150 150 Sources: Datastream, B k fG ESRI 100 99 00 Prof. Dr. Frank Heinemann 01 02 03 04 05 06 07 AVWL II 100 08 09 10 11 Seite 24 Immobilienpreise (2005 = 100) Quelle: IMF Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 25 Private Verschuldung / BIP 250% 200% 150% USA Domestic credit to private sector (% of GDP) 100% Euro area Domestic credit to private sector (% of GDP) 50% 0% 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Quelle: The World Bank (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 26 Private Verschuldung und Wertschöpfung im Finanzsektor für die USA 250% 9% 8% 200% 7% 6% 150% 5% 4% 100% 3% Domestic credit to private sector (% of GDP) Value added by finance and insurance industry (% of GDP) 2% 50% 1% 0% 0% 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 Quelle: The World Bank / U.S. Buero of Economic Analysis (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 27 Geldmengenexpansion in Europa Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 28 Wachstumsraten BIP 2009 0% -1% -2% -3% -4% -5% -6% -7% -8% -9% Quelle: Eurostat (März 2012) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 29 Staatl. Neuverschuldung (Defizit) / BIP Überschuss in % 3 Germany Italy France Greece Spain Portugal 3 0 0 -3 -3 -6 -6 -9 -9 -12 -12 -15 -15 -18 Sources: Datastream, Natixis forecasts 99 00 Prof. Dr. Frank Heinemann 01 02 03 04 -18 05 06 07 AVWL II 08 09 10 11 12 Seite 30 Staatsverschuldung / BIP % Germany Italy 180 France Greece Spain Portugal Public debt (LH scale) 160 Fiscal deficit (RH scale) 90 0 140 120 100 80 20 160 -1140 85 -2120 80 -3100 75 -480 -560 60 40 180 70 -640 Sources: Datastream, ECB,forecasts Natixis forecasts Sources: Datastream, Natixis 65 -720 99 00 07 08 08 09 09 10 99 00 01 01 02 0203 0304 040505 0606 07 10 11 11 12 12 Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 31 Zinsen auf 10-jährige Staatsanleihen Germany 26 24 22 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Spain Italy Portugal Greece Ireland 26 24 22 20 18 16 14 12 10 8 6 4 2 0 Sources: Datastream, Natixis 99 00 Prof. Dr. Frank Heinemann 01 02 03 04 05 06 07 AVWL II 08 09 10 11 Seite 32 Teufelskreis zwischen Staatsschulden-, Bankenkrise und Konjunktur Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 33 ‐1% ‐2% Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Japan United States United Kingdom Turkey Switzerland Poland Norway Iceland Hungary Durchschnitt 2000‐2012 Czech Republic Slovenia Slovak Republic Greece Ireland Finland Austria Netherlands Spain Italy France Germany Euro area (15) ‐3% OECD ‐ Total 1.2 Aktuelle Beispiele: Wachstumsprognosen Wachstumsraten in % Wert 2013 5% 4% 3% 2% 1% 0% ‐4% Quelle: OECD Economic Outlook (April 2014) Seite 34 ‐1% ‐2% Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Japan United States United Kingdom Turkey Switzerland Poland Norway Iceland Hungary Czech Republic 2014 (f) Slovenia Slovak Republic Greece Ireland Finland Austria Netherlands Spain Italy France Germany Euro area (15) ‐3% OECD ‐ Total 1.2 Aktuelle Beispiele: Wachstumsprognosen Prognose der Wachstumsraten in % 2015 (f) 5% 4% 3% 2% 1% 0% ‐4% Quelle: OECD Economic Outlook (April 2014) Seite 35 Präzision von Wachstumsprognosen Bank of England: GDP projection, August 2014 Mit 90% Wahrscheinlichkeit wird die Wachstumsrate im UK Mitte 2015 zwischen 0,5 und 5% liegen. Quelle: Bank of England, Inflation Report August 2014 Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 36 1.3 Kurze, mittlere und langfristige Sicht Volkswirtschaftliche Fragestellungen lassen sich von unterschiedlichen Perspektiven betrachten: 1) Kurze Sicht: (zyklische) Schwankungen: Konjunkturelle Faktoren 2) Mittlere Sicht: Was bestimmt Produktionspotential? Strukturelle Faktoren (Rigiditäten) 3) Lange Sicht: Wovon werden langfristig die Wachstumsraten bestimmt? Produktionsfaktoren, Technischer Fortschritt Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 37 1.3 Kurze, mittlere und langfristige Sicht Entwicklung des realen BIP: Vergleich USA – Deutschland Reales BIP steigt im Zeitablauf; das Wachstum schwankt aber BIP - Deutschland und USA 16000,00 14000,00 12000,00 10000,00 Deutschland USA 8000,00 6000,00 4000,00 2000,00 0,00 1870 1870 = 100 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010 Quelle: Statistisches Bundesamt / U.S. Bureau of Economic Analysis (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 38 Logarithmische Skala BIP - Deutschland und USA 100000,00 10000,00 1000,00 Deutschland USA 100,00 10,00 1,00 1870 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010 Quelle: Statistisches Bundesamt / U.S. Bureau of Economic Analysis (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 39 1.3 Kurze, mittlere und langfristige Sicht USA Wachstumsrate (real GDP) 8% 6% 4% 2% 0% 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 -2 % -4 % Quelle: U.S. Bureau of Economic Analysis (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 40 1.3.1 Die kurze Sicht betrachtet Konjunkturschwankungen, also Schwankungen um die Durchschnittsauslastung des Produktionspotentials Kurzfristige Analyse: Schwankungen der Nachfrage sind der wesentliche Bestimmungsfaktor wichtige Determinanten gesamtwirtschaftlicher Nachfrage: Konsum, Investition, Staatsausgaben, Nettoexporte Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 41 1.3.1 Die kurze Sicht – Beispiel Seit dem 2. Weltkrieg geringere Konjunkturschwankungen Reales BIP in den USA; Veränderung gegenüber Vorjahr 25 % 20 % 15 % 10 % 5 % 0 % ‐5 % 1870 1890 1910 1930 1950 1970 1990 2010 ‐10 % ‐15 % ‐20 % ‐25 % Quelle: U.S. Bureau of Economic Analysis (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 42 1.3.2 Die mittlere Sicht Wodurch wird das Produktionspotential bestimmt? Mittelfristige Analyse: Produktionspotential Angebotsseite als Hauptdeterminante Makroökonomische Produktionsfunktion: Y= A Y(N, K) verfügbare Ressourcen: Arbeit N und Kapital K; verfügbare Technologie (technisches Wissen A); Strukturelle Faktoren: Monopolmacht auf Arbeits- und Gütermärkten Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 43 1.3.2 Die mittlere Sicht – Beispiel Fallbeispiel: Euro-Sklerose auf dem Arbeitsmarkt in Europa 1975, 1981-83, 1992-94, 2009, 2012-13: sprunghafter Anstieg der Arbeitslosigkeit in Europa 14% 12% 10% 8% USA 6% Euroraum 4% 2% 0% 1960 1965 1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 Quelle: OECD (März 2014) Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 44 1.3.2 Die mittlere Sicht Beispiel: Strukturelle Arbeitslosigkeit in Europa Aktive Vermittlung und eigenständige Suche Weiterbildung Zeitliche Begrenzung der Arbeitslosenunterstützung Kündigungsschutz – Hindernis für Neueinstellungen Flexibilität bei Teilzeitbeschäftigung Duales System zur Integration von Schulabgängern in den Arbeitsmarkt Gesetzliche Mindestlöhne in den Benelux-Staaten, Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Großbritannien, Irland und USA. Keine Mindestlöhne in Italien, Österreich, Schweiz und den skandinavischen Ländern (dort aber tarifvertraglich) In Deutschland: Mindestlöhne in einigen Branchen, flächendeckende Einführung geplant Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 45 1.3.3 Die lange Sicht Lange Sicht: Welche Faktoren beeinflussen die langfristige Wachstumsrate (Trendwachstum des Produktionspotentials)? Langfristige Analyse: Was bestimmt Veränderungen des Trends? Determinanten des Wachstums Sparrate, technischer Fortschritt (Innovationen) – Patente, Investitionen in Humankapital Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 46 1.4 Gesamtwirtschaftliche Ziele Allokationsziel - Ordnungspolitik Distributionsziel - Verteilungspolitik Stabilisierungsziel - Konjunkturpolitik Hohes Beschäftigungsniveau / „Vollbeschäftigung“ Preisniveaustabilität Angemessenes Wachstum Außenwirtschaftliches Gleichgewicht Literatur: Kromphardt, S. 1-14. Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 47 1.5 Makroökonomischen Analyse und Daten Ziele der Wirtschaftsforschung: Erklärungsziel: Zusammenhänge verstehen, Kausalbeziehungen Vorhersageziel: Unsicherheit bei Entscheidungsträgern reduzieren Gestaltungsziel: Beratung der Politik (Handlungsempfehlungen) um die gesamtwirtschaftlichen Ziele besser zu erreichen Unterscheide deskriptive und normative Theorien Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 48 1.5 Makroökonomische Daten Drei zentrale Fragen: 1) Wie können wir makroökonomische Größen richtig messen? Wie aussagekräftig sind die Daten? Erfordert gute Kenntnis der empirischen Fakten 2) Von welchen Faktoren werden makroökonomische Größen bestimmt? Erfordert gute Kenntnis der Theorie 3) Welchen Einfluss hat die Wirtschaftspolitik? Korrekte Antwort erfordert gutes Verständnis von 1 und 2 Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 49 1.5 Makroökonomische Daten Gute Makroanalyse erfordert exakte Kenntnis empirischer Fakten Zunächst Bestandsaufnahme: Wie verlief die Entwicklung in der Vergangenheit? Dann: Prognose der zukünftigen Entwicklung (erfordert Theorie) Erster Schritt: Wo finde ich die relevanten Daten? Wichtig: Was sagen die Daten überhaupt aus? Verwirrende Vielfalt unterschiedlicher Konzepte → Verständnis der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) Sind Daten international vergleichbar? OECD, IWF liefern international nach einheitlichen Methoden erstellte Daten Eurostat; EZB: Daten für Europa Statistisches Bundesamt: Daten für Deutschland Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 50 1.5 Makroökonomische Daten Fokus: Vergleiche das reale BIP pro Kopf BIP pro Kopf in U.S.‐$, 2010 140.000,00 120.000,00 100.000,00 80.000,00 60.000,00 Euroraum 40.000,00 0,00 Luxembourg Norway Switzerland Australia Denmark Sweden Netherlands Canada Singapore Austria Finland Ireland United States Belgium Japan Germany France Iceland United… New Zealand Italy Hong Kong… Spain Israel Cyprus Greece Slovenia Korea Portugal Malta Taiwan… Czech Republic Slovak… Estonia 20.000,00 Quelle: International Monetary Fund, World Economic Outlook Database, September 2011 Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 51 1.5 Makroökonomische Daten Unterscheide: Welche der Vielzahl unterschiedlicher Konzepte wir beim • Gesamtproduktion vs. Einkommen Vergleich der Wirtschaftsaktivität verschiedener Länder -> Bruttoinlandsprodukt (BIP) vs. Bruttonationaleinkommen (BNE) verwenden, von der Frage ab, die wir beantworten • Nominale vs. hängt reale Größen wollen. vs. pro Kopf Größen • Absolute Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR): BIP; BNE; reales BIP, BIP Wachstum, Volkseinkommen, ... Inflationsraten: Verbraucherpreisindex; BIP Deflator Zinsen: kurz- vs. langfristige Zinsen; Realzins Wechselkurse: Marktkurse vs. Kaufkraftparität Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 52 1.5 Makroökonomische Daten Bei der Wirtschaftsanalyse ist es wichtig, zwischen folgenden Begriffen genau zu unterscheiden: Nominal : zu aktuellen Preisen gemessen Real : zu konstanten Preisen (bereinigt um Inflationseffekte) Wie messen wir Inflation? Niveau : Stufe in einer Skala bestimmter Werte Wachstumsraten : prozentuale Veränderung Niveau Niveau Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 53 1.5 Makroökonomische Daten Bestandsgröße: wird zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen Stromgröße: wird pro Zeiteinheit gemessen Strom größe Bestands größe Prof. Dr. Frank Heinemann Bestandsgrößen Stromgrößen: Vermögen Ersparnis Staatsschuld Neuverschuldung Auslandsvermögen Leistungsbilanz- defizit ↓ - überschuss ↑ AVWL II Seite 54 1.6 Makroökonomische Modelle Modelle abstrahieren von den für eine Fragestellung unwesentlichen Faktoren (Details) und konzentrieren sich auf die „wesentlichen“ Zusammenhänge. Makroökonomische Modelle beschreiben Zusammenhänge zwischen makroök. Variablen wie BIP, volkswirtschaftliche Ersparnis, Güternachfrage, Zinssatz, Geldmenge, Preisniveau, Arbeitslosigkeit etc. Neuere Makromodelle basieren auf mikroökonomischen Überlegungen Beispiel Intertemporale Substitution: Die Entscheidung eines Haushalts über seine Ersparnis hängt ab von den erwarteten Zinsen und von seinem erwarteten künftigen Einkommen. => gesamtwirtschaftliche Ersparnis hängt ab von erwarteten Zinsen und künftigem BIP. Modelle werden zumeist in mathematischen Formeln dargestellt: - Zielfunktionen hilfreich: - (Budget-) Restriktionen - Verhaltensgleichungen graphische Präsentation - Gleichgewichtsbedingungen Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 55 1.6 Makroökonomische Modelle Unterscheide: Exogene und endogene Variablen, Parameter Exogene Variablen werden von einem Modell als von außen gegeben angenommen (sie werden nicht innerhalb des Modells bestimmt). Endogene Variablen werden durch die Gleichungen eines Modells bestimmt. Sie werden also innerhalb des Modells bestimmt. Parameter werden (wie exogene Variablen) nicht im Modell bestimmt, können aber in empirischen Untersuchungen geschätzt werden. Beispiel Konsumfunktion: C = c0 + c1 Y C = Konsum (endogen) Y = Einkommen (exogen) c0, c1 Parameter Aus einer Datenreihe für Einkommen und Konsum können die Parameter geschätzt werden. Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 56 1.6 Makroökonomische Modelle Ct Ct = c0 + c1 Yt + ut OLS-Schätzung Regressionsgerade c1 ut 1 c0 Yt Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 57 1.6 Makroökonomische Modelle Am Ende einer Modellanalyse steht die ökonomische Interpretation. Mathematik ist ein Hilfsmittel – kein Selbstzweck Ökonomische Interpretation erfordert: - Übersetzen der formalen Ergebnisse in ökonomische Sachverhalte - Erläutern der Wirkungszusammenhänge (die formal beschrieben werden) in ökonomischen Begriffen. - Diskussion der Annahmen, Robustheit, Grenzen der Gültigkeit eines Modells. Prof. Dr. Frank Heinemann AVWL II Seite 58