von der Verleihung der Stadtrechte bis zur

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von der Verleihung der Stadtrechte bis zur
D
GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE
DGAA
Deutschland
HAMBURG
Altona
AUFSATZSAMMLUNG und AUSSTELLUNGSKATALOG
15-4
350 Jahre Altona : von der Verleihung der Stadtrechte bis zur
Neuen Mitte (1664 - 2014) / Historisches Museum Hamburg, Altonaer Museum. Hrsg. von Hans-Jörg Czech. - 1. Aufl. - Dresden : Sandstein, 2015. - 311 S. : zahlr. Ill. ; 28 cm. - ISBN 9783-95498-171-7 : EUR 28.00
[#4381]
Der dänische König Frederik III. verlieh Altona 1664 die Stadtrechte. Er
schuf damit eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg des zunächst
kleinen Ortes zu einer bedeutenden Handelsmetropole und schließlich zu
einer wichtigen Keimzelle der Industrialisierung im norddeutschen Raum.
Altona, das seit 1938 zum Stadtstaat Hamburg gehört, wurde oftmals vornehmlich in seinem Verhältnis zur hamburgischen Geschichte betrachtet.
Zweifellos war die unmittelbare Nachbarschaft zu Hamburg von enormer
Bedeutung. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die faszinierende, vielfach von Widersprüchen geprägte Entwicklung Altonas nur
angemessen zu verstehen ist, wenn die besonderen politischen, sozialen,
wirtschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen berücksichtigt werden, die
hier über Jahrhunderte hinweg wirksam waren.
Der 350. Jahrestag der Stadtrechtsverleihung im Jahr 2014 gab den Anlaß
zu einer Vortragsreihe, die die Arbeitsstelle für Hamburgische Geschichte
und der Forschungsverbund zur Kulturgeschichte Hamburgs an der Universität Hamburg veranstalteten, und zu einer großen Sonderausstellung des
Altonaer Museums, die einen Überblick über die wichtigsten Stationen der
Stadtgeschichte bietet. Der vorliegende Band1 dokumentiert in 14 Aufsätzen, die einzelnen Aspekten der Altonaer Geschichte vom 16. Jahrhundert
bis zur Gegenwart gewidmet sind, die im Jubiläumsjahr gehaltenen Vorträge
und präsentiert zugleich mit Abbildungen von hervorragender Qualität die
wichtigsten Objekte der Museumsausstellung in ihrem jeweiligen historischen Zusammenhang. Aus dieser Kombination ergibt sich einerseits eine
instruktive Gesamtschau der entscheidenden Phasen und Zäsuren der
Stadtgeschichte, andererseits bieten sich vertiefende Einblicke in bislang
nur unzureichend erforschte Themen, die die Entwicklung Altonas vielfach
in einem neuen Licht erscheinen lassen.
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Inhaltsverzeichnis: http://d-nb.info/1073598020/04
Franklin Kopitzsch liefert mit seinem Beitrag Epochen und Facetten der
Stadtgeschichte eine Überblicksdarstellung, die die Entwicklung Altonas im
Gesamtzusammenhang präsentiert. Er beschränkt sich dabei nicht auf die
Stadtgeschichte im engeren Sinne, sondern bezieht den überregionalen
Kontext mit ein: Von der frühen Entwicklung unter den Grafen zu HolsteinSchaumburg über den Aufstieg zur zweitgrößten Stadt im dänischen Gesamtstaat, die preußische Phase ab 1866 und die Eingliederung in den
Stadtstaat Hamburg im Jahr 1938 bis hin zur Gegenwart war Altona stets
aufs Engste verbunden mit der norddeutschen Landes- und Regionalgeschichte, vor allem mit Schleswig-Holstein und Dänemark, mit SachsenLauenburg und Lübeck, Braunschweig-Lüneburg und Kurhannover, mit
Preußen und nicht zuletzt mit Hamburg.
Auf die besondere Situation im Herzogtum Holstein geht Steen Bo Frandsen in seinem Aufsatz Holstein - Das deutsche Ende Dänemarks? ein. Hervorgehoben werden vor allem die einzigartigen Möglichkeiten des Kulturkontakts zwischen dem dänischen Gesamtstaat und dem Deutschen Reich
bis zum Hervortreten des nationalen Gegensatzes, der den Bruch im Jahr
1864 zur Folge hatte.
Altonas Rolle als Freistatt des Glaubens und als Ort eines der beeindrukkendsten Denkmale sefardischer Grabkunst widmet sich Michael Studemund-Halévys Beitrag Der lange Weg zum Weltkulturerbe. Der Portugiesenfriedhof an der Königstraße.2 Der Autor betont sehr zu Recht den auch im
internationalen Vergleich herausragenden Stellenwert des Friedhofs: 1611
gegründet, ist er nicht nur der älteste der zehn historischen jüdischen Friedhöfe in Hamburg, sondern zugleich auch der älteste Portugiesenfriedhof in
Nordeuropa.
Zu den besonderen Kennzeichen der Geschichte Altonas im 18. Jahrhundert gehört die Entwicklung der Stadt zu einem der Zentren der Aufklärung
im norddeutschen Raum. Jürgen Overhoff befaßt sich mit einem der bedeutendsten in Altona wirkenden Protagonisten aufklärerischer Reformbestrebungen. Mit seinem Aufsatz Johann Bernhard Basedow und das Gymnasium Christianeum. Von der Bedeutung Altonas für die Aufklärungspädagogik
skizziert er nicht nur das kontrovers rezipierte Wirken eines pädagogischen
2
Verborgene Pracht : der jüdische Friedhof Hamburg-Altona ; Aschkenasische
Grabmale / hrsg. von Michael Brocke. Im Auftrag der Stiftung Denkmalpflege
Hamburg. - Dresden : Sandstein, 2009. - 432 S. : zahlr. Ill., Kt. ; 30 cm. - ISBN
978-3-940319-33-3 : EUR 39.80 [#0788]. - Rez.: IFB 13-2 http://ifb.bszbw.de/bsz312955898rez-1.pdf - Zerstört die Erinnerung nicht : der jüdische
Friedhof Königstrasse in Hamburg / Michael Studemund-Halévy ; Gaby Zürn. - 3.,
verb. und erw. Aufl. - München ; Hamburg : Dölling und Galitz, 2010. - 224 S. : Ill. ;
21 cm + 1 Kt. (1 Bl.). - ISBN 978-3-937904-05-4 : EUR 18.00 [#1134]. - IFB 13-2
http://ifb.bsz-bw.de/bsz324223277rez-1.pdf - Biographisches Lexikon der Hamburger Sefarden : die Grabinschriften des Portugiesenfriedhofs an der Königstraße in Hamburg-Altona / Michael Studemund-Halévy. - Hamburg : Christians, 2000
[vielm. 2001]. - 906 S. : Ill. ; 22 cm. - (Hamburger Beiträge zur Geschichte der
deutschen Juden ; 22). - ISBN 3-7672-1293-5 : DM 98.00 [6401]. - Rez.: IFB 01-2462 http://www.bsz-bw.de/depot/media/3400000/3421000/3421308/01_0462.html
Vordenkers des Prinzips der Toleranz, sondern verdeutlicht zugleich, wie
Basedow in seiner Altonaer Zeit trotz erheblicher Anfeindungen Handlungsspielräume erkämpfen und nutzen konnte.
Einem Verleger, dessen Wirksamkeit weit über Altona hinausreichte, wendet sich Klaus Gille zu. Unter der programmatischen Überschrift Zwischen
Revolution und Rechenbuch. Der Altonaer Verleger Johann Friedrich Hammerich (1763 - 1827) skizziert er die Entwicklung des Verlagsunternehmens
von seiner Gründung im Jahr 1789 bis zum Verkauf des Geschäfts 1819.
Die verlegten Autoren, darunter die Aufklärer August von Hennings und Johann Christoph Unzer sowie der Historiker Friedrich Christoph Dahlmann,
stammten mehrheitlich aus den Herzogtümern, vor allem aus Altona und
Kiel. Berühmt wurde Hammerichs Verlag vornehmlich durch seinen Programmschwerpunkt: Politische und zeitgeschichtliche Publikationen standen
im Vordergrund, darunter auch zahlreiche Schriften von politisch exponierten Autoren wie Heinrich Würzer und Andreas Georg Friedrich Rebmann,
die dank der in Altona relativ mild gehandhabten Zensur ihre Sympathie für
die Französische Revolution auch öffentlich bekunden konnten. Für den
bisherigen Kenntnisstand zur Geschichte des Altonaer Verlagswesens stellt
Klaus Gilles Aufsatz eine wichtige Ergänzung dar. Um so bedauerlicher ist
es, daß er als einziger der hier versammelten Beiträge ohne Anmerkungen
abgedruckt wurde.
Anne Mahn widmet sich mit Ihrem Aufsatz Altona als Standort der Metallindustrie. Propeller des Fortschritts: Die Schiffsschraubenfabrik Theodor Zeise von 1868 - 1979 einem bedeutenden Kapitel der Wirtschaftsgeschichte
Altonas. Zeise etablierte sein Unternehmen in Ottensen, das seit 1889 zu
Altona gehörte. Gute Verkehrsanbindungen, die Nachfrage der nahegelegenen Werften und vorteilhafte Zollbedingungen schufen günstige Voraussetzungen. Am Beispiel der Fabrik Zeises gelingt es der Autorin aufzuzeigen, weshalb Ottensen und Altona sich seit den sechziger Jahren des 19.
Jahrhunderts zu Keimzellen der Industrialisierung im norddeutschen Raum
entwickeln konnten.
Mit dem gewerblichen Zweig des Kunsthandwerks befaßt sich Rüdiger Joppien in seinem Beitrag Kunsthandwerk - made in Altona. Künstler und Manufakturen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Neben einem Überblick über die Vielfalt kunstgewerblicher Werkstätten lenkt er die Aufmerksamkeit vor allem auf die Altonaer Keramikmanufaktur Mutz und auf den
Gold- und Silberschmied Josef Arnold. Trotz der engen Symbiose, die zwischen dem Altonaer und dem Hamburger Kunstgewerbe bestand, weist
Rüdiger Joppien mit überzeugenden Argumenten darauf hin, daß Altona ein
durchaus eigenständiges kreatives Potential aufwies.
Den Lebensweg eines bedeutenden Protagonisten der Arbeiterbewegung
zeichnet Bernd Braun nach. Der Titel des Aufsatzes Hermann Molkenbuhr.
Zigarrenmacher, Parlamentarier, Parteiveteran benennt wesentliche Episoden im Leben eines Sozialdemokraten, der seit 1862 in Ottensen aufwuchs,
als Arbeiter soziale Diskriminierung am eigenen Leib erfuhr, sich 1872 dem
ADAV anschloß und nach dem Gothaer Parteitag vom einfachen Parteimitglied zum Reichstagsabgeordneten und bedeutenden Parteiführer der SPD
aufstieg. Einfühlsam und nuanciert entwirft Braun das Porträt eines Mannes,
dessen politisches Handeln stets in unmittelbarem Zusammenhang mit seinen eigenen Erfahrungen stand.
Verena Fink wendet sich einem wichtigen Kapitel der städtebaulichen Entwicklung Altonas im 19. und 20. Jahrhundert zu. In ihrem Beitrag Entwicklungslinien genossenschaftlichen Bauens und Wohnens. ASBV und SAGA
in Altona bis 1945 verdeutlicht sie anhand des Altonaer Spar- und Bauvereins und der Siedlungs-Aktiengesellschaft Altona, welchen Beitrag genossenschaftlicher Wohnungsbau im ausgehenden 19. Jahrhundert und in der
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur Bewältigung der Wohnungsnot leistete. Insbesondere in der Hochphase des Wohnungsbaus der Weimarer
Republik, so das Fazit der Autorin, galten Wohnungs- und Städtebau als
elementarer Bestandteil einer neuen sozialen Kultur.
Der Kultur der zwanziger Jahre gilt die Aufmerksamkeit in dem von Friederike Weimar und Dirk Hempel verfaßten Aufsatz Bei den Unterirdischen.
Kunst und Literatur der 1920er Jahre in Altona. Mit dem 1905 gegründeten
Altonaer Künstlerverein und den im Kaiserhof stattfindenden Künstlerfesten
entstanden eigenständige lokale Institutionen, während sich die Altonaer
Schriftsteller gemeinsam mit ihren Hamburger Kollegen in der Literarischen
Gesellschaft und dem Journalisten- und Schriftstellerverein für Hamburg,
Altona und Umgebung organisierten. Beide Autoren zeigen eindringlich, in
welchem Maße die städtebauliche, wirtschaftliche, soziale und politische
Erneuerung unter den Bürgermeistern Bernhard Schnackenburg und Max
Brauer auch das kulturelle Leben beflügelte.
Frank Omland analysiert in seinem Beitrag Schleswig-Holstein wird braun
und Altona bleibt rot?! Der Aufstieg der NSDAP bei den Wahlen 1924 bis
1933 die Ergebnisse der Kommunalwahlen und der Reichstagswahlen von
1924 bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Die NSDAP –
so das Fazit der Untersuchung – wurde im großstädtischen Altona zur politischen Sammlungspartei bürgerlicher Schichten. Das Kernmilieu der Arbeiterbewegung erwies sich hingegen als weitgehend resistent und wählte weiterhin SPD oder KPD. Altona bildet in dieser Hinsicht innerhalb SchleswigHolsteins eine Ausnahme, da die Nationalsozialisten den ländlichen Raum
der preußischen Provinz umstandslos für sich gewinnen konnten.
Mit zwei Ereignissen aus der Endphase der Weimarer Republik, die auch
überregionale Aufmerksamkeit auf Altona gelenkt haben, befaßt sich Ursula
Büttner in ihrem Aufsatz Vom ,Altonaer Blutsonntag‘ zum ,Altonaer Bekenntnis‘. Evangelische Kirche in der Staatskrise der Weimarer Republik.
Während die Autorin den 17. Juli 1932, bekannt geworden unter der Bezeichnung „Altonaer Blutsonntag“, als einen Höhepunkt der gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten beschreibt, charakterisiert sie das „Altonaer Bekenntnis“ vom 11. Januar 1933
als Versuch evangelischer Pastoren, in den Konflikt einzugreifen und politischer Gewalt eine Absage zu erteilen. Zugleich weist sie in ihrer kritischen
Analyse des „Bekenntnisses“ zu Recht darauf hin, daß die Pastoren mit ihrer grundsätzlichen Verurteilung umfassender politischer Gestaltungsansprüche keineswegs nur auf die Nationalsozialisten, sondern – verbunden
mit antidemokratischen Untertönen – ebenso auf sozialdemokratische oder
liberale Zukunftsentwürfe und Reformkonzepte zielten.
Aufbauend auf seiner unveröffentlichten Magisterarbeit (Hamburg 2010) untersucht Henrik Essler in einem vergleichend angelegten Aufsatz den städtebaulichen Wandlungsprozeß, den Altona im 20. Jahrhundert bis in die
sechziger Jahre durchlaufen hat. Unter der Überschrift Ungeliebte alte
Stadt. Stadtwahrnehmung und Sanierungspraxis in Altona im 20. Jahrhundert werden die unterschiedlichen Sanierungskonzepte von den frühen
Ideen für eine Totalsanierung der Altstadt über die Planungen im Rahmen
der „Führerstadt Hamburg“ bis zum groß angelegten Sanierungsvorhaben
„Neu-Altona“, das Ernst May und Werner Hebebrand in den fünfziger Jahren
in Angriff nahmen, betrachtet. Durchweg überzeugend legt der Autor dar,
wie stark auch die rigide Sanierungspraxis der Nachkriegszeit trotz aller
Neuorientierung noch von älteren ideologischen Leitbildern und Ordnungsvorstellungen geprägt war.
Den Abschluß des Bandes bildet ein Beitrag von Hans-Peter Strenge, der
vor allem die Entwicklung Altonas seit den sechziger Jahren in den Blick
nimmt (Altona nach dem Zweiten Weltkrieg. Ein Rückblick). Für den zeitlichen Abschnitt von der Phase des Wiederaufbaus bis zum Strukturwandel
der achtziger und neunziger Jahre werden in detailreicher Darstellung die
Zusammenhänge zwischen politisch-administrativen Voraussetzungen und
städtebaulicher Entwicklung verdeutlicht.
Zahlreiche Beiträge des vorliegenden Bandes erweitern und vertiefen den
Kenntnisstand zur Geschichte Altonas wesentlich und sind zugleich geeignet, Impulse für weiterführende Forschungen zu geben. Darüber hinaus bietet der großformatige, opulent ausgestattete und sorgfältig illustrierte Sammelband sowohl mit seinem Aufsatzteil als auch mit der Dokumentation zentraler Bereiche der stadtgeschichtlichen Ausstellung des Altonaer Museums
einen hervorragenden Überblick über zentrale Aspekte der Stadtgeschichte.
Dies ist um so mehr zu begrüßen, als eine umfassende und wissenschaftlich fundierte, avancierten Anforderungen und Fragestellungen der historischen Forschung genügende Gesamtdarstellung der Geschichte Altonas
noch immer fehlt.
Dirk Brietzke
QUELLE
Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek und
Wissenschaft
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