01 - Das Expressionistische Jahrzehnt
Transcription
01 - Das Expressionistische Jahrzehnt
Lyrik des Expressionismus -1- Das Expressionistische Jahrzehnt Der Expressionismus in der deutschen Literatur reicht von 1910 bis 1920 und stellt so eine relativ kurze Epoche dar. Es umfasst eine Zeit, die vom Wachsen der Städte (insbesondere Berlins) und des Industrieproletariats geprägt ist, von der Kriegsstimmung und Katastrophen. Die Schriftsteller des Expressionismus sind junge Leute, deren Gedichte und Theaterstücke die tiefe Lebensverunsicherung des modernen Menschen thematisieren. Ihre Literatur wollte auf die Selbstgefälligkeit und den Fortschrittsglauben der Väter-Generation provozierend einwirken, indem sie die Errungenschaften des industriellen Fortschritts in Frage stellte. Merkmale der expressionistischen Lyrik • • • • • • meist strenge und traditionelle Formen (Reim, Metrum, vierzeilige Strophen, Sonett) Zeilenstil und Simultanstil (unverbundenes Nebeneinander) Bilderreichtum und meist surrealer Stimmungsgehalt grelle, ausdrucksstarke Farbmetaphorik beschwörende Eindringlichkeit der Sprache (Sprachmagie) Wortschöpfungen (Neologismen) und gewaltsame Eingriffe in die Sprache Bevorzugte Themen • • • • die Ohnmacht und das Ausgeliefertsein des Individuums in einer von Gott verlassenen Welt (Nietzsche: Gott ist tot!) die Bedrohlichkeit der Städte und Maschinen Visionen des Untergangs („Weltende”), Vergänglichkeit und Zerfall Wertverlust und Verfall der zwischenmenschlichen Beziehungen Wichtige Vertreter Gottfried Benn 1886-1958 Georg Heym 1887-1912 Georg Trakl 1887-1914 Franz Werfel 1890-1945 Jakob van Hoddis 1887-1942 Lyrik des Expressionismus Else Lasker Schüler 1869-1945 Alfred Wolfenstein 1888-1945 -1- Johannes R. Becher 1891-1958 August Stramm 1874-1915 Ernst Stadler 1883-1914 Gedichtbeispiele – Teil I - Programmatisches Ernst Stadler Gottfried Benn Form ist Wollust Schöne Jugend Form und Riegel mußten erst zerspringen Welt durch aufgeschlossene Röhren dringen; Form ist Wollust, Friede, himmlisches Genügen, Doch mich reißt es, Ackerschollen umzupflügen. Form will mich verschnüren und verengen, Doch ich will mein Sein in alle Weiten drängen Form ist klare Härte ohn' Erbarmen, Doch mich treibt es zu den Dumpfen, zu den Armen, Und in grenzenlosem Michverschenken Will mich Leben mit Erfüllung tränken. Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte, sah so angeknabbert aus. Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig. Schließlich in einer Laube unter dem Zwerchfell fand man ein Nest von jungen Ratten. Ein kleines Schwesterchen lag tot. Die anderen lebten von Leber und Niere, tranken das kalte Blut und hatten hier eine schöne Jugend verlebt. Und schön und schnell kam auch ihr Tod: Man warf sie allesamt ins Wasser. Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten! Erschienen in 1912 in Benns ersten Gedichtheft „Morgue und andere Gedichte“ 1. Schritt: 2. Schritt: Erstes Textverständnis und Ideen formulieren Den Text analysieren – von der formalen zur Inhaltlichen Analyse; von den Zeilen zur größeren Ausdeutung (von der Textimmanenz zur Epoche u.a. Aspekten) Es folgt: Teil II – Neue Wahrnehmung Georg Heym: Umbra vitae Jakob van Hoddis: Weltende Alfred Lichtenstein: Die Dämmerung