Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität - Türk
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Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität - Türk
Onlineausgabe März-April 2016 Vol: 01 Nr: 05 VOKAL Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität IMPRESSUM Herausgeber im Namen der TDU Halil Akkanat Chefredakteur Ünal Bilir V. Redakteur (V.i.S.d.P) Tamer Tekgül Autoren Nihan Uzunoğlu Ali Ömer Baykar Mustafa Erkam Özateş Deniz Kuru Ece Gamzegül Kayalar Sibylla Wolfgarten Anja Martin Titelfoto Ünal Bilir Anschrift VOKAL Türk-Alman Üniversitesi Şahinkaya Cad. No: 86 34820, Beykoz-Istanbul-Türkei Tel: +90-2163333027 Fax: +90-2163333038 E-Mail: [email protected] Alle Rechte der in dieser Zeitschrift veröffentlichten Artikel und Bilder sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur mit schriftlicher Genehmigung der Redaktion sowie gegebenenfalls mit dem zusätzlichen Einverständnis jeweiliger Autoren/innen und Fotografen/innen weiter veröffentlicht werden. Jede Autorin, jeder Autor ist für ihre/seine Schriften im Sinne des Presserechtes selbst verantwortlich. März-April 2016 Vol. 01, Nr. 05 VOKAL | Zeitschrift der Türkisch-Deutschen Universität | Prof. Dr. Philip Kunig im Gespräch Seit 2010 ist Prof. Dr. Kunig Vizepräsident des Hochschulkonsortiums der TürkischDeutschen Universität. Seit Lehrbeginn im September 2013, unterrichtet Kunig, neben seinen Aufgaben an der Freien Universität Berlin, Öffentliches Recht sowie Völkerrecht und ist auf deutscher Seite Koordinator der juristischen Fakultät. Im Rahmen des Face-to-Face Interviews unserer Zeitschrift Vokal stand Prof. Dr. Kunig für ein Gespräch mit unserem Redaktionsleiter Dr. Ünal Bilir und unserer Reporterin Nihan Uzunoğlu zur Verfügung. Das Interview können Sie unter der Rubrik „Face to Face“ lesen. Partner im Fokus: Die Freie Universität Berlin Die Freie Universität Berlin ist seit der Vorbereitungsphase der Türkisch-Deutschen Universität auf deutscher Seite federführend für das Fach Rechtswissenschaft. Neben Professor Kunig sind derzeit zwei weitere Professoren der FUBerlin, Detlef Leenen und Hubert Rottleuthner, mit Vorlesungen am Lehrbetrieb unserer Universität beteiligt. Diese wichtige Unterstützung nehmen wir daher zum Anlass, unseren Lesern die Freie Universität Berlin als eine „Exzellenzuniversität“ unter der Rubrik „Partner im Fokus“ ausführlich vorzustellen. Themen in dieser Ausgabe 30 Jahre High-Tech-Produktion in Anatolien Industrie 4.0 Aufbruchsstimmung an der TDU: Kurzes Jahr, große Fortschritte Face-to-Face mit Prof. Dr. Philip Kunig,Vizepräsident für Rechtswissenschaft des K-TDU Exkursion ins Zentrum der Truck-Welt Partner im Fokus: Die Freie Universität Berlin Vortragsreihe „Erfahrung spricht“: Emre Can von der Stiftung zur Förderung der TDU Visuelle Konstruktion von Migration und Heterogenität Stellung der Frau im Berufsleben und GeschlechterDiskriminierung Begegnung zweier Hochschulwelten: Besuch der Kölner Studierenden an der TDU 30 Jahre High-Tech-Produktion in Anatolien Vortrag von Prof. Dr. Frank Lehmann zum Thema „Das Mercedes-LKW-Werk in Aksaray“ Von Nihan Uzunoğlu Mercedes-Benz Türk A.Ş. Direktor, Prof. Dr. Frank H. Lehmann, referierte vor Studenten und Dozenten der TDU zum Thema „Das Mercedes-LKW-Werk in Aksaray – 30 Jahre High-TechProduktion in Anatolien“; Ziel des Vortrags war es, das Werk und seine Arbeit kurz vorzustellen und somit die teilnehmenden Studenten für eine kommende Exkursion im selbigen vorzubereiten. Die Moderation des Gastvortrages übernahm der Generalkoordinator der TDU, Herrn Prof. Dr. İzzet Furgaç, der seinerseits auch den geplanten Exkurs zu den Mercedes-Werken in Aksaray initiierte. 1 Lehmann begann seine E r w e r b s b i o g r a fi e m i t e i n e r zweijährigen Lehre zum Maschinenschlosser: „Ich wollte meine Arbeit von der Pieke auf lernen“, sagte er dazu. Später absolvierte er Studium sowie Promotion in Aachen und arbeitete unter anderem für Thyssen. Seit September 2015 ist er nun Direktor des Mercedes-LKW-Werkes in Aksaray. „Unser Werk umfasst rund 560.000 m2, 120.000m2 sind überbaut. Wir produzieren per anno ca. 20.000 LKWs - dies seit 30 Jahren allein in Aksaray - im nächsten Jahr feiern wir 50 Jahre Mercedes Türkei. Unsere LKWs sind nach den Kundenwünschen der Abnehmer orientiert, daher müssen wir unsere Fabrik sehr flexibel halten. Laut Dr. Lehmann sind fundierte Fremdsprachenkenntnisse, internationale Erfahrung, Kompetenzen zur Problemlösung, Neugierde und Teamfähigkeit die Erwartungen des Unternehmens „MercedesBenz Türk“ an seine potenziellen, neuen Mitarbeiter. Dies ist auch der Grund, warum wir fachkundiges Personal aus allen Bereichen benötigen, z.B. S t e u e r u n g s t e c h n i k , Ve r f a h r e n s t e c h n i k , Regelungstechnik, aber ebenso Schweißfachingenieure werden gebraucht, denn die Erfolgsgeschichte soll weitergehen: Geplant ist, das Werk um weitere 500 Hektar zu erweitern, mit 60% Investitionszuschüssen soll ein Ziel von 35.000 produzierten LKWs erreicht werden“, so Prof. Dr. Lehmann. Er fuhr damit fort, die Erwartungen des Unternehmens an seine potenziellen, neuen Mitarbeiter vorzustellen: „Vor allem sollten diese fundierte Fremdsprachenkenntnisse und internationale Erfahrung, Problemlösungskompetenzen und Neugierde mitbringen. Aber noch viel mehr legen wir großen Wert auf Teamfähigkeit. Dafür bieten wir Ihnen internationale Karriere-Chancen an vielen Standorten der Daimler AG, Weiterentwicklungsmöglichkeiten, ein professionelles Team sowie herausfordernde Aufgaben im gesamten Produktionsverbund.“ 2 Daraufhin zeigte er den Zuhörern seines Vortrages ein Bild von der Erde, welches aus dem Weltall geschossen wurde: „Eigentlich sollte die Crew der Apollo 5 nur Bilder von der Mondoberfläche schießen. Doch sie nutzten die Gelegenheit, die sich Ihnen bot und schossen dieses Bild der Erde. Auch Sie müssen immer einen offenen Blick für solche Überraschungen oder Gelegenheiten bewahren; das erfordert ein hohes Maß an Sensibilität. Nach 30 Jahren Aksaray oder 100 Jahre Daimler-LKW-Bau, muss auch ein Unternehmen wie Mercedes stets offen für Neues sein, aber auch für Fehlereingeständnisse, so wie im Falle des Elchtestes der AKlasse vor einigen Jahren. Es ist wichtig, im Team zu arbeiten, da diejenigen, die die Bauteile zusammenfügen ein anderes Know-How haben als Sie als Ingenieur – und auch umgekehrt. Das Entscheidende sind die Menschen um das Unternehmen herum und die gemeinsame Suche nach Ursachen und Lösung. Sie sollten während des Studiums schon lernen, wie man mit Menschen umgeht und wie man sie dahingehend motiviert, offen zu denken und Neues zu schaffen.“ Im Rahmen seines Vortrages stand Herr Lehmann auch für ein Kurzinterview unserer Zeitschrift Vokal zur Verfügung: Wie beurteilen Sie aus Unternehmersicht das Konzept der TDU? Also, ich muss zugeben – ich bin begeistert. Ich hätte nicht gedacht, dass ein solches Konzept existiert. Ich bin umso begeisterter, da es genau die verschiedenen Kulturen zusammenbringt ich hatte es vorhin nicht erwähnt, aber die Menschen, die sich gut in der türkischen Kultur auskennen, kommen generell auch mit anderen Kulturen sehr gut klar, die Brasilianer beispielsweise denken ähnlich. Das ist die große Chance für jeden türkischen Studenten hier, er kommt von der TDU, kennt also die deutsche Kultur und als Türke natürlich die türkische Kultur und ist somit fähig, beides zu verbinden. Die Studenten werden perfekt für die Aufgaben vorbereitet sein, die ihnen im Laufe ihres Lebens noch begegnen werden. 3 Wie sehen Sie die Rolle der „Ressource“ Mensch im Unternehmen? Uns Führungskräften geht es darum, gemeinsam mit Menschen Ziele zu erreichen; Menschen dafür zu begeistern, die zum Erfolg führenden Wege zu gehen. Aus HR-Perspektive ist es Ziel, die Auswahl der Mitarbeiter - egal auf welcher Ebene, ob Produktion oder höher positionierte Bereiche – so zu gestalten, dass sich teamfähige, offene Mitarbeiter finden lassen, die in der Lage sind, ein Problem zu beschreiben, damit es anschließend auch gelöst werden kann. Dies ist der erste Schritt. Darauf folgen erst klassische HR-Fragen wie Weiterbildung oder Qualifizierung. Die erste Frage muss jedoch immer sein: Was bringen die Menschen an Qualifizierungen mit? „Das ist eine große Chance für jeden türkischen Studenten. Er kommt von der TDU, kennt also die deutsche und als Türke natürlich die türkische Kultur und ist somit fähig, beides zu verbinden.“ Wie schätzen Sie die Verzahnung von Theorie und Praxis ein? Wie wichtig ist für Sie im universitären Kontext der Begriff Anwendbarkeit? Auch, wenn man die Forschung zum Berufsziel hat, muss man die Praxis verstehen und hinterfragen, ob die Lösung, an der man gerade arbeitet, überhaupt einen Beitrag dazu liefert, das Problem zu lösen. Reine Theoretiker verlieren geradezu den Bezug zur Realität und sind aus dem Grund oftmals auch nicht erfolgreich. Als Ingenieur, Betriebswirt o.ä. brauchen Sie immer den Austausch von Theorie und Praxis. Das ist genau das, was mich an der TDU begeistert, dass eben Praxis und Theorie sehr eng ineinander gehen. Die Studenten absolvieren Praktika und Projektarbeiten mit der Industrie; das ist die Riesenchance der TDU, dieses Konzept wird die allerbesten Absolventen des Landes hervorbringen. Fotos: Gülten Kılınç 4 VOKAL INDUSTRIE 4.0 Von Ali Ömer Baykar und Mustafa Erkam Özateş Fachvortrag an der TDU über die vierte industrielle Revolution Am 30. März 2016 sprach Herr Ali Rıza Ersoy, stellvertretender Geschäftsführer der Siemens Türkiye A.Ş. in einem von den ingenieurund naturwissenschaftlichen Fakultäten organisierten Fachvortrag über die vierte industrielle Revolution, die sogenannte „Industrie 4.0“. 5 Ali Rıza Ersoy, stellvertretender Geschäftsführer der Siemens Türkiye A.Ş. VOKAL Im Jahre 1784 begann mit Anwendung der Dampf- statt Menschenkraft in England die Industrialisierung. Die zweite Revolution erfolgte mit der Elektrifizierung. Heute sind wir in der dritten Periode; Speicherprogrammierbare Steuerung (SPS), die in den siebziger Jahren erfunden wurden, spielen dabei eine wichtige Rolle. Nun deuten die Zeichen auf eine vierte, industrielle Revolution hin. In den letzten zehn Jahren übertraf die Produktion der Länder im Osten die der Produktion im Westen. Die Europäische Union produzierte im Jahre 2006 insgesamt 550 Milliarden , 2011 stieg die Produktion auf 620 Milliarden (bzw. Deutschland von 190 Milliarden auf 220 Milliarden ). Im gleichen Zeitraum verdreifachte sich in China die Produktion: Von 170 Milliarden auf 580 Milliarden . Die größte Volkswirtschaft - die der USA - wurde in eine Kommunikations- und Informationstechnikwirtschaft umgewandelt, die Produktion beträgt nur 280 Milliarden . In dieser Konkurrenzsituation brauchen westliche Länder eine neue Strategie. Drei Aspekte können die notwendige Umwandlung unterstützen: 1. Innovationszyklen: Markteinführung eines neuen Produktes bevor es imitiert werden kann. 2. Flexibilität: Ein Fließband für viele Produkte mit unterschiedlichen Konfigurationen und mit Individualisierung. Ein großer Vorteil der Länder im Osten – in großen Mengen günstige Produktion – wird dann nicht relevant sein. 3. Effizienz: Automatisierte Produktion ohne Menschen und ohne Fehler. Somit kann gegen das niedrige Gehalt im Osten konkurriert werden. Der Begriff Industrie 4.0 wurde erstmals im Jahr 2011 bei der CeBIT in Hannover diskutiert. Um ein Diskussionsforum zu schaffen, bildete die Bundesregierung - gemeinsam mit öffentlichen Organisationen, Wissenschaftlern und industriellen Herstellern - ein Konsortium. Im April 2013 veröffentlichte die Bundesregierung eine Roadmap, die von diesem Konsortium festgelegt wurde. Nur zehn Monate nach der Ankündigung, führte Siemens Türkiye A.Ş. in unserem Land eine Vorstellung durch. Ein weiteres Treffen im Dezember 2015 festigte den Eindruck, dass das Ministerium für Wissenschaft, Industrie und Technologie die notwendigen Rechtsordnungen bis zum Herbst 2016 erledigen wird. Wenn wir nur drei Jahre nach der Ankündigung der Bundesregierung unseren eigenen, strategischen Plan veröffentlichen können, haben wir eine Chance, diese Revolution zu erfassen. 6 Der Begriff Industrie 4.0 wurde erstmals im Jahr 2011 bei der CeBIT in Hannover diskutiert. Um ein Diskussionsforum zu schaffen, bildete die Bundesregierung gemeinsam mit öffentlichen Organisationen, Wissenschaftlern und industriellen Herstellern - ein Konsortium. Im April 2013 veröffentlichte die Bundesregierung eine Roadmap, die von diesem Konsortium festgelegt wurde. VOKAL Die Türkei hat enorme Vorteile im Vergleich zu anderen Ländern; weil es eine junge, dynamische und unternehmerische Bevölkerung hat und etablierte Universitäten besitzt. Falls die Türkei diese Revolution bewältigen kann, ist es gut möglich, dass sie sich zum Produktionszentrum Eurasiens und Osteuropas wandelt - so kann auch das Bruttoinlandsprodukt drastisch vergrößert werden. Eine Organisation, die Industrie 4.0 eingeführt hat, muss folgende acht Merkmale aufweisen. 1 - Cyber-physisches System Jedes Objekt und jede Person muss durch eine Signatur und Simulation in der digitalen Computerwelt abgebildet werden. 2 - Vertikale-Horizontale Integration Informationen aus dem Produktionsbereich müssen in Echtzeit zur Verwaltung weitergeleitet werden. Außerdem müssen Lieferanten, Händler, Vermarkter und Kunden stetig miteinander in Verbindung bleiben. 3 - Internet der Dinge Jedes Objekt muss in der Lage sein, sich mit einer eigenen Identität mit dem Internet mit zu verbinden. 4 - Autonomer Roboter Eine Organisation soll mit autonomen Robotern, deren Lernfähigkeit durch Software und Algorithmen erhöht werden, ausgestattet werden. 5 - Big Data Komplexe Daten in sehr großen Mengen aus allen Objekten sollen durch entsprechende Programme zu verarbeiten und zu analysieren sein. 6 - Datenspeicherung Daten sollen in Cloudsystemen statt in den lokalen IT-Systemen einzelner Firmen gespeichert werden. Die Daten sollen immer erreichbar sein und mit den notwendigen Partnern sicher geteilt werden können. 7 - Augmented Reality Um die Qualität der Produktion zu messen und die Prozesse zu verbessern, soll Augmented Reality benutzt werden. 8 - Cyber-Sicherheit Die Daten sollen vor Cyberattacken geschützt werden. 7 VOKAL Herr Ersoy berichtete von der Fabrik von Amberg, in der Automatisierungsprodukte produziert werden und die zu einem sehr hohen Grad automatisiert in Betrieb ist. Diese Fabrik schaffe 1000 verschiedene Produkte mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 0,0011%. Um das Bewusstsein und eine Informationsquelle in türkischer Sprache zu schaffen, fördert die Siemens Türkiye A.Ş. den Aufbau der Industrie 4.0-Plattform (http:// www.endustri40.com). Die Türkisch-Deutsche Universität und die Studierenden sollen eine aktive Rolle bei der Etablierung dieser Plattform spielen. In Zukunft werden Konzepte wie Open Innovation, Open Design, Open Organization, Open Capital usw. immer wichtiger werden. Die Menschen möchten Teil der Entwicklung der Produkte werden. Mit dieser Revolution soll die Angst vor einer Arbeitslosigkeit bezwungen werden. Auch vergangene Revolutionen brachten keine Arbeitslosigkeit hervor. Die Revolution werde eigene, neue Arbeitsfelder zum Vorschein bringen, die wir heute gar nicht kennen und uns nicht vorstellen können. Diese Revolution braucht nach optimistischen Schätzungen etwa 30 Jahre, deswegen wird es die heutigen Arbeiter nicht beeinflussen. Die nächste Generation muss sich aber entsprechend vorbereiten und diese Zukunft mit aufbauen. Wer sich individuell nicht vorbereitet, steht natürlich der Gefahr der Arbeitslosigkeit gegenüber. Die Jobs der Zukunft werden komplexer, detaillierter und fachgerichteter sein. Allgemeine Ingenieure, wie Elektrotechniker oder Maschinenbauer, werden in der Form nicht mehr gängig sein. An dieser Stelle müssen Universitäten ihre Strukturen anpassen und den Studierenden die notwendigen Fähigkeiten ausstatten. Auch die Beziehungen zwischen Universitäten und Industrie, die heute nicht ausreichend etabliert ist, wird von tragender Bedeutung sein. Fotos: Gülten Kılınç 8 VOKAL Aufbruchstimmung an der TDU Kurzes Jahr, große Fortschritte 9 Foto: G. Kılınç VOKAL Die TDU-Familie wächst Von Deniz Kuru Als vor 80 Jahren die erste moderne, türkische Universität (Universität zu Istanbul) gegründet wurde, nahmen dabei auch deutsche Wissenschaftler, die wegen des „Dritten Reiches“ ihr Land verlassen mussten, eine sehr große Rolle ein. Sie waren die ersten Professoren, die die aus Europa bekannten, modernen europäischen Universitätslehrstühle in der Türkei einführten und die nächsten Generationen von Wissenschaftlern der neuen Republik ausbildeten. Die Akademiker flohen aus ihrer Heimat Deutschland in die Türkei: Jüdische Herkunft, demokratische Prägungen oder Ablehnung einer “inneren Emigration” waren Gründe dafür. Sie statuierten damit jedoch ein wichtiges Exempel in türkischdeutscher, wissenschaftlicher Foto: Ü. Bilir Zusammenarbeit, respektive akademischer Verflechtung. Nach vielen Jahrzehnten steht nun das Ergebnis einer neuen Form türkisch-deutscher, akademischen Kooperation vor uns: die Türkisch-Deutsche Universität, in der Metropole Istanbul. Seit Gründung und Beginn des Lehrbetriebs im Wintersemester 2013/2014, Die TDU nahm im Jahr 2013 erstmalig h a t s i c h d i e U n i v e r s i t ä t s t e t i g weiterentwickelt. Jeden Tag entsteht vor den 127 Studierende auf. Während die Augen aller Studenten, Akademiker und des Studierendenzahl 2014 auf 201 stieg, Verwaltungspersonals ein neues Stück TDU, wurden im Wintersemester 2015-16 mit modernen Gebäuden und viel wichtiger: Mit neuen Mitgliedern im wissenschaftlichen 263 Studierende immatrikuliert. Teams. 10 VOKAL Foto: Ü. Bilir Schaut man sich die CVs der Akademiker der TDU an, erkennt man eine Reihe an Wissenschaftlern, die in führenden deutschen, türkischen, europäischen oder USamerikanischen Universitäten promoviert haben. Sie kommen mit erfolgreich durchgeführten Projekten, einer immer länger werdenden Veröffentlichungsliste und nachweislicher Expertise in internationalen, akademischen Kooperationen – zusammengefasst also alle Merkmale, die eine neue Universität in der Gründungs- und Entwicklungsphase benötigt. Ein kurzer Blick auf die folgende Tabelle zeigt den großen Fortschritt, den unsere Universität seit 2015 gemacht hat - exklusive der “flying faculty”Akademiker. Professoren wissenschaftliche Mitarbeiter Anfang 2015 April 2016 11 13 13 13 Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaftliche Fakultät Anfang 2015 April 2016 6 14 5 9 Anfang 2015 April 2016 1 3 1 2 Anfang 2015 April 2016 1 7 1 5 Anfang 2015 April 2016 8 14 4 10 Anfang 2015 April 2016 1 7 1 5 Fakultät für Rechtswissenschaft Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften Fakultät für Naturwissenschaften Fakultät für Ingenieurwissenschaften Fakultät für Naturwissenschaften 11 T D U 2 0 1 5 2 0 1 6 Face-to-Face mit Prof. Dr. Philip Kunig Vizepräsident für Rechtswissenschaft des K-TDU FACE TO FACE 12 Zur Person Lehr- und Vortragstätigkeiten sowie Gastprofessuren führten Prof. Dr. Philip Kunig u.a. nach Tokyo, Peking, Taipeh, Shanghai, Hanoi, Bangkok, Seoul und besonders häufig nach Istanbul und Ankara. Seit 2010 ist er einer der Vizepräsidenten des Hochschulkonsortiums der Türkisch-Deutschen Universität. Seit Lehrbeginn an der TDU im September 2013 unterrichtet Kunig, neben seinen Aufgaben an der Freien Universität Berlin, Öffentliches Recht und Völkerrecht und ist auf deutscher Seite Koordinator der juristischen Fakultät. Neben seinen Forschungs- und Herausgebertätigkeiten im Bereich des deutschen und des internationalen Rechts ist Kunig in mehrere türkisch-deutsche Forschungsprojekte und rechtswissenschaftliche Kooperationen involviert. Im Rahmen der Face-to-Face Interviews unserer Zeitschrift Vokal stand Prof. Dr. Kunig für ein Gespräch mit unserem Redaktionsleiter Dr. Ünal Bilir und unserer Reporterin Nihan Uzunoğlu zur Verfügung. Vokal: Schaut man sich Ihren Lebenslauf an, trifft man auf zahlreiche, global angesiedelte Projekte und Lehrtätigkeiten. Uns stellt sich nun die Frage, wie solch ein internationaler Lebenslauf zustande gekommen ist? Philip Kunig: Es ist ein beruflich bedingter Lebenslauf. Sie wissen, ich bin Jurist mit Schwerpunkt auf dem Rechtsgebiet des öffentlichen Rechts. Ich betrachte es unter drei Gesichtspunkten: Der erste ist das Verfassungsrecht, ein weiterer das Völkerrecht. Auch im Umweltrecht bin ich tätig. In all diesen Bereichen bietet es sich an, das internationale Gespräch und die internationale Kooperation zu suchen. Im Völkerrecht ist das selbstredend, man muss sich dafür interessieren wie andere Staaten Recht definieren und umsetzen. Das Verfassungsrecht ist nationales Recht. Jeder der weltweit ca. 200 Staaten hat seine eigene Verfassung, es tauchen jedoch vergleichbare Grundstrukturen auf. Da macht es Sinn zu vergleichen und zu verstehen, warum es Unterschiede gibt. Steht dies im Zusammenhang mit Traditionen, faktischen Bedingtheiten oder unterschiedlichen Grundüberzeugungen? Man kann sehr viel - auch über sich selbst - lernen, wenn man sich mit dem Recht anderer beschäftigt. Ich habe den Beruf des Rechtswissenschaftlers aus diesem Grunde immer unter dem Aspekt des internationalen Dialoges verstanden. Und dies führte mich dann in die verschiedenen Gegenden der Welt. Vokal: Wie kam es dazu, dass sich gerade die Beziehungen mit der Türkei respektive Istanbul intensiviert haben? Kunig: Es spielte dabei auch ein außerberuflicher Aspekt eine Rolle: Ich interessierte mich schon in meiner Jugend sehr für die Türkei - für ihre Kultur und ihre Geschichte. Sie ist ein Ort, an dem zwar eine gewisse Ferne, aber ebenso Nähe zu Europa und insbesondere zu Deutschland herrscht, erkennbar an vielen persönlichen sowie beruflichen Biografien von Menschen. Im Zeitverlauf entwickelten sich dann Gastprofessuren und eine besonders enge Zusammenarbeit mit der Istanbul Universität. Zusammengefasst: Ich fühlte mich hier beruflich sowie privat immer sehr wohl und dies trug dazu bei, wie ich meine beruflichen Schwerpunkte setzte. FACE TO FACE 13 Vokal: Wie kam es dazu, dass Sie letztlich an die TDU kamen? Kunig: Der Kontakt begann schon zu Anfang dieses Projektes. Ich hatte von den Planungen bzw. der Wiederaufnahme alter Planungen gehört und informierte mich. Daraufhin wurde ich von der FU Berlin gebeten, auf deutscher Seite die Verantwortung für die Gestaltung des Studienganges Rechtswissenschaft zu übernehmen. Ich fand die Aufgabe, auf ein solches quasi unbeschriebenes Blatt zu schreiben und in einem bilateralen Kontext gemeinsam mit anderen ein Lehrkonzept zu entwerfen, sehr reizvoll. Vokal: Die TDU gilt als Leuchtturmprojekt der türkischdeutschen Hochschulkooperation - was ist Ihre persönliche Meinung dazu? „Eine Universität lebt von der Lehre und der Forschung gleichermaßen. Es liegt mir sehr am Herzen, die Forschungszusammenarbeit mit den türkischen Kollegen zu pflegen; die drückt sich beispielsweise in gemeinsamen Lehrbuch-Projekten oder auch in der Gründung einer Zeitschrift aus, aber ebenso in der Forschung zu Einzelfragen, die die deutsch-türkischen Beziehungen betreffen. Derartige Kooperationen müssen fortgeführt und intensiviert werden. Entscheidend bei der Forschungsarbeit: Vertrauen muss untereinander wachsen - ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch auf diesem Feld zukünftig vieles erreichen können, innerhalb der Rechtswissenschaften, aber auch im Zusammenwirken mit anderen Wissenschaftsdisziplinen.“ Kunig: Die Legitimation eines Konzeptes wie das der TDU liegt für mich darin, dass es klare Alleinstellungsmerkmale aufweist. Nirgendwo sonst ist ein vergleichbares Projekt zu finden. Man kann es gut mit Bezug auf den Bachelorstudiengang Rechtswissenschaften erklären. Er qualifiziert auf hohem Niveau für den türkischen Arbeitsmarkt und bringt zugleich eine besondere Expertise im d e u t s c h e n Re c h t u n d i m s u p r a n a t i o n a l e n , europäischen Recht mit sich. Es geht um Fokussierung auf Deutschland und die Türkei in Europa. Es existiert ja eine besondere Beziehung zwischen den beiden Ländern, die ein wechselseitiges Interesse auslöst. Wir wollen unsere Absolventen mit einem vollen Abschluss im türkischen Recht und zugleich hervorragenden Kenntnissen im deutschen und internationalen Recht qualifizieren. Wir unterrichten daher deutsches und türkisches Recht parallel und teilweise gemeinsam, stellen Vergleiche an und sind auch hinsichtlich der Lehrmethoden gut vernetzt. Dies ist nirgendwo sonst so anzutreffen. Vokal: Diese Zusammenarbeit läuft sicherlich nicht ohne Probleme. Welche Chancen und Schwierigkeiten treten dabei auf? Kunig: Überall dort, wo etwas Neues begonnen wird, treten Probleme auf, vor allem organisatorischer Art. Die betreffen aber eigentlich nicht die Wissenschaftler, denn die haben sich relativ schnell aneinander gewöhnt und stehen in guter Zusammenarbeit. Manchmal gibt es Schwierigkeiten mit komplizierten Entscheidungsstrukturen. Dies ist auch dadurch bedingt, dass bei solch einem großen Projekt, dessen Wichtigkeit und politische Symbolkraft von vielen Akteuren erkannt wird, naturgemäß auch viele Entscheidungsträger mitwirken. Das bereichert, aber manchmal verkompliziert es die Dinge. Die Motivation, die alle bei diesem Projekt mitbringen, führt jedoch dazu, dass man solche Schwierigkeiten überwinden kann. FACE TO FACE 14 Vokal: Die Rechtsfakultät der TDU wurde von der Ehukuk.org in der Kategorie Online-Befragungen der Studenten zu dem besten Aufsteiger unter den Rechtsfakultäten des ganzen Landes gewählt. Was ist Ihre Meinung dazu? Kunig: Als diese Nachricht kam, war ich natürlich sehr erfreut. Es ist eine Anerkennung für das gesamte Kollektiv, wobei zu diesem selbstverständlich auch die Studenten gehören - ohne begabte, fleißige und engagierte Studenten ginge die beste Hochschullehre ins Leere. Doch, wenn man sich über diese Auszeichnung freut, muss man zugleich sagen, dass es die Verpflichtung und Verantwortung mit sich bringt, zukünftig auf einem solchen guten Wege zu bleiben. Aufsteiger des Jahres kann man nur einmal werden, jetzt geht es darum, diese Spitzenposition zu halten und weiter auszubauen. In der Türkei sind bereits viele herausragende, juristische Fakultäten existent, das bedeutet, dass sich die TDU im Wettbewerb unter diesen erst behaupten, ihren Platz ausbauen und einnehmen muss. Vokal: Welche positive Rolle können aus Ihrer Sicht die TDU Akademiker außerhalb der Lehre und Forschung für die deutsch-türkische Beziehung übernehmen? Kunig: Jura ist ein Phänomen, welches immer präsent ist, wenn Menschen miteinander zu tun haben, im Beruf, in der Familie, im Verhältnis zum Staat, überall. Das Recht eröffnet und begrenzt Handlungsspielräume. Aber wichtig ist auch zu sehen, dass das Recht Gestaltungsinstrumente bereithält, mit denen man gesetzte Ziele erreichen kann. Man braucht in allen Lebensbereichen Juristen. Wir möchten solche Persönlichkeiten ausbilden, die insbesondere auch an den Schnittstellen der türkisch-deutschen Beziehungen arbeiten können, denn die türkisch-deutsche Nähe hat sehr viele verschiedene Aspekte, privat, sozial und beruflich. Aber auch ganz unabhängig von der türkisch-deutschen Dimension: Wir wollen einfach eine besonders gute und niveauvolle Juristenausbildung anbieten, umfassend, verschiedene Traditionen zusammenbringen. Wir sehen unsere Absolventen in verschiedenen Berufsfeldern, national wie international. Dafür sollen sie hervorragend qualifiziert sein. Fotos: Ünal Bilir FACE TO FACE 15 VOKAL Exkursion ins Zentrum der Truck-Welt Von Ece Gamzegül Kayalar Werksbesuch der Nachwuchsingenieuren der TDU beim Mercedes-Benz Türk Die Zweitsemesterstudenten der Studiengänge Mechatronik- und Wirtschaftsingenieurswesen starteten gemeinsam mit den Dozenten Tuba Çonka Nurdan, Ahmet Yıldız, Kayhan İnce, Mehmet İpekoğlu, Sibel Özenler und den Assistenten Ahmet Yükseltürk und Mustafa Erkam Özateş an einem kühlen Samstagmorgen vom Campus der Türkisch-Deutschen Universität aus ihre lange Reise in Richtung Kappadokien. 16 VOKAL Die Studierenden der Studiengänge Mechatronik-und Wirtschaftsingenieurswesen besuchten auch die kappadokischen Feenkamine. Die von Mercedes-Benz Türk A.Ş. gesponserte Busfahrt begann pünktlich um 9 Uhr. Nach einer zehn stündigen Fahrt kam der Bus endlich im Stadtteil Avanos und somit dem Hotel Avrasya an. Nachdem die Zimmer bezogen wurden, gab es im Anschluss ein Abendessen am abwechslungsreichen Hotelbuffet. Somit endete auch schon der erste Tag. Der zweite Tag unserer Exkursion wurde viel spannender. Mit einem gemeinsamen Frühstück im Hotel stärkten sich alle und es ging zu den Feenkaminen (türk. Peri Bacaları). Alle waren von den Steingestalten und deren Entstehungsgeschichte vor mehreren hundert Jahren fasziniert. Wir besuchten viele verschiedene Täler, unter anderem das „Aşk Vadisi“ und das „Güvercinlik Vadisi“. Am Mittag erwartete uns die Vielfalt der traditionellen Küche Kappadokiens im Zentrum von Avanos, darunter beispielsweise das sogenannte „Testi Kebabı“ - ein in einer Tonschale zubereitetes Rindfleischgericht. Danach ging es nach Ürgüp, wo wir einen Hügel bestiegen, auf dem wir gemeinsam die Aussicht genossen und den Abend ausklingen ließen. Am nächsten Tag erwartete uns der eigentliche Grund unserer Reise nach Aksaray - die Führung durch die Werke der Mercedes-Benz Türk A.Ş. Aufgrund der etwas längeren Strecke zwischen Aksaray und Avanos, traten wir die Fahrt bereits um 7:30 Uhr an. Überraschenderweise fiel an diesem Frühlingstag Schnee, welcher uns die Busfahrt erschwerte. Dennoch kamen wir pünktlich im 560.000 m² großen LKW-Werk der Mercedes-Benz Türk an. Bereits auf dem Parkplatz konnten wir die mächtigen Fahrzeuge sehen - die meisten in der Farbe Weiß, da diese die meist nachgefragte Farbe sei, wie wir später während der Werksführung erfahren sollten. Es empfing uns eine deutsche Atmosphäre, das Truck-Werk hatte keinen Unterschied zu den Industriegebieten in Deutschland. Nachdem wir die Parkposition erreicht hatten, wurden wir sehr freundlich von zwei Mitarbeitern der Personalabteilung empfangen und zu Kaffee und Kuchen begleitet. Nun konnte es losgehen - alle waren schon sehr gespannt auf das Werk. Zur Eröffnungsrede, in der es um allgemeine Informationen über das Werk, Praktika Möglichkeiten und Karrierechancen bei Mercedes-Benz Türk ging, schloss sich dann auch Werksleiter Prof. Dr.-Ing. Frank H. Lehmann an. Er teilte uns mit, dass das Werk im Jahre 2018 um das Doppelte erweitert werde 17 VOKAL und somit auch eine hohe Nachfrage an Ingenieuren bestehen würde. Zudem wurde uns mitgeteilt, dass die Studenten der TDU nach Abschluss ihres Studiums das nötige Profil mitbrächten. Des Weiteren seien von in Frage kommenden, zukünftigen Mitarbeiter Fähigkeiten wie Teambereitschaft und Sprachkenntnisse geforderte Voraussetzungen. Nach diesem informationsreichen Beginn, teilten wir uns in zwei Gruppen auf, um das Werk Abteilung für Abteilung genauer zu erkunden. Dabei konnten wir einen Einblick in die Produktionsabschnitte Rohbau, Lackieren, Innenausstattung und die allererste Probefahrt eines fertiggebauten LKW‘s gewinnen. Wir wurden in jeder Abteilung von den jeweiligen Leitern, auf deutscher Sprache geführt. Auch Prof. Dr.-Ing. Frank H. Lehmann begleitete uns und ergänzte wichtige Einzelheiten. Wir erhielten sehr wertvolles Grundwissen über das Werk, beispielsweise über die Taktzeiten, an die sich jede Abteilung halten muss. Dabei spielen Faktoren wie Effizienz und Platzeinsparung eine wichtige Rolle. Ein weiterer, faszinierender Punkt war, dass in der Endmontage des Fahrgestells alle Werkzeuge an der Decke herunterhängen und die Werksarbeiter somit nicht ständig hin und her laufen müssen, um sich die nötigen Utensilien zu holen. Die erforderlichen Utensilien sind zur richtigen Zeit vor Ort. Zudem gab es vollautomatisierte Fahrzeuge aus Korea, die den Rohbau des Lastwagens von der einen Produktionsstelle zur nächsten fuhren und dabei eine koreanische Melodie abspielten, um die Mitarbeiter darauf aufmerksam zu machen. Dieser humorvolle Moment brachte jeden zum Lachen. Die vierstündige Werksführung endete im Bistro des Werkes, in dem an jedem Tisch jeweils ein Mitarbeiter in Führungsposition saß und bereit war, all unsere Fragen zu beantworten. Hier schlossen sich auch unser Universitätskoordinator Prof. Dr.-Ing. İzzet Furgaç und der Dekan der Fakultät für Ingenieurwissenschaften Prof. Dr. Oğuzhan Çicekoğlu an. Zum krönenden Abschluss gab es dann noch ein gemeinsames Foto und für jeden Studenten eine MercedesBenz Tragetasche mit Notizblock und einem USB-Stick in Form eines Mercedes-BenzAutoschlüssels. Fotos: Sibel Özenler und Tuba Çonka Nurdan 18 VOKAL Partner im Fokus Foto: B. Wannenmacher Freiheit als Gründungsimpuls Die Freie Universität Berlin wurde 1948 von Professoren und Studierenden gegründet – als Antwort auf die Verfolgung systemkritischer Studierender an der Universität Unter den Linden, gelegen im damaligen sowjetischen Sektor des geteilten Berlins. Die Idee der Gründung einer freien Universität fand weitreichende Unterstützung und finanzielle Förderung im In- und Ausland. Dies trug dazu bei, dass die Freie Universität sich zu einer Hochschule von internationalem Rang entwickeln konnte. Freiheit und Internationalität bestimmen seither ihre Entwicklung. Das wissenschaftliche Ethos der Freien Universität Berlin wird seit ihrer Gründung von drei Werten bestimmt: Wahrheit, Gerechtigkeit und Freiheit. 19 VOKAL Freiheit und Internationalität bestimmen seit ihrer Gründung die Entwicklung der FU-Berlin. Ihre Grundwerte prägen den zukunftsweisenden Ausbau akademischer Netzwerke in der Forschung, die Internationalisierung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Foto: J. Oesterreich Die FU-Berlin im Exzellenzwettbewerb des Bundes und der Länder Im Jahr 2007 wurde die Freie Universität Berlin im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder ausgezeichnet. Als eine von bundesweit neun Universitäten war sie in allen drei Förderlinien erfolgreich und errang den Status einer Exzellenzuniversität. Mit ihrem Zukunftskonzept Internationale Netzwerkuniversität konnte sie ihre Position bundesweit und im internationalen Vergleich festigen und ausbauen. Im Jahr 2012 konnte sie erneut im Exzellenzwettbewerb Erfolge verzeichnen und ist nun eine von elf Exzellenzuniversitäten bundesweit. Zukunftskonzept einer International Network University Mit dem Zukunftskonzept „Veritas – Iustitia – Libertas. Internationale Netzwerkuniversität“ entwickelt die Freie Universität Berlin den in ihrer Gründungstradition verankerten Netzwerkgedanken fort. Ihre Grundwerte prägen den zukunftsweisenden Ausbau akademischer Netzwerke in der Forschung, die Internationalisierung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Internationalität prägt die Forschung und das akademische Leben an der Freien Universität Berlin seit ihrer Gründung. Ein umfassender Austausch von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und Studierenden sowie weltweite Kooperationen in Forschung und Lehre prägen die Freien Universität bis heute. Sie unterhält weltweit Verbindungsbüros – in Brüssel, Kairo, Peking, Moskau, New York, Neu-Delhi und São Paulo. Diese tragen in den jeweiligen Regionen dazu bei, das internationale Netzwerk der Universität kontinuierlich zu erweitern und zu pflegen. Unterstützung beim Aufbau der Türkisch-Deutschen Universität Die Freie Universität Berlin ist seit der Vorbereitungsphase der Türkisch-Deutschen Universität auf deutscher Seite federführend für das Fach Rechtswissenschaft. Sie wird im Präsidium des deutschen Hochschulkonsortiums durch Professor Kunig als Vizepräsident und Koordinator für Rechtswissenschaft vertreten. 20 Foto: G. Rother VOKAL Neben Professor Kunig, der Öffentliches Recht und Völkerrecht lehrt, sind derzeit vor allem zwei weitere Professoren der Freien Universität Berlin regelmäßig mit Vorlesungen am Lehrbetrieb beteiligt: Professor Detlef Leenen unterrichtet das deutsche Bürgerliche Recht, und Professor Hubert Rottleuthner lehrt die Grundlagenfächer Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie. Der intensive Unterricht bei deutschen Professorinnen und Professoren soll die JuraStudierenden der Türkisch-Deutschen Universität dazu befähigen, berufliche Tätigkeiten im türkisch-deutschen Rechtsverkehr auszuüben: In der Anwaltschaft, in Wirtschaft und Verwaltung, in europäischen Institutionen und in internationalen Organisationen des privaten oder öffentlichen Sektors. Das Ausbildungsziel ist die Qualifikation für juristische Tätigkeiten nach türkischem Standard sowie eine besondere Expertise im deutschen Recht, die gegebenenfalls auch den Anschluss an Vertiefungen und Fortbildungen in Deutschland ermöglicht. Darüber hinaus begleiten die Berliner Professoren zusammen mit ihren türkischen Kolleginnen und Kollegen die Rechtsentwicklungen in der Türkei durch wissenschaftliche Forschungen, gemeinsame Vorlesungen, Seminare und auch Fachtagungen. Auslandssemester am Fachbereich Rechtswissenschaft der FU-Berlin Seit dem akademischen Jahr 2015/2016 unterhält die Fakultät für Rechtswissenschaft der Türkisch-Deutschen Universität einen Austauschvertrag im Rahmen des Programmes ERASMUS+ der Europäischen Union mit dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin. Seitdem können jährlich zwei Studierende der Türkisch-Deutschen Universität Erfahrungen im deutschen Studiensystem machen, das deutsche Recht zusammen mit deutschen Jura-Studierenden erlernen und kulturelle Einblicke in das vielfältige Berliner Leben gewinnen. Auch Professorinnen und Professoren der TürkischDeutschen Universität können einen Kurzlehraufenthalt am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin wahrnehmen und deutschen Studierenden das türkische Recht nahebringen. Text: Die Freie Universität Berlin 21 VOKAL Erfahrung spricht Emre Can von der Stiftung zur Förderung der TDU Von Nihan Uzunoğlu Im Rahmen des vierten Vortrages der Vortragsreihe „Erfahrung spricht“, veranstaltet von der Fakultät für Wirtschafts- und Verwaltungswissenschaften, sprach dieses Mal Herr Emre Can, Vorsitzender der Stiftung zur Förderung der Türkisch-Deutschen Universität e.V., vor den Studierenden der TDU über sein bisheriges Schaffen und seine im Berufsleben gesammelten Erfahrungen. Can absolvierte sein Studium der Betriebswissenschaften an den Universitäten Istanbul und Boğaziçi und begann im Anschluss daran seine Karriere mit einigen Führungspositionen im Industriesektor. Es folgten Leitungspositionen in der Sabancı Holding, aber auch eigene Unternehmensgründungen - vornehmlich in der Textilbranche. Des Weiteren verzeichnet er Tätigkeiten in Textil-, Bau- und Immobilienbranche sowie im Tourismussektor. Nebenbei ist er Mitglied diverser Vereinsund Stiftungsvorstände. 22 VOKAL Fotos: Gülten Kılınç In seinem Vortrag referierte Can über Jugend und die Meilensteine seines beruflichen Werdeganges: „Ich stamme aus einer Mittelschichtfamilie, die sehr viel Wert auf eine gute Bildung legt. Ich besuchte die Istanbul Erkek Lisesi, dies bedeutete zu unserer Zeit 26 Unterrichtsstunden in deutscher Sprache. Es war unmöglich zu behaupten, man könne kein Deutsch.“ Auf Basis der Erfahrungen aus seinem eigenen, bilateralen Bildungshintergrund sensibilisierte Can die Studenten der TDU wie folgt: „Das System, auf welches wir dort stießen, gab uns ein immenses Selbstvertrauen, dort wurde das türkische mit dem deutschen System vereint: Der scharfe, türkische Verstand traf auf deutsche Systematisierung und Disziplin sowie das deutsche Demokratieverständnis. Es entstand ein völlig neuer Typus Mensch - in spätestens zwei Jahren werden Sie selbst spüren wie sehr Sie sich von den Absolventen der übrigen 190 türkischen Universitäten unterscheiden werden.“ Er setze seinen Vortrag damit fort, seinen Zuhörern zu vermitteln, wie wichtig es ist, frühzeitig Arbeitserfahrungen zu sammeln: „Als ich im Anschluss daran mein Studium anfing, musste ich nebenbei arbeiten gehen, um meine Familie zu unterstützen. Ich muss sagen, man lernt das Leben ein wenig früher kennen, da man einem anderen Blickwinkel ausgesetzt ist. Während die übrigen Studenten sich ausschließlich mit dem Lernen und Sozialaktivitäten beschäftigen, musste ich bereits verantwortungsvolle Aufgaben übernehmen. Man lernt ein Unternehmen oder eine Einrichtung kennen und sieht, wie darin Individuen miteinander umgehen. Man beginnt das Leben vor allen anderen, läuft voran. Man setzt sich auf eine andere Weise Ziele und verfolgt diese mit Ehrgeiz, das entwickelt die Persönlichkeit auf eine besondere Weise.“ Can machte aber auch auf die Kehrseite der Medaille aufmerksam: „Ich hatte zwischen Arbeit und Studium kaum Zeit für zwischenmenschliche Kontakte und Beziehungen, mir entgingen also wertvolle Erfahrungen anderer Art.“ Sein Übergang von Studium zum Berufsleben basierte auf einer zufälligen Begegnung: „Dank meiner Fremdsprachenkenntnisse arbeitete ich damals in einem Unternehmen, welches von ausländischen Banken Kredite beschaffte; ich reiste also sehr viel. Während einer dieser Reisen traf ich am Flughafen zufällig auf Sakıp Sabancı, der zu den Idolen meiner Zeit gehörte und entscheidenden Einfluss auf mein Leben haben sollte. Ich sprach ihn an und wir kamen ins Gespräch.“ Später am Abend sei ihm ein Zettel unter der Hotelzimmertür zugeschoben worden, auf dem er von Sabancı für den nächsten Morgen zum Frühstück eingeladen wurde. „Er brachte meine Tätigkeiten und Interessen in Erfahrung und bot mir daraufhin eine vierwöchige Anstellung in leitender Position in seinem Unternehmen an - Hintergrund war, dass er einem seiner Direktoren gekündigt 23 VOKAL hatte. Nun, aus diesen 4 Wochen wurden letztlich 5 Jahre. Warum ich Ihnen dies erzähle? Manchmal ist es notwendig Gelegenheiten beim Schopfe zu packen und seines eigenen Glückes Schmied zu werden. Hätte ich ihn damals nicht angesprochen, um nach seinem Befinden zu fragen, wäre mein Leben vielleicht anders verlaufen.“ Später wurde Can in der Textilbranche tätig, indem er in das Blue-Jeans-Geschäft einstieg. „Als ich sagte, dass ich kein Geld zur Begleichung der Forderungen habe und für den Export arbeiten würde, wurde ich nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Das Exportgeschäft wurde nicht begrüßt, niemand wusste, wohin die produzierten Waren gehen würden und wieviel verdient werden würde. Vor 30 Jahren existierten in der Türkei kaum Export- oder Kreditvergabemechanismen, geschweige denn eine großflächige Produktion. Durch den Export wurden lediglich 3 Mrd. US-Dollar durch den Absatz von Baumwolle, Rosinen und getrockneten Feigen. Nur zum Vergleich: heute liegen die Einnahmen bei rund 128,4 Mrd. US-Dollar.“ Nachdem die anfänglichen Hürden überwunden werden konnten, ging er letztlich in die Jeanshosenproduktion ein und exportierte die gefertigten Waren ins Ausland. Nach einiger Zeit wurden diese jedoch reklamiert. „Was geschehen war? Reißverschlüsse und Knöpfe rosteten - niemand wusste damals, was Oxidation ist. Zurückblickend war es aber vollkommen in Ordnung diesen Fehler begangen zu haben, so lernten wir und verbesserten uns. Scheuen Sie sich niemals davor, Verantwortung zu übernehmen und sich zu verbessern. Aber Vorsicht ist geboten: Seien Sie niemals verliebt in Ihre Arbeit oder Ihre Gründung, wenn sich jemanden ergibt, der Ihr Unternehmen kaufen will, verkaufen Sie es! Denn sobald Sie sich in Ihre Arbeit verliebt haben, wird es Ihnen nicht möglich sein, es objektiv zu bewerten und darüber zu urteilen, ob Ihr Unternehmen noch rentabel ist bzw. bleibt.“ Emre Can setzte mit einer persönlichen Betrachtung des gesellschaftlichen Wandels fort und gab eine Beurteilung zu dem Einfluss dieses Wandels auf die Arbeits- und Lebensweise ab: „Heutzutage verspürt jeder die andauernde Angst nicht mehr mitkommen oder mit anderen mithalten zu können. Alles läuft über das sogenannte Vitamin B. Die Menschen sind von den zahlreichen Informationsfluten schlichtweg überreizt. Von dem, was man sich am Morgen vornahm, wird nur die Hälfte oder weniger erledigt. Aufgrund Konzentrationsmangels werden gesetzte Ziele nicht mehr erreicht - das führt zu Unzufriedenheit oder in weiterer Folge zur sozialen Einsamkeit.“ Zum Ende seines Vortrages gab Herr Can den Studierenden die folgenden Worte mit auf den Weg: „Sie fragen sich sicherlich, wie Sie sich in Ihrer Position als Mitglied der heutigen Gesellschaft verhalten sollen? Nun, offen gestanden müssen Sie Superman sein: Sie müssen stets up-to-date und über jeden Themenbereich informiert sein. Ich muss zugeben, ich wäre nicht gern an Ihrer Stelle. Zu meiner Zeit waren die Produktion und der Absatz nahezu jedes Gutes möglich, heute muss es das Schnellste, das Beste und das Qualitätsreichste sein. Lassen Sie sich davon jedoch nicht unterkriegen, seien sie neugierig, neugierig auf alles und vor allem anderen: Lernen Sie. Seien Sie selbstbewusst und fliehen Sie nicht vor Schwierigkeiten oder Problemen. Wir hier von der TDU haben die Aufgabe, Sie auf die Hindernisse Ihres Lebensweges vorzubereiten und in das System zu entlassen, denn sie sind die Zukunft. Träumen Sie, ein Mensch, der träumt kann nicht erfolglos sein.“ 24 VOKAL Visuelle Konstruktion von Migration und Heterogenität Von Sibylla Wolfgarten Interessante Perspektiven zeigte Dipl.-Päd. Tim Wolfgarten in seinem Gastvortrag über „Bild(ung) – zur visuellen Verhandlungspraxis gesellschaftlicher Inklusion in Themenausstellungen zu Migration und Heterogenität in Deutschland“ und warf einige interessante Fragen bei den Zuhörerinnen und Zuhörern auf, die am Nachmittag in die Hochschule für Fremdsprachen gekommen waren. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften der Universität zu Köln beschäftigt sich im Rahmen seiner Forschung mit der Frage, wie Migration und gesellschaftliche Heterogenität in Ausstellungen dargestellt und repräsentiert werden. Dazu schaute er sich in Deutschland bisher 743 Ausstellungen mit Bildungscharakter an, die teils museal, aber auch teils bildungspolitisch, zu verorten sind. Im Zentrum der Betrachtung steht nicht etwa die Frage, nach dem, was ausgestellt wird, viel mehr interessiert ihn, wie etwas dargestellt wird. 25 VOKAL An einem Beispiel einer Frau aus der Themenausstellung „Was glaubst Du denn?! Muslime in Deutschland“ verdeutlicht Herr Wolfgarten, dass das Prinzip der Frontalität eine gängige Darstellungsform innerhalb jener Ausstellungen ist, die jedoch kritisch hinterfragt werden muss. »Eigentlich ändert sich immer nur das Kopftuch–oder doch die Person, die wir sehen?« „Diese Frage ist an einer der Stellwände zur Serie angebracht und soll Anlass zur Auseinandersetzung mit unseren eigenen Interpretationsweisen geben sowie mit Zuschreibungen, die wir innerhalb einer Migrationsgesellschaft tätigen. Das didaktische Konzept, welches hinter dieser konzeptuellen Umsetzung liegt, zielt somit auf die Reflexionsfähigkeit der Betrachter/innen und soll – auch ohne sprachliche Anleitung – innerhalb des Rezeptionsprozesses der Portraitgruppen erfahrbar sein; so ist es die eigene Wahrnehmung bzw. das selbstständige Bemerken von unterschiedlichen Sichtweisen auf ein und dieselbe Frau, hervorgerufen durch den variierenden Stil der Kopfbedeckung“, so Wolfgarten. 26 VOKAL Der Referent bemerkt jedoch kritisch, dass nicht nur die Art, wie die Frau ihr Kopftuch trägt, sondern auch die Perspektive, aus der sie fotografiert wurde, die Sichtweise anderer auf ein und dieselbe Frau veränderten. Es ist somit nicht „nur das Kopftuch“, was sich verändert, sondern die Haltung der dargestellten Frau zur Betrachterin bzw. zum Betrachter. Den Zuhörern wurde anhand dieses Beispiels demonstriert, dass die Form ein wesentlicher Aspekt in der Bildungsvermittlung darstellt, welche oftmals vernachlässigt reflektiert wird. So wird eine Frau mit modischem Accessoire sichtbar, die sich über Mimik und Gestik der betrachtenden Person gegenüberstellt und sich von der Frau mit religiös lesbarer Kopfbedeckung abhebt, denn diese wurde frontal dargestellt. Über einen zeitlichen Rückgriff in bereits bestehende Bilddokumente wurde ein Rezeptionskontext aufgezeigt, in dem es vornehmlich um eine aneignende Praxis vom gezeigten bzw. dokumentierten Sujet handelt. Beispielsweise sind an dieser Stelle taxonomische Fotografien aus der Kolonialzeit zu nennen, welche nach dem Prinzip hergestellt wurden, aber auch ikonische Darstellungen, die lange vor unserer Zeit einen Streit um die Objektmachung geistlicher Personen anfachte. ›En face‹ – Frontalität als Gestaltungsprinzip innerhalb der Szenographie der Migration Wenn wir also Migration und Heterogenität einer Gesellschaft darstellen wollen, so sollten die Darstellungen nicht bloß Exponate sein, die als Objekt der Betrachtung dienen, sondern durch ihre Darstellung rausgelöst aus der Frontalität zum Subjekt werden und somit die Perspektive des Betrachters im Hinblick auf unsere gesellschaftliche Heterogenität verändern. Fotos: Gülten Kılınç 27 VOKAL Stellung der Frau im Berufsleben und Geschlechter-Diskriminierung Foto: G. Kılınç/ Dozentinnen des Sprachzentrums der TDU Anlässlich des Weltfrauentages am 08. März 2016 hielt Esra Yiğit, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der TDU, einen Vortrag zum Thema „Stellung der Frau im Berufsleben und Geschlechterdiskriminierung“. „Nach Angaben des Türkischen Statistischen Instituts vom Juni 2015, liegt der Anteil der berufstätigen Männer bei 72,4% und der der berufstätigen Frauen bei 32,3%. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Bei den Frauen liegende, gesellschaftliche Verpflichtungen, die Schwarzarbeit, die sich auf Bereiche erstreckt, in denen Frauen tätig sind, ungeeignete, betriebliche Arbeitsregelungen, des Weiteren der Wille, Frauen zu einem günstigeren Lohn einzustellen und die Zuwanderung aus den Dörfern in die Städte, welche Frauen zumeist in den Status von ungelernten Kräften fallen lässt.“ 28 VOKAL Anlässlich des Weltfrauentages am 08. März 2016 hielt Esra Yiğit, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der rechtswissenschaftlichen Fakultät, einen Vortrag zum Thema „Stellung der Frau im Berufsleben und Geschlechterdiskriminierung“. Diese Einflussfaktoren stünden im klaren Zusammenhang mit in der Gesellschaft vorherrschenden Vorurteilen und der daraus resultierenden Diskriminierung, so Yiğit. „Diskriminierung bedeutet, dass betroffene Personen negativen Handlungen ausgesetzt sind oder von Rechten ausgeschlossen werden. Die häufigste, beobachtete Diskriminierung ist diejenige an Arbeitsplätzen - die sogenannte geschlechterspezifische Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz. Einer Diskriminierung kann dort während des Aufsetzens des Arbeitsvertrages, bei der Anwendung des Arbeitsvertrages oder bei der Kündigung des Arbeitsvertrages begegnen.“ Jegliche Bestimmungen hinsichtlich einer Diskriminierung im Arbeitsumfeld werden vom Arbeitsgesetz (IK) Nr. 4857 Artikel 4 geregelt. Laut dieses Gesetzes darf in einem Arbeitsverhältnis keine Diskriminierung aufgrund von Sprache, Rasse, Staatsangehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, einer Behinderung, politischen Ansichten, persönlicher Einstellung, Religion oder ähnlichen Gründen erfolgen. Arbeitgeber dürfen, sofern keine biologischen oder die Arbeitsqualität betreffenden Gründe vorliegen, beim Aufsetzen des Arbeitsvertrages, der Aufstellung der Arbeitsbedingungen, der Anwendung und bei der Kündigung, eine Schwangerschaft oder das Geschlecht nicht als direkte oder indirekte Begründungen anführen. Auch dürfen für die gleiche Arbeit oder eine gleichwertige Arbeit keine unterschiedlichen Vergütungen gezahlt werden. „Die Tatsache, dass speziell schützende Bestimmungen auf Basis des Geschlechtes des Arbeitnehmers herrschen, begründet keine Niedriglohn-Zahlung“, unterstrich Yiğit. Eine andere Form der Diskriminierung sei die Ausübung von psychischem Druck (Mobbing); diese Bestimmungen werden vom Türkischen Schuldenrecht (TBK) geregelt. Gemäß Artikel 417 heißt es darin: „Der Arbeitgeber ist dazu verpflichtet, die im Arbeitsverhältnis stehende Person des Arbeitnehmers zu schützen, dieser mit Respekt zu begegnen und am Arbeitsplatz, den Aufrichtigkeitsprinzipien gemäß, ein adäquates Arbeitsklima zu gewährleisten. Ferner muss er diejenigen Maßnahmen einleiten, die den Arbeitnehmer vor psychischen und sexuellen Angriffen schützen und muss, im Falle dessen, dass er solchen ausgesetzt war, dafür Sorge zu tragen, dass diesem am Arbeitsplatz kein weiterer Schaden zugefügt wird.“ 29 VOKAL Yiğit ging im Zuge dessen auch auf die Arbeitnehmerrechte in Bezug auf Verbeamtete ein: „Für Arbeitnehmer im Beamtenstand wurde bezüglich der ‚Vorbeugung von psychischen Angriffen am Arbeitsplatz (Mobbing)‘ vom Kanzleramt ein Dekret veröffentlicht und eine entsprechende Servicehotline mit der Nummer 170 eingerichtet. Mobbing ist, laut des Ministeriums für Arbeit und Soziales, wenn ein Individuum am Arbeitsplatz von einer oder mehreren Personen über einen längeren Zeitraum systematisch durch gewollte, negative Handlungen mit böswilliger Absicht eingeschüchtert oder passiviert wird, und zwar mit dem Ziel, dass dieses aus seiner beruflichen Stellung tritt und den Selbstwert, die Gesundheit, seine berufliche Stellung oder sozialen Beziehungen verliert. Diese Handlungen können von übergestellten Personen auf Untergebene, von Untergebenen auf übergestellte Personen oder Personen gleichen Ranges ausgeführt werden.“ Verstöße gegen das Gleichberechtigungsprinzip am Arbeitsplatz werden, wieder gemäß Artikel 4 des Arbeitsgesetztes (IK), geahndet. Betroffenen werden Schadensersatzleistungen in Höhe von vier Monatslöhnen und ebenso alle übrigen Forderungen aufgrund von Rechten, die durch die Diskriminierung verletzt wurden, gezahlt. Außerdem können gemäß dem Türkischen Strafrecht (TCK) Artikel 122 Personen, die auf Grund von Diskriminierung Anstellungen verhindern, mit einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis einem Jahr oder Bußgeldern geahndet werden. Über diese Maßnahmen hinaus haben Frauen, die am Arbeitsplatz sexuellen und psychischen Angriffen ausgesetzt sind, das Recht, ihren Arbeitsvertrag zu kündigen und Schadensersatzforderungen gegen den Arbeitgeber zu erheben. Gerade für die anwesenden, weiblichen Studierenden und Akademikerinnen war der Vortrag von hohem Informationsgehalt, da er über rechtliche Fakten sowie Rechte der Frauen im Arbeitsalltag aufklärte. Fotos: Esra Yiğit Archiv 30 VOKAL Begegnung zweier Hochschulwelten Von Anja Martin und Sibylla Wolfgarten Treffen der Studierenden des Studiengangs Interkulturelle Kommunikation und Bildung der Universität zu Köln und den Studierenden aus dem Vorbereitungsjahr der TDU Am 31. März fand zum ersten Mal ein direkter Austausch zwischen Studierenden aus dem Masterstudiengang Interkulturelle Kommunikation und Bildung und einer Gruppe fortgeschrittener Studierender aus dem Vorbereitungsjahr statt. Die Kölner Studierenden unternahmen unter der Leitung von Dipl.-Päd. Tim Wolfgarten, Seminarleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, eine einwöchige Exkursion in Istanbul. Während dieser Exkursion konzentrierten sich die Teilnehmer/innen zum einen auf die Fragen, wie transnationale Biographien u.a. auf universitärer Ebene aussehen und zum anderen, wie sich aus ihnen Ressourcen für den heutigen Bildungsmarkt gewinnen lassen. Dazu besuchte die Gruppe verschiedene Bildungsinstitutionen, die u.a. mit Deutschland zusammenarbeiten. 31 VOKAL Nachdem Anja Martin, Koordinatorin der fortgeschrittenen Klassen im Vorbereitungsjahr und Sibylla Wolfgarten, Ortslektorin der Hochschule für Fremdsprachen, die Gäste aus Köln an der YDYO empfangen hatten, wurde im ersten Teil des Nachmittages eine Gesprächsrunde mit Herrn Prof. Dr. İzzet Furgaç, dem Koordinator des K-TDU, Frau Dr. Aysel Uzuntaş, der Leiterin der Hochschule für Fremdsprachen, Frau Dr. Tülin Arslan, Koordinatorin der Klassen im Vorbereitungsjahr und Frau Anja Martin veranstaltet. Den Master-Studierenden ging es vor allem darum, zu sehen, wie genau die türkisch-deutsche Kooperation der TDU im universitären Alltag aussieht und welche Ziele hinter der binationalen Ausbildung der Studierenden stehen. Nach einem intensiven Austausch über die Frage des Machbaren in der Fremdsprachenvermittlung mit Blick auf das anschließende meist deutschsprachige Studium und die interkulturellen Herausforderungen, denen sich die Lehrkräfte gegenüber gestellt sehen, wurde mit den Gästen eine Campusbegehung unternommen. Diese endete auf der Terrasse der Mensa, wo die Gäste mit den Studierenden der TDU bekannt gemacht wurden, worauf zwischen den Teilnehmer/innen direkt ein neugieriger Austausch begann. Auch wenn sich die Gruppe lieber noch bei einem Tee in der Sonne weiter unterhalten hätte, folgte der zweite Programmteil dieses Nachmittages. Die Studierenden der TDU hatten unter der Leitung von Frau Martin und Frau Wolfgarten einige Interviewfragen zu Themen aus Bildung und aktuellen Geschehnissen vorbereitet. Das Interview unserer Studierenden veröffentlichen wir auszugsweise. 32 VOKAL Aslı G.: Alle sind hier Studenten, deswegen möchten wir mit dem Thema beginnen, das immer wieder zur Diskussion gestellt wird. In der Türkei werden das Ausbildungssystem und das Prüfungssystem immer wieder verändert. Deshalb sind wir neugierig, wie diese Situation in Deutschland ist. Wir würden gerne mit einem Zitat von Albert Einstein beginnen und euch fragen, wie ihr dieses im Hinblick auf das Bildungssystem in Deutschland bewertet: „Jeder ist ein Genie! Aber wenn Du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.” Kathrin S.: Das deutsche Schulsystem ist durch die Gliederung in weiterführende Schulen sehr einschränkend. Vor allem auf Hauptschulen können sich Jugendliche nur sehr schwer sozial und kognitiv entfalten und bleiben oft weit hinter ihren Möglichkeiten zurück. Durch die Einteilung auf die Schulformen werden bestimmte Jugendliche sehr unterstützt und andere müssen schauen, wo sie bleiben. Daher stimme ich insofern dem Zitat zu. Gleichzeitig ist das Schulsystem aber auch sehr durchlässig und weitere Abschlüsse, Ausbildungen und das Studium können gut aufeinander aufgebaut oder kombiniert werden. In der Politik wird viel über Schulreformen diskutiert und in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern gibt es jetzt immer mehr Gesamtschulen, an denen alle Jugendlichen zusammen unterrichtet werden. Esin K.: Welche Eigenschaften sollten die Absolventen haben? Was ist z.B. wichtiger: Eine gute Bildung oder praktische Erfahrung? Stephanie H.: Ich denke, es gibt nicht nur das Eine oder das Andere, also schwarz oder weiß. Es ist bestimmt beides wichtig, Bildung und praktische Erfahrung, und es kommt auch darauf an, was man machen möchte. Was ich dabei auch glaube, ist, dass die Persönlichkeit wichtig ist, wenn man sich um einen Job bewirbt. Wenn man z.B. durch ein freundliches oder kompetentes Auftreten überzeugt, oder in einem anderen Bereich Leistungen aufweisen kann, kann man punkten. Tim W.: Ich glaube, dass die praktische Erfahrung ein Teil der Bildung ist. Uygar T.: In der Türkei müssen die Studenten mindestens zwei Praktika machen, um die Universität abzuschließen. Wie ist die Situation in Deutschland? 33 VOKAL Kristina S.: Ich denke, dass das von Studiengang zu Studiengang unterschiedlich ist. An manchen Universitäten ist zum Beispiel im Bachelor-Studiengang ein Praktikum Pflicht. In manchen eben nicht. Zum Beispiel jetzt im Master wird mir freigestellt, ob ich ein Praktikum mache, oder ob ich stattdessen zwei Seminare oder Ähnliches belege. Praktische Erfahrungen werden von Arbeitgebern aber trotzdem sehr gern gesehen. Deshalb ist es schon etwas, was man machen sollte. Irem Ş.: Das zweite wichtige Thema ist Studium im Ausland. Diese Möglichkeit ist einerseits für die Meisten attraktiv. Andererseits gibt es natürlich viele Schwierigkeiten. Über diese Perspektive wollen wir uns ein bisschen mit euch unterhalten. Findet ihr ein Studium im Ausland für die Zukunft der Studierenden förderlich? Warum? Würdet ihr im Ausland studieren? In welchem Land würdet ihr studieren? Sandra T.: Ich denke, dass ein Studium im Ausland eigentlich immer eine gute Sache ist. Ich habe in Frankreich studiert. Ich glaube, dass dies aus verschiedenen Gründen eine sehr positive Erfahrung für einen selbst ist. Zum einen ist es natürlich beruflich wichtig und es wird generell als sehr positiv angesehen, wenn der Lebenslauf auch Auslandsaufenthalte aufweist. Andererseits öffnet es auch Perspektiven, denn man lernt die Struktur eines anderen Systems kennen. Tim W.: Auch ich habe ein Auslandsemester gemacht und zwar vor zwei Jahren hier in Istanbul. In dieser Zeit und auch in der Zeit danach konnte ich sehr viele gute Kontakte knüpfen und ein Netzwerk aufbauen. Das heißt, ein Auslandssemester kann sich auch positiv auf den Beruf auswirken. Denn noch heute kann ich auf das Netzwerk zurückgreifen, was ich mir damals aufgebaut habe. Ayhan M.: Wie ist die Haltung gegenüber ausländischen Studenten in Deutschland? Kennt ihr ausländische Studierende persönlich? Kathrin S.: Ich kann das nur für unsere Universität in Köln sagen. Es gibt sehr viele ausländische Studenten, die für ein Semester mit Erasmus zu uns kommen, um z.B. ihren Master zu machen. Ich muss sagen, es gibt leider oft sehr wenig Kontakt mit diesen ausländischen Studenten. Ich habe auch selbst mit Erasmus in Spanien studiert und es war ein bisschen traurig, da ich kaum Kontakt mit Spaniern hatte und ich glaube, dass das in Deutschland leider genauso ist. Oft spricht man jemanden nicht an, weil man nicht auf die Idee kommt, dass er vielleicht aus dem Ausland kommt. Ich glaube, es liegt aber auch daran, dass an der Universität zu Köln sehr viele Menschen studieren und arbeiten. Außerdem sind wir es gewohnt, dass Menschen unterschiedlich aussehen und eine unterschiedliche Sprache sprechen. Das ist in Deutschland alltäglich. Deshalb fallen ausländische Studierende oftmals gar nicht auf. 34 VOKAL Steffi S.: Ich kann ein bisschen etwas vom Gegenteil erzählen. Ich glaube, wenn man möchte, dann gibt es viele Möglichkeiten, auch mit ausländischen Studierenden in Kontakt zu treten. Ich persönlich habe zum Beispiel ein Sprachtandem gemacht. Wenn man dann mit einem Muttersprachler in Kontakt käme und vielleicht eine Stunde Türkisch und eine Stunde Deutsch sprechen würde, dann ist das kein Problem. Es ist auch ein wenig vom Studiengang abhängig. In manchen Studiengängen gibt es ganz viele ausländische Studierende, die Germanistik oder Englisch studieren. So ist in jedem Fall jedes Semester mindestens ein Erasmus-Student da, mit dem man dann Projekte zusammen machen kann. Ich muss allerdings sagen, dass wir noch nie jemanden da hatten, mit dem wir uns hätten austauschen können. Leider. Merve A.: Sie haben gesagt, dass es Kontaktprobleme zwischen ausländischen und deutschen Studierenden gibt. Ich möchte fragen, was eine Lösung dafür sein könnte? Kathrin S.: Es gibt ganz viele Angebote. Es gibt Hochschulgruppen an der Universität, die sich selber organisieren und Konzerte und Feste anbieten. Da muss ich hingehen, also ich muss aktiv werden, damit der Kontakt besser wird. Sprachtandems, glaube ich, sind auch eine ganz tolle Sache. Ich glaube wirklich, dass man selber aktiv werden kann. Sandra T.: Ich möchte, dass auch noch ausführen. Ich denke auch, dass es viele Angebote gibt. Zum anderen aber ist die eigene Haltung und Offenheit sehr wichtig. Ich habe momentan eine französische Freundin, eine Erasmus-Studentin. Sie ist sehr offen allen anderen gegenüber. Sie macht Sport, Musik, Theater und sehr viele Aktivitäten und dadurch lernt sie viele Menschen kennen. Meltem K.: Das Leben wird von vielen Faktoren beeinflusst wie Tradition, Kultur oder Religion. Zum Beispiel kann eine Studentin in der Türkei entweder mit ihrer Familie oder mit ihrer Freundin in einer Wohngemeinschaft oder im Studentenwohnheim leben. Eine Gastfamilienkultur ist in unserem Heimatland nicht geläufig. Deshalb wollen wir fragen, ob es in Deutschland eine solche Gastfamilienkultur gibt? 35 VOKAL Jane P.: Die Gastfamilienkultur, die Du ansprichst, ist bei uns auch nicht geläufig. Bei uns ist es auch ähnlich, dass viel in Wohngemeinschaften zusammengelebt wird oder, dass man bei der Familie wohnt, wenn man in derselben Stadt studiert, oder man lebt halt alleine. Ich z.B. lebe sehr weit weg von meiner Familie. Ich lebe alleine. Ayşe Nur T.: Was können die Studenten in Deutschland außerhalb der Universität machen? Wie ist das Studentenleben in Deutschland? Eva-Maria K.: Je nachdem, wen man jetzt fragen würde, würdet ihr ganz unterschiedliche Antworten hören. Es gibt sicherlich genau die gleichen Angebote. Man kann sicherlich auch bei euch viel Sport machen, oder sich politisch engagieren. Man kann innerhalb der Universität, wie eben schon gesagt wurde, verschiedene Angebote wahrnehmen. Viele von uns arbeiten auch noch neben dem Studium. Ansonsten geht man ins Kino, trifft sich viel mit Freunden. Man nutzt die Zeit und auch diese Freiheit des Jungseins, um zu reisen und auszugehen. Derya D.: Ansonsten hat man oft Semestertickets, also, ganz viele Vergünstigungen. Zum Beispiel kann man damit in einem ganzen Bundesland mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Ansonsten erhalten Studierende in Konzerten eine Ermäßigung, aber auch die Sportangebote an vielen größeren Hochschulen sind super. Am liebsten würde ich immer Studentin bleiben, weil man wirklich sehr viele verschiedene Sportarten ausprobieren kann. Kathrin S.: Wir können auch sehr viele Dinge selber entscheiden, wann wir was machen, wann wir in die Universität gehen, an welchen Seminaren wir teilnehmen und wann wir frei haben. Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, dass ist in vielen Ländern anders. So kann jeder für sich selber entscheiden und deswegen sieht auch jedes Leben anders aus. Melise U.: Zum Schluss möchten wir über ein sehr wichtiges Thema, Flüchtlinge in Deutschland, mit euch sprechen. Nicht alles, was in den Nachrichten berichtet wird, ist richtig. Deswegen würden uns eure Ansichten zu diesem Thema interessieren. Was denkt ihr über die Flüchtlingskrise in Deutschland? Sollte es eine Obergrenze geben? Und warum? Kathrin S.: Was hören Sie denn in den Nachrichten? Melise U.: Die Nachrichten sagen, dass manche Menschen die Obergrenze möchten und manche nicht. Aber wir wissen nur das, deswegen möchten wir gern mehr wissen. Uday G.: Zum Beispiel der Chef von der CSU möchte Obergrenzen, aber Angela Merkel möchte keine Obergrenze. 36 VOKAL Eva-Maria K.: Es ist schwierig, glaube ich, generell dazu etwas zu sagen, weil es sehr verschiedene Positionen gibt. E s gibt viele Menschen, die sich sehr für Flüchtlinge einsetzen, die in der Willkommenskultur sehr aktiv sind, die sich viel damit beschäftigen und Solidarität fördern und Vereinigung, die auf Menschenrechte verweisen. Also, da spreche ich jetzt auch persönlich für mich, das ist sehr schwierig im Moment, wenn zu dieser Zeit in Deutschland - auch von unserem geschichtlichen Hintergrund - neue Bewegungen oder so sehr rechtsorientiertes Gedankengut sehr verstärk wieder zum Vorschein tritt. Es gibt viele Menschen, die viel Stimmung machen wollen, und im Land hetzen. Das ist wirklich schwierig. Das nimmt einen auch irgendwie wirklich mit, weil man damit täglich konfrontiert ist. Es gibt viele Demonstrationen. Es gibt viele Proteste. Es gibt viele Debatten, viele Diskussionen auch innerhalb des Freundeskreises und der Familie. Also, es ist wirklich ein sehr großes Thema, was sehr viel Raum einnimmt. Kathrin S.: Ich glaube, ein Problem mehr so auf der mittleren Ebene in dieser gesamten Situation ist: Momentan gibt es im öffentlichen Diskurs meist nur dafür oder dagegen. Es ist sehr eine schwarz-weiße Thematik bei uns. Es gibt wenig dazwischen. Das ist ein großes Problem. Yakup G.: Angesichts der aktuellen politischen Ereignisse in der Türkei freuen wir uns sehr, dass ihr hier zu uns nach Beykoz an die TDU gekommen seid. Nichts desto trotz - hattet ihr Bedenken, bevor ihr nach Istanbul gekommen seid? Jane P.: Also, wir hatten Bedenken. Wir haben uns auch noch einmal davor getroffen, um zu diskutieren, ob wir herkommen oder nicht. Einige Teilnehmerinnen haben sich dagegen entschieden. Wir haben viel darüber diskutiert und uns auch gefragt, weil wir einerseits diese Chance wahrnehmen wollten, ins Ausland zu gehen, um uns mit unserer Forschungsfrage zu beschäftigen. Andererseits möchten wir uns auch nicht von medialen Darstellungen einschränken lassen. Durch den Terrorismus entsteht eine gewisse Angst. Dann stellt man sich die Frage: Lässt man sich von dieser Angst beherrschen oder nicht? Das muss man für sich ganz individuell abwägen und dann eine Entscheidung treffen. Wir haben uns dafür entschieden, hierher zu kommen. Einige haben sich dagegen entschieden, was man auch nachvollziehen kann. Merve A.: Wir danken euch für das interessante Interview. Da wir nicht jeden Tag die Möglichkeit haben, mit Deutschen zu sprechen, war es eine schöne Erfahrung für uns. Wir wünschen euch noch viel Spaß auf eurer Exkursion. 37 Fotos: Gülten Kılınç